BVerfGE 72, 51 - Bundesrechtsanwaltsordnung |
1. Zur Zulässigkeit von Vorlagen im Zulassungsverfahren nach der Bundesrechtsanwaltsordnung. |
2. Die Vorschrift des § 7 Nr. 3 Bundesrechtsanwaltsordnung, welche die Wiederzulassung eines aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossenen früheren Rechtsanwalts ausnahmslos untersagt, ist wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG nichtig (im Anschluß an BVerfGE Entscheidung 66, 337). |
Beschluß |
des Ersten Senats vom 26. Februar 1986 |
– 1 BvL 12/85 – |
in dem Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung des § 7 Nr. 3 der Bundesrechtsanwaltsordnung – Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Ehrengerichtshofs für Rechtsanwälte beim Hanseatischen Oberlandesgericht in Bremen vom 1. April 1985 (1 EGH 4/84) –. |
Entscheidungsformel: |
§ 7 Nummer 3 der Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1. August 1959 (Bundesgesetzbl. I S. 565) ist mit Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig. |
Gründe: |
A. |
Gegenstand der Vorlage ist das Verbot, jemanden zur Rechtsanwaltschaft zuzulassen, der im ehrengerichtlichen Verfahren aus dieser ausgeschlossen worden war.
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I. |
1. Nach der mehrfach geänderten Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1. August 1959 (BGBl. I S. 565) – BRAO – darf die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nur aus den in diesem Gesetz bezeichneten Gründen versagt werden (§ 6 Abs. 2). Zu diesen Gründen gehören:
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§ 7
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Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist zu versagen, 1. und 2. ... 3. wenn der Bewerber durch rechtskräftiges Urteil aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen ist; 4.... 5. wenn der Bewerber sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen läßt, den Beruf eines Rechtsanwalts auszüben; 6. bis 10. ... |
Diese Regelung hat ein lebenslanges Berufsverbot für denjenigen zur Folge, der gemäß §§ 113 ff. BRAO wegen schuldhafter Verletzung seiner Berufspflichten im ehrengerichtlichen Verfahren aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen worden war. Mit ihrer verfassungsrechtlichen Beurteilung hat sich das Bundesverfassungsgericht bereits im Beschluß vom 4. April 1984 (BVerfGE 66, 337 [358 f.]) befaßt. Da es im damaligen Verfahren nicht um die Frage der Zulassung, sondern um den Ausschluß aus der Rechtsanwaltschaft ging, bestand zu einer förmlichen Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des § 7 Nr. 3 BRAO kein Anlaß. Jedoch wurden schon damals erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken dargelegt, zu deren Ausräumung verschiedene Möglichkeiten in Betracht kämen. Nach Erörterung dieser Möglichkeiten heißt es: "Unterläßt der Gesetzgeber die ihm obliegende Neuregelung, werden die Ehrengerichte nicht umhin können, im Wege der konkreten Normenkontrolle das Bundesverfassungsgericht anzurufen, sofern sie in einem Wiederbewerbungsverfahren zum Ergebnis kommen, daß einer Wiederzulassung keine anderen Gründe als die absolute Sperre des derzeitigen § 7 Nr. 3 BRAO entgegenstehen" (a.a.O., S. 362 f.).
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2. Im Verfahren auf (Wieder-)Zulassung hat die Landesjustizverwaltung vor einer Entscheidung ein Gutachten des Vorstandes der zuständigen Rechtsanwaltskammer einzuholen (§ 8 BRAO). Das weitere Verfahren richtet sich danach, welche Versagungsgründe eingreifen. Stützt sich der Vorstand der Rechtsanwaltskammer auf einen Versagungsgrund nach den Nummern 5 bis 8 des § 7 BRAO – also unter anderem auf den Versagungsgrund der Unwürdigkeit –, so setzt die Landesjustizverwaltung das Zulassungsverfahren aus, stellt dem Bewerber eine beglaubigte Abschrift des Gutachtens zu und überläßt es dem Bewerber, gegen über der Rechtsanwaltskammer eine gerichtliche Entscheidung des Ehrengerichtshofs über das Vorliegen der angeführten Versagungsgründe herbeizuführen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 bis 4 i.V.m. § 38 BRAO). Anders "kann" verfahren werden, wenn der Antrag bereits aus einem anderen als den in den Nummern 5 bis 8 genannten Versagungsgründen, also unter anderem wegen der Wiederzulassungssperre des § 7 Nr. 3 BRAO, abzulehnen ist. In diesem Falle kann die Landesjustizverwaltung unmittelbar eine ablehnende Entscheidung erlassen (§ 9 Abs. 1 Satz 2 BRAO); dagegen steht dem Bewerber der gegen die Landesjustizverwaltung zu richtende Antrag auf gerichtliche Entscheidung durch den Ehrengerichtshof offen (§ 11 Abs. 2 i.V.m § 39 BRAO). |
II. |
1. Der Antragsteller des Ausgangsverfahrens war durch ehrengerichtliche Entscheidungen, die der Bundesgerichtshof durch Urteil vom 27. Juni 1983 bestätigt hatte, aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen worden. Seine dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte das Bundesverfassungsgericht mit dem erwähnten Beschluß vom 4. April 1984 (BVerfGE 66, 337) zurückgewiesen. Mit Schreiben vom 16. Juli 1984 beantragte er seine Wiederzulassung als Rechtsanwalt.
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a) Der Vorstand der zuständigen Rechtsanwaltskammer vertrat in seinem Gutachten den Standpunkt, der Antrag auf Wiederzulassung sei wegen der Zulassungssperre in § 7 Nr. 3 BRAO unzulässig; trotz der vom Bundesverfassungsgericht geäußerten Bedenken bestehe diese Vorschrift fort. Jedenfalls müsse der Antrag an § 7 Nr. 5 BRAO scheitern. Der Antragsteller habe sich eines Verhaltens schuldig gemacht, das ihn unwürdig erscheinen lasse, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben. Noch nach Verkündung der letztinstanzlichen Entscheidung über seine Ausschließung habe er sich wiederholt als Rechtsanwalt, teilweise zugleich als Fachanwalt für Steuerrecht bezeichnet. Deshalb sei ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren gegen ihn an hängig. Überdies sei er zwischenzeitlich durch ein noch nicht rechtskräftiges Urteil des Schöffengerichts wegen versuchten Betruges zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Sofern es hierauf ankomme, müsse das Zulassungsverfahren gemäß § 10 Abs. 1 BRAO ausgesetzt werden. |
b) Mit Bescheid vom 16. November 1984 lehnte der Senator für Rechtspflege und Strafvollzug den Antrag auf Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft aufgrund von § 7 Nr. 3 in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Satz 2 BRAO ab. Diese Regelung sei bis zu der vom Gesetzgeber bereits in Angriff genommenen Neuregelung geltendes und anzuwendendes Recht. Derzeit könne noch nicht davon ausgegangen werden, daß die Ablehnung der Wiederzulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit darstelle.
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2. Der vom Antragsteller angerufene Ehrengerichtshof für Rechtsanwälte beim Oberlandesgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 7 Nr. 3 BRAO mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Dies sei wegen der vom Bundesverfassungsgericht geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken zu verneinen; diesen könne durch eine verfassungskonforme Auslegung nicht abgeholfen werden.
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Es komme im Ausgangsverfahren auch auf die Gültigkeit der beanstandeten Vorschrift an. Sollte diese ungültig sein, wäre der angefochtene Bescheid ersatzlos aufzuheben. Zwar spreche vieles dafür, daß die Wiederzulassung des Antragstellers letztlich an § 7 Nr. 5 BRAO scheitern werde. Der Ehrengerichtshof dürfe jedoch die auf den Versagungsgrund der Ausschließung (§ 7 Nr. 3 BRAO) gestützte Ablehnung der Wiederzulassung nicht auf dem Wege über eine Anwendung des Versagungsgrundes der Unwürdigkeit (§ 7 Nr. 5 BRAO) bestätigen. Die beiden Alternativen seien verfahrensrechtlich unterschiedlich ausgestaltet. Die Landesjustizverwaltung dürfe – wie das im vorliegenden Falle geschehen sei – gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 BRAO nur über die Ablehnung eines bereits rechtskräftig ausgeschlossenen Bewerbers selbst ent scheiden, nicht hingegen über den Versagungsgrund der Unwürdigkeit. |
III. |
Zu dem Vorlagebeschluß haben sich der Bundesminister der Justiz namens der Bundesregierung, die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Anwaltverein e.V., der Bund Freier Rechtsanwälte e.V. sowie der Antragsteller des Ausgangsverfahrens geäußert.
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1. Der Bundesminister der Justiz stellt in seiner Äußerung lediglich den Stand des Gesetzgebungsverfahrens zur Änderung des § 7 Nr. 3 BRAO dar. Die Bundesregierung habe einen Gesetzentwurf eingebracht (BTDrucks. 10/3854), der den Bedenken des Bundesverfassungsgerichts gegen die lebenslängliche Fortdauer der Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft Rechnung tragen solle. Der Entwurf ermögliche einen erneuten Antrag auf Zulassung nach einer Sperrfrist von acht Jahren. Der Bundesrat habe bei der ersten Beratung eine Verlängerung der Wiederzulassungssperre auf zehn Jahre befürwortet; dem habe die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung nicht zugestimmt. Der am 3. Oktober 1985 vom Bundestag in erster Lesung behandelte Entwurf sei an den Rechtsausschuß zur weiteren Beratung überwiesen worden; dieser habe noch keinen Beratungstermin bestimmt.
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2. Die Bundesrechtsanwaltskammer äußert Zweifel an der Entscheidungserheblichkeit des § 7 Nr. 3 BRAO. Auch verfassungswidrige Vorschriften seien ausnahmsweise, insbesondere aus Gründen der Rechtssicherheit, für eine Übergangszeit weiter anzuwenden, damit nicht ein Zustand entstehe, der von der verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt sei als der bisherige. Ein solcher Ausnahmefall liege hier vor. Das Bundesverfassungsgericht habe es dem Gesetzgeber überlassen, wie er die verfassungsrechtlichen Bedenken ausräumen wolle. Dieser sei nicht untätig geblieben. Es sei mit einem Inkrafttreten der vorgesehenen Mindestsperrfristlösung noch in dieser Legislaturperiode zu rechnen. Dem Antragsteller des Ausgangsverfahrens sei es zuzumuten, die Versagung der Zulassung auf der Grundlage des derzeit noch unveränderten § 7 Nr. 3 BRAO für eine Übergangszeit hinzunehmen. Könnte ihm eine Wiederzulassung nicht versagt werden, würden angesichts seiner Verfehlungen, die seinem Ausschluß aus der Rechtsanwaltschaft zugrunde lägen, ernsthafte Gefahren für die Rechtspflege und für einzelne Rechtsuchende heraufbeschworen. |
Die Vorlage könne im übrigen nicht dazu führen, daß § 7 Nr. 3 BRAO für nichtig erklärt werde. Diese Vorschrift sei zur Zeit noch verfassungsgemäß. Dies ergebe sich nicht zuletzt aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. April 1984, in der – ähnlich wie in einer Appellentscheidung – eine Vorlage nur für den Fall als erforderlich angesehen worden sei, daß der Gesetzgeber untätig bleibe. Jedenfalls sei entgegen der Auffassung des vorlegenden Gerichts eine verfassungskonforme Auslegung des § 7 Nr. 3 BRAO in der Weise möglich, daß die von der Bundesregierung vorgesehene Neuregelung schon jetzt für die Auslegung des noch geltenden Rechts herangezogen werde, zumal gegen sie keine Bedenken vorgebracht würden. Sie belege, daß der Antragsteller derzeit durch die Ablehnung seines Wiederzulassungsantrags nicht in seinen Grundrechten beeinträchtigt werde.
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3. Der Deutsche Anwaltverein e.V. bezweifelt ebenfalls die Zulässigkeit der Vorlage. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei eine Norm nur dann entscheidungserheblich, wenn die Endentscheidung von der Gültigkeit des für verfassungswidrig gehaltenen Gesetzes abhänge. Das Normenkontrollverfahren sei für die abschließende Beurteilung des Ausgangsverfahrens nicht unerläßlich, weil eine Wiederzulassung des Antragstellers im Ergebnis an § 7 Nr. 5 BRAO scheitern müsse, dessen Voraussetzungen nach dem Gutachten des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer vorlägen. Ob ein "Verfahrenswechsel" zulässig sei, könne allerdings zweifelhaft sein. Im übrigen habe die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 66, 337) den Standpunkt des Deutschen Anwalt vereins bestätigt, daß eine befristete Zulassungssperre verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Der Gesetzgeber habe sich für eine solche entschieden. Der Entwurf des Änderungsgesetzes lasse erkennen, daß der Antragsteller derzeit noch keinen Anspruch auf die erneute Prüfung habe, ob die Fortdauer seiner Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft noch notwendig sei. Erst wenn der Gesetzgeber die ihm obliegende Neuregelung unterlasse, könnten sich hieraus verfassungsrechtliche Konsequenzen ergeben. Dem Antragsteller sei zuzumuten, den Eingriff in die Freiheit der Berufswahl für die Übergangszeit bis zur Verabschiedung der Neuregelung hinzunehmen. |
Zur verfassungsrechtlichen Beurteilung des § 7 Nr. 3 BRAO verweist der Deutsche Anwaltverein auf seine Stellungnahme zu dem früheren Verfahren (vgl. BVerfGE 66, 337 [350 f.]).
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4. Der Bund Freier Rechtsanwälte e.V. hält demgegenüber die Vorlage für zulässig und die Bedenken des vorlegenden Gerichts für begründet. Das vorlegende Gericht gehe zu Recht davon aus, daß es in dem derzeitigen, gegen die Landesjustizverwaltung gerichteten Verfahren nur über den Versagungsgrund des § 7 Nr. 3 BRAO und nicht auch über eine Ablehnung gemäß § 7 Nr. 5 BRAO zu entscheiden habe. Die Wiederzulassungssperre des § 7 Nr. 3 BRAO sei – wie sich schon aus der Stellungnahme des Bundes Freier Rechtsanwälte zu dem früheren Verfahren (vgl. BVerfGE 66, 337 [352]) sowie aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergebe – mit fundamentalen Grundsätzen der Verfassung unvereinbar. Werde die Vorschrift aufgehoben, so könne die Würdigkeit des Bewerbers nach § 7 Nr. 5 BRAO überprüft werden. Dies hänge freilich davon ab, daß das Bundesverfassungsgericht vor dem Inkrafttreten der geplanten, eine Mindestsperrfrist von acht Jahren einführenden Neuregelung entscheide, weil anderenfalls die Neuregelung auch auf den Ausgangsfall anzuwenden sein werde. Allerdings sei die Verfassungsmäßigkeit der geplanten Neuregelung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zu bezweifeln; denn die Frage, wie viele Jahre zwischen einer die Unwürdigkeit begrün denden Tat und dem Zeitpunkt einer möglichen Wiederzulassung liegen müßten, lasse sich nach der vom Bundesgerichtshof in Gnadensachen entwickelten Rechtsprechung nicht allgemein beantworten. |
5. Der Antragsteller des Ausgangsverfahrens hält das Normenkontrollverfahren für überflüssig, weil § 7 Nr. 3 BRAO durch das Bundesverfassungsgericht bereits für verfassungswidrig erklärt worden sei; der Gesetzgeber müsse eine Regelung wie in § 70 StGB schaffen. Er habe einen Anspruch auf Wiederzulassung, zumal er zu Unrecht aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen worden sei.
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Im übrigen meint der Antragsteller des Ausgangsverfahrens, alle Richter des Ersten Senats seien von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen, weil sie in "derselben Sache", nämlich in dem früheren Ausschließungsverfahren (BVerfGE 66, 337), bereits von Amts wegen tätig gewesen seien. Zusätzlich lehnt er alle Richter des Senats wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Er werfe ihnen Rechtsbeugung wegen ihrer Mitwirkung am Beschluß vom 4. April 1984 vor. Dieser Vorwurf mache sie befangen.
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B. |
Der vom vorlegenden Gericht beantragten verfassungsrechtlichen Überprüfung des § 7 Nr. 3 BRAO stehen keine verfahrensrechtlichen Hindernisse entgegen.
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I. |
Entgegen der unhaltbaren Auffassung des Antragstellers des Ausgangsverfahrens sind die Richter des Ersten Senats nicht wegen ihrer Mitwirkung am Beschluß vom 4. April 1984 (BVerfGE 66, 337) von Amts wegen von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen. Der damals zu beurteilende Ausschluß des Antragstellers aus der Rechtsanwaltschaft war nicht "dieselbe Sache" wie das im Ausgangsverfahren verfolgte Begehren auf Wiederzulassung und die Normprüfung im Vorlageverfahren. Der Begriff "dieselbe Sache" im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG ist in einem konkreten, strikt verfahrensbezogenen Sinne auszulegen (vgl. BVerfGE 47,105 [108]). |
Die Ablehnung aller Richter des Ersten Senats wegen Befangenheit durch den Antragsteller ist schon deshalb unzulässig, weil diesem im Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG kein Ablehnungsrecht zusteht. Das objektive Normprüfungsverfahren ist nicht dazu bestimmt, individuelle Rechte durchzusetzen; die Parteien des Ausgangsverfahrens sind keine antragsberechtigten Verfahrensbeteiligten (vgl. BVerfGE 42, 90 [91]; 46, 34 [36]). Im übrigen wäre der nicht weiter substantiierte Vorwurf der Rechtsbeugung gegenüber allen Richtern des Senats wegen ihrer Mitwirkung am Beschluß vom 4. April 1984 derart offenkundig mißbräuchlich, daß über das Ablehnungsgesuch nicht förmlich zu entscheiden wäre (vgl. BVerfGE 11, 1 [3]; 11, 343 [348]; 46, 200).
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II. |
Die Vorlage ist zulässig. Das vor dem vorlegenden Gericht anhängige Ausgangsverfahren ist in der Bundesrechtsanwaltsordnung vorgesehen und nach den darin enthaltenen Vorschriften betrieben worden. Für die Entscheidung in diesem Verfahren kommt es auf die Gültigkeit des § 7 Nr. 3 BRAO an.
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1. Nach den Vorschriften der Bundesrechtsanwaltsordnung hängt das Zulassungsverfahren davon ab, welcher Versagungsgrund eingreift (vgl. oben A I 2). Während die zuständige Rechtsanwaltskammer in ihrem gemäß § 8 Abs. 2 BRAO einzuholenden Gutachten zwei Versagungsgründe geltend gemacht hatte, hat die Landesjustizverwaltung – entgegen den Vorstellungen des Bundesverfassungsgerichts im früheren Verfahren – in ihrer Entscheidung allein auf die Wiederzulassungssperre des § 7 Abs. 3 BRAO abgestellt. Demgemäß war sie nach § 9 Abs. 1 Satz 2 BRAO zu einer eigenen abschließenden Entscheidung berechtigt, gegen welche der Bewerber gemäß § 11 Abs. 2 i.V.m. § 39 BRAO beim Ehrengerichtshof einen gegen die Landesjustizverwaltung zu richtenden Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen kann.
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Das vorlegende Gericht hat diesen Antrag ersichtlich als statthaft angesehen. Das ist nicht zu beanstanden. Das entsprechende Verfahren ist in der Bundesrechtsanwaltsordnung ausdrücklich so geregelt. Der Antragsteller des Ausgangsverfahrens war nicht etwa gehalten, vorweg oder gleichzeitig eine ehrengerichtliche Entscheidung darüber zu beantragen, daß der weitere Versagungsgrund der Unwürdigkeit nicht vorliege. Zwar war auch dieser Versagungsgrund im Gutachten der Rechtsanwaltskammer angeführt. Die Landesjustizverwaltung hat aber nicht die gesetzlich vorgesehenen Voraussetzungen geschaffen, die es ermöglicht hätten, die Geltendmachung dieses Versagungsgrundes anzufechten; denn sie hat nicht das Zulassungsverfahren ausgesetzt und sich auf eine Zustellung des Gutachtens beschränkt (§ 9 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 i.V.m § 38 BRAO). Ausweislich der Akten des Ausgangsverfahrens ist nicht einmal eine förmliche Zustellung erfolgt. |
2. Das vorlegende Gericht hat mit hinreichender Deutlichkeit dargelegt, daß die Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von der Gültigkeit des § 7 Nr. 3 BRAO abhängt (Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 2 BVerfGG).
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Entscheidungserheblich ist eine Norm dann, wenn das vorlegende Gericht bei Ungültigkeit der Vorschrift zu einem anderen Ergebnis gelangen würde als im Falle ihrer Gültigkeit (BVerfGE 58, 300 [317 f.]; 63, 1 [24]; 68, 311 [316]). Dabei geht das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgeblich ist, es sei denn, daß sich diese als offensichtlich unhaltbar erweist (BVerfGE 57,295 [315]; 65,132 [137]; 67,26 [35]).
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a) Wäre die zur Prüfung gestellte Vorschrift des § 7 Nr. 3 BRAO gültig, dann müßte das vorlegende Gericht im Ausgangsverfahren den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückweisen; denn dann hätte die Landes Justizverwaltung eine Wiederzulassung zu Recht abgelehnt. Sollte die Vorschrift hingegen ungültig sein, wäre der angefochtene Bescheid der Landesjustiz verwaltung nach Meinung des vorlegenden Gerichts ersatzlos aufzuheben. Diese Beurteilung ist nicht offensichtlich unhaltbar; sie stimmt mit den Regelungen der Bundesrechtsanwaltsordnung ersichtlich überein. |
Die Entscheidungserheblichkeit der zur Prüfung gestellten Vorschrift wäre nur dann zweifelhaft, wenn das vorlegende Gericht auch bei ihrer Ungültigkeit den Antrag auf gerichtliche Entscheidung wegen des weiteren Versagungsgrundes der Unwürdigkeit zurückweisen könnte und würde. Eine derartige Prüfung und Entscheidung läßt indessen die verfahrensrechtliche Regelung der Bundesrechtsanwaltsordnung nicht zu. Das Gericht kann im Ausgangsverfahren nicht erschöpfend über die Wiederzulassung des Antragstellers, sondern nur darüber entscheiden, ob dieser durch die Landesjustizverwaltung zu Recht wegen der Sperrvorschrift des § 7 Nr. 3 BRAO abgelehnt worden ist. Für die weitere Prüfung, ob auch der Versagungsgrund des § 7 Nr. 5 eingreift, sieht das Gesetz – wie bereits dargelegt – ein anderes, abweichend ausgestaltetes Verfahren vor, das die Landesjustizverwaltung gerade nicht durchgeführt hat. Es ist daher nicht offensichtlich unhaltbar, wenn das vorlegende Gericht keine Möglichkeit sieht, die Begründungen auszutauschen und seine Entscheidung auf den Versagungsgrund des § 7 Nr. 5 BRAO zu stützen. Selbst wenn im übrigen die Zulassung des Antragstellers im Ergebnis unter dem Gesichtspunkt der Unwürdigkeit derzeit abzulehnen sein sollte, kann er verlangen, daß im Ausgangsverfahren geprüft und entschieden wird, ob die in diesem Verfahren allein maßgebliche Sperrvorschrift des § 7 Nr. 3 BRAO seiner Wiederzulassung entgegensteht oder nicht und ob er sich demgemäß mit einem lebenslangen Berufsverbot abfinden muß oder nicht.
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b) Die in den Stellungnahmen vorgebrachten Zulässigkeitsbedenken greifen demgegenüber nicht durch. Es wird bereits verkannt, daß für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit die Auffassung des vorlegenden Gerichts maßgeblich ist, sofern diese nicht offensichtlich unhaltbar ist. Auch wird nicht hinreichend zwischen dem vor dem Bundesverfassungsgericht durchzuführen den Vorlageverfahren und dem vor dem Ehrengericht anhängigen Ausgangsverfahren unterschieden. Das Normenkontrollverfahren ist nicht zum individuellen Rechtsschutz im Einzelfall bestimmt, sondern dient als objektives Verfahren der Prüfung, ob eine Rechtsvorschrift mit der Verfassung vereinbar ist oder nicht. Diese Prüfung setzt lediglich voraus, daß die Vorschrift für ein bestimmtes Ausgangsverfahren entscheidungserheblich ist. Im übrigen sind beide Verfahren rechtlich selbständig; insbesondere ist die Zulässigkeit der Normenprüfung nicht davon abhängig, wie die im Ausgangsverfahren strittigen Rechtspositionen im Einzelfall verfassungsrechtlich zu beurteilen sind. Es kommt daher nicht darauf an, ob der Antragsteller des Ausgangsverfahrens durch die bisherige Dauer seiner Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft noch nicht in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt ist. |
Für die Zulässigkeit des Normenkontrollverfahrens ist es ferner unerheblich, ob – wie die Bundesrechtsanwaltskammer meint – die Sperrvorschrift des § 7 Nr. 3 BRAO trotz der bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken für eine Übergangszeit in Kraft bleiben müßte. Selbst wenn diese Meinung zutreffen sollte, wäre diese Problematik nicht für die Zulässigkeit der Vorlage, sondern erst für die materiellrechtliche Prüfung bedeutsam, ob die Vorschrift verfassungswidrig und nichtig ist oder bis zu einer Neuregelung weiterhin anwendbar bleibt (dazu unten C II). Ebensowenig kann der Meinung gefolgt werden, die Regelung des § 7 Nr. 3 BRAO könne im Falle ihrer Verfassungswidrigkeit schon jetzt im Wege der verfassungskonformen Auslegung durch die vom Gesetzgeber beabsichtigte Neuregelung ersetzt werden. Ob die derzeitige absolute Sperrvorschrift durch eine zeitlich befristete Zulassungssperre in verfassungsrechtlich zulässiger Weise ersetzt werden darf, ist wiederum keine Frage der Zulässigkeit, sondern der materiellrechtlichen Beurteilung. Im übrigen wäre es Sache des Gesetzgebers, eine verfassungswidrige Einschränkung der Berufsfreiheit durch eine verfassungsmäßige Neurege lung zu ersetzen. Der Richter darf die lediglich beabsichtigte Neuregelung um so weniger vorwegnehmen, als es verschiedene Möglichkeiten für eine verfassungsmäßige Neuregelung gibt (vgl. dazu BVerfGE 66, 337 [362 f.]). |
C. |
Die zur Prüfung vorgelegte Regelung des § 7 Nr. 3 BRAO verstößt gegen Art. 12 Abs. 1 GG und ist deshalb nichtig.
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I. |
Vorschriften über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beschränken die Freiheit der Berufswahl (vgl. BVerfGE 63, 266 [282]). Der Zulassungsversagungsgrund des § 7 Nr. 3 BRAO stellt hierbei einen besonders schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht auf freie Berufswahl dar. Denn er verbietet ohne Rücksicht auf den Einzelfall ausnahmslos, daß derjenige, der durch ehrengerichtliches Urteil aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen wurde, im Laufe seines Lebens noch einmal zur Rechtsanwaltschaft zugelassen wird. Er führt somit zu einem lebenslangen Berufsverbot, das in seiner Härte tief in die berufliche und familiäre Existenz eingreift (hierzu eingehender BVerfGE 66, 337 [359]).
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Ein solcher Eingriff ist nur statthaft, wenn und solange er zum Schutz überragender Gemeinschaftsgüter unerläßlich ist. Der besondere Rang der Berufsfreiheit, der in dem engen Zusammenhang mit der Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit begründet ist, verbietet es, bei derartigen Eingriffen die Fähigkeit des Menschen zur Änderung und zur Resozialisierung gänzlich außer acht zu lassen. Ebenso wie der Straftäter von Verfassungs wegen die Chance erhalten muß, sich nach Strafverbüßung wieder in die Gemeinschaft einzuordnen (vgl. BVerfGE 35, 202 [235 f.]; 36, 174 [188]; 45,187 [238 f.]), ist dem, der wegen schuldhafter Pflichtverletzung aus dem Beruf ausgeschlossen wurde, die Chance eines Neubeginns in seinem Beruf zu geben, sobald zu erwarten ist, daß er keine Gefahr mehr für die Funktionsfähig keit der Rechtspflege, also für die Rechtsuchenden und die übrigen Beteiligten, darstellen wird. Auch bei schwersten Pflichtverletzungen wird im Zeitpunkt des Ausschlusses aus der Rechtsanwaltschaft eine sichere Prognose kaum jemals möglich sein, daß jemand lebenslang eine Gefahr für die Rechtspflege sein wird. Dies wurde schon in der früheren Entscheidung (BVerfGE 66, 337 [360 ff.]) im einzelnen ausgeführt. Ebenso wurden dort die Einwände, die in der Anwaltschaft gegen eine Änderung der ausnahmslos lebenslangen Ausschließung vorgebracht wurden, erwogen und für nicht gewichtig genug erachtet, um eine derart folgenschwere Grundrechtsbeschränkung zu rechtfertigen. |
Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte, der Patentanwälte und der Notare vom 24. Mai 1985 (BTDrucks. 10/3854, S. 4) folgt im Ergebnis dieser Beurteilung (vgl. die Begründung zur Änderung des § 7 Nr. 3 BRAO, a.a.O., S. 21). Weder im bisherigen Gesetzgebungsverfahren noch in den Stellungnahmen zu der hier zu beurteilenden Vorlage sind Gesichtspunkte vorgebracht worden, die zu einer abweichenden Beurteilung Anlaß geben könnten. § 7 Nr. 3 BRAO ist daher als unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht der freien Berufswahl zu beanstanden.
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II. |
§ 7 Nr. 3 BRAO ist für nichtig zu erklären.
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Es besteht kein Anlaß, die von der Bundesrechtsanwaltskammer zitierte Rechtsprechung zum übergangsweisen Fortgelten verfassungsrechtlich bedenklicher Vorschriften (vgl. BVerfGE 61, 319 [356] m. w. N.) heranzuziehen. Die Rechtssicherheit gebietet nicht, die beanstandete Vorschrift bis zu einer gesetzlichen Neuregelung weiterhin anzuwenden. Denn durch den Fortfall des § 7 Nr. 3 BRAO könnte ein rechtliches Vakuum schon deshalb nicht entstehen, weil die Zulassung von Bewerbern, die eine Gefahr für die Rechtspflege darstellen würden, unter dem Gesichtspunkt der Unwürdigkeit (§ 7 Nr. 5 BRAO) verhindert werden könnte. § 7 Nr. 3 BRAO enthält gegenüber § 7 Nr. 5 BRAO nichts, was notwendig für die Übergangszeit bis zur endgültigen Regelung des Gesetzgebers erhalten bleiben müßte. |
Das Bundesverfassungsgericht hat schon früher auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hingewiesen, wonach bei der Anwendung des § 7 Nr. 5 BRAO auf die Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Bewerbers im Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen und dabei neben seinem Fehlverhalten auch sein früheres und späteres Wohlverhalten und seine Lebensverhältnisse im ganzen zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfGE 63, 266 [288]). Es sind keine verfassungsrechtlichen Bedenken ersichtlich, im Falle eines Antrags auf Wiederzulassung bei dieser Würdigung auch die Feststellungen zu früheren Pflichtverletzungen und zum Verschulden eines Bewerbers in einem ehrengerichtlichen Ausschließungsurteil mit heranzuziehen. Somit kann die bisherige Aufgabe des § 7 Nr. 3 BRAO, die Wirkung der Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft für die Wiederzulassung zu regeln, einstweilen von § 7 Nr. 5 BRAO mitübernommen werden.
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Entgegen der Meinung der Bundesrechtsanwaltskammer läßt sich auch aus der Entscheidung des Senats vom 4. April 1984 (BVerfGE 66,337) nichts dafür entnehmen, daß § 7 Nr. 3 BRAO noch für eine Übergangszeit Bestand haben müßte. Eine Nichtigerklärung dieser Vorschrift kam im Rahmen des damaligen Verfahrens, in dem es um die Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft ging, nicht in Betracht; die Norm hatte damals lediglich mittelbare Auswirkungen für die verfassungsmäßige Beurteilung der Ausschließungsregelung in § 114 Abs. 1 Nr. 5 BRAO. Erst im jetzigen Verfahren, das die Wiederzulassung eines früheren Rechtsanwalts betrifft, kommt es auf die Gültigkeit des § 7 Nr. 3 BRAO an.
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(gez.) Dr. Herzog Dr. Simon Dr. Hesse Dr. Katzenstein Dr. Niemeyer Der Richter Dr. Heußner ist an der Unterschrift verhindert. Dr. Herzog Dr. Henschel |