BVerfGE 81, 1 - Schlüsselgewalt |
Es ist mit dem Grundgesetz vereinbar, daß der Gesetzgeber bei zusammenlebenden Eheleuten jedem die Befugnis übertragen hat, Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie mit Wirkung auch gegen den anderen Ehegatten zu besorgen - "Schlüsselgewalt" - (§ 1357 Abs. 1 BGB). |
Beschluß |
des Ersten Senats vom 3. Oktober 1989 |
-- 1 BvL 78, 79/86 -- |
in den Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung des § 1357 Abs. 1 BGB in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) vom 14. Juni 1976 (BGBl. I S. 1421) - Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Amtsgerichts St. Wendel vom 1. Oktober 1986 (4 C 413/86 R) und vom 13. Oktober 1986 (4 C 572/86 R) -. |
Entscheidungsformel: |
§ 1357 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) vom 14. Juni 1976 (Bundesgesetzbl. I Seite 1421) ist mit dem Grundgesetz vereinbar. |
Gründe: |
A. |
Die Vorlagen betreffen die Verfassungsmäßigkeit des § 1357 Abs. 1 BGB. Nach dieser Regelung ist jeder Ehegatte berechtigt, Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie mit Wirkung auch für den anderen Ehegatten zu besorgen, wobei durch solche Geschäfte grundsätzlich beide Ehegatten berechtigt und verpflichtet werden.
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I. |
1. Die früher allein der Ehefrau zustehende "Schlüsselgewalt" wurde durch das Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) vom 14. Juni 1976 (BGBl. I S. 1421) auch auf den Ehemann erstreckt. Im einzelnen bestimmt das Gesetz dazu:
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(1) Jeder Ehegatte ist berechtigt, Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie mit Wirkung auch für den anderen Ehegatten zu besorgen. Durch solche Geschäfte werden beide Ehegatten berechtigt und verpflichtet, es sei denn, daß sich aus den Umständen etwas anderes ergibt.
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(2) Ein Ehegatte kann die Berechtigung des anderen Ehegatten, Geschäfte mit Wirkung für ihn zu besorgen, beschränken oder ausschließen; besteht für die Beschränkung oder Ausschließung kein ausreichender Grund, so hat das Vormundschaftsgericht sie auf Antrag aufzuheben. Dritten gegenüber wirkt die Beschränkung oder Ausschließung nur nach Maßgabe des § 1412.
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(3) Absatz 1 gilt nicht, wenn die Ehegatten getrennt leben."
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2. Die Rechtsfolge des § 1357 Abs. 1 BGB tritt unabhängig davon ein, in welchem Güterstand die Ehegatten leben, ob der Gläubiger seinen Geschäftspartner als verheiratet ansieht oder der vertragschließende Ehegatte sich als verheiratet ausgibt. Die Rechtsmacht, auch den Partner zu verpflichten, dient nicht mehr dem Zweck, dem Handelnden die Erfüllung von bestimmten, ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgaben in der Ehe zu ermöglichen; denn § 1356 BGB in der Fassung des Ersten Eherechtsreformgesetzes überläßt die Aufgabenverteilung den Partnern selbst. Damit wurde das Leitbild der sogenannten Hausfrauenehe aufgegeben. Die Ehegatten sind einander verpflichtet, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten. Ist einem Ehegatten die Haushaltsführung übertragen, so erfüllt er seine Verpflichtung, durch Arbeit zum Unterhalt der Familie beizutragen, in der Regel durch die Führung des Haushalts (§ 1360 BGB).
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Nach § 1357 BGB ist der "angemessene Lebensbedarf der Familie" - ein unterhaltsrechtlicher Begriff - der Maßstab für die Verpflichtungsmacht der Ehegatten (Rolland, 1. EheRG, 2. Aufl., § 1357 Rdnr. 11). Bei der Auslegung der Vorschrift können die §§ 1360, 1360 a BGB herangezogen werden (Wacke, in: Münchener Kommentar, BGB, Bd. 5, 2. Aufl., § 1357 Rdnr. 19). Ärztliche Behandlungen sind nach der herrschenden Meinung zu den persönlichen Bedürfnissen der Ehegatten und deshalb zum Lebensbedarf (angemessener Unterhalt) der Familie zu rechnen (Wacke, a.a.O., § 1357 Rdnr. 30). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 94, 1 [6]) kann allerdings die Höhe des Arzthonorars, die sich im Einzelfall aus der Vereinbarung über die privatärztliche Behandlung ergibt, den Rahmen des nach §§ 1360, 1360 a BGB Geschuldeten und damit zugleich den der Mitverpflichtung nach § 1357 BGB sprengen. Deshalb komme es bei der Anwendung des § 1357 BGB - wie schon bei der Schlüsselgewalt des früheren Rechts - entscheidend auf den Lebenszuschnitt der Familie an, wie er nach außen in Erscheinung trete. |
II. |
1. Vorlagebeschluß 1 BvL 78/86
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a) Gegen den Ehemann der Beklagten des Ausgangsverfahrens liegen titulierte ärztliche Honorarforderungen in Höhe von 40,94 DM und 146,08 DM vor. Die Zwangsvollstreckung blieb erfolglos. Das Vermögensverzeichnis (§ 807 ZPO) ergab, daß er weder pfändbare Gegenstände noch sonstige Vermögenswerte besitzt und seine Ehefrau die Familie unterhält.
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Die Klägerin des Ausgangsverfahrens - eine privatärztliche Verrechnungsstelle - erwirkte daraufhin gegen die Ehefrau einen Mahnbescheid. Nachdem die Beklagte Widerspruch ohne Begründung eingelegt hatte, trug die Klägerin vor, daß die Ehefrau für die Honorarforderungen nach §§ 1357 ff. BGB hafte. Das Amtsgericht ordnete das schriftliche Verfahren an und forderte die Beklagte erfolglos zur Stellungnahme auf.
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b) Das Gericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 1357 Abs. 1 BGB mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
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Die Begründetheit der Klage hänge von der Gültigkeit des § 1357 Abs. 1 BGB ab, der eine gesamtschuldnerische Haftung beider Ehegatten für "Schlüsselgewaltgeschäfte" vorsehe. Diese umfaßten auch die ärztliche Behandlung eines Ehegatten. Die überwiegend den Gläubigerinteressen dienende Regelung verstoße gegen Art. 6 Abs. 1 GG; denn Eheleute, die in einem gemeinsamen Haushalt lebten, würden gegenüber nichtehelichen Lebensgemeinschaften und getrenntlebenden Ehegatten (§ 1357 Abs. 3 BGB) benachteiligt. Keine Bedenken gegen die gesamtschuldnerische Haftung der Ehegatten bestünden, wenn sie davon abhängen würde, daß der Geschäftspartner in Kenntnis dieser Rechtslage den Vertrag geschlossen habe und dazu nicht bereit gewesen wäre, wenn keine Mithaftung bestünde. Eine derartige Auslegung sei mit dem Wortlaut des Gesetzes aber nicht vereinbar. Im übrigen sei weder vorgetragen noch ersichtlich, daß die beiden Ärzte den Ehemann nur im Hinblick darauf behandelt hätten, daß seine Ehefrau für die Honorare mithafte. |
2. Vorlagebeschluß 1 BvL 79/86
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a) Die privatärztliche Verrechnungsstelle forderte dieselbe Beklagte und ihren Ehemann erfolglos zur Bezahlung einer Rechnung von 83,60 DM auf, die eine zahnärztliche Behandlung der Ehefrau betraf. Gegen die erlassenen Mahnbescheide erhoben die Eheleute Widerspruch. Die Klägerin trug vor, daß die Zahlungsverpflichtung der Ehefrau aus der Auftragserteilung und die des Ehemannes aus § 1357 BGB folge. Das Gericht ordnete das schriftliche Verfahren an. Innerhalb der Frist zur Stellungnahme äußerten sich die Beklagten nicht. Daraufhin erging ein Teilurteil, mit dem die Ehefrau zur Zahlung der Honorarforderung und vorgerichtlicher Mahnkosten verurteilt wurde. b) Hinsichtlich des Verfahrens gegen den beklagten Ehemann hat das Gericht das Verfahren ausgesetzt und die Vorlagefrage wie in der Sache 1 BvL 78/86 gestellt und begründet.
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III. |
Zu beiden Vorlagefragen haben sich der Bundesminister der Justiz namens der Bundesregierung, die Klägerin der Ausgangsverfahren und der Präsident des Bundesgerichtshofs geäußert.
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1. Der Bundesminister der Justiz hält die Vorlage für unbegründet. § 1357 Abs.1 BGB sei mit Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar.
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Unabhängig davon, welchem Ehegatten die Haushaltsführung obliege, bedürfe dieser insbesondere dann, wenn er über kein eige nes Einkommen verfüge und es sich auch nicht um Bargeschäfte des täglichen Lebens handele, wie bisher der selbständigen Befugnis, Geschäfte für den angemessenen Lebensbedarf der Familie zu besorgen. Einer (denkbaren) Beschränkung der Rechtsmacht auf den jeweils haushaltsführenden Ehegatten hätten Zweckmäßigkeitserwägungen entgegengestanden, da die Haushaltsführung wechseln oder auch beiden Ehegatten zustehen könne und damit als zuverlässiges Abgrenzungskriterium ausscheide. |
Die vorgelegte Bestimmung, die für Gläubiger - anders als bei Geschäften mit Nichtehegatten - einen Anspruch gegen einen zusätzlichen Schuldner begründe, stelle keine Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Lebenssachverhalte dar. Jedenfalls sei sie sachgerecht.
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Die Vorschrift verbinde allenfalls äußerlich betrachtet mit dem Bestehen einer Ehe nachteilige Folgen; denn sie knüpfe nicht eigentlich an die Ehe, sondern an die nur für diese normierte eigenverantwortliche Haushaltsführung (§ 1356 Abs. 1 BGB) sowie die Familienunterhaltspflicht an (§ 1360 Satz 2 BGB). Danach gebe die Ausgestaltung der Haushaltsführung und die wechselseitige Unterhaltspflicht für das hier geregelte Lebensverhältnis das "wesentliche Vergleichselement" ab.
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Daß in einer intakten Ehe der haushaltsführende Ehegatte den anderen verpflichten könne und zugleich selbst gesamtschuldnerisch mithafte, unterstreiche im übrigen die Gleichwertigkeit der Haushaltsführung und der Erwerbstätigkeit und sei gerade Ausdruck der gleichen Berechtigung und Verpflichtung der Partner innerhalb der ehelichen Lebensgemeinschaft. Diese an der Rechtswirklichkeit orientierte gesetzgeberische Überlegung, daß in der Regel auch heute der nicht erwerbstätige Ehegatte den Haushalt allein führe und zur Abwicklung desselben einer selbständigen Rechtsmacht bedürfe, verdeutliche zugleich, daß § 1357 Abs. 1 BGB nicht allein oder vorrangig den Gläubigerschutz bezwecke. Schließlich enthalte § 1357 BGB dadurch ausreichende Einschränkungen zum Schutz des mitverpflichteten Ehegatten, daß die Rechtsmacht auf Geschäfte zur "angemessenen" Deckung des Lebensbedarfs beschränkt sei, im Innenverhältnis eine Ausgleichsver pflichtung gemäß §§ 421 ff. BGB bestehe und nach § 1357 Abs. 2 in Verbindung mit § 1412 BGB Beschränkungen oder Ausschließungsmöglichkeiten gegeben seien. |
2. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat mitgeteilt, daß der IVb-Zivilsenat außer in seinem Urteil vom 13. Februar 1985 (BGHZ 94, 1) mit der Vorschrift des § 1357 BGB bisher nicht befaßt worden sei und damit zusammenhängende Rechtsfragen auch nicht zur Entscheidung anständen. Bei einer Fallgestaltung, wie sie dem Urteil vom 13. Februar 1985 zugrunde gelegen hätte, dürften der Anwendung der Vorschrift verfassungsrechtliche Bedenken nicht entgegenstehen. Es seien allerdings Sachverhalte denkbar, bei denen sie zu wenig einleuchtenden Ergebnissen führe, etwa wenn in einer Alleinverdienerehe der nichtverdienende Ehegatte für Verbindlichkeiten einstehen solle, die der andere ohne sein Wissen eingegangen sei und bei deren Begründung der Gläubiger nicht auf die Mithaftung der Ehegatten vertraut habe.
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Darüber hinaus habe der VI. Zivilsenat in seiner Entscheidung vom 3. Februar 1967 (NdW 1967, S. 673 ff.) § 1357 BGB a.F. angewandt, ohne die Vereinbarkeit der Vorschrift mit dem Grundgesetz in Frage zu stellen.
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3. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens hält § 1357 Abs. 1 BGB für verfassungsgemäß. Die Vorschrift verstoße weder gegen Art. 3 noch gegen Art. 6 Abs. 1 GG.
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B. |
Die Vorlagefrage ist zu bejahen. § 1357 Abs. 1 BGB ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
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I. |
Die Regelung des § 1357 Abs. 1 BGB verstößt nicht gegen Art. 6 Abs. 1 GG. Dieses Grundrecht stellt die Ehe unter den besonderen Schutz des Staates. Damit sind Bestimmungen unvereinbar, die die Ehe schädigen, stören oder sonst beeinträchtigen könnten (vgl. BVerfGE 6, 55 [76]; 55, 114 [126 f.]). Jedoch hat der Gesetzgeber das Rechtsinstitut der Ehe in einer seiner Natur und Funktion ent sprechenden Weise auszugestalten. Dabei kann er die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft auch zum Anknüpfungspunkt spezieller wirtschaftlicher Rechtsfolgen machen, sofern das der Eigenart des geregelten Lebensgebiets entspricht und die Ehe dadurch nicht diskriminiert wird (vgl. BVerfGE 6, 55 [76 f.]; 75, 382 [393] m.w.N.). Wie der Gesetzgeber die Ausgestaltung vornimmt, ist Sache seiner politischen Entscheidung, solange er den ihm in Art. 6 Abs. 1 GG aufgetragenen Schutz nicht außer acht läßt (vgl. BVerfGE 31, 58 [69 f.]; 62, 323 [330]). |
Bei § 1357 Abs. 1 BGB handelt es sich um eine Regelung, die das Rechtsinstitut der Ehe in wirtschaftlicher Hinsicht ausgestaltet. Daß die Vorschrift keine hinreichende Verankerung in Natur und Funktion der Ehe mehr habe und sich überwiegend zugunsten der Gläubiger der Eheleute auswirke, wie der Vorlagebeschluß ausführt, oder im Gläubigerschutz mittlerweile sogar ihren alleinigen Zweck finde, wie im Schrifttum vertreten wird (vgl. Gernhuber, Familienrecht, 3. Aufl., 1980, S. 197; weitere Nachweise bei Mikat, Rechtsprobleme der Schlüsselgewalt, 1981, S. 46, Fn. 195), trifft nicht zu.
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Zwar hat der Gesetzgeber bei der Neuregelung auch die Belange der Vertragspartner von Geschäften im Rahmen der Schlüsselgewalt im Auge gehabt. Vor allem ging es ihm aber darum, den Ehegatten, der die Haushaltsführung übernommen hat, für seine Aufgabe im Rahmen der ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft angemessen auszurüsten (vgl. BTDrucks. 7/650, S. 98 f.; 7/4361, S. 26).
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Diesen Zweck hat der Gesetzgeber mit § 1357 Abs. 1 BGB n.F. auch nicht verfehlt. Eine derartige Regelung ist zwar von Art. 6 Abs. 1 GG nicht geboten. Der Gesetzgeber konnte sie aber ohne Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot dieses Grundrechts erlassen. Denn § 1357 Abs. 1 BGB legt den Ehegatten keineswegs nur Verpflichtungen auf, sondern räumt ihnen auch zusätzliche Rechte ein, welche die Partner anderer Formen des Zusammenlebens nicht genießen. Dazu gehört es, daß ein Ehegatte durch die im Rahmen des § 1357 Abs. 1 BGB geschlossenen Verträge seines Partners nicht nur verpflichtet, sondern auch berechtigt wird. Vor allem wäre aber ohne eine derartige Bestimmung ein im Haushalt tätiger und selbst einkommensloser Ehegatte bei der Deckung des Lebensbedarfs der Familie weitgehend von der Zustimmung seines Partners abhängig. Daß sich daneben auch die Haftung zugunsten der Gläubiger eines Ehegatten erweitert, ist Folge, nicht Zweck der eheausgestaltenden Regelung. Sie führt angesichts des eheförderlichen Gehalts dieser Norm nicht zum Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG. |
II. |
Die Vorschrift des § 1 357 Abs. 1 BGB verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
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Dieser gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Demgemäß ist er vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 55, 72 [88]; 71, 146 [154 f.]).
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Die zur Prüfung vorgelegte Regelung führt zwar dazu, daß Verheiratete, mit ihrem Ehegatten zusammenlebende Ehepartner unter den Voraussetzungen des § 1357 Abs. 1 BGB anders behandelt werden als Personen, die nicht verheiratet sind oder bei denen die Ehe nicht mehr intakt ist. Jedoch bestehen dafür ausreichende sachliche Gründe.
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1. Dem Leitbild der ehelichen Wirtschaftsgemeinschaft würde es entgegenstehen, bei Ehegatten schlechthin davon auszugehen, sie müßten wirtschaftlich wie Ledige behandelt werden (vgl. BVerfGE 69, 188 [208] ). Die eheliche Lebensgemeinschaft kann vielmehr zum Anknüpfungspunkt wirtschaftlicher Rechtsfolgen genommen werden, soweit sich für eine Differenzierung zu Lasten Verheirateter aus der Natur des geregelten Lebensverhältnisses einleuchtende Sachgründe ergeben (vgl. BVerfGE 28, 324 [347]; 78, 128 [130]). Das ist bei der Regelung des § 1357 Abs. 1 BGB der Fall.
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In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung, daß die Ehegatten die Haushaltsführung im gegenseitigen Einvernehmen zu regeln haben (§ 1356 Abs. 1 BGB) und einander verpflichtet sind, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten (§ 1360 BGB). Entsprechend muß die "Schlüsselgewalt" auf dem Hintergrund von Gleichberechtigung, Partnerschaft und Mitverantwortung der Ehegatten gesehen werden (vgl. etwa Roth-Stielow, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., Bd. IV, 1. Teil, § 1357 Rdnrn. 2 f.). Dies kommt auch in der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 1357 BGB zum Ausdruck (BTDrucks. 7/650, S. 98 f.): Insbesondere in der Ehe, in der die Haushaltsführung einem der Ehegatten allein überlassen sei, komme der herkömmlich als "Schlüsselgewalt" bezeichneten Rechtsmacht, Geschäfte mit Wirkung auch für den anderen Ehegatten zu besorgen, eine erhebliche Bedeutung zu. Sie versetze nämlich den Ehegatten, dem die Haushaltsführung überlassen sei und der in der Regel kein eigenes Einkommen habe, erst in die Lage, der ihm zufallenden Aufgabe gerecht zu werden und damit zugleich den von ihm geforderten Beitrag zum Familienunterhalt zu leisten. Ohne Rechtsmacht bliebe auch die dem haushaltsführenden Ehegatten eingeräumte eigenständige Leistungsbefugnis inhaltsleer, da er sonst bei Geschäften, die nicht Bargeschäfte des täglichen Lebens seien, in weitem Umfang auf die Mitwirkung des anderen Ehegatten angewiesen wäre, der als Erwerbstätiger unmittelbar über Einkünfte verfüge. Nur die selbständige Befugnis, Geschäfte für den angemessenen Lebensbedarf der Familie mit Wirkung auch für den anderen Ehegatten zu besorgen, werde deshalb der Bedeutung der Aufgabe des haushaltsführenden Ehegatten gerecht. |
Daraus, daß sich der Gesetzgeber aus Zweckmäßigkeitserwägungen entschlossen hat, die Schlüsselgewalt nicht nur dem haushaltsführenden, sondern beiden Ehegatten zu übertragen (BTDrucks. 7/4361, S. 26), ergibt sich kein anderes Prüfungsergebnis. In § 1357 Abs. 1 BGB kann keine Diskriminierung der in häuslicher Gemeinschaft lebenden Ehegatten gesehen werden.
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2. Dem Gedanken der ehelichen Wirtschaftsgemeinschaft, wie er den Instituten des Versorgungsausgleichs, des Zugewinnausgleichs und im Bereich des Steuerrechts dem Splittingverfahren zugrunde liegt (vgl. BVerfGE 69, 188 [208]), widerspricht es grund sätzlich nicht, daß sich Eheleute in einer intakten Ehe in den Grenzen, die durch "angemessene Deckung des Lebensbedarfs" gezogen sind, gegenseitig verpflichten können. Die Mithaftung des "anderen" Ehegatten setzt zunächst voraus, daß eine Verbindlichkeit besteht, die jedenfalls von dem Ehegatten erfüllt werden müßte, der Vertragspartner des Gläubigers ist. Insoweit kann also, bezogen auf die Wirtschaftsgemeinschaft der Ehegatten, von einer zusätzlichen finanziellen Belastung im Vergleich zu Unverheirateten oder Ehegatten, die getrennt leben, nicht ausgegangen werden. Diese kann im übrigen immer nur einen Ehegatten treffen, nämlich den, der das Geschäft nicht getätigt hat, für die Verbindlichkeit aber aufkommen muß. Daß die von § 1357 Abs. 1 BGB verliehene Rechtsmacht von einem Ehepartner mißbraucht werden kann, begründet keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz. |
III. |
Die Regelung verletzt die Ehegatten auch nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG.
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In diesem Zusammenhang ist eingewandt worden, daß der Gläubiger unabhängig vom Offenkundigkeitsprinzip der Stellvertretung (§ 164 Abs. 1 Satz 1 BGB) einen zusätzlichen Schuldner bei Rechtsgeschäften zur Deckung des Lebensbedarfs der Familie allein aufgrund der Tatsache gewinne, daß der Vertragspartner verheiratet sei. Ohne daß es dem Gläubiger vorher erkennbar zu sein brauche, werde der Ehepartner zur Zahlung verpflichtet, und zwar selbst dann, wenn er für die Haushaltsführung zuvor ausreichende Geldmittel zur Verfügung gestellt habe (Diederichsen, in: Palandt, BGB, 48. Aufl., § 1357 Anm. 1 d).
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Das Selbstbestimmungsrecht der Ehegatten wird in ihren finanziellen Beziehungen untereinander durch Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt. Ein Eingriff in dieses Recht ist mit dem Grundgesetz nur dann zu vereinbaren, wenn er zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels geeignet und erforderlich ist und die Ehegatten nicht übermäßig belastet (vgl. BVerfGE 60, 329 [339]). Diesen Anforderungen hat der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des § 1357 Abs. 1 BGB Genüge getan. |
Mit der Eheschließung übernimmt der Verheiratete eine Mitverantwortung für seinen Lebenspartner (vgl. BVerfGE 53, 257 [300]). Die gegenseitige Verantwortung für die Familie wird in § 1360 BGB besonders deutlich, der beiden Ehegatten die Sicherung des Familienunterhalts auferlegt. Diesen unterhaltsrechtlichen Folgen einer Eheschließung entspricht es, daß der Gesetzgeber den Ehegatten mit § 1357 Abs. 1 BGB die Möglichkeit verschafft hat, außerhalb von Bargeschäften Verträge zu schließen, die den Lebensbedarf der Familie decken sollen und dabei den anderen Ehegatten zu verpflichten.
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Der Gesetzgeber mußte auch nicht davon ausgehen, daß die Ehegatten die Schlüsselgewalt mißbrauchen könnten und daß deshalb der haftende Ehegatte durch § 1357 Abs. 1 BGB in verfassungswidriger Weise finanziell belastet werde. Soweit in der Lebenswirklichkeit die Ausübung der Schlüsselgewalt zu unangemessenen Ergebnissen führt, kann nach § 1357 Abs. 2 Satz 1 erster Halbsatz BGB der betroffene Ehegatte die Berechtigung des anderen Ehegatten, Geschäfte mit Wirkung für ihn zu besorgen, beschränken oder ausschließen.
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Im übrigen zwingt das Gesetz die Ehegatten nicht, von der Schlüsselgewalt Gebrauch zu machen; denn gemäß § 1357 Abs. 1 Satz 2 BGB werden beide Ehegatten durch Geschäfte, die zur Deckung des angemessenen Lebensbedarfs gehören, nur dann berechtigt und verpflichtet, wenn sich aus den Umständen nicht etwas anderes ergibt. Wenn also der mit dem Dritten verhandelnde Ehegatte deutlich erklärt oder durch ein für beide Teile klar deutbares Verhalten zum Ausdruck bringt, daß er nicht die Folgen des § 1357 Abs. 1 BGB herbeiführen will (BGHZ 94, 1 [3 f.] m.w.N.), entfällt die Mithaftung des anderen Ehegatten.
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Schließlich können die Ehegatten sogar einverständlich erreichen, daß die Wirkungen des § 1357 Abs. 1 BGB sie nicht treffen. Es ist zwar streitig, ob Ehegatten die ihnen durch diese Regelung eingeräumte Rechtsmacht vertraglich ausschließen können. Sie können sich aber nach der herrschenden Meinung die Schlüsselge walt gegenseitig (gleichzeitig) entziehen (vgl. die Nachweise bei Mikat, a.a.O., S. 42 f.) und im Ergebnis auf diese Weise von ihrem Selbstbestimmungsrecht im finanziellen Bereich Gebrauch machen. |
Herzog, Niemeyer, Henschel, Seidl, Grimm, Söllner, Dieterich, Kühling |