BVerfGE 83, 130 - Josefine Mutzenbacher


BVerfGE 83, 130 (130):

1. Ein pornographischer Roman kann Kunst im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG sein.
2. Die Indizierung einer als Kunstwerk anzusehenden Schrift, setzt auch dann eine Abwägung mit der Kunstfreiheit voraus, wenn die Schrift offensichtlich geeignet ist, Kinder oder Jugendliche sittlich schwer zu gefährden (§ 6 Nr. 3 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften - GjS -).
3. Die Vorschrift des § 9 Abs. 2 GjS ist verfassungsrechtlich unzulänglich, weil die Auswahl der Beisitzer für die Bundesprüfstelle nicht ausreichend geregelt ist.
 
Beschluß
des Ersten Senats vom 27. November 1990
-- 1 BvR 402/87 --
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der R... - Bevollmächtigte: 1. Rechtsanwalt Hans-Jürgen P. Groth, Wentzelstraße 9, Hamburg 60, 2. Rechtsanwalt Sieghart Ott, Kurfürstenstraße 22, München 40 - gegen a) das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. März 1987 - BVerwG 1 C 27.85 -, b) das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 4. Juni 1985 - 20 A 146/84 -, c) das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 18. Oktober 1983 - 10 K 276/83 -, d) die Entscheidung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften vom 4. November 1982 - Nr. 3262 (Pr. 44/79) -.
Entscheidungsformel:
I. § 9 Absatz 2 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Juli 1985 (Bundesgesetzbl. I Seite 1502) ist mit Artikel 5 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar. Er kann jedoch bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens bis zum 31. Dezember 1994, weiter angewendet werden.
II. Die Entscheidung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften vom 4. November 1982 - Nr. 3262 (Pr. 44/79), das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 18. Oktober 1983 - 10 K

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276/83 -, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 4. Juni 1985 - 20 A 146/84 - und das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. März 1987 - BVerwG 1 C 27.85 - verletzen das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Artikel 5 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Das Verfahren wird an das Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits zurückverwiesen.
III. Das Land Nordrhein-Westfalen und die Bundesrepublik Deutschland haben der Beschwerdeführerin jeweils die Hälfte der notwendigen Auslagen zu erstatten.
 
Gründe:
 
A.
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Aufnahme des von ihr verlegten Romans "Josefine Mutzenbacher - Die Lebensgeschichte einer wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt" in die Liste jugendgefährdender Schriften.
I.
Schriften, die geeignet sind, Kinder und Jugendliche sittlich zu gefährden, sind nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Juli 1985 (BGBl. I S. 1502) - GjS - in eine Liste aufzunehmen. Dazu zählen vor allem unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhaß anreizende sowie den Krieg verherrlichende Schriften (§ 1 Abs. 1 Satz 2 GjS). Eine Schrift darf gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS jedoch unter anderem dann nicht in die Liste aufgenommen werden, wenn sie der Kunst dient. Mit der Bekanntmachung der Aufnahme (§ 1 Abs. 1 Satz 3 GjS) greifen die Regelungen der §§ 3 bis 5 GjS ein, die nach Maßgabe des § 21 GjS strafbewehrt sind. Hiernach dürfen indizierte Schriften nur in Geschäftsräumen, die Kindern und Jugendlichen

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weder zugänglich sind noch von ihnen eingesehen werden können, und ausschließlich an Erwachsene abgegeben werden. Außerdem besteht ein Werbeverbot (§ 5 GjS).
Die beschriebenen Rechtsfolgen treten ohne Listenaufnahme ein, wenn einer der in § 6 GjS bezeichneten Fälle vorliegt. Dessen Nummern 1 und 2 erfassen Schriften, die den §§ 131 und 184 StGB unterfallen, seine Nummer 3 betrifft solche, die offensichtlich geeignet sind, Kinder oder Jugendliche sittlich schwer zu gefährden.
Zur Durchführung des Gesetzes ist die Bundesprüfstelle berufen (§ 8 Abs. 1 GjS). Sie besteht aus einem vom Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ernannten Vorsitzenden, je einem von jeder Landesregierung zu ernennenden Beisitzer sowie weiteren Beisitzern, die der Bundesminister ernennt (§ 9 Abs. 1 GjS). Diese weiteren (sogenannten Gruppen-)Beisitzer sind den Kreisen
    1. der Kunst,
    2. der Literatur,
    3. des Buchhandels,
    4. der Verlegerschaft,
    5. der Jugendverbände,
    6. der Jugendwohlfahrt,
    7. der Lehrerschaft und
    8. der Kirchen, der jüdischen Kultusgemeinden und anderer Religionsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, auf Vorschlag der genannten Gruppen zu entnehmen (§ 9 Abs. 2 GjS).
Die Bundesprüfstelle entscheidet grundsätzlich nur auf Antrag der in § 2 der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften (neu gefaßt am 23. August 1962, BGBl. I S. 597, zuletzt geändert durch die Verordnung vom 5. Mai 1978, BGBl. I S. 607 - DVO -) genannten Behörden und Ämter (§ 11 Abs. 2 Satz 1 GjS). Das Gesetz sieht drei verschiedene Besetzungen vor. Der Vorsitzende entscheidet allein in den Fällen des § 18 Abs. 1 und des § 18 a Abs. 1 GjS (Aufnahme nach gerichtlicher Entscheidung sowie inhaltsgleicher Schriften). Ein aus

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ihm und zwei weiteren Mitgliedern der Bundesprüfstelle bestehendes Dreier-Gremium ist in den Fällen des § 15 (vorläufige Aufnahme) und des § 15 a GjS (vereinfachtes Verfahren in Offensichtlichkeitsfällen) zur Entscheidung berufen. Im übrigen entscheidet das sogenannte Zwölfer-Gremium, das aus dem Vorsitzenden, drei Länder- und acht Gruppenbeisitzern besteht. Das Gremium ist beschlußfähig, wenn mindestens neun Mitglieder anwesend sind. Zur Aufnahme in die Liste bedarf es einer Mehrheit von zwei Dritteln, mindestens aber von sieben Stimmen (§ 9 Abs. 3 in Verbindung mit § 13 GjS).
II.
1. Die Beschwerdeführerin verlegt seit November 1978 den im Eingangssatz genannten Roman als Taschenbuch. Es enthält eine Vorbemerkung von K. H. Kramberg sowie "Beiträge zur Ädöologie des Wienerischen" von Oswald Wiener. Das Werk erschien ohne Autorenangabe etwa um die Jahrhundertwende in Wien; als Urheber wird Felix Salten vermutet. Eine vom Kopenhagener Dehli-Verlag 1965 in deutscher Sprache herausgebrachte zweibändige Ausgabe des Romans wurde 1968 gemäß § 18 Abs. 1 GjS indiziert, nachdem sie in zwei Urteilen deutscher Strafgerichte für unzüchtig erklärt worden war. Eine 1969 vom deutschen Verlag Rogner und Bernhard verlegte Ausgabe wurde 1970 wegen Inhaltsgleichheit in die Liste aufgenommen.
2. a) Anfang Januar 1979 beantragte die Beschwerdeführerin, diese beiden früheren Romanausgaben aus der Liste zu streichen, weil die Schrift nach heutiger Auffassung ein Kunstwerk sei. Mit der angegriffenen Entscheidung lehnte die Bundesprüfstelle den Streichungsantrag ab und nahm auch das Taschenbuch in die Liste auf. Sie führte aus, der Roman sei offensichtlich schwer jugendgefährdend im Sinne des § 6 Nr. 2 und 3 GjS, weil er unter Ausklammerung aller sonstigen menschlichen Bezüge die sexuellen Vorgänge um die Titelheldin in grob aufdringlicher Weise in den Vordergrund stelle. Kinderprostitution und Promiskuität würden positiv beurteilt und darüber hinaus sogar verharmlost und verherrlicht. Als

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Kunstwerk könne die Schrift nach dem Ergebnis der von den Professoren M. und G. erstatteten Gutachten nicht angesehen werden. Der Roman sei nichts weiter als eine "pornographische Stellensammlung" und "Strichliste" über die sexuellen Aktivitäten der Titelheldin. Probleme von Pornographie und Inzest würden nicht künstlerisch verarbeitet, sondern allein zur Verschärfung des Reizes eingesetzt.
b) Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht führte aus: Es sei nicht zu beanstanden, daß die Bundesprüfstelle zur Klärung möglicherweise gewandelter sozialethischer Begriffe ein Wiederaufnahmeverfahren durchgeführt und den Roman in Zwölferbesetzung indiziert habe; es wäre widersinnig gewesen, die Entscheidung nach Ablehnung der Streichung gemäß § 18 a Abs. 1 GjS in die alleinige Zuständigkeit des Vorsitzenden zu verweisen. In der Sache sei die Entscheidung ebenfalls zu billigen. Nur eine im Meinungsspektrum der pluralistischen Gesellschaft gewichtige Äußerung lasse Belange des Jugendschutzes gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS zurücktreten.
Das Oberverwaltungsgericht führte aus: § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS könne den durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleisteten Kunstschutz nur wiederholen oder erweitern, nicht jedoch einschränken. Die Schrift müsse als Kunstwerk angesehen werden. Die Kunstfreiheit finde ihre Grenze jedoch in den Belangen des Jugendschutzes, welche gemäß Art. 6 Abs. 2 und Art. 1 Abs. 1 GG gleichfalls Verfassungsrang genössen. Diese würden durch den Roman zweifelsfrei schwerwiegend beeinträchtigt. Die geschilderten Verhaltensweisen, namentlich die sexuellen Kontakte von Kindern zu ihren Geschwistern und Eltern, liefen den auch heute noch allgemein gültigen Wertmaßstäben zuwider. Eine Rechtfertigung durch die Kunstfreiheit scheide danach aus.
Das Bundesverwaltungsgericht führte im wesentlichen aus: Die Regelung über die Zusammensetzung des Zwölfer-Gremiums der Bundesprüfstelle sei nicht wegen Unbestimmtheit nichtig. Das Rechtsstaatsprinzip verbiete auch im Bereich grundrechtsrelevanter Vorschriften nicht, unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden und dem Bundesminister bei der Berufung der Gruppenbeisitzer

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einen Bereich pflichtgemäß auszuübenden Ermessens einzuräumen. Die in Betracht kommenden Organisationen sowie die Zahl der von ihnen zu benennenden Beisitzer habe unter anderem deshalb nicht im einzelnen durch Rechtssatz festgelegt werden müssen, weil sich deren Bestand und Gewicht verändern könnten.
Nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts sei die Wertung der Bundesprüfstelle zwingend, daß der Roman zu den schwer jugendgefährdenden Schriften im Sinne des § 6 GjS gehöre. Unabhängig davon, ob er ein Kunstwerk darstelle, sei dessen Indizierung auch mit § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS zu vereinbaren. Diese Bestimmung habe dieselbe Reichweite wie Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Die Kunstfreiheit habe hier jedoch den Belangen des Schutzes von Kindern und Jugendlichen vor sittlicher Gefährdung zu weichen. Dieser beruhe auf Grundwerten der Verfassung, namentlich auf Art. 1 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 GG. Der Staat sei nicht von Verfassungs wegen gehalten, jeder möglichen sittlichen Gefährdung im Sinne des § 1 Abs. 1 GjS vorzubeugen. Anders verhalte es sich indes bei den § 6 GjS unterfallenden Schriften. Selbst wenn diese als Kunst einzustufen sein sollten, stehe Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG der Anwendung der §§ 3 bis 5 GjS nicht entgegen. Während diese nur den Wirkbereich des Kunstwerks einschränkten und damit dem künstlerischen Kommunikationsinteresse Raum ließen, würde ihre Nichtanwendung bei unter § 6 GjS fallenden Schriften den Jugendschutz gerade in den gravierenden Fällen völlig beseitigen. Dies liefe der Wertordnung des Grundgesetzes mehr zuwider als der mit einer Indizierung verbundene Eingriff in die Kunstfreiheit. Dem entspreche im übrigen, daß die Vorschrift des § 6 GjS - anders als § 1 Abs. 1 GjS - nicht mit einem Kunstvorbehalt versehen worden sei (vgl. im einzelnen NJW 1987, S. 1435 [1436] unter Bezugnahme auf S. 1429 [1430 f.]).
III.
1. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die angegriffenen Entscheidungen verletzten Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Dessen Schutz könne der indizierten Schrift nicht des

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halb versagt werden, weil sie sexuelle Erlebnisse der Titelheldin schildere. Auch Werke der Weltliteratur hätten solche Schilderungen zum Gegenstand. Kunst und Pornographie schlössen einander nicht aus. Zu Unrecht werde angenommen, daß der Kunstschutz im Falle offensichtlich schwer jugendgefährdender Schriften im Sinne des § 6 GjS stets zurückzutreten habe. Dem konkurrierenden Rechtsgut (Kinder- und Jugendschutz) fehle es schon an dem erforderlichen Verfassungsrang; dieser lasse sich weder aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG noch aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG herleiten. Selbst wenn dies anders zu beurteilen wäre, hätten die Rechtsmittelgerichte die Kunsteigenschaft des Werkes nicht offenlassen dürfen und gegebenenfalls in eine Abwägung der widerstreitenden Belange eintreten müssen. Belange des Kinder- und Jugendschutzes würden durch den Roman nicht zweifelsfrei schwerwiegend beeinträchtigt. Die Auffassung, ein bestimmter Text könne Jugendliche konkret gefährden, sei wissenschaftlich unhaltbar.
Der Gesetzgeber habe die Zusammensetzung der Bundesprüfstelle, namentlich die Berufung der sogenannten Gruppenbeisitzer, in verfassungsrechtlich unzureichender Weise geregelt; die angegriffenen Entscheidungen verletzten daher Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 und 3 GG. Die Vorschrift des § 9 Abs. 2 GjS sei schon für sich genommen zu unbestimmt und daher nichtig. Gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoße sie aber vor allem deshalb, weil der Gesetzgeber darin die für die Grundrechtsausübung wesentlichen Fragen nicht ausreichend selbst geregelt habe. Es fehlten Kriterien, welche die Auswahl zwischen mehreren in Betracht kommenden Bewerbern und Gruppen regelten und an deren Sachkunde besondere, durch ein Prüfungsverfahren nachzuweisende Anforderungen stellten. Außerdem schließe die Regelung mit den Weltanschauungs- sowie den Religionsgemeinschaften, die nicht Körperschaften des öffentlichen Rechts seien, unter Verstoß gegen die Neutralitätspflicht des Staates bestimmte Organisationen aus. Insgesamt lasse das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften der Exekutive bei der Berufung der Gruppenbeisitzer unter Verstoß gegen das Gebot, wesentliche Dinge gesetzlich zu

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regeln, freie Hand und öffne damit der auch tatsächlich willkürlichen Ernennungspraxis Tür und Tor.
Das Gesetz verstoße darüber hinaus gegen das Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG) und das Zensurverbot (Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG).
Die angegriffenen Entscheidungen verletzten Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 (Rechtsstaatsprinzip), Art. 103 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, indem sie der Bundesprüfstelle sowohl hinsichtlich der Frage der Jugendgefährdung als auch der Einordnung als Kunst einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum einräumten.
Unter Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip und Art. 103 Abs. 1 GG habe es die Bundesprüfstelle schließlich abgelehnt, ein jugendpsychologisches Gutachten zu der nur behaupteten, nicht jedoch nachgewiesenen Jugendgefährdung einzuholen. Der Sachverständige Prof. M. habe eine vorgefaßte Meinung gehabt. Sein Gutachten hätte daher nicht zur Grundlage der Entscheidungen gemacht werden dürfen.
2. Der Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit beschränkt sich in seiner namens der Bundesregierung abgegebenen Stellungnahme auf die Frage der Besetzung der Bundesprüfstelle. Deren gesetzliche Regelung sei von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften regele unter Berücksichtigung der Eigenarten der Materie alle wesentlichen Besetzungsfragen. Die Fassung seines § 9 Abs. 2 biete die Möglichkeit, auf Veränderungen des Organisationsgefüges innerhalb der einzelnen Gruppen angemessen zu reagieren. Die gesetzliche Festlegung der beteiligungsfähigen Institutionen würde unausweichlich zu unerwünschten Vakanzen führen, wenn diese Gruppen zur Mitarbeit nicht bereit seien. Den auf gesetzlicher Grundlage vorgenommenen Berufungen sei der Vorwurf der Willkür nicht zu machen.
Die Bundesprüfstelle verteidigt das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. Die widerstreitenden Belange seien darin zur Konkordanz gebracht worden. Es liege in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers zu wählen, ob er die Besetzung der Bundesprüfstelle

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wie geschehen bestimme oder weitergehend konkretisiere. Es sei unmöglich, alle nur denkbaren Organisationen zu beteiligen; gewisse Dispositionsmöglichkeiten des Bundesministers seien von Verfassungs wegen hinzunehmen.
 
B.
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG (I.). Durchgreifenden Bedenken unterliegt die Regelung über die Bestimmung der Gruppenbeisitzer (§ 9 Abs. 2 GjS). Diese ist aber für eine Übergangszeit hinzunehmen (II.). Die übrigen Rügen sind unbegründet (III.).
I.
1. a) Die indizierte Schrift fällt in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Dabei mag es zweifelhaft sein, ob dies schon deshalb zu bejahen ist, weil sich das Werk als Roman bezeichnet und das Ergebnis einer anerkannten künstlerischen Tätigkeit - der eines Schriftstellers - darstellt. Das Werk weist aber die der Kunst eigenen Strukturmerkmale auf: Es ist Ergebnis freier schöpferischer Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen und Phantasien des Autors in der literarischen Form des Romans zum Ausdruck kommen (vgl. BVerfGE 30, 173 [188 f.]; 67, 213 [226]). Elemente schöpferischer Gestaltung können in der milieubezogenen Schilderung sowie in der Verwendung der wienerischen Vulgärsprache als Stilmittel gesehen werden. Der Roman läßt außerdem eine Reihe von Interpretationen zu, die auf eine künstlerische Absicht schließen lassen. So könnte er etwa als eine Persiflage auf den Entwicklungsroman aufgefaßt werden. Ferner ließe sich die Titelheldin als Verkörperung männlicher Sexualphantasien deuten, die als Reaktion auf eine Erziehung gesehen werden, deren Ziel die Unterdrückung des Geschlechtlichen war. Auch parodistische Elemente sind vielfach erkennbar.
b) Daß der Roman möglicherweise zugleich als Pornographie anzusehen ist, nimmt ihm nicht die Kunsteigenschaft. Die insoweit

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in BVerfGE 30, 336 (350) anklingenden und in der angegriffenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (S. 14 des Urteilsabdrucks) aufgenommenen Zweifel greifen nicht durch. Kunst und Pornographie schließen sich - wie der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung zu Henry Millers Opus Pistorum zutreffend erkannt hat (BGH, NJW 1990, S. 3026 [3027]) - nicht aus. Die Kunsteigenschaft beurteilt sich vielmehr nach den in BVerfGE 67, 213 (226 f.) aufgeführten Kriterien. Ihre Anerkennung darf nicht von einer staatlichen Stil-, Niveau- und Inhaltskontrolle oder von einer Beurteilung der Wirkungen des Kunstwerks abhängig gemacht werden (vgl. BVerfGE 75, 369 [377]; 81, 278 [291]). Solche Gesichtspunkte können allenfalls bei der Prüfung der Frage eine Rolle spielen, ob die Kunstfreiheit konkurrierenden Rechtsgütern von Verfassungsrang zu weichen hat.
2. Die vorbehaltlose Gewährleistung der Kunstfreiheit schließt eine Indizierung aus Gründen des Jugendschutzes nicht grundsätzlich aus. Der Kunstfreiheit werden zwar weder durch die Trias des Art. 2 Abs. 1 Halbs. 2 GG noch durch die in Art. 5 Abs. 2 GG aufgeführten Schranken Grenzen gezogen. Diese finden sich jedoch in den Grundrechten anderer Rechtsträger, aber auch in sonstigen Rechtsgütern, sofern diese gleichfalls mit Verfassungsrang ausgestattet sind (BVerfGE 30, 173 [193]; st. Rspr.). Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sittlicher Gefährdung dient der Wahrung verfassungsrechtlich geschützter Güter.
a) Schon in seiner bisherigen Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht angenommen, daß der Schutz der Jugend nach einer vom Grundgesetz selbst getroffenen Wertung ein Ziel von bedeutsamem Rang und ein wichtiges Gemeinschaftsanliegen ist (vgl. BVerfGE 30, 336 [347 und 348]; 77, 346 [356]).
Der Jugendschutz, der in Art. 5 Abs. 2 GG ausdrücklich erwähnt ist, genießt vor allem aufgrund des in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verbrieften elterlichen Erziehungsrechtes Verfassungsrang. Dieses umfaßt unter anderem die Befugnis, die Lektüre der Kinder zu bestimmen (BVerfGE 7, 320 [323 f.]). Das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften ordnet die Indizierungsfolgen seiner §§ 3 bis 5 entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin

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nicht mit dem Ziel an, in Ausübung des staatlichen Wächteramtes den Bereich des elterlichen Erziehungsrechtes zu schmälern. Sein Ziel ist vielmehr, Störungen des grundrechtlich gewährleisteten Erziehungsrechts der Eltern vorzubeugen. Die §§ 3 bis 5 GjS sollen sicherstellen, daß Kindern und Jugendlichen Schriften, die sich auf ihre Entwicklung schädlich auswirken können, nur mit Zustimmung ihrer Eltern zugänglich gemacht werden. § 21 Abs. 4 GjS in der Fassung, welche diese Vorschrift durch Art. 5 Nr. 8 des 4. StrRG vom 23. November 1973 (BGBl. I S. 1725) erhalten hat, gewährleistet dabei, daß Eltern ihre Entscheidung frei von jeder Strafandrohung treffen und ihren Erziehungsbefohlenen daher grundsätzlich auch Schriften im Sinne des § 6 GjS überlassen dürfen (vgl. zum Vorstehenden: Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit zum Gesetzentwurf BTDrucks. 10/722, BTDrucks. 10/2546, S. 16 rechte Spalte).
Verfassungsrang kommt dem Kinder- und Jugendschutz daneben aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG zu. Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit im Sinne dieser Grundrechtsnormen. Sie bedürfen des Schutzes und der Hilfe, um sich zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln (vgl. BVerfGE 79, 51 [63]). Das gilt gerade auch für ihre Bewahrung vor sexuellen Gefahren und die Ermöglichung einer das Persönlichkeitsrecht achtenden Sexualerziehung (vgl. BVerfGE 47, 46 [72 f.]). Dieser Gesichtspunkt berechtigt den Staat, von Kindern und Jugendlichen Einflüsse fernzuhalten, welche sich auf ihre Einstellung zum Geschlechtlichen und damit auf die Entwicklung ihrer Persönlichkeit nachteilig auswirken können.
b) Der Gesetzgeber durfte ohne Verfassungsverstoß davon ausgehen, daß Schriften (§ 1 Abs. 1 GjS) jugendgefährdende Wirkung haben können. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin brauchte er seine legislatorischen Maßnahmen nicht vom wissenschaftlich-empirischen Nachweis abhängig zu machen, daß literarische Werke überhaupt einen schädigenden Einfluß auf Kinder und Jugendliche ausüben können. Diese Annahme liegt vielmehr im

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Bereich der ihm einzuräumenden Einschätzungsprärogative. Deren Anlaß und Ausmaß hängen von verschiedenen Faktoren ab. Maßgebend sind insbesondere die Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, die Möglichkeit, sich ein hinreichend sicheres, empirisch abgestütztes Urteil zu bilden, sowie die Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter.
Die zur Vorbereitung des Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (4. StrRG) vom 23. November 1973 (BGBl. I S. 1725) durchgeführte ausführliche wissenschaftlich-empirische Bestandsaufnahme hat gezeigt, daß die Möglichkeit einer Jugendgefährdung durch Schriften zwar nicht erhärtet, trotz überwiegend in die Gegenrichtung weisender Stellungnahmen aber auch nicht ausgeschlossen werden kann. Die maßgeblichen Vorarbeiten zu diesem Gesetz waren schon in der 6. Wahlperiode geleistet worden (vgl. BTDrucks. 7/80, S. 14). Die Beibehaltung des § 6 GjS damaliger Fassung wurde seinerzeit im wesentlichen im Zusammenhang mit der Novellierung des § 184 StGB (Verbreitung von Pornographie) diskutiert. Trotz umfangreicher Anhörung von Sachverständigen aus den Gebieten der Soziologie, Sexualwissenschaften, Psychiatrie, Psychologie, Pädagogik, Gerichtsmedizin, Kriminologie, Theologie, Philosophie und Rechtswissenschaft sowie von Praktikern der Kriminalpolizei, Fürsorge, Jugendhilfe und des Erziehungswesens konnte der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform die Frage der Jugendgefährdung nicht einwandfrei klären. Bei aller Uneinigkeit im übrigen herrschte Einmütigkeit in der Einschätzung, daß die Beurteilung der eingeholten wissenschaftlichen Stellungnahmen über mögliche Wirkungszusammenhänge von Lektüre und psychischer Entwicklung durch das Fehlen von systematischen Untersuchungen und Langzeitstudien erschwert werde (vgl. zum Vorstehenden: Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BTDrucks. VI/3521, S. 1, 3, 58 ff. sowie 65 f.; zum Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens siehe insbesondere Bericht und Antrag des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BTDrucks. 7/514, S. 10 f. und 12 f.).
In einer solchen wissenschaftlich ungeklärten Situation ist der Gesetzgeber befugt, die Gefahrenlagen und Risiken abzuschätzen

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und zu entscheiden, ob er Maßnahmen ergreifen will oder nicht (vgl. BVerfGE 49, 89 [131 f.]). Zusätzliche Rechtfertigung erfährt seine Entscheidung dadurch, daß das mit der Kunstfreiheit konkurrierende Rechtsgut hauptsächlich in Art. 6 Abs. 2 Satz 1, aber auch in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verankert ist und einen dementsprechend hohen Rang einnimmt. Den ihm zustehenden Entscheidungsraum hätte der Gesetzgeber daher nur dann verlassen, wenn eine Gefährdung Jugendlicher nach dem Stand der Wissenschaft vernünftigerweise auszuschließen wäre. Davon kann nach dem Ergebnis der Beratungen zum Vierten Strafrechtsreformgesetz nicht die Rede sein.
3. Entscheidet sich der Gesetzgeber dafür, der vorbehaltlos gewährleisteten Kunstfreiheit Belange des Kinder- und Jugendschutzes gegenüberzustellen, so ergeben sich aus dem Verfassungsrecht Anforderungen, denen das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften bei verfassungskonformer Auslegung genügt.
a) Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot verpflichten den Gesetzgeber, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im wesentlichen selbst zu treffen und diese nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive zu überlassen (vgl. BVerfGE 33, 125 [158]; 34, 52 [60]; 34, 165 [192 f.]; 45, 400 [417]; 47, 46 [78 f.]; 49, 89 [127]). Wie weit der Gesetzgeber die für den fraglichen Lebensbereich erforderlichen Leitlinien selbst bestimmen muß, richtet sich maßgeblich nach dessen Grundrechtsbezug. Eine Pflicht dazu besteht, wenn miteinander konkurrierende grundrechtliche Freiheitsrechte aufeinandertreffen und deren jeweilige Grenzen fließend und nur schwer auszumachen sind. Dies gilt vor allem dann, wenn die betroffenen Grundrechte nach dem Wortlaut der Verfassung vorbehaltlos gewährleistet sind und eine Regelung, welche diesen Lebensbereich ordnen will, damit notwendigerweise ihre verfassungsimmanenten Schranken bestimmen und konkretisieren muß. Hier ist der Gesetzgeber verpflichtet, die Schranken der widerstreitenden Freiheitsgarantien jedenfalls so weit selbst zu bestimmen, wie sie für die Ausübung dieser Freiheitsrechte wesentlich sind (vgl. auch BVerfGE 6, 32 [42]; 20, 150 [157 f.]; 80, 137 [161]).


BVerfGE 83, 130 (143):

b) Nach diesen Grundsätzen mußte der Gesetzgeber den Ausgleich von Kunstfreiheit und Jugendschutz im Bereich jugendgefährdender Schriften selbst regeln. Das hat er in Gestalt des § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS getan. Aus dessen Wortlaut und systematischer Stellung könnte zwar geschlossen werden, daß der Kunstvorbehalt nur für Indizierungen gilt, welche auf der Grundlage des § 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 GjS vorgenommen werden, und nicht die Fälle des § 6 GjS ergreift, wonach die Folgen der §§ 3 bis 5 GjS ohne Aufnahme in die Liste eintreten. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gebietet jedoch eine verfassungskonforme Auslegung dahin, daß der Kunstvorbehalt auch im Falle des § 6 GjS eingreift (vgl. BVerfGE 30, 336 [350]).
Der Gesetzgeber darf sich zwar im Widerstreit der wissenschaftlichen Meinungen für die Auffassung entscheiden, daß Schriften im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 GjS grundsätzlich geeignet sind, Kinder und Jugendliche sittlich zu gefährden. Er darf mit Rücksicht auf die Kunstfreiheit jedoch nicht anordnen, bei einer bestimmten Art besonders gefährdender Schriften genieße der Jugendschutz stets und ausnahmslos Vorrang. Gerät die Kunstfreiheit mit einem anderen Recht von Verfassungsrang in Widerstreit, müssen vielmehr beide mit dem Ziel der Optimierung zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden. Dabei kommt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besondere Bedeutung zu (BVerfGE 30, 173 [199]). Außerdem ist zu beachten, daß die Kunstfreiheit das Menschenbild des Grundgesetzes ebenso mitprägt, wie sie selbst von den Wertvorstellungen des Art. 1 Abs. 1 GG beeinflußt wird (vgl. BVerfGE 30, 177 [193 und 195]). Bei Herstellung der geforderten Konkordanz ist daher zu beachten, daß die Kunstfreiheit Ausübung und Geltungsbereich des konkurrierenden Verfassungsrechtsgutes ihrerseits Schranken zieht (vgl. BVerfGE 77, 240 [253]). All dies erfordert eine Abwägung der widerstreitenden Belange und verbietet es, einem davon generell - und sei es auch nur für eine bestimmte Art von Schriften - Vorrang einzuräumen.
c) Diesem Erfordernis ist nicht schon dadurch Rechnung getragen, daß die §§ 3 bis 5 GjS die Verbreitung von Kunstwerken, die als schwer jugendgefährdend einzustufen sind, nicht völlig verhindern, sondern nur Werbe- und Verbreitungsbeschränkungen unter

BVerfGE 83, 130 (144):

werfen. Die Verweisung auf die danach noch zulässigen Formen des Handels schränkt die Verbreitung der Schrift auch an Erwachsene erheblich ein und macht eine Berücksichtigung der Kunstfreiheit bei der Indizierung nicht entbehrlich. Dem Gesetz darf daher von Verfassungs wegen, insbesondere wegen der vorbehaltlosen Verbürgung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, nicht der Inhalt gegeben werden, daß das Kunstprivileg seines § 1 Abs. 2 Nr. 2 ausschließlich für Indizierungen reserviert ist, die auf der Grundlage von § 1 Abs. 1 GjS vorgenommen werden. Es läßt eine Auslegung auch in die andere, vom Grundgesetz gebotene Richtung zu. Wortlaut und Systematik streiten nicht so eindeutig in die nach dem Grundgesetz abzulehnende Richtung, daß der Wille des Gesetzgebers durch diese verfassungskonforme Auslegung in sein Gegenteil verkehrt und die Grenzen der Auslegung damit überschritten würden (vgl. BVerfGE 2, 266 [282]; 8, 28 [34]; 8, 210 [221]).
Den Materialien (siehe insbesondere Regierungsentwurf zum GjS, BTDrucks. I/1101, S. 11) ist zu entnehmen, daß der Gesetzgeber mit der sogenannten Kunstklausel (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 RegE) Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG Rechnung tragen wollte. In der Konsequenz dieses Willens liegt es, § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS auch auf § 6 GjS anzuwenden, wenn diese Bestimmung andernfalls der Verfassung widerspräche. Die § 6 GjS erfassende Geltung der Kunstklausel läßt sich auch mit dem Wortlaut der letztgenannten Bestimmung vereinbaren. Hiernach gelten die Beschränkungen der §§ 3 bis 5 GjS für die in ihren Nummern 1 bis 3 genannten Schriften, "ohne daß es einer Aufnahme in die Liste und einer Bekanntmachung bedarf". Damit ist die Deutung zu vereinbaren, eine Anwendung des § 6 GjS setze voraus, daß die Schrift überhaupt gestützt auf § 1 Abs. 1 GjS in die Liste aufgenommen werden dürfte, also kein Hinderungsgrund im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS gegeben ist. Die systematische Stellung der Kunstklausel spricht wegen dieser sinngemäßen Verweisung daher nicht zwingend gegen die von Verfassungs wegen gebotene Auslegung des § 6 in Verbindung mit § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS. Danach ist die gesetzliche Regelung so zu verstehen, daß der Kunstvorbehalt auch bei den in § 6 GjS genannten Schriften eingreift, jedoch in diesen Fällen nicht zu einem generellen Vorrang

BVerfGE 83, 130 (145):

der Kunst führt, sondern zu einer Abwägung im Einzelfall verpflichtet.
d) § 6 GjS, namentlich seine Nummer 3, unterliegt auch im übrigen keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Solche ergeben sich insbesondere nicht aus dem Bestimmtheitsgebot.
Gesetzliche Regelungen müssen so gefaßt sein, daß der Betroffene seine Normunterworfenheit und die Rechtslage so konkret erkennen kann, daß er sein Verhalten danach auszurichten vermag (vgl. BVerfGE 45, 400 [420]; 58, 257 [278]; 62, 169 [183]). Die Anforderungen an die Bestimmtheit erhöhen sich mit der Intensität, mit der auf der Grundlage der betreffenden Regelung in grundrechtlich geschützte Bereiche eingegriffen werden kann. Dies hat jedoch nicht zur Folge, daß die Norm dann überhaupt keine Auslegungsprobleme aufwerfen darf. Dem Bestimmtheitserfordernis ist vielmehr genügt, wenn diese mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden können (vgl. BVerfGE 17, 67 [82]).
§ 6 GjS hält diesen Anforderungen stand (vgl. schon BVerfGE 11, 234 [238]). Seine Tatbestandsmerkmale, namentlich die seiner Nummer 3, lassen sich - wie die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zeigt (siehe insbesondere BGHSt 8, 80 [83 ff.]) - durch Auslegung so weit konkretisieren, daß sie selbst dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG genügen würde.
4. Bei der Anwendung von § 6 GjS haben Bundesprüfstelle und Fachgerichte jedoch Verfassungsrecht verletzt.
a) Die angegriffenen Entscheidungen sind nicht allein daraufhin zu überprüfen, ob sie auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von Bedeutung und Tragweite der Kunstfreiheit beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 [92 f.]). Der verfassungsrechtliche Prüfungsauftrag erstreckt sich hier vielmehr bis in die Einzelheiten der behördlichen und fachgerichtlichen Rechtsanwendung. Denn sein Umfang bestimmt sich insbesondere nach der Intensität, mit der die angegriffenen Entscheidungen das betroffene Grundrecht beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 42, 143 [147 ff.]; 66, 116 [131]). Ein nachhaltiger Eingriff, der zu einer intensiveren verfassungsrechtlichen Prüfung führt, liegt nicht allein bei einer strafgerichtlichen Ahndung von Verhalten vor, das unter dem Schutze des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG

BVerfGE 83, 130 (146):

steht. Ein solcher Eingriff ist vielmehr auch bei anderen Entscheidungen von Staatsorganen anzunehmen, wenn diese geeignet sind, über den konkreten Fall hinaus präventive Wirkungen zu entfalten, das heißt in künftigen Fällen die Bereitschaft mindern können, von dem betroffenen Grundrecht Gebrauch zu machen (vgl. u.a. BVerfGE 43, 130 [135 f.]; 67, 213 [222 f.]; 75, 369 [376]; 77, 240 [250 f.]).
Ein solcher Fall ist hier gegeben. Da Kunstwerke auch sonst durchaus sexuelle Bezüge aufweisen können, sind die angegriffenen Entscheidungen geeignet, die Bereitschaft zu künstlerischer Äußerung zu mindern oder zumindest den Wirkbereich gleichwohl hergestellter Kunstwerke merklich einzuengen. Sie haben daher eine erhebliche Tragweite, welche über den konkreten Fall hinausgeht.
b) Wie oben dargelegt, müssen die vorbehaltlos gewährleistete Kunstfreiheit sowie die ihrer Ausübung widerstreitenden Belange des Kinder- und Jugendschutzes im Einzelfall zur Konkordanz gebracht werden. Keinem der Rechtsgüter kommt von vornherein Vorrang gegenüber dem anderen zu. Das gilt auch für Schriften, die von § 6 GjS erfaßt werden. Auch diese dürfen nur nach einer umfassenden Abwägung mit den widerstreitenden Belangen der Kunstfreiheit in die Liste jugendgefährdender Schriften aufgenommen oder den Beschränkungen der §§ 3 bis 5 GjS unterworfen werden. Etwas anderes läßt sich entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts auch nicht aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Anachronistischen Zug (BVerfGE 67, 213 [228]) herleiten. Dort wird zwar ausgeführt, zweifelsfrei feststellbare schwerwiegende Beeinträchtigungen des konkurrierenden Rechtsgutes (dort: des Persönlichkeitsrechts) könnten durch die Kunstfreiheit nicht gerechtfertigt werden. Das bedeutet jedoch nicht, daß die Prüfung, ob eine solch schwerwiegende Beeinträchtigung festzustellen ist, isoliert, das heißt ohne Berücksichtigung des Charakters des Werks, vorgenommen werden dürfte (vgl. dazu auch BVerfGE 75, 369 [378 ff.]). Die in ihrem Durchsetzungsanspruch betroffenen und bedrohten Rechtsgüter würden zu Lasten der Kunstfreiheit nicht optimiert, wenn allein der widerstreitende Belang betrachtet und die Lösung des Konflikts ausschließlich von

BVerfGE 83, 130 (147):

der Schwere abhängig gemacht würde, mit der dieser durch das Kunstwerk beeinträchtigt werden könnte.
Bei der Kollision der Kunstfreiheit mit den Interessen des Kinder- und Jugendschutzes kann die von der Verfassung geforderte Konkordanz indes nicht allein auf der Basis vorheriger werkgerechter Interpretation (vgl. BGH, NJW 1983, S. 1194 [1195]) erreicht werden. Kunstwerke können nicht nur auf der ästhetischen, sondern auch auf der realen Ebene Wirkungen entfalten. Gerade Kinder und Jugendliche werden häufig, wenn nicht sogar in der Regel, den vollen Gehalt eines Kunstwerks nicht ermessen können. Dies gilt nicht nur für den labilen, gefährdungsgeneigten Jugendlichen, sondern auch für diejenigen Kinder und Jugendlichen, die kraft Veranlagung oder Erziehung gegen schädigende Einflüsse ohnehin weitgehend geschützt sind. In der Konsequenz dieser Erkenntnis liegt es jedoch nicht, dem Belang des Jugendschutzes stets Vorrang einzuräumen. Es bleibt vielmehr bei dem Gebot der Abwägung.
Auf seiten des Kinder- und Jugendschutzes werden sich Bundesprüfstelle und Fachgerichte im Rahmen des verfahrensrechtlich Möglichen Gewißheit darüber zu verschaffen haben, welchen schädigenden Einfluß die konkrete Schrift ausüben kann. Dies schließt nicht nur eine Betrachtung der Frage ein, in welchem Maße die Akzeptanz erotischer Darstellungen im Zuge "sich ganz allgemein ausbreitender Sexographie" gestiegen ist (so zutreffend BGH, NJW 1990, S. 3026 [3028]). Das erfordert unter Umständen auch eine sachverständig-gutachterliche Ermittlung dieser Folgen. Dabei haben Bundesprüfstelle und Fachgerichte die gesetzgeberische Entscheidung zu akzeptieren, daß Schriften im Sinne des § 1 Abs. 1 GjS überhaupt geeignet sein können, Kinder und Jugendliche in ihrer charakterlich-sittlichen Entwicklung, das heißt in der Herausbildung ihrer Persönlichkeit, zu beeinträchtigen.
Für die Gewichtung der Kunstfreiheit kann von Bedeutung sein, in welchem Maße gefährdende Schilderungen in ein künstlerisches Konzept eingebunden sind. Die Kunstfreiheit umfaßt auch die Wahl eines jugendgefährdenden, insbesondere Gewalt und Sexualität thematisierenden Sujets sowie dessen Be- und Verarbeitung nach der vom Künstler selbst gewählten Darstellungsart. Sie wird um so

BVerfGE 83, 130 (148):

eher Vorrang beanspruchen können, je mehr die den Jugendlichen gefährdenden Darstellungen künstlerisch gestaltet und in die Gesamtkonzeption des Kunstwerkes eingebettet sind (vgl. BVerfGE 30, 173 [195]). Die Prüfung, ob jugendgefährdende Passagen eines Werkes nicht oder nur lose in ein künstlerisches Konzept eingebunden sind, erfordert eine werkgerechte Interpretation.
Weiterhin kann für die Bestimmung des Gewichtes, das der Kunstfreiheit bei der Abwägung mit den Belangen des Jugendschutzes im Einzelfall beizumessen ist, auch dem Ansehen, das ein Werk beim Publikum genießt, indizielle Bedeutung zukommen. Echo und Wertschätzung, die es in Kritik und Wissenschaft gefunden hat, können Anhaltspunkte für die Beurteilung ergeben, ob der Kunstfreiheit Vorrang einzuräumen ist.
Diese aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG abzuleitenden Prüfungsanforderungen binden nicht nur die Bundesprüfstelle, sondern auch die Gerichte. Eine Nachprüfung der dafür maßgebenden Wertungen ist möglich und geboten. Die Gerichte dürfen den Umfang ihrer Prüfung, ob die Indizierung mit der Kunstfreiheit vereinbar ist, nicht dadurch schmälern, daß sie der Bundesprüfstelle insoweit einen nur eingeschränkt nachprüfbaren Beurteilungsspielraum einräumen. Dies wäre mit dem unmittelbar aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG folgenden Gebot nicht zu vereinbaren, die widerstreitenden Güter von Verfassungsrang zur Konkordanz zu bringen.
Damit ist nicht gesagt, daß der Bundesprüfstelle überhaupt kein Beurteilungsspielraum verbleiben könnte. Diese Frage steht - entgegen der Auffassung der Verfassungsbeschwerde - hier nicht zur Entscheidung. Denn Bundesverwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht haben in den angegriffenen Entscheidungen weder hinsichtlich der Jugendgefährdung noch bei der Frage, ob die Schrift der Kunst dient, auf einen Beurteilungsspielraum der Bundesprüfstelle abgestellt.
c) Die angegriffenen Entscheidungen werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 GjS geprüft und bejaht, ohne die von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gebotene Gesamtabwägung vorzunehmen. Es hat sich auf die Gegenüberstellung der

BVerfGE 83, 130 (149):

Folgen beschränkt, welche eine auf der Grundlage von § 1 Abs. 1 und § 6 GjS vorgenommene oder unterlassene Indizierung für das Kunstwerk oder den Kinder- und Jugendschutz hätte. Von Verfassungs wegen geschuldet ist jedoch eine Abwägung, welche anhand der oben skizzierten, von den Fachgerichten im einzelnen auszufüllenden und zu ergänzenden Gesichtspunkte die widerstreitenden Belange gewichtet und die maßgebliche Frage beantwortet, ob das Werk überhaupt die mit den §§ 3 bis 5 GjS verbundenen Beschränkungen des Wirkbereiches hinzunehmen hat.
Das Oberverwaltungsgericht hat gleichfalls die Tatbestandsmerkmale des § 6 GjS geprüft, ohne dabei die widerstreitenden Belange der Kunstfreiheit in der gebotenen Weise zu berücksichtigen.
Die Entscheidungen von Verwaltungsgericht und Bundesprüfstelle verletzen schon deshalb Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, weil sie die Anerkennung seines Schutzbereichs von kunstfremden Merkmalen abhängig gemacht haben.
5. Sämtliche Entscheidungen sind danach aufzuheben. Welches Ergebnis eine Abwägung nach den dargelegten verfassungsrechtlichen Grundsätzen haben wird, ist offen und bleibt der Entscheidung der Bundesprüfstelle vorbehalten.
II.
Begründet ist auch die Rüge, die gesetzliche Regelung über die Besetzung der Bundesprüfstelle genüge nicht den von Verfassungs wegen zu stellenden Anforderungen.
1. Die Besetzung der Bundesprüfstelle ist allerdings nicht schon unter dem Gesichtspunkt zu beanstanden, daß "Private" an der Entscheidung beteiligt werden.
a) Die Beisitzer aus den in § 9 Abs. 2 GjS genannten Bereichen handeln bei ihrer Tätigkeit nicht als Private, sondern als Träger eines Amtes, das ihnen mit der Ernennung durch den Bundesminister übertragen worden ist. Die Ernennung durch den Minister als Mitglied einer dem Parlament verantwortlichen Regierung vermittelt ihnen zugleich die demokratische Legitimation.


BVerfGE 83, 130 (150):

Das Demokratieprinzip wird auch nicht deshalb verletzt, weil die Mitglieder der Bundesprüfstelle nach § 10 GjS nicht an Weisungen gebunden sind. Die der Bundesprüfstelle übertragenen Aufgaben sind nach Art und Umfang nicht von einer solchen politischen Tragweite, daß unter dem Gesichtspunkt eines "ministerialfreien Raums" (vgl. BVerfGE 9, 268 [281 f.]) Bedenken bestünden.
b) Die Betrauung von Personen, die nicht in einem öffentlichrechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen, mit Entscheidungsbefugnissen verstößt auch nicht gegen Art. 33 Abs. 4 GG. Zum einen geht es hier nicht um die ständige Ausübung hoheitlicher Befugnisse, sondern um die zeitlich begrenzte Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe. Zum anderen ist die Beteiligung von Vertretern gesellschaftlicher Gruppen hier unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, daß Entscheidungen, die die Presse- und Kunstfreiheit betreffen, möglichst in einer gewissen Staatsferne und aufgrund einer pluralistischen Meinungsbildung ergehen sollen. Dieser Gedanke hat in § 9 Abs. 2 GjS eine adäquate verfahrensrechtliche Ausgestaltung gefunden.
Die staatliche Verwaltung nimmt danach nicht in Anspruch, die Wertmaßstäbe für die Indizierungsentscheidung mit dem eigenen, monokratisch strukturierten Beamtenapparat zu bestimmen. Sie stellt vielmehr ein Forum zur Verfügung, auf dem die widerstreitenden Wertvorstellungen ermittelt und die Entscheidung im Hinblick auf ein ganz bestimmtes Werk aufgrund einer Erörterung gefällt wird. Die Beteiligung von Gruppenvertretern soll dabei gerade im Interesse der Kunstfreiheit sicherstellen, daß alle für die Indizierungsentscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte gesammelt, die hierbei tragenden Werte ermittelt und zu einem Ausgleich gebracht werden.
c) Die in § 9 Abs. 2 GjS getroffene Auswahl der Bereiche, aus denen Gruppenvertreter zur Mitwirkung an den Entscheidungen der Bundesprüfstelle berufen werden, begegnet keinen Bedenken.
Insbesondere ist nicht zu beanstanden, daß im Gegensatz zu Religionsgemeinschaften (§ 9 Abs. 2 Nr. 8 GjS) weltanschauliche Gruppen keine Berücksichtigung finden. Das verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz. Richtig ist zwar, daß die Arbeit der Kirchen in

BVerfGE 83, 130 (151):

der Jugendpflege ihrem jeweiligen religiösen Hintergrund verpflichtet ist. Kirchen werden jedoch vor allem deshalb an der Tätigkeit der Bundesprüfstelle beteiligt, weil sie sich seit jeher in besonderem Maße mit der Kinder- und Jugendbetreuung befaßt haben. Das gilt für weltanschauliche Gemeinschaften im Hinblick auf den Jugendschutz nicht in gleicher Weise.
Nicht zu beanstanden ist ferner, daß Parteien und Gewerkschaften keine Gruppenbeisitzer entsenden können. Bei der Bundesprüfstelle geht es, anders als etwa bei den Rundfunkräten, nicht um eine Kontrolle durch die relevanten gesellschaftlichen Kräfte, sondern um die Beteiligung derjenigen Kreise, die für die Beurteilung des jugendgefährdenden Charakters oder der künstlerischen Bedeutung von Schriften besonders qualifiziert sind.
Der Gesetzgeber hat auch keine sonstigen Sachbereiche, aus denen zur Entscheidung voraussichtlich wesentliche Gesichtspunkte beigesteuert werden könnten, in verfassungsrechtlich zu beanstandender Weise außer acht gelassen. Bei der Schaffung des § 9 Abs. 2 GjS stand ihm ein Gestaltungsraum offen. Dabei durfte er auch beachten, daß mit zunehmender Größe die Leistungsfähigkeit des Gremiums leidet. Anzeichen dafür, er habe diesen Gestaltungsraum überschritten und bedeutsame Gruppierungen unberücksichtigt gelassen, sind nicht zu erkennen.
d) Die zu beteiligenden Kreise sind auch in § 9 Abs. 2 GjS hinreichend bestimmt abgegrenzt.
Wie oben (I.3.d) ausgeführt, ist dem Bestimmtheitserfordernis genügt, wenn Auslegungsprobleme mit den herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden können. Dies wird durch die Aufzählung in § 9 Abs. 2 GjS gewährleistet. Es mag zwar sein, daß es zwischen den Bereichen Kunst und Literatur gewisse Überschneidungen gibt; die sich hieraus ergebenden Abgrenzungsfragen sind aber lösbar, wie die bisherige Praxis zeigt.
2. Der parlamentarische Gesetzgeber hat jedoch wesentliche Fragen der Zusammensetzung der Bundesprüfstelle nicht selbst geregelt, auch nicht durch eine den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG genügende Verordnungsermächtigung.


BVerfGE 83, 130 (152):

a) Die Wesentlichkeitstheorie (vgl. oben I.3.a) beantwortet nicht nur die Frage, ob überhaupt ein bestimmter Gegenstand gesetzlich geregelt sein muß. Sie ist vielmehr auch dafür maßgeblich, wie weit diese Regelungen im einzelnen gehen müssen (vgl. BVerfGE 34, 165 [192]; 49, 89 [127 u. 129]; 57, 295 [327]). Das ergibt sich aus der Pflicht, mit der Abgrenzung der konkurrierenden Freiheitsrechte der gesetzesanwendenden Verwaltung im einzelnen inhaltlich vorzugeben, bis zu welchem Grade sie den durch die Indizierungsentscheidung betroffenen Freiheitsbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG beschränken darf (vgl. auch BVerfGE 6, 32 [42]; 20, 150 [157]; 80, 137 [161]). Zu der danach vom Gesetzgeber in ihren wesentlichen Leitlinien zu regelnden Materie zählt auch die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens, in welchem die Grenzen der konkurrierenden Freiheitsrechte abgesteckt werden sollen. Hier ist es erforderlich, eine Verfahrensordnung bereitzustellen, die an dieser Aufgabe orientiert und zugleich geeignet ist zu bewirken, was Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleisten will (vgl. BVerfGE 53, 30 (65); 65, 76 (94), jeweils m.w.N.). Das Gebot, Grundrechte durch entsprechende Verfahrensvorschriften zu verwirklichen, richtet sich dabei zunächst an den Gesetzgeber (BVerfGE 73, 280 [296]). Wirkt sich das Verwaltungsverfahren unmittelbar auf grundrechtlich geschützte Positionen aus, müssen die Verfahrensvorschriften in deren Interesse rechtssatzförmig festgelegt sein. Das ist hier nicht ausreichend geschehen.
b) Nicht zu beanstanden ist allerdings, daß der Gesetzgeber den Gruppenbeisitzern keine Qualifikationsprüfung abverlangt. Ziel ihres Mitwirkens ist es, die Anschauungen der sachkundigen Kreise einzubringen. Es fehlt damit jeder durchgreifende Grund, den einzelnen Gruppenbeisitzern einen über die Verbandszugehörigkeit hinausgehenden Qualifikationsnachweis abzuverlangen.
Der Zwang zum Austausch der aufeinanderprallenden Auffassungen mit dem Ziel, eine möglichst umfassende Zusammenschau aller Belange herzustellen, wird vom Gesetz in einer Weise gesichert, welche den Freiheitsanspruch des von der Indizierung bedrohten Werkes (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) hinreichend wahrt. Das

BVerfGE 83, 130 (153):

Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit (§ 13 GjS) gewährleistet, daß Minderheitsauffassungen nicht ohne weiteres überstimmt werden können und bei Meinungsverschiedenheiten eine Indizierung nur möglich ist, wenn eine deutliche Mehrheit von deren Notwendigkeit überzeugt ist.
Dieses Prinzip wird durch das in § 9 Abs. 3 GjS verankerte Quorum wirkungsvoll ergänzt. Es stellt den Minderheitenschutz sicher und garantiert zugleich, daß keiner der konkurrierenden Belange einseitig hintangestellt wird. Wollte man - wie es der Beschwerdeführerin vorzuschweben scheint - die Tätigkeit der Bundesprüfstelle schon wegen beständigen Fernbleibens von ein oder zwei Gruppenbeisitzern in Frage stellen, so wäre es in die Hand einiger weniger Gruppenbeisitzer gegeben, den in der Verfassung verankerten Schutz von Kindern und Jugendlichen, dem das Gesetz dient, zu verhindern. Andererseits ist durch die Regelungen des § 9 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 13 GjS im Interesse des bedrohten Freiheitsrechtes aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG sichergestellt, daß mit schwindender Mitgliederzahl das den dann verbliebenen Stimmen zukommende Gewicht abgeschwächt wird. Wenn nur neun Mitglieder anwesend sind, müssen nicht zwei Drittel, sondern sieben für die Indizierung stimmen; andernfalls hat sie zu unterbleiben.
c) Das Verfahren zur Auswahl der Gruppenbeisitzer ist gesetzlich jedoch nur unzureichend geregelt.
Das rechtssatzförmig festzulegende Verfahren muß dem Interesse an einer möglichst umfassenden Ermittlung aller bei der Indizierungsentscheidung zu beachtenden Gesichtspunkte Rechnung tragen. Der Gesetzgeber muß daher die Personengruppen und Verbände näher bestimmen, die aus den Kreisen des § 9 Abs. 2 GjS für die Entsendung von Beisitzern in Betracht kommen. Darüber hinaus hat er zu regeln, wie die einzelnen Beisitzer auszuwählen sind. Dabei muß angestrebt werden, daß die in den beteiligten Kreisen vertretenen Auffassungen zumindest tendenziell vollständig erfaßt werden.
Das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften enthält solche Regelungen nicht, auch nicht in Form einer hinreichend bestimmten Verordnungsermächtigung. Die dem Verord

BVerfGE 83, 130 (154):

nungsgeber erteilten Ermächtigungen betreffen nicht das Auswahlverfahren. Dies gilt insbesondere auch für § 23 GjS, der sich nur auf das Verfahren der Bundesprüfstelle bezieht, aber keine Vorgaben für die Auswahl der Beisitzer enthält.
3. Bis zu einer Neuregelung, längstens bis zum Jahresende 1994, sind diese Mängel jedoch hinzunehmen.
Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, durch seine Entscheidungen keinen Zustand herbeizuführen, der mit der Verfassung noch weniger vereinbar wäre als der gegenwärtige. Dies schließt es aus, die gegenwärtige Regelung nicht nur als mit dem Grundgesetz unvereinbar, sondern sogar als nichtig anzusehen. Denn dies hätte zur Folge, daß die Bundesprüfstelle zum Schutze von Kindern und Jugendlichen überhaupt nicht mehr tätig werden könnte. Der grundrechtlich verankerte Schutz von Kindern und Jugendlichen vor einer Gefährdung der Persönlichkeitsentwicklung erfordert eine vorübergehende Fortgeltung des gegenwärtigen Rechtszustandes trotz seiner Mängel. Andererseits ist es mit den durch die Indizierung betroffenen Freiheitsrechten, namentlich mit der Verbürgung aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, nicht zu vereinbaren, daß dieser Zustand über eine unabsehbar lange Zeit fortdauert.
Vier Jahre sind als angemessener Zeitraum anzusehen. Zwar ist in Rechnung zu stellen, daß der Gesetzgeber durch die mit der Einigung der beiden deutschen Staaten zusammenhängenden Fragen in besonders starkem Maße beansprucht wird. Hier handelt es sich jedoch um Organisationsentscheidungen in einem überschaubaren Bereich, die keine allzu langen Vorbereitungsarbeiten erfordern.
III.
Die übrigen Rügen sind unbegründet.
1. Das Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG) wird nicht verletzt. Es findet nur Anwendung auf Grundrechte, die aufgrund ausdrücklicher Ermächtigung vom Gesetzgeber eingeschränkt werden dürfen (vgl. BVerfGE 21, 92 [93]; 24, 367 [396 f.]; 64, 72 [79 f.]). Dazu gehört jedoch das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht.


BVerfGE 83, 130 (155):

2. Die Rüge, der Bundesprüfstelle sei unter anderem unter Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 Satz 1 und Art. 103 Abs. 1 GG ein Beurteilungsspielraum eingeräumt worden, geht ins Leere. Bundes- und Oberverwaltungsgericht haben in den hier angegriffenen Entscheidungen weder bezüglich der Beurteilung der Jugendgefährdung noch hinsichtlich der Absteckung des Freiheitsbereiches aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG auf eine Einschätzungsprärogative der Bundesprüfstelle abgestellt.
3. Die Indizierung des Taschenbuchs verstößt auch nicht gegen das Zensurverbot aus Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG. Die Verfassung verbietet nur die Vorzensur. Darunter ist die präventive Vorschaltung eines behördlichen Verfahrens zu verstehen, vor dessen Abschluß das Werk nicht publiziert werden darf (vgl. BVerfGE 33, 52 [71 ff.]). Ein solches Verfahren sieht das Gesetz nicht vor. Es enthält allein Ermächtigungsgrundlagen für repressive Maßnahmen. In der Tat wurde das Taschenbuch erst vier Jahre nach seiner Veröffentlichung indiziert. Daß wegen § 18 a GjS die Möglichkeit dieser Maßnahme bereits bei Herausgabe des Romans im Jahre 1978 abzusehen war, führt nur zur gesteigerten Vorhersehbarkeit des drohenden repressiven staatlichen Handelns, verleiht ihm jedoch nicht gleichsam vorwirkend präventive Züge (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 73).
Herzog, Henschel, Seidl, Grimm, Söllner, Dieterich, Kühling, Seibert