BVerfGE 90, 286 - Out-of-area-Einsätze |
1. Die Ermächtigung des Art. 24 Abs. 2 GG berechtigt den Bund nicht nur zum Eintritt in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit und zur Einwilligung in damit verbundene Beschränkungen seiner Hoheitsrechte. Sie bietet vielmehr auch die verfassungsrechtliche Grundlage für die Übernahme der mit der Zugehörigkeit zu einem solchen System typischerweise verbundenen Aufgaben und damit auch für eine Verwendung der Bundeswehr zu Einsätzen, die im Rahmen und nach den Regeln dieses Systems stattfinden. |
2. Art. 87a GG steht der Anwendung des Art. 24 Abs. 2 GG als verfassungsrechtliche Grundlage für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit nicht entgegen. |
3.a) Das Grundgesetz verpflichtet die Bundesregierung, für einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte die grundsätzlich vorherige konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen. |
b) Es ist Sache des Gesetzgebers, jenseits der im Urteil dargelegten Mindestanforderungen und Grenzen des Parlamentsvorbehalts für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte die Form und das Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung näher auszugestalten. |
4. Zur Friedenswahrung darf die Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 24 Abs. 2 GG in eine "Beschränkung" ihrer Hoheitsrechte einwilligen, indem sie sich an Entscheidungen einer internationalen Organisation bindet, ohne dieser damit schon im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG Hoheitsrechte zu übertragen. |
5.a) Ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne des Art. 24 Abs. 2 GG ist dadurch gekennzeichnet, daß es durch ein friedensicherndes Regelwerk und den Aufbau einer eigenen Organisation für jedes Mitglied einen Status völkerrechtlicher Gebundenheit begründet, der wechselseitig zur Wahrung des Friedens verpflichtet und Sicherheit gewährt. Ob das System dabei ausschließlich oder vornehmlich unter den Mitgliedstaaten Frieden garantieren oder bei Angriffen von außen zum kollektiven Beistand verpflichten soll, ist unerheblich. |
b) Auch Bündnisse kollektiver Selbstverteidigung können Systeme ge genseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne von Art. 24 Abs. 2 GG sein, wenn und soweit sie strikt auf die Friedenswahrung verpflichtet sind. |
6. Hat der Gesetzgeber der Einordnung in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit zugestimmt, so ergreift diese Zustimmung auch die Eingliederung von Streitkräften in integrierte Verbände des Systems oder eine Beteiligung von Soldaten an militärischen Aktionen des Systems unter dessen militärischem Kommando, soweit Eingliederung oder Beteiligung in Gründungsvertrag oder Satzung, die der Zustimmung unterlegen haben, bereits angelegt sind. Die darin liegende Einwilligung in die Beschränkung von Hoheitsrechten umfaßt auch die Beteiligung deutscher Soldaten an militärischen Unternehmungen auf der Grundlage des Zusammenwirkens von Sicherheitssystemen in deren jeweiligem Rahmen, wenn sich Deutschland mit gesetzlicher Zustimmung diesen Systemen eingeordnet hat. |
7. a) Akte der auswärtigen Gewalt, die vom Tatbestand des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nicht erfaßt werden, sind grundsätzlich dem Kompetenzbereich der Regierung zugeordnet. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG kann nicht entnommen werden, daß immer dann, wenn ein Handeln der Bundesregierung im völkerrechtlichen Verkehr die politischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland regelt oder Gegenstände der Bundesgesetzgebung betrifft, die Form eines der gesetzgeberischen Zustimmung bedürftigen Vertrages gewählt werden muß. Auch insoweit kommt eine analoge oder erweiternde Auslegung dieser Vorschrift nicht in Betracht (im Anschluß an BVerfGE 68, 1 [84 f.]). |
b) Zur Reichweite des Zustimmungsrechtes des Gesetzgebers aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG. |
Urteil |
des Zweiten Senats vom 12. Juli 1994 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. und 20. April 1994 |
-- 2 BvE 3/92, 5/93, 7/93, 8/93 -- |
in den Verfahren I. über die Anträge festzustellen: 1. Die Bundesregierung hat a) durch die Zustimmung zu und Mitwirkung an folgenden Akten der NATO und der WEU: - Beschluß des NATO-Verteidigungsplanungsausschusses vom 24. März 1992 über die Aufstellung des NATO-Einsatzverbandes Mittelmeer; - Petersberger Erklärung der WEU vom 19. Juni 1992; - Beschluß des NATO-Außenministerrates vom 10. Juli 1992 bezüglich einer Aktion von Seestreitkräften zur Überwachung der Beachtung der Resolution 713 und 757 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen; - Beschluß der WEU-Minister vom 10. Juli 1992 bezüglich einer Aktion von Seestreitkräften zur Überwachung der Beachtung der Resolutionen 713 und 757 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen; b) durch Unterstellung von Streitkräften der Bundeswehr unter den gemäß dem Beschluß des NATO-Verteidigungsplanungsausschusses vom 24. März 1992 errichteten Verband; c) durch ihren Beschluß über eine Beteiligung der Bundeswehr an Überwachungsmaßnahmen von WEU und NATO im Mittelmeer vom 15. Juli 1992 gegen Artikel 20 Absatz 3 in Verbindung mit Artikel 79 Absatz 1 und 2 und Artikel 87a Absatz 2, gegen die Artikel 115a, 59 Absatz 2, 24 Absatz 1 des Grundgesetzes sowie gegen den ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz der Verfassungsorgantreue verstoßen und damit Rechte des Bundestages und der Antragsteller zu 2) verletzt. - ... ... ... |
Entscheidungsformel: |
1. Die Anträge der jeweiligen Antragsteller zu 2) werden verworfen. Die Anträge der Antragsteller zu 1) in den Verfahren 2 BvE 3/92, 2 BvE 7/93 und 2 BvE 8/93 werden insoweit verworfen, als sie sich gegen den Antragsgegner zu 2) richten. |
2. a) Das Grundgesetz verpflichtet die Bundesregierung, für einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte die - grundsätzlich vorherige - konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen. |
Die Bundesregierung hat gegen dieses Gebot verstoßen, indem sie aufgrund ihrer Beschlüsse vom 15. Juli 1992, 2. April 1993 und 21. April 1993 bewaffnete Streitkräfte eingesetzt hat, ohne vorher die konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen. |
b) Im übrigen werden die Anträge zurückgewiesen. |
Gründe: |
A. |
Die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Organstreitverfahren betreffen im wesentlichen die Frage nach den Mitwirkungsrechten des Deutschen Bundestages und von Bundestagsabgeordneten bei der Entscheidung über den Einsatz deutscher Streitkräfte im Rahmen von Aktionen der Nordatlantikpakt- Organisation (NATO) und der Westeuropäischen Union (WEU) zur Umsetzung von Beschlüssen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, sowie über eine Beteiligung deutscher Streitkräfte an von den Vereinten Nationen aufgestellten Friedenstruppen. |
I. |
1. Das Grundgesetz konnte in seiner ursprünglichen Fassung vom 23. Mai 1949 der Bundesrepublik Deutschland noch keine außen- und militärpolitische Handlungsfreiheit sichern (vgl. Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948, in: Der Parlamentarische Rat, 1948-1949. Akten und Protokolle, Bd. 2, 1981, Dokument Nr. 14, S. 507 f.). Die Oberbefehlshaber der Besatzungsstreitkräfte hatten in ihrer Proklamation Nr. 2 vom 20. September 1945 angeordnet, daß alle deutschen Streitkräfte vollständig und endgültig aufzulösen seien (Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Nr. 1 vom 29. Oktober 1945, S. 8). Vor diesem Hintergrund stellte sich bei den Beratungen über das Grundgesetz in den Jahren 1948/49 die Frage, wie die Bundesrepublik Deutschland ohne eigene Streitkräfte ihre äußere Sicherheit gewährleisten könne.
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a) Schon der Verfassungskonvent bemühte sich um Aussagen zur Gewährleistung der militärischen Sicherheit für und in Deutschland. Dabei war das Verbot des Angriffskrieges (später Art. 26 GG) vorausgesetzt. Solange Deutschland nicht über eigene Streitkräfte verfüge, müsse der militärische Schutz in einem System kollektiver Sicherheit gesucht werden, das "auf objektiven Rechts- und Friedensgedanken" aufbaue, zugleich aber einem Staat, der auf das Recht der Selbstverteidigung verzichten müsse, anderweitige Sicherheitsgarantien gebe (Abg. Dr. Kordt, Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, Ausschuß für Grundsatzfragen, 2. Sitzung vom 18. August 1948, Sitzungsprotokolle der Unterausschüsse, Bd. 2/1, S. 58 f.). Ein solches System kollektiver Sicherheit meine ein System von Rechtsbeziehungen, das "auch die Unterwerfung unter den Beschluß bestimmter Organe vorsieht, also insofern die eigene Handlungsfreiheit von vornherein wegnimmt" (Abg. Dr. Carlo Schmid, a.a.0., S. 61 f.).
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b) Der Parlamentarische Rat nahm diese Vorschläge auf und machte sie sich zu eigen. Militärische Gewalt solle nicht mehr "als nationaler Souveränitätsakt ausgeübt werden ..., sondern als Akt des kollektiven Selbstschutzes aller Nationen, die dafür sorgen, daß auf der ganzen Welt der Friede erhalten bleibt und es Angreifern unmöglich gemacht wird, den Frieden zu stören" (Abg. Dr. Carlo Schmid, Hauptausschuß, 6. Sitzung vom 19. November 1948, Sten.Prot., S. 69 [72]). Wenn Deutschland in seinem damaligen "Zustand absoluter Wehrlosigkeit einem System kollektiver Sicherheit beitritt, dann kann uns ein solches System nur schützen. Daß man dabei aber auch Risiken übernehmen muß, ist klar" (Abg. Dr. Carlo Schmid, 12. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen vom 15. Oktober 1948 [Wortprotokoll], in: Der Parlamentarische Rat, 1948-1949. Akten und Protokolle, Bd. 5/1, 1993, Dokument Nr. 15, S. 313 [328]). |
Dem Parlamentarischen Rat waren die - auch militärischen - Voraussetzungen für ein effektives System kollektiver Sicherheit und eine entsprechende Verpflichtung auch der Bundesrepublik Deutschland durchaus bewußt. Der Abg. Renner (KPD) hatte beantragt, als Voraussetzung für die Einordnung in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit festzuschreiben,
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"daß dieses System nicht der Vorbereitung eines Krieges dient und keine militärischen Hilfeleistungen irgendwelcher Art von der Republik oder ihren Angehörigen gefordert oder erwartet werden" (Parlamentarischer Rat, Hauptausschuß, 6. Sitzung vom 19. November 1948, Sten.Prot., S. 71).
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Die Mitglieder des Ausschusses lehnten diesen Antrag gegen eine Stimme ab (Parlamentarischer Rat, Hauptausschuß, a.a.0.). Auch die Aufnahme des Grundrechts auf Kriegsdienstverweigerung (Art. 4 Abs. 3 GG) zeigt, daß dem Parlamentarischen Rat die Möglichkeit militärischer Verteidigung vor Augen stand.
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c) Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz mit den bis heute in unveränderter Fassung geltenden Art. 24 Abs. 1 und 2, Art. 26 und Art. 4 Abs. 3 GG verkündet. Bereits am 12. Mai 1949 hatten die Militärgouverneure und Oberbefehlshaber der westlichen Alliierten das Besatzungsstatut erlassen (Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission in Deutschland, Nr. 1 vom 23. September 1949, S. 2, 13); sie hatten sich darin die Zuständigkeit für die Entwaffnung und Entmilitarisierung ausdrücklich vorbehalten. |
2. Der Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten vom 26. Mai 1952 war darauf gerichtet, das Besatzungsregime zu beenden (BTDrucks. I/3500). Er sollte jedoch erst zusammen mit dem Vertrag über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft vom 27. Mai 1952 in Kraft treten. Die Frage, ob das Grundgesetz ohne vorherige Ergänzung die Aufstellung von Streitkräften und die Beteiligung an der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft erlaube, war Gegenstand mehrerer Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 1, 281; 1, 396; 2, 79; 2, 143); zu einer Sachentscheidung kam es indessen nicht.
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"Zur Klarstellung von Zweifeln über die Auslegung des Grundgesetzes" - so der Vorspruch des Gesetzes - beschloß der Bundestag das Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 26. März 1954 (BGBl. I S. 45). Durch dieses Gesetz wurde die Gesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Art. 73 Nr. 1 GG um "die Verteidigung einschließlich der Wehrpflicht für Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an und des Schutzes der Zivilbevölkerung" ergänzt. Eingefügt wurden außerdem Art. 79 Abs. 1 Satz 2 sowie Art. 142a, der ausdrücklich feststellte, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen des Deutschland-Vertrages und des EVG-Vertrages nicht entgegenstünden. Die Beratung der in den Entwürfen (BTDrucks. II/124, 125, 171) enthaltenen weitergehenden Ergänzungsvorschläge wurde vertagt.
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Am 30. August 1954 versagte die französische Nationalversammlung dem EVG-Vertrag ihre Zustimmung. Die Mitglieder der NATO und der WEU beschlossen daraufhin, die Bundesrepublik in diese Bündnisse aufzunehmen. Die drei Westmächte und die Bundesrepublik Deutschland kamen überein, den am 26. Mai 1952 in Bonn unterzeichneten Vertrag über die Beendigung des Besatzungsregimes - mit einigen Änderungen - in Kraft treten zu lassen. Auf der Pariser Außenministerkonferenz vom 20. bis 23. Oktober 1954, an der die Mitglieder der WEU und der NATO sowie die Bundesrepublik Deutschland teilnahmen, wurden in einem umfangreichen Vertragswerk die erforderlichen Regelungen getroffen. Der Gesetzgeber stimmte dem Beitritt zum Brüsseler Vertrag (WEU) und zum Nordatlantikvertrag durch Gesetz vom 24. März 1955 zu (BGBl. II S. 256). |
Die Beratung der noch nicht erledigten Teile der Vorlagen zur Ergänzung des Grundgesetzes wurde erst wieder aufgenommen, nachdem der Bundesrat bei der Einbringung des Soldatengesetzes zum wiederholten Male geltend gemacht hatte, daß im Bereich des Wehrwesens eine Verwaltungszuständigkeit des Bundes nicht vorgesehen sei (Stellungnahme des Bundesrates zum Regierungsentwurf eines Soldatengesetzes, BTDrucks. II/1700, S. 37). Durch das Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 19. März 1956 (BGBl. I S. 111) wurde daraufhin die sogenannte Wehrverfassung in das Grundgesetz eingefügt. Sie regelte die Aufstellung von Streitkräften (Art. 87a a.F.) und die Befehls- und Kommandogewalt (Art. 65a), stärkte die Stellung des Parlaments in der Wehrverfassung (Art. 45a, 45b, 49, 59a, 87a), ermächtigte zur Einschränkung von Grundrechten (Art. 12, 17a), schuf die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine besondere Wehrverwaltung und Wehrgerichtsbarkeit (Art. 87b, 96 Abs. 3, 96a), begrenzte die Wählbarkeit von Soldaten (Art. 137) und begründete einen Verfassungsvorbehalt für eine Regelung des Streitkräfteeinsatzes im inneren Notstand (Art. 143). Der eingefügte Art. 59a GG lautete:
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"(1) Die Feststellung, daß der Verteidigungsfall eingetreten ist, trifft der Bundestag. Sein Beschluß wird vom Bundespräsidenten verkündet.
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(2) Stehen dem Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen, so kann bei Gefahr im Verzug der Bundespräsident mit Gegenzeichnung des Bundeskanzlers diese Feststellung treffen und verkünden. Der Bundespräsident soll zuvor die Präsidenten des Bundestages und des Bundesrates hören.
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(3) Der Bundespräsident darf völkerrechtliche Erklärungen über das Bestehen des Verteidigungsfalles erst nach Verkündung abgeben.
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(4) Über den Friedensschluß wird durch Bundesgesetz entschieden."
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Der erste, bereits 1960 in der 3. Wahlperiode eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes betreffend das Notstandsrecht (BTDrucks. III/1800) hatte nicht zwischen innerem und äußerem Notstand unterschieden; er sah die Einführung eines beide Fälle umfassenden Abschnitts "X a. Ausnahmezustand" vor. Der Ausnahmezustand sollte vom Bundestag beschlossen werden (Art. 115a Abs. 1 des Entwurfs). Der bisherige Art. 59a GG sollte beibehalten, Art. 143 GG aufgehoben werden.
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In der 4. Wahlperiode brachte die Bundesregierung einen grundlegend überarbeiteten Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes ein (BTDrucks. IV/891), der u.a. einen "Ab-schnitt X a. Zustand der äußeren Gefahr" und einen "Abschnitt X b. Zustand der inneren Gefahr" vorsah. Der bisherige Art. 59a GG sollte erhalten bleiben. Dafür sprach sich auch der Rechtsausschuß aus:
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"Der Rechtsausschuß hat ausführlich die Frage behandelt, ob im Hinblick auf die vorgeschlagene Einfügung von Vorschriften zur Feststellung des Zustandes der äußeren Gefahr die bisherigen Vorschriften über die Feststellung des Verteidigungsfalles noch erforderlich sind, bzw. ob sie im Hinblick auf die neuen Regelungen in diesen besser koordiniert werden sollten. Der Ausschuß ist dabei davon ausgegangen, daß der Wehrverteidigungsfall und der Zustand der äußeren Gefahr einheitlich und faktisch zusammenfallen könnten, daß es aber dennoch zweckmäßig erscheint, beide Möglichkeiten gesondert vorzusehen, weil es z.B. auf Grund von außenpolitischen Entwicklungen oder als Folge einer eingegangenen Bündnisverpflichtung erforderlich sein kann, die Feststellung zu treffen, daß der Verteidigungsfall eingetreten ist, ohne daß die Voraussetzungen des Zustandes der äußeren Gefahr, nämlich einer unmittelbaren Bedrohung des Bundesgebietes mit Waffengewalt schon vorliegen." (zu BTDrucks. IV/3494, S. 11)
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In der 5. Wahlperiode nahm im Jahr 1967 die von CDU/CSU und SPD gemeinsam getragene Bundesregierung die Bemühungen um eine verfassungsrechtliche Notstandsregelung wieder auf. Ihr Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes (BTDrucks. V/1879) sah in Art. 91 Regelungen über den inneren Notstand, in Art. 115a ff. Regelungen für den Zustand äußerer Gefahr und darüber hinaus erstmals die Streichung von Art. 59a GG vor. Die Bundesregierung beriet über diesen Entwurf auf der Grundlage einer Kabinettsvorlage des Bundesministeriums des Innern vom 24. Februar 1967. In ihm wurde die Streichung des Art. 59a, gleichzeitig jedoch eine Ergänzung des Art. 59 um folgenden Absatz 3 vorgeschlagen: |
"Die Feststellung, daß ein Verteidigungsfall eingetreten ist, der nicht zugleich den Zustand äußerer Gefahr im Sinne von Abschnitt X a umfaßt, trifft der Bundestag. Sein Beschluß wird gemäß Artikel 82 vom Bundespräsidenten verkündet. Der Bundespräsident darf völkerrechtliche Erklärungen über das Bestehen eines Verteidigungsfalles erst nach Verkündung abgeben."
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Zur Begründung der geplanten Neuregelung führte die Kabinettsvorlage aus:
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"Der Rechtsausschuß des 4. Deutschen Bundestages hatte vorgeschlagen, die in Art. 59a enthaltene Regelung der Feststellung des Verteidigungsfalles im wesentlichen unverändert zu lassen. Er ist dabei davon ausgegangen, daß der Verteidigungsfall und der Zustand äußerer Gefahr zeitlich und faktisch zusammentreffen können, aber nicht müssen.
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Auch der Bundesregierung erscheint es geboten, in dem nunmehr vorliegenden Entwurf von einer völligen Vereinheitlichung des Verteidigungsfalles und des Zustandes äußerer Gefahr abzusehen. Wenn sie dennoch eine Aufhebung des Art. 59a und eine teilweise Übernahme seines Inhalts in Art. 59 bzw. in Art. 115a vorschlägt, so deshalb, weil dadurch nach ihrer Auffassung zugleich mit einer Verdeutlichung des Gewollten eine Vereinfachung verbunden werden kann.
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Nach Art. 115a wird der Eintritt des Zustandes äußerer Gefahr festgestellt, wenn das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff droht. Diese Feststellung löst die in Art. 96a Abs. 2 (neu) und in Abschnitt X a festgelegten weittragenden, die innerstaatliche Rechtsordnung ergreifenden Rechtsfolgen aus.
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Art. 59 Abs. 3 (neu) regelt demgegenüber, wie ein Verteidigungsfall festzustellen ist, der nicht zugleich einen Zustand äußerer Gefahr umfaßt, und unter welchen Voraussetzungen dann der Bundespräsident völkerrechtliche Erklärungen darüber abgeben kann, womit er nach den Regeln des Völkerrechts nach außen verbindlich feststellen, unter Umständen auch bewirken kann, daß sich die Bundesrepublik Deutschland (völkerrechtlich) im Kriegszustand befindet.
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Ein Bedürfnis dafür kann in Betracht kommen im sogenannten Bündnisfall, das ist der Fall, in dem ein mit der Bundesrepublik Deutschland vertraglich zur gegenseitigen Verteidigungshilfe verbündeter Staat angegriffen wird, ohne daß gleichzeitig ein Angriff auf das Bundesgebiet droht oder erfolgt, oder im Fall einer sonstigen Verteidigungshilfe, z.B. aufgrund eines Beschlusses der Vereinten Nationen bei einem bewaffneten Angriff auf ein neutrales Land. |
In diesen Fällen soll die Feststellung des Bestehens eines Verteidigungsfalles dem Bundestag obliegen, wie es bisher schon in Art. 59a Abs. 1 vorgesehen ist. ..."
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Die Bundesregierung beriet über die Vorlage des Bundesministers des Innern vom 24. Februar 1967 in ihrer Sitzung am 10. März 1967. Über den Inhalt des Kabinettsprotokolls hat die Antragsgegnerin zu 1) in einem Vermerk vom 12. April 1994 folgendes mitgeteilt:
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"In der Einzelberatung zu Art. 59 Abs. 3 GG vertrat ein Bundesminister die Auffassung, daß diese Bestimmung überflüssig sei. Er könne sich nicht vorstellen, daß der in dieser Vorschrift geregelte Fall nicht gleichzeitig einen drohenden Angriff auf das Bundesgebiet darstelle. Die Vorschrift des Art. 115a reiche völlig aus. Ein anderer Teilnehmer betonte demgegenüber, daß es solche Fälle - wie in Art. 59 Abs. 3 geregelt werden solle - wohl geben könne. Der Öffentlichkeit werde aber diese Unterscheidung schwer verständlich zu machen sein, zumal sie mit dem Hinweis auf den Vietnam-Konflikt verbunden werden müsse. Deshalb spreche auch er sich für die Streichung des Art. 59 Abs. 3 aus. Das Kabinett beschloß daraufhin, die Vorschrift des Art. 59 Abs. 3 aus dem Entwurf zu streichen.
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Ausführungen zur vorgesehenen Streichung des Art. 59a GG sind nicht verzeichnet. Die Bundes-regierung beschloß den Regierungsentwurf in der als BTDrucks. V/1879 eingebrachten Fassung."
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Dort hieß es in der Begründung (BTDrucks. V/1879, S. 22):
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"Die Regelung in bezug auf den Verteidigungsfall wird mit der des Zustands äußerer Gefahr verbunden. Art. 59a kann daher aufgehoben werden."
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Im Rechtsausschuß wurde die Aufhebung des Art. 59a GG nicht diskutiert.
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Das 17. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes trat am 28. Juni 1968 in Kraft.
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4. Durch Gesetz vom 6. Juni 1973 (BGBl. II S. 430) stimmte der Deutsche Bundestag dem Beitritt zu der Charta der Vereinten Nationen zu. Am 18. September 1973 wurden die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik durch Beschluß der Generalversammlung in die Organisation der Vereinten Nationen aufgenommen. |
5. Nach dem weltpolitischen Umbruch der Jahre 1989 bis 1991, mit dem die Auflösung des Warschauer Paktes sowie der Sowjetunion einherging, haben die Mitgliedstaaten von NATO und WEU Erklärungen über die Anpassung der Ziele und Aufgaben dieser Organisationen an die grundlegend gewandelten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen abgegeben.
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a) Für die NATO nahm diese Entwicklung ihren Anfang mit der Londoner Erklärung der Staats- und Regierungschefs des Nordatlantikrats vom 6. Juli 1990:
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"23. Mit dem heutigen Tag leitet unser Bündnis eine umfassende Neugestaltung ein. Wir sind entschlossen, in Zusammenarbeit mit allen Staaten Europas dauerhaften Frieden auf diesem Kontinent zu schaffen". (Bulletin Nr. 90 vom 10. Juli 1990, S. 777)
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In der Kopenhagener Erklärung der NATO-Außenminister vom 6./7. Juni 1991 werden der "Zweck des Bündnisses" ("wesentliches Ziel"), das "Wesen des Bündnisses" und seine "grundlegenden Aufgaben" definiert. Zu den Aufgaben des Bündnisses heißt es u.a.:
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"1. Es (das Bündnis) bietet eines der unverzichtbaren Fundamente für ein stabiles sicherheitspolitisches Umfeld in Europa, ..., ein Europa, in dem kein Staat in der Lage ist, eine europäische Nation einzuschüchtern oder einem Zwang auszusetzen oder sich durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt die Vorherrschaft zu sichern.
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2. Es dient gemäß Artikel IV des Nordatlantikvertrags als ein transatlantisches Forum für Konsultationen unter den Verbündeten über Fragen, die ihre vitalen Interessen einschließlich möglicher Entwicklungen berühren, die Risiken für die Sicherheit der Bündnismitglieder mit sich bringen, und als Forum für sachgerechte Koordinierung ihrer Bemühungen in Bereichen, die sie gemeinsam angehen. ..." (Bulletin Nr. 66 vom 11. Juni 1991, S. 527)
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In der Erklärung heißt es weiter:
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Auf der Tagung der Staats- und Regierungschefs des Nordatlantikrats am 7./8. November 1991 in Rom erklärten die Mitgliedstaaten:
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"1. ... Die weitreichenden Entscheidungen, die wir hier getroffen haben, kennzeichnen einen wichtigen Abschnitt in der Umgestaltung des Bündnisses, die wir im vergangenen Jahr in London auf den Weg brachten. ...
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5. Die militärische Dimension unseres Bündnisses bleibt ein wesentlicher Faktor. Neu ist jedoch, daß mehr als je zuvor diese Dimension einem breit angelegten Sicherheitskonzept dienen wird ... Unsere Streitkräfte werden sich ihren neuen Aufgaben anpassen ... Sie werden so strukturiert, daß sie sowohl zur Krisenbewältigung als auch zur Verteidigung in der Lage sind ...
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6. Wir bekräftigen den von unseren Außenministern in Kopenhagen gefundenen Konsens. Die Entwicklung einer europäischen Sicherheitsidentität und Rolle in der Verteidigung, reflektiert in der weiteren Stärkung des europäischen Pfeilers im Bündnis, wird die Integrität und Wirksamkeit des Atlantischen Bündnisses verstärken. Die Ausweitung der Rolle und Verantwortung der europäischen Bündnismitglieder ist eine wichtige Grundlage für die Umgestaltung der Allianz. Diese beiden positiven Prozesse stärken sich gegenseitig." (Bulletin Nr. 128 vom 13. November 1991, S. 1033 f.)
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Am Tag davor hatten sie "das neue Strategische Konzept des Bündnisses" (a.a.0., S. 1039 ff.) vorgestellt. Eine Analyse des strategischen Umfeldes führe zu zwei Schlußfolgerungen: Die erste sei, "daß das neue Umfeld weder den Zweck noch die sicherheitspolitischen Aufgaben des Bündnisses verändert, deren fortdauernde Gültigkeit vielmehr unterstreicht". Die zweite sei, "daß das veränderte Umfeld dem Bündnis neue Möglichkeiten biete, seine Strategie innerhalb eines breitangelegten sicherheitspolitischen Ansatzes zu konzipieren" (a.a.0., Teil I Nr. 15). Als grundlegende Sicherheitsaufgaben definiert die Erklärung sodann vier sicherheitspolitische Kernfunktionen: Die NATO als unverzichtbares Fundament für ein stabiles sicherheitspolitisches Umfeld in Europa, als transat lantisches Forum für Konsultationen unter den Verbündeten, als Institution, die jede Aggressionsdrohung abschreckt und jeden Angriff gegen das Hoheitsgebiet eines NATO-Mitgliedstaates abwehrt, sowie als Bündnis, das das strategische Gleichgewicht in Europa wahrt (a.a.0., Teil II Nr. 21). Mit der Formulierung dieser Kernfunktionen des Bündnisses "bestätigen die Mitgliedstaaten, daß der Wirkungsbereich des Bündnisses, wie auch ihre Rechte und Pflichten aus dem Nordatlantikvertrag unverändert bleiben" (a.a.0., Nr. 23). |
Der "breit angelegte sicherheitspolitische Ansatz" (a.a.0., Teil III Nr. 24 f.) sieht auch einen Unterabschnitt "Krisenbewältigung und Konfliktverhütung" (a.a.0., Rdnrn. 32-34) vor, nach dem der Erfolg der Bündnispolitik von einer wirksamen vorbeugenden Diplomatie und der erfolgreichen Bewältigung von Krisen abhängt, die die Sicherheit der Bündnispartner berühren. Für einen Erfolg der Bündnispolitik sei "ein von der politischen Führung des Bündnisses festzulegender kohärenter Ansatz erforderlich, wobei sie nach Bedarf die geeigneten Krisenbewältigungsmaßnahmen aus einer Palette politischer und sonstiger Optionen, darunter auch aus dem militärischen Bereich, auswählt und koordiniert". Dabei müßten die Möglichkeiten des Dialogs und der Zusammenarbeit in ganz Europa voll ausgeschöpft werden. "Zu diesem Zweck werden die Bündnispartner die Rolle des KSZE-Prozesses und seiner Institutionen unterstützen. Andere Institutionen, darunter die Europäische Gemeinschaft, die Westeuropäische Union und die Vereinten Nationen, können hier ebenfalls eine wichtige Rolle spielen".
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Im Rahmen der "Verteidigungsrichtlinien" (Teil IV Nr. 35-57) können die Bündnispartner im Frieden "dazu aufgerufen werden, einen Beitrag zu Stabilität und Frieden in der Welt zu leisten, indem sie Streitkräfte für Missionen der Vereinten Nationen zur Verfügung stellen" (a.a.0., Nr. 42). "Im Falle von Krisen, die möglicherweise zu einer militärischen Bedrohung der Sicherheit der Bündnismitglieder führen, können die Streitkräfte des Bündnisses innerhalb eines breit angelegten sicherheitspolitischen Ansatzes politische Maßnahmen ergänzen und ihnen Nachdruck verleihen und damit zur Bewältigung derartiger Krisen und ihrer friedlichen Lösung beitragen" (a.a.0., Nr. 43). |
Die Bündnispartner betonen, daß die Umgestaltungen nicht das Bündnis als solches verändern sollten. So heißt es unter Nr. 41: "Die Hauptaufgabe der Streitkräfte des Bündnisses, die Sicherheit und territoriale Unversehrtheit der Mitgliedstaaten zu gewährleisten, bleibt unverändert."
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In einer Zusammenfassung (Teil V) stellt die Erklärung fest, daß dieses Strategische Konzept erneut den defensiven Charakter des Bündnisses bestätige und daß die Sicherheitspolitik des Bündnisses auf Dialog, Kooperation und wirksamer kollektiver Verteidigung als sich gegenseitig verstärkender Instrumente zur Wahrung des Friedens beruhe (a.a.0., Nr. 58). Für die betroffenen Bündnispartner werde "das Strategische Konzept die Grundlage für die Weiterentwicklung der Verteidigungspolitik des Bündnisses, für seine Einsatzpläne, sein konventionelles und nukleares Streitkräftedispositiv und seine kollektiven Vorkehrungen zur Verteidigungsplanung bilden".
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Auf der Ministertagung des Nordatlantikrats am 4. Juni 1992 in Oslo stellte das Bündnis erstmals ein militärisches Handeln aufgrund eines Mandats der KSZE oder der Vereinten Nationen als konkrete Möglichkeit in Aussicht (Nrn. 11 und 13 des Kommuniques, Bulletin Nr. 64 vom 12. Juni 1992, S. 613 [615]). Am 10. Juli 1992 beschloß der NATO-Außenministerrat in Helsinki die Teilnahme der Allianz an der Seeüberwachung des Waffen- und Handelsembargos gegen die Föderative Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro).
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Die Ministerratstagung am 10. Juni 1993 in Athen bekräftigte, daß die Allianz ihre Bereitschaft unter Beweis gestellt habe,
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"... friedenswahrende Operationen der VN oder KSZE zu unterstützen, die neue Anforderungen an sie stellen. Die Streitkräfte, internen Strukturen und Verfahren der Allianz werden gegenwärtig dem neuen Sicherheitsumfeld angepaßt. Das Bündnis wird diesen Prozeß fortführen, um uns in die Lage zu versetzen, schneller und wirksamer auf Ersuchen um Unterstützung friedenswahrender Operationen zu reagieren und alle Bündnispartner voll in die neue Bündnisrolle in der Frie denswahrung einzubeziehen, wobei wir anerkennen, daß die nationale Beteiligung nationaler Entscheidung vorbehalten bleibt" (Nr. 6 des Kommuniques, Bulletin Nr. 55 vom 19. Juni 1993, S. 577 [578]). |
Die Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedstaaten erklärten auf ihrer Gipfelkonferenz am 11. Januar 1994 in Brüssel:
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"In der Wahrnehmung unserer gemeinsamen transatlantischen Sicherheitserfordernisse wird die NATO zunehmend aufgefordert werden, Aufträge durchzuführen, zusätzlich zur traditionellen und grundlegenden Aufgabe der kollektiven Verteidigung ihrer Mitglieder, die eine Kernfunktion bleibt. Wir bekräftigen unser Angebot, von Fall zu Fall in Übereinstimmung mit unseren eigenen Verfahren friedenswahrende und andere Operationen unter der Autorität des VN-Sicherheitsrates oder der Verantwortung der KSZE zu unterstützen ..." (Nr. 7 der Erklärung, Bulletin Nr. 3 vom 17. Januar 1994, S. 20 f.).
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Demgemäß blieben die Überwachung des gegen die Föderative Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) verhängten Waffen- und Handelsembargos in der Adria und die Durchsetzung des Flugverbotes über Bosnien-Herzegowina, die Gegenstand der Verfahren 2 BvE 3/92, 2 BvE 5/93 und 2 BvE 7/93 sind, nicht die einzigen Maßnahmen der NATO zur Durchsetzung von Beschlüssen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen:
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Auf der Grundlage der Resolution Nr. 836 vom 4. Juni 1993 (VN 1993 S. 156), in der der Sicherheitsrat die Mitgliedstaaten autorisiert hatte, die Schutztruppe der Vereinten Nationen, UNPROFOR, beim Schutz der um Sarajewo und weitere Städte eingerichteten Sicherheitszonen zu unterstützen, beschloß der Nordatlantikrat am 2. August 1993, mit Luftangriffen gegen diejenigen zu drohen, die entweder Einheiten der UNPROFOR angriffen oder Sarajewo weiter von der Versorgung abschnitten und humanitäre Hilfslieferungen behinderten. Der Rat sicherte zu, das Vorgehen in vollem Umfang mit den Vereinten Nationen abzustimmen (Presseerklärung des Generalsekretärs der NATO, Dr. Manfred Wörner, am 2. August 1993, Europa-Archiv 1994, D 214 f.). Auf der Sitzung am 9. August 1993 stellte der Nordatlantikrat fest, daß der erste Einsatz von Luftstreitkräften im Kampfgebiet vom VN-Generalsekretär zu genehmigen sei (Europa-Archiv 1994, D 216 f.).
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Am 9. Februar 1994 beschloß der NATO-Rat, nachdem der VN-Generalsekretär erneut um Luftunterstützung für UNPROFOR gebeten hatte, ein Ultimatum zum Schutz der belagerten Stadt Sarajewo: Er drohte an, nach Ablauf einer Frist von zehn Tagen NATO-Schläge aus der Luft gegen schwere Waffen zu führen, die nicht rechtzeitig aus der Sperrzone Sarajewos abgezogen oder der Kontrolle von UNPROFOR unterstellt worden seien (Bulletin Nr. 16 vom 22. Februar 1994, S. 152). |
Durch Beschluß vom 22. April 1994 ermächtigte der NATO-Rat den Oberbefehlshaber Europa-Süd, auch zum Schutz der Sicherheitszone um Gorazde Schläge aus der Luft gegen schwere Waffen zu führen (Bulletin Nr. 39 vom 2. Mai 1994, S. 346 [347]). Der Rat vereinbarte außerdem, daß auch im Fall von Angriffen mit schweren Waffen auf die übrigen Schutzzonen diese Waffen in Übereinstimmung mit den nach den Ratsbeschlüssen vom 2. und 9. August 1993 zwischen NATO und UNPROFOR ausgearbeiteten verfahrensmäßigen Vorkehrungen Ziele für NATO-Schläge aus der Luft sein würden (Bulletin Nr. 39 vom 2. Mai 1994, S. 347).
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b) Auch die WEU formulierte ihre Strategie unter den geänderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen neu. Ihre Aufgabe wurde zudem durch den Vertrag über die Europäische Union vom 7. Februar 1992 (BGBl. II S. 1253) belebt. Darin ersucht die Europäische Union die WEU, "die integraler Bestandteil der Entwicklung der Europäischen Union ist, die Entscheidungen und Aktionen der Union, die verteidigungspolitische Bezüge haben, auszuarbeiten und durchzuführen" (Art. J.4 Abs. 2 EUV).
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Als Ergebnis der Diskussion verabschiedeten die Außen- und Verteidigungsminister am 19. Juni 1992 die sogenannte Petersberg-Erklärung (Bulletin Nr. 68 vom 23. Juni 1992, S. 649 ff.):
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"I.2. In dem Maße, wie die WEU ihre operationellen Fähigkeiten im Einklang mit der Maastrichter Erklärung weiterentwickelt, sind wir bereit, je nach den Umständen des betreffenden Falles und nach Maßgabe unserer eigenen Verfahren die wirksame Durchführung von Konfliktverhütungs- und Krisenbewältigungsmaßnahmen einschließlich friedenserhaltender Aktivitäten der KSZE oder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zu unterstützen. Dies wird unbeschadet möglicher Beiträge anderer KSZE-Staaten und anderer Organisationen zu diesen Aktivitäten geschehen. |
...
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II.4. Militärische Einheiten der WEU-Mitgliedstaaten, die unter der Befehlsgewalt der WEU eingesetzt werden, könnten neben ihrem Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung in Übereinstimmung mit Artikel 5 des Washingtoner Vertrags bzw. Artikel V des geänderten Brüsseler Vertrags auch für folgende Zwecke eingesetzt werden:
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- humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze;
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- friedenserhaltende Aufgaben;
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- Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung, ein schließlich Maßnahmen zur Herbeiführung des Friedens."
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Die Minister fügten der Petersberg-Erklärung eine "Erklärung zur Krise in Jugoslawien" bei. Darin äußern sie die Bereitschaft der WEU,
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"im Rahmen ihrer Möglichkeiten einen Beitrag zur wirksamen Umsetzung von Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen im Zusammenhang mit dem Konflikt im ehemaligen Jugoslawien zu leisten. Sie beauftragten eine aus Vertretern der Außen- und der Verteidigungsministerien zusammengesetzte Ad-hoc-Gruppe, die Möglichkeiten der WEU zu prüfen, an der Umsetzung der einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen mitzuwirken" (vgl. Nr. 8 der "Erklärung zur Krise in Jugoslawien").
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Am 10. Juli 1992 erklärte auch die WEU sich bereit, an der Überwachung des von den Vereinten Nationen gegen das ehemalige Jugoslawien verhängten Waffen- und Handelsembargos mitzuwirken. Auf der Tagung des Ministerrats der WEU am 9. Mai 1994 in Luxemburg bekräftigten die Minister ihre Bereitschaft, mit dem Atlantischen Bündnis insbesondere bei der Krisenbewältigung zusammenzuarbeiten und die Strukturen beider Organisationen aufeinander abzustimmen:
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"Um die Fähigkeit der WEU auszubauen, die in der Petersberg-Erklärung definierten Aufgaben zu erfüllen, bestätigten die Minister das Konzept, die zur Durchführung der notwendigen militärischen Aufgaben erforderlichen Ressourcen und Potentiale zu bestimmen." (Nr. 3 der Kirchberg-Erklärung, Bulletin Nr. 46 vom 20. Mai 1994, S. 405 [406]).
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6. Um den Streit über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines von den Vereinten Nationen autorisierten Einsatzes deutscher Streitkräfte zu beenden, haben die Fraktion der SPD und die Gruppe PDS/Linke Liste Gesetzentwürfe zur "Änderung des Grundgesetzes" (BTDrucks. 12/2895 und 12/4534, 12/3055), die Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. einen Gesetzentwurf zur "klarstellenden Ergänzung des Grundgesetzes" (BTDrucks. 12/4107 und 12/4135) eingebracht. Die Gruppe Bündnis 90/Die Grünen hat in einem Entschließungsantrag gefordert, die Art. 24 und Art. 87a GG neu zu fassen (BTDrucks. 12/3014). Die Vorlagen wurden zur Beratung an die Ausschüsse überwiesen und sind dort noch anhängig. |
II. |
Den Verfahren liegen folgende Sachverhalte zugrunde:
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1. Der Organstreit 2 BvE 3/92 betrifft die Beteiligung der Bundeswehr an einer Aktion von Seestreitkräften der NATO und der WEU zur Überwachung eines von den Vereinten Nationen gegen die Föderative Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) verhängten Embargos sowie die Zustimmung der Bundesregierung zu vorausgegangenen Beschlüssen von NATO- und WEU-Gremien. Antragsteller sind die Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag und 228 ihrer Mitglieder.
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a) Durch die Resolution Nr. 713 vom 25. September 1991 (VN 1991, S. 175) beschloß der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nach Kapitel VII der Satzung der Vereinten Nationen (SVN), daß alle Staaten zur Herstellung von Frieden und Stabilität in Jugoslawien alle Lieferungen von Waffen und militärischen Ausrüstungen nach Jugoslawien sofort mit einem allgemeinen und vollständigen Embargo zu belegen hätten. Durch die Resolution Nr. 724 vom 15. Dezember 1991 (VN 1992, S. 74) richtete er einen aus allen Ratsmitgliedern bestehenden Ausschuß ein und beauftragte diesen, dem Rat Empfehlungen zur Behandlung etwaiger ihm von den Staaten zur Kenntnis gebrachten Informationen über Verletzungen des Embargos und zu den Möglichkeiten zur Erhöhung der Wirksamkeit des Embargos zu geben.
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Durch die Resolution Nr. 757 vom 30. Mai 1992 (VN 1992, S. 110) verhängte der Sicherheitsrat gemäß Kapitel VII SVN ein Handelsembargo gegen die Föderative Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro), von dem nur gewisse Lieferungen für rein medizinische Zwecke und von Nahrungsmitteln ausgenommen sind. Die Tätigkeit des mit Resolution 724 eingesetzten Ausschusses wurde auf das Handelsembargo erstreckt. |
b) Zur Überwachung dieses Waffen- und Handelsembargos faßte der NATO-Außenministerrat auf seiner Sitzung am 10. Juli 1992 in Helsinki folgenden Beschluß:
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"1. agreed on a NATO maritime operation, drawing on STANAVFORMED (Standing Naval Force Mediterranean) and other assets as appropriate, to monitor compliance with UN-Security Council resolutions 713 and 757 in coordination and cooperation with the operation decided by the WEU. The participation of the member states will be subject to the provisions of their national constitutions;
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2. agreed that practical details and modalities to implement the decisions by Ministers should be worked out by NATO Military Authorities, in coordination with those of the WEU, for decision by the appropriate fora."
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Der WEU-Ministerrat, der gleichzeitig mit dem NATO-Außenministerrat in Helsinki tagte, faßte am 10. Juli 1992 folgenden Beschluß (Bulletin Nr. 79 vom 17. Juli 1992, S. 760):
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"Beschluß, die Operationen zur Überwachung auf See durchzuführen, wie von der Ad-hoc-Gruppe zu Jugoslawien auf ihrer Tagung am 3. Juli in Rom vorgeschlagen wurde:
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An der Überwachung des durch die Sicherheitsratsresolutionen 713 und 757 verhängten Embargos werden mindestens fünf bis sechs Schiffe, vier Seefernaufklärungsflugzeuge, ein Unterstützungsschiff sowie landgestützte Hubschrauber beteiligt sein.
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Diese Überwachung wird in internationalen Gewässern, im Otranto- Kanal und an anderen Punkten vor der jugoslawischen Küste, einschließlich der montenegrinischen Küste, nach Konsultationen mit UNPROFOR durchgeführt werden.
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Die genannten Marineoperationen werden so bald wie möglich unter italienischer Koordinierung beginnen. Die Teilnahme der Mitgliedstaaten erfolgt nach Maßgabe ihrer jeweiligen Verfassung.
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Diese WEU-Operationen sind für die Teilnahme anderer Verbündeter offen und werden in Zusammenarbeit mit der NATO koordiniert. Einsatzrichtlinien (rules of engagement) und die operative Koordinierung werden von den zuständigen Marinebehörden auf Veranlassung der Präsidentschaft erstellt bzw. durchgeführt werden. |
Die Ad-hoc-Gruppe wird laufend Optionen betreffend die Durchsetzung eines Embargos durch die Marine aktualisieren, für die eine weitere Resolution des VN-Sicherheitsrates notwendig wäre."
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Unter Bezugnahme auf den Beschluß des NATO-Außenministerrates legte der NATO-Militärausschuß in einem vom NATO-Verteidigungs-planungsausschuß gebilligten Memorandum vom 14. Juli 1992 (MCM-JFC-048-92) fest, daß der NATO-Beitrag zur Durchführung des VN-Embargos auf die Überwachung von Aktivitäten auf See be-schränkt sei; Überwachung schließe nicht die Befugnis ein, die Bestimmungen des Embargos durchzusetzen. Zweck der Überwachung sei, über den Umfang der Aktivitäten in den überwachten Gewässern zu berichten, festzustellen, in welchem Ausmaß diese Aktivitäten gegen das Embargo verstoßen, und mögliche Embargobrecher zu identifizieren und zu melden. Der Alliierte Oberste Befehlshaber Europa (SACEUR) legte in zwei speziell auf diese Operation zugeschnittenen "rules of engagement" fest, daß NATO-Schiffe sich allen Handelsschiffen bis auf 500 Yards, NATO-Flugzeuge bis auf 500 Fuß nähern dürften; die NATO-Kräfte seien befugt, Suchscheinwerfer einzusetzen.
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c) Zur Umsetzung der Beschlüsse des NATO-Außenminister- und des WEU-Ministerrates beschloß die Bundesregierung am 15. Juli 1992:
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"Die Bundesrepublik Deutschland wird sich mit eigenen Beiträgen an der Durchführung der Beschlüsse von WEU und NATO vom 10. Juli 1992 auf der Grundlage der VN-Resolutionen Nr. 713 und 757 zu Überwachungsmaßnahmen im Mittelmeer beteiligen.
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Die Bundesmarine wird hierfür drei Seeraumüberwachungsflugzeuge der Marinefliegerkräfte sowie die derzeit am Ständigen Einsatzverband Mittelmeer der NATO teilnehmende Schiffseinheit, Zerstörer Bayern, die am 30./31. Juli 1992 durch die Fregatte Niedersachsen abgelöst werden soll, bereitstellen."
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Der Bundesminister der Verteidigung führte diesen Beschluß durch entsprechende Einsatzbefehle aus. "Operational Control" über die drei Seeraumüberwachungsflugzeuge wurde dem Befehlshaber der italienischen Flotte übertragen, der NATO-Kommandobehörde ist, indes unter der politischen Kontrolle des WEU-Rates handelt. "Operational Control" über das entsandte Schiff liegt beim Alliierten Befehlshaber der Marinekräfte Südeuropa (COMNAVSOUTH), der dies im Rahmen des "Operational Command" des Alliierten Obersten Befehlshabers Europa (SACEUR) ausübt. |
"Operational Command" und "Operational Control" sind Teilbefugnisse aus dem sogenannten "full command". Diese aus dem Sprachgebrauch der NATO stammenden Begriffe werden in der Zentralen Dienstvorschrift 1/50 der Bundeswehr wie folgt definiert:
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"Full Command ist die nur nationalen militärischen Führern zustehende, alle Gebiete des militärischen Bereichs umfassende Befehlsgewalt. ... Ein NATO-Befehlshaber hat niemals Full Command über Streitkräfte, die ihm assigniert sind; denn mit der Assignierung von Streitkräften für die NATO übertragen die Staaten nur Operational Command oder Operational Control.
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Operational Command ist die einem Befehlshaber/ Kommandeur übertragene Befugnis, nachgeordneten Befehlshabern bzw. Kommandeuren Aufgaben zuzuweisen oder Aufträge zu erteilen, Truppenteile zu dislozieren, die Unterstellung von Kräften neu zu regeln sowie Operational Control und/oder Tactical Control je nach Notwendigkeit selbst auszuüben oder zu übertragen. Die truppendienstliche Befehlsbefugnis oder die logistische Verantwortlichkeit ist im allgemeinen nicht darin eingeschlossen.
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Operational Control ist die einem Befehlshaber/ Kommandeur übertragene Befugnis, assignierte Kräfte so zu führen, daß er bestimmte Aufgaben oder Aufträge durchführen kann, die im allgemeinen nach Art, Zeit und Raum begrenzt sind; ferner die betreffenden Truppenteile zu dislozieren und die Tactical Control über diese Truppenteile selbst auszuüben oder zu übertragen. Der Begriff umfaßt weder die Befugnis, den gesonderten Einsatz von Teilen dieser Truppenteile anzuordnen, noch sind im allgemeinen truppendienstliche oder logistische Führungsaufgaben mit eingeschlossen."
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d) Ein Entschließungsantrag der SPD-Bundestagsfraktion festzustellen, daß die Bundesregierung durch ihre Zustimmung zu den Beschlüssen des NATO-Außenministerrates und der WEU-Minister vom 10. Juli 1992 sowie durch ihren Beschluß vom 15. Juli 1992 gegen das Grundgesetz verstoßen habe, fand in der dafür einberufenen Sondersitzung des Bundestages keine Mehrheit (Deutscher Bundestag, 12. WP., 101. Sitzung vom 22. Juli 1992, Sten.Ber. S. 8655; BTDrucks. 12/3072). |
e) Durch die Resolution 787 vom 16. November 1992 (VN 1992, S. 220) autorisierte der Sicherheitsrat die Mitgliedstaaten, die Einhaltung des Embargos künftig nicht nur zu überwachen, sondern dieses auch militärisch durchzusetzen. Er forderte, tätig werdend nach Kapitel VII und VIII der Charta der Vereinten Nationen,
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"die Staaten, die einzelstaatlich oder über regionale Einrichtungen oder Abmachungen tätig werden, auf, unter der Aufsicht des Sicherheitsrates die erforderlichen, den Umständen angemessenen Maßnahmen anzuwenden, um alle einlaufenden und auslaufenden Seetransporte zur Kontrolle und Überprüfung ihrer Fracht und ihres Bestimmungsorts anzuhalten und die strikte Anwendung der Bestimmungen der Resolutionen 713 (1991) und 757 (1992) sicherzustellen."
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Die Bundesregierung faßte daraufhin am 19. November 1992 folgenden Beschluß:
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"Das deutsche Schiff bleibt auch künftig im Rahmen seines bisherigen Auftrags im NATO-Verband in der Adria präsent. Eine Teilnahme an Zwangsmaßnahmen (Stop and Search) kommt nicht in Betracht. Die im Rahmen der WEU durchgeführten Aufklärungsflüge durch deutsche Flugzeuge werden zwecks Embargoüberwachung ebenfalls im bisherigen Umfang fortgesetzt."
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2. Die Verfahren 2 BvE 5/93 und 2 BvE 7/93 betreffen den Beschluß der Bundesregierung über die Beteiligung deutscher Soldaten an der Durchsetzung des von den Vereinten Nationen verhängten Flugverbotes im Luftraum von Bosnien-Herzegowina. Antragsteller im Verfahren 2 BvE 5/93 sind die Fraktion der F.D.P. im Deutschen Bundestag und 55 ihrer Mitglieder. Antragsteller im Verfahren 2 BvE 7/93 sind die Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag und 226 ihrer Mitglieder.
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Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verhängte mit Resolu tion Nr. 781 vom 9. Oktober 1992 (VN 1992, S. 219) ein Flugverbot für Militärflugzeuge im Luftraum über Bosnien-Herzegowina und ersuchte die Schutztruppe der Vereinten Nationen (UNPROFOR), es zu überwachen. Er forderte die Staaten auf, der Schutztruppe dabei Unterstützung zu gewähren. Die Mitglieder der NATO übernahmen diese Aufgabe und setzten dazu AWACS-Fernaufklärer ein, in denen Soldaten verschiedener NATO-Mitgliedstaaten als integrierte Einheit tätig sind. Am 31. März 1993 verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution Nr. 816, die das Flugverbot auf alle Flüge mit Starrflügel- und Drehflügelluftfahrzeugen ausdehnte und die Mitgliedstaaten ermächtigte, einzeln oder durch regionale Organisationen oder Abmachungen alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Einhaltung dieses Verbots sicherzustellen (Nr. 1 und Nr. 4 der Resolution Nr. 816 vom 31. März 1993, VN 1993, S. 73). |
Am 2. April 1993 traf die Bundesregierung gegen die Stimmen der F.D.P.-Minister folgende Entscheidung:
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"Sie ist einverstanden, daß der NATO-AWACS-Verband nunmehr in Übereinstimmung mit Sicherheitsratsresolution Nr. 816 vom 31. März 1993 auch unter deutscher Beteiligung daran mitwirkt, dieses Flugverbot durchzusetzen."
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Der NATO-Rat erklärte mit Beschlüssen vom 2. und 8. April 1993 seine Bereitschaft, die Umsetzung der vom Sicherheitsrat beschlossenen Resolution Nr. 816 zu unterstützen. Er bestätigte darüber hinaus seine Zustimmung zu den einzelnen Durchsetzungsphasen, den Einsatzrichtlinien sowie den sonstigen Planungen (vgl. im einzelnen die Darstellung des Sachverhalts in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 8. April 1993 über die Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung - 2 BvE 5/93 und 2 BvQ 11/93 - [BVerfGE 88, 173]).
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3. Das Verfahren 2 BvE 8/93 betrifft die Beteiligung deutscher Soldaten an UNOSOM II, einer vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen aufgestellten Streitmacht zur Herstellung friedlicher Verhältnisse in Somalia. Antragsteller sind die Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag und 221 ihrer Mitglieder.
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Wegen anhaltender politischer Unruhen und einer schweren Hungersnot in Somalia beschloß der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der Resolution Nr. 751 vom 24. April 1992 (VN 1993, S. 63) die Operation UNOSOM. Sie sollte die Einstellung der Feindseligkeiten und die Einhaltung einer Waffenruhe im ganzen Land erleichtern und verfolgte das Ziel, den Prozeß der Versöhnung und einer politischen Konsolidierung in Somalia zu fördern und dringende humanitäre Hilfe zu leisten. Mit der Resolution Nr. 794 vom 3. Dezember 1992 (VN 1993, S. 65) autorisierte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Gruppe von Mitgliedstaaten nach Kapitel VII SVN, Maßnahmen zu ergreifen, um so bald wie möglich ein sicheres Umfeld für die humanitären Hilfsmaßnahmen zu schaffen. Dieses Mandat erfüllte der unter wesentlicher Beteiligung der Vereinigten Staaten von Amerika handelnde Vereinte Eingreifverband UNITAF. Ihm folgte das mit der Resolution Nr. 814 vom 26. März 1993 (VN 1993, S. 66) beschlossene Unternehmen UNOSOM II. Nach dem Willen der Vereinten Nationen und der Bundesregierung sollten sich deutsche Einheiten an UNOSOM II beteiligen. |
a) Am 21. April 1993 faßte das Bundeskabinett folgenden Beschluß (Bulletin Nr. 32 vom 23. April 1993, S. 280):
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"1. Die Bundesregierung beschließt, entsprechend der mit Note der Vereinten Nationen vom 12. April 1993 unterbreiteten Bitte die Operationen der Vereinten Nationen in Somalia (UNOSOM II) durch Entsendung eines verstärkten Nachschub- und Transportbataillons der Bundeswehr zu unterstützen. Das Bataillon wird im Rahmen der humanitären Bemühungen der Vereinten Nationen in einer nach Feststellung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen befriedeten Region in Somalia bei Aufbau, Unterstützung und Sicherstellung der Verteilerorganisation für Hilfs- und Logistikgüter mitwirken. Der deutsche Verband wird nicht die Aufgabe haben, militärischen Zwang anzuwenden oder bei der Ausübung solchen Zwangs durch andere mitzuwirken. Davon unberührt bleibt sein Recht zur Selbstverteidigung. Der Kommandeur von UNOSOM II erhält wie üblich "operational control", die Befehls- und Kommandogewalt bleibt bei dem Bundesminister der Verteidigung."
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Der Deutsche Bundestag nahm am selben Tag einen Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. (BTDrucks. 12/4759) an, wonach er der Entscheidung der Bundes regierung zustimmte, die Vereinten Nationen in befriedeten Regionen Somalias durch Soldaten der Bundeswehr bei humanitären Einsätzen zu unterstützen (vgl. im einzelnen die Darstellung des dem Verfahren zugrundeliegenden Sachverhalts unter A. I. in dem Urteil des Zweiten Senats vom 23. Juni 1993 über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung im Verfahren 2 BvQ 17/93, BVerfGE 89, 38). |
b) Gegenstand des Verfahrens ist darüber hinaus ein Briefwechsel zwischen der Bundesregierung und dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, in dem die Bedingungen für eine Entsendung des deutschen Unterstützungsverbandes nach Somalia festgelegt worden sind.
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Der Generalsekretär der Vereinten Nationen trat mit Schreiben vom 12. April 1993 an die Bundesregierung mit der Bitte heran, Militärpersonal zum Dienst im Rahmen von UNOSOM II zur Verfügung zu stellen. Dieses Kontingent solle, stationiert in einer sicheren Umgebung, insbesondere bei der Errichtung, der Aufrechterhaltung und dem Schutz eines Verteilungsnetzes für Hilfs- und Nachschubgüter helfen und werde unter dem Kommando und der Kontrolle des Oberbefehlshabers von UNOSOM II stehen.
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Mit Schreiben vom 26. April 1993 teilte der Ständige Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen dem Generalsekretär mit, daß die Bundesregierung am 21. April 1993 beschlossen habe, dieser Bitte nachzukommen. Das deutsche Kontingent solle nicht die Aufgabe haben, militärischen Zwang auszuüben oder an der Ausübung solchen Zwanges mitzuwirken. Der Oberbefehlshaber von UNOSOM II solle "Operational Control" haben, "Operational Command" werde beim Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland bleiben.
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Mit Antwortschreiben vom 28. April 1993 bestätigte das Generalsekretariat der Vereinten Nationen, daß dem Oberbefehlshaber von UNOSOM II "Operational Control" über den deutschen Verband zustehe, "Operational Command" jedoch beim deutschen Verteidigungsminister verbleiben werde.
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Mit Schreiben vom 11. Mai 1993 bat das Generalsekretariat der Vereinten Nationen, den zugesagten Unterstützungsverband nicht, wie ursprünglich vorgesehen, nach Bosasso und in den Nordosten Somalias, sondern in den Raum Belet Huen zu entsenden; diese Region sei sicher und ruhig. Der Ständige Vertreter erklärte tags darauf schriftlich das Einverständnis der Bundesregierung. Am 12. Mai 1993 entsandte der Antragsgegner zu 2) ein Vorauskommando nach Belet Huen. Er erklärte dazu (Bulletin Nr. 39 vom 17. Mai 1993, S. 347), die Vereinten Nationen hätten zum Ausdruck gebracht, daß sie gerade im Bereich der Logistik dringenden Unterstützungsbedarf hätten. Im Rahmen der schrittweisen Erweiterung des Operationsgebietes von UNOSOM II in den Norden Somalias werde der deutsche Unterstützungsverband anderen Verbänden in die von diesen befriedeten Regionen folgen und die Logistik sicherstellen. Dieser humanitäre Einsatz unter militärischer Absicherung entspreche den neuen Aufgaben, die durch die Bundeswehr heute und künftig im Rahmen ihres Auftrages zu erfüllen seien. |
c) Aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juni 1993 im Verfahren der einstweiligen Anordnung (BVerfGE 89, 38) befaßte sich der Bundestag erneut mit dem Einsatz deutscher Streitkräfte in Somalia. In seiner Sitzung am 2. Juli 1993 stimmte er auf Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. (BTDrucks. 12/5248) dem Beschluß der Bundesregierung vom 21. April 1993 in vollem Umfang zu (Deutscher Bundestag, 12. WP., 169. Sitzung vom 2. Juli 1993, Sten.Ber. S. 14608).
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III. |
Die Antragsteller haben die aus dem Rubrum ersichtlichen Anträge gestellt. Im Verfahren 2 BvE 3/92 wurden in der mündlichen Verhandlung die Anträge zu 1 a), erster Spiegelstrich, und zu 1 b), im Verfahren 2 BvE 5/93 mit Schriftsatz vom 11. Juni 1993 der Antrag zu 2) zurückgenommen. Im Verfahren 2 BvE 8/93 wurde der Antrag zu 2) mit Schreiben vom 14. April 1994 für erledigt erklärt.
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Zur Begründung tragen die Antragsteller im wesentlichen vor:
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1. Die Anträge seien zulässig.
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a) Die Antragsteller seien parteifähig. Das gelte auch für die als Sperrminorität im Rahmen der verfassungsändernden Gesetzgebung auftretenden Abgeordneten. Die Bundesregierung habe die Rechte der Sperrminorität, deren Konsens bei einem verfassungsrechtlich korrekten Verfahren notwendig gewesen wäre, übergangen, indem sie sich Befugnisse des verfassungsändernden Gesetzgebers angemaßt habe. In dieser Situation seien die subjektiven Rechte aus Art. 79 Abs. 2 GG gerade dieser Minderheit nicht anders zu schützen als dadurch, daß man ihr die Parteifähigkeit im Organstreit zuerkenne. Die Antragsteller hätten sich auch als Sperrminorität konstituiert; konkretes Substrat für die Konstituierung als Sperrminorität sei das eingeleitete Verfahren der Verfassungsänderung. |
b) Die antragstellenden Fraktionen seien befugt, im Wege der Prozeßstandschaft Rechte des Bundestages geltend zu machen. Auch die der F.D.P.-Fraktion angehörenden Antragsteller seien als einzelne Abgeordnete berechtigt, Rechte des Bundestages geltend zu machen. Sie stritten außerdem für eigene Rechte. Wo dem Bundestag die verfassungsmäßige Entscheidungshoheit vorenthalten werde, werde auch ihr durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistetes Recht verletzt, diese Hoheit als die handelnden Mitglieder des Bundestages auszuüben.
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c) Die Antragsteller seien antragsbefugt. Es lasse sich nicht ausschließen, daß der Bundestag durch die genannten Akte in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten verletzt worden sei. Soweit eine Verletzung der Art. 59 Abs. 2, 24 Abs. 1, 115a Abs. 1 GG und des Verfassungsgrundsatzes der Organtreue gerügt werde, bedürfe dies keiner näheren Begründung.
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Die Antragsbefugnis sei jedoch auch insoweit gegeben, als eine Verletzung von Art. 87a Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung und der Regelung des Verfahrens der Verfassungsänderung (Art. 20 Abs. 3, 79 Abs. 1 GG) geltend gemacht werde. Diese Vorschriften enthielten einen gezielten, spezifischen Übergehungsschutz für das Parlament. Dies ergebe sich aus einer Gesamtschau der Wehrverfassung des Grundgesetzes. Diese sei gekennzeichnet durch eine strikte materielle Umschreibung der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr sowie durch eine strenge parlamentarische Kontrolle. Da die zulässigen Einsätze der Bundeswehr regelmäßig die Mitwirkung des Parlaments erforderten, bedeute es eine Verletzung seiner Rechte, wenn die Bundesregierung einen unzulässigen, da verfassungsrechtlich nicht ausdrücklich genannten, Einsatz befehle. Wäre er zulässig, unterläge auch er der parlamentarischen Zustimmung. Darum bedeute Art. 87a GG nicht nur eine inhaltliche Bindung des Einsatzes der Streitkräfte, sondern weise durch diese inhaltliche Bindung die Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr dem verfassungsändernden Gesetzgeber zu. Dadurch werde die parlamentarische Kontrolle der Streitkräfte gesichert. |
Die Pershing-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 68, 1 [69 ff.]) stehe der Rüge aus Art. 87a Abs. 2 GG nicht entgegen. Dort seien nur solche Rügen als unzulässig zurückgewiesen worden, bei denen es um die Verletzung von Grundrechten und eines sich angeblich aus dem Grundgesetz ergebenden Prinzips der staatlichen Souveränität gegangen sei. Im vorliegenden Fall gehe es allein um die Verletzung von Organisations- und Kompetenzvorschriften.
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d) Die SPD-Fraktion und die ihr angehörenden Abgeordneten halten auch den Bundesminister der Verteidigung für einen zulässigen Antragsgegner. Daß er seine Befehlsgewalt auf der Grundlage eines Beschlusses der Bundesregierung ausübe, mediatisiere sein Handeln nicht im Verhältnis zu anderen Bundesorganen. Folge er mit seinen Einsatzbefehlen einem verfassungswidrigen Kabinettsbeschluß, so handele er selbst verfassungswidrig und verletze selbständig die gleichen Rechte, die bereits der Kabinettsbeschluß verletzt habe.
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2. Die Anträge seien begründet.
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a) Art. 87a Abs. 2 GG sei verletzt.
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aa) Art. 87a Abs. 2 GG gelte nicht nur für nach innen gerichtete Einsätze der Streitkräfte, sondern auch für Außeneinsätze. Eine andere Auslegung sei mit dem Wortlaut des Art. 87a Abs. 2 GG nicht zu vereinbaren. Angesichts des Wirkens deutscher Streitkräfte während des Zweiten Weltkrieges wäre es auch nicht verständlich, wenn die Verfassung allein den Einsatz der Streitkräfte im Innenbereich eingehend verfassungsrechtlich regelte, den für Deutschland politisch hochsensiblen Außeneinsatz hingegen ganz dem völkerrechtlichen Regime überließe. Selbst wenn Außeneinsätze bei der Einfügung des Art. 87a Abs. 2 GG nicht bedacht worden sein sollten, rechtfertige dies nicht die Schlußfolgerung, daß Außeneinsätze damit nach dem Willen des Verfassungsgebers freigegeben seien. Andere Einsätze als die zur Verteidigung habe der Verfassungsgeber gerade nicht erwogen, damit aber auch nicht freigegeben. Die Streitkräfte brauchten auf jeden Fall eine konstitutive verfassungsrechtliche Zuständigkeits- und Befugniseröffnung; der Grundsatz "was nicht verboten ist, ist erlaubt" gelte für den Einsatz der Streitkräfte nicht. |
bb) Bei allen drei Aktionen handele es sich um einen Einsatz im Sinne von Art. 87a Abs. 2 GG. Diese Vorschrift wolle die spezifisch militärische Machtentfaltung einer verfassungsrechtlichen Beschränkung unterwerfen. Damit sei Einsatz alles, was sich faktisch als spezifisch militärische Machtentfaltung darstelle. Vom Geltungsbereich des Art. 87a Abs. 2 GG ausgenommen seien nur solche Tätigkeiten, die sinnvoll auch durch Zivil- oder Privatpersonen ausgeführt werden könnten.
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Die Adria-Aktion sei danach als Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG zu qualifizieren. Es gehe nicht um eine Art von Informationsbeschaffung, die man auch einem zivilen Auftragnehmer hätte übertragen können. Die Überwachung sei verbunden mit dem militärischen Schutz der kontrollierenden Schiffe, der sicherstelle, daß die zu Kontrollierenden keine Gegenmaßnahmen ergriffen. Insgesamt stelle sich die Aktion als eine spezifisch militärische Machtentfaltung, nämlich als eine Flottendemonstration, dar. Das Mandat zu militärischer Machtentfaltung habe der Sicherheitsrat dadurch verdeutlicht, daß er - nach Beginn der Aktion - die Befugnis auch zum Anhalten und Durchsuchen der Schiffe erteilt habe. Daß sich das deutsche Schiff an diesen Zwangsmaßnahmen nicht beteiligen solle, ändere nichts an dem Charakter der Gesamtaktion, in die deutsche Streitkräfte eingebunden seien.
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Der Dienst deutscher Soldaten in den AWACS-Systemen sei selbst dann ein "Einsatz", wenn man - mit der Bundesregierung - darunter nur ein Tätigwerden der Streitkräfte mit Regelungscharakter, Angriffsmöglichkeiten und Anordnungs- sowie Zwangsbefugnissen verstehe; der Auftrag zur Durchsetzung des Flugverbotes enthalte gerade diese Komponenten. |
Auch bei der Verwendung deutscher Soldaten in Somalia handele es sich nicht um eine rein humanitäre und logistische Operation unterhalb der Einsatzschwelle, sondern um einen Kampfeinsatz. Man könne Streitkräfte, die den Nachschub für eine kämpfende Truppe sicherstellen, nicht anders beurteilen als die kämpfende Truppe selbst. Außerdem seien die deutschen Soldaten zum Waffengebrauch in "Nothilfe" berechtigt.
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cc) In keinem der Verfahren handele es sich um einen Einsatz "zur Verteidigung" (Art. 87a Abs. 1 und 2 GG). "Verteidigung" sei nur die Verteidigung gegen einen Angriff auf die Bundesrepublik Deutschland selbst oder auf einen Bündnispartner. Bei Einführung der Wehrverfassung im Jahr 1956 sei das Mandat der Streitkräfte eng auf die historische Notwendigkeit, d.h. die Bekämpfung einer manifesten Bedrohung im Rahmen eines Bündnisses, beschränkt worden. Ein Angriff auf die Bundesrepublik Deutschland oder einen ihrer Bündnispartner liege bei keinem der streitigen Einsätze vor.
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dd) Art. 24 Abs. 2 GG enthalte keine anderweitige ausdrückliche Zulassung dieser Einsätze im Sinne von Art. 87a Abs. 2 GG.
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(1) Art. 24 Abs. 2 GG sei allenfalls eine implizite, nicht aber eine "ausdrückliche" Zulassung eines Streitkräfte-Einsatzes. Truppeneinsätze seien in dieser Vorschrift nicht erwähnt. Auch der Zweck eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit weise nicht zwingend auf die Beteiligung an Militäraktionen hin; Beistandsleistungen in einem solchen System könnten auch nichtmilitärischer Art sein. Im übrigen lasse Art. 24 Abs. 2 GG nur das Einwilligen in die Beschränkung von Hoheitsrechten zu. Wenn von dieser Möglichkeit durch die Beteiligung deutscher Truppenkontingente an VN-Maßnahmen Gebrauch gemacht werde, ergebe sich die Zulässigkeit des Einsatzes dieser Kontingente nicht, wie Art. 87a Abs. 2 GG es verlange, aus dem Grundgesetz selbst, sondern erst aus der Charta der Vereinten Nationen in Verbindung mit der Vereinba rung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinten Nationen über das Bereitstellen von Truppen. |
(2) Es könne auch nicht eingewandt werden, daß die Neufassung des Art. 87a GG im Jahr 1968 die durch Art. 24 Abs. 2 GG bereits eröffneten Einsatzmöglichkeiten der Streitkräfte nicht nachträglich habe beschränken sollen. Auch vor 1968 habe Art. 24 Abs. 2 GG keine militärische Option enthalten. Jeder Versuch einer Normierung von Wehrstrukturen wäre bei der Schaffung des Grundgesetzes auf den strikten Widerstand der Alliierten gestoßen. Auch mit der Einführung der Wehrverfassung im Jahr 1956 sei Art. 24 Abs. 2 GG keine militärische Bedeutung zugewachsen. Die Streitkräfte seien ausschließlich "zur Verteidigung" aufgestellt worden; alles andere hätte jeden - ohnehin mühsamen - Konsens gesprengt.
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(3) Zu einem verfassungsrechtlichen Wertungswiderspruch zwischen Art. 87a Abs. 2 GG und Art. 24 Abs. 2 GG führe diese Auslegung nicht. Außerhalb von Sonderabkommen nach Art. 43 SVN bestehe gegenüber den Vereinten Nationen keine Pflicht zu militärischen Hilfeleistungen. Art. 24 Abs. 2 GG enthalte keine Ermächtigung an die Exekutive, alles zu tun, was im Rahmen eines Systems der kollektiven Sicherheit notwendig oder nützlich sei. Ihren rechtlichen Pflichten zur Kooperation mit den Vereinten Nationen, deren Erfüllung durch Art. 24 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich gesichert und legitimiert werden solle, könne die Bundesrepublik Deutschland - wie in der Vergangenheit - auch anders als durch militärische Beiträge nachkommen. Wollte man Militäraktionen, zu deren Durchführung keine Verpflichtung nach der Satzung der Vereinten Nationen bestehe, generell durch Art. 24 Abs. 2 GG rechtfertigen, wären die Grenzen des Zulässigen kaum mehr erkennbar; damit wäre die Kontrollfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG in Frage gestellt. Unterhalb der Verpflichtung seien die Formen der Autorisierung durch den Sicherheitsrat vielfältig. Eine Auslegung, die eine irgendwie geartete Anlehnung des Einsatzes deutscher Streitkräfte an Entscheidungen internationaler Organisationen zur verfassungsrechtlichen Legitimation solcher Einsätze ausreichen ließe, würde sich an der ratio des Art. 87a Abs. 2 GG stoßen, nur Maßnahmen unbezweifelbarer Legitimation zu gestat ten. In der gegenwärtigen historischen Situation vermittelten die Vereinten Nationen diese Legitimation nicht oder nicht ohne weiteres. Der Sicherheitsrat habe sich bei seinen Entscheidungen im Golfkrieg und jetzt auch beim Flugverbot über Bosnien-Herzegowina seines Gewaltmonopols, ja seines Entscheidungsmonopols über den Einsatz militärischer Gewalt begeben. Bei der Aktion in Somalia sei weder das Konzept klar noch die Leitung und Verantwortung der Vereinten Nationen. |
(4) Selbst wenn man die Einsätze für an sich verfassungsrechtlich zulässig halte, liege eine Verletzung von Art. 87a Abs. 2 GG jedenfalls deshalb vor, weil die nach der Grundentscheidung des Grundgesetzes für die parlamentarische Bindung des Einsatzes von Streitkräften notwendige parlamentarische Zustimmung fehle.
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b) Sollte es sich entgegen der Auffassung der Antragsteller bei dem Einsatz um "Verteidigung" handeln, so sei die Bundesregierung jedoch nicht berechtigt, aus eigener Kompetenz über den Einsatz zu entscheiden. Es bedürfe eines parlamentarischen Beschlusses gemäß Art. 115a Abs. 1 GG, der für diese Frage unmittelbar oder jedenfalls analog anwendbar sei. Früher habe Art. 59a GG a.F. unmißverständlicher formuliert, daß der Bundestag das Eintreten des Verteidigungsfalls festzustellen habe. Darunter habe ohne weiteres auch der sogenannte Bündnisfall subsumiert werden können. Nach der Entstehungsgeschichte des Art. 115 a GG könne ausgeschlossen werden, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber im Jahr 1968 an dem Prinzip etwas habe ändern wollen, daß der Außeneinsatz der Bundeswehr in jedem der jeweils im Blickfeld des Verfassungsgebers stehenden Fälle von einer parlamentarischen Zustimmung abhängig sei. Die Auffassung, daß Art. 115a GG lediglich die Konsequenzen der Feststellung des Verteidigungsfalles für die innerstaatliche Rechtsordnung im Auge habe und die Frage der Entscheidung über den Einsatz der Bundeswehr gar nicht regele, widerspreche dem Grundanliegen der Wehrverfassung, militärische Machtentfaltung parlamentarischer Kontrolle vorzubehalten.
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c) Auch Art. 79 Abs. 1 und 2 GG sei verletzt. Die begonnene Beratung von Verfassungsänderungen werde durch die Beteiligung der Bundeswehr an den streitigen Einsätzen nicht nur politisch belastet; es würden auch Tatsachen geschaffen, die es dem Bundestag erheblich erschwerten, solche Einsätze verfassungsrechtlich nicht zu legalisieren. Damit werde in die Freiheit des Gesetzgebers, durch Verfassungsänderung zulässige Einsätze der Bundeswehr neu zu definieren, eingegriffen; zumindest werde diese Freiheit gefährdet. |
d) Es seien außerdem Rechte des Bundestages aus Art. 59 Abs. 2 GG verletzt.
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aa) Die Mitwirkung der Bundesregierung an den NATO- und WEU-Beschlüssen zur Überwachung des Embargos und zur Durchsetzung des Flugverbotes sei Bestandteil eines bewußt gesteuerten Prozesses des inhaltlichen Wandels des NATO-Vertrages und damit eine Umgehung des Vertragsänderungsverfahrens gemäß Art. 59 Abs. 2 GG. Ziel des NATO- und des WEU-Vertrages sei die Verteidigung der Mitglieder des Bündnisses gegen einen Angriff von außen. In den vorliegenden Fällen sei kein WEU- oder NATO-Land angegriffen worden oder von einem Angriff bedroht. Sollten die NATO und die WEU nunmehr unter der Leitung, im Auftrag oder auf Ersuchen der Vereinten Nationen Aufgaben der Friedensicherung wahrnehmen, bedeute dies materiell eine Änderung der Zielsetzung und der Pflichten aus dem NATO- und dem WEU-Vertrag. Die Bundesregierung mache geltend, der NATO-Vertrag stehe einer Übernahme solcher neuer Aufgaben nicht entgegen. Daß etwas nicht verboten sei, heiße aber nicht, daß es geboten sei. Nicht alles, was der NATO-Vertrag nicht verbiete, mache er auch zum Vertragsprogramm. Pflichten zur Kooperation bei der Durchführung von Maßnahmen, wie sie hier in Streit stünden, seien im Kooperations- und Integrationsprogramm des NATO-Vertrages nicht angelegt. Der verfassungsrechtlich korrekte Weg, das Ziel einer Änderung der Pflichten der Bundesrepublik aus den Bündnisverträgen zu erreichen, sei der Abschluß von Änderungsverträgen. Hier sei versucht worden, auf "informellem" Weg völkerrechtlich das gleiche Ergebnis zu erreichen. Art. 59 Abs. 2 GG dürfe jedoch nicht dahin ausgelegt werden, daß er die Begründung neuer Vertragspflichten der Bundesrepublik Deutschland unter Umgehung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Kontrolle zulasse.
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bb) Die Petersberg-Erklärung und die Beschlüsse der Ministerräte von NATO und WEU vom 10. Juli 1992 hätten gemäß Art. 59 Abs. 2 GG einer parlamentarischen Zustimmung bedurft. Zwar unterfielen Art. 59 Abs. 2 GG nur alle auf Erzeugung einer völkerrechtlichen Verpflichtung gerichteten wechselseitigen Willenserklärungen; um solche handele es sich hier jedoch. Die Wortwahl der Beschlüsse lege jedenfalls nahe, daß eine rechtliche Bindung gewollt sei. |
Die Beschlüsse regelten auch die politischen Beziehungen des Bundes. Sachlich seien sie ein Ausdruck der politischen Grundentscheidung, das Bündnis schrittweise zu ändern. Wenn die dafür vorgesehene Form nicht gewählt werde, d.h. der neue Weg insgesamt nicht in der notwendigen Form festgelegt werde, müßten die einzelnen rechtlichen Schritte auf diesem Weg, der nur nach einer parlamentarischen Zustimmung eingeschlagen werden dürfe, dem Zustimmungserfordernis unterstellt werden. Sonst wäre es möglich, Art. 59 Abs. 2 GG mit einer "Salamitaktik" zu unterlaufen.
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Zustimmungsbedürftig seien die Beschlüsse auch deswegen, weil Gegenstände der Bundesgesetzgebung geregelt würden. Es handele sich um Angelegenheiten der Verteidigung, durch die Dienstpflichten und unter Umständen auch sonstige persönliche Rechte der Soldaten wesentlich betroffen seien.
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Eine Zustimmungsbedürftigkeit ergebe sich selbst dann, wenn keine rechtliche, sondern nur eine politische Verbindlichkeit gewollt sei. Die generelle Befreiung der politischen Verpflichtungen vom Erfordernis des Art. 59 Abs. 2 GG öffne dem Formenmißbrauch Tür und Tor. Die Grenze des verfassungsrechtlich Hinnehmbaren sei jedenfalls dann erreicht, wenn (wie hier möglicherweise) politische Verpflichtungen zur Änderung von Rechtspflichten verwandt würden, die mit parlamentarischer Zustimmung eingegangen worden seien.
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cc) Bezüglich der Überstellung eines Bundeswehrkontingents an UNOSOM II seien zwischen den Vereinten Nationen und der Bundesrepublik Deutschland wechselseitig Erklärungen abgegeben worden, die auf die Erzeugung gegenseitiger Rechte und Pflichten gerichtet seien und folglich insgesamt einen völkerrechtlichen Ver trag darstellten. Dies ergebe sich insbesondere aus dem Anforderungsschreiben des Generalsekretärs vom 12. April 1993, der Note des Ständigen Vertreters der Bundesrepublik Deutschland vom 26. April 1993, der Antwort des Generalsekretärs vom 28. April 1993, einem weiteren Schreiben des Generalsekretärs vom 11. Mai 1993 und der Antwort des Ständigen Vertreters vom 12. Mai 1993. |
(1) Der Vertrag sei zustimmungsbedürftig, da er sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehe. Die Grundrechte der Soldaten würden durch die Überstellung wesentlich berührt. Ihre Dienstpflichten würden neu definiert. Von den Soldaten werde nach dem Recht der Vereinten Nationen verlangt, daß sie ihre nationale Loyalität hinter der Loyalität gegenüber den Vereinten Nationen zurücktreten ließen. Eine wesentliche Berührung von Grundrechten der Soldaten sei auch wegen der strafrechtlichen Konsequenzen der Überstellung gegeben. Ohne gesetzliche Regelung werde die rechtmäßige Ausübung eines VN-Mandats nicht als strafrechtlicher Rechtfertigungsgrund akzeptiert.
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Der Vertrag sei ferner zustimmungsbedürftig, weil er die politischen Beziehungen des Bundes regele. Dies ergebe sich schon aus den Ausführungen der Bundesregierung, die selbst darauf abstelle, daß die Beteiligung an Friedensstreitkräften der Vereinten Nationen für die Rolle der Bundesrepublik in den internationalen Beziehungen und insbesondere in den Vereinten Nationen von ausschlaggebender Bedeutung sei. Da UNOSOM II das Mandat für Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII SVN besitze, müßten Verträge, mit denen Mitgliedstaaten für diese Streitmacht Kontingente zur Verfügung stellen, als solche im Sinne des Art. 43 SVN qualifiziert werden.
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(2) Die notwendige parlamentarische Zustimmung liege nicht bereits im Zustimmungsgesetz zur Satzung der Vereinten Nationen. Der Hinweis in Art. 43 SVN auf die verfassungsrechtlichen Verfahren der Mitgliedstaaten beim Abschluß derartiger Verträge belege, daß solche militärischen Aktivitäten in der Satzung nicht unmittelbar angelegt seien. Die Mitgliedstaaten seien verpflichtet, über solche Abkommen in positivem Sinne zu verhandeln, nicht aber, sie automatisch auch abzuschließen.
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Selbst wenn man Art. 24 Abs. 2 GG als Modifikation zu Art. 87a Abs. 2 GG verstehe, könne diese Vorschrift nicht von den üblichen Abschlußverfahren für völkerrechtliche Verträge dispensieren. Auch ergebe sich aus der Rechtsprechung zum Wesentlichkeitsprinzip, daß das Zustimmungsgesetz zur Satzung der Vereinten Nationen nicht ausreiche. Diesem eine genügend deutliche gesetzgeberische Entscheidung hinsichtlich soldatischer Loyalitätspflichten von deutschen Blauhelmen oder strafrechtlicher Rechtfertigungsgründe entnehmen zu wollen, sei abwegig. |
e) Darüber hinaus sei auch Art. 24 Abs. 1 GG verletzt. Die Einordnung von Kräften der Bundeswehr in internationale Verbände der NATO, der WEU und der Vereinten Nationen bedeute eine Übertragung von Hoheitsrechten, für die eine gesetzliche Grundlage fehle.
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aa) Eine Übertragung von Hoheitsrechten liege immer dann vor, wenn Personen, die an sich deutscher Hoheitsgewalt unterstünden, einer internationalen Hoheitsgewalt unterstellt würden. Daß die deutsche Hoheitsgewalt vollständig und unwiderruflich zurückgedrängt werde, sei nicht erforderlich.
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(1) Das dem SACEUR übertragene sogenannte "Operational Command" über das in die Adria entsandte Schiff stelle ebenso wie das dem Oberbefehlshaber der Seestreitkräfte im Bereich Europa Süd (CINCNAVSOUTH) übertragene "Operational Control" über die Seeraumüberwachungsflugzeuge eine solche Übertragung von Hoheitsgewalt dar. Das gelte für die Integration deutscher Soldaten im AWACS-Verband unter einheitlicher Befehlsstruktur erst recht. Die Tatsache, daß der deutsche Befehlshaber die Befehlsgewalt jederzeit wieder an sich ziehen könne, ändere nichts an der Tatsache, daß befohlen werde, einem fremden Befehl zu folgen. Eben dies sei Übertragung von Hoheitsrechten.
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(2) Auch bei der Bereitstellung deutscher Soldaten für UNOSOM II sei Hoheitsgewalt übertragen worden. Die Überstellung des deutschen Kontingents an die Vereinten Nationen sei ein Prozeß der Aus- und Eingliederung: Das deutsche Kontingent werde aus dem Hoheitsverband des Heimatstaates (jedenfalls in gewissem Umfang) aus- und in den der Vereinten Nationen eingegliedert. UNOSOM II sei ein Organ der Vereinten Nationen. Völkerrechtlich würden Diensthandlungen der Friedensstreitkräfte den Vereinten Nationen zugerechnet. Intern würden einheitliche, durch die Vereinten Nationen festgelegte Verhaltensregeln für die Streitkräfte gelten. Es bestehe eine durchgehende Befehlskette vom Generalsekretär der Vereinten Nationen über den Oberbefehlshaber der jeweiligen Streitmacht und die Befehlshaber der nationalen Kontingente bis zu dem einzelnen Soldaten. Dies ergebe sich aus dem Anforderungsschreiben der Vereinten Nationen, den "Guidelines for governments contributing troops to UNOSOM II" sowie aus organisationsinternem Gewohnheitsrecht. Die Bundesregierung versuche dieses Ergebnis dadurch zu erschüttern, daß sie auf die von der üblichen VN-Praxis abweichende Wortwahl "Operational Command" und "Operational Control" im Kabinettsbeschluß vom 21. April 1993 und in dem Briefwechsel zwischen dem Generalsekretär und dem Ständigen Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen vom 26./28. April 1993 hinweise. Hier werde ein Sprachgebrauch aus der NATO-Terminologie übernommen, der sich auf die Verhältnisse der Vereinten Nationen nicht ohne weiteres übertragen lasse. Die Verwendung der NATO-Begriffe könne jedenfalls nicht dazu führen, den Bereich Logistik, für den der deutsche Unterstützungsverband zuständig sei, aus den Befugnissen der Vereinten Nationen herauszudefinieren. |
Es könne auch keinem Zweifel unterliegen, daß der UNOSOM II-Befehlshaber die operative Führung über den UNOSOM-Verband insgesamt besitze. Ob und wann Streitkräfte in den Norden Somalias vorrückten, sei eine Entscheidung des Generalsekretärs und des Befehlshabers von UNOSOM II, mit der der Bundesminister der Verteidigung nichts zu tun haben könne. Falle diese Entscheidung, dann müsse auch das deutsche Kontingent seine logistischen Aufgaben entsprechend der Entscheidung der Vereinten Nationen erfüllen.
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Soweit die Absprachen Aufgaben des deutschen Verbandes einschränkten, könne dies nur den Sinn haben, den zuständigen Befehlshaber von UNOSOM II zu hindern, dem Kontingent Befehle zu erteilen, die inhaltlich der vertraglich vereinbarten Aufgaben stellung widersprächen. Gewollt sei eine gewisse inhaltliche Beschränkung der Befehlsgewalt des Generalsekretärs und des Oberbefehlshabers von UNOSOM II. Der Tatbestand einer Übertragung von Befehlsgewalt bleibe jedoch bestehen. |
bb) Für diese Übertragungen von Hoheitsrechten fehle eine gesetzliche Grundlage.
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(1) Die Zustimmungsgesetze zum NATO- und zum WEU-Vertrag seien selbst dann keine hinreichende Grundlage für eine Übertragung von Hoheitsrechten, wenn man die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts im Pershing-Urteil (vgl. BVerfGE 68, 1 [98]) zugrunde lege. Sowohl beim Adria- als auch beim AWACS-Einsatz handele es sich um Einsätze im Rahmen einer gewandelten Zwecksetzung außerhalb des Programms des NATO- und des WEU-Vertrages.
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(2) Hoheitsgewalt sei auf die Vereinten Nationen nicht bereits durch das Zustimmungsgesetz zur Satzung der Vereinten Nationen übertragen worden. Die VN-Satzung habe keine dem NATO-Vertrag vergleichbare spezifische Zielrichtung auf militärische Integration. Im Gegenteil: An der Stelle, an der die Satzung die militärische Integration anspreche, sage sie ausdrücklich, daß diese nicht zum unmittelbaren Vertragsprogramm gehöre. Streitkräfte sollten dem Sicherheitsrat gemäß Art. 43 SVN nur aufgrund besonderer Abkommen zur Verfügung stehen, die erst von den Unterzeichnerstaaten nach Maßgabe ihres Verfassungsrechts ratifiziert werden müßten.
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f) Die Bundesregierung habe durch ihre Beschlüsse vom 15. Juli 1992 und vom 2. April 1993 den Verfassungsgrundsatz der Organtreue verletzt. Durch ihren Beschluß vom 15. Juli 1992 über die Beteiligung der Bundeswehr an Überwachungsmaßnahmen von NATO und WEU habe sie vollendete Tatsachen geschaffen, bevor das Parlament sich mit dem Einsatz habe befassen können. Ihre Entscheidung sei einen Tag vor einer bereits einberufenen gemeinsamen Sitzung des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses gefallen und bekannt gegeben worden. Der Vollzug habe wenige Stunden vor der Sitzung begonnen.
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Bei der parlamentarischen Debatte vom 26. März 1993 zum Thema des AWACS-Einsatzes habe die entscheidende Resolution des Sicherheitsrates noch nicht vorgelegen. Der Grundsatz der Organtreue hätte es erfordert, den Deutschen Bundestag nach Ergehen dieser Resolution erneut zu befassen, bevor endgültig über den ersten Kampfeinsatz deutscher Soldaten von der Bundesregierung beschlossen worden wäre. |
IV. |
Die Antragsgegner halten die Anträge für überwiegend unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet.
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1. a) Die als "Sperrminorität" auftretenden Abgeordneten seien nicht parteifähig. Art. 79 Abs. 2 GG stelle keine Organisationsvorschrift dar, die einen konkreten Organteil - eine "Sperrminorität" - mit eigenen Befugnissen schaffe, sondern sei eine Regel über die Willensbildung im Parlament. Anders als im EVG-Urteil könne auch nicht erwogen werden, aus Art. 79 Abs. 2 GG ein Recht einer qualifizierten Minderheit zu entwickeln (BVerfGE 2, 143 [164]); denn in den vorliegenden Verfahren gehe es - anders als dort - nicht um ein Gesetz und die für seine Verabschiedung erforderliche Mehrheit.
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b) Die einzelnen Abgeordneten seien nicht prozeßführungsbefugt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts könnten Abgeordnete Rechte des Bundestages nur geltend machen, soweit ihr eigener Status von der Beeinträchtigung der Rechte und Pflichten des Bundestages mitbetroffen sei. Eine Verletzung eigener Rechte könnten die Abgeordneten in diesem Zusammenhang jedoch nicht geltend machen. Mitwirkungsrechte von Abgeordneten bestünden zwar gegenüber dem Bundestag, nicht aber gegenüber den Antragsgegnern.
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c) Den Antragstellern fehle die erforderliche Antragsbefugnis. Sie hätten nicht schlüssig dargelegt, daß der Bundestag durch die angegriffenen Maßnahmen in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet worden sei.
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aa) Aus einem vorgeblichen "Handeln ohne Grundgesetzände rung" könnten die Antragsteller eine Antragsbefugnis nicht herleiten. Art. 87a Abs. 2 GG begründe keine eigenen Rechte des Bundestages im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG. Die Antragsteller übersähen, daß die in der Verfassung enthaltene strikte materielle Umschreibung der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr nach geltendem Verfassungsrecht hinsichtlich der organschaftlichen Entscheidungskompetenz eine Mitwirkung des Parlaments gerade nicht verlange. Auch aus Art. 87a Abs. 1, Art. 115a Abs. 1 GG lasse sich nichts über die Erforderlichkeit einer Mitwirkung des Bundestages herleiten. Diese Vorschriften hätten den Zweck, im Spannungs- oder Verteidigungsfall die interne Rechtsordnung der Bundesrepublik umzustellen; über den Streitkräfteeinsatz sagten sie nichts. |
bb) Die angegriffenen Organbeschlüsse der NATO und der WEU seien kein tauglicher Angriffsgegenstand im Organstreitverfahren. Die Bundesrepublik Deutschland sei als Völkerrechtssubjekt an diesen Akten beteiligt. Die völkerrechtliche Repräsentanz der Bundesrepublik in den Organen dieser internationalen Organisationen gehöre verfassungsrechtlich zum ausschließlichen Aufgabenbereich der Exekutive. Staatsrechtliche Wirkung zeitigten derartige Beschlüsse erst dann, wenn der durch sie betroffene Staat über die Zuständigkeit seiner Organe und über ihr Handeln in Reaktion auf den jeweiligen Beschluß befinde; erst diese Umsetzungsakte könnten Streitgegenstand im Organstreitverfahren sein.
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d) Die Anträge gegen den Bundesminister der Verteidigung seien unzulässig, denn es fehle an einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis, an dem der Bundestag und der Bundesminister der Verteidigung unmittelbar beteiligt seien. Der Bundesminister der Verteidigung habe einzig und allein die Beschlüsse der Bundesregierung ausgeführt. Das Grundgesetz knüpfe diese Ausführungsakte nicht an eine wie auch immer geartete Mitwirkung des Bundestages.
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2. Die Anträge seien jedenfalls unbegründet.
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a) Die Beschlüsse der Bundesregierung über die Beteiligung deutscher Streitkräfte an den streitigen Maßnahmen seien mit Art. 87a Abs. 2 GG vereinbar.
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aa) Die Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Aktion in der Adria zur Überwachung des vom Sicherheitsrat verhängten Waffen- und Wirtschaftsembargos sowie an der Operation UNOSOM II sei kein Einsatz im Sinne von Art. 87a Abs. 2 GG. Der Einsatzbegriff sei auf Maßnahmen der vollziehenden Gewalt unter Ausschluß von sonstigen Verwendungsarten zu beschränken. Allen im Grundgesetz aufgeführten Arten des Einsatzes der Streitkräfte (Art. 35 Abs. 2 und 3 GG, Art. 87a Abs. 3 und 4 GG) sei gemeinsam, daß diese Einsatzarten - wie auch immer geartete - Eingriffsbefugnisse einschlössen. Es gehe um hoheitliches Handeln mit der Tendenz zur Zwangsausübung, sei es - bei den Einsätzen im Innern - auf der Basis der einschlägigen staatlichen Gesetze, sei es - beim Einsatz zur Verteidigung - auf der Basis des im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbaren Völkerrechts. Dieses Verständnis des "Einsetzens" und der von Art. 87a Abs. 2 GG nicht erfaßten sonstigen Verwendungen entspreche auch der bisherigen Staatspraxis. |
Die für die Aktion in der Adria bereitgestellten Streitkräfte hätten eine Aufgabe, die nicht mit Eingriffsbefugnissen im dargestellten Sinne verbunden sei. Der NATO-Militärausschuß habe ausdrücklich festgelegt, daß die Überwachung nicht das Recht umfasse, die Bestimmungen des Embargos auch durchzusetzen. Auch der Auftrag des Deutschen Unterstützungsverbandes Somalia sei auf humanitäre Hilfe und logistische Unterstützung beschränkt.
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bb) Die Beteiligung deutscher Soldaten am NATO-AWACS-Verband zur Durchsetzung des vom VN-Sicherheitsrat verhängten Flugverbotes über Bosnien-Herzegowina sei zwar ein Einsatz im Sinne von Art. 87a Abs. 2 GG, dieser sei jedoch durch Art. 24 Abs. 2 GG gerechtfertigt. Das gelte auch für die Entsendung des Unterstützungsverbandes Somalia, wenn man dessen Aufgabe als militärischen Einsatz ansehe.
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cc) (1) Art. 87a Abs. 2 GG entfalte keine Sperrwirkung gegenüber Art. 24 Abs. 2 GG. Da die Bundesrepublik nach der Präambel des Grundgesetzes als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dienen wolle, müsse angenommen werden, daß schon die Schöpfer des Grundgesetzes von der Vorstellung ausgegangen seien, die Bundesrepublik werde Rechte und Pflichten in einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Rahmen der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten wahrnehmen. Diese seien hinsichtlich eines militärischen Beitrags spätestens mit der Einführung des Art. 87a GG a.F. durch Gesetz vom 19. März 1956 geschaffen worden. Eine Einschränkung der Anwendung von Art. 24 Abs. 2 GG sei mit der Einführung des Art. 87a Abs. 2 GG nicht beabsichtigt gewesen. |
(2) Die Vereinten Nationen seien ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne dieser Vorschrift. Die Bundesrepublik Deutschland sei seit dem 18. September 1973 Mitglied der Vereinten Nationen. Sie habe ihren Beitritt ohne Vorbehalt hinsichtlich der Anwendbarkeit bestimmter Vorschriften der VN-Satzung erklärt. Es könne daher nicht angenommen werden, daß die grundgesetzliche Befugnis zur Einordnung in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit nicht zugleich die von Verfassungs wegen erteilte Legitimation umfasse, sich an der Durchführung von satzungsgemäß ergangenen Beschlüssen zu beteiligen. Die Auffassung der Antragsteller, militärische Sanktionsmaßnahmen der VN seien nur auf der Grundlage von Abkommen nach Art. 43 SVN möglich, treffe nicht zu; diese Norm schließe das Zurverfügungstellen von Truppen an die VN auf freiwilliger Basis nicht aus.
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(3) Ihre Legitimation erführen die Einsätze dadurch, daß Grundlage ein satzungsgemäßer Beschluß eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne von Art. 24 Abs. 2 GG sei, dem die Bundesrepublik Deutschland in verfassungsrechtlich zulässiger Weise beigetreten sei. Für Art. 24 Abs. 2 GG sei es auch unerheblich, daß die Durchsetzung des Flugverbotes nicht von jeweils für sich allein handelnden Mitgliedstaaten, son-dern von der NATO als internationaler Einrichtung im Sinne von Art. 48 Abs. 2 SVN übernommen werde. Dieser Umstand sei verfassungsrechtlich allein mit Blick auf Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG oder Art. 24 Abs. 1 GG zu werten.
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b) Die Beschlüsse der Bundesregierung verstießen nicht gegen Art. 79 GG. Der verfassungsändernde Gesetzgeber werde durch die Beteiligung deutscher Streitkräfte an den Maßnahmen nicht präjudiziert. Soweit die Bundesregierung durch ihre Beschlüsse eine bestimmte Staatspraxis begründe, komme dieser kein eigenständiger Normgehalt zu. |
c) Die Beschlüsse der Bundesregierung über die Beteiligung deutscher Streitkräfte an den Maßnahmen verstießen auch nicht gegen Art. 115a GG. Diese Vorschrift begründe keine Entscheidungskompetenz des Bundestages für den Einsatz der Streitkräfte. Die Entscheidung über den Einsatz der Streitkräfte komme - wie sich aus Art. 20 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 65 GG ergebe - der Bundesregierung zu.
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d) Art. 59 Abs. 2 GG sei nicht verletzt.
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aa) Die Überwachungsaktion in der Adria und die Durchsetzung des Flugverbotes über Bosnien-Herzegowina hielten sich im Rahmen des NATO- und des WEU-Vertrages. Beiden Verträgen habe der Bundestag gemäß Art. 59 Abs. 2 GG zugestimmt. Hauptaufgabe von NATO und WEU sei die gemeinsame Verteidigung gegen bewaffnete Angriffe von dritter Seite. Beide Organisationen seien jedoch nicht auf den Aufgabenbereich einer reinen Verteidigungsallianz beschränkt. Schon die Präambel des NATO-Vertrages erkläre, daß die Parteien entschlossen seien, "ihre Bemühungen für eine gemeinsame Verteidigung und für die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit zu vereinigen". Die Orientierung der NATO an einem weiten Verteidigungsbegriff komme besonders deutlich in Art. 2 des NATO-Vertrages zum Ausdruck, in dem die Parteien vereinbarten, "zur weiteren Entwicklung friedlicher und freundschaftlicher internationaler Beziehungen bei(zu)tragen". Auch die Konsultationspflicht des Art. 4 sei umfassend, erstrecke sich also auch auf mögliche Krisenfälle außerhalb Europas. Art. 9 des NATO-Vertrages begründe eine Organisationsgewalt des Rates, deren Umfang dem Aufgabenbereich der Organisation entspreche. Der Brüsseler Vertrag enthalte entsprechende Regelungen. Zwar verpflichte weder der NATO-Vertrag noch der Brüsseler Vertrag die Vertragsparteien, einer Streitpartei der jugoslawischen Krise Beistand zu leisten. Doch lasse sich beiden Verträgen nicht entnehmen, daß eine Verwendung von Streitkräften nur gegen einen bewaffneten Angriff auf eine der Vertragsparteien oder zur Vorbereitung der Abwehr eines solchen zulässig sein solle.
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Zu den notwendigen Aufgaben der NATO und der WEU im Rahmen ihres allgemeinen Auftrages, die Sicherheit ihrer Mitglieder zu gewährleisten, gehöre auch die Verfügbarkeit und prinzipielle Bereitschaft, als "internationale Einrichtungen" im Sinne des Art. 48 Abs. 2 SVN an der Durchsetzung von Beschlüssen des Sicherheitsrates mitzuwirken. Alle NATO-Partner gingen davon aus, daß die freiwillige Unterstützung der Vereinten Nationen bei der Durchsetzung des Embargos und des Flugverbotes in vollem Umfang dem Bereich des NATO-Vertrages unterfalle. Angesichts der veränderten Sicherheitslage in Europa nach Auflösung des Warschauer Paktes und der Sowjetunion hätten die Mitgliedstaaten von NATO und WEU in einer Reihe von Erklärungen den Gehalt der Gründungsverträge beider Organisationen in der nunmehr gegebenen Lage weiter konkretisiert. Im Verständnis der Vertragspartner sei der Rahmen der Verträge dadurch nicht überschritten worden. Nach den grundlegenden Veränderungen in Europa hätten NATO und WEU die Gelegenheit, bestimmte Handlungsformen, die ihre Gründungsverträge ermöglichten, auch tatsächlich zu nutzen. Diese Entwicklung als Überschreitung der Grenzen der Verträge zu bewerten, hieße, eine durch ungünstige Umstände bedingte langjährige Beschränkung für rechtlich geboten zu erklären. Die Mitgliedstaaten der NATO und der WEU hätten die Kommandostrukturen der Bündnisse für ihre gemeinsamen Aktionen verwendet. Sie hätten dadurch Aktivitäten, die sie auch allein hätten vornehmen können, lediglich gebündelt. Eine derartige Bündelung der Unterstützungsmaßnahmen für die Vereinten Nationen sei im Rahmen von Nordatlantikvertrag und Brüsseler Vertrag völkervertragsrechtlich zulässig. |
bb) Bei der Petersberg-Erklärung handele es sich um einen Beschluß des WEU-Ministerrates auf der Grundlage des Art. VIII des Brüsseler Vertrages. Die Erklärung sei lediglich deklaratorisch; sie begründe keine Rechtswirkungen, die nicht bereits im WEU-Vertrag enthalten seien. Insbesondere begründe sie keine Verpflichtungen der Mitgliedstaaten.
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cc) Der Notenwechsel zwischen der Bundesregierung und den Vereinten Nationen vom 26. und 28. April 1993, betreffend die Überstellung des Unterstützungskontingents Somalia, stelle zwar eine völkerrechtliche Vereinbarung dar; sie bedürfe jedoch nicht gemäß Art. 59 Abs. 2 GG der Zustimmung des Bundestages. |
Gegenstände der Bundesgesetzgebung seien nicht berührt. Durch die Eingliederung deutscher Einheiten in UNOSOM II werde an der soldatenrechtlichen Lage der Angehörigen der deutschen Streitkräfte nichts geändert. Der Vertrag regele auch nicht die politischen Beziehungen des Bundes. Hier liege eine freiwillig übernommene Verpflichtung im konkreten Fall vor, die als von dem Konzept der Vereinten Nationen umfaßt angesehen werden müsse, das der Bundestag mit dem Beitrittsgesetz gebilligt habe. Es sei nicht erkennbar, inwiefern hier neue politische Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinten Nationen geregelt werden könnten.
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e) Auch Art. 24 Abs. 1 GG sei nicht verletzt.
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aa) Die Bundesregierung habe für den AWACS-Einsatz der NATO, für die Embargoüberwachung in der Adria auch der WEU Streitkräfte zur Verfügung gestellt; hiermit sei jedoch keine Übertragung von Hoheitsrechten verbunden. Der Bundesminister der Verteidigung habe "full command" behalten. Die integrierte Kommandostruktur der NATO bestehe in einer Form freiwilliger Zusammenarbeit, die keine echte Rechtswirkung von Anordnungen der zentralen NATO-Stäbe auf einzelne Empfänger innerhalb der Bundeswehr erzeuge. Die Weisungsgewalt der NATO-Kommandobehörden sei lediglich aus der nationalen Befehlsgewalt abgeleitet, d.h. sie sei inhaltlich begrenzt und von grundsätzlich anderer Rechtsnatur. Rechtswirkung erhielten die Befehlsbefugnisse der NATO erst und allein durch den von deutscher Seite erteilten Befehl zur Kooperation mit den zuständigen NATO-Stellen. Erst durch einen Anwendungsbefehl der deutschen Rechtsordnung werde der Befehl einer NATO-Kommandobehörde zu einem solchen gegenüber Angehörigen der Bundeswehr.
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Falls die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Pershing- Urteil (BVerfGE 68, 1 [93 ff.]) so zu verstehen sein sollten, daß auch die allgemeine NATO-Kommandostruktur ein Fall der Übertragung von Hoheitsrechten sei, so sei eine solche Übertra gung im gegebenen Fall durch das Zustimmungsgesetz zum NATO-Vertrag gedeckt. Es sei unbestritten, daß der NATO-Vertrag eine Integration der Kommandostrukturen zum Zweck der Verteidigung ermögliche. Der Vertrag selbst enthalte keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Organisationsgewalt des Nordatlantikrates auf die Einrichtung von Kommandostrukturen für den Bündnisfall beschränkt sei. Der Umstand, daß die Voraussetzungen, unter denen eine Unterstützung der Vereinten Nationen in Frage komme, im Vertrag selbst nicht genau bestimmt seien, schade nicht. Insgesamt seien die Verwendungsmöglichkeiten für Aufgaben der Vereinten Nationen durch deren Satzung erheblich eingegrenzt; darin liege ein Ausgleich für die relativ starke Unbestimmtheit der Fälle, in denen die NATO übertragene Hoheitsgewalt zur Friedensicherung ausübe. |
Bei den Überwachungsmaßnahmen im Rahmen der WEU bestünden zwei Unterschiede gegenüber der Aktion im Rahmen der NATO. Zum einen übe der Befehlshaber der italienischen Flotte "Operational Control" über die drei Seeraumüberwachungsflugzeuge nicht im Rahmen einer integrierten WEU-Kommandostruktur aus. Zum anderen handele es sich bei dem Befehlshaber der italienischen Flotte nicht um ein vom WEU- Rat eingesetztes ständiges Organ der WEU. Er sei jedoch für den Fall, daß Art. 24 Abs. 1 GG anwendbar sei, als eine zwischenstaatliche Einrichtung anzusehen. Dieser Unterschied führe deshalb nicht zu einer anderen Beurteilung der Überwachungsaktionen am Maßstab des Art. 24 Abs. 1 GG.
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bb) Auch sei das deutsche Kontingent für UNOSOM II nicht aus dem Hoheitsverband der Bundesrepublik Deutschland ausgegliedert worden. Die Eingliederung des Verbandes in das System "Operational Control" der Vereinten Nationen erzeuge keine unmittelbare Durchgriffswirkung auf die deutschen Soldaten. Befehle an die Angehörigen des deutschen Unterstützungsverbandes erteile allein der deutsche Kommandeur. Er erhalte von dem "Commander Logistic Support Command" der Vereinten Nationen konkrete Aufträge. Diese seien nicht Befehle im Sinne des deutschen Soldatenrechts. Ihre Wirksamkeit bezögen sie erst aus der in einem bestimmten Rahmen erfolgten Eingliederung der deutschen Einheit in UNOSOM II zur Erfüllung des übernommenen allgemeinen Auftrags. Das bedeute, daß der deutsche Kommandeur bei jeder Präzisierung des Auftrages verpflichtet sei, die Einhaltung des Rahmens selbst zu überprüfen und bei Zweifeln sofort seine vorgesetzte nationale Kommandobehörde einzuschalten. Der deutsche Kommandeur habe die Rolle eines für die Außenvertretung der Bundesrepublik Deutschland in der konkreten rechtlichen Beziehung zuständigen Staatsorgans. An dieses Staatsorgan gelangten die im Rahmen des Mandats aufgrund des Übereinkommens zwischen den Vereinten Nationen und der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen Aufträge der zuständigen VN-Stellen. Der deutsche Kommandeur setze sie in Befehle nach deutschem Soldatenrecht um. Hier fehle die für die Übertragung von Hoheitsrechten charakteristische Ausschaltung eines deutschen Umsetzungsaktes. |
Sei man der Auffassung, daß es sich hier um eine Übertragung von Hoheitsrechten handele, so müsse die gesetzliche Ermächtigung im Zustimmungsgesetz zum Beitritt zu den Vereinten Nationen gesehen werden. Das Bundesverfassungsgericht habe angenommen, daß im Nordatlantikvertrag das Programm einer begrenzten Integration enthalten sei (vgl. BVerfGE 68, 1 [98 ff.]). Ebenso müsse die hier erfolgte Zuteilung von deutschen Truppen im Rahmen von UNOSOM II auf der Grundlage einer Resolution des Sicherheitsrates gemäß Kapitel VII SVN als im System der Vereinten Nationen angelegt angesehen werden.
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f) Für die Beteiligung deutscher Streitkräfte an den streitigen Maßnahmen sei weder ein besonderes Gesetz noch eine konstitutive Beschlußfassung des Deutschen Bundestages erforderlich. Die Dienstpflicht der Soldaten sei nicht deswegen auf einen anderen als auf den im Soldatengesetz vorgesehenen Gegenstand bezogen, weil sie für Zwecke der Vereinten Nationen tätig würden. Eine Ausdehnung des Erfordernisses einer Zustimmung des Bundestages auf andere Akte als die Vertragsabschlußerklärung nach Art. 59 Abs. 2 GG habe das Bundesverfassungsgericht im Pershing-Urteil abgelehnt. Aus den gleichen Gründen scheide auch eine analoge Anwendung von Art. 87a Abs. 4 oder Art. 115a GG aus.
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g) Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Organtreue sei nicht verletzt. Es sei dem Bundeskabinett nicht zumutbar, sich in einer eilbedürftigen, weil mit den Partnerstaaten abgestimmten Sache wie der Entsendung der betreffenden Einheiten in die Adria zu vertagen. Dem Bundestag hätten alle parlamentarischen Wege offengestanden, die noch nicht umgesetzte Entscheidung der Bundesregierung zu kritisieren und auf ihre Rücknahme hinzuwirken. Vor ihrem Beschluß über den Verbleib deutscher Soldaten im AWACS-Verband habe die Bundesregierung die Debatte des Bundestages vom 26. März 1993 beobachtet und in ihren Meinungsbildungsprozeß einbezogen. |
V. |
Die Regierungen der Länder Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Saarland haben im Verfahren 2 BvE 3/92 eine gemeinsame Stellungnahme abgegeben. Sie schliessen sich im wesentlichen dem Vorbringen der Antragsteller an.
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Die CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages hat zu den Verfahren 2 BvE 3/92, 2 BvE 5/93 und 2 BvE 8/93 Stellung genommen und ist dem Vortrag der Antragsteller entgegengetreten. Sie macht u.a. geltend, die von den Antragstellern primär als verletzt gerügte Vorschrift des Art. 87a Abs. 2 GG sei auf Einsätze der Streitkräfte im Ausland nicht anwendbar; die Vorschrift regele ausschließlich den Einsatz der Streitkräfte im Innern. Der militärische Einsatz der Armee nach außen sei nur in Grenzen ein taugliches Regelungsthema für die Verfassung. Die Streitkräfte sollten die Bundesrepublik Deutschland verteidigen, ihre Bündnisfähigkeit sichern sowie ihre sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen in diesem Zusammenhang erfüllbar machen. Diese Aufgaben seien vom Verteidigungsauftrag des Art. 87a Abs. 1 GG umfaßt.
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VI. |
In der mündlichen Verhandlung haben sich neben den Streitparteien die Bevollmächtigten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und der Bevollmächtigte der Regierungen der Länder Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Saar land geäußert. Die Beteiligten haben ihr schriftsätzliches Vorbringen vertieft und ergänzt. |
Die an den Verhandlungen und Beratungen über die Notstandsverfassung beteiligten Herren Senatsdirektor a.D. Professor Dr. Claus Arndt und Generalanwalt Professor Dr. Carl Otto Lenz sind als Auskunftspersonen zu der Frage gehört worden, warum der Parlamentsvorbehalt des Art. 59a GG in diesem Zusammenhang entfallen ist.
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Der Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen, Petrovsky, und der Special Adviser UN Yugoslavia, Thavor, haben das Zustandekommen und die möglichen Inhalte von Vereinbarungen zwischen den Vereinten Nationen und den Mitgliedstaaten über die Bereitstellung nationaler Kontingente für VN-Friedenstruppen und die Kommandostrukturen innerhalb solcher Truppen erläutert.
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General Carstens, Chef des Stabes des Obersten Befehlshabers Europa der NATO, hat zu Fragen der Kooperation zwischen der NATO und den Vereinten Nationen Stellung genommen.
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B. |
Die Anträge der Fraktion der SPD und der Fraktion der F.D.P. des Deutschen Bundestages sind im wesentlichen zulässig (I.); die Anträge der ihnen angehörenden Abgeordneten sind unzulässig (II.).
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I. |
1. Fraktionen des Deutschen Bundestages sind im Organstreitverfahren gemäß §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG parteifähig. Sie sind befugt, im eigenen Namen auch Rechte geltend zu machen, die dem Bundestag gegenüber einem möglichen Antragsgegner zustehen können (BVerfGE 2, 143 [165]; st. Rspr.).
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2. Die antragstellenden Fraktionen haben hinreichend deutlich dargelegt, daß der Bundestag durch die angegriffenen Maßnahmen in Rechten verletzt sein könnte, die ihm durch das Grundgesetz übertragen worden sind (§ 64 Abs. 1 BVerfGG).
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a) Das gilt hinsichtlich der Rüge, die Bundesregierung habe durch ihre Beschlüsse über den Einsatz der Streitkräfte, ihre Absprachen mit den Vereinten Nationen über die UNOSOM II-Mission sowie ihre Mitwirkung an Erklärungen und Beschlüssen im Rahmen der NATO und der WEU Rechte des Bundestages als Gesetzgeber aus Art. 59 Abs. 2 und Art. 24 Abs. 1 GG verletzt. Beide Normen sehen ausdrücklich Gesetzgebungsbefugnisse des Bundestages im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten vor und begründen insoweit Rechte des Bundestages im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG (vgl. BVerfGE 68, 1 [69]). Die genannten Maßnahmen gehören in den Bereich der auswärtigen Angelegenheiten. Nach dem Vorbringen der Antragsteller kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, daß die Bundesregierung für jene Maßnahmen einer gesetzlichen Ermächtigung bedurft hätte. |
Auch haben die Antragsteller als möglich dargelegt, daß die Entscheidungen der Bundesregierung über den Einsatz der Streitkräfte Rechte des Bundestages als verfassungsändernder Gesetzgeber aus Art. 87a Abs. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, 79 Abs. 1 und 2 GG verletzt haben können. Zwar ist zweifelhaft, ob und inwieweit Art. 87a Abs. 1 und 2 GG überhaupt kompetenzschützenden Charakter für den Deutschen Bundestag hat. Das Vorbringen der Antragsteller läßt jedoch angesichts des noch offenen Streits über diese Rechtsfrage die Verletzung eines Rechts des Bundestages jedenfalls als möglich erscheinen. Die Antragsteller haben weiterhin dargetan, daß Rechte des Bundestages verletzt sein können, wenn das Grundgesetz den Einsatz bewaffneter Streitkräfte von der vorherigen konstitutiven Zustimmung des Bundestages abhängig machte.
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b) Unzulässig ist hingegen die in den Verfahren 2 BvE 3/92 und 2 BvE 7/93 erhobene Rüge, die Bundesregierung habe den ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz der Organtreue verletzt. Der Grundsatz, daß oberste Staatsorgane bei der Ausübung ihrer Kompetenzen von Verfassungs wegen aufeinander Rücksicht zu nehmen haben (vgl. BVerfGE 12, 205 [254]; 35, 193 [199]; 45, 1 [39]), ist zwar grundsätzlich geeignet, Rechte im Sinne von § 64 Abs. 1 BVerfGG zu begründen. Die Antragsteller haben jedoch nicht sub stantiiert dargelegt, welche Pflichten, die sich nicht bereits aus den selbständig als verletzt gerügten Vorschriften der Art. 24 Abs. 1, 59 Abs. 2, 87a Abs. 2 oder einem etwaigen Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Parlaments ergeben, die Bundesregierung verletzt haben sollte. Wenn die Bundesregierung von Verfassungs wegen berechtigt sein sollte, aus eigener Kompetenz über die streitigen Einsätze zu entscheiden, verstieße sie nicht gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme, wenn sie den Bundestag auf eine nachträgliche Kontrolle ihres Handelns verwiese. Daß der Bundestag dabei behindert worden sei, haben auch die Antragsteller nicht vorgetragen. |
3. Die Anträge sind auch unzulässig, soweit sie sich gegen den Bundesminister der Verteidigung richten. Die F.D.P.-Fraktion und die ihr angehörenden Abgeordneten haben ihren diesbezüglichen Antrag zurückgenommen. Zwar kann neben der Bundesregierung auch der Bundesminister der Verteidigung gemäß § 63 BVerfGG Antragsgegner sein; die Antragsteller haben jedoch nicht dargelegt, daß auch er Rechte des Bundestages verletzt habe. Der Bundesminister der Verteidigung hat kraft seiner Befehls- und Kommandogewalt (Art. 65a GG) die zur Umsetzung der Einsatzentscheidungen der Bundesregierung erforderlichen Befehle gegeben; er hat damit nicht über das "Ob", sondern lediglich über die Modalitäten des Streitkräfteeinsatzes entschieden. Ein Mitentscheidungsrecht über die Einsatzmodalitäten steht dem Bundestag indes unter keinem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt zu.
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4. Im übrigen sind die Anträge der Fraktionen zulässig. Die F.D.P.-Fraktion hat es zwar - anders als die SPD-Fraktion - unterlassen, sich im Bundestag gegen den von ihr angegriffenen Beschluß der Bundesregierung über den Einsatz deutscher Streitkräfte zu wenden. Daraus folgt indessen nicht die Unzulässigkeit ihrer Anträge.
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Sie sind nicht deshalb unzulässig, weil das Begehren der Sache nach auf die Erstattung eines Rechtsgutachtens durch das Bundesverfassungsgericht oder die vorbeugende Inhaltskontrolle einer Regierungsmaßnahme gerichtet wäre. Gegenstand des verfassungsrechtlichen Streits ist nicht eine abstrakte Rechtsfrage, die dem Bundesverfassungsgericht im Vorfeld einer Entscheidung der Regierung zur Begutachtung unterbreitet wird, sondern eine bereits getroffene konkrete Regierungsmaßnahme, die der nachträglichen Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht unterworfen werden soll. Für diese Beurteilung ist nicht entscheidend, daß es der F.D.P.-Fraktion mit ihrem Angriff auf diese Regierungsmaßnahme auch und vor allem darum geht, die umstrittene Auslegung von Vorschriften des Grundgesetzes gerichtlich klären zu lassen, auf die es für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Maßnahme ankommt. Dies ist, wie sich aus § 67 Satz 3 BVerfGG ergibt, ein verfahrensrechtlich zulässiges Rechtsschutzziel im Rahmen eines Organstreits. |
Dieses Ziel kann ein Antragsteller im Organstreit zulässigerweise verfolgen, wenn und soweit er zugleich geltend macht, daß er oder das Organ, dem er angehört, durch die als verfassungswidrig angesehene Maßnahme in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet sei (§ 64 Abs. 1 BVerfGG). Diese Voraussetzung ist, wie oben dargelegt, hier erfüllt. Der Einwand, die F.D.P.-Fraktion dürfe das Gericht nicht anrufen, solange sie nicht versucht habe, die nach ihrer Auffassung verfassungswidrige Regierungsmaßnahme durch einen Beschlußantrag im Deutschen Bundestag zu Fall zu bringen, greift nicht durch. Abgesehen davon, daß die F.D.P.-Fraktion hiermit nicht eine verbindliche Klärung der Rechte des Bundestages erreichen könnte, die der Organstreit ihr gemäß §§ 67, 31 BVerfGG eröffnet, würde die F.D.P.-Fraktion damit auf den Weg des politischen Konflikts mit der von ihr mitgetragenen Bundesregierung und mit dem Koalitionspartner innerhalb des Parlaments verwiesen. Vom Verfahrensrecht des Bundesverfassungsgerichts darf ein solcher mittelbarer Zwang zu einem bestimmten politischen Verhalten nicht ausgehen. Steht einem Antragsteller die prozeßrechtliche Antragsbefugnis zu, so darf er ohne Rücksicht auf seine politischen Motive davon auch dann Gebrauch machen, wenn ihm daneben politische Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die angegriffene Maßnahme zu Fall zu bringen. Der Organstreit ist demgegenüber nicht subsidiär.
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Das Bundesverfassungsgericht hat auf einen ihm angetragenen Organstreit hin schon nicht darüber zu befinden, ob dem Antragsteller zur Verfolgung seines Prozeßzieles außerhalb der gewählten Verfahrensart andere gleichwertige verfassungsrechtliche Wege offengestanden hätten oder noch offenstehen (vgl. BVerfGE 45, 1 [30]). Um so weniger darf es einen Antragsteller auf einen Weg rein politischen Agierens verweisen, der dem Organstreit verfassungsrechtlich und prozessual nicht gleichwertig ist. Der politische Konflikt, der bis zur Aufkündigung der Koalition, die bisher die Regierung getragen hat, gehen kann, mag zwar die Durchführung der angegriffenen Maßnahme politisch verhindern, den dahinter stehenden Streit um die Rechte des Parlaments kann er jedoch nicht klären. Zugleich kann er politische Folgen haben, die weit über das im Organstreit erstrebte Rechtsschutzziel hinausgehen. Die Anwendung des Verfassungsprozeßrechts darf bei gegebener Antragsbefugnis für einen Organstreit nicht dazu führen, daß dem Antragsteller die Freiheit, diese politische Frage frei von prozessualen Zwängen nach politischen Gesichtspunkten zu entscheiden, genommen wird. Die Frage, ob der Organstreit gegenüber politisch-parlamentarischen Handlungsmöglichkeiten subsidiär ist, kann auch nicht unterschiedlich beantwortet werden, je nachdem ob der Bundestag als ganzer oder eine Fraktion Parlamentsrechte einklagt. |
Für die Anträge der F.D.P.-Fraktion besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Auf ihre parlamentarisch-politischen Handlungsmöglichkeiten kann sie unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt im vorliegenden Fall nicht verwiesen werden; sie hätte damit die von ihr behaupteten Rechte des Bundestages nicht zur Wirkung bringen können. Es ist bisher verfassungsrechtlich nicht geklärt, ob ein Beschluß des Bundestages über die Zulässigkeit des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte im Rahmen einer Maßnahme der Vereinten Nationen, wie er von der Fraktion der F.D.P. hätte herbeigeführt werden können, eine die Bundesregierung rechtlich bindende Wirkung entfaltet. Der Organstreit hätte auf diesem Wege weder ersetzt noch verhindert werden können.
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II. |
1. Die in ihrer Eigenschaft als "Sperrminorität" im Rahmen der verfassungsändernden Gesetzgebung (Art. 79 Abs. 2) gestellten Anträge der der SPD-Fraktion angehörenden Abgeordneten sind unzulässig. Die Antragsteller bilden mit 228, 226 und 221 Abgeordneten zwar jeweils mehr als ein Drittel der 662 Mitglieder des Bundestages. Als "Sperrminorität" sind sie jedoch jedenfalls in einem gegen die Bundesregierung gerichteten Organstreit nicht parteifähig.
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Gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG können im Organstreitverfahren neben den obersten Bundesorganen auch Teile dieser Organe Anträge stellen, sofern sie im Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Da die Antragsteller die Anerkennung als parteifähiges Gebilde begehren, um ihre Übergehung als "Sperrminorität" im Verfahren der Verfassungsänderung zu verhindern, könnte sich ein solches Recht nur aus Art. 79 Abs. 2 GG ergeben. Diese Vorschrift verleiht der qualifizierten Minderheit ein solches eigenes Recht jedenfalls nicht gegenüber der Bundesregierung. Gemäß Art. 79 Abs. 2 GG bedarf ein verfassungsänderndes Gesetz der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates. Art. 79 Abs. 2 GG ist somit - nicht anders als Art. 42 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 2, 143 [161]) - eine Regel über die Willensbildung innerhalb des Bundestages. Über die erforderliche Mehrheit für die Verabschiedung der vorliegenden Gesetzentwürfe zur Änderung des Grundgesetzes in bezug auf den Einsatz der Streitkräfte (BTDrucks. 12/2895, 12/3014, 12/3055, 12/4107) besteht jedoch kein Streit. Die von den Antragstellern aufgeworfene Frage, ob vor den Beschlüssen der Bundesregierung über den Streitkräfteeinsatz eine Änderung der Verfassung erforderlich gewesen wäre, wird von Art. 79 Abs. 2 GG nicht beantwortet.
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Der Senat hat allerdings in seiner Entscheidung zum EVG-Vertrag in Erwägung gezogen, "aus Art. 79 Abs. 2 GG trotz des Verbotes der stillschweigenden Verfassungsänderung und der Verfas sungsdurchbrechung in Art. 79 Abs. 1 GG eine Rechtslage der qualifizierten Minderheit zu entwickeln, die sich nicht nur darauf erstrecken würde, daß gegen ihren Widerspruch eine Verfassungsänderung nicht erfolgen könne, sondern auch darauf, daß ohne die von ihrer Mitwirkung abhängende Verfassungsänderung ein Gesetz nicht durch Verkündung den Rechtsschein der Gültigkeit erlangen könne, das inhaltlich mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist" (BVerfGE 2, 143 [164]). Eine solche "Rechtslage der qualifizierten Minderheit" könnte sich allenfalls beim Streit über den verfassungsändernden Charakter einer Gesetzesvorlage im Parlament ergeben; daran fehlt es hier. |
2. Auch der Antrag der 55 der F.D.P.-Fraktion angehörenden Abgeordneten ist unzulässig. Eine Verletzung eigener Rechte im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG haben die Antragsteller nicht dargetan (a); eine Verletzung von Rechten des Parlaments geltend zu machen, sind sie nicht berechtigt (b).
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a) Im Organstreit kann der einzelne Abgeordnete die behauptete Verletzung oder unmittelbare Gefährdung jedes Rechts, das mit seinem Status verfassungsrechtlich verbunden ist, im eigenen Namen geltend machen. Er ist antragsbefugt, wenn er darlegen kann, daß er und der Antragsgegner an einem Verfassungsrechtsverhältnis unmittelbar beteiligt sind und daß der Antragsgegner hieraus erwachsende eigene Rechte des Antragstellers durch die beanstandete Maßnahme oder durch ein Unterlassen verletzt oder unmittelbar gefährdet hat (BVerfGE 70, 324 [350]; 80, 188 [208 f.]).
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Diesen Voraussetzungen genügt der Vortrag der Antragsteller nicht. Sie machen geltend, daß das Recht des Bundestages, neue Arten von Streitkräfteeinsätzen nur im Wege der Verfassungsänderung zuzulassen, übergangen werde; dadurch sei zugleich das Recht der Abgeordneten verletzt, als Mitglieder des Bundestages dessen Befugnisse auszuüben. Mit diesem Vortrag ist die Möglichkeit einer Verletzung eigener Rechte der einzelnen Abgeordneten nicht dargetan. Die Kompetenzen des Bundestages lassen sich nicht als ein Bündel inhaltsgleicher Kompetenzen der Abgeordneten verstehen. Der Bundestag ist nicht lediglich die Summe seiner Mitglieder; er ist selbst Organ und als solches Inhaber originärer Kompetenzen. Nicht der einzelne Abgeordnete, sondern das Parlament als Ganzes im Sinne der Gesamtheit seiner Mitglieder übt als "besonderes Organ" (Art. 20 Abs. 2 GG) die vom Volk ausgehende Staatsgewalt aus (vgl. BVerfGE 44, 308 [316]; 56, 396 [405]; 80, 188 [217]). Der Bundestag nimmt die ihm von der Verfassung zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse allerdings nicht losgelöst von seinen Mitgliedern war. Jeder Abgeordnete ist berufen, an der Arbeit des Bundestages, seinen Verhandlungen und Entscheidungen, teilzunehmen (vgl. BVerfGE 80, 188 [217 f.]). Dieses Recht auf Mitwirkung an der Arbeit des Bundestages begründet jedoch ein unmittelbares Rechtsverhältnis nur zwischen dem einzelnen Abgeordneten und dem Bundestag, nicht zwischen dem Abgeordneten und der Bundesregierung. Auch der Status des Abgeordneten als solcher ist durch die angegriffenen Beschlüsse der Bundesregierung anders als bei der vorzeitigen Auflösung des Bundestages durch den Bundespräsidenten (vgl. BVerfGE 62, 1 [32]) oder bei der Übertragung von Gesetzgebungsbefugnissen des Bundestages auf einen Ausschuß (vgl. BVerfGE 2, 143 [166]) nicht mitbetroffen. |
b) Die Antragsteller sind auch nicht berechtigt, im Wege der Prozeßstandschaft Rechte des Bundestages geltend zu machen. Die Prozeßstandschaft ist eine Ausnahme von dem allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsatz, daß Verfahrensbeteiligte nur eigene Rechte geltend machen können; sie bedarf daher einer ausdrücklichen gesetzlichen Zulassung (vgl. BVerfGE 60, 319 [325]). Eine solche findet sich in §§ 63, 64 Abs. 1 BVerfGG; sie bezieht sich jedoch nur auf die Prozeßstandschaft eines Organteils für das Gesamtorgan (vgl. Clemens, in: Umbach/Clemens [Hrsg.], BVerfGG, §§ 63, 64 Rdnr. 4 ff.), berechtigt aber nicht den einzelnen Abgeordneten.
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Bereits im Urteil zum EVG-Vertrag hat der Senat entschieden, daß als Organteile nur die nach der Geschäftsordnung ständig vorhandenen Gliederungen des Bundestages, wie z.B. die Fraktionen, berufen sind, Rechte des Bundestages geltend zu machen (vgl. BVerfGE 2, 143 [160]). Der einzelne Abgeordnete ist keine solche "Gliederung" des Bundestages, wohl aber erfüllen die Fraktionen diese Voraussetzungen, weil der Bundestag als Gesamtheit durch sie und das in ihnen verkörperte politische Gliederungsprinzip allererst kontinuierlich arbeitsfähig wird. Das Bundesverfassungsgericht erkennt deshalb in ständiger Rechtsprechung die Befugnis der Fraktionen an, auch Rechte des Bundestages in eigenem Namen geltend zu machen (BVerfGE 2, 142 [160]; 45, 1 [28 f.]; 76, 100 [125]; 68, 1 [65]; 70, 324 [351]). Das dient zugleich der Sicherung der Rechte des Parlaments innerhalb des parlamentarischen Regierungssystems. Dieses System führt zu einer weitgehenden politischen Übereinstimmung von Regierung und sie tragender parlamentarischer Mehrheit. Demgemäß war im Parlamentarischen Rat der Schutz der Parlamentsminderheit der Grund dafür, "andere Beteiligte, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind" (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG), zum Organstreit zuzulassen. Gedacht war dabei vor allem an die Oppositionsfraktion. Der Minderheitenschutz zielte auf den Schutz der organisierten parlamentarischen Minderheit. Man wollte nicht "ganz kleinen Gruppen", sondern dem parlamentarischen Gegenspieler der Regierungsmehrheit den Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht eröffnen (Sten.Prot. der 23. Sitzung des Parlamentarischen Rates - Hauptausschuß - vom 8. Dezember 1948, S. 273 f. [Dr. Dehler, F.D.P.; Dr. de Chapeaurouge, CDU]). |
C. |
Die Anträge sind - soweit zulässig - teilweise begründet.
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Die von der Bundesregierung beschlossenen Einsätze deutscher Streitkräfte, denen jeweils ein vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erteiltes Mandat zugrunde liegt, finden ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 24 Abs. 2 GG, der den Bund ermächtigt, sich einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einzuordnen (I.). Die Vorschrift des Art. 87a GG steht dieser Auslegung des Art. 24 Abs. 2 GG nicht entgegen (II.). Die Beschlüsse der Bundesregierung über den Einsatz deutscher Streitkräfte in Somalia und ihr hierauf bezüglicher Briefwechsel mit dem Generalsekre tariat der Vereinten Nationen sind mit Art. 59 Abs. 2 GG vereinbar. Im übrigen kann wegen Stimmengleichheit im Senat nicht festgestellt werden, daß die Bundesregierung gegen Art. 59 Abs. 2 Satz 1, 1. Alternat. GG verstoßen hat (III.). Alle Einsatzentscheidungen bedurften jedoch einer vorherigen konstitutiven Zustimmung des Bundestages (IV.). |
I. Art. 24 Abs. 2 GG |
1. Art. 24 Abs. 2 GG ermächtigt den Bund, sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einzuordnen. Diese Ermächtigung berechtigt den Bund nicht nur zum Eintritt in ein solches System und zur Einwilligung in damit verbundene Beschränkungen seiner Hoheitsrechte. Sie bietet vielmehr auch die verfassungsrechtliche Grundlage für die Übernahme der mit der Zugehörigkeit zu einem solchen System typischerweise verbundenen Aufgaben und damit auch für eine Verwendung der Bundeswehr zu Einsätzen, die im Rahmen und nach den Regeln dieses Systems stattfinden.
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Ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit stützt sich regelmäßig auch auf Streitkräfte, die dazu beitragen, den Auftrag des Systems zu erfüllen, und als ultima ratio gegen einen Friedensstörer eingesetzt werden können. Die Mitgliedstaaten müssen daher grundsätzlich bereit sein, der Sicherheitsorganisation zur Wahrung oder Wiederherstellung des Friedens auch militärische Mittel zur Verfügung zu stellen (vgl. dazu Delbrück, Collective Security, in: Bernhardt [ed.] Encyclopedia of Public International Law, Instalment 3, 1982, S. 104 [106]).
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Schon im Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee wurde an die Möglichkeit einer Zugehörigkeit der Bundesrepublik zu einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit gedacht:
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"Das Deutsche Volk ist gewillt, künftighin auf den Krieg als Mittel der Politik zu verzichten und hieraus die Folgerungen zu ziehen. Um aber nicht wehrlos fremder Gewalt preisgegeben zu sein, bedarf es der Aufnahme des Bundesgebietes in ein System kollektiver Sicherheit, das ihm den Frieden gewährleistet. Nach der einmütigen Auffassung des Konvents muß der Bund bereit sein, im Interesse des Friedens und einer dauerhaften Ordnung der europäischen Verhältnisse in die sich aus einem solchen System ergebenden Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einzuwilligen. Zwar wird damit dem deutschen Volk eine Vorleistung zugemutet. Nach dem, was im Namen des deutschen Volkes geschehen ist, ist aber eine solche Vorleistung, die entsprechende Leistungen der anderen beteiligten Staaten im Gefolge hat, angebracht." (Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948, in: Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und Protokolle, Bd. 2, 1981, Dokument Nr. 14, S. 504 ff. [517]). |
Gleiches gilt für den Parlamentarischen Rat (vgl. etwa die Äußerung des Abgeordneten Dr. Carlo Schmid im Hauptausschuß, 6. Sitzung vom 19. November 1948, Sten.Prot. S. 69 ff. [70 f.]). Der Verfassungsgeber von 1949 war sich in diesem Zusammenhang der - auch militärischen - Voraussetzungen für ein effektives System kollektiver Sicherheit und einer entsprechenden Verpflichtung auch der Bundesrepublik Deutschland durchaus bewußt (vgl. oben A.I.1.b). Art. 24 Abs. 2 GG sollte einen Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu einem System kollektiver Sicherheit - einschließlich seiner Möglichkeiten zu militärischen Sanktionen - verfassungsrechtlich eröffnen.
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2. Art. 24 Abs. 2 GG regelt die Beteiligung Deutschlands an einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit sowie die Einwilligung in die damit verbundene Beschränkung von Hoheitsrechten einschließlich militärischer Kommandobefugnisse. Zur Friedenswahrung darf die Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage dieser Vorschrift in eine "Beschränkung" ihrer Hoheitsrechte einwilligen, indem sie sich an Entscheidungen einer internationalen Organisation bindet, ohne dieser damit schon im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG Hoheitsrechte zu übertragen.
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Die Frage nach den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen und Grenzen für eine Einräumung von Hoheitsrechten an zwischenstaatliche Einrichtungen gemäß Art. 24 Abs. 1 GG stellt sich nicht, da die Teilnahme deutscher Streitkräfte an friedensichernden Operationen von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit deren Einordnung in ein solches Organisationssystem zur Folge hat, nicht aber dem System die Kompetenz zuweist, Hoheitsbefugnisse mit unmittelbarer Wirkung im innerstaatlichen Bereich auszuüben. |
a) aa) Der Tatbestand eines "Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit" hat völkerrechtlich zur Zeit der Entstehung des Grundgesetzes unterschiedliche Deutungen erfahren (vgl. Tomuschat, BK, Art. 24 [Zweitbearbeitung 1985], Rdnr. 132 f.); und er wird bis heute nicht einheitlich interpretiert (vgl. einerseits Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Art. 24 Abs. 2, 1992, Rdnr. 11 f. m.N.; andererseits Doehring, in: HStR VII 1992, § 177 Rdnr. 4 ff.; Wolfrum, ebd., § 176 Rdnrn. 1 f., 17). Auch im Parlamentarischen Rat bestanden keine klaren Vorstellungen über den Tatbestand der gegenseitigen kollektiven Sicherheit. Der Abg. Dr. von Mangoldt verwies im Ausschuß für Grundsatzfragen darauf, daß das System gegenseitiger kollektiver Sicherheit das Weltsystem der Vereinten Nationen sei, dieses aber auch durch den Art. 53 SVN die regionalen Pakte zulasse. Dem stimmte der Abg. Dr. Carlo Schmid zu: "Die einzige echte Realität auf dem Gebiet der Sicherheit, die im Rahmen der UN geschaffen worden ist, sind die regionalen Pakte" (20. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen vom 10. November 1948 [Wortprotokoll], in: Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und Protokolle, Bd. 5/2, 1993, Dokument Nr. 25, S. 521 [543]). Damals bestand - neben dem auf dem Rio-Pakt vom 2. September 1947 (UNTS 21, 78) basierenden interamerikanischen Sicherheitssystem und der 1945 gegründeten Arabischen Liga (Satzung vom 22. März 1945, UNTS 70, 248) - nur eine Organisation, die als regionale Abmachung oder Einrichtung im Sinne der Art. 52 f. SVN qualifiziert werden kann: die durch den Brüsseler Pakt vom 17. März 1948 (UNTS 19, 51) konstituierte Westeuropäische Union.
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Während diese Äußerungen darauf hindeuten, daß das in Art. 24 Abs. 2 GG gemeinte "System gegenseitiger kollektiver Sicherheit" sowohl Bündnisse zur Friedenswahrung unter den Mitgliedern als auch Sicherheitsbündnisse umschließt, die potentielle Angreifer mit Hilfe einer gegenseitigen Beistandsverpflichtung abschrecken, werden spätere Äußerungen des Abg. Dr. Carlo Schmid für eine Einengung des Begriffs ausschließlich auf ein nach innen gerichtetes, unter den Mitgliedstaaten friedenstiftendes System in Anspruch genommen. Gegenüber dem Antrag des Abg. Dr. Menzel, statt "gegenseitiger kollektiver Sicherheit" den Begriff "gemeinsame Sicherheit" zu verwenden, erklärte der Abg. Dr. Carlo Schmid, daß der Begriff "kollektive Sicherheit" ein terminus technicus sei. "Unter 'kollektiver Sicherheit' ist etwas ganz Präzises zu verstehen, eine Institution aus dem großen Gebiet des Kriegsverhütungsrechts, das in den modernen Lehrbüchern als besonderer Abschnitt des Systems des positiven Völkerrechts behandelt zu werden pflegt" (Hauptausschuß, 6. Sitzung vom 19. November 1948, Sten.Prot., S. 69 [70 f.]). Was das Völkerrecht allerdings unter diesem Begriff versteht, wird nicht ausdrücklich gesagt. |
Den Begriff erläuterte von Mangoldt in einer ersten Kommentierung des Art. 24 GG als einen offenen Tatbestand: "Unter einem System kollektiver Sicherheit wird in der völkerrechtlichen Theorie ein bündisches System der internationalen Friedensicherung verstanden ... Für seine Verwirklichung stehen, wie in neuerer Zeit zunehmend erkannt worden ist, verschiedene Möglichkeiten und unterschiedliche Rechtsformen, von Defensivbündnissen über Neutralisierungen zu universalen Gemeinschaften, wie Völkerbund und Vereinten Nationen, zur Verfügung" (Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, 1. Aufl., 1953, Art. 24, Erl. 4).
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bb) Ausdrückliches Regelungsziel des Art. 24 Abs. 2 GG war es, ein staatenübergreifendes System der Friedensicherung zu schaffen, das der Bundesrepublik Deutschland zudem die militärische Sicherheit geben sollte, die sie damals schon mangels eigener Streitkräfte nicht gewährleisten konnte. Die Bundesrepublik baut insoweit zur Friedensicherung auf die Mitgliedschaft in einem System mit anderen Staaten. Der Begriff "gegenseitiger kollektiver Sicherheit" sollte klarstellen, daß die Bundesrepublik Deutschland durch die Einordnung in ein solches System nicht lediglich Pflichten übernimmt, sondern als Gegenleistung auch das Recht auf Beistand durch die anderen Vertragspartner erwirbt; jeder Staat soll gleich zeitig Garant und Garantieempfänger sein (vgl. oben zu a)aa) sowie Tomuschat, a.a.O., Rdnr. 139). Das System gegenseitiger kollektiver Sicherheit begründet durch ein friedensicherndes Regelwerk und den Aufbau einer eigenen Organisation für jedes Mitglied einen Status völkerrechtlicher Gebundenheit, der wechselseitig zur Wahrung des Friedens verpflichtet und Sicherheit gewährt. Ob das System dabei ausschließlich oder vornehmlich unter den Mitgliedstaaten Frieden garantieren oder bei Angriffen von außen zum kollektiven Beistand verpflichten soll, ist unerheblich. |
Auch der Hinweis im Parlamentarischen Rat auf die Vereinten Nationen (vgl. oben aa) begründet für die Auslegung des Art. 24 Abs. 2 GG keine strikte Gegenläufigkeit von kollektiver Sicherheit und kollektiver Selbstverteidigung. Schon die Satzung der Vereinten Nationen läßt in Art. 51 nicht nur die individuelle, sondern auch die kollektive Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff zu. Sie bildet für die VN-Mitglieder die völkerrechtliche Grundlage für heute existierende Verteidigungsbündnisse wie z.B. NATO und WEU. Insoweit bestätigt die Satzung, daß sich zur Wahrung des internationalen Friedens eine Organisationsform, in der alle Mitglieder einem Angegriffenen bei einem Angriff eines Mitgliedstaates beistehen, und eine solche, in der sich die Mitgliedstaaten zur gegenseitigen Unterstützung bei einem Angriff durch einen Nicht-Mitgliedstaat verpflichten, ergänzen. Auch Bündnisse kollektiver Selbstverteidigung können somit Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne des Art. 24 Abs. 2 GG sein, wenn und soweit sie strikt auf die Friedenswahrung verpflichtet sind.
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b) Die Vereinten Nationen sind ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne von Art. 24 Abs. 2 GG. Sie sind darauf angelegt, Streitigkeiten unter ihren Mitgliedern auf friedliche Weise beizulegen und notfalls durch Einsatz von Streitkräften den Friedenszustand wiederherzustellen. Dabei sind die Mitgliedstaaten zu entsprechender Zusammenarbeit verpflichtet. Die Charta der Ver einten Nationen beschränkt die einzelnen Mitglieder in der Wahrnehmung ihrer Hoheitsrechte; insbesondere sind die Beschlüsse des Sicherheitsrates gemäß Art. 25 SVN bindend und müssen nach Maßgabe dieser Bindung von den Mitgliedstaaten ausgeführt werden. |
c) Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 18. Dezember 1984 das Zusammenwirken von Washingtoner Vertrag, Aufenthaltsvertrag und Deutschlandvertrag in seinen Auswirkungen auf die deutsche Gebietshoheit als Einräumung von Hoheitsrechten im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG qualifiziert (BVerfGE 68, 1 [80 f., 93 ff.]). Dort ist offengeblieben, ob die NATO ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne des Art. 24 Abs. 2 GG ist (a.a.O., S. 95). Diese Frage bedarf nunmehr unter dem Blickwinkel einer Entscheidung, daß NATO und WEU Mandate des VN-Sicherheitsrates im ehemaligen Jugoslawien unter deutscher Beteiligung ausführen und dabei integrierte Strukturen der NATO in Anspruch nehmen. Die Einwilligung in die Beschränkung deutscher Hoheitsrechte, die mit der Einordnung in solche Strukturen unter Überlassung militärischer Kommandogewalt verbunden ist, muß am Maßstab des Art. 24 Abs. 2 GG gemessen werden.
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Die NATO bildet ein Sicherheitssystem, in dem die Mitglieder "ihre Bemühungen für die gemeinsame Verteidigung und für die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit ... vereinigen" (Präambel des NATO-Vertrages). Sie verfolgt dieses Ziel gemäß Art. 5 des NATO-Vertrages insbesondere dadurch, daß sie einem Angriff gegen eine der Vertragsparteien eine Bündnisverpflichtung entgegenstellt, nach der jede der Vertragsparteien einen solchen Angriff als gegen alle Vertragspartner gerichtet ansehen wird. Dabei beanspruchen die Vertragsparteien für den Bündnisfall, die in Art. 51 SVN anerkannten Rechte individueller oder kollektiver Selbstverteidigung wahrzunehmen. Die NATO dient der Wahrung des Friedens auch dadurch, daß die Vertragsparteien sich nach Art. 1 des NATO-Vertrages verpflichten, Streitfälle, an denen sie beteiligt sind, mit friedlichen Mitteln zu lösen. Sie zeichnet sich überdies durch die Ausbildung hochdifferenzierter integrierter militärischer Kommandostrukturen und die Aufstellung gemeinsamer Verbände vor herkömmlichen Militärallianzen aus und bewirkt damit nicht zuletzt, daß die Streitkräfte der Mitgliedstaaten in einer Weise miteinander verflochten werden, die die Sicherheit unter ihnen selbst erhöht. Außerdem begründet Art. 4 des NATO-Vertrages eine Konsultationspflicht für alle Partnerstaaten in Krisenfällen. |
Damit ist die NATO durch ein friedensicherndes Regelwerk und den Aufbau einer Organisation gekennzeichnet, die es zulassen, sie als System gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne des Art. 24 Abs. 2 GG zu bewerten.
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3. Die Einordnung Deutschlands in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit bedarf nach Art. 24 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG der Zustimmung des Gesetzgebers. Dieser Gesetzesvorbehalt überträgt dem Bundestag als Gesetzgebungsorgan ein Mitentscheidungsrecht im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten (vgl. BVerfGE 68, 1 [84 f.]) und begründet insoweit ein Recht des Bundestages im Sinne von § 64 Abs. 1 BVerfGG.
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Hat der Gesetzgeber der Einordnung in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit zugestimmt, so ergreift diese Zustimmung auch die Eingliederung von Streitkräften in integrierte Verbände des Systems oder eine Beteiligung von Soldaten an militärischen Aktionen des Systems unter dessen militärischem Kommando, soweit Eingliederung oder Beteiligung in Gründungsvertrag oder Satzung, die der Zustimmung unterlegen haben, bereits angelegt sind. Die darin liegende Einwilligung in die Beschränkung von Hoheitsrechten umfaßt auch die Beteiligung deutscher Soldaten an militärischen Unternehmungen auf der Grundlage des Zusammenwirkens von Sicherheitssystemen in deren jeweiligem Rahmen, wenn sich Deutschland mit gesetzlicher Zustimmung diesen Systemen eingeordnet hat.
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4. Die Mitwirkung eines deutschen Kontingents an der VN-Aktion UNOSOM II findet in Art. 24 Abs. 2 GG ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung. Die ihr zugrundeliegende Vereinbarung bedurfte nicht einer gesonderten Zustimmung des Gesetzgebers.
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a) Die deutsche Beteiligung an friedensichernden Operationen der Vereinten Nationen ist durch Art. 24 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich legitimiert. Friedenstruppen und ihre friedensichernden Aufgaben sind Bestandteil des Systems kollektiver Sicherheit der Vereinten Nationen, wie es sich in der praktischen Handhabung der VN-Satzung entwickelt und in das sich die Bundesrepublik Deutschland durch den mit gesetzlicher Zustimmung im Jahre 1973 vollzogenen Beitritt eingeordnet hat. Nehmen die zuständigen Organe der Vereinten Nationen Aufgaben, Kompetenzen und Befugnisse wahr, die in der Satzung angelegt sind, so bildet die gemäß Art. 24 Abs. 2 GG vollzogene Einordnung die verfassungsrechtliche Grundlage auch für eine Beteiligung deutscher Streitkräfte an den durch Beschlüsse des Sicherheitsrates autorisierten friedensichernden Operationen der Vereinten Nationen. |
Dies ist bei dem vom Sicherheitsrat erteilten Mandat für UNOSOM II der Fall, auch wenn dabei Organisationsformen und Handlungsbefugnisse aus Kapitel VI und VII der VN-Satzung kombiniert worden sind.
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b) Die mit der Übertragung von Operational Control auf den Oberbefehlshaber von UNOSOM II gemäß dem Briefwechsel zwischen dem Generalsekretariat der Vereinten Nationen und dem Ständigen Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen verbundene Beschränkung von Hoheitsrechten ist durch das Zustimmungsgesetz zum Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Charta der Vereinten Nationen vom 6. Juni 1973 gedeckt.
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Art. 42 SVN sieht vor, daß der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens erforderlichen militärischen Zwangsmaßnahmen mit ihm zur Verfügung stehenden Streitkräften durchführen kann. Zwar kann der Sicherheitsrat Mitgliedstaaten ohne Abkommen gemäß Art. 43 SVN nicht dazu verpflichten, Streitkräfte zur Verfügung zu stellen; Militäreinsätze können aber mit ad hoc freiwillig gestellten Truppen unter einer Befehlsgewalt der Vereinten Nationen durchgeführt werden (vgl. Frowein, in: Simma [Hrsg.], Charta der Vereinten Nationen, Kommentar, Art. 43 Rdnr. 18).
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Bei den von den Vereinten Nationen seit 1956 durchgeführten peace-keeping-Operationen wird regelmäßig zwischen den Regierungen der Entsendestaaten und den Vereinten Nationen ein Verfahren zur Aufstellung der Friedenstruppen abgesprochen und praktiziert, bei dem die den Vereinten Nationen zur Verfügung gestellten nationalen Kontingente in die Organisation der Vereinten Nationen integriert und zum Zweck der gemeinsamen Führung einer begrenzten Befehlsgewalt eines VN-Kommandeurs unterstellt werden (vgl. Bothe, in: Simma [Hrsg.], Charta der Vereinten Nationen, Kommentar, nach Art. 38 Rdnr. 61 ff.). In diese Praxis der Aufstellung von Friedenstruppen, die unter einheitlichem VN-Kommando operieren, ordnet sich die Vereinbarung über die deutsche Beteiligung am Somalia-Einsatz der Vereinten Nationen ein. |
5. Auch die Beteiligung deutscher Streitkräfte an der von NATO und WEU durchgeführten Überwachung des vom Sicherheitsrat mit den Resolutionen Nrn. 713 und 757 beschlossenen Waffen- und Handelsembargos gegen Restjugoslawien in der Adria und an der Überwachung und Durchsetzung des vom Sicherheitsrat verhängten Flugverbots im Luftraum über Bosnien-Herzegowina durch den NATO-AWACS-Verband gemäß den Sicherheitsrats-Resolutionen Nrn. 781 und 816 findet ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 24 Abs. 2 GG in Verbindung mit den Zustimmungsgesetzen zum Beitritt zum Nordatlantikvertrag (BGBl. 1955 II S. 256) und zur Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430) (a). Die Teilnahme deutscher Streitkräfte an diesen Operationen in integrierten NATO-Verbänden ist durch diese Zustimmungsgesetze gedeckt (b).
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a) aa) Dem Sicherheitsrats-Beschluß Nr. 713, der ein bindendes Waffenembargo gegen Jugoslawien anordnete, liegt die Feststellung zugrunde, die fortdauernden Kampfhandlungen in Jugoslawien und deren Auswirkungen auf die Länder der Region stellten eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dar. In der Resolution Nr. 757 konstatiert der Sicherheitsrat, daß die Situation in Bosnien und Herzegowina und anderen Teilen der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien friedensbedrohend sei, und ahndet eine der neu gegründeten Föderativen Republik Jugoslawien zugerechnete, andauernde Mißachtung der territorialen Integrität und Unabhän gigkeit Bosnien-Herzegowinas mit wirtschaftlichen Sanktionen. Beide Resolutionen stützen sich auf das Kapitel VII SVN. |
Mit dem Erlaß eines Flugverbots über Bosnien-Herzegowina durch Sicherheitsrats-Resolution Nr. 781 wurde der Sicherheitsrat tätig "gemäß den Bestimmungen der Resolution Nr. 770 (1992), mit denen bezweckt wurde, die Sicherheit der Auslieferung humanitärer Hilfsgüter in Bosnien und Herzegowina zu gewährleisten". In dieser Resolution Nr. 770 (1992) vom 13. August 1992 (VN 1992, S. 216) hatte der Sicherheitsrat seine Feststellung über die friedensbedrohende Lage in Bosnien und Herzegowina wiederholt und unter Berufung auf Kapitel VII SVN die Staaten aufgefordert, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Auslieferung humanitärer Hilfsgüter in Sarajevo und in allen anderen Teilen Bosniens und Herzegowinas zu erleichtern.
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bb) Der Einsatz integrierter NATO-Verbände bei der Überwachung des von den Vereinten Nationen verhängten Embargos gegen Restjugoslawien stützt sich auf die zu seiner Durchsetzung autorisierenden Sicherheitsrats-Resolutionen Nrn. 713, 724 und 757. Wie den angegriffenen Beschlüssen des WEU-Ministerrates und des NATO-Außenministerrates vom 10. Juli 1992 zu entnehmen ist, wollen WEU und NATO mit ihrer untereinander koordinierten Seeüberwachungsoperation die nach Kapitel VII SVN ergangene Resolution Nr. 757 des Sicherheitsrates ausführen, in der alle Staaten u.a. dazu aufgefordert werden, mit dem durch Resolution Nr. 724 eingesetzten Ausschuß zusammenzuarbeiten und diesem Informationen über Embargo-Verstöße zu übermitteln.
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Durch die im Rahmen von NATO und WEU durchgeführten Operationen leisten deren Mitgliedstaaten ihren Beitrag zur Durchsetzung des für sie als Mitglieder der Vereinten Nationen gemäß Art. 41 in Verbindung mit Art. 48 SVN verbindlichen Embargos. Im institutionellen Rahmen dieser internationalen Organisationen erfüllen die daran beteiligten Mitgliedstaaten ihre Pflicht zur Unterstützung der Sicherheitsrats-Beschlüsse. NATO und WEU werden auf diese Weise in das VN-Friedenssicherungssystem einbezogen. Sie stützen ihr Handeln ausweislich der Ratsbeschlüsse vom 10. Juli 1992 auf die die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen autorisierenden Sicherheitsrats-Beschlüssen Nrn. 713, 724 und 757. |
Gleiches gilt für die von der NATO ausgeführte Aufgabe, mit ihrem Frühwarnverband AWACS das vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verhängte Flugverbot im Luftraum über Bosnien-Herzegowina gemäß den Resolutionen Nrn. 781 und 816 zu überwachen und seine Einhaltung nötigenfalls militärisch durchzusetzen.
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b) Bei den hier zu beurteilenden Einsätzen haben NATO-Kommando-Behörden Operational Control über deutsche Streitkräfte. Das gilt sowohl für die an der Seeüberwachung des Embargos beteiligten Marinestreitkräfte als auch für die im AWACS-Verband mitwirkenden Soldaten.
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Der Eingliederung deutscher Streitkräfte in integrierte Verbände der NATO hat der deutsche Gesetzgeber durch den Beitritt zum Nordatlantikvertrag zugestimmt (vgl. BVerfGE 68, 1 [99 ff.]). Diese Zustimmung umfaßt auch den Fall, daß integrierte Verbände im Rahmen einer Aktion der Vereinten Nationen, deren Mitglied die Bundesrepublik Deutschland ist, eingesetzt werden.
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II. Art. 87a GG |
Art. 87a GG steht der Anwendung des Art. 24 Abs. 2 GG als verfassungsrechtliche Grundlage für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit nicht entgegen. Nach Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG stellt der Bund "Streitkräfte zur Verteidigung" auf; nach Art. 87a Abs. 2 GG dürfen diese Streitkräfte "außer zur Verteidigung" nur eingesetzt werden, soweit das Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt. Die mannigfachen Meinungsverschiedenheiten darüber, wie in diesem Zusammenhang die Begriffe der "Verteidigung" und des "Einsatzes" auszulegen sind, und ob Art. 87a Abs. 2 GG als eine Vorschrift zu verstehen ist, die nur den Einsatz der Streitkräfte "nach innen" regeln will, bedürfen in den vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung. Denn wie immer dies zu beantworten sein mag, jedenfalls wird durch Art. 87a GG der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit, dem die Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 24 Abs. 2 GG beigetreten ist, nicht ausgeschlossen. Ebenso kann unentschieden bleiben, ob und gegebenenfalls inwieweit Art. 87a Abs. 1 und 2 GG kompetenzschützenden Charakter hat und Rechte des Bundestages im Sinne des § 64 BVerfGG begründet. |
Art. 24 Abs. 2 GG gehört zu denjenigen Vorschriften, die von Beginn an Bestandteil des Grundgesetzes waren. Wie dargelegt (oben I.), bietet die Bestimmung auch die Grundlage für eine Verwendung der Bundeswehr zu Einsätzen, die im Rahmen und nach den Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit stattfinden. Daß der verfassungsändernde Gesetzgeber daran, insbesondere bei Gelegenheit der Ergänzungen des Grundgesetzes durch die Gesetze vom 26. März 1954 (BGBl. I S. 45), vom 19. März 1956 (BGBl. I S. 111) und vom 24. Juni 1968 (BGBl. I S. 709), etwas geändert hätte, ist nicht ersichtlich. Das gilt vor allem für die Einfügung der Notstandsverfassung in das Grundgesetz. Hierbei ging es nicht darum, Mitwirkungsmöglichkeiten Deutschlands im Rahmen etwa der Vereinten Nationen zu schmälern, denen die Bundesrepublik damals noch nicht beigetreten war und denen beizutreten aus damaliger Sicht auch auf absehbare Zeit nicht möglich zu sein schien; diese Frage lag außerhalb dessen, was zwischen den Beteiligten in diesem Zusammenhang den Gegenstand der Verhandlung bildete. Ihre Aufmerksamkeit war vielmehr darauf gerichtet, den Verfassungsvorbehalt des Art. 143 des Grundgesetzes in der Fassung vom 19. März 1956 (BGBl. I S. 111) auszufüllen und im Grundgesetz nunmehr auch die Voraussetzungen zu regeln, unter denen die Streitkräfte im Falle eines inneren Notstandes eingesetzt werden dürfen. Darüber hinaus sollte die Notstandsverfassung weder neue Einsatzmöglichkeiten der Streitkräfte schaffen noch im Grundgesetz bereits zugelassene beschränken.
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Das wird auch durch die Motive belegt. So sollte nach dem Bericht des Rechtsausschusses durch Art. 87a Abs. 2 GG verhindert werden, daß "ungeschriebene Zuständigkeiten aus der Natur der Sache" abgeleitet werden. Nicht dagegen sollten Befugnisse ausgeschlossen werden, "die sich aus einem Wortzusammenhang mit der Verteidigungskompetenz ergeben" (Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. V/2873, S. 13). Maßgeblich war demnach das Ziel, die Möglichkeiten für einen Einsatz der Bundeswehr im Innern durch das Gebot strikter Texttreue zu begrenzen. Die schon im ursprünglichen Text des Grundgesetzes zugelassene Mitgliedschaft in einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit und die damit mögliche Teilnahme deutscher Streitkräfte an Einsätzen im Rahmen eines solchen Systems sollten nicht eingeschränkt werden. |
III. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG |
1. a) Art. 59 Abs. 2 Satz 1, 1. Alternat. GG behält dem Gesetzgeber das Recht der Zustimmung zu völkerrechtlichen Verträgen vor, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln. Damit wird, abweichend vom Grundsatz der Gewaltengliederung, nach dem die Außenpolitik eine Funktion der Regierung ist (vgl. BVerfGE 68, 1 [85 f.]), den Gesetzgebungsorganen ein Mitwirkungsrecht im Bereich der Exekutive eingeräumt (vgl. BVerfGE 1, 351 [369]; 1, 372 [394]). Soweit es reicht, verleiht es dem Parlament eine eigene politische Mitwirkungsbefugnis, deren Ausübung sich - funktionell betrachtet - als ein Regierungsakt in der Form eines Bundesgesetzes darstellt (BVerfGE 1, 372 [395]). Dem Parlament ist insoweit eine Sachkompetenz zuerkannt. Die Regelung soll sicherstellen, daß Bindungen durch Verträge der in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG genannten Art nicht ohne Zustimmung des Bundestages eintreten (vgl. BVerfGE 68, 1 [88]). Das Erfordernis vorheriger Zustimmung soll das Parlament davor schützen, daß sein Kontrollrecht dadurch unterlaufen wird, daß ein Vertrag eine völkerrechtliche Bindungswirkung erzeugt, die durch eine spätere parlamentarische Mißbilligung nicht mehr beseitigt werden kann (Grewe, in: HStR III, 1988, § 77 Rdnr. 59). Geschichtlich gesehen drückt sich darin eine Tendenz zur verstärkten Parlamentarisierung der Willensbildung im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten aus (vgl. BVerfGE 68, 1 [85]).
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aa) Die Bundesregierung führt in eigener Kompetenz die Vertragsverhandlungen, hat das Initiativrecht für ein Zustimmungsgesetz im Sinne des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG und bestimmt gegenüber dem Gesetzgeber den Vertragsinhalt, den dieser - sofern der Vertrag nicht Entscheidungsspielräume offenläßt - nur insgesamt billigen oder ablehnen kann. Das Zustimmungsgesetz enthält auch nur eine Ermächtigung, beläßt also der Bundesregierung die Kompetenz zu entscheiden, ob sie den völkerrechtlichen Vertrag abschließt und nach seinem Abschluß völkerrechtlich beendet oder aufrechterhält (vgl. BVerfGE 68, 1 [85 f.]).
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bb) Akte der auswärtigen Gewalt, die vom Tatbestand des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nicht erfaßt werden, sind grundsätzlich dem Kompetenzbereich der Regierung zugeordnet. Vom Zustimmungsrecht nicht erfaßt werden Verträge, die nicht dem Begriff des "politischen Vertrages" unterfallen - auch wenn sie bedeutsame Auswirkungen auf die inneren Verhältnisse der Bundesrepublik haben (vgl. BVerfGE 1, 372 [382]; 68, 1 [85]) -, sowie alle nichtvertraglichen Akte der Bundesregierung gegenüber fremden Völkerrechtssubjekten, auch insoweit sie politische Beziehungen regeln (vgl. BVerfGE 68, 1 [88 f.]).
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Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG kann auch nicht entnommen werden, daß immer dann, wenn ein Handeln der Bundesregierung im völkerrechtlichen Verkehr die politischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland regelt oder Gegenstände der Bundesgesetzgebung betrifft, die Form eines der gesetzgeberischen Zustimmung bedürftigen Vertrages gewählt werden muß (vgl. BVerfGE 68, 1 [86]). Auch insoweit kommt eine analoge oder erweiternde Anwendung dieser Vorschrift nicht in Betracht (vgl. BVerfGE 68, 1 [84]).
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c) Das Mitwirkungsrecht des Gesetzgebers kann deshalb dann verletzt sein, wenn die Exekutive in Wahrnehmung ihrer grundsätzlichen Kompetenz zur Pflege auswärtiger Beziehungen durch Vertrag neue oder erweiterte rechtliche Bindungen entstehen läßt, die die Voraussetzungen des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG erfüllen, es aber versäumt, hierfür die Zustimmung des Gesetzgebers einzuholen. Der Feststellung, das Recht des Gesetzgebers aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG werde verletzt, kann nicht mit dem Einwand begegnet werden, daß ein Zustimmungsgesetz nicht eingebracht worden ist und der Gesetzgeber dies auch nicht verlangen kann. Die Verletzung des Rechts des Gesetzgebers kann gerade aus der Unterlassung folgen. |
2. Unter völkerrechtlichen Verträgen sind alle Übereinkünfte zwischen zwei oder mehr Völkerrechtssubjekten zu verstehen, durch welche die zwischen ihnen bestehende Rechtslage verändert werden soll. Auch Übereinkünfte zur Änderung bestehender Verträge gehören dazu. Unerheblich sind die Form und der Regelungsgegenstand; eine feierlich und formalisiert geschlossene Absprache kann ebenso wie ein Notenwechsel, ein Verwaltungsabkommen oder eine mündliche Absprache eine vertragliche Vereinbarung darstellen (vgl. Bernhardt, in: HStR VII, 1992, § 174 Rdnr. 2). Es kommt insbesondere nicht darauf an, ob eine Übereinkunft als Vertrag bezeichnet wird. Auch Organ- oder sonstige Kollektivakte internationaler Vertragsgemeinschaften können zugleich inhaltsgleiche Verträge der Mitgliedstaaten darstellen, wenn sie mit entsprechendem Willen vorgenommen werden (BVerfGE 68, 1 [82]). Entscheidend ist die durch übereinstimmende Willenserklärungen erzielte Einigung zwischen Völkerrechtssubjekten über bestimmte völkerrechtliche Rechtsfolgen.
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Politische Verträge im Sinne des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG sind nicht alle internationalen Übereinkünfte, die sich auf öffentliche Angelegenheiten beziehen, sondern nur solche, durch die die "Existenz des Staates, seine territoriale Integrität, seine Unabhängigkeit, seine Stellung und sein maßgebliches Gewicht in der Staatengemeinschaft berührt werden". Dazu gehören nicht allein, aber namentlich Verträge, die darauf gerichtet sind, "die Machtstellung des Staates anderen Staaten gegenüber zu behaupten, zu befestigen oder zu erweitern" (BVerfGE 1, 372 [381]).
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3. a) Die Mitglieder des Senats Klein, Graßhof, Kirchhof und Winter, deren Auffassung die Entscheidung trägt, sind der Meinung, daß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG das Zustimmungserfordernis auf völkerrechtliche Verträge beschränkt. Das Entstehen von Völkerrecht aus anderer Quelle, mag es sich auch auf den Inhalt bestimmter Verträge auswirken, wird von dieser Vorschrift nicht erfaßt. |
aa) Verträge werden von den Vertragspartnern mit Rechtsbindungswillen geschlossen, d.h. in der Absicht, bisher nicht bestehende Rechte und Pflichten nach Völkerrecht zu erzeugen. Im übrigen läßt Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG die in der auswärtigen Gewalt angelegte Kompetenz der Bundesregierung unberührt, das ihr jeweils im völkerrechtlichen Verkehr angemessen erscheinende Handlungsinstrumentarium zu wählen und dabei auch die vertragliche Bindung zu vermeiden. Es obliegt der Bundesregierung, in Abstimmung mit den bisherigen und etwa neu zu gewinnenden Vertragsparteien zu entscheiden, ob, zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Inhalt neue völkerrechtliche Bindungen eingegangen werden sollen. Der Verzicht auf einen Vertrag wird insbesondere sinnvoll sein, wenn die beteiligten Völkerrechtssubjekte sich in der Phase der Vertragsanbahnung, der Erprobung neuer Formen der Zusammenarbeit oder der Abstimmung und Rücksichtnahme auf weitere Völkerrechtssubjekte befinden. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG steht auch einem mit den Vertragspartnern abgestimmten außenpolitischen Handeln auf der bisherigen Vertragsgrundlage nicht entgegen, das - etwa mit Rücksicht auf noch nicht abgeschlossene und nicht genügend überschaubare politische Entwicklungen - die völkervertragliche Bindung bewußt vermeidet. Hierdurch sollen neue Rechte und Pflichten gerade nicht begründet werden.
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bb) Die Frage, ob ein abgestimmtes rechtserhebliches Handeln verschiedener Völkerrechtssubjekte den Charakter eines völkerrechtlichen Vertrages hat, ist allerdings wegen der Flexibilität des im völkerrechtlichen Verkehr gebräuchlichen Handlungsinstrumentariums nicht immer leicht zu beantworten. Sie wird sich indes meist anhand der von den Beteiligten in ihren Erklärungen gewählten Formulierungen entscheiden lassen; ein Vertragsabschlußwille wird von den in Betracht kommenden Vertragsparteien regelmäßig deutlich zum Ausdruck gebracht. Fehlt es daran, kann - zumal bei anders lautender Einschätzung der handelnden Exekutiven - nur in Ausnahmefällen, für deren Vorliegen es besonderer Anhaltspunkte bedarf (vgl. BVerfGE 68, 1 [82]), angenommen werden, daß konkludent ein Vertrag geschlossen wurde. Diese Anhaltspunkte müssen nach ihrem Gesamtinhalt ergeben, daß die Parteien den Willen haben, neue Vertragsbindungen eintreten zu lassen, obgleich sie entsprechende ausdrückliche Willenserklärungen nicht abgegeben haben. Lassen die Parteien sich in einem solchen Fall dahin ein, sie hätten einen Vertrag gleichwohl nicht schließen wollen, so müssen hierfür nachvollziehbare Gesichtspunkte vorliegen; anderenfalls wird von einem konkludenten Vertragsschluß - und damit einem Anwendungsfall des Art. 59 Abs. 2 GG - auszugehen sein. An Anhaltspunkten für einen Vertragsabschlußwillen kann es etwa fehlen, wenn Partner eines bestehenden Vertrages sich in einem Prozeß der Neuorientierung befinden, in dem sie in aufeinanderfolgenden Konferenzen die jeweiligen Schritte einer Reformplanung abstimmen und auch ihre Bereitschaft zur Durchführung von Reformen bekunden. In einer solchen Situation werden regelmäßig noch keine endgültigen, zur Vertragsreife ausformulierten Lösungen gefunden, vielmehr nur Planungsrichtlinien und Entwicklungsvorhaben formuliert werden. |
cc) Die Inhaltsänderung eines bestehenden Vertrages bedarf der Zustimmung des Gesetzgebers nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann, wenn sie durch einen Änderungsvertrag erfolgt; dieser setzt den übereinstimmend zum Ausdruck gebrachten Willen der Vertragsparteien voraus, die bestehende vertragliche Rechtslage zu verändern. Der Inhalt eines völkerrechtlichen Vertrages kann indessen auch aus anderen Rechtsquellen eine Änderung erfahren. So kann etwa die Entstehung von neuem partikulärem, zwischen den Vertragspartnern geltenden Gewohnheitsrecht auf einen Vertragsinhalt modifizierend einwirken.
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Darüber hinaus erfahren Verträge im modernen Völkerrecht vielfach eine den wechselnden Lagen entsprechende dynamische Auslegung. Zumal Verträge, durch die eine eigene Organisation ins Leben gerufen wird, deren Glieder im Rahmen des Vertrages selbständig handeln, sind regelmäßig auf eine solche Dynamik angelegt. Dem pflegen besonders in Verträgen hochpolitischen Charakters weitgefaßte normative Aufgabenbestimmungen und Zielvorgaben zu entsprechen, die den Vertragsparteien, vor allem wenn und soweit sie einvernehmlich handeln, die Einstellung auf neue Entwicklungen im internationalen Bereich erlauben. Die im Vertragstext zum Ausdruck kommenden Ziele und Zwecke des Vertrages bieten nach Art. 31 Abs. 1 und 2 WVRK die wesentlichen Auslegungshilfen bei der Handhabung der Verträge (vgl. dazu Bernhardt, a.a.0., Instalment 7, 1984, S. 318 [322]). Der Gesetzgeber, der einem völkerrechtlichen Vertrag zustimmt, tut das in Kenntnis dieser Bedeutung von Präambeln und Zielvorgaben. Eine - interpretative - Fortbildung des Vertragsrechts durch sogenannte authentische Interpretation und eine sich auf dieser Grundlage entfaltende oder jene Rechtsfortbildung allererst bewirkende Vertragspraxis stützt sich mithin auf den bestehenden Vertrag und ist deshalb vom Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG gedeckt. Engere Grenzen gelten nur bei besonderen Bestimmtheitsanforderungen, wie sie etwa Art. 24 Abs. 1 GG verlangt (vgl. BVerfGE 89, 155 [187 ff.]). |
dd) In der völkerrechtlichen Praxis bestehen fließende Übergänge zwischen Vertragsauslegung und Vertragsänderung (vgl. Wolfram Karl, Vertragsauslegung-Vertragsänderung, in: Christoph Schreuer [Hrsg.], Autorität und internationale Ordnung, 1979, S. 9 f.). Eine Inhaltsänderung, die sich durch Interpretation eines bestehenden völkerrechtlichen Vertrages in diesem Grenzbereich gelegentlich ereignet, kommt nicht durch einen Änderungsvertrag zustande. Die Interpretation eines bestehenden völkerrechtlichen Vertrages, die lediglich der Entfaltung des bereits vorhandenen Vertragsinhalts dienen soll, oder eine von den Vertragsparteien übereinstimmend gehandhabte Praxis der Vertragsanwendung, die rechtserhebliche Bedeutung für die Auslegung eines bestehenden Vertrages gewinnt, stellt mangels eines Vertragsänderungswillens der Vertragsparteien keinen Änderungsvertrag dar, mag sich dies im Einzelfall auch auf den bestehenden Vertrag wie eine Vertragsänderung auswirken. Es fehlt in diesen Fällen an den Anhalts punkten (vgl. oben bb), derer es bedarf, um von einem bestimmten Handeln oder Erklären auf den Willen zu schließen, neue vertragliche Bindungen eintreten zu lassen. |
Erklären die Vertragspartner, durch eine Vertragsauslegung eine neue Praxis der Vertragsanwendung begründen zu wollen, greift diese Praxis aber - entgegen der erklärten Auffassung der Vertragsparteien - über den Vertragsinhalt hinaus, so kann der Gesetzgeber aufgrund seiner Kompetenz nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nicht den - ergänzenden - Abschluß eines weiteren völkerrechtlichen Vertrages erzwingen. Die Parteien haben durch ihre Erklärung, im Rahmen der bestehenden Verträge bleiben zu wollen, deutlich zum Ausdruck gebracht, daß sie keine neuen vertraglichen Rechtsbindungen entstehen lassen wollen. Haben die Parteien somit keine auf den Abschluß eines Änderungsvertrages gerichtete Erklärung abgegeben, steht ein weiterer Vertrag als Gegenstand des Zustimmungsverfahrens gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nicht zur Verfügung. Auch ein konkludenter Vertragsabschluß, bei dem es lediglich an ausdrücklichen Willenserklärungen, nicht aber an dem Willen fehlt, neue Vertragsbindungen eintreten zu lassen, liegt dann nicht vor. Es handelt sich vielmehr um ein faktisches, prozeßhaftes Geschehen im Zusammenwirken der beteiligten Völkerrechtssubjekte. Wäre auf ein solches Geschehen, soweit es in überdies nur schwer erkennbaren Fällen zu einer inhaltlichen Änderung des Vertrages führt, Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG anzuwenden, verwischte dies die erforderliche klare Kompetenzabgrenzung zwischen der für die auswärtige Politik verantwortlichen Regierung und dem mitentscheidungsberechtigten Gesetzgeber.
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Danach ist nicht auszuschließen, daß durch rechtserhebliches Handeln der Bundesregierung "im Rahmen" bestehender Verträge für die Bundesrepublik Deutschland neue völkerrechtliche Rechte und Pflichten entstehen, sei es daß die Bundesregierung im Einvernehmen mit den Regierungen der anderen Vertragsparteien geltendes Vertragsrecht "authentisch auslegt", sei es daß unter ihrer Mitwirkung durch eine Anwendung des Vertrages, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht, eine Übung begründet wird, die für seinen Inhalt Bedeutung gewinnt (vgl. Art. 31 Abs. 3 Buchst. b) WVRK). Wäre Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in diesem Zusammenhang anwendbar, so müßte die Bundesregierung bei jedem Schritt, der in der Abfolge des Geschehens zu einem solchen Ergebnis führen kann, die Zustimmung des Gesetzgebers einholen. |
Die ein solches Ergebnis vermeidende strikte Auslegung des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet die notwendige eindeutige Kompetenzabgrenzung zwischen Bundesregierung und Gesetzgeber; sie ist ein Element der Gewaltenteilung, wie sie das Grundgesetz ausgestaltet hat (vgl. BVerfGE 68, 1 [86 f.]). Sie gibt den beteiligten Bundesorganen verläßliche Maßstäbe, um im vorhinein die Grenzen ihrer Kompetenzen und Befugnisse bestimmen zu können (vgl. auch BVerfGE 81, 310 [335 ff.]) und wahrt damit insbesondere die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland.
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ee) Aus alledem ergibt sich nicht, daß das außenpolitische Handeln der Bundesregierung dem Einfluß des Parlaments entzogen wäre. Hat die Bundesregierung neue völkerrechtliche Verbindlichkeiten der Bundesrepublik Deutschland entstehen lassen, ohne daß der Gesetzgeber dazu nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG seine Zustimmung gegeben hat, so sind die Handlungsmöglichkeiten der Bundesregierung zu deren Vollzug auf die Tätigkeiten beschränkt, die nicht einem Gesetzesvorbehalt unterliegen. Soweit das Grundgesetz eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung fordert, wie etwa im Anwendungsbereich der Grundrechte, bei der Einräumung von Hoheitsbefugnissen oder im Haushaltsrecht, besteht ein Handlungsverbot, solange nicht entweder das nationale Zustimmungsgesetz den innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl erteilt oder das Parlament eine sonstige ausreichende Ermächtigungsgrundlage geschaffen hat. Im übrigen kann der Bundestag, wenn er die Außenpolitik der Regierung mißbilligt, insbesondere wenn er die Entstehung nicht erwünschter völkerrechtlicher Verpflichtungen befürchtet, der Bundesregierung mit den vielfältigen Mitteln der politischen Kontrolle entgegentreten (vgl. BVerfGE 68, 1 [89]). Entwick lungen der Art, wie sie den Gegenstand der vorliegenden Verfahren bilden, vollziehen sich unter den Augen der Öffentlichkeit. Das Parlament ist deshalb auch tatsächlich jederzeit in der Lage, sich aus eigener Initiative durch Einwirkung auf die Bundesregierung in den Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß einzuschalten, der sich zwischen den Staaten vollzieht. |
b) Die Bundesregierung hat durch die angegriffene Mitwirkung an den in den Verfahren 2 BvE 3/92 und 2 BvE 7/93 genannten Maßnahmen Rechte des Bundestages aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nicht verletzt.
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aa) Auf den Umbruch, der sich seit 1989 in der Welt und zumal in Europa vollzieht, haben die europäischen und atlantischen Mächte sowie die der Wahrung des Friedens dienenden Organisationen, in denen sie zusammengeschlossen sind - KSZE, EU, NATO und WEU -, unter anderem mit der Suche nach einer neuen "Sicherheitsarchitektur" reagiert, der die Erkenntnis neuer Gefahren für den Frieden in Europa zugrunde liegt. Dabei geht es insbesondere um die Einbeziehung weiterer Mitglieder in die genannten Organisationen, um mögliche neue Aufgaben, um die Zusammenarbeit mit dritten Staaten ("Partnerschaft für den Frieden"; "Individual Partnership Program") und um die Neubestimmung des Verhältnisses dieser Organisationen untereinander sowie zu den Vereinten Nationen. Abgesehen von der Europäischen Union, die durch den Vertrag von Maastricht eine neue Stufe ihrer Entwicklung erreicht und Weichen für den Beitritt weiterer Staaten gestellt hat, haben die zukünftigen politischen Strukturen Europas noch keine definitive Gestalt gefunden. Die Vorstellungen der beteiligten Staaten darüber, wie der neuen Lage gerecht zu werden sei, haben bislang noch nicht einen Verdichtungsgrad erreicht, der es nach ihrem Urteil erlaubte, ihnen eine vertragliche und damit auch eine - für die Vertragsparteien wie gegenüber Außenstehenden - rechtsverbindliche Form zu geben.
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Erst allmählich gewinnt die erstrebte neue Sicherheitsordnung Gestalt. Das erweist sich vor allem auch am Beispiel der Überlegungen, die im Rahmen von NATO und WEU in den letzten Jahren angestellt worden sind und vor deren Hintergrund die Entscheidung zu würdigen ist, beide Bündnisstrukturen in die Operationen zur Erfüllung der Entschließungen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen in bezug auf das ehemalige Jugoslawien einzubeziehen. |
bb) Die von den Außen- und Verteidigungsministern der WEU-Mitgliedstaaten am 19. Juni 1992 auf dem Petersberg zu Bonn abgegebenen Erklärungen bekunden politische Handlungsabsichten und Erneuerungspläne, enthalten aber nicht schon ausdrückliche oder konkludente vertragliche Erklärungen. Dies wird auch nicht durch den Inhalt späterer Erklärungen anläßlich von Tagungen des Ministerrates der WEU in Frage gestellt.
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(1) Die Westeuropäische Union, die unter den geänderten Rahmenbedingungen ihre Strategie neu formuliert, geht gegenwärtig zwei Wege zur Neubestimmung ihrer Aufgaben und Zwecke. Ihre Mitgliedstaaten sind zusammen mit anderen Staaten auch Partner des Vertrages über die Europäische Union (Maastricht-Vertrag) und haben dort die Wahrung des Friedens und die Stärkung der internationalen Sicherheit zum Ziel der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik bestimmt; diese Politik soll den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen sowie den Prinzipien der Schlußakte von Helsinki und den Zielen der Charta von Paris entsprechen (Art. J.1 Abs. 2, 3. Gedankenstrich EUV). Die Europäische Union versteht die Westeuropäische Union als "integralen Bestandteil" ihrer Entwicklung und ersucht sie, die Entscheidungen und Aktionen der Europäischen Union, die verteidigungspolitische Bezüge haben, auszuarbeiten und durchzuführen (Art. J.4 Abs. 2, Satz 1 EUV). Diese vertragsförmlichen Regelungen über eine Einbeziehung der Westeuropäischen Union in die gemeinsame Sicherheitspolitik der EU stützen sich aus verfassungsrechtlicher Sicht auf das Zustimmungsgesetz vom 18. Dezember 1992 (BGBl. 1992 II S. 1251). Soweit die WEU die Definition ihrer Aufgaben hierauf ausrichtet, kommt eine Verletzung von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG von vornherein nicht in Betracht.
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Daneben hat die Westeuropäische Union - schritthaltend mit der Veränderung der politischen Lage - in Erklärungen die Öffentlichkeit über ihre Entwicklung und ihre Planungen unterrichtet. Dies gilt insbesondere für die Maastricht-Erklärung der WEU-Staaten vom 10. Dezember 1991 (Bulletin Nr. 142 vom 17. Dezember 1991, S. 1162), die Petersberg-Erklärung der Außen- und Verteidigungsminister vom 19. Juni 1992 (Bulletin Nr. 68 vom 23. Juni 1992, S. 649), das Kommunique des Ministerrates vom 20. November 1992 in Rom (Bulletin Nr. 126 vom 26. November 1992, S. 1158), das Kommunique der Ministertagung am 19. Mai 1993 in Rom (Bulletin Nr. 46 vom 2. Juni 1993, S. 497), die Erklärung des Ministerrates vom 22. November 1993 in Luxemburg (Bulletin Nr. 106 vom 1. Dezember 1993, S. 1181) und die Kirchberg-Erklärung des Ministerrates vom 9. Mai 1994 (Bulletin Nr. 46 vom 20. Mai 1994, S. 405). |
Die Petersberg-Erklärung teilt sich in Grundsatzaussagen, die zukünftige Absichten und Vorhaben umfassen, und eine "Erklärung zur Krise in Jugoslawien", in der die grundsätzliche Bereitschaft bekundet wird, einen Beitrag zur wirksamen Umsetzung von Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen im Zusammenhang mit dem Konflikt im ehemaligen Jugoslawien zu leisten. Die Grundsatzaussage über die zukünftige operationelle Rolle der Westeuropäischen Union benennt schon in ihrer sprachlichen Form bloße Möglichkeiten zukünftiger Aufgaben und Ziele. Nach der Erklärung "könnten" militärische Einheiten der WEU-Mitgliedstaaten neben ihrem Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung nach Art. V des Brüsseler Vertrages auch für andere Zwecke eingesetzt werden ("could be employed for") (II.4); die militärischen Einheiten "werden sich aus Streitkräften der WEU-Mitgliedstaaten ... zusammensetzen und multinational organisiert werden" (II.6). Alle WEU-Mitgliedstaaten "werden bald angeben, welche ihrer militärischen Einheiten und Stäbe sie der WEU für deren verschiedene potentielle Aufgaben bereitstellen würden" (II.7). Die WEU-Mitgliedstaaten "beabsichtigen", die zur Erfüllung dieser Aufgaben geeigneten Fähigkeiten zu entwickeln und zu üben (II.8).
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In der "Erklärung zur Krise in Jugoslawien" hingegen bekunden die Minister ihre gegenwärtige Bereitschaft, "die Operation der Vereinten Nationen zur Wahrung des Friedens in Kroatien in vollem Umfang unterstützen" zu wollen (5.). Sie erklären, daß ihre Staaten entschlossen seien, die Resolution 757 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen einzuhalten und die in ihr enthaltenen Sanktionen vollständig umzusetzen (Nr. 7), und daß die WEU bereit sei, "im Rahmen ihrer Möglichkeiten" einen Beitrag zur wirksamen Umsetzung dieser Resolutionen im Zusammenhang mit dem Konflikt im ehemaligen Jugoslawien zu leisten. Deshalb beauftragten sie eine aus Vertretern der Außen- und der Verteidigungsministerien zusammengesetzte Ad-hoc-Gruppe, "die Möglichkeiten der WEU zu prüfen, an der Umsetzung der einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen mitzuwirken" (8.). Das Ergebnis dieser Erklärung ist somit ein bloßer Prüfungsauftrag. |
(2) In den Formulierungen der Petersberg-Erklärung kommt ein Vertragsabschlußwille nicht zum Ausdruck; es fehlt schon an der Absicht, die vertragliche Rechtslage zu verändern. Dementsprechend hat auch keiner der beteiligten Staaten die für einen Vertragsabschluß erforderlichen Verfahren eingeleitet. Bei einer solchen Sachlage könnte nur bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, daß die erklärenden Organe gleichwohl - mit Vertragsabschlußwillen - konkludent einen Vertrag geschlossen haben. Solche Anhaltspunkte gibt es nicht.
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Vor dem Hintergrund des dargestellten, noch andauernden Prozesses der "Neubelebung der WEU" ist es - gerade auch bei Berücksichtigung der späteren Erklärungen anläßlich der Tagungen des Ministerrates der WEU - einleuchtend, daß die Petersberg-Erklärung zwar Aufgaben insbesondere im Hinblick auf friedenserhaltende Maßnahmen und eine Krisenbewältigung "definiert" ("festgelegt") hat (vgl. Luxemburger Erklärung vom 22. November 1993, a.a.O., unter III. und Kommunique des Ministerrates der Westeuropäischen Union vom 19. Mai 1993, a.a.O., unter 3.), die Partner andererseits aber ausdrücklich erklären, daß diese Aufgaben noch im Stadium der "Planung" sind und die bereits geleistete "konzeptionelle Arbeit" noch "vorangebracht werden könnte" (Luxemburger Erklärung, a.a.O.). Gerade die Häufigkeit dieser konzeptionellen Erklärungen der Westeuropäischen Union und der Wechsel der jeweils erklärenden Organe zeigen, daß sich das Konzept einer europäischen Verteidigungspolitik noch im Stadium der Prüfung und Entwicklung befindet, nicht aber schon eine Veränderung der Vertragsgrundlage und Rechtslage zur Folge haben soll. |
Wenn die Minister dabei in politischer Übereinstimmung den ernsten Willen und die feste Entschlossenheit zur Erweiterung der Aufgaben und Handlungsmittel der WEU für die Zukunft zum Ausdruck bringen, so zeugt dies von dem gemeinsamen Bemühen um eine Neubelebung des Bündnisses; die von den Vertragsparteien abgegebenen Erklärungen bieten keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Konzeptionen schon hinreichend ausgereift seien, um Inhalt rechtsverbindlicher Vereinbarungen sein zu können.
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Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Ausführung der den Krieg im ehemaligen Jugoslawien betreffenden VN-Resolutionen. Es war ein - auch von dem Wunsch der westeuropäischen Völker getragenes - dringendes politisches Anliegen europäischer Organe und Sicherheitssysteme, sich nicht länger effektiver Mithilfe bei der Friedensschaffung und Beendigung des Krieges zu versagen, der großes menschliches Leid zur Folge hatte. Aus dieser akuten Notsituation heraus haben die Mitgliedstaaten der WEU es unternommen, bereits jetzt im Sinne der beabsichtigten Neubelebung des Bündnisses zu handeln. Ein Wille, mit der Verwirklichung dieser - bei der gegebenen Kriegssituation nicht aufschiebbaren - Maßnahmen den Vertrag bereits vertraglich um die Aufgaben der Wahrnehmung von VN-Mandaten erweitern zu wollen, kommt darin nicht zum Ausdruck.
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Das gilt vor allem auch darum, weil die Mitglieder der WEU offensichtlich von der Rechtsauffassung ausgehen, zur Umsetzung von VN-Resolutionen bedürfe es keiner Grundlage im Brüsseler Vertrag. Sie betrachten ihre Bereitschaft, "einzelfallbezogen" die wirksame Umsetzung von Maßnahmen zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung - einschließlich friedenserhaltender Maßnahmen - unter der Leitung der VN zu unterstützen (vgl. Petersberg-Erklärung, a.a.O., I.2; Erklärung des Ministerrates der Westeuropäischen Union anläßlich der Tagung in Luxemburg, a.a.O., II.1), als eine Bündelung des politischen Willens der Mitgliedstaaten in den für den Bereich der Sicherheit zuständigen internationalen Organisationen (vgl. Kommuniqué des Ministerrates der Westeuro päischen Union anläßlich der Tagung in Rom am 19. Mai 1993, a.a.O., unter 3.). Die Minister der WEU-Mitgliedstaaten sehen sich offenkundig - ebenso wie jedes Mitglied - ausschließlich durch die Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen autorisiert und angehalten. Sind die Erklärungen der Minister der Mitgliedstaaten und die Mitwirkung der Organe der WEU bei Unterstützungen von Maßnahmen der Vereinten Nationen aber von solchen Erwägungen bestimmt, so handeln die Beteiligten ohne Vertragsabschlußwillen; sie schließen nicht - auch nur konkludent - einen völkerrechtlichen Vertrag, der gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG der Zustimmung des Gesetzgebers bedürfte. |
cc) Auch die Mitwirkung der Bundesregierung an dem Beschluß des NATO-Außenministerrates vom 10. Juli 1992 und an den Beschlüssen des NATO-Rates vom 2. April und vom 8. April 1993 kann nicht als konkludenter Abschluß eines Änderungsvertrages über ein neues Strategisches Konzept der NATO gedeutet werden. Zwar haben die Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedstaaten am 7. und 8. November 1991 in Rom ein neues Strategisches Konzept dargestellt, dieses aber ausdrücklich als ein im Rahmen der bisherigen Verträge bleibendes Konzept gekennzeichnet. Bei der Formulierung der Kernfunktionen des Bündnisses (Teil II) bestätigen die Mitgliedstaaten ausdrücklich, daß der Wirkungsbereich des Bündnisses wie auch ihre Rechte und Pflichten aus dem Nordatlantikvertrag unverändert bleiben (Nr. 23). Die Verteidigungsrichtlinien (Teil IV) nennen für den Friedensfall die herkömmlichen Aufgaben der Streitkräfte des Bündnisses; der Aufruf, einen Beitrag zu Stabilität und Frieden in der Welt zu leisten, indem sie Streitkräfte für Missionen der Vereinten Nationen zur Verfügung stellen, richtet sich an die Bündnispartner (Nr. 42); für den Krisenfall werden ausschließlich der Bündnisfall, nicht auch sonstige Beistandspflichten behandelt (Nr. 43). Insgesamt bleibt "die Hauptaufgabe der Streitkräfte des Bündnisses, die Sicherheit und territoriale Unversehrtheit der Mitgliedstaaten zu gewährleisten, ... unverändert" (Nr. 41). Schließlich stellt die Erklärung in einer Zusammenfassung (Teil V) fest, daß dieses Strategische Konzept den defensiven Charakter des Bündnisses bestätige und auf den bisher vertrag lich bereitgestellten Instrumenten zur Wahrung des Friedens beruhe (Nr. 58). Das Strategische Konzept sei für die Bündnispartner die Grundlage für die Weiterentwicklung der Verteidigungspolitik des Bündnisses (Nr. 60). |
Das neue Strategische Konzept enthält somit nach der Erklärung von Rom keine Änderung des NATO-Vertrages, sondern sucht im Rahmen des bestehenden Vertrages die Aufgaben und Handlungsinstrumente der NATO dem neuen strategischen Umfeld anzupassen.
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Auch die Beschlüsse des NATO-Außenministerrates und des NATO-Ministerrates über die Einleitung der hier angegriffenen Maßnahmen sind nicht als konkludenter Vertrag der Mitgliedstaaten über die Erweiterung der Aufgaben der NATO zu bewerten. Sie haben ein tatsächliches Handeln zur Durchführung der Resolutionen Nrn. 713, 757 und 816 des Sicherheitsrates zum Gegenstand, nicht aber eine vertragliche Regelung mit Wirkung für zukünftige Fälle. Auch hierin wird erkennbar, daß ein vorgegebenes VN-Mandat erfüllt, nicht aber der NATO-Vertrag um neue Aufgaben erweitert werden sollte.
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dd) Sämtliche angegriffenen Erklärungen sind somit politische Aussagen zur neuen "Sicherheitsarchitektur" in Europa, die den ernsten Willen zur fortschreitenden Mitwirkung an diesem Prozeß erneuerter und erweiterter Zusammenarbeit bekunden, jedoch im jeweiligen Zwischenschritt der politischen Verhandlungen und tatsächlichen Zusammenarbeit vertragliche Rechtsverbindlichkeiten noch nicht begründen wollen. Die beteiligten Staaten und Organisationen halten einen gegenwärtigen, auf eine weitere Entwicklung angelegten Stand ihrer Planungen und Vorhaben fest, ohne in ihm aber schon den Abschluß der Bemühungen um eine konzeptionelle Erneuerung zu sehen und ohne ihm deshalb schon die Form eines rechtsverbindlichen Vertrages geben zu wollen.
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Wenn die Bundesregierung an derartigen Planungs- und Verständigungsverfahren teilnimmt und in Übereinstimmung mit den Bündnispartnern den jeweiligen Ergebnissen von Konferenzen oder Absprachen über eine konkrete Zusammenarbeit keine über den Einzelfall hinausgreifende Rechtsverbindlichkeit beimißt, ist eine vertragliche Änderung des NATO- und des WEU-Vertrages bisher offensichtlich nicht erfolgt. Für die Anwendung des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ist kein Raum. |
Dieses Ergebnis erspart es der Bundesregierung zum einen, den Prozeß behutsamer Abstimmung und gemeinsamer Planung durch einen klarstellenden Vorbehalt, sich nicht rechtlich binden zu wollen, unterbrechen zu müssen, obwohl alle Beteiligten sich der rechtlichen Unverbindlichkeit ohnehin bewußt sind. Ebenso bleibt die Bundesregierung davor bewahrt, einseitig ein "Vertrags"-Gesetzgebungsverfahren einleiten zu müssen, dem der Gegenstand fehlt und für das deshalb ein Vertragstext fingiert werden müßte. Beides würde beteiligte Staaten und Organisationen befremden.
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4. Die Richterin Limbach und die Richter Böckenförde, Kruis und Sommer, die die Entscheidung nicht tragen, sind der Auffassung, daß die Maßnahmen der Bundesregierung bereits die Rechte des Bundestages aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG unmittelbar gefährden. Deshalb hätte gemäß § 67 BVerfGG ein Verstoß gegen diese Vorschrift festgestellt werden müssen.
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Durch wiederholte gemeinsame politische Erklärungen und die Teilnahme an den Überwachungsaktionen im Jugoslawien-Konflikt wirkt die Bundesregierung an einer dynamischen und rechtlich nicht eindeutig als Vertrag zu qualifizierenden Erweiterung des ursprünglichen Konzepts des NATO- und Brüsseler Vertrages (WEU) mit, die die Mitwirkungsrechte des Bundestages zu unterlaufen droht.
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a) Sowohl die NATO als auch die WEU sind gemäß den Gründungsverträgen Verteidigungsbündnisse. Sie richten sich mit dem Versprechen des gegenseitigen Beistands gegen bewaffnete Angriffe auf eines oder mehrere ihrer Mitglieder (Art. V des WEU- und Art. 5 des NATO-Vertrags). Die Übernahme von friedensichernden und friedenschaffenden Maßnahmen in Drittländern unter der Ägide der Vereinten Nationen ist nicht als Aufgabe im Vertragstext angelegt. Derartige Missionen lassen sich auch nicht aus den Präambeln und ihren Zielbestimmungen rechtfertigen. Dort ist von dem Glauben an die Menschenrechte und der Entschlossenheit die Rede, im Interesse des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit einander Beistand zu leisten. Darin drückt sich jedoch nicht mehr als der selbstverständliche Wunsch aus, durch den militärischen Beistandspakt zum Wohle der Menschen und im Dienste des Friedens wirken zu wollen. Diese in ihren Konturen unscharfen Zielbestimmungen sind nicht geeignet, die Übernahme neuer Aufgaben jenseits der im Vertragstext ausdrücklich normierten Pflichten zu legitimieren. |
Zwar lag die Möglichkeit eines späteren Zusammenwirkens mit den Vereinten Nationen nicht außerhalb des Blickfeldes der Gründer des Nordatlantikpakts. Art. 12 des NATO-Vertrages sieht vor, daß die Partner nach dessen zehnjähriger Dauer oder zu jedem späteren Zeitpunkt auf Verlangen eines von ihnen den Vertrag im Hinblick auf die Umstände überprüfen werden, die dann die Sicherheitsinteressen des Bündnisses berühren. Dazu soll, so jene Vorschrift, auch die Entwicklung allgemeiner oder regionaler Vereinbarungen im Rahmen der Satzung der Vereinten Nationen gehören. Doch macht gerade diese Bestimmung deutlich, daß eine Erweiterung des vertraglichen Handlungsrahmens Gegenstand einer Überprüfung des Vertrages und damit das Ergebnis seiner Revision sein soll. An eine automatische Anpassung des vertraglichen Aufgabenspektrums an die jeweilige weltpolitische Lage und der ihr eigenen Sicherheitsbedürfnisse war nicht gedacht.
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b) Auch die vier Richter sind zwar der Meinung, daß es zu einer Vertragsrevision in Gestalt einer expliziten oder konkludenten Vertragsänderung noch nicht gekommen ist. Doch hat die Bundesregierung durch ihr Zusammenwirken mit den Partnern von NATO und WEU den Vertrag gewissermaßen "auf Räder gesetzt" (Ress, Verfassungsrechtliche Auswirkungen der Fortentwicklung völkerrechtlicher Verträge, in: Festschrift für Zeidler, 1987, S. 1175 ff. [1179]) und damit die Gefahr heraufbeschworen, daß dessen Inhalt außerhalb der traditionellen Verfahrensweisen verbindlich modifiziert und so der Mitwirkung des Parlaments nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG entzogen wird. Denn sie hat eine dynamische Fortbildung der Verträge durch einverständliche Äußerungs- und Handlungsformen mit eingeleitet, die sich der eindeutigen rechtlichen Qualifikation entziehen und die Rechtsverbindlichkeit der neuen Aufgabe im Dunkeln lassen. |
Ohne Vertragsverhandlungen über das künftige Spektrum der Aufgaben der Bündnisse aufzunehmen, geben die Vertragspartner seit Mitte des Jahres 1990 wiederholt in Beschlüssen und Erklärungen Auskunft darüber, wie sie die durch den großen weltpolitischen Umbruch in den Jahren 1989/90 ausgelösten sicherheitspolitischen Herausforderungen meistern wollen. Dabei läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob diese Erklärungen funktional an die Stelle vertraglicher Festlegungen treten oder solchen vorausgehen sollen (vgl. zu der Funktion der neuen Handlungsformen im Völkerrecht Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, München 1986, S. 46).
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In jenen Texten ist wiederholt von einem "Neuen Strategischen Konzept" und der Bereitschaft die Rede, Streitkräfte für die Missionen der Vereinten Nationen zur Verfügung zu stellen. In der Erklärung der Staats- und Regierungschefs vom 11. Januar 1994 wird das Angebot der NATO bekräftigt, von Fall zu Fall friedenswahrende oder sonstige Operationen unter der Autorität der Vereinten Nationen zu unterstützen. Dem stehen mehr oder minder unvermittelt in denselben Texten Äußerungen gegenüber, wonach das neue strategische Umfeld weder den Zweck noch die sicherheitspolitischen Aufgaben des Bündnisses veränderten und insbesondere die Rechte und Pflichten aus dem Nordatlantikpakt unverändert blieben.
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Diese wiederholten Beteuerungen, auf der Grundlage des ursprünglichen Vertrages zu handeln, rechtfertigen angesichts der offensichtlichen Erweiterung seines Aufgabenspektrums nicht den Schluß auf eine bereits im Gründungsvertrag angelegte Fortentwicklung des Vertrages (aa). Sie geben allerdings zu Zweifeln Anlaß, ob die einvernehmlich formulierten Erklärungen nach der Absicht der Urheber eine rechtsvertragliche oder eine rechtlich unverbindliche Absprache sein sollen (bb).
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aa) Mit jenen ausdrücklichen Rückgriffen auf den Gründungsvertrag wird nicht die Grenze zwischen authentischer Auslegung und Vertragsänderung zu Gunsten der ersten eingeebnet. Das Ziehen dieser Grenze ist nicht in das Belieben der Vertragspartner gestellt. Vielmehr ist an Hand objektiver Kriterien, vornean aus dem Vertragstext, die Frage zu beantworten, ob es sich um eine materielle Änderung des Vertrages oder lediglich um eine Entfaltung des bisherigen Vertragsinhalts handelt (vgl. Ress, a.a.0., S. 1179 und Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, 1990, S. 121 f.). Sollten allerdings nach der Völkerrechtslehre auch wesentliche Vertragsinhalte durch eine authentische Interpretation geändert werden können, so wäre auch ein solcher Änderungskonsens dem Zustimmungserfordernis des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zu unterwerfen. Denn anderenfalls würde das dort vorgesehene Mitwirkungsrecht des Gesetzgebers im Falle von Vertragsänderungen gegenstandslos. |
bb) Es ist Sache der Vertragspartner, ob sie neue Pflichten durch Vertrag begründen oder den Weg einer einverständlichen Erklärung wählen, die keinen Rechtscharakter haben soll. Die Wahl solcher rechtlich unverbindlichen Äußerungsformen braucht nicht Resultat der Absicht zu sein, jene Absprachen dem Einfluß des Parlaments zu entziehen. In Anbetracht der unsicheren weltpolitischen Lage und der Neuartigkeit der zu meisternden Konflikte kann es Ausdruck politischer Klugheit sein, sich zunächst schritt- und versuchsweise auf ein neues Sicherheitskonzept einzulassen. Auch bleibt aus der Warte des einzelnen Vertragspartners zu bedenken, daß es nicht in seiner Macht steht, eine Vertragsrevision zu erzwingen. Vermeiden die Partner durch schlichte konsentierte Äußerungen klar erkennbar das mit einer Rechtsform einhergehende - möglicherweise verfrühte - Erstarren des neuen Sicherheitskonzepts, so wird das Mitwirkungsrecht des Parlaments nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG mangels einer völkerrechtlichen Bindung nicht berührt.
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c) Etwas anderes muß aber dann gelten, wenn durch wiederholte dokumentierte Einigungen und nachfolgendes einverständliches Handeln der Vertragspartner ein Prozeß der Fortbildung des vertraglichen Aufgabenkonzepts in Gang gesetzt wird, in dessen Verlauf sich dieses fortschreitend und undurchschaubar zu einer rechtsverbindlichen Absprache verdichtet. Bei diesem vielschichtigen - für das moderne Völkerrecht nicht ungewöhnlichen - Nebeneinander außerrechtlicher und vertraglicher Regelungsmöglichkeiten läßt sich kaum im voraus der entscheidende Schritt markieren, der vom rechtlich unverbindlichen Konsens zur rechtlich verpflichtenden Übereinkunft führt. Dieser für das Parlament undurchschaubare Bereich völkerrechtlicher Handlungsformen wird noch dadurch verdunkelt, daß solche einverständlichen Erklärungen im völkerrechtlichen Verkehr kaum anders behandelt werden, als wenn ihnen Rechtsverbindlichkeit zukäme (vgl. Tomuschat, Der Verfassungsstaat im Geflecht der internationalen Beziehungen, in: VVDStRL 36, 1978, S. 33 und Wengler, Rechtsvertrag, Konsensus und Absichtserklärung im Völkerrecht, in: JZ 1976, S. 193). |
Im Falle einer derartigen progressiven, im vorhinein rechtlich nicht eindeutig als Vertrag zu qualifizierenden Fortschreibung des vertraglichen Pflichtenstatus ist der Gesetzgeber gemäß Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG einzubinden, sofern die übrigen Voraussetzungen der Norm vorliegen. Denn die Einsicht in die Unumkehrbarkeit dieser "Erosion des völkerrechtlichen Rechtsvertrags" (Wengler) muß nicht notwendig dazu führen, daß das "weiche" Völkerrecht "völlig aus dem parlamentarischen Verantwortungsbereich herausfällt" (so aber Tomuschat, a.a.0., S. 34). Vielmehr ist eine die Eigenart des modernen Völkerrechtes respektierende Balance zwischen der außenpolitischen Handlungsfähigkeit der Bundesregierung und dem Mitwirkungsrecht des Gesetzgebers herbeizuführen. Die Bundesregierung hat demgemäß im Falle eines von ihr selbst so bezeichneten "fortschreitenden Umgestaltungsprozesses des Bündnisses" dem Gesetzgeber das neue strategische Konzept - hier die Mitwirkung an Friedensmissionen der Vereinten Nationen - zur Zustimmung vorzulegen, auch wenn es nicht in das Gewand eines völkerrechtlichen Änderungsvertrages gekleidet ist. Denn die Rechte des Bundestages sind bereits dann unmittelbar gefährdet, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Bundesregierung gemeinsam mit den anderen Vertragspartnern entsprechend dem neuen Aufgabenkonzept zu handeln beginnt. Es kann weder Sache des Bundestages noch des Bundesverfassungsgerichts sein, völkerrechtlich zu überprüfen, ob schon ein Rechtsvertrag vorliegt oder aber die Erklärungen der NATO- und WEU-Partner sich noch im Vorfeld des rechtlich Verbindlichen bewegen.
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d) Die Tatsache, daß der Verfassungsgeber in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG den gesetzgebenden Körperschaften nur für eng begrenzte Tatbestände Mitwirkungsrechte im Bereich der auswärtigen Politik eingeräumt hat, schließt seine Anwendung auf völkerrechtliche Äußerungs- und Handlungsformen nicht aus, die potentiell auf die Änderung eines politischen Vertrages angelegt sind. Gegenstand der Zustimmung ist nicht etwa eine politische Absichtserklärung, eine Vorform oder ein Ersatzprodukt des Vertrages, sondern die Vertragsänderung mit dem in den einverständlichen Erklärungen formulierten Inhalt. Diese wird - gleichgültig, ob die Bundesregierung sie formal als Änderungsvertrag zum Abschluß bringt - zum Schutze des Mitwirkungsrechtes des Gesetzgebers zur Abstimmung gestellt. Denn Sinn und Zweck dieser Norm wollen die Gefahr bannen, daß der Gesetzgeber unversehens mit völkerrechtlichen Pflichten konfrontiert wird, die er durch einen späteren Einspruch nicht mehr aus der Welt schaffen kann. Diese Regelungsabsicht würde angesichts der zerfließenden Formen völkerrechtlicher Vertragsfortbildung in ihr Gegenteil verkehrt, wenn man Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG insoweit nur auf Vertragsänderung durch Änderungsvertrag beschränken wollte. |
Eine solche Anwendung dieser Vorschrift ist vor allem deshalb unbedenklich, weil sie die Kompetenz der Bundesregierung in auswärtigen Angelegenheiten nicht zusätzlich einengt. Denn stimmt der Bundestag der Vertragsänderung zu, so bleibt es der Bundesregierung unbenommen, das ihr geeignete Handlungsinstrumentarium zu wählen. Sie kann sich nach wie vor für oder gegen eine vertragliche Bindung entscheiden und auch den Zeitpunkt einer solchen frei bestimmen. Sie ist auch nicht auf den erfolgreich zur Abstimmung gestellten Inhalt der Vertragsänderung festgelegt, da sie erneut den Weg des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG beschreiten kann. Verweigert das Parlament die Zustimmung, so ist die Bundesregierung weiterhin in der Wahl der völkerrechtlichen Äußerungs- und Handlungsformen frei, die eindeutig außerhalb des rechtlich verbindlichen Vertrages liegen. Auch hindert sie die ablehnende Entscheidung des Bundestages nicht, diesem das abgelehnte Vertragskonzept erneut zur Zustimmung vorzulegen, wenn ihr der Abschluß eines solchen völkerrechtlichen Vertrages nach wie vor politisch geboten erscheint. |
e) Die Bundesregierung erreicht durch die frühzeitige Einbindung des Parlaments eine politische Rückbindung, die angesichts einer politisch so riskanten Erweiterung ihrer Bündnispflichten in einer parlamentarischen Demokratie selbstverständlich ist. Die Möglichkeit, solche sicherheitspolitischen Fragen im Rahmen der Verhandlung und Diskussion des Verteidigungshaushalts zu behandeln, ist kein der politischen Tragweite der Entscheidung angemessenes Äquivalent. Denn hier ist nicht nur die Neuartigkeit der Konflikte abzuschätzen, die nicht aus bewaffneten Angriffen, sondern aus sozio-ökonomischen und politischen Schwierigkeiten sowie ethnischen und nationalen Rivalitäten vieler in die Freiheit entlassener Staaten resultieren. Angesichts der Tatsache, daß es sich vielfach um innerstaatliche Konflikte handelt, steht auch das Nichteinmischungsgebot zur Debatte. Insbesondere sind - wie der unterbreitete Sachverhalt zeigt - die Modalitäten der Unterstellung unter die politische und militärische Kontrolle der Vereinten Nationen noch nicht ausdiskutiert (vgl. Kühne, Blauhelme in einer turbulenten Welt, Baden-Baden 1993, S. 32 ff. [86]).
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5. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ist durch die Vereinbarung über die Stellung eines deutschen Truppenkontingents für die VN-Aktion in Somalia nicht verletzt.
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Dabei kann dahinstehen, ob der Briefwechsel zwischen der Bundesregierung und dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, in dem eine Einigung über die Entsendung eines deutschen Unterstützungsverbandes nach Somalia und die Bedingungen seines Einsatzes im Rahmen der VN-Aktion UNOSOM II erzielt worden ist, einen völkerrechtlichen Vertrag darstellt, wie die Antragsteller und Antragsgegner übereinstimmend annehmen. Er bedarf jedenfalls nicht einer Zustimmung des Gesetzgebers nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, weil er weder die politischen Beziehungen des Bundes regelt (a) noch Gegenstände der Bundesgesetzgebung berührt (b).
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a) Der im Briefwechsel enthaltenen Einigung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinten Nationen kommt in ihren Rechtsfolgen nicht das Gewicht einer Regelung "politischer Beziehungen" im Sinne des Art. 59 Abs. 2 Satz 1, 1. Alternat. GG zu (vgl. oben zu 2.). Sie führt insbesondere zu keiner grundlegenden Änderung der Stellung und des maßgeblichen Gewichts der Bundesrepublik Deutschland in der Staatengemeinschaft und im Verhältnis zu den Vereinten Nationen. |
aa) Bereits durch den Beitritt zur Charta der Vereinten Nationen, dem der Deutsche Bundestag mit Gesetz vom 6. Juni 1973 (BGBl. II S. 430) zugestimmt hat, hat sich die Bundesrepublik Deutschland uneingeschränkt für eine Mitwirkung am Friedensicherungssystem der Vereinten Nationen entschieden: "Als vollberechtigtes Mitglied der Weltorganisation wird die Bundesrepublik Deutschland in Partnerschaft mit allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen die Anstrengungen der Vereinten Nationen zur Sicherung des Friedens unterstützen" (Denkschrift der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zum Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Charta der Vereinten Nationen, BTDrucks. VII/154, S. 43). Zum Zeitpunkt des Beitritts der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen im Jahre 1973 waren die aus nationalen Kontingenten zusammengesetzten und unter einheitlichem VN-Kommando handelnden Friedenstruppen (peace-keeping-forces) bereits ein fester Bestandteil des kollektiven Friedensicherungssystems der Vereinten Nationen.
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Der im Briefwechsel vereinbarten Bereitstellung deutscher Streitkräfte zur Mitwirkung an der Durchführung des Auftrages von UNOSOM II kommt auch nicht deshalb eine die Zustimmungsbedürftigkeit nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1, 1. Alternat. GG auslösende Bedeutung zu, weil die Bundesrepublik Deutschland an der Ausführung des Mandats für UNOSOM II teilnimmt, das auch zur Ergreifung von Zwangsmaßnahmen einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt auf der Grundlage des VII. Kapitels der VN-Charta ermächtigt und damit über das hinausgeht, was bisher typischerweise Funktion der Friedenstruppen gewesen ist (zu diesen Funktionen s. Bothe, in: Simma [Hrsg.], Charta der Vereinten Nationen, Kommentar, nach Art. 38 Rdnr. 32 ff.).
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Die Charta, der die Bundesrepublik Deutschland mit Zustimmung des Gesetzgebers beigetreten ist, sieht vom Sicherheitsrat zu beschließende und durchzuführende militärische Zwangsmaßnahmen in Art. 42 SVN ausdrücklich vor. Dessen Anwendbarkeit setzt nicht voraus, daß dem Sicherheitsrat Truppen aufgrund von Sonderabkommen nach Art. 43 SVN zur Verfügung gestellt werden (vgl. Frowein, in: Simma [Hrsg.], Charta der Vereinten Nationen, Kommentar, Art. 42 Rdnr. 16 m.w.N. in Fn. 23). Wenn die Bundesrepublik Deutschland sich auf dieser Grundlage an Friedenstruppen der Vereinten Nationen beteiligt, denen auch die Durchführung von Zwangsmaßnahmen obliegt, so stellt sich dies bei einer verfassungsrechtlichen Beurteilung nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1, 1. Alternat. GG als ein Vorgehen dar, das im Zustimmungsgesetz zur Charta eine hinreichende Grundlage findet. |
bb) Die Bundesrepublik Deutschland hat sich bisher aus außen- und deutschlandpolitischen Motiven, nicht zuletzt auch wegen einer verbreiteten Einschätzung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Streitkräfteeinsätzen nur an Friedensaktionen der Vereinten Nationen durch eine Bereitstellung von Bundeswehrangehörigen zu waffenlosen Dienstleistungen im Rahmen friedensichernder Operationen beteiligt. Auch vor diesem Hintergrund kann dem Briefwechsel nicht der Charakter eines politischen Vertrages zuerkannt werden. Unabhängig davon, daß schon aus den oben dargelegten Erwägungen im Hinblick auf das Zustimmungsgesetz zur Charta der Vereinten Nationen der Briefwechsel nicht als politischer Vertrag gewertet werden kann, kommt ihm jedenfalls eine solche Bedeutung auch deshalb nicht zu, weil er keine grundlegende Abkehr von dem bisher eingenommenen deutschen Standpunkt erkennen läßt. Nach der zwischen der Bundesregierung und dem Generalsekretariat der Vereinten Nationen getroffenen Vereinbarung sollte das deutsche Kontingent in einer nach Feststellung des Generalsekretärs befriedeten Region tätig werden und gerade nicht die Aufgabe haben, militärischen Zwang auszuüben oder an der Ausübung solchen Zwanges mitzuwirken. Es leistete ausschließlich logistische Unterstützung und übernahm im übrigen humanitäre Aufgaben bei der Versorgung der Bevölkerung.
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b) Durch die in dem Briefwechsel getroffene Vereinbarung ist der Deutsche Bundestag auch nicht deshalb unter dem Gesichtspunkt des Art. 59 Abs. 2 Satz 1, 2. Alternat. GG (Bezug auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung) in seinen Rechten verletzt, weil - wie die SPD-Fraktion vorträgt - die Ausführung von VN-Mandaten durch Einsatz bewaffneter Streitkräfte eine Änderung des Soldatengesetzes voraussetze. Die Verpflichtung, grundsätzlich bereit zu sein, Mandate des Sicherheitsrates zu übernehmen oder jedenfalls an deren Ausführung mitzuwirken, verbindet sich schon mit dem Beitritt zu den Vereinten Nationen, dem der Gesetzgeber zugestimmt hat. Selbst wenn gesetzliche Regelungen zu deren innerstaatlicher Ausführung notwendig werden, ist dem Recht des Bundestages aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG mit dieser Zustimmung genügt. Mit der Übernahme von Aufgaben in Ausführung einer VN-Aktion wird nur dem Beitritt zu den Vereinten Nationen Folge gegeben. Hat der Gesetzgeber diesem aber zugestimmt, so ist die in dem Briefwechsel getroffene Vereinbarung nicht geeignet, ihrerseits erneut einen Bezug auf Gegenstände der Gesetzgebung herzustellen. |
IV. Parlamentsvorbehalt |
Das Grundgesetz ermächtigt den Bund, Streitkräfte zur Verteidigung aufzustellen und sich Systemen kollektiver Selbstverteidigung und gegenseitiger kollektiver Sicherheit anzuschließen; darin ist auch die Befugnis eingeschlossen, sich mit eigenen Streitkräften an Einsätzen zu beteiligen, die im Rahmen solcher Systeme vorgesehen sind und nach ihren Regeln stattfinden. Davon unabhängig bedarf jedoch der Einsatz bewaffneter Streitkräfte grundsätzlich der vorherigen konstitutiven Zustimmung des Bundestages.
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Während die auswärtige Gewalt von der Verfassung weitgehend dem Kompetenzbereich der Exekutive zugeordnet wird (oben III.), sehen die grundgesetzlichen Regelungen über die Wehrverfassung für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte grundsätzlich eine Beteiligung des Parlaments vor. Die auf die Streitkräfte bezogenen Rege lungen des Grundgesetzes sind - in den verschiedenen Stufen ihrer Ausformung - stets darauf angelegt, die Bundeswehr nicht als Machtpotential allein der Exekutive zu überlassen, sondern als "Parlamentsheer" in die demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung einzufügen, d.h. dem Parlament einen rechtserheblichen Einfluß auf Aufbau und Verwendung der Streitkräfte zu sichern. |
1. Art. 59a Abs. 1 GG in der Fassung des Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 19. März 1956 (BGBl. I S. 111) behielt die Feststellung des Verteidigungsfalles einem Beschluß des Bundestages vor. Das bedeutete nach damaliger Auffassung, daß die Streitkräfte nur auf der Grundlage eines Parlamentsbeschlusses eingesetzt werden durften (vgl. Martens, Grundgesetz und Wehrverfassung, 1961, S. 174; von Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bd. II, 2. Aufl. 1964, Art. 59a Anm. 3; Willms, Parlamentarische Kontrolle und Wehrverfassung, Diss. 1959, S. 160), wobei ein Einsatz im Rahmen der Vereinten Nationen mangels Mitgliedschaft 1956 noch nicht aktuell war.
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Art. 59a GG wurde durch das 17. Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24. Juni 1968 (BGBl. I S. 709) - die sogenannte Notstandsverfassung - aufgehoben. Dem liegt jedoch ein Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers zu einer teilweisen Entparlamentarisierung des Streitkräfteeinsatzes nicht zugrunde. Vielmehr schien - wie 1956 - auch 1968 ein militärischer Einsatz der Streitkräfte außerhalb der im übrigen geregelten Einsatzfälle, insbesondere des Art. 115a Abs. 1 GG, zwar rechtlich möglich, angesichts der damaligen Weltlage jedoch nur von theoretischer Bedeutung und deshalb hinsichtlich der parlamentarischen Mitwirkung nicht regelungsbedürftig (s.o. A.I.3.). Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat mithin trotz der Aufhebung des Art. 59a GG den Parlamentsvorbehalt für alle damals als möglich angesehenen Einsatzfälle aufrechterhalten. Wenn nunmehr nach dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen und in einer veränderten weltpolitischen Lage auch weitere Fälle des Einsatzes deutscher Streitkräfte in Betracht kommen, so ist ein Parlamentsvorbehalt für diese Fälle im Grundgesetz lediglich nicht mehr ausdrücklich bestimmt; der Sache nach sollte er nicht entfallen. |
2. Für den militärischen Einsatz von Streitkräften ist dem Grundgesetz das Prinzip eines konstitutiven Parlamentsvorbehalts zu entnehmen.
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a) Ein solcher Parlamentsvorbehalt entspricht seit 1918 deutscher Verfassungstradition.
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aa) Nach Art. 11 Abs. 1 Satz 2 der Reichsverfassung von 1871 (RGBl. S. 63) waren Kriegserklärung und Friedensschluß Sache des Kaisers, der dazu - außer im Falle eines Angriffs auf das Bundesgebiet oder dessen Küsten - der Zustimmung des Bundesrates bedurfte (Art. 11 Abs. 2). Das Gesetz zur Abänderung der Reichsverfassung vom 28. Oktober 1918 (RGBl. S. 1274), das den Übergang zum parlamentarischen Regierungssystem vollzog, änderte Art. 11 Abs. 2 wie folgt: "Zur Erklärung des Krieges im Namen des Reichs ist die Zustimmung des Bundesrates und des Reichstages erforderlich". Damit wurde in Einschränkung der kaiserlichen Prärogative die Erklärung des Krieges und der Abschluß von Friedensverträgen in allen Fällen einschließlich des Verteidigungsfalls von der Zustimmung des Bundesrates und des Reichstages, also der gesetzgebenden Körperschaften, abhängig gemacht.
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bb) Die Weimarer Reichsverfassung übernahm in Art. 45 Abs. 2 den Grundgedanken dieser Regelung mit der Maßgabe, daß bei Kriegserklärungen und Friedensschlüssen die Legislative (der Reichstag) "nicht mehr als bloß zustimmender Teil, sondern als Herr des Geschäfts erscheint: Kriegserklärung und Friedensschluß erfolgen ... aufgrund und in Vollzug eines von ihr gefaßten Beschlusses" (Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Kommentar, 14. Aufl., Berlin 1933, Art. 45 Anm. 5, S. 260). Die nach Art. 45 Abs. 2 WRV vorgesehenen formellen Gesetze stellten materiell betrachtet "Akte der auswärtigen Politik und der Militärhoheit" dar (vgl. Anschütz, a.a.O., Anm. 7, S. 261).
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Die Bindung der Kriegserklärung an ein Reichsgesetz bedeutete allerdings nicht, daß die Reichswehr in jedem Fall nur aufgrund eines vorausgehenden Reichsgesetzes eingesetzt werden durfte. Zur Abwehr eines gegenwärtigen Angriffs auf das Reichsgebiet war die Abgabe einer Kriegserklärung nicht erforderlich. Im Verteidigungsfall konnte daher der Reichstag seine Mißbilligung der Politik der Reichsregierung nur durch ein Mißtrauensvotum gemäß Art. 54 WRV zum Ausdruck bringen. |
b) aa) Das Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 19. März 1956 (BGBl. I S. 111) knüpfte mit der Regelung des Art. 59a Abs. 1 GG an diese Bestimmung der Weimarer Reichsverfassung an und entwickelte sie fort. Es sollte "die schicksalhafte politische Entscheidung über Krieg und Frieden - soweit im Krisenfall überhaupt noch politische Entscheidungen gefällt werden können - von der obersten Vertretung des ganzen Volkes, um dessen Schicksal es geht, also von dem Parlament, getroffen werden" (Berichterstatterin Dr. Schwarzhaupt, Deutscher Bundestag, 2. WP, 132. Sitzung vom 6. März 1956, Sten.Ber. S. 6820 A). Erst eine gemäß Art. 59a Abs. 1 GG grundsätzlich vom Bundestag zu treffende Feststellung des "Verteidigungsfalls" sollte die rechtliche Voraussetzung schaffen, die vom Bund zur Verteidigung aufgestellten Streitkräfte (Art. 87a GG) einzusetzen. Auch wenn über den Eintritt einer Bündnisverpflichtung zu entscheiden ist, sollte der Verteidigungseinsatz der Streitkräfte an den vorherigen Feststellungsbeschluß des Bundestages nach Art. 59a Abs. 1 GG gebunden werden (vgl. Zweiter Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. II/2150, S. 4). Mit der Ersetzung des Rechtsbegriffs der Kriegserklärung durch die "Feststellung, daß der Verteidigungsfall eingetreten ist", wurde berücksichtigt, daß nach den neueren geschichtlichen Erfahrungen und den nunmehr geltenden völkerrechtlichen Regeln über militärische Gewaltanwendung nicht mehr mit einer förmlichen Kriegserklärung gerechnet werden konnte. An die Stelle der von Art. 45 Abs. 2 WRV vorgeschriebenen Gesetzesform trat ein einfacher, mit der Mehrheit des Art. 42 Abs. 2 GG zu fassender förmlicher Bundestagsbeschluß.
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bb) Eine Reihe von wehrrechtlichen Vorschriften, die mit der Grundgesetzergänzung von 1956 in das Grundgesetz eingefügt worden sind, sehen darüber hinaus eine verstärkte parlamentari sche Kontrolle der Streitkräfte und des Regierungshandelns im militärischen Bereich vor. Ausdruck eines ausgeprägten Systems der parlamentarischen Kontrolle sind insbesondere Art. 45a, Art. 45b und Art. 87a Abs. 1 Satz 2 GG. |
Art. 45a Abs. 1 GG sieht einen ständigen Ausschuß für Verteidigung vor und stattet ihn mit den Rechten eines Untersuchungsausschusses aus; damit ist sichergestellt, daß sämtliche Vorgänge des Verteidigungswesens jederzeit und auf alleinige parlamentarische Initiative vom Verteidigungsausschuß untersucht werden können. Das Handeln der Bundesregierung auf diesem Sachgebiet wird durchgehend parlamentarisch begleitet.
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Art. 45b GG beauftragt den Bundestag, zum Schutz der Grundrechte und als Hilfsorgan des Bundestages bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle einen Wehrbeauftragten zu berufen. Auch insoweit wird die parlamentarische Kontrolle durch eine eigene Institution verstärkt und zu stetiger Wirksamkeit gebracht.
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Eine Grundsatzverantwortlichkeit des Parlaments für die Streitkräfte begründet insbesondere Art. 87a Abs. 1 Satz 2 GG, der die allgemein für das Haushaltsverfassungsrecht geltenden Anforderungen an die inhaltliche Gestaltung des Staatshaushaltes für die Streitkräfte steigert; er bestimmt, daß ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation sich aus dem Haushaltsplan ergeben müssen. Dadurch wird die parlamentarische Kontrolle durch die dem Haushaltsplan ebenfalls zukommende Steuerungsfunktion ergänzt: Die besonderen Anforderungen an den Militärhaushalt verlangen, daß die Streitkräfteplanung einschließlich der Personalentwicklung und der Organisation parlamentarisch vorgezeichnet wird; insoweit ist für den Bereich der Streitkräfte eine Regierungsaufgabe des Parlaments begründet (vgl. Quaritsch, Führung und Organisation der Streitkräfte im demokratisch-parlamentarischen Staat, in: VVDStRL 26 [1968], S. 207 [251]).
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cc) Das Grundgesetz behält dem Parlament hinsichtlich der Streitkräfte jedoch nicht nur die Kontrolle und eine grundsätzliche Steuerung von Planung und Entwicklung vor, sondern auch konkrete Entscheidungen über deren Verwendung.
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(1) Die Feststellung des Verteidigungsfalles nach Art. 115a Abs. 1 GG bewirkt zwar unmittelbar nur den Übergang von der Normal- zur Notstandsverfassung und paßt insbesondere das Staatsorganisationsrecht den Anforderungen eines durch einen bewaffneten Angriff auf das Bundesgebiet hervorgerufenen äußeren Notstandes an. Sie ist also nicht Voraussetzung für jeden Verteidigungseinsatz der Bundeswehr. Das Grundgesetz knüpft aber an die Feststellung dieses Verteidigungsfalles neben notstandsrechtlichen auch wehrverfassungsrechtliche und den Bereich der auswärtigen Gewalt betreffende Rechtsfolgen (vgl. Art. 115a Abs. 5; Art. 115b; Art. 115l Abs. 3 GG; Art. 87a Abs. 3 GG). Vor allem der Übergang der Befehlsgewalt vom Bundesminister der Verteidigung auf den Bundeskanzler nach Art. 115b GG zeigt, daß die Feststellung des Verteidigungsfalles durch das Parlament gemäß Art. 115a Abs. 1 GG zugleich zum militärischen Einsatz der Streitkräfte ermächtigt. Der durch den Parlamentsentscheid bewirkte Übergang von einer bloßen Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers zu einem direkten Vorgesetztenverhältnis konzentriert die militärische und auswärtige Gewalt in der Kompetenz des Bundeskanzlers, der nun hierfür die volle parlamentarische Verantwortung trägt. |
Auch die Bündnisklausel des Art. 80a Abs. 3 GG gestattet keinen Streitkräfteeinsatz in alleiniger Kompetenz der Exekutive; die Vorschrift betrifft die nach Maßgabe des NATO-Alarmsystems ausgelöste "zivile Teilmobilmachung", nicht den Streitkräfteeinsatz im Bündnisfall.
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(2) Soweit die Streitkräfte im Verteidigungsfall auch befugt sind oder ermächtigt werden können, zivile Objekte zu schützen und Aufgaben der Verkehrsregelung wahrzunehmen (Art. 87a Abs. 3 GG), ergibt sich die Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften aus der vom Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 115a Abs. 1 GG zu treffenden, vorherigen Feststellung des Verteidigungsfalles. Ein nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG möglicher Einsatz von Streitkräften beim Schutz von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen (Satz 2). Der Einsatz von Streitkräften zur Unterstützung der Polizeikräfte bei Naturkatastrophen oder Unglücksfällen, die das Gebiet mehr als eines Landes betreffen, wird vom Grundgesetz vor allem als bundesstaatliches Problem verstanden: er ist jederzeit auf Verlangen des Bundesrates aufzuheben (Art. 35 Abs. 3 Satz 2 GG). |
c) Die hiernach in den Vorschriften des Grundgesetzes auf dem Hintergrund der deutschen Verfassungstradition seit 1918 zum Ausdruck kommende Entscheidung für eine umfassende parlamentarische Kontrolle der Streitkräfte läßt ein der Wehrverfassung zugrundeliegendes Prinzip erkennen, nach dem der Einsatz bewaffneter Streitkräfte der konstitutiven, grundsätzlich vorherigen Zustimmung des Bundestages unterliegt.
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3. Dieses Prinzip der konstitutiven Beteiligung des Parlaments beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte stellt sich - unbeschadet der im Grundgesetz ausdrücklich geregelten Fälle - des näheren wie folgt dar:
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a) Gegenstand einer Parlamentsbeteiligung sind die Einsätze bewaffneter Streitkräfte. Im Fall eines Angriffs auf einen Bündnispartner hat das Parlament der Beistandsverpflichtung zwar schon in Form des nach Art. 59 Abs. 2 GG erforderlichen Gesetzes zugestimmt und damit grundsätzlich gebilligt, daß deutsche Streitkräfte bei Eintritt des Bündnisfalles zum Einsatz kommen. Auch in diesem Fall bedarf es jedoch noch der - regelmäßig vorhergehenden (s. unten b) - parlamentarischen Entscheidung über den konkreten Einsatz nach Maßgabe der bestehenden Bündnisverpflichtung.
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Soweit allerdings Bundestag und Bundesrat bereits gemäß Art. 115a GG den Verteidigungsfall festgestellt haben, schließt diese Entscheidung die Zustimmung des Parlaments zu einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte ein.
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Bei Einsätzen bewaffneter Streitkräfte im Rahmen von Resolutionen des Sicherheitsrates ist die vorherige Zustimmung des Bundestages unabhängig davon erforderlich, ob den Streitkräften Zwangsbefugnisse nach Kapitel VII SVN eingeräumt sind und wie die Kommandostrukturen ausgestaltet sind. Eine unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Einsatzformen von Friedenstruppen verbietet sich, weil die Grenzen zwischen den traditionellen Blauhelmeinsätzen und solchen mit der Befugnis zu bewaffneten Sicherungsmaßnahmen in der Realität fließend geworden sind. Auch wird der Begriff der Selbstverteidigung, die schlichten Friedenstruppen erlaubt ist, bereits in einem aktiven Sinne dahin definiert, daß sie auch den Widerstand gegen gewaltsame Versuche einschließt, die Truppen an der Ausführung ihres Auftrags zu hindern (Bothe, in: Simma [Hrsg.], Charta der Vereinten Nationen, 1991, nach Art. 38 Rdnr. 37; Rudolph, in: Wolfrum [Hrsg.], Handbuch der Vereinten Nationen, 2. Aufl. 1991, Stichwort: Friedenstruppen, Rdnr. 17). |
Nicht der Zustimmung des Bundestages bedarf die Verwendung von Personal der Bundeswehr für Hilfsdienste und Hilfeleistungen im Ausland, sofern die Soldaten dabei nicht in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind.
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b) Die verfassungsrechtlich gebotene Mitwirkung des Bundestages bei konkreten Entscheidungen über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte darf die militärische Wehrfähigkeit und die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht beeinträchtigen. Deshalb ist die Bundesregierung bei Gefahr im Verzug berechtigt, vorläufig den Einsatz von Streitkräften zu beschließen und an entsprechenden Beschlüssen in den Bündnissen oder internationalen Organisationen ohne vorherige Einzelermächtigung durch das Parlament mitzuwirken und diese vorläufig zu vollziehen. Die Bundesregierung muß jedoch in jedem Fall das Parlament umgehend mit dem so beschlossenen Einsatz befassen. Die Streitkräfte sind zurückzurufen, wenn es der Bundestag verlangt. Dem Gesetzgeber bleibt es unbenommen, die Voraussetzungen eines solchen Notfalls und das dabei zu beobachtende Verfahren näher zu regeln (vgl. unten 4.).
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c) Der Bundestag hat über Einsätze bewaffneter Streitkräfte nach Maßgabe des Art. 42 Abs. 2 GG zu beschließen. Der Bedeutung des zu fassenden Beschlusses wird es, so es die Lage irgend erlaubt, entsprechen, daß er in den zuständigen Ausschüssen vorbereitet und im Plenum des Bundestages erörtert wird (vgl. BVerfGE 89, 38 [47]). Freilich ist der Bundestag bei seiner Beschlußfassung an die mit seiner Zustimmung zustande gekommenen rechtlichen Festlegungen über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte gebunden.
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d) Der Zustimmungsvorbehalt für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte verleiht dem Bundestag keine Initiativbefugnis (vgl. BVerfGE 68, 1 [86]); der Bundestag kann lediglich einem von der Bundesregierung beabsichtigten Einsatz seine Zustimmung versagen oder ihn, wenn er ausnahmsweise ohne seine Zustimmung schon begonnen hat (oben b), unterbinden, nicht aber die Regierung zu solch einem Einsatz der Streitkräfte verpflichten. Der der Regierung von der Verfassung für außenpolitisches Handeln gewährte Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit wird durch den Parlamentsvorbehalt nicht berührt. Das gilt insbesondere hinsichtlich der Entscheidung über die Modalitäten, den Umfang und die Dauer der Einsätze, die notwendige Koordination in und mit Organen internationaler Organisationen. |
4. a) Jenseits dieser Mindestanforderungen und Grenzen des Parlamentsvorbehalts sind das Verfahren und die Intensität der Beteiligung des Bundestages in der Verfassung nicht im einzelnen vorgegeben. Es ist Sache des Gesetzgebers, die Form und das Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung näher auszugestalten. Je nach dem Anlaß und den Rahmenbedingungen des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte sind unterschiedliche Formen der Mitwirkung denkbar. Insbesondere im Hinblick auf unterschiedliche Arten der Einsätze, vor allem bei solchen, die keinen Aufschub dulden oder erkennbar von geringer Bedeutung sind, empfiehlt es sich, den Zeitpunkt und die Intensität der Kontrolle des Parlaments näher zu umgrenzen. Dabei kann es angezeigt sein, im Rahmen völkerrechtlicher Verpflichtungen die parlamentarische Beteiligung nach der Regelungsdichte abzustufen, in der die Art des möglichen Einsatzes der Streitkräfte bereits durch ein vertraglich geregeltes Programm militärischer Integration vorgezeichnet ist.
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Ungeachtet der Gestaltungsfreiheit im einzelnen muß die gesetzliche Regelung das Prinzip förmlicher parlamentarischer Beteiligung hinreichend zur Geltung bringen. Andererseits hat sie auch den von der Verfassung für außenpolitisches Handeln gewollten Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit zu beachten (vgl. oben 3.b und d) und BVerfGE 68, 1 [86]). |
b) Der verfassungsrechtlich geforderte Parlamentsvorbehalt gilt ungeachtet näherer gesetzlicher Ausgestaltung unmittelbar kraft Verfassung. Bundesregierung und Bundestag haben daher bis zum Erlaß eines Gesetzes, das eine förmliche parlamentarische Beteiligung an der Entscheidung über militärische Einsätze deutscher Streitkräfte näher ausgestaltet, nach Maßgabe der bereits unter 3. dargestellten Anforderungen zu verfahren.
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5. Die Bundesregierung hat aufgrund ihrer Beschlüsse vom 15. Juli 1992, 2. April 1993 und 21. April 1993 bewaffnete Streitkräfte eingesetzt und dadurch gegen das oben dargelegte Gebot verstoßen, zuvor die konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen.
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D. |
Die Entscheidung ist zu C.I.4.b) mit 5 zu 3 Stimmen, zu C.I.5.b) und C.III.5. jeweils mit 7 zu 1 Stimmen, im übrigen, soweit nichts anderes gesagt ist, einstimmig ergangen.
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Limbach, Böckenförde, Klein, Graßhof, Kruis, Kirchhof, Winter, Sommer |
Abweichende Meinung der Richter Böckenförde und Kruis zum Urteil des Zweiten Senats vom 12. Juli 1994 - 2 BvE 3/92, 5/93, 7/93, 8/93 - |
Ungeachtet unterschiedlicher Beurteilung anderer Rechtsfragen sind wir gemeinsam der Auffassung, daß der Antrag der F.D.P.-Fraktion im Verfahren 2 BvE 5/93 als unzulässig hätte verworfen werden müssen.
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Fraktionen des Bundestages können im Organstreitverfahren zwischen Parlament und Regierung nur Rechte des Bundestages in Prozeßstandschaft für diesen geltend machen (§ 64 BVerfGG). Der Antrag kann dementsprechend nur darauf gerichtet sein, daß durch eine Maßnahme der Bundesregierung verfassungsmäßige Rechte des Bundestages verletzt (oder unmittelbar gefährdet) seien, nicht hingegen darauf, daß die Maßnahme der Bundesregierung im übrigen verfassungswidrig sei. |
1. Der tragende Grund, warum § 64 Abs. 1 BVerfGG Organteilen und damit Fraktionen das Recht zuerkennt, nicht nur eigene; Rechte, sondern auch die Rechte des Organs, dessen Teile sie sind, im Organstreitverfahren geltend zu machen - aus Art. 93; Abs. 1 Ziff. 1 GG unmittelbar ergibt sich dies noch nicht -, liegt in der im parlamentarischen Regierungssystem regelmäßig bestehenden politischen Identität von Regierung und sie tragender Parlamentsmehrheit. Dies kann dazu führen, daß die parlamentarische Mehrheit kein Interesse daran hat, Übergriffe der Regierung zu Lasten der Rechte des Parlaments anzugreifen (vgl. Clemens, in: Mitarbeiterkommentar zum BVerfGG, Rdnr. 5 zu §§ 63, 64). Die Verteidigung des Parlamentsrechts soll deshalb, damit sie effektiv werden kann, gerade auch einer Parlamentsminderheit eröffnet werden (vgl. BVerfGE 45, 1 [29]; 68, 1 [77]).
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Ist zwischen Parlament und Regierung eine Kompetenzüberschreitung im Streit und wird sie gegenüber der Regierung geltend gemacht, steht dahinter regelmäßig ein sachlich-politischer Konflikt zwischen der Parlamentsmehrheit und -minderheit. Wenn dann eine (Minderheits-) Fraktion des Parlaments sich auf die Rechte des Parlaments beruft, geschieht dies (auch), um den sachlich-politischen Konflikt in ihrem Sinn zu lösen. Das ist nicht illegitim; denn Rechtsfragen hören nicht auf, Rechtsfragen zu sein, weil sie eine politische Dimension haben, und Kompetenzverteilungen zwischen Regierung und Parlament, die die Verfassung festlegt, dienen gerade dazu, den Prozeß politischer Willensbildung und Auseinandersetzung gewaltengliedernd bestimmten rechtlichen Regelungen und Bindungen zu unterwerfen.
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2. Allerdings ist damit auch die Gefahr verbunden, daß Organstreitverfahren angestrengt werden, die gar nicht die Verteidigung der Rechte des Parlaments bezwecken, sondern dies als juristische Einkleidung benutzen, um andere (politische) Konflikte oder Meinungsverschiedenheiten vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen und von ihm entscheiden oder schlichten zu lassen. Um solcher Instrumentalisierung des Organstreitverfahrens für Zwecke, die außerhalb seines Rechtschutzzieles liegen, entgegenzuwirken, kann und muß - entgegen der Auffassung des Senats - von einem Antragsteller, der in Prozeßstandschaft die Verletzung von Rechten des Parlaments geltend macht, verlangt werden, daß er zuvor ihm zur Verfügung stehende politische Wege im Parlament beschreitet, um eine Verletzung der Parlamentsrechte hintanzuhalten. Der Beschwerdeführer wird insoweit, wie der Senat zu Recht ausführt, nicht auf anderweitige gleichwertige Rechtsschutzmöglichkeiten verwiesen. Er hat in dieser Weise jedoch erkennbar zu machen, daß es ihm ernsthaft um die Verteidigung der Parlamentsrechte geht. Eine solche Subsidiarität ist das folgerichtige Gegenstück zur Eröffnung des Organstreitverfahrens auch für Organteile des Parlaments aus Gründen des Minderheitsrechts, um Rechte des Parlaments selbst geltend zu machen. |
3. Das Verhalten der F.D.P.-Fraktion läßt demgegenüber erkennen, daß sie die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht aus Gründen anstrebt, die im Verhältnis von Parlament und Regierung liegen, es ihr ersichtlich gerade nicht um die Wahrung der Rechte des Bundestages gegenüber der Bundesregierung geht.
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a) Die F.D.P.-Fraktion hat zwar seit langem die Ansicht vertreten, daß die Verfassungslage den Einsatz der Bundeswehr außerhalb der strikt umschriebenen Einsatzmöglichkeiten, der Landesverteidigung und des Bündnisfalles nicht zulasse, gleichwohl aber über die deutsche Außenpolitik das Engagement der NATO und der WEU in Jugoslawien, das Grund und Veranlassung für die Einsatzentscheidung der Bundesregierung bietet, mitgetragen und dies, ohne Parlamentsrechte vorzubehalten.
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b) Die F.D.P.-Fraktion hat auch im Bundestag nichts unternommen, den Gesetzgeber zur Geltendmachung seiner Rechte zu veranlassen. Kraft ihres Antragsrechts (vgl. S. 76 GOBT) konnte sie die Initiative zu einem Parlamentsbeschluß ergreifen, der die von ihr geltend gemachten Rechte des Parlaments aus Art. 87a GG zu wahren sucht. Ein solcher Entschließungsantrag hätte etwa darauf gerichtet sein können, daß die Bundesregierung Einsatzentscheidungen für die deutschen Soldaten im AWACS-Verband unterläßt oder bereits getroffene rückgängig macht, bis durch das Parlament kraft seines Rechts aus Art. 79 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 87a GG hierzu die Voraussetzungen geschaffen sind. Hätte der Bundestag eine solche Entschließung mit Mehrheit abgelehnt, wäre deutlich gewesen, daß zur Verteidigung der geltend gemachten Parlamentsrechte ein Organstreitverfahren unerläßlich ist. Gleiches gilt, wenn der Beschluß zwar gefaßt worden wäre, die Bundesregierung aber zu erkennen gegeben hätte, daß sie sich an diesen nur "schlichten" Parlamentsbeschluß, der sie verfassungsrechtlich nicht bindet, nicht halten werde. |
Einen solchen Antrag hat die F.D.P.-Fraktion nicht gestellt. Sie ist auch einem in gleiche Richtung zielenden Antrag der SPD-Fraktion vom 6. April 1993 (BTDrucks. 12/4710) nicht beigetreten. Sie hat mithin gar keinen Versuch gemacht, im parlamentarisch-politischen Raum die Rechte des Parlaments zu sichern, die sie nun im Verfahren 2 BvE 5193 prozeßstandschaftlich geltend macht. Der von der F.D.P.-Fraktion gemeinsam mit der Fraktion der CDU/CSU eingebrachte Antrag auf Klarstellung/Änderung des Grundgesetzes (BTDrucks. 12/4107 und 4135), für den sich die erforderliche Mehrheit im Bundestag nicht abzeichnete, kann dafür kein Ersatz sein. Er ist ersichtlich nicht auf Wahrung der verfassungsmäßigen Rechte des Bundestages gegenüber der Bundesregierung gerichtet.
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c) Das nicht auf die Wahrung der Parlamentsrechte gerichtete Interesse der Antragstellerin wird vollends dadurch deutlich, daß sie zusammen mit der CDU/CSU-Fraktion am 14. April 1994 - wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung - im Bundestag einen Entschließungsantrag einbrachte, nach dem, bezogen auf die Konfliktlage in Bosnien-Herzegowina, "der Deutsche Bundestag den Einsatz von NAT0-Luftstreitkräften im Auftrage der Vereinten Nationen auf der Grundlage der einschlägigen VN-Resolutionen für gerechtfertigt" hält (BTDrucks. 12/7255). Die Mitglieder der F.D.P.-Fraktion stimmten diesem Antrag überwiegend zu (BT Sten.Ber., 219. Sitzung vom 14. April 1994, S. 18925 A). In der Debatte brachte der Abgeordnete Irmer, der für die F.D.P.-Fraktion sprach, zum Ausdruck, daß die anhängige Klage der Versuch sei, aus einem Dilemma herauszukommen, das durch die Weigerung der SPD-Fraktion herbeigeführt sei, dem von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Antrag zur Klarstellung/Änderung der Verfassung zuzustimmen. Deshalb müsse diese Klärung beim Bundesverfassungsgericht gesucht werden (Sten.Ber., a.a.O., S. 18915 B und C). In bezug auf das anhängige Verfahren sagte er: "Wir werden nächste Woche triumphieren, weil wir nämlich mit unserer Klage abgewiesen werden." |
Deutlicher als in diesem Verhalten der F.D.P.-Fraktion kann sich nicht bestätigen, daß das Organstreitverfahren nur die Einkleidung ist, um den politischen Konflikt über Notwendigkeit und Inhalt einer Verfassungsänderung vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen und gewissermaßen durch ein Gutachten entscheiden zu lassen; die prozeßstandschaftliche Verteidigung von Rechten des Parlaments gegen Übergriffe der Regierung spielt überhaupt keine Rolle.
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4. Die ursprünglich in § 97 BVerfGG vorgesehene Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts, auf Antrag Rechtsgutachten zu erstatten, ist aber durch den Gesetzgeber 1956 abgeschafft worden. Organstreitverfahren und Prozeßstandschaft können nicht dazu dienen, sie auf diese Weise hintenherum, noch dazu für ursprünglich nicht vorgesehene Antragsteller, wieder einzuführen; das Bundesverfassungsgericht braucht sich dafür nicht in Anspruch nehmen zu lassen.
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Böckenförde, Kruis |