BVerfGE 159, 355 - Schulschließungen


BVerfGE 159, 355 (355):

Bundesnotbremse II (Schulschließungen)
1. Aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 GG folgt ein Recht der Kinder und Jugendlichen gegenüber dem Staat, ihre Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit auch in der Gemeinschaft durch schulische Bildung zu unterstützen und zu fördern (Recht auf schulische Bildung).
2. Das Recht auf schulische Bildung umfasst verschiedene Gewährleistungsdimensionen:


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a) Es vermittelt den Kindern und Jugendlichen einen Anspruch auf Einhaltung eines für ihre chancengleiche Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten unverzichtbaren Mindeststandards von Bildungsangeboten, enthält jedoch keinen originären Leistungsanspruch auf eine bestimmte Gestaltung staatlicher Schulen.
b) Aus dem Recht auf schulische Bildung folgt zudem ein Recht auf gleichen Zugang zu staatlichen Bildungsangeboten im Rahmen des vorhandenen Schulsystems.
c) Das Recht auf schulische Bildung umfasst auch ein Abwehrrecht gegen Maßnahmen, welche das aktuell eröffnete und auch wahrgenommene Bildungsangebot einer Schule einschränken, ohne das in Ausgestaltung des Art. 7 Abs. 1 GG geschaffene Schulsystem als solches zu verändern.
3. Entfällt der schulische Präsenzunterricht ausüberwiegenden Gründen der Infektionsbekämpfung für einen längeren Zeitraum, sind die Länder nach Art. 7 Abs. 1 GG verpflichtet, den für die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen unverzichtbaren Mindeststandard schulischer Bildung so weit wie möglich zu wahren. Sie haben dafür zu sorgen, dass bei einem Verbot von Präsenzunterricht nach Möglichkeit Distanzunterricht stattfindet.
4. Bei einer lange andauernden Gefahrenlage wie der Corona-Pandemie muss der Gesetzgeber seinen Entscheidungen umso fundiertere Einschätzungen zugrunde legen, je länger die zur Bekämpfung der Gefahr ergriffenen belastenden Maßnahmen anhalten. Allerdings dürfte der Staat große Gefahren für Leib und Leben am Ende nicht deshalb in Kauf nehmen, weil er nicht genug dazu beigetragen hat, dass freiheitsschonendere Alternativen zur Abwehr dieser Gefahren erforscht wurden.
5. Eine die Zustimmungsbedürftigkeit des Bundesrates gemäß Art. 104a Abs. 4 GG auslösende bundesgesetzliche Verpflichtung der Länder zur Erbringung von Geldleistungen, geldwerten Sachleistungen oder vergleichbaren Dienstleistungen gegenüber Dritten liegt nur dann vor, wenn das Gesetz nach seinem objektiven Regelungsgehalt bezweckt, Dritten individuelle Vorteile durch staatliche Leistungen zu verschaffen.
 
Beschluss
des Ersten Senats vom 19. November 2021
– 1 BvR 971 und 1069/21 –
in den Verfahren über die Verfassungsbeschwerden I. 1. des Herrn (...), 2. der Frau (...), 3. – 6. der Minderjährigen (...) jeweils gesetzlich vertreten durch die Eltern (...) – Bevollmächtigter: (...) – gegen § 28b Absatz 3 Satz 1 Halbsatz 2, Satz 2, Satz 3, Satz 10, § 33 Nummer 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in der Fassung des Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite


BVerfGE 159, 355 (357):

vom 22. April 2021 (Bundesgesetzblatt I Seite 802), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. Mai 2021 (Bundesgesetzblatt I Seite 1174) – 1 BvR 971/21 –, II. 1. der Frau (...), 2. des Minderjährigen (...), gesetzlich vertreten durch die Mutter (...) – Bevollmächtigte: (...) – gegen § 28b Absatz 3 Satz 3 des Infektionsschutzgesetzes in der Fassung des Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021 (Bundesgesetzblatt I Seite 802), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. Mai 2021 (Bundesgesetzblatt I Seite 1174) – 1 BvR 1069/21–.
 
Entscheidungsformel:
Die Verfassungsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Inhaltsverzeichnis: S. 357-361

BVerfGE 159, 355 (358):

 

BVerfGE 159, 355 (359):

 

BVerfGE 159, 355 (360):

 
 


BVerfGE 159, 355 (361):

Gründe:
 
A.
Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen Verbot und Beschränkung von Präsenzunterricht an allgemeinbildenden Schulen zum Infektionsschutz in Gestalt eines Gebots von Wechselunterricht (Wechsel von Präsenzunterricht in der Schule und Distanzunterricht zuhause) oder einer vollständigen Untersagung des Präsenzschulbetriebs. Das Verbot war als § 28b Abs. 3 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) Bestandteil eines Gesamtschutzkonzepts mit einem Maßnahmenbündel, das mit dem Vierten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021 (BGBl I S. 802) bundesweit zur Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 eingeführt und zuletzt mit Art. 1 Nr. 2, Art. 4 Abs. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze vom 28. Mai 2021 (BGBl I S. 1174) mit Wirkung zum 4. Mai 2021 neu gefasst wurde ("Bundesnotbremse" nach § 28b IfSG).
I.
1. Mit den angegriffenen Vorschriften wurde der Präsenzunterricht an allgemein- und berufsbildenden Schulen vollständig untersagt, wenn in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an drei aufeinanderfolgenden Tagen die Sieben-Tage-Inzidenz der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 den Schwellenwert von 165 je 100.000 Einwohner überschritt; ab einem Schwellenwert von 100 durfte Präsenzunterricht nur zeitlich begrenzt in Form von Wechselunterricht stattfinden (§ 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG). Die Länder konnten Abschlussklassen und Förderschulen von dem Verbot von Präsenzunterricht ausnehmen (§ 28b Abs. 3 Satz 5 IfSG) und eine Notbetreuung nach von ihnen festgelegten Kriterien einrichten (§ 28b Abs. 3 Satz 6 IfSG). Die Durchführung von Präsenzunterricht war nur zulässig bei Einhal

BVerfGE 159, 355 (362):

tung angemessener Schutz- und Hygienekonzepte (§ 28b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG). Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte durften nur dann am Präsenzunterricht teilnehmen, wenn sie zweimal in der Woche mittels eines anerkannten Tests auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 getestet wurden (§ 28b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 IfSG). Untersagt war bei Überschreitung eines Schwellenwertes der Sieben-Tage-Inzidenz von 165 im jeweiligen Landkreis oder einer kreisfreien Stadt zudem unter anderem der Betrieb von Kindertageseinrichtungen (§ 28b Abs. 3 Satz 10, § 33 Nr. 1 IfSG). Bei Unterschreiten der relevanten Schwellen traten die Beschränkungen nach Maßgabe von § 28b Abs. 3 Satz 7 bis 9 IfSG außer Kraft.
§ 28b Abs. 10 IfSG begrenzte die Geltung der Vorschrift auf die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 IfSG, längstens jedoch bis zum Ablauf des 30. Juni 2021. Dass eine epidemische Lage von nationaler Tragweite besteht, hatte der Bundestag erstmals mit Beschluss vom 25. März 2020 mit Wirkung zum 28. März 2020 festgestellt und diese Feststellung seitdem fortlaufend wiederholt. Der Geltungszeitraum des angegriffenen § 28b IfSG wurde über den 30. Juni 2021 hinaus nicht verlängert.
In der zuletzt gültigen Fassung vom 4. Mai 2021 lauteten die für das vorliegende Verfahren maßgeblichen Bestimmungen des § 28b IfSG wie folgt:
    (1) Überschreitet in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an drei aufeinander folgenden Tagen die durch das Robert Koch-Institut veröffentlichte Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 je 100000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen (Sieben-Tage-Inzidenz) den Schwellenwert von 100, so gelten dort ab dem übernächsten Tag die folgenden Maßnahmen:
    1.–10. ...
    Das Robert Koch-Institut veröffentlicht im Internet unter https://www.rki.de/inzidenzen für alle Landkreise und kreisfreien Städte


    BVerfGE 159, 355 (363):

    fortlaufend die Sieben-Tage-Inzidenz der letzten 14 aufeinander folgenden Tage. Die nach Landesrecht zuständige Behörde macht in geeigneter Weise die Tage bekannt, ab dem die jeweiligen Maßnahmen nach Satz 1 in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt gelten. Die Bekanntmachung nach Satz 3 erfolgt unverzüglich, nachdem aufgrund der Veröffentlichung nach Satz 2 erkennbar wurde, dass die Voraussetzungen des Satzes 1 eingetreten sind.
    (2) Unterschreitet in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt ab dem Tag nach dem Eintreten der Maßnahmen des Absatzes 1 an fünf aufeinander folgenden Werktagen die Sieben-Tage-Inzidenz den Schwellenwert von 100, so treten an dem übernächsten Tag die Maßnahmen des Absatzes 1 außer Kraft. Sonn- und Feiertage unterbrechen nicht die Zählung der nach Satz 1 maßgeblichen Tage. Für die Bekanntmachung des Tages des Außerkrafttretens gilt Absatz 1 Satz 3 und 4 entsprechend. ...
    (3) Die Durchführung von Präsenzunterricht an allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen ist nur zulässig bei Einhaltung angemessener Schutz- und Hygienekonzepte; die Teilnahme am Präsenzunterricht ist nur zulässig für Schülerinnen und Schüler sowie für Lehrkräfte, die zweimal in der Woche mittels eines anerkannten Tests auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 getestet werden. Überschreitet in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an drei aufeinander folgenden Tagen die Sieben-Tage-Inzidenz den Schwellenwert von 100, so ist die Durchführung von Präsenzunterricht ab dem übernächsten Tag für allgemeinbildende und berufsbildende Schulen, außerschulische Einrichtungen der Erwachsenenbildung und ähnliche Einrichtungen nur in Form von Wechselunterricht zulässig. Überschreitet in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an drei aufeinander folgenden Tagen die Sieben-Tage-Inzidenz den Schwellenwert von 165, so ist ab dem übernächsten Tag für allgemeinbildende und berufsbildende Schulen, Hochschulen, außerschulische Einrichtungen der Erwachsenenbildung und ähnliche Einrichtungen die Durchführung von Präsenzunterricht untersagt. Wenn ausschließlich Personen teilnehmen, die zweimal in der Woche mittels eines anerkannten Tests auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 getestet werden, gelten die Sätze 2 und 3 nicht für
    1. Aus- und Fortbildungseinrichtungen von Polizeien und Rettungsdiensten sowie, soweit die Aus- und Fortbildungen zur Aufrechterhaltung und Gewährleistung der Einsatzbereitschaft zwingend erforderlich sind, für die Aus- und Fortbildungen im Zivil- und Katastrophenschutz, bei den Feuerwehren sowie von sicherheitsrelevanten Einsatzkräften in der Justiz und im Justizvollzug und
    2. Aus- und Fortbildungseinrichtungen für Kontrollpersonal an Flug

    BVerfGE 159, 355 (364):

    häfen oder für Luftfracht sowie für Einrichtungen, die Fortbildungen und Training für Personal in der Flugsicherung, Piloten, andere Crewmitglieder und sonstiges Personal Kritischer Infrastrukturen durchführen, soweit die Aus- und Fortbildungsveranstaltungen auf Grund gesetzlicher Vorgaben zwingend durchzuführen sind und dabei Präsenz erforderlich ist.
    Die nach Landesrecht zuständige Behörde kann unter der Voraussetzung, dass ausschließlich Personen teilnehmen, die zweimal in der Woche mittels eines anerkannten Tests auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 getestet werden,
    1. Abschlussklassen, Förderschulen und praktische Ausbildungsanteile an berufsbildenden Schulen sowie Berufsbildungseinrichtungen nach § 2 Absatz 1 Nummer 3 des Berufsbildungsgesetzes, die nur in besonders ausgestatteten Räumlichkeiten oder Lernumgebungen mit Praxisbezug, wie zum Beispiel in Laboren und Krankenhäusern, durchgeführt werden können, von der Beschränkung nach Satz 2, Präsenzunterricht nur in Form von Wechselunterricht durchzuführen, befreien und
    2. Abschlussklassen, Förderschulen sowie Veranstaltungen an Hochschulen für Studierende, die unmittelbar vor dem Studienabschluss oder abschlussrelevanten Teilprüfungen stehen, und praktische Ausbildungsanteile an Hochschulen, praktischen Unterricht an berufsbildenden Schulen sowie Berufsbildungseinrichtungen nach § 2 Absatz 1 Nummer 3 des Berufsbildungsgesetzes, an außerschulischen Einrichtungen der Erwachsenenbildung und ähnlichen Einrichtungen, die nur in besonders ausgestatteten Räumlichkeiten oder Lernumgebungen mit Praxisbezug, wie zum Beispiel in Laboren oder Krankenhäusern, durchgeführt werden können, von der Untersagung nach Satz 3 ausnehmen.
    Die nach Landesrecht zuständigen Stellen können nach von ihnen festgelegten Kriterien eine Notbetreuung einrichten. Absatz 2 Satz 1 und 2 gilt für das Außerkrafttreten der Beschränkung nach Satz 2, Präsenzunterricht nur in Form von Wechselunterricht durchzuführen, entsprechend und für das Außerkrafttreten der Untersagung nach Satz 3 mit der Maßgabe entsprechend, dass der relevante Schwellenwert bei unter 165 liegt. Für die Bekanntmachung des Tages, ab dem die Beschränkung nach Satz 2, Präsenzunterricht nur in Form von Wechselunterricht durchzuführen, oder die Untersagung nach Satz 3 in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt gilt, gilt Absatz 1 Satz 3 und 4 entsprechend. Für die Bekanntmachung des Tages des Außerkrafttretens nach Satz 7 gilt Absatz 1 Satz 3 und 4 entsprechend. Für Einrichtungen nach § 33 Nummer 1 und 2 gelten die Sätze 3 und 6 bis 9 entsprechend.


    BVerfGE 159, 355 (365):

    (4)–(8) ...
    (9) Anerkannte Tests im Sinne dieser Vorschrift sind In-vitro-Diagnostika, die für den direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 bestimmt sind und die auf Grund ihrer CE-Kennzeichnung oder auf Grund einer gemäß § 11 Absatz 1 des Medizinproduktegesetzes erteilten Sonderzulassung verkehrsfähig sind. Soweit nach dieser Vorschrift das Tragen einer Atemschutzmaske oder einer medizinischen Gesichtsmaske vorgesehen ist, sind hiervon folgende Personen ausgenommen:
    1. Kinder, die das 6. Lebensjahr noch nicht vollendet haben,
    2. Personen, die ärztlich bescheinigt aufgrund einer gesundheitlichen Beeinträchtigung, einer ärztlich bescheinigten chronischen Erkrankung oder einer Behinderung keine Atemschutzmaske tragen können und
    3. gehörlose und schwerhörige Menschen und Personen, die mit diesen kommunizieren, sowie ihre Begleitpersonen.
    Für Personen, die das 6. Lebensjahr vollendet haben und das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ist anstelle einer Atemschutzmaske (FFP2 oder vergleichbar) das Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske (Mund-Nase-Schutz) erlaubt.
    (10) Diese Vorschrift gilt nur für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Satz 1 durch den Deutschen Bundestag, längstens jedoch bis zum Ablauf des 30. Juni 2021. Dies gilt auch für Rechtsverordnungen nach Absatz 6.
    (11) ...
Nach der vorausgehenden, bis zum 3. Mai 2021 gültigen Fassung des § 28b IfSG (BGBl I S. 802) durften die Länder die Abschlussklassen und Förderschulen nur von der vollständigen Untersagung des Präsenzunterrichts bei Überschreiten des Schwellenwertes von 165 der Sieben-Tage-Inzidenz ausnehmen, nicht jedoch wie nach der Neufassung des § 28b Abs. 3 IfSG auch vom Gebot der Durchführung von Wechselunterricht bei Überschreiten eines Schwellenwertes von 100. Die übrigen verfahrensgegenständlichen Regelungen des §28b Abs. 3 IfSG wurden unverändert in der ab dem 4. Mai 2021 gültigen Fassung fortgeschrieben.
2. Infektionsbedingte Beschränkungen des schulischen Präsenzunterrichts zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 waren bereits vor Erlass des § 28b Abs. 3 IfSG ab März 2020

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durch die zuständigen Landesbehörden auf der Grundlage von § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG (im Falle von Rechtsverordnungen in Verbindung mit § 32 Satz 1 IfSG) angeordnet worden. Seit November 2020 wurden die Beschränkungen des Präsenzunterrichts neben § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG auf die mit dem Dritten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 (BGBl I S. 2397) eingeführte Regelung des § 28a Abs. 1 Nr. 16 IfSG in Verbindung mit § 33 Nr. 3 IfSG gestützt. Die bundesweite Koordination der Maßnahmen erfolgte durch Absprachen der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten untereinander beziehungsweise zwischen ihnen und der Bundesregierung.
Umfang und Intensität der Beschränkungen des schulischen Präsenzunterrichts entwickelten sich parallel zum Verlauf des wellenförmigen Infektionsgeschehens. Die im ersten sogenannten Lockdown im Frühjahr 2020 bundesweit angeordneten Beschränkungen gingen weitgehend mit vollständigen Schulschließungen einher. Anschließend folgte eine partielle Öffnung, wobei in mehreren Ländern Beschränkungen des Präsenzunterrichts für die Sekundarstufen länger aufrechterhalten wurden und teilweise bis zu den Sommerferien Wechselunterricht stattfand. Im zweiten Lockdown ab Winter 2020/2021 wurden erneut weitgehend vollständige Schulschließungen angeordnet. Ab Februar 2021 folgte eine partielle Öffnung insbesondere der Grundschulen, während der Präsenzschulbetrieb für die Sekundarstufen in den Ländern unterschiedlich beschränkt und geregelt wurde (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Belastungen von Kindern, Jugendlichen und Eltern in der Corona-Pandemie, 2021, S. 7).
3. Die Verbote von Präsenzunterricht – auch durch die angegriffene Regelung des § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG – gingen mit der Einführung eines Distanzschulbetriebs einher, dessen Ausgestaltung und Umsetzung im Rahmen von Leitlinien der Kultusministerien weitgehend den Schulen oblag. Begleitet wurde die Beschränkung des Präsenzschulbetriebs zudem durch eine schulische Notbetreuung. Auch deren Ausgestaltung oblag den Ländern. Die Notbetreuung sollte vor allem die Berufstätigkeit der Eltern schul

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pflichtiger Kinder ermöglichen und für Schüler mit Behinderungen oder sonderpädagogischem Förderbedarf sowie in besonderen Härtefällen zur Verfügung stehen.
II.
1. Die Beschwerdeführerinnen und der Beschwerdeführer des Verfahrens 1 BvR 971/21 wohnen in München. Der Beschwerdeführer zu 1. und die Beschwerdeführerin zu 2. sind beide in Vollzeit berufstätig. Ihre Kinder besuchten im Schuljahr 2020/2021 ein staatliches Gymnasium (Beschwerdeführerinnen zu 3. und 4.) und eine Grundschule (Beschwerdeführerin zu 5.); die Beschwerdeführerin zu 6. besuchte eine Kindertageseinrichtung.
Die Beschwerdeführerin zu 1. und der Beschwerdeführer zu 2. des Verfahrens 1 BvR 1069/21 leben im Landkreis Schwäbisch-Hall. Die Beschwerdeführerin zu 1. ist alleinerziehend und berufstätig. Ihr Sohn, der Beschwerdeführer zu 2., besuchte im Schuljahr 2020/2021 eine Grundschule in privater Trägerschaft.
2. Im Verfahren 1 BvR 971/21 wenden sich die Beschwerdeführerinnen und der Beschwerdeführer sowohl gegen § 28b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 IfSG als auch gegen § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG; die Beschwerdeführerin zu 6. greift außerdem die auf Kindertageseinrichtungen bezogene Regelung des § 28b Abs. 3 Satz 10, § 33 Nr. 1 IfSG an. Die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer des Verfahrens 1 BvR 1069/21 wenden sich ausschließlich gegen § 28b Abs. 3 Satz 3 IfSG.
Die beschwerdeführenden Schülerinnen und Schüler rügen insbesondere die Verletzung ihres Rechts auf Bildung, das sich aus dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG ergebe und auch völkerrechtlich anerkannt sei. Der Eingriff in dieses Grundrecht durch das Verbot von Präsenzunterricht sei unverhältnismäßig. Das Verbot sei nicht erforderlich, da nach sachkundiger Einschätzung Infektionen mindestens gleich wirksam bekämpft werden könnten, wenn die Schulen bei regelmäßiger Testung der Schüler unter Einhaltung von Schutz- und Hygienemaßnahmen geöffnet blieben. Als gleich wirksame und zugleich mildere Maßnahmen hätten außerdem verstärkt

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Schutzmaßnahmen im Bereich der Arbeit, eine verbesserte Kontaktnachverfolgung sowie ein gezielter Schutz vulnerabler Gruppen erfolgen müssen. Angesichts des allenfalls geringen Beitrags, den die Schulen zum Infektionsgeschehen leisteten, stünden die mit dem Verbot von Präsenzunterricht verbundenen schwerwiegenden Bildungsdefizite und Beeinträchtigungen ihrer Persönlichkeitsentwicklung auch außer Verhältnis zur Gemeinwohlbedeutung der Maßnahme. Bei der Angemessenheit sei zudem zu berücksichtigen, dass versäumt worden sei, die für die Beurteilung der Wirksamkeit der Maßnahme notwendigen Daten zu erheben, obwohl der Beginn der Pandemie mittlerweile mehr als ein Jahr zurückliege. Das Verbot von Präsenzunterricht verstoße zudem gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil die Arbeitsstätten in deutlich geringerem Umfang reguliert worden seien als die Schulen, ohne dass es hierfür sachliche Gründe gebe. Die Obliegenheit einer wöchentlich zweimaligen Testung als Voraussetzung für die Teilnahme am Präsenzunterricht verstoße wegen der damit verbundenen Gefahr einer Verletzung des Naseninnenraums und von psychischen Störungen gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und sei außerdem unvereinbar mit dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG.
Die Eltern der beschwerdeführenden Schülerinnen und Schüler machen unter anderem geltend, dass ihr nach Art. 6 Abs. 1 GG geschütztes Recht auf freie Gestaltung des Familienlebens und auf freie Bestimmung des Bildungsganges der Kinder nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG durch den Wegfall von Präsenzunterricht unverhältnismäßig beeinträchtigt worden sei.
III.
1. Zu den Verfassungsbeschwerden haben die Bundesregierung, der Deutsche Bundestag und die Bayerische Staatsregierung Stellung genommen.
a) Die Bundesregierung trägt unter anderem vor, das Verbot von Präsenzunterricht stelle keinen Eingriff in ein grundrechtlich geschütztes Recht auf Bildung der Schüler dar. In Betracht komme allenfalls ein originärer Leistungsanspruch auf kontinuierli

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chen Präsenzunterricht, der unter dem Vorbehalt des Möglichen stehe und in der konkreten Leistungsgewährung einem weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers unterliege. Ein solcher Anspruch auf Bildungsleistungen des Staates bestehe nur dann, wenn das notwendige Minimum an Bildung nicht erreicht werde, was hier nicht der Fall gewesen sei.
Jedenfalls sei das Verbot von Präsenzunterricht gerechtfertigt. Dem Gesetzgeber habe aufgrund der komplexen, dynamischen und durch Ungewissheiten geprägten Sachlage ein weiter Einschätzungsspielraum zugestanden. Dieser könne sich mit der Zeit zwar verringern. Der Gesetzgeber sei hier jedoch seiner Beobachtungs- und Korrekturpflicht nachgekommen. Dies ergebe sich etwa aus der Befristung der Maßnahmen und der unterlassenen Fortschreibung der Anordnungen aufgrund des sich bessernden Pandemiegeschehens wie auch aus der Verpflichtung zur Evaluation der Maßnahmen nach § 5 Abs. 9 IfSG. Der Aufklärungspflicht des Gesetzgebers werde auch mit der vom Robert Koch-Institut in Auftrag gegebenen "StopptCOVID-Studie" nachgekommen, die sich mit der Wirksamkeit der Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie in Deutschland befasse.
Das überragende Gewicht des Schutzes von Leib und Leben und die Dringlichkeit der ergriffenen Maßnahmen begründeten deren Angemessenheit trotz der erheblichen nachteiligen Folgen des Wegfalls von Präsenzunterricht für die Bildungschancen der betroffenen Schüler. Bei Verabschiedung des Gesetzes habe ein hochgradiges, sich dramatisch verschärfendes und diffuses Infektionsgeschehen mit verschiedenen neuen Virusvarianten vorgelegen. Die Lage auf den Intensivstationen sei von Sachverständigen als extrem angespannt eingeschätzt worden. Zudem sei die Impfkampagne zu sichern gewesen. In dieser Situation seien Kontaktbeschränkungen im schulischen Umfeld von großer Bedeutung gewesen, weil es insoweit um einen zahlenmäßig großen Personenkreis gegangen sei und Kontakte in besonders verbreitungsträchtigen Innenräumen stattgefunden hätten. Zugleich seien die Belastungen infolge wegfallenden Präsenzunterrichts durch die kurze Befristung der Regelung, die regionale Begrenzung des

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Verbots und dessen Verknüpfung mit einem Inzidenzschwellenwert abgemildert worden, der bei einer vollständigen Untersagung von Präsenzunterricht mit 165 besonders hoch gewesen sei. Der Unterricht sei auch nicht vollständig entfallen, vielmehr habe Distanzunterricht stattgefunden. Insoweit sei auch von Bedeutung, dass der Bund im Rahmen des mit den Ländern vereinbarten "DigitalPakts Schule" weitere 1,5 Milliarden Euro an Investitionshilfen zur Verbesserung des digitalen Unterrichts bereitgestellt habe.
Schulen seien nicht gleichheitswidrig gegenüber Arbeitsstätten benachteiligt worden. Als sachlicher Grund für eine unterschiedliche Regulierung sei der Umstand zu werten, dass nicht in ein Homeoffice verlagerbare Arbeitstätigkeiten bei einer Schließung von Unternehmen oder fehlender Testung gänzlich hätten unterbleiben müssen, während im Schulbetrieb Distanzunterricht möglich geblieben sei.
Das Verbot von Präsenzunterricht verletze auch keine Grundrechte der Eltern schulpflichtiger Kinder. Dadurch werde nicht in die nach Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Freiheit zur Entscheidung über die Rollenverteilung in der Ehe und die Gestaltung des Familienlebens eingegriffen, auch wenn der Wegfall von Präsenzunterricht tatsächlich eine Erweiterung der elterlichen Pflichten mit sich bringe. Soweit ein leistungsrechtlicher Anspruch bestehen sollte, den staatlichen Schulbetrieb und die Betreuung so auszugestalten, dass die gewählte Rollenverteilung und familiäre Gestaltung realisiert werden könne, sei dessen Einschränkung zum Schutz von Leib und Leben gerechtfertigt gewesen. Zudem sei insoweit zu berücksichtigen, dass die Länder eine Notbetreuung hätten einrichten können. Das nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte elterliche Bestimmungsrecht über den Bildungsgang ihrer Kinder umfasse nicht das Recht, jedwede die Schule betreffende Beschränkung abwehren zu können.
b) Nach Auffassung des Deutschen Bundestages bewirkte das Verbot von Präsenzunterricht zwar einen Eingriff in ein "Grundrecht auf Bildung" aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowie in das Familiengrundrecht nach Art. 6 Abs. 1

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GG und das elterliche Bestimmungsrecht nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Eingriffe seien jedoch gerechtfertigt gewesen. Der Gesetzgeber habe von einem diffusen Infektionsgeschehen bei ansteigenden Infektionszahlen und der Verbreitung gefährlicher Virusvarianten ausgehen müssen. Angesichts der volatilen Lage habe ihm ein weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zugestanden, der sich nicht nur auf die Erfassung der empirischen Realität, sondern auch auf die Entwicklung des Maßnahmenbündels bezogen habe. Mit der "Bundesnotbremse" habe der Gesetzgeber ein multidimensionales, an die dynamische Entwicklung angepasstes Schutzkonzept erlassen, das auf eine "Gesamtsignalwirkung" gesetzt habe. Dabei sei dem Gesundheitsschutz kein absoluter Vorrang zugemessen worden, was sich schon an den Inzidenzschwellenwerten zeige, die Ergebnisse von Abwägungen in eine praktikable Form gebracht hätten. Es sei ein angemessener Ausgleich hergestellt worden. So sei auch bei einer hohen Inzidenz zunächst noch Präsenzunterricht in Gestalt von Wechselunterricht zulässig gewesen, um den Präsenzunterricht dann nur bei einer erheblichen Zuspitzung des Infektionsgeschehens vollständig zu untersagen.
c) Die Bayerische Staatsregierung trägt vor, es könne dahinstehen, ob es ein grundrechtlich geschütztes "Recht auf Bildung" gebe. Jedenfalls ließen sich hieraus keine konkreten Pflichten des Gesetzgebers ableiten, vielmehr bestehe ein Recht auf Unterrichtsbesuch nur im Rahmen des vorhandenen Bildungsangebots. Daher könnten die beschwerdeführenden Schülerinnen und Schüler nicht die Durchführung von Präsenzunterricht verlangen. Im Übrigen sei das Verbot von Präsenzunterricht auch dann verhältnismäßig gewesen, wenn die Maßnahme ein Recht auf Bildung beeinträchtigt haben sollte. Der Gesetzgeber sei aufgrund seiner Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet, die Bevölkerung vor Gefahren für Leib und Leben und vor einer Überforderung des Gesundheitssystems zu schützen. Präsenzunterricht sei zwar von essentieller Bedeutung für eine chancengleiche und nachhaltige Bildung. Die Eingriffsintensität der Verbote sei jedoch durch Angebote von qualitativ hochwertigem Distanzunter

BVerfGE 159, 355 (372):

richt so gering wie möglich gehalten worden. Auch habe Bayern zur Wahrung der Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit ein umfangreiches Förderprogramm aufgelegt. Schließlich sei die Maßnahme von vornherein befristet gewesen.
2. Gemäß § 27a BVerfGG wurde zahlreichen sachkundigen Dritten aus Medizin, Infektionsforschung, der Schülerschaft, Pädagogik und Schulforschung Gelegenheit gegeben, zu den folgenden Fragen Stellung zu nehmen:
Von der Gelegenheit zur Stellungnahme haben Gebrauch gemacht der Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland e.V. (im Folgenden BKJPP), die Bundesärztekammer, der Bundeselternrat, der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD), die COVID-19 Data Analysis Group am Institut für Statistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München (CODAG), die Deutsche Akademie für Kinder- und Ju

BVerfGE 159, 355 (375):

gendmedizin e.V. (DAKJ), die Deutsche Gesellschaft für Epidemiologie in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (DGEpi/GMDS),die Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft e.V. (DGfE), die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene e.V. (DGKH), die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie e.V. (DGPl), der Deutsche Kinderschutzbund Bundesverband e.V. (KSB), die Gesellschaft für Aerosolforschung e.V. (GAeF), das Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen (HIB), das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung GmbH (HZI), das ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V. – Zentrum für Bildungsökonomik (ifo Institut), das Institut für Virologie der Universitätsmedizin Charité Berlin (Charité), das Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation (MPIDS) und das Robert Koch-Institut (RKI).
 
B.
Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig, soweit das Verbot schulischen Präsenzunterrichts nach § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG angegriffen wird.
I.
Die Beschwerdebefugnis ist teilweise gegeben. Sie setzt voraus, dass sowohl die Möglichkeit der eigenen, unmittelbaren und gegenwärtigen Betroffenheit als auch die Möglichkeit der Grundrechtsverletzung den Begründungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechend dargelegt wird.
Im Ergebnis genügt die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 971/21 diesen Begründungsanforderungen nicht, soweit die Regelungen zur Testobliegenheit (§ 28b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 IfSG) und zur inzidenzabhängigen Schließung von Kindertagesstätten (§ 28b Abs. 3 Satz 10, § 33 Nr. 1 IfSG) angegriffen werden; sie ist insoweit unzulässig (1, 2). Soweit hingegen die Regelungen zur inzidenzabhängigen Beschränkung des schulischen Präsenzunterrichts nach § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG angegriffen wer

BVerfGE 159, 355 (376):

den, sind in beiden Verfassungsbeschwerden sowohl die eigene, unmittelbare und gegenwärtige Betroffenheit als auch die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung hinreichend dargelegt (3).
1. Soweit die Beschwerdeführerinnen zu 3. bis 5. im Verfahren 1 BvR 971/21 das Erfordernis zweier Testungen pro Woche als Voraussetzung für eine Teilnahme am Präsenzunterricht gemäß § 28b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 IfSG angreifen, fehlt es an einer hinreichenden Darlegung einer möglichen Verletzung von Grundrechten und der eigenen Betroffenheit. Es wird lediglich abstrakt behauptet, dass Testungen zu Verletzungen im Naseninnenbereich und psychischen Belastungen führen und die freie Entfaltung der Persönlichkeit beeinträchtigen könnten. Die Beschwerdeführerinnen lassen jedoch offen, auf welche Art und Weise die Testungen in den von ihnen besuchten Schulen durchgeführt werden und welchen konkreten Belastungen sie selbst hierbei bisher ausgesetzt waren.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch insoweit unzulässig, als die Beschwerdeführerin zu 6. im Verfahren 1 BvR 971/21 das Verbot einer Öffnung von Kindertageseinrichtungen bei Überschreiten einer Sieben-Tage-Inzidenz von 165 gemäß § 28b Abs. 3 Satz 10, § 33 Nr. 1 IfSG angreift. Sie zeigt nicht auf – etwa durch Angaben zum Betreuungskonzept der in Rede stehenden Kindertageseinrichtung –, inwiefern ein Recht auf Bildung der bei Erhebung der Verfassungsbeschwerde vierjährigen Beschwerdeführerin zu 6. berührt sein sollte. Sie verweist lediglich auf den Vortrag der Beschwerdeführerinnen zu 3. bis 5. zur schulischen Bildung, legt aber nicht dar, was daraus für eine Schließung von Kindertageseinrichtungen folgen sollte.
Darüber hinaus legt die Beschwerdeführerin nicht dar, dass sie von der Maßnahme konkret betroffen ist. Sie zeigt nicht auf, dass es ihr im Falle der Einstellung des Betriebs von Kindertageseinrichtungen in der kreisfreien Stadt München wegen Überschreitens einer Inzidenz von 165 nicht möglich gewesen wäre, eine gleichwertige Betreuung im Rahmen der nach § 28b Abs. 3 Satz 6 und 10 IfSG eröffneten Notbetreuung in Anspruch zu nehmen.
3. Soweit die Verfassungsbeschwerden die Regelung des § 28b

BVerfGE 159, 355 (377):

Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG zum inzidenzabhängigen Verbot des schulischen Präsenzunterrichts angreifen, ist hinreichend dargelegt, dass die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer selbst, unmittelbar und gegenwärtig betroffen waren und dass die Möglichkeit der Verletzung in eigenen Grundrechten bestand.
a) Die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer waren durch die angegriffenen Regelungen, die keines weiteren Vollzugsakts bedürfen, selbst und unmittelbar betroffen, obwohl sie von der Regelung nicht unmittelbar adressiert waren (unten Rn. 73).
Es fehlt auch nicht an einer gegenwärtigen Betroffenheit. Maßgeblich dafür ist zunächst der Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerden (vgl. dazu BVerfGE 140, 42 [57 f. Rn. 58]). Zwar fand jedenfalls die vollständige Untersagung von Präsenzunterricht nach § 28b Abs. 3 Satz 3 IfSG bei Erhebung der Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 971/21 am 4. Mai 2021 auf den Beschwerdeführer zu 1. und die Beschwerdeführerinnen zu 2. bis 5. keine Anwendung, weil die Sieben-Tage-Inzidenz in der kreisfreien Stadt München den dafür maßgeblichen Schwellenwert von 165 nicht an drei aufeinanderfolgenden Tagen überschritten hatte. Es bestand jedoch nicht lediglich eine vage Aussicht, dass sie irgendwann einmal in der Zukunft von diesen Regelungen betroffen sein könnten (vgl. BVerfGE 114, 258 [277]; 140, 42 [58 Rn. 59]). Noch Mitte April 2021 hatte die Sieben-Tage-Inzidenz im Stadtkreis München an mehreren Tagen über der Schwelle von 160 gelegen. Sie war seitdem bis zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde auch nicht stetig gesunken, sondern stieg tageweise wieder an. Wegen des damaligen dynamischen Infektionsgeschehens musste jederzeit damit gerechnet werden, dass der schulische Präsenzunterricht und der Betrieb von Kindertageseinrichtungen auch in München wegen Überschreitens des Schwellenwertes vollständig eingestellt werden würde.
b) Soweit die Verfassungsbeschwerden die Regelung des § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG zum inzidenzabhängigen Verbot des schulischen Präsenzunterrichts angreifen, ist im Ergebnis auch hinreichend dargelegt, dass die Möglichkeit der Verletzung in ei

BVerfGE 159, 355 (378):

genen Grundrechten bestand. Das trifft allerdings nicht hinsichtlich aller insoweit erhobenen Grundrechtsrügen zu.
aa) Eine Verletzung des Gleichheitsgebots nach Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht hinreichend dargetan.
(1) Soweit die beschwerdeführenden Schülerinnen und Schüler in beiden Verfahren rügen, dass die Kontaktmöglichkeiten an den Schulen erheblich stärker beschränkt worden seien als an den Arbeitsstätten, ohne dass es hierfür einen sachlichen Grund gebe, fehlt es an substantiiertem Vorbringen. Der bloße Verweis darauf, dass sich sowohl Schüler als auch Arbeitnehmer längere Zeit gemeinsam in geschlossenen Räumen aufhielten, wird der von der jeweiligen beruflichen Tätigkeit abhängigen Vielfalt der räumlichen Verhältnisse und Kontaktmöglichkeiten an den Arbeitsstätten nicht gerecht. Daraus resultieren unterschiedliche Infektionsgefahren in der Arbeitswelt selbst wie auch im Vergleich zu den Schulen. Weiter fehlt jede Auseinandersetzung mit der Frage, ob es sachliche Gründe dafür gab, die Präsenz in Arbeitsstätten nicht ebenso wie an Schulen bei einer regionalen Überschreitung hoher Inzidenzwerte zu untersagen, sondern stattdessen flächendeckend und inzidenzunabhängig eine Pflicht zur Ausführung von Büroarbeit in der Wohnung vorzusehen, wenn dem keine zwingenden Gründe entgegenstanden (§ 28b Abs. 7 IfSG). Insoweit hätte etwa in den Blick genommen werden müssen, dass nicht alle Arbeitstätigkeiten im Homeoffice erfüllt werden können, während es an den Schulen grundsätzlich möglich ist, auf Distanzunterricht auszuweichen.
(2) Die Rüge der Beschwerdeführerinnen zu 3. bis 5. im Verfahren 1 BvR 971/21, es verstoße gegen das Gleichheitsgebot, dass Arbeitnehmer das Angebot ihres Arbeitgebers zu Testungen nicht annehmen müssten, während Schüler den Präsenzunterricht nur dann besuchen dürften, wenn sie sich testen ließen, genügt ebenfalls nicht den Darlegungsanforderungen. Auch insoweit fehlen Ausführungen zu möglichen sachlichen Gründen für eine Ungleichbehandlung. Die arbeitsrechtlichen Besonderheiten legen es ebenso wie das Alter der Betroffenen nahe, dass es solche Unterschiede gibt. So könnten Tests an Schulen auch deshalb dringli

BVerfGE 159, 355 (379):

cher sein, weil Kinder nach einhelliger sachkundiger Einschätzung häufiger asymptomatisch infiziert sind als Erwachsene. Hierzu verhält sich die Verfassungsbeschwerde nicht.
bb) Die Beschwerdeführerinnen zu 3. bis 5. im Verfahren 1 BvR 971/21 zeigen die Möglichkeit einer Verletzung in ihrem Grundrecht auf Schutz ihrer Gesundheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG durch das Verbot von Präsenzunterricht nicht hinreichend substantiiert auf. Insoweit hätte es der konkret-individuellen Darlegung bedurft, ob und wenn ja in welcher Art und Weise sich der Wegfall von Präsenzunterricht seit Beginn der Pandemie nachteilig auf die Gesundheit der Beschwerdeführerinnen ausgewirkt hat und inwiefern dies kausal auf die Schulschließungen zurückzuführen ist.
cc) Ebenso genügt die Rüge einer Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG des Beschwerdeführers zu 1. und der Beschwerdeführerin zu 2. als den Eltern im Verfahren 1 BvR 971/21 nicht, um die Möglichkeit einer Verletzung in ihrer Berufsfreiheit erkennen zu lassen. Es fehlt gänzlich an Ausführungen zu etwaigen konkreten Beeinträchtigungen der Berufsausübung, die unmittelbar auf den Wegfall schulischen Präsenzunterrichts ihrer Kinder zurückzuführen wären, sowie zu der Frage, inwiefern den Schulschließungen eine auf die Eltern schulpflichtiger Kinder bezogene berufsregelnde Tendenz zukommen könnte.
dd) Demgegenüber genügen die auf das Verbot von Präsenzunterricht nach § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG bezogenen Rügen der Verletzung eines im Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG verankerten Rechts auf schulische Bildung der beschwerdeführenden Schülerinnen und des beschwerdeführenden Schülers in beiden Verfahren, einer Verletzung des Rechts der Eltern auf freie Bestimmung des Bildungsganges ihres Kindes nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG der Beschwerdeführerin zu 1. im Verfahren 1 BvR 1069/21 sowie einer Verletzung des Familiengrundrechts aus Art. 6 Abs. 1 GG des Beschwerdeführers zu 1. und der Beschwerdeführerin zu 2. im Verfahren 1 BvR 971/21 den Begründungsanforderungen.


BVerfGE 159, 355 (380):

II.
Das erforderliche allgemeine Rechtsschutzbedürfnis liegt vor (Beschluss vom heutigen Tage – BVerfGE 159, 223 (272 f. Rn. 97 ff.). Die Verfassungsbeschwerden genügen zudem den Anforderungen an die Rechtswegerschöpfung und die Subsidiarität im weiteren Sinne (Beschluss vom heutigen Tage – BVerfGE 159, 223 [273 ff. Rn. 100 ff.]).
 
C.
Die Verfassungsbeschwerden bleiben ohne Erfolg. Zwar ist das Recht auf schulische Bildung grundrechtlich geschützt. Das Verbot von Präsenzunterricht nach § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG verletzte jedoch nicht das Recht auf schulische Bildung der beschwerdeführenden Schülerinnen und Schüler (I.). Es verletzte auch nicht das Recht der Beschwerdeführerin zu 1. im Verfahren 1 BvR 1069/21 auf freie Bestimmung des Bildungsganges ihres Sohnes (II.) oder das von dem Beschwerdeführer zu 1. und der Beschwerdeführerin zu 2. als Eltern schulpflichtiger Kinder im Verfahren 1 BvR 971/21 geltend gemachte Familiengrundrecht des Art. 6 Abs. 1 GG (III.).
I.
Das Verbot von Präsenzunterricht griff in das nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 GG geschützte Recht auf schulische Bildung ein (1). Der Eingriff war jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt, weil die angegriffene Regelung sowohl formell (2) als auch materiell (3) verfassungsgemäß war (zu diesem Erfordernis grundlegend BVerfGE 6, 32 [40]; stRspr).
1. Die beschwerdeführenden Schülerinnen und Schüler können sich unter Berufung auf ihr grundrechtlich geschütztes Recht auf schulische Bildung gegen das infektionsschutzrechtliche Verbot von Präsenzunterricht gemäß § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG wenden.
Mit dem Auftrag des Staates zur Gewährleistung schulischer Bildung nach Art. 7 Abs. 1 GG korrespondiert ein im Recht der Kinder auf freie Entwicklung und Entfaltung ihrer Persönlichkeit

BVerfGE 159, 355 (381):

nach Art. 2 Abs. 1 GG verankertes Recht auf schulische Bildung gegenüber dem Staat (in BVerfGE 45, 400 [417] noch ausdrücklich offengelassen; a und b). Dieses Recht auf schulische Bildung nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 GG weist verschiedene Gewährleistungsdimensionen auf (c). Ihm kann im Grundsatz kein Anspruch auf eine bestimmte Form der Wahrnehmung des aus Art. 7 Abs. 1 GG folgenden Auftrags zur Gestaltung staatlicher Schulen entnommen werden (c aa und c bb). Es gewährleistet aber allen Kindern eine diskriminierungsfreie Teilhabe an den vom Staat zur Verfügung gestellten Schulen (c cc). Schülerinnen und Schüler können sich darüber hinaus gegen staatliche Maßnahmen wenden, welche die ihnen an ihrer Schule eröffneten Möglichkeiten schulischer Bildung einschränken, ohne das Schulsystem selbst zu verändern. Solche Eingriffe in das Recht auf schulische Bildung sind am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgebots zu messen (c dd). Das Recht auf schulische Bildung vermittelt ein Abwehrrecht auch insoweit, als staatliche Maßnahmen die an Privatschulen eigenverantwortlich gestaltete und den Schülern vertraglich eröffnete Schulbildung einschränken (d). Diese Bestimmung des Schutzbereichs und der Gewährleistungsdimensionen des grundrechtlich geschützten Rechts auf schulische Bildung steht in Einklang mit dem völkerrechtlichen Verständnis eines "Rechts auf Bildung" (e). Das infektionsschutzrechtliche Verbot von Präsenzunterricht nach § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG stellte einen Eingriff in das Recht der Kinder und Jugendlichen auf schulische Bildung dar (f).
a) aa) Kinder und Jugendliche haben ein eigenes Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Sie bedürfen jedoch des Schutzes und der Hilfe, um sich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen Gemeinschaft entwickeln zu können (vgl. BVerfGE 121, 69 [92 f.]; 133, 59 [73 f. Rn. 42]; stRspr). Nach dem Grundgesetz kommt diese Aufgabe zuvörderst den Eltern zu. Sie sind gegenüber dem Staat zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder berechtigt und verpflichtet; über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft (Art. 6 Abs. 2 GG).
Doch auch Kinder selbst haben ein aus Art. 2 Abs. 1 GG abge

BVerfGE 159, 355 (382):

leitetes, gegen den Staat gerichtetes Recht auf Unterstützung und Förderung bei ihrer Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen Gemeinschaft; der Staat muss diejenigen Lebensbedingungen sichern, die für ihr gesundes Aufwachsen erforderlich sind. Diese im grundrechtlich geschützten Entfaltungsrecht der Kinder wurzelnde besondere Schutzverantwortung des Staates erstreckt sich auf alle für die Persönlichkeitsentwicklung wesentlichen Lebensbedingungen. Daher ist der Staat auch insoweit, als die Pflege- und Erziehungspflicht in den Händen der Eltern liegt, gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gegenüber dem Kind verpflichtet, Sorge zu tragen, dass es sich in der Obhut seiner Eltern tatsächlich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit entwickeln kann (vgl. BVerfGE 101, 361 [385 f.]; 121, 69 [93 f.]; 133, 59 [73 f. Rn. 42]). Aus dem Recht des Kindes auf Unterstützung seiner Persönlichkeitsentwicklung können über die Sicherung der Elternverantwortung hinaus auch eigene, die elterliche Fürsorge unterstützende und ergänzende Pflichten des Staates gegenüber den Kindern erwachsen, wo dies für ihre Persönlichkeitsentwicklung bedeutsam ist (vgl. BVerfGE 83, 130 [139] zu jugendgefährdenden Schriften).
bb) Das Recht der Kinder und Jugendlichen auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG enthält auch ein Recht gegenüber dem Staat, ihre Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit auch in der Gemeinschaft durch schulische Bildung gemäß dem Bildungsauftrag nach Art. 7 Abs. 1 GG zu unterstützen und zu fördern (Recht auf schulische Bildung).
Das Grundgesetz sichert nicht nur die elterliche Pflege und Erziehung der Kinder gemäß Art. 6 Abs. 2 GG, sondern gewährleistet darüber hinaus eine staatliche Schulbildung als weitere Grundbedingung für die chancengerechte Entwicklung der Kinder zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit. Nach Art. 7 Abs. 1 GG kommt dem Staat die Aufgabe zu, ein Schulsystem zu schaffen, das allen Kindern und Jugendlichen gemäß ihren Fähigkeiten die dem heutigen gesellschaftlichen Leben entsprechenden Bildungsmöglichkeiten eröffnet, um so ihre Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Ge

BVerfGE 159, 355 (383):

meinschaft umfassend zu fördern und zu unterstützen (vgl. BVerfGE 34, 165 [182, 188 f.]; 47, 46 [72]; 93, 1 [20]). Diese dem Staat zugewiesene Aufgabe ist auf das gleiche Ziel gerichtet wie das in Art. 2 Abs. 1 GG verankerte Recht der Kinder und Jugendlichen gegenüber dem Staat auf Unterstützung ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Der Staat kommt also, wenn er gemäß dem Auftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG die Schulbildung gewährleistet, zugleich seiner ihm nach Art. 2 Abs. 1 GG gegenüber den Kindern und Jugendlichen obliegenden Pflicht nach, sie bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen und zu fördern. Das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Recht der Kinder und Jugendlichen ist folglich das subjektiv-rechtliche "Gegenstück" (vgl. Langenfeld, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG Konkordanzkommentar, 2. Aufl. 2013, Kap. 23 Rn. 10) zur objektiv-rechtlichen Pflicht des Staates aus Art. 7 Abs. 1 GG, schulische Bildungsmöglichkeiten zu eröffnen, die deren Persönlichkeitsentwicklung dienen (zu landesverfassungsrechtlichen Gewährleistungen vgl. Art. 11 BWVerf, Art. 128 Abs. 1 BayVerf, Art. 20 Abs. 1 BlnVerf, Art. 29 BbgVerf, Art. 27 BremVerf, Art. 59 HessVerf, Art. 8 und Art. 15 MVVerf, Art. 4 Abs. 1 NdsVerf, Art. 8 NWVerf, Art. 24a Abs. 1 SVerf, Art. 102 Abs. 1 SächsVerf, Art. 25 Abs. 1 LSAVerf, Art. 20 Satz 1 ThürVerf).
b) Der Schutzbereich dieses Rechts umfasst, soweit es nicht um die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte berufsbezogene Ausbildung geht (vgl. dazu BVerfGE 58, 257 [273]), die Schulbildung als Ganze.
Ziel der Schulbildung ist die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen zu einer selbstbestimmten Persönlichkeit. So wie dieses Ziel gemeinsam mit elterlicher Fürsorge gefördert werden muss, kann die schulische Bildung nur bei einem sinnvoll aufeinander bezogenen Zusammenwirken ihrer verschiedenen Elemente hierzu beitragen (vgl. BVerfGE 34, 165 [182 f., 187]). Den Stellungnahmen der sachkundigen Dritten kann entnommen werden, wie die von der schulischen Bildung umfasste Vermittlung von Kenntnissen, Fertigkeiten sowie Allgemeinbildung und Erziehung – je nach dem Alter der Schülerinnen und Schüler mit unterschied

BVerfGE 159, 355 (384):

licher Schwerpunktsetzung – insgesamt die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen zu Persönlichkeiten ermöglicht, die ihre Fähigkeiten und Begabungen entfalten und selbstbestimmt an der Gesellschaft teilhaben können (Bundeselternrat, BKJPP, DAKJ und DGfE). Einen wesentlichen Beitrag hierzu leistet die Herausbildung sozialer Kompetenzen durch die in der Schule stattfindende soziale Interaktion der Schülerinnen und Schüler untereinander und mit dem Lehrpersonal (vgl. BVerfGK 1, 141 [143]; 8, 151 [155]). Die Schulbildung erfüllt so auch die Aufgabe, die elterliche Pflege und Erziehung bei der Förderung der Entwicklung der Kinder zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit zu ergänzen und durch die Herstellung gleicher Bildungschancen alle Kinder und Jugendlichen zu einer selbstbestimmten Teilhabe an der Gesellschaft zu befähigen (vgl. BVerfGE 34, 165 [189]).
c) Das Recht auf schulische Bildung umfasst verschiedene Gewährleistungsdimensionen.
aa) Das Recht auf schulische Bildung, das außerhalb von Privatschulen nur durch die Inanspruchnahme von Bildungsleistungen des Staates verwirklicht werden kann, gibt den einzelnen Schülerinnen und Schülern im Grundsatz keinen originären Leistungsanspruch auf eine bestimmte Gestaltung staatlicher Schulen. Das gilt nicht nur, soweit die Schaffung neuer Schulstrukturen begehrt wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 27. November 2017 – 1 BvR 1555/14 –, Rn. 25). Das Recht auf schulische Bildung vermittelt im Regelfall auch keinen Anspruch auf Beibehaltung vorhandener schulischer Strukturen, wenn diese in Wahrnehmung des Bildungsauftrags nach Art. 7 Abs. 1 GG geändert werden.
(1) Trotz der von den Ländern normierten Schulpflicht kommt ein Anspruch auf ein bestimmtes Schulangebot nicht in Betracht, weil sich der Staat bei Wahrnehmung seines Auftrags zur Gestaltung von Schule nach Art. 7 Abs. 1 GG auf einen weiten Spielraum und den Vorbehalt des Möglichen berufen kann. Dies hat das Bundesverfassungsgericht für das Recht der Eltern auf Bestimmung des Bildungsweges ihrer Kinder bereits festgestellt (vgl. BVerfGE 34, 165 [182, 184]; 45, 400 [415]; 53, 185 [196]).


BVerfGE 159, 355 (385):

Die dem Staat gemäß Art. 7 Abs. 1 GG obliegende Gestaltung des Schulsystems umfasst die organisatorische Gliederung der Schule, die strukturellen Festlegungen des Ausbildungssystems, das inhaltliche und didaktische Programm der Lernvorgänge und das Setzen der Lernziele, die Entscheidung darüber, ob und wieweit diese Ziele von den Schülern erreicht worden sind, sowie die Bestimmung der Voraussetzungen für den Zugang zur Schule, den Übergang von einem Bildungsweg zum anderen und die Versetzung innerhalb eines Bildungsganges (vgl. BVerfGE 34, 165 [182]; 45, 400 [415]; 53, 185 [196]). Darüber hinaus steht das Recht der Eltern auf Bestimmung des Bildungsweges ihrer Kinder unter dem Vorbehalt des Möglichen (vgl. BVerfGE 34, 165 [184]). Daraus folgt, dass das Bestimmungsrecht nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG den Eltern nur einen Anspruch auf Einhaltung eines unverzichtbaren Mindeststandards bei der staatlichen Gestaltung der schulischen Strukturen vermittelt. So darf diese Gestaltung das Bestimmungsrecht nicht obsolet werden lassen (vgl. BVerfGE 45, 400 [415 f.]; 53, 185 [202]) und nicht offensichtlich nachteilig für die Entwicklung der ganzen Persönlichkeit des Kindes und seines Verhältnisses zur Gemeinschaft sein (vgl. BVerfGE 34, 165 [188 f.]).
(2) Diese Grundsätze gelten im Ansatz auch für das Recht der Kinder und Jugendlichen auf schulische Bildung nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 GG (vgl. bereits BVerfGE 53, 185 [203] zum Entfaltungsrecht der Schüler nach Art. 2 Abs. 1 GG). Auch aus diesem Recht können keine individuellen Ansprüche auf die wunschgemäße Gestaltung von Schule abgeleitet werden; dies wäre angesichts der Vielfalt der Bildungsvorstellungen der einzelnen Schülerinnen und Schüler auch schlicht nicht umzusetzen (vgl. BVerfGE 45, 400 [415 f.]). Die Schule soll vielmehr für alle Kinder und Jugendlichen eine Grundlage für ihre Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der Gemeinschaft legen. Daher ist es auch Aufgabe des Staates, die verschiedenen Bildungsfaktoren wie die Erschließung und Förderung individueller Begabungen, die Vermittlung von Allgemeinbildung und von sozialen Kompetenzen bei der Festlegung schulischer

BVerfGE 159, 355 (386):

Strukturen aufeinander abzustimmen. Er kann diese Aufgabe nur durch eine "verhältnismäßige Berücksichtigung der Einzelinteressen" erfüllen (vgl. BVerfGE 34, 165 [188 f.]). Der Gestaltungsspielraum der Länder bei der Wahrnehmung ihres Auftrags nach Art. 7 Abs. 1 GG zur Gestaltung von Schule wird deshalb durch das Recht auf schulische Bildung ebenso wenig in Frage gestellt wie durch das elterliche Bestimmungsrecht.
Der Staat kann sich darüber hinaus auch hinsichtlich des Rechts auf schulische Bildung auf einen Vorbehalt des Möglichen berufen. Das gilt nicht nur für den Fall, dass die gewünschten staatlichen Bildungsleistungen wegen aktuell unüberwindlicher personeller, sächlicher oder organisatorischer Zwänge tatsächlich nicht erbracht werden können, sondern auch hinsichtlich der Entscheidung, ob und inwieweit hierfür die nur begrenzt zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel verwendet werden sollen. Denn in erster Linie hat der Gesetzgeber in eigener Verantwortung zu entscheiden, in welchem Umfang die vorhandenen Mittel unter Berücksichtigung anderer gleichrangiger Staatsaufgaben für Zwecke der Schulbildung eingesetzt werden sollen (vgl. BVerfGE 96, 288 [305 f.] m.w.N.). Das überragende Gewicht, das dem Recht auf chancengleiche schulische Bildung als einer neben der elterlichen Pflege und Erziehung stehenden Grundbedingung für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der Gemeinschaft zukommt, wie auch das besonders bedeutsame Gemeinwohlinteresse, durch Schulbildung zu einer gelingenden Integration der jungen Menschen in Staat und Gesellschaft beizutragen, muss allerdings im Rahmen dieser Entscheidung zum Tragen kommen.
bb) Vor diesem Hintergrund kann zwar grundsätzlich keine bestimmte Gestaltung von Schule verlangt werden. Aus dem Recht auf schulische Bildung folgt jedoch ein grundrechtlich geschützter Anspruch von Schülerinnen und Schülern auf Einhaltung eines nach allgemeiner Auffassung für ihre chancengleiche Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit unverzichtbaren Mindeststandards von Bildungsangeboten an staatlichen Schulen (vgl. Glotz/Faber, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch

BVerfGE 159, 355 (387):

des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 28 Rn. 13; zum Anspruch einzelner Schüler auf eine an ihrer Schule tatsächlich mögliche Kompensation des aus Gründen des Infektionsschutzes längere Zeit wegfallenden Präsenzunterrichts durch Distanzunterricht unten Rn. 173 f.). Diesem Anspruch können zwar ausnahmsweise überwiegende Gründe des Schutzes von Verfassungsrechtsgütern entgegenstehen (zur Angemessenheit des Verbots von Präsenzunterricht aus Gründen des Schutzes von Leib und Leben unten Rn. 133 ff.). Ihm kann jedoch weder der – bei einem Unterschreiten des Mindeststandards schulischer Bildungsleistungen ohnehin verfehlte – Auftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG zur freien Gestaltung von Schule noch die staatliche Entscheidungsfreiheit bei der Verwendung knapper öffentlicher Mittel entgegengehalten werden.
cc) Dem Recht auf schulische Bildung der Kinder und Jugendlichen kommt eine teilhaberechtliche Gewährleistungsdimension zu. Insoweit geht es schon wegen der von den Ländern normierten Schulpflicht nicht um ein Recht auf Zugang zu staatlichen Schulen überhaupt, sondern um den Zugang zu bestimmten Bildungsangeboten.
Die Schulbildung ist neben der elterlichen Pflege und Fürsorge eine Grundbedingung dafür, dass sich Kinder und Jugendliche zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen Gemeinschaft entwickeln können (oben Rn. 48 ff.). Auch hat der Staat – ungeachtet des Rechts zur Errichtung privater Schulen nach Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG – eine zentrale Stellung für die Vermittlung schulischer Bildung, die weit überwiegend in staatlichen Schulen erfolgt (vgl. BVerfGE 96, 288 [304]). Der Zugang der Kinder und Jugendlichen zu den verschiedenen, an staatlichen Schulen angebotenen Bildungsgängen ist also Voraussetzung dafür, dass diese sich im Interesse ihrer Persönlichkeitsentwicklung nach eigenen Vorstellungen schulisch bilden können. Daher folgt aus dem Recht auf schulische Bildung in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ein Recht auf gleiche Teilhabe an den staatlichen Bildungsleistungen (vgl. BVerfGE

BVerfGE 159, 355 (388):

33, 303 [332 ff.]; 134, 1 [13 Rn. 36] und 147, 253 [305 f. Rn. 103 f.] zum gleichen Zugang zum staatlichen Studienangebot).
Dieses Recht auf gleichen Zugang zu schulischer Bildung ist derivativer Natur. Denn es besteht nur nach Maßgabe der vom Staat im Rahmen seiner bildungspolitischen Gestaltungsfreiheit zur Verfügung gestellten Bildungsgänge und Schulstrukturen sowie der Voraussetzungen, die er für den Zugang zur Schule, den Übergang von einem Bildungsweg zum anderen und die Versetzung innerhalb des Bildungsganges festgelegt hat (vgl. BVerfGE 34, 165 [182]). Das Recht auf schulische Bildung in seiner teilhaberechtlichen Funktion ist verletzt, wenn diese Zugangsvoraussetzungen willkürlich oder diskriminierend ausgestaltet oder angewendet werden (vgl. zum gleichen Zugang im Fall begrenzter Kapazitäten etwa Sächsisches OVG, Beschluss vom 11. November 2016 – 2 B 205/16 –). Die leistungsbedingte Versagung eines Bildungsganges oder eine Nichtversetzung in die nächste Klassenstufe kann darüber hinaus bei Geltung der Schulpflicht in das allgemeine Entfaltungsrecht der Schüler (Art. 2 Abs. 1 GG) oder bei einem Ausbildungsbezug des Unterrichts in das Recht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte (Art. 12 Abs. 1 GG) eingreifen (vgl. BVerfGE 58, 257 [272 ff.]).
dd) Schülerinnen und Schüler können sich darüber hinaus aber auch gegen staatliche Maßnahmen wenden, welche die ihnen an ihrer Schule eröffneten Möglichkeiten zur Wahrnehmung ihres Rechts auf schulische Bildung einschränken, ohne dass diese Maßnahmen das in Ausgestaltung von Art. 7 Abs. 1 GG geschaffene Schulsystem als solches betreffen.
(1) Der Umstand, dass Schülerinnen und Schüler ihr Recht auf schulische Bildung außerhalb von Privatschulen nicht aus eigenem Vermögen wahrnehmen können, sondern nur in dem Maße, in dem der Staat Bildungsleistungen erbringt, steht einem abwehrrechtlichen Gewährleistungsgehalt dieses Rechts nicht entgegen. Das Recht auf schulische Bildung ist darauf gerichtet, dass der Staat die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten in der Gemeinschaft durch schulische Bildung gemäß dem Bildungsauftrag nach Art. 7 Abs. 1

BVerfGE 159, 355 (389):

GG unterstützt und fördert (oben Rn. 47 f.). Die vom Staat zur Verfügung gestellten Bildungsleistungen sind danach dem Zweck gewidmet, Schülern zu ermöglichen, sich gerade in Wahrnehmung ihres Rechts auf schulische Bildung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten zu entwickeln. Folglich kommen Schüler, wenn sie am Unterricht teilnehmen, nicht nur der Schulpflicht nach, sondern üben zugleich ihr nach Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 GG geschütztes Recht aus, ihre Persönlichkeit mit Hilfe schulischer Bildung frei zu entfalten. Wird diese spezifisch schulische Entfaltungsmöglichkeit durch staatliche Maßnahmen eingeschränkt, liegt darin – wie bei Beeinträchtigungen anderer Grundrechte auch – ein Eingriff, gegen den sich Schüler wenden können.
(2) Dieses Abwehrrecht reicht nur soweit, wie das vom Staat als Ganzes ausgestaltete Schulsystem in jeder einzelnen Schule eine nach Art, Inhalt und Umfang bestimmte schulische Bildung eröffnet. Daher können sich die Schülerinnen und Schüler nur gegen solche Maßnahmen wenden, die zwar die Ausübung des Rechts auf schulische Bildung einschränken, das vom Staat zur Wahrnehmung dieses Rechts bereitgestellte Schulsystem selbst jedoch unberührt lassen, wie etwa bei belastenden Ordnungsmaßnahmen wie dem Schulausschluss wegen Störung des Schulfriedens (vgl. zu einem an Art. 12 GG zu messenden ordnungsrechtlichen Ausschluss aus einem ausbildungsbezogenen Bildungsgang BVerfGE 41, 251 [261 f., 264]). Dabei genügt es – unabhängig von der Schulpflichtigkeit der jeweils Betroffenen – für einen Eingriff in das Recht auf schulische Bildung, wenn in der besuchten Schule aktuell eröffnete und auch wahrgenommene schulische Bildung durch eine staatliche Maßnahme gewissermaßen "von außen" beeinträchtigt wird.
Demgegenüber stellt eine auf die Befugnis des Staates zur Schulgestaltung gemäß Art. 7 Abs. 1 GG oder seine Befugnis zur Entscheidung über die Verwendung knapper öffentlicher Mittel gestützte Maßnahme zur Änderung schulischer Strukturen auch dann keinen Eingriff in das Recht auf schulische Bildung dar, wenn dadurch bisher eröffnete Bildungsmöglichkeiten entfallen.

BVerfGE 159, 355 (390):

Insoweit können die Schüler nur verlangen, dass ein nach allgemeiner Auffassung für ihre Persönlichkeitsentwicklung unverzichtbarer Mindeststandard schulischer Bildung gewahrt bleibt (oben Rn. 57).
d) Auch Schülerinnen und Schüler an Privatschulen können sich auf ein nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 GG geschütztes Recht auf schulische Bildung berufen. Eine – an Privatschulen durch den nichtstaatlichen Träger weitgehend eigenverantwortlich gestaltete (vgl. BVerfGE 27, 195 [200 f.]; 88, 40 [46 f.]) – Schulbildung ist für sie ebenso Grundbedingung für ihre Persönlichkeitsentwicklung wie dies bei Schülern an staatlichen Schulen der Fall ist. Relevant wird das Recht auf schulische Bildung insoweit aber vor allem in seiner abwehrrechtlichen Funktion. Schüler an Privatschulen können sich somit gegen staatliche Maßnahmen wenden, welche die vom privaten Schulträger eigenverantwortlich ausgestalteten und vertraglich vereinbarten Möglichkeiten schulischer Bildung einschränken.
e) Dieses im Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit der Kinder nach Art. 2 Abs. 1 GG verankerte, mit dem Bildungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG korrespondierende und in verschiedenen Dimensionen grundrechtlich gewährleistete Recht auf schulische Bildung steht in Einklang mit der völkerrechtlichen Gewährleistung eines "Rechts auf Bildung" und Unionsrecht.
aa) Ein "Recht auf Bildung" ist bereits in Art. 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte enthalten. Die zentrale Norm für die völkerrechtliche Geltung des Rechts auf Bildung ist Art. 13 des von Deutschland ratifizierten Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR, BGBl II 1973 S. 1569). Nach Art. 13 Abs. 2 Buchstaben a und b IPwskR ist insbesondere der Zugang zur Schule zu gewährleisten (zu den Dimensionen Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No. 13: The right to education, 8. Dezember 1999, E/C.12/1999/10, § 6). Gemäß Art. 28 der VN-Kinderrechtskonvention (BGBl II 1992 S. 121) erkennen die Vertragsstaaten das Recht des Kindes auf Bildung auf der Grundlage der Chancengleichheit an. Im europäischen System darf nach Art. 2 Satz 1 des

BVerfGE 159, 355 (391):

1. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention (ZP I EMRK) niemandem das Recht auf Bildung verwehrt werden (grundlegend EGMR, Urteil vom 23. Juli 1968, Nr. 1474/62 – Belgischer Sprachenfall). Schließlich ist das gleiche Recht auf Zugang zu Bildung auch in Art. 22 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl II 1953 S. 559) gesichert.
In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist anerkannt, dass Art. 2 ZP I EMRK grundsätzlich kein originäres Leistungsrecht auf Schaffung neuer Bildungseinrichtungen gewährt (vgl. EGMR, Urteil vom 23. Juli 1968, Nr. 1474/62 – Belgischer Sprachenfall, I B § 3). Es wird von einem erheblichen Spielraum der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung des Rechts auf Bildung nach Art. 2 ZP I EMRK ausgegangen (vgl. Günther, Die Auslegung des Rechts auf Bildung in der europäischen Grundrechtsordnung, 2007, S. 160 m.w.N.); leistungsrechtliche Ansprüche werden nur für den Ausnahmefall bejaht, dass die vom Staat bereitgestellten Bildungseinrichtungen evident unzureichend sind (vgl. zu Art. 13 IPwskR Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No. 13, 8. Dezember 1999, E/C.12/1999/10, §§ 6, 57). Nach Art. 28 Abs. 1 Buchstaben a und b VN-Kinderrechtskonvention sind die Vertragsstaaten verpflichtet, den Besuch der Grundschulen unentgeltlich zu machen sowie die Entwicklung verschiedener Formen der weiterführenden Schulen allgemeinbildender und berufsbildender Art zu fördern, sie allen Kindern verfügbar und zugänglich zu machen und geeignete Maßnahmen wie die Einführung der Unentgeltlichkeit und die Bereitstellung finanzieller Unterstützung bei Bedürftigkeit zu treffen.
In teilhaberechtlicher Hinsicht gewährt das Völkerrecht einen Zugang zu bestehenden Bildungseinrichtungen ohne jede Diskriminierung. Das ergibt sich allgemein schon aus Art. 2 Abs. 2 IPwskR (vgl. etwa Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No. 13, 8. Dezember 1999, E/C.12/1999/10, §§ 6b, 57). Eine Diskriminierung behinderter Menschen beim Zugang zur Schule verbietet Art. 24 Abs. 2 Buchstaben a und b des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die

BVerfGE 159, 355 (392):

Rechte von Menschen mit Behinderungen (BRK, BGBl II 2008 S. 1419), wobei nach Art. 24 Abs. 2 Buchstabe c BRK angemessene Vorkehrungen zu treffen sind, um behinderten Menschen den Zugang zur Schule zu ermöglichen. Außerdem untersagen Art. 5 Buchstabe e Unterabs. V des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form der Rassendiskriminierung (BGBl II 1969 S. 961) und Art. 10 Buchstabe a des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau (BGBl II 1985 S. 647) eine entsprechende Diskriminierung beim Zugang zur Schule. Nach der Rechtsprechung des EGMR umfasst das Recht auf Bildung allerdings keinen Anspruch auf Zugang zu einer bestimmten Schule (vgl. EGMR, Urteil vom 23. Juli 1968, Nr. 1474/62 – Belgischer Sprachenfall, I B §§ 3 f.).
Im Völkerrecht ist schließlich auch anerkannt, dass in das Recht auf Bildung eingegriffen werden kann, dies aber besonderen Rechtfertigungsanforderungen unterliegt. So sieht Art. 4 IPwskR die Möglichkeit einer Einschränkung des Rechts auf Bildung vor, wenn diese gesetzlich vorgesehen und mit der Natur dieser Rechte vereinbar ist und es deren ausschließlicher Zweck ist, das allgemeine Wohl in einer demokratischen Gesellschaft zu fördern. Eingriffe in Art. 2 ZP I EMRK können gerechtfertigt werden, sofern der Wesensgehalt des Rechts und andere Konventionsrechte nicht verletzt werden, ein öffentliches Interesse verfolgt wird und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist (vgl. Bitter, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, 2. Aufl. 2015, Art. 2 ZP I Rn. 20 m.w.N.).
bb) Das Recht auf Bildung ist auch unionsrechtlich – in Art. 14 Abs. 1 GRCh – anerkannt. Ausdrücklich umfasst dies die Möglichkeit, unentgeltlich am Pflichtschulunterricht teilzunehmen (Art. 14 Abs. 2 GRCh), überlässt aber die Ausgestaltung der Schule unter Berücksichtigung der Freiheit zur Gründung von Lehranstalten unter Achtung der demokratischen Grundsätze sowie das Recht der Eltern, die Erziehung und den Unterricht ihrer Kinder entsprechend ihren eigenen religiösen, weltanschaulichen und erzieherischen Überlegungen sicherzustellen, den Gesetzen der Mitgliedstaaten (Art. 14 Abs. 3 GRCh; siehe auch Art. 165 AEUV).

BVerfGE 159, 355 (393):

Nach Art. 52 Abs. 4 GRCh werden Grundrechte, die wie das Recht auf Bildung sowohl an Konventionsrecht wie auch an verfassungsrechtliche Traditionen der Mitgliedstaaten angelehnt sind (so die Erläuterung zu Art. 14 GRCh, ABl EU C 303 vom 14. Dezember 2007, S. 34), im Einklang mit den Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ausgelegt. In Europa ist ein solches Grundrecht auf Bildung auch vielfach ausdrücklich in den nationalen Verfassungen verankert (vgl. Art. 24 Abs. 3 Belgien, Art. 53 Bulgarien, Art. 76 Dänemark, Art. 37 Estland, Art. 16 Finnland, Art. 16 Abs. 4 Griechenland, Art. 66 Kroatien, Art. 112 Lettland, Art. 23 Luxemburg, Art. 43 Portugal, Art. 32 Rumänien, Art. 27 Spanien, Art. 57 Slowenien, Art. 42 Slowakei, Art. 3 i.V.m. Art. 33 Abs. 1 Deklaration der Grundrechte und -freiheiten Tschechien).
f) Das Verbot von Präsenzunterricht gemäß § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG griff in das Recht der Schülerinnen und Schüler auf schulische Bildung nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 GG ein.
aa) Dem steht nicht schon entgegen, dass das gesetzliche Verbot der Durchführung von Präsenzunterricht nicht unmittelbar an die Schüler der bei Überschreitung der maßgeblichen Inzidenzwerte betroffenen Schulen des jeweiligen Landkreises oder der jeweiligen kreisfreien Stadt adressiert war, sondern an die staatlichen und privaten Träger dieser Schulen. Das Verbot kam sowohl nach seiner Zielrichtung, in der Schule Kontakte der Schüler untereinander und mit den Lehrern zu verhindern, als auch nach seiner faktischen Wirkung einem an die Schüler selbst gerichteten Verbot gleich, die Schule aufzusuchen, um dort am Unterricht teilzunehmen.
bb) Das bundesgesetzliche Verbot von Präsenzunterricht bei Überschreiten der festgelegten Inzidenzwerte in einzelnen Landkreisen oder kreisfreien Städten bewirkte einen Eingriff in das Recht auf schulische Bildung.
Die beschwerdeführenden Schülerinnen und Schüler wenden sich dagegen, dass in den von ihnen besuchten Schulen und in ihren Klassen der Präsenzunterricht aus Gründen des Infektionsschutzes nicht aufrechterhalten wird. Es geht damit nicht um teil

BVerfGE 159, 355 (394):

habe- und leistungsrechtliche, sondern um abwehrrechtliche Gehalte des Grundrechts auf schulische Bildung.
Von der Maßnahme betroffen ist nicht etwa der Zugang zur Schule oder zu bestimmten Bildungsgängen und Klassenstufen an sich. Die Maßnahme ist auch nicht auf eine Änderung der staatlichen Ausgestaltung von Unterricht gerichtet. Denn das Verbot von Präsenzunterricht beruhte weder auf schulgestalterischen Erwägungen, wie etwa einer Ausweitung von Distanzunterricht aus pädagogischen oder didaktischen Gründen, noch wurde damit auf eine Knappheit öffentlicher Mittel reagiert. Vielmehr diente die Maßnahme allein dem gefahrenabwehrrechtlichen Ziel der Bekämpfung der Pandemie durch Verhinderung zwischenmenschlicher Kontakte an Schulen. Das zur Wahrnehmung des Rechts auf schulische Bildung geschaffene Schulsystem an sich, das den Präsenzunterricht als Regelunterrichtsform vorsieht, blieb dabei unverändert bestehen (vgl. zur Schulbesuchspflicht etwa Art. 36 Abs. 1 Satz 1 BayEUG, § 76 SchG BW und § 63 Abs. 1 Satz 1 NSchG). In dieses bestehende Bildungsangebot wurde zu außerschulischen Zwecken eingegriffen und so die spezifisch schulische Entfaltungsmöglichkeit der beschwerdeführenden Schülerinnen und Schüler eingeschränkt.
2. Der durch die Beschränkung des Präsenzunterrichts nach § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG bewirkte Eingriff in das Recht der Schülerinnen und Schüler auf schulische Bildung war formell verfassungsgemäß. Der Bund konnte sich insoweit auf eine Gesetzgebungskompetenz stützen (a). Dem Zustandekommen des Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021 stand die fehlende Zustimmung des Bundesrates nicht entgegen (Art. 78 GG), weil es einer solchen nicht bedurfte (b).
a) Dem Bund stand für das Verbot von Präsenzunterricht durch § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG zu, weil es sich um eine Maßnahme gegen übertragbare Krankheiten bei Menschen handelte (so auch Beschluss vom heutigen Tage – BVerfGE 159, 223 [279 ff. Rn. 118 ff.]).


BVerfGE 159, 355 (395):

aa) (1) Die Auslegung der in Betracht kommenden Kompetenztitel des Grundgesetzes erfolgt anhand der allgemeinen Regeln der Verfassungsinterpretation und damit vor allem nach Wortlaut, Systematik, Normzweck und Entstehungsgeschichte (vgl. BVerfGE 138, 261 [273 Rn. 29]; 157, 223 [260 Rn. 100] jeweils m.w.N.). Das erfordert eine Auslegung, die dem Wortlaut und dem Sinn der Kompetenznorm gerecht wird sowie eine möglichst eindeutige vertikale Gewaltenteilung gewährleistet. Für Zweckmäßigkeitserwägungen ist dabei ebenso wenig Raum wie für am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit oder dem Subsidiaritätsprinzip orientierte Abwägungen (vgl. BVerfGE 157, 223 [261 f. Rn. 101 f.]).
Bei der Auslegung von Kompetenztiteln ist zudem zu beachten, dass nach der Systematik der grundgesetzlichen Kompetenzordnung die Reichweite der Bundeskompetenzen den Kompetenzbereich der Länder bestimmt und nicht umgekehrt (vgl. BVerfGE 135, 155 [196 Rn. 103]; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 25. März 2021 – 2 BvF 1/20 u.a. –, Rn. 82). Ausgeschlossen sind "Doppelzuständigkeiten", bei denen ein und derselbe Gegenstand unterschiedlichen Kompetenztiteln verschiedener Gesetzgeber zugewiesen ist (vgl. BVerfGE 106, 21 [114] m.w.N.; 157, 223 [254 Rn. 81]).
(2) Die Zuordnung einer bestimmten Regelung zu einer Kompetenznorm geschieht anhand von unmittelbarem Regelungsgegenstand, Normzweck, Wirkung und Adressat der zuzuordnenden Norm sowie der Verfassungstradition (BVerfGE 121, 30 [47] m.w.N.). Sie ist "in erster Linie" anhand des objektiven Gegenstandes des zu prüfenden Gesetzes vorzunehmen (vgl. BVerfGE 121, 317 [348]; 142, 268 [283 Rn. 55]; stRspr). Entscheidend ist der sachliche Gehalt einer Regelung und nicht die vom Gesetzgeber gewählte Bezeichnung. Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Regelung einen Kompetenzbereich speziell und nicht lediglich allgemein behandelt, wobei die Regelung in ihrem Sachzusammenhang zu erfassen ist (vgl. BVerfGE 157, 223 [262 f. Rn. 105]; vgl. auch BVerfGE 14, 197 [220]; 138, 261 [275 f. Rn. 33]).
Die Wirkungen eines Gesetzes sind anhand seiner Rechtsfolgen

BVerfGE 159, 355 (396):

zu bestimmen. Der Normzweck hingegen ergibt sich regelmäßig aus dem objektivierten Willen des Gesetzgebers (vgl. grundsätzlich BVerfGE 11, 126 [131] sowie jüngst BVerfGE 150, 244 [276 Rn. 74] und BVerfGE 157, 223 [263 f. Rn. 106]). Er ist mit Hilfe der anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung zu ermitteln, das heißt anhand des Wortlauts der Norm, ihrer systematischen Stellung, nach Sinn und Zweck sowie anhand der Gesetzesmaterialien und ihrer Entstehungsgeschichte, wobei sich diese Methoden nicht gegenseitig ausschließen, sondern ergänzen (vgl. BVerfGE 144, 20 [212 f. Rn. 555]; 157, 223 [263 f. Rn. 106]).
bb) Nach diesen Maßstäben handelte es sich beim Verbot von Präsenzunterricht nach § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG um eine Maßnahme gegen übertragbare Krankheiten beim Menschen. Sie war dem Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG zugeordnet. Der Bund hatte daher die Gesetzgebungszuständigkeit.
(1) Die hier angegriffenen Regelungen dienten der Bekämpfung einer übertragbaren Krankheit im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG (vgl. Beschluss vom heutigen Tage – 1 BvR 781/21 u.a. –, Rn. 124 ff.).
(2) Nach unmittelbarem Gegenstand und Zweck des Verbots von Präsenzunterricht nach § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG handelte es sich um eine Maßnahme gegen übertragbare Krankheiten bei Menschen im kompetenzrechtlichen Sinne.
(a) Die Wahrnehmung des Auftrags zur Gewährleistung schulischer Bildung aus Art. 7 Abs. 1 GG steht gemäß Art. 70 Abs. 1 GG den Ländern zu (vgl. BVerfGE 53, 185 [195 f.]; 59, 360 [377]; 75, 40 [66 f.]). Zu dem danach allein der Gesetzgebungs- und Verwaltungsbefugnis der Länder unterfallenden Gebiet des Schulwesens gehört als ein wesentlicher Bestandteil die Ausgestaltung schulischen Unterrichts (vgl. BVerfGE 34, 165 [182]; 45, 400 [415]; 53, 185 [196]). In diesen Bereich greift die Vorschrift des § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG über, wenn sie bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen den nach dem Schulrecht der Länder als Regelunterrichtsform vorgesehenen Präsenzunterricht ganz oder teilweise untersagt. Daraus folgt hier jedoch nicht, dass die Vorschrift nach ihrem unmittelbaren Regelungsgegenstand und Zweck dem

BVerfGE 159, 355 (397):

Schulrecht zuzuordnen ist. Infektionskrankheiten wie COVID-19 werden unmittelbar von Mensch zu Mensch übertragen. Daher müssen Maßnahmen zur Bekämpfung solcher Infektionskrankheiten an Situationen anknüpfen, in denen sich Menschen begegnen. Eine wirksame Infektionsbekämpfung kann folglich auch Regelungen zu solchen Kontaktorten notwendig machen, die – wie die Gemeinschaftseinrichtung "Schulen" (§ 33 Nr. 3 IfSG) – an sich in anderen Zusammenhängen der Gesetzgebungskompetenz der Länder unterfallen. Solche Regelungen sind jedoch nur dann dem Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG zuzuordnen, wenn sie allein darauf beschränkt sind, von den entsprechenden Kontaktorten ausgehende Infektionsgefahren einzudämmen.
(b) Ausgehend davon stellte das Verbot von Präsenzunterricht hier in Gestalt eines Gebots von Wechselunterricht (§ 28b Abs. 3 Satz 2 IfSG) und einer vollständigen Untersagung von Präsenzunterricht (§ 28b Abs. 3 Satz 3 IfSG) nach Regelungsgegenstand und Zweck eine ausschließlich auf die Bekämpfung von Erkrankungen durch das Coronavirus SARS-CoV-2 bezogene Maßnahme dar. Das Verbot galt nur dann und nur in dem Landkreis oder in der kreisfreien Stadt, in dem oder in der bestimmte Inzidenzschwellenwerte überschritten wurden; mit dem Unterschreiten der maßgeblichen Schwellenwerte trat das Verbot wieder außer Kraft, so dass Bundesrecht der Durchführung von Präsenzunterricht nicht mehr entgegenstand (vgl. § 28b Abs. 3 Satz 7 bis 9 IfSG). Voraussetzung war darüber hinaus die Fortgeltung der vom Bundestag festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite (§ 28b Abs. 10 IfSG). Diese Aspekte betreffen ersichtlich allein die Bekämpfung der übertragbaren Krankheit COVID-19. Der Präsenzunterricht wurde nicht aus schulgestalterischen Erwägungen heraus zum Gegenstand der "Bundesnotbremse", sondern nur deshalb, weil es sich – wie bei den anderen in § 28b Abs. 1 IfSG in Bezug genommenen Kontaktorten – um einen Ort zwischenmenschlicher Zusammentreffen handelt, von dem Infektionsgefahren ausgehen können.
b) Das Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021

BVerfGE 159, 355 (398):

– und damit auch der hier angegriffene § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG – ist ohne die Zustimmung des Bundesrates wirksam zustande gekommen, weil es einer solchen Zustimmung weder nach Art. 104a Abs. 4 GG (aa) noch nach Art. 80 Abs. 2 GG (bb) bedurfte (Art. 78 GG).
aa) Die Voraussetzungen des Art. 104a Abs. 4 GG für eine Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzes lagen nicht vor.
Gemäß Art. 104a Abs. 4 GG bedürfen Bundesgesetze, die Pflichten der Länder zur Erbringung von Geldleistungen, geldwerten Sachleistungen oder vergleichbaren Dienstleistungen gegenüber Dritten begründen und von den Ländern als eigene Angelegenheit oder nach Absatz 3 Satz 2 dieses Artikels im Auftrag des Bundes ausgeführt werden, der Zustimmung des Bunderates, wenn daraus entstehende Ausgaben von den Ländern zu tragen sind.
Diese Voraussetzungen für eine Zustimmungspflicht sind nicht erfüllt. Zwar wurde § 28b IfSG von den Ländern als eigene Angelegenheit durchgeführt (1). Jedoch wurde den Ländern durch das Gesetz weder eine Pflicht zur Erbringung von Geldleistungen in Form von Entschädigungszahlungen (2a) noch eine Pflicht zur Erbringung von geldwerten Sachleistungen oder vergleichbaren Dienstleistungen in Gestalt der Gewährung von COVID-19-Tests oder einer Verpflichtung zur Einrichtung einer Notbetreuung (2b) auferlegt.
(1) An einer Zustimmungsbedürftigkeit fehlt es zwar nicht schon deshalb, weil die Länder die mit dem Vierten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite in das Infektionsschutzgesetz eingefügten Vorschriften, wie insbesondere § 28b IfSG, nicht als eigene Angelegenheit ausführen.
Nach Art. 30 GG ist die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben Sache der Länder, soweit das Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt. Art. 83 GG bestimmt, dass die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit ausführen, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zulässt. Die mit dem Vierten Gesetz zum

BVerfGE 159, 355 (399):

Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite in das Infektionsschutzgesetz eingefügte Vorschrift des § 28b IfSG betrifft keinen Sachbereich, für den das Grundgesetz eine verwaltungsmäßige Ausführung (vgl. BVerfGE 11, 6 [15]) in bundeseigener Verwaltung vorsieht (vgl. demgegenüber §§ 54a, 54b IfSG zum Vollzug des Infektionsschutzgesetzes im Bereich der Bundeswehrverwaltung nach Art. 87a GG und der Eisenbahnverkehrsverwaltung nach Art. 87e GG). Das Infektionsschutzgesetz und damit auch die hier neu eingefügten Vorschriften werden vielmehr – abgesehen von den vorgenannten Sonderbereichen – von den Ländern in eigener Angelegenheit ausgeführt (vgl. Walus, DÖV 2010, S. 127 [129]; Diesterhöft/Sinder, in: Kießling, IfSG, 2021, § 54 Rn. 1).
(2) Das Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite begründete jedoch keine Pflichten der Länder zur Erbringung von Geldleistungen (a), geldwerten Sachleistungen oder vergleichbaren Dienstleistungen (b) gegenüber Dritten, so dass insoweit keine Zustimmungsbedürftigkeit nach Art. 104a Abs. 4 GG bestand.
(a) Eine Pflicht der Länder zur Erbringung von Geldleistungen gegenüber Dritten ergab sich insbesondere nicht aus § 56 Abs. 1a Nr. 1 IfSG. Die zum maßgeblichen Zeitpunkt der Verabschiedung dieses Gesetzes am 22. April 2021 geltende Entschädigungsregelung des § 56 Abs. 1a Nr. 1 IfSG (in der Fassung vom 27. März 2020, BGBl I S. 590) sah für erwerbstätige Personen eine Entschädigung in Geld für einen Verdienstausfall unter anderem für Fälle vor, in denen eine eigene Betreuung von Kindern notwendig wurde, weil Schulen von der zuständigen Behörde vorübergehend geschlossen wurden oder von der zuständigen Behörde aus Gründen des Infektionsschutzes die Präsenzpflicht in einer Schule aufgehoben wurde. Dieser Entschädigungsanspruch erfasste nicht das Verbot von Präsenzunterricht nach § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG. Dabei kann dahinstehen, ob dieses Verbot als "vorübergehende Schulschließung" oder als "Aufhebung der Präsenzpflicht in einer Schule" anzusehen ist. Jedenfalls beruhte es nicht, wie von § 56 Abs. 1a Nr. 1 IfSG in der bei Verabschiedung des Geset

BVerfGE 159, 355 (400):

zes geltenden Fassung noch vorausgesetzt, auf einer Maßnahme "der zuständigen Behörde", sondern trat unmittelbar kraft Gesetzes ein, wenn in einem Landkreis oder in einer kreisfreien Stadt ein Inzidenzschwellenwert von 100 (Gebot von Wechselunterricht, § 28b Abs. 3 Satz 2 IfSG) oder von 165 (Untersagung von Präsenzunterricht, § 28b Abs. 3 Satz 3 IfSG) überschritten wurde.
Somit begründete das Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach dem eindeutigen Wortlaut der zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Verabschiedung geltenden Entschädigungsregelung des § 56 Abs. 1a Nr. 1 IfSG aufgrund einer Anordnung des Wegfalls von Präsenzunterricht noch keine Pflichten der Länder zur Erbringung von Geldleistungen gegenüber Dritten. Daher kann dahinstehen, ob die Zustimmungsbedürftigkeit auch deshalb nicht bestand, weil die Entschädigungsregelung bereits mit dem Ersten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl I S. 590) mit Zustimmung des Bundesrates in das Infektionsschutzgesetz eingefügt worden war und durch das danach erlassene Verbot von Präsenzunterricht nach § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG diese Regelung keine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite erhielt (vgl. BVerfGE 48, 127 [180 ff.]; 126, 77 [105 ff.]).
(b) Eine Zustimmungsbedürftigkeit folgte auch nicht aus einer bundesgesetzlichen Begründung von Pflichten der Länder zur Erbringung von geldwerten Sachleistungen oder vergleichbaren Dienstleistungen gegenüber Dritten.
(aa) Das gilt einmal für § 28b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 IfSG, nach dem die Teilnahme am Präsenzunterricht nur zulässig war für Schülerinnen und Schüler und für Lehrkräfte, die wöchentlich zweimal auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 getestet wurden. Dabei kann offenbleiben, ob eine Zustimmungsbedürftigkeit schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil eine etwaige Pflicht der Länder, die Ausgaben im Zusammenhang mit den Testungen tragen zu müssen, nicht durch das Bundesgesetz selbst "begründet" wurde, sondern sich möglicherweise für die

BVerfGE 159, 355 (401):

Lehrkräfte aus dem Dienstrecht des Landes und für die Schüler aus einer im Landesrecht (etwa Art. 14 Abs. 2 Satz 1 Landesverfassung Baden-Württemberg, § 68 Satz 1 SchulG Rheinland-Pfalz, Art. 23 Abs. 1 BaySchFG) oder im Völkerrecht (Art. 28 Abs. 1 Buchstabe a der VN-Kinderrechtskonvention, BGBl II 1992 S. 121) verankerten Schulgeldfreiheit ergab. Jedenfalls handelte es sich bei den Testungen, die aus verwaltungspraktischen Gründen von den Schulbehörden der Länder organisiert und zur Verfügung gestellt werden mussten, nicht um gegenüber Dritten zu erbringende geldwerte Sachleistungen oder vergleichbare Dienstleistungen im Sinne des Art. 104a Abs. 4 GG.
(á) Eine Auslegung des Art. 104a Abs. 4 GG nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte ergibt, dass eine die Zustimmungsbedürftigkeit auslösende bundesgesetzliche Verpflichtung der Länder zur Erbringung von Geldleistungen, geldwerten Sachleistungen oder vergleichbaren Dienstleistungen gegenüber Dritten nur dann vorliegt, wenn das Gesetz nach seinem objektiven Regelungsgehalt bezweckt, Dritten einen Vorteil zu verschaffen.
Bereits der Wortlaut der Vorschrift macht deutlich, dass sich die Zustimmungsbedürftigkeit nicht auf Aufwendungen der Länder in Gestalt von Geld-, Sach- und Dienstleistungen bezieht, die nicht der eigentliche Zweck der den Ländern bundesgesetzlich aufgegebenen Aufgabe sind, sondern die nur deshalb als faktische Pflicht der Länder entstehen, weil der Gesetzeszweck anders nicht erreicht werden kann. Vielmehr muss die durch das Bundesgesetz "begründete" Pflicht der Länder darauf ausgerichtet sein, "Leistungen gegenüber Dritten zu erbringen". Darin kommt die Vorstellung eines zielgerichteten Handelns zum Ausdruck, was nahelegt, dass es nicht um alle bei Gelegenheit der Ausführung des Bundesgesetzes anfallenden drittnützigen Aufwendungen der Länder gehen soll, sondern um bundesgesetzliche Regelungen, deren Zweck gerade darin besteht, Dritten individuelle Vorteile durch staatliche Leistungen zukommen zu lassen.
Die Entstehungsgeschichte des Art. 104a Abs. 4 GG bestätigt diese Auslegung. Die mit dem Finanzreformgesetz vom 12. Mai 1969 (BGBl I S. 359) in das Grundgesetz eingefügte Vorschrift des

BVerfGE 159, 355 (402):

Art. 104a Abs. 1 GG enthält den Grundsatz der Konnexität von Aufgabenzuständigkeit und Ausgabenverantwortung. Danach tragen die Länder grundsätzlich diejenigen Ausgaben, die entstehen, wenn sie Bundesgesetze nicht im Auftrag des Bundes (Art. 104a Abs. 2 GG), sondern als eigene Angelegenheit ausführen (vgl. BTDrucks V/2861, S. 51). Art. 104a GG enthielt bereits in seiner Ursprungsfassung die Regelung des Absatz 3 Satz 1, wonach in Bundesgesetzen, die Geldleistungen gewähren und von den Ländern ausgeführt werden, bestimmt werden kann, dass die Geldleistungen abweichend vom Konnexitätsgrundsatz des Absatzes 1 ganz oder zum Teil vom Bund getragen werden. Daneben war in Art. 104a Abs. 3 Satz 2 GG eine Zustimmungsbedürftigkeit des Bundesrates für den Fall vorgesehen, dass die Länder ein Viertel der Ausgaben solcher Geldleistungsgesetze des Bundes oder mehr tragen müssen (BGBl I 1969 S. 359). Hintergrund dieser spezifischen Regelungen für Geldleistungsgesetze ist ausweislich der Entwurfsbegründung der Umstand, dass in solchen Gesetzen vielfach die Geldleistungen nach Voraussetzung und Höhe so eindeutig bestimmt sind, dass für ein Verwaltungsermessen, wie es für die Ausführung von Bundesgesetzen als eigene Angelegenheit der Länder typisch ist, kein Raum bleibt (vgl. BTDrucks V/2861, S. 31 f.).
Art. 104a Abs. 3 Satz 2 GG wurde durch die mit dem 52. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl I S. 2034) in das Grundgesetz eingefügte Vorschrift des Art. 104a Abs. 4 GG ersetzt. Danach besteht nunmehr eine Zustimmungsbedürftigkeit für alle von den Ländern als eigene Angelegenheit auszuführenden Geldleistungsgesetze des Bundes unabhängig vom Umfang, in dem die Ausgaben von den Ländern zu tragen sind. Darüber hinaus wurde der Kreis der die Zustimmungspflicht auslösenden Leistungspflichten über Geldleistungspflichten hinaus auf Pflichten zur Erbringung von geldwerten Sachleistungen oder vergleichbaren Dienstleistungen erweitert. In der Entwurfsbegründung wird dazu ausgeführt, dass es um den Schutz der Länder vor kostenbelastenden Bundesgesetzen gehe und dass die Länder auch bei einer gesetzlichen Verpflichtung

BVerfGE 159, 355 (403):

zur Gewährung von "geldwerten Sachleistungen" nur einen beschränkten Einfluss auf den Umfang der anfallenden Zweckausgaben hätten. Als Beispiele für "geldwerte Sachleistungen" werden genannt eine bundesgesetzliche Verpflichtung der Länder zur Schaffung und Unterhaltung von Aufnahmeeinrichtungen für die Unterbringung von Asylbegehrenden, zur Erbringung von Schuldnerberatungen oder zur Bereitstellung von Tagesbetreuungsplätzen. Im Bereich der Sozialversicherung werde auch dann von Sachleistungen gesprochen, wenn es sich um Leistungen handele, die dem Empfänger, wie etwa bei Maßnahmen der Heilbehandlung, in Form von Diensten gewährt würden. In diesem weiten Verständnis schließe das Merkmal der Sachleistung auch die Pflicht zur Schaffung von Tagesbetreuungsplätzen ein, die ein Bündel von staatlichen Sach- und vergleichbaren Dienstleistungen, wie Räumlichkeiten und deren Ausstattung sowie die Betreuungs- und Erziehungsleistung, umfasse (vgl. BTDrucks 16/813, S. 18); in der endgültigen Gesetzesfassung wurde der Begriff der "vergleichbaren Dienstleistung" als eigenständige Tatbestandsvariante eingeführt.
Danach besteht der Zweck der Zustimmungsbedürftigkeit nach Art. 104a Abs. 4 GG darin, die Länder davor zu schützen, dass ohne ihre Zustimmung Bundesgesetze erlassen werden können, aufgrund derer sie Dritten ohne nennenswertes eigenes Verwaltungsermessen kostenaufwendige Vorteile zukommen lassen müssen (vgl. Schwarz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 104a Rn. 77 [Juli 2021]). Ein solcher Fall ist typischerweise – wie auch die in der Entwurfsbegründung genannten Beispiele zeigen – nur dann gegeben, wenn das Bundesgesetz nach seinem objektiven Regelungsgehalt darauf abzielt, dass Dritte bestimmte Vorteile erhalten sollen, nicht hingegen bei Aufwendungen, die bei Gelegenheit der Anwendung bundesgesetzlicher Regelungen mit ganz anderer Zwecksetzung entstehen, auch wenn sich diese Aufwendungen im Einzelfall als objektiv drittnützig erweisen können.
(â) Ausgehend davon verpflichtete § 28b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 IfSG die Länder nicht dazu, Dritten gegenüber geldwerte Sachleistungen im Sinne von Art. 104a Abs. 4 GG zu erbringen. Dabei

BVerfGE 159, 355 (404):

kann dahinstehen, ob in der Zurverfügungstellung von Tests im Zusammenhang mit der Zulassung zum Präsenzunterricht ein Vorteil für die Schüler und Lehrkräfte gesehen werden kann. Jedenfalls bestand der Zweck der Regelung nicht darin, den Schülern und Lehrkräften mit einem staatlichen Angebot von Testungen im Schulbereich einen Vorteil zu gewähren. Vielmehr sah der Bundesgesetzgeber die wöchentlich zweimalige Testung als Bedingung für die Teilnahme am Präsenzunterricht vor. Es ging mithin allein darum, die durch das Zusammentreffen von Schülern und Lehrkräften bedingte Gefahr von Infektionen zu verringern. Dass die Testungen aus verwaltungspraktischen Gründen von den Schulbehörden angeboten werden mussten und den Ländern dadurch Ausgaben entstanden, stellte lediglich eine Nebenfolge der gefahrenabwehrrechtlichen Regelung dar. Insoweit unterschieden sich diese Aufwendungen nicht von Aufwendungen der Länder, die etwa notwendig wurden, um Präsenzunterricht unter Einhaltung angemessener Schutz- und Hygienemaßnahmen durchführen zu können.
(bb) Eine Zustimmungsbedürftigkeit nach Art. 104a Abs. 4 GG bestand schließlich auch nicht für die Einrichtung einer Notbetreuung beim Wegfall von Präsenzunterricht. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 28b Abs. 3 Satz 6 IfSG waren die Länder hierzu bundesgesetzlich nicht verpflichtet, sondern konnten als Ausnahme vom Verbot des Präsenzunterrichts eine Notbetreuung nach von ihnen festgelegten Kriterien einrichten. Zudem ist nicht ersichtlich, dass den Ländern durch die Einrichtung einer Notbetreuung zusätzlich Kosten entstanden, da sowohl das Lehrpersonal als auch die Räumlichkeiten bereits vorhanden waren.
bb) Eine Zustimmungsbedürftigkeit ergab sich auch nicht aus Art. 80 Abs. 2 GG. Dieser ordnet die Zustimmungsbedürftigkeit bestimmter Arten von Verordnungen an, wie sie in § 28b Abs. 6 und § 28c IfSG vorgesehen sind. Durch eine Ermächtigung zum Erlass einer danach zustimmungspflichtigen Verordnung wird das Gesetz selbst nur dann als "anderweitige bundesgesetzliche Regelung" im Sinne des Art. 80 Abs. 2 GG zustimmungspflichtig, wenn es die Zustimmungsbedürftigkeit der zu erlassenden Ver

BVerfGE 159, 355 (405):

ordnungen aufhebt (vgl. BVerfGE 136, 69 [102 f. Rn. 74]). Das ist bei der "Bundesnotbremse" gerade nicht der Fall. § 28b Abs. 6 Satz 2 und § 28c Satz 2 IfSG ordnen die Zustimmungsbedürftigkeit der auf ihrer Grundlage zu erlassenden Verordnungen vielmehr ausdrücklich an.
3. Der Eingriff in das Recht auf schulische Bildung der Schülerinnen und Schüler aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 GG durch das Verbot von Präsenzunterricht gemäß § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG stand auch materiell in Einklang mit der Verfassung.
Der Charakter der Maßnahme als selbstvollziehendes Verbot begegnet weder mit Blick auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsschutz, den Grundsatz der Gewaltenteilung noch mit Blick auf das Allgemeinheitsgebot Bedenken (vgl. Beschluss vom heutigen Tage BVerfGE 159, 223 [285 f. Rn. 135 ff., 286 ff. Rn. 138 ff., 291 f. Rn. 151].
Das Verbot von Präsenzunterricht in Gestalt des Gebots von Wechselunterricht ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 und einer Untersagung jeglichen Präsenzunterrichts ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 165 gemäß § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG war verhältnismäßig. Es diente verfassungsrechtlich legitimen Zwecken (a), war zur Verfolgung dieser Zwecke geeignet (b) und erforderlich (c) sowie nach Maßgabe der bei Verabschiedung des Gesetzes vorliegenden Erkenntnisse seinerzeit angemessen (d).
a) Das Verbot von Präsenzunterricht diente verfassungsrechtlich legitimen Zwecken, die der Gesetzgeber in Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG erreichen wollte.
Mit dem Vierten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite bezweckte der Gesetzgeber ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs, insbesondere Leben und Gesundheit zu schützen sowie die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems als überragend gewichtigem Gemeingut und damit zugleich die bestmögliche Krankheitsversorgung sicherzustellen (vgl. BTDrucks 19/28444, S. 1 und 8). Diese Ziele sollten durch effektive Maßnahmen zur Reduzierung

BVerfGE 159, 355 (406):

von zwischenmenschlichen Kontakten erreicht werden (vgl. BTDrucks 19/28444, S. 1). Oberstes Ziel war es, die weitere Verbreitung des Virus zu verlangsamen sowie deren exponentielles Wachstum zu durchbrechen, um eine Überlastung des Gesundheitssystems insgesamt zu vermeiden und die medizinische Versorgung bundesweit sicherzustellen (dazu ausführlich Beschluss vom heutigen Tage – 1 BvR 781/21 u.a. –, Rn. 174 ff.).
Auch das Verbot von Präsenzunterricht diente dazu, Infektionen zu vermeiden. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass in Schulen aufgrund der Vielzahl von Personenkontakten sowie der räumlichen und sonstigen Rahmenbedingungen im Lehrbetrieb ein höheres Ansteckungsrisiko für eine größere Gruppe von Schulkindern und mittelbar auch deren Familienangehörige bestand. Dies nahm er vor dem Hintergrund an, dass insbesondere im Fall von jüngeren Schulkindern eine durchgehende Umsetzung von Hygienekonzepten nur begrenzt möglich sei (vgl. BTDrucks 19/28444, S. 14).
b) Der nach § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG bei Überschreiten hoher Inzidenzwerte angeordnete Wegfall von Präsenzunterricht war im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet, Infektionen zu verhindern, um so einen Beitrag zum Schutz von Leib und Leben der Bevölkerung und der Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems zu leisten.
aa) Eine Maßnahme ist bereits dann im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet, wenn mit ihrer Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann (vgl. BVerfGE 63, 88 [115]; 67, 157 [175]; 96, 10 [23]; 103, 293 [307]). Der Gesetzgeber verfügt in der Beurteilung der Eignung einer Regelung über eine Einschätzungsprärogative. Es genügt grundsätzlich, wenn die Möglichkeit der Zweckerreichung besteht. Der Spielraum des Gesetzgebers bezieht sich insofern auf die Einschätzung und Bewertung der Verhältnisse, der etwa erforderlichen Prognosen und der Wahl der Mittel, um seine Ziele zu erreichen (vgl. BVerfGE 151, 101 [140 Rn. 100]; 152, 68 [130 f. Rn. 166]). Eine Regelung ist erst dann nicht mehr geeignet, wenn sie die Erreichung des Gesetzeszwecks in keiner

BVerfGE 159, 355 (407):

Weise fördern kann oder sich sogar gegenläufig auswirkt (BVerfGE 158, 282 [336 Rn. 131] m.w.N.).
Allerdings dürfen tatsächliche Unsicherheiten bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen, wie sie hier vorliegen (unten Rn. 136 ff.), grundsätzlich nicht ohne weiteres zulasten der Grundrechtsträger gehen. Die verfassungsgerichtliche Prüfung ist jedoch auch in diesen Fällen auf die Vertretbarkeit der gesetzgeberischen Eignungsprognose beschränkt, wenn es – wie hier – um den Schutz gewichtiger verfassungsrechtlicher Güter geht und es dem Gesetzgeber wegen Unwägbarkeiten der wissenschaftlichen Erkenntnislage nur begrenzt möglich ist, sich ein hinreichend sicheres Bild zu machen (vgl. BVerfGE 153, 182 [272 f. Rn. 238] m.w.N.; näher dazu Beschluss vom heutigen Tage – BVerfGE 159, 223 [298 f. Rn. 171, 305 f. Rn. 185]).
bb) Gemessen daran war das Verbot von Präsenzunterricht geeignet, das vom Gesetzgeber bezweckte Ziel eines Schutzes der Bevölkerung vor infektionsbedingten Gefahren für Leib und Leben und der Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems zu fördern.
(1) Die sachkundigen Dritten sind in ihren Stellungnahmen davon ausgegangen, dass sich bei allen bisher aufgetretenen Virusvarianten auch Kinder und Jugendliche mit dem Coronavirus anstecken und dann zu Überträgern dieses Virus werden können (insbesondere Bundesärztekammer, Charité, DGEpi/GMDS, DGPl, HZI und RKI). Dabei wird überwiegend angenommen, dass die Kinder umso weniger für das Virus empfänglich und umso weniger infektiös sind, je jünger sie sind. Die Charité geht demgegenüber davon aus, dass Kinder zwar weniger infektiös seien, durch ihre höhere Kontakthäufigkeit jedoch genauso stark oder stärker am Infektionsgeschehen beteiligt seien wie Erwachsene.
(2) Ausgehend davon waren die Schulen zwar möglicherweise keine "Treiber" des Infektionsgeschehens (so RKI und DGPl). Es konnte jedoch vertretbar angenommen werden, dass geöffnete Schulen wegen der Kontakte der Kinder untereinander und mit den Lehrkräften einen Beitrag zur infektionsbedingten Gefährdung von Leib und Leben der Bevölkerung leisteten. Dem steht

BVerfGE 159, 355 (408):

nicht entgegen, dass Kinder selbst nach einhelliger Auffassung der Sachverständigen bei einer Infektion nur in seltenen Fällen und dann regelmäßig nur im Zusammenhang mit Vorerkrankungen schwer erkranken. Entscheidend ist nach sachkundiger Einschätzung, dass sich Schüler bei geöffneten Schulen im Rahmen der vielfältigen Kontakte mit anderen Schülern und den Lehrkräften im Klassenzimmer, im Schulgebäude oder dessen Außengelände, aber auch auf dem Weg zur Schule anstecken und das Virus dann auf Personen in ihrem familiären Umfeld oder auf die Lehrkräfte übertragen können (Bundesärztekammer, DGEpi/GMDS, HZI und RKI).
Vor diesem Hintergrund begegnet die Einschätzung des Gesetzgebers keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass eine Beschränkung des Präsenzunterrichts bei hohen Inzidenzwerten zusammen mit den anderen Maßnahmen der "Bundesnotbremse" zur Beschränkung zwischenmenschlicher Kontakte den Schutz der Bevölkerung vor einer Gefährdung von Leib und Leben durch Infektionen und durch eine Überlastung des Gesundheitssystems jedenfalls fördern kann.
(3) Dass das Verbot von Präsenzunterricht an bestimmte, auf das Gebiet eines Landkreises oder einer kreisfreien Stadt bezogene Schwellenwerte einer Sieben-Tage-Inzidenz geknüpft war, stellt die Eignung der Regelung nicht in Frage. Der Gesetzgeber durfte diese Inzidenz als frühesten Indikator für ein zunehmendes Infektionsgeschehen zugrunde legen. Soweit er sich für ein vollständiges Verbot von Präsenzunterricht für einen Wert von 165 entschieden hat, liegt dieser deutlich über dem Wert, der Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen auslöste (näher dazu Beschluss vom heutigen Tage – BVerfGE 159, 223 [311 ff. Rn. 198 ff.]; zum Wert von 165 unten Rn. 161). Er hielt sich auch damit innerhalb seines Spielraums.
c) Das Verbot von Präsenzunterricht war zum Schutz der Bevölkerung vor infektionsbedingten Gefahren von Leib und Leben und zur Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems auch erforderlich.
aa) Grundrechtseingriffe dürfen nicht weitergehen, als es der

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Schutz des Gemeinwohls erfordert (vgl. BVerfGE 100, 226 [241]; 110, 1 [28]). Daran fehlt es, wenn ein gleich wirksames Mittel zur Erreichung des Gemeinwohlziels zur Verfügung steht, das den Grundrechtsträger weniger und Dritte und die Allgemeinheit nicht stärker belastet (vgl. BVerfGE 148, 40 [57 Rn. 47] m.w.N.; stRspr). Die sachliche Gleichwertigkeit der alternativen Maßnahmen zur Zweckerreichung muss dafür in jeder Hinsicht eindeutig feststehen (vgl. BVerfGE 81, 70 [91] m.w.N.).
Dem Gesetzgeber steht grundsätzlich auch für die Beurteilung der Erforderlichkeit ein Einschätzungsspielraum zu (vgl. BVerfGE 152, 68 [136 Rn. 179]; 155, 238 [280 Rn. 105]; stRspr; hierzu auch Beschluss vom heutigen Tage – BVerfGE 159, 223 [314 f. Rn. 204]; zu entsprechenden Spielräumen Conseil Constitutionnel, Entscheidung Nr. 2020-808 DC vom 13. November 2020, Rn. 28 f.; Österreichischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 10. März 2021 – V 583/2020 u.a. –, Rn. 28 f. m.w.N.; Verfassungsgericht der Tschechischen Republik, Entscheidung vom 9. Februar 2021 – Pl. Ãö S 106/20 &ndash , Rn. 76). Der Spielraum bezieht sich  nter anderem darauf, die Wirkung der von ihm gewä hlten Maß nahmen auch im Vergleich zu anderen, weniger belastenden Maß nahmen zu prognostizieren. Der Spielraum kann sich wegen des betroffenen Grundrechts und der Intensitä t des Eingriffs verengen (vgl. BVe  GE 152, 68 [119 Rn. 134]). Umgekehrt reicht er umso weiter, je hö her die Komplexitä t der zu regelnden Materie ist (vgl. BVerfGE 122, 1 [34]; 150, 1 [89 Rn. 173] m.w.N.). Auch hier gilt, dass bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen tatsä chliche Unsicher  iten grundsä tzlich nicht ohne weiteres zulasten der Grundrechtsträ ger gehen dü rfen. Dient der Eingriff dem Schutz gewichtiger verfassungsrechtlicher Gü ter und ist es dem Gesetzgeber angesichts der tatsä chlichen Unsicherheiten nur begrenzt mö glich, sich e  hinreichend sicheres Bild zu machen, ist die verfassungsgerichtliche Prü fung auf die Vertretbarkeit der gesetzgeberischen Eignungsprognose beschränkt (vgl. BVerfGE 153, 182 [272 f. Rn. 238]).
bb) Ausgehend davon kann die Erforderlichkeit des Verbots von Präsenzunterricht nicht mit Blick auf die Alternative einer

BVerfGE 159, 355 (410):

vollständigen Aufrechterhaltung des Präsenzunterrichts mit wöchentlich zweimaliger Testung und angemessenen Schutz- und Hygienekonzepten (§ 28b Abs. 3 Satz 1 IfSG) verneint werden.
(1) Allerdings hätte eine Pflicht, sich bei geöffneten Schulen wöchentlich zweimal auf das Vorliegen einer Infektion testen zu lassen, Schülerinnen und Schüler weniger belastet als der angeordnete Wegfall von Präsenzunterricht bei Überschreiten der maßgeblichen Schwellenwerte. Die nachteiligen Folgen des Wegfalls von Präsenzunterricht für die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler (unten Rn. 136 ff.) wiegen im Regelfall offenkundig schwerer als etwaige Belastungen, die je nach Ausgestaltung des Verfahrens durch die Länder mit einer Testung verbunden sein mögen.
(2) Es kann aber nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit festgestellt werden, dass es sich um eine mindestens gleich wirksame Alternative gehandelt hätte.
Zwar geht die im vorliegenden Verfahren angehörte COVID-19 Data Analysis Group an der Ludwigs-Maximilians-Universität München davon aus, dass geöffnete Schulen bei Durchführung von Testungen und Hygienemaßnahmen ein wirksameres Mittel zur Eindämmung von Infektionen sind als Schulschließungen (Stellungnahme CODAG mit Bericht Nr. 14 vom 30. April 2021). Dem liegt eine Analyse des Infektionsgeschehens in Bayern in der auf die zweiwöchigen Osterferien 2021 folgenden Woche zugrunde. Die Ergebnisse zeigten, dass durch die Reihentests an den Schulen zwei- bis viermal so viele Infektionen hätten erkannt werden können wie ohne dieselben. Daraus folge, dass eine Testpflicht an geöffneten Schulen einen Beitrag zur Pandemiebekämpfung leiste, weil symptomlose Infektionen aufgedeckt und dadurch Infektionsketten unterbrochen würden. Dieser epidemiologische Nutzen von offenen Schulen mit verpflichtendem Testkonzept sei größer als das epidemiologische Risiko, das von in der Schule falsch negativ getesteten Schülern ausgehe. Der Vorteil der Unterbrechung von Infektionsketten durch Testungen überwiege auch noch dann, wenn unterstellt werde, dass Infektionen nur bei jedem zweiten infizierten Schüler durch Selbsttests

BVerfGE 159, 355 (411):

entdeckt würden, solange diese unentdeckten Infektionen keine Ausbrüche mit mehr als drei Ansteckungen nach sich zögen.
Die Einschätzung, dass sich Infektionen bei einem durch regelmäßige Testungen und Hygienemaßnahmen gesicherten Schulbetrieb insgesamt eindeutig besser eindämmen ließen als durch ein Verbot von Präsenzunterricht, wird indes so von keinem der in den vorliegenden Verfahren angehörten sachkundigen Dritten geteilt. Mehrere sachkundige Dritte haben angemerkt, dass bisher kein systematisches und kontinuierliches Monitoring dieser Maßnahmen stattgefunden habe (DGPl, HZI und RKI). Dementsprechend sind die Aussagen hierzu eher vage. So wird vertreten, ein Präsenzunterricht sei unter konsequenter Einhaltung von Hygienemaßnahmen auch unter Pandemiebedingungen "möglich", dass "möglicherweise" die Schüler durch einen gesicherten Schulbetrieb besser geschützt seien als bei unkontrollierten Treffen außerhalb der Schule infolge entfallenden Präsenzunterrichts und dass ein Offenhalten der Grundschulen "wahrscheinlich" keine Konsequenzen auf die Belastung des Gesundheitswesens gehabt hätte.
Überdies wird darauf verwiesen, dass jedenfalls zusätzliche Infektionen im Schulumfeld nur durch Schulschließungen sicher verhindert werden könnten; bei einer Aufrechterhaltung von Präsenzunterricht müssten daher zumindest PCR-Tests stattfinden (DGPI, Bundesärztekammer und HZI). Eine flächendeckende Durchführung von PCR-Tests an Schulen ist allerdings nach Einschätzung der Charité aus Kapazitätsgründen nicht möglich. Nach deren Auffassung spricht insgesamt mehr dafür, dass Infektionen durch Schulschließungen besser eingedämmt werden könnten als durch zweimal wöchentliche Testungen in den Schulen bei Durchführung von Hygienemaßnahmen. Diese Maßnahmen hätten nicht verhindert, dass die Inzidenz der Schülerjahrgänge in England sowohl vor Weihnachten 2020 als auch vor den Sommerferien 2021 so stark angestiegen sei, dass sie die Inzidenz der Erwachsenenjahrgänge übertroffen habe. Zweimal wöchentliche Antigen-Schnelltests hätten den Anstieg der Inzidenz durch die Delta-Variante nicht aufhalten können.
Danach fehlt es an hinreichend gesicherten Erkenntnissen, wel

BVerfGE 159, 355 (412):

che die Einschätzung des Gesetzgebers als nicht mehr vertretbar erscheinen lassen könnte, Infektionen ließen sich bei hohen Inzidenzwerten und einer dann nur eingeschränkten oder fehlenden Möglichkeit der Nachverfolgung von Infektionsketten und mit Blick auf neue Virusvarianten mit höherer Übertragungswahrscheinlichkeit wirksamer durch Beschränkungen des Präsenzunterrichts eindämmen als durch eine Aufrechterhaltung des Schulbetriebs mit regelmäßigen Testungen und Hygienemaßnahmen.
cc) Die Erforderlichkeit eines Verbots von Präsenzunterricht kann auch nicht unter Verweis darauf verneint werden, dass mit einer stärkeren Beschränkung von Kontakten im Arbeitsbereich, einer gezielteren Abschirmung vulnerabler Gruppen und einer Verbesserung der Kontaktnachverfolgung gleich wirksame, die Schüler nicht belastende Maßnahmen zur Verfügung gestanden hätten.
Eine stärkere Regulierung der Arbeitswelt und einen spezifischen Schutz vulnerabler Gruppen vor Infektionen können die beschwerdeführenden Schülerinnen und Schüler schon deshalb nicht verlangen, weil dadurch Belastungen auf Dritte verschoben worden wären (vgl. BVerfGE 109, 64 [86]; 113, 167 [259]; 123, 186 [243]; 148, 40 [57]). Es fehlt auch jeder fachwissenschaftlich fundierte Anhaltspunkt dafür, dass bei Durchführung der genannten Alternativmaßnahmen Infektionen eindeutig mindestens gleich wirksam wie durch ein Verbot von Präsenzunterricht hätten eingedämmt werden können. Die geforderte Verbesserung der Kontaktnachverfolgung und die gezielte Abschirmung vulnerabler Gruppen stellen bereits konzeptionell andersartige Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung dar als das auf eine unmittelbare Verhinderung zwischenmenschlicher Kontakte zielende Verbot von Präsenzunterricht. Vor allem aber erlauben die vorhandenen Erkenntnisse nach einhelliger Auffassung der angehörten sachkundigen Dritten keine eindeutigen Aussagen zur Wirksamkeit verschiedener Schutzmaßnahmen (insbesondere DGEpi/GMDS, DGPl, HZI und RKI).
d) Das Verbot von Präsenzunterricht nach § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG war gemessen an den zum maßgeblichen Zeitpunkt

BVerfGE 159, 355 (413):

der Verabschiedung des Gesetzes verfügbaren Erkenntnissen verhältnismäßig im engeren Sinne. Allerdings beeinträchtigte es zusammen mit den seit Beginn der Pandemie bereits erfolgten Schulschließungen das der Persönlichkeitsentwicklung der Kinder dienende Recht auf schulische Bildung schwerwiegend. Auf der anderen Seite diente die Maßnahme jedoch Gemeinwohlbelangen von überragender Bedeutung. Insgesamt wurde ein seinerzeit angemessener Ausgleich zwischen den mit der Maßnahme verfolgten Gemeinwohlbelangen und der Grundrechtsbeeinträchtigung der Schülerinnen und Schüler erzielt.
aa) Die Angemessenheit und damit die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erfordern, dass der mit der Maßnahme verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen (vgl. BVerfGE 155, 119 [178 Rn. 128]; stRspr). Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, in einer Abwägung Reichweite und Gewicht des Eingriffs in Grundrechte einerseits der Bedeutung der Regelung für die Erreichung legitimer Ziele andererseits gegenüberzustellen (vgl. BVerfGE 156, 11 [48 Rn. 95]). Um dem Übermaßverbot zu genügen, müssen hierbei die Interessen des Gemeinwohls umso gewichtiger sein, je empfindlicher die Einzelnen in ihrer Freiheit beeinträchtigt werden (vgl. BVerfGE 36, 47 [59]; 40, 196 [227]; stRspr). Umgekehrt wird gesetzgeberisches Handeln umso dringlicher, je größer die Nachteile und Gefahren sind, die aus gänzlich freier Grundrechtsausübung erwachsen können (vgl. BVerfGE 7, 377 [404 f.]).
Auch bei der Prüfung der Angemessenheit besteht grundsätzlich ein Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 68, 193 [219 f.]; 121, 317 [356 f.]; 152, 68 [137 Rn. 183]; strenger etwa BVerfGE 153, 182 [283 f. Rn. 266]; hierzu auch Beschluss vom heutigen Tage – BVerfGE 159, 223 [319 Rn. 217]). Die verfassungsrechtliche Prüfung bezieht sich dann darauf, ob der Gesetzgeber seinen Einschätzungsspielraum in vertretbarer Weise gehandhabt hat (zu entsprechenden Spielräumen Conseil Constitutionnel, Entscheidung Nr. 2020-808 DC vom 13. November 2020, Rn. 28 f.; Österreichischer Verfassungsgerichtshof, Ent

BVerfGE 159, 355 (414):

scheidung vom 10. März 2021 – V 583/2020 u.a. –, Rn. 28 f. m.w.N.; Verfassungsgericht der Tschechischen Republik, Entscheidung vom 9. Februar 2021 – Pl. Ãö S 106/20 &ndash , Rn. 76). Bei der Kontrolle prognostischer Entscheidungen setzt dies wiederum voraus, dass die Prognose des Gesetzgebers auf einer hinreichend gesicherten Grundlage beruht (vgl. BVerfGE 68, 193 [220]; siehe auch BVerfGE 153, 182 [272 Rn. 237]).
bb) Das Verbot von Präsenzunterricht stellte schon für sich genommen und erst recht wegen der kumulativen Wirkung aller seit Beginn der Pandemie erfolgten Schulschließungen eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Rechts auf schulische Bildung der Schüler aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 GG dar.
(1) In die Abwägung zwischen Individual- und Allgemeininteresse war zunächst die Gesamtbelastung der Schülerinnen und Schüler durch die seit Beginn der Pandemie in Deutschland im Frühjahr 2020 erfolgten Schulschließungen einzustellen. Die Auswirkungen des Wegfalls von Präsenzunterricht auf die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder können nicht isoliert bezogen auf jede einzelne seit Beginn der Pandemie zunächst durch die Länder und zuletzt durch den Bund angeordnete Schulschließung bewertet werden, weil der Ausfall von Präsenzunterricht kumulativ belastend wirkt (dazu und zum Folgenden BVÖGD und DGfE sowie Wößmann, ifo Schnelldienst, 6/2020, S. 38 [39] und Leopoldina, Kinder und Jugendliche in der Coronavirus-Pandemie, 21. Juni 2021, S. 8 f.). Die Lern- und Kompetenzverluste nehmen mit jedem Wegfall von Präsenzunterricht zu und verstärken sich. Jede weitere Schulschließung verschlechtert nochmals die Möglichkeiten zur Entwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit der betroffenen Schüler; die Intensität der Beeinträchtigung wächst daher mit jedem Eingriff. Das gilt auch für den Erwerb sozialer Kompetenzen. Je länger die Schulschließungen andauern, desto mehr geht die für die Persönlichkeitsentwicklung wichtige Gruppenfähigkeit verloren. Denn es entfällt ein Raum, in dem die Kinder und Jugendlichen die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte in Interaktion mit anderen einüben können. Dies gilt umso mehr, als infolge der zur Bekämpfung der Pandemie ergriffenen Maßnah

BVerfGE 159, 355 (415):

men für die Betroffenen auch andere Räume der Begegnung nur eingeschränkt oder gar nicht zur Verfügung standen. Dies konnten auch digitale Räume so nicht ersetzen.
(2) Ausgehend davon beeinträchtigt das Verbot von Präsenzunterricht das Recht auf schulische Bildung der Schülerinnen und Schüler nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 GG schwerwiegend. Dies machen die Bildungseinbußen und deren Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung deutlich, die nach Angaben der sachkundigen Dritten aufgrund der seit Beginn der Pandemie wiederholt erfolgten Schulschließungen eingetreten sind.
(a) Nach Angaben des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung zu dem Umfang der pandemiebedingten Beschränkungen des Präsenzschulbetriebs waren bereits im ersten Lockdown vom 23. März 2020 bis zum 5. Mai 2020 an insgesamt 44 Tagen die Schulen weitgehend geschlossen. Anschließend erfolgte eine partielle Öffnung, wobei aber in mehreren Ländern die Sekundarstufen länger geschlossen waren und es teilweise bis zu den Sommerferien Wechselunterricht gab. Im Mittel waren die Schulen bis zum 3. Juli 2020, dem durchschnittlich letzten Schultag vor den Sommerferien, an 59 Tagen partiell geschlossen. Für die meisten Kinder fand in einem Zeitraum von insgesamt zwischen eineinhalb und drei Monaten gar kein Präsenzunterricht statt (vgl. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Belastungen von Kindern, Jugendlichen und Eltern in der Corona-Pandemie, 2021, S. 8).
In der Zeit von Dezember 2020 bis Februar 2021 gab es weitgehend vollständige Schulschließungen an insgesamt 61 Tagen. Anschließend wurde partiell der Präsenzschulbetrieb, insbesondere für Grundschulkinder, wieder aufgenommen, wobei es bei den Sekundarstufen erhebliche Unterschiede nach Ländern gab. Bis zum 7. Juni 2021 folgten partielle Schulschließungen an 112 Tagen. Insgesamt summierten sich die vollständigen und partiellen Schulschließungen bis Anfang Juni 2021 auf 173 Tage. Für die Grundschüler betrug die Zeit ohne Präsenzunterricht mindestens zwei Monate. In einigen Ländern sind Schüler der siebten bis zwölften Klasse von Mitte Dezember 2020 bis Mitte Mai 2021

BVerfGE 159, 355 (416):

nicht in der Schule gewesen. Mehrere Millionen Kinder und Jugendliche haben in dieser Zeit vier oder fünf Monate keine Schule in Präsenz besucht. Der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbands hat im Mai 2021 angegeben, dass seit März 2020 zwischen 350 und 800 Stunden Präsenzunterricht für jede Schülerin und jeden Schüler ausgefallen seien. Dies ist im Schnitt ein halbes Schuljahr, wenngleich im Einzelnen große Unterschiede bestehen (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Belastungen von Kindern, Jugendlichen und Eltern in der Corona-Pandemie, 2021, S. 8).
(b) Den Stellungnahmen der sachkundigen Dritten lässt sich weiter entnehmen, dass der Präsenzunterricht nicht vorwiegend durch Digitalunterricht, sondern durch die Bereitstellung von Aufgaben ersetzt worden ist (DAKJ und ifo Institut sowie Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Belastungen von Kindern, Jugendlichen und Eltern in der Corona-Pandemie, 2021, S. 17; Leopoldina, Kinder und Jugendliche in der Coronavirus-Pandemie, 21. Juni 2021, S. 8). Eine Schülerbefragung zum Distanzunterricht ergab, dass der Anteil an Schülern, die bei einem Wegfall von Präsenzunterricht täglich gemeinsamen Unterricht für die ganze Klasse hatten, von 6% im Frühjahr 2020 auf 26% Anfang 2021 angestiegen ist; 39% der Schüler hatten einen solchen Distanzunterricht aber auch noch Anfang 2021 nur maximal einmal pro Woche. Individuelle Gespräche mit den Lehrkräften konnten 40% der Schüler mindestens einmal pro Woche führen, was eine Zunahme um circa 10 Prozentpunkte gegenüber dem Frühjahr 2020 darstellte. Auch Lernvideos und Lernsoftware wurden Anfang 2021 häufiger eingesetzt als noch 2020 (ifo Institut sowie Wößmann et al, ifo Schnelldienst 5/2021, S. 36 [40 f.]).
(c) Der pandemiebedingte Ausfall von Unterricht hatte deutliche Lernzeitverkürzungen zur Folge. Dabei ist die Reduktion der Lernzeit für jüngere Schüler höher ausgefallen als für ältere. Anfang 2021 verbrachten Erhebungen zufolge Schulkinder durchschnittlich 4,3 Stunden pro Tag mit schulischen Tätigkeiten, eine dreiviertel Stunde mehr als noch im Frühjahr 2020, aber immer noch drei Stunden weniger als an einem üblichen Schultag (DGfE

BVerfGE 159, 355 (417):

und ifo Institut sowie Leopoldina, Kinder und Jugendliche in der Coronavirus-Pandemie, 21. Juni 2021, S. 7 und Wößmann et al, ifo Schnelldienst 5/2021, S. 36 [38]).
Nach sachkundiger Einschätzung ist davon auszugehen, dass der entfallene Präsenzunterricht zu Lernrückständen, negativen Effekten auf die fachspezifische Kompetenzentwicklung sowie Defiziten in der Persönlichkeitsentwicklung geführt hat (Bundeselternrat, BVÖGD, DAKJ, DGfE, ifo Institut und KSB). Das genaue Ausmaß dieser Nachteile ist insgesamt zwar schwer zu beurteilen. Lehrer schätzten aber die Bildungsrückstände schon im Dezember 2020 mehrheitlich als gravierend ein. Die Lernerfolge im Distanzunterricht werden von Schülern und dem Lehrpersonal als schlechter eingeschätzt als im Präsenzunterricht (BKJPP, DAKJ, DGfE und KSB). Die Bundesregierung spricht in der Beschreibung des "Aufholprogramms für Kinder und Jugendliche" davon, dass die pandemiebedingten Schulschließungen bei bis zu einem Viertel der Schüler zu deutlichen Lernrückständen geführt hätten. Bereits Schulschließungen von acht Wochen haben messbare Bildungsverluste zur Folge (DAKJ). Der entfallene Präsenzunterricht führte zu einer Reduzierung des Unterrichts auf die Kernfächer, dem Verlernen von Arbeitshaltung und -organisation sowie zum Verlust der Fähigkeit, Schulstress bewältigen zu können. Allerdings haben sich ein Viertel der Schülerinnen und Schüler in ihrem Lernerfolg nicht beeinträchtigt gesehen; zwischen 36% bis 52% der Schüler berichteten, im Fachunterricht auch in der Form des Distanzunterrichts viel zu lernen (dazu insgesamt DGfE).
(d) Übereinstimmend weisen die sachkundigen Dritten darauf hin, dass mit dem Wegfall des Präsenzschulbetriebs ein wichtiger Sozialisationsraum für Kinder und Jugendliche entfallen sei. Kinder und Jugendliche benötigten soziale Kontakte insbesondere für ihre psychosoziale Entwicklung. Sie entwickelten Sozialkompetenzen in Interaktion mit anderen (Bundeselternrat, BKJPP, BVÖGD, DGfE und ifo Institut). Im Einzelnen wird darauf hingewiesen, dass sich der Wegfall des Präsenzunterrichts nachteilig auf die Gruppenfähigkeit ausgewirkt habe (BVÖGD). Ferner hät

BVerfGE 159, 355 (418):

ten die Kontaktbeschränkungen generell zu Empfindungen von Isolation und Einsamkeit geführt, und zwar auch bei Kindern und Jugendlichen, die vor der Pandemie überwiegend nicht belastet gewesen seien (BKJPP sowie Leopoldina, Kinder und Jugendliche in der Coronavirus-Pandemie, 21. Juni 2021, S. 11). Indessen wird auch auf positive Effekte des Distanzunterrichts für die digitale Kompetenz, die Eigenständigkeit und die Selbstorganisation von Schülern verwiesen. Dabei wird angemerkt, dass diesen positiven Effekten aber enge Grenzen gesetzt seien, da auch die Entwicklung solcher Fertigkeiten eine systematische und regelmäßige Unterstützung voraussetze, die im Distanzunterricht nicht mit der notwendigen Intensität bereitgestellt werden könne (BKJPP, DGfE und HIB).
(e) Die sachkundigen Dritten weisen in ihren Stellungnahmen einhellig darauf hin, dass die Lernrückstände infolge des Wegfalls von Präsenzunterricht bei Kindern aus sozial benachteiligten Familien wie auch bei den Grundschülern besonders groß seien (insbesondere Bundeselternrat, BKJPP, DAKJ, DGfE, HIB und KSB).
So fand in Schulen an privilegierten Standorten mehr Präsenzunterricht statt. Nach dem zweiten Lockdown wurde den angehenden Abiturienten nahezu das gesamte Unterrichtsvolumen in Präsenz vermittelt, während Schülerinnen und Schüler mit angestrebten mittleren Schulabschlüssen nur zu zwei Dritteln und solche mit angestrebtem Hauptschulabschluss nur zu einem Drittel im Präsenzunterricht unterrichtet wurden. Nichtakademikerkinder und leistungsschwache Schülerinnen und Schüler erhielten überdies deutlich seltener Online-Unterricht und weniger individuellen Kontakt zu ihren Lehrkräften. Auch die Effektivität des Distanzlernens wird für diese Schülergruppen deutlich geringer eingeschätzt. Nach Einschätzung von Schulleitungen nimmt die Erreichbarkeit der Schüler ab, je mehr benachteiligte Schüler in einer Klasse sind (DGfE).
Nach übereinstimmenden Aussagen der sachkundigen Dritten waren die etwa drei Millionen Schülerinnen und Schüler an Grundschulen durch das Verbot von Präsenzunterricht ungleich

BVerfGE 159, 355 (419):

schwerwiegender betroffen als die Schülerinnen und Schüler weiterführender Schulen (dazu und zum Folgenden DAKJ und DGfE). Gerade Grundschüler seien in besonderem Maße auf die Durchführung von Präsenzunterricht angewiesen. Bei ihnen könne die Fähigkeit zu selbständigem Lernen noch nicht vorausgesetzt werden, weshalb die erfolgreiche Vermittlung grundlegender Kompetenzen wie Lesen und Schreiben ganz maßgeblich von der Möglichkeit auch direkter Interaktion mit den Lehrern abhänge. Distanzunterricht oder gar das Lernen aufgrund von Arbeitsblättern entfalte daher bei Grundschülern auch eine weitaus geringere Kompensationswirkung.
Grundschüler sind nach sachkundiger Einschätzung von Schulschließungen aber auch deshalb besonders nachteilig betroffen, weil die Grundlage für eine andauernde Lernbereitschaft gerade in der frühen Bildungsphase gelegt werde (dazu und zum Folgenden DAKJ und DGfE). Daher sei eine gute schulische Bildung an den Grundschulen von elementarer Bedeutung für einen erfolgreichen Bildungsverlauf. Jeder weitere Erwerb von Fähigkeiten in späteren Bildungsphasen baue auf den in der Grundschule erlernten Fertigkeiten auf. Je mehr Bildung und Erziehung in dieser frühen Phase gefördert werde, desto besser könne das vorhandene Potenzial von Fähigkeiten ausgeschöpft werden. Folglich könnten Lernrückstände, die die in den ersten Klassenstufen zu vermittelnden Grundlagen beträfen, den gesamten schulischen Bildungserfolg beeinträchtigen. Die Grundschüler seien in ihrer frühen Entwicklungsphase zudem verstärkt auch auf den durch den Präsenzunterricht eröffneten Lebens- und Erfahrungsraum zur Interaktion mit den Mitschülern angewiesen, der ihnen ein soziales Lernen in Auseinandersetzung mit Gleichaltrigen ermögliche.
(f) Das Ausmaß der durch den Wegfall des Präsenzunterrichts entstehenden Defizite bei der Persönlichkeitsentwicklung und Bildung hängt nach Angaben der Sachkundigen wesentlich zum einen von der individuellen Betroffenheit, persönlichen Resilienz und den persönlichen Ressourcen der Schülerinnen und Schüler, und zum anderen von Umfang und Qualität unterstützender und begleitender Maßnahmen ab (DAKJ und DGfE sowie Leopoldina,

BVerfGE 159, 355 (420):

Kinder und Jugendliche in der Coronavirus-Pandemie, 21. Juni 2021, S. 5). Defizite könnten durch eine Anpassung von Lernplänen und Unterstützungsmaßnahmen, schnellstmöglich umzusetzende systematische Fördermaßnahmen etwa am Nachmittag oder in den Ferien und eine psychosoziale und sonderpädagogische Betreuung insbesondere der besonders betroffenen Schüler ausgeglichen werden (BKJPP, DGfE und HIB).
(g) Den sachkundigen Stellungnahmen kann schließlich entnommen werden, dass der Erwerb von Bildung in vielen Fällen mittelbar durch eine Verschlechterung des Wohlbefindens und der familiären Verhältnisse der Schülerinnen und Schüler infolge pandemiebedingter Kontaktbeschränkungen wie dem Wegfall von Präsenzunterricht beeinträchtigt wurde.
Danach verringern auch die allgemeinen pandemiebedingten Einschränkungen die Lebensqualität und das psychische Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen. Gleichzeitig werde das Risiko für psychische Auffälligkeiten und psychosomatische Beschwerden erhöht (Bundesärztekammer, BKJPP, BVÖGD, DAKJ, HIB sowie Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Belastungen von Kindern, Jugendlichen und Eltern in der Corona-Pandemie, 2021, S. 30 f.). Valide Aussagen zu möglichen (bleibenden) psychischen Störungen infolge des entfallenen Präsenzunterrichts seien zwar nicht möglich (Bundesärztekammer und BKJPP). Befragungen von Eltern zeigten aber jedenfalls, dass die pandemiebedingten Kontaktreduzierungen und Schulschließungen von den betroffenen Kindern auch selbst als belastend empfunden wurden, wobei sich dies im zweiten Lockdown verstärkt habe. Familien mit Kindern berichten von einem verminderten mentalen Wohlbefinden und einer schlechteren familiären Interaktion. Mehr als zwei Drittel der Eltern gaben an, dass es ihren Kindern während des Distanzunterrichts schlechter gegangen sei als zuvor (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Belastungen von Kindern, Jugendlichen und Eltern in der Corona-Pandemie, 2021, S. 32). Die Schulzufriedenheit habe sich während der Schulschließungen halbiert (RKI). Übereinstimmend wird angeführt, dass während dieser Zeit ein deutlicher Bewegungsmangel bei Kin

BVerfGE 159, 355 (421):

dern und Jugendlichen zu verzeichnen gewesen sei. Das Risiko für Übergewicht und Fehlernährungen habe sich erhöht (Bundesärztekammer, Bundeselternrat, DAKJ und RKI sowie Leopoldina, Kinder und Jugendliche in der Coronavirus-Pandemie, 21. Juni 2021, S. 13; Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Belastungen von Kindern, Jugendlichen und Eltern in der Corona-Pandemie, 2021, S. 39).
Die Familien wurden durch die pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen teilweise aber auch insgesamt deutlich stärker belastet, was die Gefahr von Kindeswohlgefährdungen erhöht. Kindeswohlgefährdungen können insbesondere in der Schule als einem Raum staatlicher Aufsicht erkannt werden. Aus den Schulen erfolgen die zweithäufigsten Meldungen von Kindeswohlgefährdungen. Es ist daher anzunehmen, dass mit dem Wegfall des Präsenzunterrichts deutlich verringerte Möglichkeiten bestanden, frühzeitig entsprechende Anhaltspunkte zu erkennen (Bundesärztekammer, Bundeselternrat, BVÖGD, DAKJ und KSB sowie Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Belastungen von Kindern, Jugendlichen und Eltern in der Corona-Pandemie, 2021, S. 39).
cc) Dem schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf schulische Bildung der Schülerinnen und Schüler standen bei Verabschiedung des Gesetzes Gemeinwohlbelange von überragender Bedeutung in Gestalt des Schutzes der Bevölkerung vor infektionsbedingten Gefahren für Leib und Leben gegenüber, auf die auch einzelne Maßnahmen des Gesamtschutzkonzepts zur Bekämpfung der Pandemie wie das Verbot von Präsenzunterricht gestützt werden konnten.
(1) Dem Einwand der Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer, Schulschließungen leisteten nur einen geringen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie, so dass die damit verbundenen schwerwiegenden Eingriffe in das Recht auf schulische Bildung von vornherein außer Verhältnis zur geringen Gemeinwohlbedeutung dieser einzelnen Maßnahme stünden, kann nicht gefolgt werden. Da die einzelnen Maßnahmen Teil eines Gesamtkonzepts zum Schutz der Bevölkerung vor einer Gefährdung von Leib und

BVerfGE 159, 355 (422):

Leben sind und sich insoweit gegenseitig ergänzen, kann die Gemeinwohlbedeutung einer jeden Einzelmaßnahme auch nur in ihrem Zusammenwirken mit weiteren durch die "Bundesnotbremse" ergriffenen Maßnahmen bewertet werden.
(a) Bei Verabschiedung des Gesetzes im April 2021 lag ein von hoher Dynamik geprägtes Infektionsgeschehen vor. Infektionen breiteten sich exponentiell aus. Die Zahl der an COVID-19 erkrankten Intensivpatienten war deutlich angestiegen; es stand unmittelbar zu befürchten, dass eine Vielzahl von Krankenhäusern auf Notbetrieb umstellen und die Zahl planbarer Eingriffe weiter zurückfahren müsste. Gleichzeitig verbreiteten sich neue, infektiösere und tödlicher wirkende Virusvarianten rapide. Wegen der leichteren Übertragbarkeit dieser Varianten musste damit gerechnet werden, dass sich der Anstieg von Intensivpatienten beschleunigen und die Nachverfolgung von Kontaktpersonen ab einer Inzidenz von 100 vielfach nicht mehr möglich sein würde. Außerdem sollten die Infektionszahlen so niedrig wie möglich gehalten werden, um den Erfolg der bevorstehenden Impfkampagne nicht zu gefährden. Denn es bestand nach Einschätzung des Gesetzgebers die Gefahr der Entstehung von Virusvarianten, gegen welche die Impfstoffe eine geringere Wirksamkeit aufweisen (Escape-Virusvarianten). Diese Gefahr wäre umso größer gewesen, je mehr neu geimpfte Personen mit noch unvollständiger Immunität mit infizierten Personen zusammengekommen wären (hierzu näher Beschluss vom heutigen Tage – BVerfGE 159, 223 [301 ff. Rn. 178 ff.]; vgl. auch BTDrucks 19/28444, S. 1, 8 ff.).
(b) In dieser Situation kam es darauf an, die Dynamik des Infektionsgeschehens möglichst umfassend und rasch zu durchbrechen, um die Bevölkerung vor Gefahren für Leib und Leben durch ein außer Kontrolle geratenes Infektionsgeschehen und eine dadurch bewirkte Funktionsunfähigkeit des Gesundheitssystems zu bewahren. Dabei fehlte es nach sachkundiger Einschätzung an Erkenntnissen, die es erlaubt hätten, gezielt auf bestimmte Wirkungen einzelner Maßnahmen abzustellen (DGEpi/GMDS, DGPl und HZI). Sichere Erkenntnisse lagen dagegen in Bezug auf Übertragungswege des Virus vor, nämlich das

BVerfGE 159, 355 (423):

Einatmen virushaltiger, beim Atmen, Husten, Sprechen, Singen und Niesen entstehender virushaltiger Partikel im Nahbereich und von virushaltigen Aerosolen in Räumen. Dementsprechend zielte das Maßnahmenbündel vornehmlich darauf, zwischenmenschliche Kontakte umfassend und effektiv an maßgeblichen Kontaktorten – unter anderem auch an Gemeinschaftseinrichtungen wie der Schule – "herunterzufahren", um die exponentielle Ausbreitung des Virus möglichst rasch und verlässlich zu durchbrechen. Insoweit ergänzten sich die Maßnahmen gegenseitig als Teile eines Gesamtschutzkonzepts, um das Gemeinwohlziel des Schutzes der Bevölkerung vor Gefahren für Leib und Leben erreichen zu können.
(2) Ausgehend davon hat der Gesetzgeber mit dem Verbot von Präsenzunterricht nach § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG Gemeinwohlziele von überragender Bedeutung verfolgt.
Die nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Gesundheit und das Leben der Menschen sind Rechtsgüter von überragender Bedeutung (vgl. BVerfGE 126, 112 [140]; stRspr). Angesichts der Sachlage bei Verabschiedung des Gesetzes bestand auch die dringende Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung dieser Rechtsgüter. Die Situation im April 2021 war durch die exponentielle Ausbreitung von Infektionen, die Verbreitung neuer, infektiöser und tödlicher wirkender Virusvarianten, einer damit verbundenen Gefahr der nicht mehr möglichen Nachverfolgung von Infektionsketten und einen raschen Anstieg der Zahl infizierter Intensivpatienten geprägt. In dieser Situation musste davon ausgegangen werden, dass bei Untätigkeit viele Menschen infektionsbedingt schwer erkranken und sterben würden und dass in vielen Krankenhäusern eine Überlastung der Intensivstationen mit entsprechenden zusätzlichen Gefahren für Leib und Leben drohte. Die Dynamik des Infektionsgeschehens und die Gefahr des Kontrollverlustes ließen ein Handeln zur Durchbrechung der exponentiellen Ausbreitung daher als dringlich erscheinen, nicht zuletzt auch, um den Erfolg der beginnenden Impfkampagne nicht durch das Auftreten so genannter Escape-Virusvarianten zu gefährden (oben Rn. 155 f.).


BVerfGE 159, 355 (424):

dd) Angesichts der zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes und der während seines Geltungszeitraums fortbestehenden Unsicherheiten über das Bedrohungspotenzial der Coronavirus-Pandemie sowie der zu ihrer Bekämpfung angezeigten Maßnahmen war das angegriffene Verbot von Präsenzunterricht nicht unangemessen. Dem schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf schulische Bildung standen in Gestalt des Schutzes der Bevölkerung vor infektionsbedingten Gefahren für Leib und Leben und des damit verbundenen Schutzes des Gesundheitswesens vor Überlastung Gemeinwohlbelange von überragender Bedeutung gegenüber, die den Eingriff rechtfertigten. Die Aufgabe der Herstellung eines Ausgleichs hat der Gesetzgeber im Ergebnis zum damaligen Zeitpunkt in verfassungsgemäßer Weise wahrgenommen. Sein Schutzkonzept gab nicht einseitig nur dem Gemeinwohlbelang des Schutzes von Leib und Leben Vorrang. Vielmehr enthielt es Regelungen, die diesen Belang gegenüber dem Interesse der von Schulschließungen betroffenen Schüler zurücktreten ließen (unten 1). Der Bundesgesetzgeber durfte zudem davon ausgehen, dass die Länder wegfallenden Präsenzunterricht durch Distanzunterricht teilweise kompensieren würden (unten 2). Das Verbot von Präsenzunterricht war auch nicht deshalb unangemessen, weil die Pandemie bei einer vorgelagerten Mitwirkung des Staates an der Verbesserung der Erkenntnislage (3) oder anderen staatlichen Vorkehrungen (4) möglicherweise weniger belastend hätte bekämpft werden können. Schließlich hat der Gesetzgeber durch die kurze Befristung der Maßnahme der notwendigen Vorläufigkeit seiner Abwägung der gegenläufigen Interessen Rechnung getragen, die den Besonderheiten einer lang andauernden, dynamisch fortwirkenden und mit vielen Ungewissheiten behafteten Gefahrenlage geschuldet ist (5).
(1) Zu berücksichtigen ist zunächst, dass der Gesetzgeber auf einen Ausgleich der Individual- und Allgemeininteressen gerichtete Regelungen normiert hat.
(a) Die Reichweite der Maßnahmen war – wie bei anderen Maßnahmen der "Bundesnotbremse" – von vornherein begrenzt, weil der Präsenzunterricht nur in Landkreisen oder kreisfreien Städ

BVerfGE 159, 355 (425):

ten verboten war, in denen der maßgebliche Schwellenwert der Sieben-Tage-Inzidenz überschritten wurde. Hinzukommt, dass die Schulen – anders als andere Kontaktorte – bei wöchentlich zweimaliger Testung von Schülern und Lehrkräften und Einhaltung angemessener Schutz- und Hygienekonzepte (§ 28b Abs. 3 Satz 1 IfSG) nicht bereits bei Überschreitung eines Inzidenzwerts von 100 vollständig geschlossen werden mussten, sondern erst bei Überschreitung eines Inzidenzwerts von 165. Der Gesetzgeber trug damit dem besonderen Gewicht des Präsenzunterrichts für die Vermittlung schulischer Bildung als Grundbedingung für die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit Rechnung. Der Unterricht in der Schule im direkten Austausch zwischen Schülern und Lehrern sollte erst dann vollständig entfallen, wenn eine Situation erreicht war, in der weitere Kontaktbeschränkungen unverzichtbar erschienen, um das Infektionsgeschehen noch eindämmen zu können (vgl. BTDrucks 19/28444, S. 14).
(b) Zum angemessenen Ausgleich der gegenläufigen Interessen trug des Weiteren bei, dass die Länder gemäß § 28b Abs. 3 Satz 6 IfSG eine Notbetreuung "nach von ihnen festgelegten Kriterien" einrichten konnten. Auch insoweit hat der Bundesgesetzgeber den Belang der Infektionsbekämpfung gegenüber dem Interesse an schulischer Bildung zurücktreten lassen. Die Notbetreuung war zwar vor allem darauf ausgerichtet, zur Entlastung der Familien die an sich durch den Präsenzunterricht geleistete Betreuung der noch betreuungsbedürftigen Schüler in den Fällen zu übernehmen, in denen die Eltern ihrer Berufstätigkeit nicht in der Wohnung nachkommen konnten (KSB; vgl. auch BTDrucks 19/28444, S. 15). Darauf waren die Länder aber nicht beschränkt, da sie die Notbetreuung nach eigenen Kriterien einrichten konnten. Tatsächlich wurde die Notbetreuung auch dazu genutzt, um solchen Schülerinnen und Schülern die Teilnahme am Distanzunterricht zu eröffnen, für die dies zuhause wegen fehlender technischer Voraussetzungen, einer ungeeigneten Lernumgebung oder fehlender Unterstützung nur unter erschwerten Umständen mög

BVerfGE 159, 355 (426):

lich gewesen wäre (Bundeselternrat; vgl. auch BTDrucks 19/28444, S. 15).
(c) Darüber hinaus wurde die Eingriffsintensität des Verbots von Präsenzunterricht dadurch gemindert, dass es den Ländern freistand, die Abschlussklassen und die Förderschulen hiervon vollständig auszunehmen (§ 28b Abs. 3 Satz 5 IfSG).
(2) Für die Zumutbarkeit des Verbots von Präsenzunterricht spielte darüber hinaus eine maßgebliche Rolle, dass wenigstens die Durchführung von Distanzunterricht im Rahmen des trotz fehlender Kompetenz des Bundes zur Gestaltung schulischen Unterrichts Möglichen gewährleistet war.
(a) Distanzunterricht ist ein aus Sicht der Infektionsbekämpfung unbedenkliches Mittel, um die Intensität des Eingriffs in das Recht auf schulische Bildung durch den Wegfall von Präsenzunterricht erheblich abzumildern. Zwar kann Distanzunterricht den Präsenzunterricht nur begrenzt ersetzen. Die sachkundigen Dritten weisen einhellig darauf hin, dass der Präsenzunterricht wegen der Möglichkeit zur direkten Interaktion zwischen Schülern und Lehrern besonders gut geeignet sei, um Bildung und soziale Kompetenzen erfolgreich und chancengerecht zu vermitteln (insbesondere BKJPP, DAKJ und DGfE). Auch seien insbesondere die Grundschüler darauf angewiesen, dass Präsenzunterricht stattfindet, weil grundlegende Kompetenzen wie Lesen und Schreiben nur im Rahmen direkter Interaktion mit den Lehrern erfolgreich vermittelt werden können (DAKJ und DGfE). Den Stellungnahmen der sachkundigen Dritten kann aber auch entnommen werden, dass Bildungsdefizite und Lerneinbußen infolge von Schulschließungen in erheblichem Umfang verringert werden, wenn Distanzunterricht stattfindet. Bei guter digitaler Ausstattung von Schülern und Lehrkräften und angepassten pädagogischen Konzepten können nach sachkundiger Einschätzung zumindest Fertigkeiten und Wissen auch im Rahmen von Distanzunterricht erfolgreich vermittelt werden (BKJPP, DAKJ sowie Leopoldina, Kinder und Jugendliche in der Coronavirus-Pandemie, 21. Juni 2021, S. 8 f.).
(b) Allerdings konnte der Bundesgesetzgeber mangels schul

BVerfGE 159, 355 (427):

rechtlicher Kompetenzen selbst nicht gewährleisten, dass nach Möglichkeit Distanzunterricht stattfindet, wenn aufgrund der von ihm getroffenen Regelung der Präsenzunterricht entfällt; es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass insoweit Absprachen mit den Ländern getroffen wurden (zur Durchführung von Distanzunterricht in den Ländern auch während der Geltung der "Bundesnotbremse" oben Rn. 8, 141). Gleichwohl führt dieses Unvermögen, die Eingriffsintensität der eigenen Maßnahme in einem wesentlichen Punkt abmildern zu können, hier nicht zu deren Unzumutbarkeit. Es bedurfte insoweit keines eigenständigen gesetzlichen Interessenausgleichs, weil der Bundesgesetzgeber davon ausgehen konnte, dass die Länder den von ihnen bereits eingerichteten Distanzunterricht auch bei Schulschließungen auf der Grundlage der "Bundesnotbremse" fortführen würden, um ihrem verfassungsrechtlichen Bildungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG nachzukommen (aa). Hinzukommt, dass die Schülerinnen und Schüler auf der Grundlage ihres Rechts auf schulische Bildung im Einzelfall die Durchführung von Distanzunterricht verlangen können, wenn ein solcher an ihrem Schulstandort nicht in nennenswertem Umfang vorgesehen ist, obwohl dem keine durchgreifenden Hindernisse personeller, sächlicher oder organisatorischer Art entgegenstehen (bb).
(aa) Die Länder sind nach Art. 7 Abs. 1 GG verpflichtet, dafür zu sorgen, dass bei einem Verbot von Präsenzunterricht nach Möglichkeit Distanzunterricht stattfindet. Daher war auch hinsichtlich der bundesgesetzlichen Maßnahme hinreichend gewährleistet, dass die schwerwiegenden Beeinträchtigungen des Rechts auf schulische Bildung aufgrund länger anhaltenden Schulschließungen durch Distanzunterricht abgefedert werden.
(á) Nach Art. 7 Abs. 1 GG hat der Staat die Aufgabe, ein Schulsystem zu gewährleisten, das allen Kindern und Jugendlichen gemäß ihren Fähigkeiten die dem heutigen gesellschaftlichen Leben entsprechenden Bildungsmöglichkeiten eröffnet und ihnen so eine möglichst ungehinderte Entfaltung ihrer Persönlichkeit und damit ihrer Anlagen und Befähigungen ermöglicht (vgl. BVerfGE 34, 165 [182, 184]; 45, 400 [417]; 98, 218 [257 f.]).


BVerfGE 159, 355 (428):

Aus diesem staatlichen Auftrag können im Regelfall keine Pflichten der für das Schulwesen allein zuständigen Länder hergeleitet werden, das Schulsystem in bestimmter Weise zu gestalten. Dem Staat kommt bei der Ausgestaltung von Schule ein weiter Gestaltungsspielraum zu (oben Rn. 54 f.). Der verfassungsrechtliche Bildungsauftrag wird aber jedenfalls dann verfehlt, wenn der für die Persönlichkeitsentwicklung der Schülerinnen und Schüler unverzichtbare Mindeststandard schulischer Bildung unterschritten ist. Dann trifft die Länder eine objektiv-rechtliche Pflicht nach Art. 7 Abs. 1 GG, Vorkehrungen zur Wahrung des Mindeststandards zu ergreifen (zum individuellen Anspruch aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 GG auf Wahrung des Mindeststandards an der Schule oben Rn. 57).
(â) Eine solche Situation war hier wegen des pandemiebedingten Wegfalls von Präsenzunterricht über einen längeren Zeitraum gegeben. Die Länder waren auch während der Geltung des § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG nach Art. 7 Abs. 1 GG verpflichtet, wegfallenden Präsenzunterricht möglichst durch Distanzunterricht zu ersetzen.
Die Erteilung von Unterricht im Austausch zwischen Lehrern und Schülern ist Kernbestandteil des staatlichen Auftrags aus Art. 7 Abs. 1 GG zur Gewährleistung schulischer Bildung. Der für die Persönlichkeitsentwicklung der Schülerinnen und Schüler unverzichtbare Mindeststandard staatlicher Bildungsleistungen wäre evident unterschritten, wenn über einen längeren Zeitraum keinerlei Unterricht stattfände. Das schließt nicht aus, dass – wie hier – aus überwiegenden Gründen des Schutzes von Leib und Leben der Bevölkerung die Durchführung von Präsenzunterricht zur Eindämmung von Infektionen verboten wird. Die Länder sind dann aber aus Art. 7 Abs. 1 GG verpflichtet, die verbleibenden Möglichkeiten zur Wahrung eines Mindeststandards schulischer Bildung zu nutzen. Dazu gehört vor allem der Distanzunterricht. Er ist aus Sicht der Infektionsbekämpfung unproblematisch, da er keine zusätzlichen zwischenmenschlichen Kontakte auslöst. Die Kompensationswirkung des Distanzunterrichts mag zwar für die Grundschüler eingeschränkt sein, weil bei ihnen die erfolgreiche

BVerfGE 159, 355 (429):

Vermittlung der grundlegenden Kompetenzen wie Lesen und Schreiben von der Möglichkeit direkter und persönlicher Interaktion mit den Lehrern abhängt (DAKJ und DGfE). Der Distanzunterricht ist aber nach sachkundiger Einschätzung jedenfalls für die Schüler ab der Sekundarstufe das wesentliche Mittel, um Bildungsdefizite und Lerneinbußen infolge der Schulschließungen wenigstens teilweise vermeiden zu können (BKJPP, DAKJ sowie Leopoldina, Kinder und Jugendliche in der Coronavirus-Pandemie, 21. Juni 2021, S. 8 f.). Die den Ländern eröffnete Gestaltungsfreiheit bei der Ausgestaltung des Bildungsauftrags nach Art. 7 Abs. 1 GG gab ihnen daher nicht die Befugnis zu entscheiden, ob wegfallender Präsenzunterricht durch Distanzunterricht ersetzt wird oder nicht. Denn insoweit ging es darum, als Mindestvoraussetzung schulischer Bildung zu sichern, dass überhaupt ein Unterricht stattfand, soweit dies aus Gründen des Infektionsschutzes möglich war. Diese verfassungsrechtliche Pflicht der Länder bestand unabhängig davon, ob Präsenzunterricht von ihnen selbst oder durch den Bund untersagt wurde.
(γ) In Auslegung der völkerrechtlichen Normen, die ein Recht auf Bildung anerkennen (oben Rn. 67 ff.), betonen auch mehrere Menschenrechtsausschüsse die Bedeutung des Distanzunterrichts, soweit Präsenzunterricht nicht möglich ist. Der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte verlangt auch für den Fernunterricht einen möglichst gleichberechtigten Zugang zu den Bildungsangeboten ("accessibility": vgl. General Comment No. 13, 8. Dezember 1999, E/C.12/1999/10, § 6; dazu auch Report of the Special Rapporteur on the Right to Education, 30. Juni 2020, Menschenrechtsrat, 45. Sitzung, A/HRC/44/39, §§ 22 ff.). In einer Stellungnahme zur COVID-19-Pandemie hat der Ausschuss festgehalten, dass Online-Unterricht wichtig sei, um nachteilige Wirkungen der Schulschließungen auf das Recht auf Bildung zu verringern (vgl. Committee on Economic, Social and Cultural Rights, Statement on the coronavirus disease [COVID-19] pandemic and economic, social and cultural rights, 17. April 2020, E/C.12/2020/1, §§ 7, 18). Desgleichen betont der für die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen zuständi

BVerfGE 159, 355 (430):

ge Ausschuss anlässlich der COVID-19-Pandemie, dass Fernunterricht mittels technischer Hilfsmittel eine Möglichkeit sei, um auch Kinder zu erreichen, die Schule nicht in Präsenz besuchen können (vgl. General Comment No. 25, 2. März 2021, CRC/C/GC/25, § 102; zum Distanzunterricht auch Committee on the Rights of the Child, COVID-19 Statement, 8. April 2020, § 3; zur Bedeutung der Allgemeinen Bemerkungen vgl. BVerfGE 142, 313 [346 Rn. 90]; 151, 1 [29 Rn. 65] m.w.N.).
(bb) Zur Zumutbarkeit der angegriffenen Maßnahme trug darüber hinaus bei, dass mit der objektiv-rechtlichen Pflicht der Länder zur Gewährleistung von Distanzunterricht als Ersatz für wegfallenden Präsenzunterricht nach Art. 7 Abs. 1 GG ein aus dem grundrechtlich geschützten Recht auf schulische Bildung folgender Anspruch der einzelnen Schülerinnen und Schüler auf Durchführung von Distanzunterricht einherging, wenn an ihrem Schulstandort diese Unterrichtsform nicht oder nicht in nennenswertem Umfang vorgesehen war.
Das Recht auf schulische Bildung gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 GG gibt Schülerinnen und Schülern die Befugnis, die Einhaltung eines für ihre Persönlichkeitsentwicklung unverzichtbaren Mindeststandards von Bildungsleistungen an staatlichen Schulen zu verlangen; insoweit können sich die Länder weder auf einen Spielraum bei der Ausgestaltung des Bildungsauftrags aus Art. 7 Abs. 1 GG noch darauf berufen, knappe öffentliche Mittel für andere Staatsaufgaben einsetzen zu wollen (oben Rn. 57). Wie ausgeführt, gehörte zum Mindeststandard schulischer Bildung in der besonderen Situation der Pandemie die Durchführung von Distanzunterricht, weil ansonsten über einen längeren Zeitraum überhaupt kein Unterricht an Schulen stattgefunden hätte. Soweit daher an einzelnen Standorten staatlicher Schulen nicht dafür gesorgt wurde, dass anstelle von Präsenzunterricht in nennenswertem Umfang Distanzunterricht stattfinden konnte, bestand ein Anspruch der betroffenen Schüler auf entsprechende Vorkehrungen, sofern dem keine durchgreifenden Hindernisse personeller, sächlicher oder organisatorischer Art

BVerfGE 159, 355 (431):

entgegenstanden(vgl. BVerfGE 96, 288 [305 ff.] zur inklusiven Beschulung von Schülern mit Behinderungen).
(3) Der Gesetzgeber war – jedenfalls zum Entscheidungszeitpunkt – nicht deshalb an einem Verbot von Präsenzunterricht gehindert, weil möglicherweise die damit verbundenen Belastungen der Schülerinnen und Schüler bei früherer Verbesserung der Kenntnislage zur Bedeutung des Präsenzunterrichts für das Pandemiegeschehen hätten geringer gehalten werden können.
(a) Eine Pandemie bewirkt eine lange andauernde, sich dynamisch entwickelnde und mit vielen Ungewissheiten behaftete Gefährdung von Leib und Leben. Die Eindämmung von Infektionen bedarf fortdauernder und wiederkehrender Maßnahmen. In dieser Situation kann die Zumutbarkeit der im weiteren Fortgang zu treffenden Gefahrenabwehrmaßnahmen auch davon abhängen, ob und inwieweit die damit verbundenen Belastungen bei zwischenzeitlichem staatlichem Handeln vermeidbar gewesen wären. Dem Interesse der Betroffenen, von grundrechtsbelastenden Maßnahmen verschont zu werden, kann dann bei der Abwägung mit gegenläufigen Gemeinwohlbelangen ein umso größeres Gewicht zukommen, je mehr im weiteren Fortgang einer lang andauernden Gefahrenlage absehbare weitere Belastungen bei einem rechtzeitigen, zumutbaren und sich in der Sache aufdrängenden Handeln des Staates vermeidbar gewesen wären.
Das kann etwa der Fall sein, wenn die Ungewissheit über die Wirksamkeit milderer Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie bei weiteren Gefahrenabwehrmaßnahmen deshalb fortbesteht, weil die hierfür benötigten Daten mangels entsprechender staatlicher Regelungen nicht erhoben werden konnten. Generell kann sich der Gesetzgeber umso weniger auf nicht abgesicherte Annahmen zu Wirkungszusammenhängen stützen, je länger belastende Regelungen in Kraft sind und sofern der Gesetzgeber fundiertere Einschätzungen hätte erlangen können. Je länger eine belastende Regelung in Kraft ist, umso tragfähiger müssen die zugrundeliegenden Erkenntnisse sein, um die Maßnahmen aufrecht zu erhalten (vgl. BVerfGE 152, 68 [119 f. Rn. 134]). Das verlangt vom Gesetzgeber, Ursachenzusammenhänge über den Zeitpunkt

BVerfGE 159, 355 (432):

der Verabschiedung des Gesetzes hinaus im Blick zu behalten und für deren weitere Ergründung zu sorgen (vgl. auch BVerfGE 110, 141 [166]). Besteht die Situation der Ungewissheit fort, weil es der Wissenschaft nicht gelingt, die Erkenntnislage zu verbessern, wirkt sich dies aber nicht auf die verfassungsrechtliche Beurteilung des weiteren Vorgehens aus. Anders kann es jedoch liegen, wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die eine bessere Einschätzung der Wirksamkeit milderer Alternativen zur Bekämpfung der Gefahr erlauben, deshalb nicht gewonnen werden konnten, weil es an der vom Staat zu schaffenden Grundlage für die Erhebung von Daten in einem von ihm verantworteten Bereich fehlt.
Allerdings ist auch dann noch das Gewicht der gegenläufigen Belange zu beachten. Große Gefahren für Leib und Leben dürfte der Staat am Ende nicht deshalb in Kauf nehmen, weil er nicht genug dazu beigetragen hat, dass freiheitsschonendere Alternativen zur Abwehr dieser Gefahr erforscht werden. Hingegen könnte etwa der Einwand, dass freiheitsschonendere Mittel die Allgemeinheit finanziell stärker belasten, in der Abwägung an Gewicht verlieren, je länger der Staat Möglichkeiten auslässt, fundiertere Einschätzungen über deren Wirkung zu erlangen.
(b) Ein bei der Beurteilung der Zumutbarkeit des Verbots von Präsenzunterricht durchschlagendes Versäumnis des Staates bei der Erkenntnisgewinnung kann hier nicht festgestellt werden. Ohnehin war die Wirkung der angegriffenen Regelung von vornherein auf eine sehr kurze Zeit von lediglich gut zwei Monaten begrenzt. Insofern kann die weitere Ergründung der Ursachenzusammenhänge realistisch von vornherein nicht für die angegriffene Regelung, sondern nur für die Anordnung weiterer Beschränkungen des Präsenzunterrichts von Bedeutung sein, zu denen es aber bislang nicht gekommen ist und deren Zulässigkeit nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist.
Allerdings dauerte die Gefahrenlage bei Verabschiedung des Gesetzes bereits über ein Jahr an und es waren mehrere Monate landesrechtlich begründeter Beschränkungen des Präsenzunterrichts vorausgegangen (oben Rn. 6 f., 139 f.). Zu einer näheren Er

BVerfGE 159, 355 (433):

gründung der Bedeutung des Präsenzunterrichts für das Infektionsgeschehen bestanden insoweit erste Möglichkeiten. Nach den Stellungnahmen der sachkundigen Dritten ist davon auszugehen, dass unter anderem an den Schulen keine Daten erhoben wurden, aus denen möglicherweise Erkenntnisse für eine grundrechtsschonendere Bekämpfung von Infektionen im Bereich der Schule hätten gewonnen werden können (Bundesärztekammer, Charité, CODAG, DGKH, DGPl und RKI; oben Rn. 128). Das Robert Koch-Institut führt die fehlende Möglichkeit, fachwissenschaftlich bewerten zu können, ob das Verbot von Präsenzunterricht zur Eindämmung des Infektionsgeschehens besser geeignet ist als geöffnete Schulen bei wöchentlich zweimaliger Testung von Schülern und Lehrern und bei Einhaltung angemessener Schutz- und Hygienekonzepten, darauf zurück, dass es an den dafür erforderlichen Daten fehle, weil die Wirksamkeit der verschiedenen Schutzmaßnahmen unter anderem im Bereich der Schule nicht systematisch und kontinuierlich erfasst und ausgewertet worden sei; diese Annahme wird auch von anderen sachkundigen Dritten geteilt (DGEpi/GMDS und HZI). Bessere Auswertungsmöglichkeiten hängen insoweit auch von einer Mitwirkung staatlicher Stellen ab.
Gleichwohl kann bei der Beurteilung der Regelung, die vom 23. April bis zum 30. Juni 2021 galt, noch nicht von einem sich auf die Zumutbarkeit des Verbots von Präsenzunterricht auswirkenden Versäumnis des Staates ausgegangen werden. Zum einen hat der Gesetzgeber Vorsorge für eine auch staatlich verantwortete Verbesserung der Erkenntnislage getroffen. Nach § 5 Abs. 9 Satz 1 IfSG beauftragt das Bundesministerium für Gesundheit eine externe Evaluation zu den Auswirkungen von Schutzmaßnahmen, die während der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite getroffen werden. Dazu gehören auch die Maßnahmen nach § 28b IfSG. Unter anderem geht es um die Untersuchung der Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen, um Schlüsse für notwendige Anpassungen des Infektionsschutzrechts und für das Vorgehen bei etwaigen künftigen Pandemien ziehen zu können (vgl. BTDrucks 19/26545, S. 17 f.). Die Bundesregie

BVerfGE 159, 355 (434):

rung hat in diesem Verfahren vorgetragen, dass das Robert Koch-Institut mit Blick auf die im Jahr 2020 ergriffenen Maßnahmen der Pandemiebekämpfung eine vom Bundesministerium für Gesundheit geförderte Studie zur Erforschung der Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen in Auftrag gegeben hat, die auch die Wirksamkeit von schulbezogenen Maßnahmen umfasst ("StopptCOVID-Studie").
Zum anderen muss dem Staat auch angesichts des dynamischen Infektionsgeschehens ein angemessener Zeitraum eingeräumt werden, um sich über etwaige Möglichkeiten zur Beseitigung von Ungewissheiten klarwerden und Entsprechendes veranlassen zu können. Daher kann nicht ohne weiteres angenommen werden, dass bei zügigeren Maßnahmen des Staates zur Wissensgenerierung bereits bei Verabschiedung des Gesetzes fachwissenschaftlich fundiert hätte beurteilt werden können, ob die Aufrechterhaltung von Präsenzunterricht zur Durchführung regelmäßiger Tests in den Schulen auch bei hohen Inzidenzwerten tatsächlich mindestens gleich wirksam zur Bekämpfung der Pandemie beiträgt wie ein Verbot von Präsenzunterricht, oder ob und inwieweit Schulschließungen überhaupt einen relevanten Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie leisten können. Schließlich ist der Bund auch nicht untätig geblieben (oben Rn. 181).
(4) Gegen die Zumutbarkeit des Verbots von Präsenzunterricht spricht im Ergebnis nicht, dass die Bekämpfung von Infektionen im staatlich verantworteten Bereich der Schule grundrechtsschonender hätte ausgestaltet werden können, wenn der Staat hierfür rechtzeitig Vorkehrungen getroffen hätte.
(a) Für die Beurteilung der Zumutbarkeit wiederholter grundrechtsbeschränkender Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren im Verlauf einer länger andauernden Gefahrenlage wie der Corona-Pandemie ist zu berücksichtigen, ob der Staat in einem von ihm verantworteten Bereich rechtzeitig zumutbare und sich in der Sache aufdrängende Vorkehrungen getroffen hat, um Eingriffe zur Gefahrenabwehr mit der Zeit grundrechtsschonender gestalten zu können als in einem frühen Stadium der Gefahr. Werden solche Vorkehrungen unterlassen, ändert dies zwar nichts am Fehlen

BVerfGE 159, 355 (435):

einer tatsächlichen Möglichkeit, der Gefahr im weiteren Fortgang mit milderen Mitteln begegnen zu können. Das Interesse der Betroffenen, von belastenden Maßnahmen verschont zu werden, kann dann jedoch – wie im Fall unzureichender Mitwirkung an der Verbesserung der Erkenntnislage (oben Rn. 176 ff.) – bei der Abwägung mit gegenläufigen Gemeinwohlbelangen zusätzliches Gewicht erlangen.
(b) Ein solches für die Zumutbarkeit des Verbots von Präsenzunterricht relevantes Versäumnis des Staates kann indes nicht festgestellt werden.
(aa) Als naheliegende Vorkehrungen für eine grundrechtsschonendere Bekämpfung von Infektionen im Bereich der Schule im weiteren Verlauf der Pandemie ist etwa an eine Verbesserung der Lüftungsverhältnisse in den Klassenzimmern oder die Eröffnung von Optionen für die Nutzung größerer Räume zur Einhaltung von Abstandsgeboten zu denken. Unter anderem durch solche Maßnahmen könnten Schulschließungen je nach Infektionslage verhindert oder die Schwelle hierfür angehoben werden. Als weitere Vorkehrung drängt sich insbesondere die verstärkte Digitalisierung des Schulbetriebs und die Entwicklung darauf bezogener pädagogischer Konzepte auf, um für den Fall künftiger Schulschließungen Bildungsverluste durch einen nach Umfang und Qualität verbesserten Distanzunterricht möglichst weitgehend verhindern und damit die Eingriffsintensität der Maßnahme senken zu können.
Es liegt jedoch nicht auf der Hand, dass bereits bei Verabschiedung des Gesetzes, also im April 2021, die beispielhaft genannten Vorkehrungen flächendeckend an Schulen hätten getroffen werden können. Sie alle bedürfen mehr oder weniger aufwendiger Abstimmung, Planung und Umsetzung. Bei den Lüftungsanlagen und mobilen Luftreinigern kommt hinzu, dass es nach sachkundiger Einschätzung noch Klärungsbedarf zur Wirksamkeit des Schutzes im Schulbetrieb gab (DGKH, DGPl und GAeF).
(bb) In der Zeit bis zur Verabschiedung der "Bundesnotbremse" war es hingegen etwa aufgrund der Ermächtigungsgrundlage nach Art. 104c Satz 1 GG dem Grunde nach möglich, dafür zu

BVerfGE 159, 355 (436):

sorgen, dass für die Planung und Umsetzung der Vorkehrungen notwendige öffentliche Mittel zur Verfügung standen. Insoweit ist der Bund aber auch nicht untätig geblieben.
Er hat den Ländern bereits vor Erlass der "Bundesnotbremse" im Rahmen des "DigitalPakts Schule" Finanzhilfen in Höhe von insgesamt 1,5 Milliarden Euro gewährt, um die informationstechnischen Rahmenbedingungen zur Durchführung von digitalem Distanzunterricht zu verbessern. Zur Ausstattung der Schüler mit digitalen Endgeräten wurde im Juli 2020 die "Corona-Hilfe I" vereinbart. Zweck des Sofortausstattungsprogramms war es, Schulen zu unterstützen, damit in der Zeit des eingeschränkten Schulbetriebs – bis zur Wiederaufnahme des Regelschulbetriebs – einem möglichst hohen Anteil an Schülern digitaler Unterricht zuhause, unterstützt mit mobilen Endgeräten (Laptops, Notebooks und Tablets mit Ausnahme von Smartphones), ermöglicht wird. Darüber hinaus sollte die für die Erstellung professioneller Online-Lehrangebote notwendige Ausstattung der Schulen gefördert werden (vgl. § 2 der Zusatzvereinbarung zur Verwaltungsvereinbarung DigitalPakt Schule 2019 bis 2024 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Ländern). Im November 2020 wurde zur Förderung der Administration der Informationstechnologie an den Schulen und zur Gewährleistung eines zügigen Ausbaus digitaler Lehr-Lern-Infrastrukturen die "Corona-Hilfe II", zuletzt im Januar 2021 die "Corona-Hilfe III" vereinbart. Die zusätzliche Investitionshilfe sollte den Ausbau digitaler Lehr-, Lern- und Kommunikationsmöglichkeiten an Schulen weiter verbessern (vgl. jeweils § 2 der Zweiten und Dritten Zusatzvereinbarung zur Verwaltungsvereinbarung Digital-Pakt Schule 2019 bis 2024 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Ländern).
Der Bund hat auch die Implementierung von Luftreinigungsanlagen in Schulgebäuden finanziell gefördert. So hat er seit Oktober 2020 Mittel im Zuge der "Bundesförderung coronagerechte Um- und Aufrüstung von raumlufttechnischen Anlagen in öffentlichen Gebäuden und Versammlungsstätten" im Gesamtvolumen von 500 Millionen Euro zur Verfügung gestellt (vgl. die Antwor

BVerfGE 159, 355 (437):

ten der Bundesregierung auf Kleine Anfragen, BTDrucks 19/27741 und 19/28694).
(c) Sollten im weiteren Verlauf der Pandemie erneut Beschränkungen des Schulbetriebs in Betracht gezogen werden, wäre deren Zumutbarkeit jedenfalls auch daran zu messen, ob naheliegende Vorkehrungen wie insbesondere eine weitere Digitalisierung des Schulbetriebs ergriffen wurden, um künftige Beschränkungen des Präsenzunterrichts grundrechtsschonender ausgestalten zu können. Dies trifft Bund und Länder, soweit sie kompetenziell zuständig sind, gleichermaßen.
(5) Schließlich hat der Gesetzgeber durch die kurze Befristung der "Bundesnotbremse" verfassungsrechtlich hinreichend darauf reagiert, dass die der gesetzgeberischen Abwägung zugrundeliegende Einschätzung der Gemeinwohlbedeutung und der Eingriffsintensität des Verbots von Präsenzunterricht und damit dessen Verfassungsmäßigkeit angesichts der Dynamik des Infektionsgeschehens und der beginnenden Impfkampagne von Verfassungs wegen zwangsläufig vorläufiger Natur sein musste.
(a) Zwar ist die Verfassungsmäßigkeit einer Regelung zunächst nur aus einer ex-ante-Perspektive im Hinblick auf die verfügbaren Informationen und Erkenntnismöglichkeiten zu beurteilen (vgl. BVerfGE 158, 282 [346 Rn. 154]). Deshalb konnte der Gesetzgeber bei Verabschiedung des Gesetzes wegen der Dynamik des Infektionsgeschehens, der Verbreitung gefährlicherer Virusvarianten und der unmittelbar drohenden Überlastung des Gesundheitssystems von einer besonderen Dringlichkeit und Bedeutung von Maßnahmen zur Einschränkung zwischenmenschlicher Kontakte wie dem Verbot von Präsenzunterricht ausgehen (oben Rn. 155 f.). Jedoch stand diese Gewichtung der Gemeinwohlbedeutung von Anfang an unter dem Vorbehalt der weiteren Entwicklung.
(aa) Das gilt zunächst hinsichtlich der Frage, ob und wann es gelingen würde, die Dynamik des Infektionsgeschehens durch das Maßnahmenbündel der "Bundesnotbremse" zu durchbrechen, und welche Rolle die Verbreitung neuer Virusvarianten hierbei spielen würde.


BVerfGE 159, 355 (438):

(bb) Die Vorläufigkeit der verfassungsrechtlichen Bewertung der angegriffenen Maßnahmen ergab sich auch aus der damals beginnenden Impfkampagne. Der Gesetzgeber musste davon ausgehen, im weiteren Verlauf der Pandemie eine erneute Abwägung der gegenläufigen Interessen vornehmen zu müssen, weil die Bedeutung der Maßnahmen für den Schutz von Leib und Leben mit zunehmender Immunisierung der Bevölkerung abnehmen und bei einem Impfangebot an alle impffähigen Personen von erheblich geringerem Gewicht sein würde als bei Verabschiedung des Gesetzes. Das trifft im Besonderen für das Verbot von Präsenzunterricht zu. Denn die ungeimpften schulpflichtigen Kinder erkranken selbst – anders als noch nicht geimpfte Erwachsene – nach bisheriger sachkundiger Einschätzung bei einer Infektion nur selten und im Regelfall nur dann schwer, wenn eine Vorerkrankung vorliegt (insbesondere Bundesärztekammer, BVÖGD, Charité, DGEpi/GMDS, DGKH, HZI und RKI). Daher musste der Gesetzgeber – vorbehaltlich unvorhersehbarer Entwicklungen wie einer gesteigerten Gefährdung auch von Kindern durch neuartige Varianten – damit rechnen, dass das Verbot von Präsenzunterricht bei einem Impfangebot an alle impffähigen Personen allmählich seine Rechtfertigung verlieren könnte. Das gilt in noch stärkerem Maße, soweit sich das Verbot auf den Präsenzunterricht an Grundschulen erstreckt. Denn Grundschüler sind insoweit besonders schwer betroffen, weil bei ihnen eine erfolgreiche Vermittlung von Bildung von der Möglichkeit direkter Interaktion mit den Lehrern abhängt und Lernrückstände den weiteren Bildungserfolg nachhaltig beeinträchtigen können (oben Rn. 147 f., 165, 171).
(cc) Auch die gesetzgeberische Einschätzung der Intensität des Eingriffs in das Recht auf schulische Bildung konnte nur vorläufiger Natur sein. Die Eingriffsintensität wächst mit jedem weiteren Wegfall von Präsenzunterricht; das gilt wiederum in verstärktem Maße für die Grundschulen, weil die Grundlagen für einen erfolgreichen Bildungsverlauf zu Beginn des schulischen Werdegangs gelegt werden (siehe oben Rn. 148). Daher musste damit gerechnet werden, dass die Eingriffsintensität bei weiteren Schulschlie

BVerfGE 159, 355 (439):

ßungen ein Ausmaß annehmen kann, bei dem die ursprüngliche gesetzgeberische Abwägung der gegenläufigen Interessen hinfällig sein würde.
(b) Eine belastende Maßnahme, deren künftige Verfassungsmäßigkeit wegen der Dynamik der weiteren Entwicklung wie hier unter besonderem Vorbehalt steht, ist allerdings umso eher hinzunehmen, je besser gesichert ist, dass sie bei nachträglich eintretender Verfassungswidrigkeit entfällt. Hier hatte der Bundesgesetzgeber mit der kurzen Befristung der "Bundesnotbremse" eine besonders wirksame verfahrensrechtliche Sicherung zur Wahrung der weiteren Verfassungsmäßigkeit der Maßnahmen vorgesehen.
Zwar ist der Gesetzgeber dann, wenn er eine Maßnahme auf unsicherer Tatsachen- und Prognosengrundlage trifft, ohnehin verpflichtet, die weitere Entwicklung zu beobachten und das Gesetz nachzubessern, falls zu befürchten ist, dass die Maßnahme wegen veränderter tatsächlicher Bedingungen oder einer veränderten Erkenntnislage in die Verfassungswidrigkeit hineinwächst (vgl. BVerfGE 56, 54 [78 ff.]; 110, 141 [158]). Eine Befristung des Gesetzes gewährleistet jedoch regelmäßig deutlich besser als die bloße Beobachtung, dass eine belastende Maßnahme entfällt, wenn die Grundlage für ihre Rechtfertigung nicht mehr gegeben ist (vgl. bereits BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. April 2020 – 1 BvQ 28/20 –, Rn. 14 und Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 13. Mai 2020 – 1 BvR 1021/20 –, Rn. 10). Die Maßnahme kann dann nur in einem auf Öffentlichkeit und Transparenz angelegten Gesetzgebungsverfahren auf der Grundlage einer umfassenden Aufbereitung der aktuellen Sachlage und einer erneuten Abwägung aller relevanten Gesichtspunkte fortgeschrieben werden (vgl. BVerfGE 139, 148 [176 f. Rn. 55]; 143, 246 [343 Rn. 274 f.]); bei einer Untätigkeit des Gesetzgebers tritt sie automatisch außer Kraft.
Danach trug die kurzzeitige Befristung der Maßnahme wesentlich dazu bei, dass der schwerwiegende Eingriff in das Recht auf schulische Bildung durch die Anordnung des Wegfalls von Präsenzunterricht bei Erreichen hoher Inzidenzen noch zumutbar war. Aus den dargelegten Gründen hatte es sich vor allem aufge

BVerfGE 159, 355 (440):

drängt, das Verbot von Präsenzunterricht nicht über den Zeitpunkt hinaus gelten zu lassen, zu dem voraussichtlich ein Impfangebot an alle impffähigen Personen gemacht werden konnte.
II.
Das Verbot von Präsenzunterricht gemäß § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG war mit dem Recht der Beschwerdeführerin zu 1. im Verfahren 1 BvR 1069/21 auf freie Bestimmung des Bildungsganges ihres Sohnes nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG vereinbar.
Die Beschwerdeführerin trägt vor, sie habe für ihren Sohn eine Privatschule ausgewählt, deren Bildungskonzept sie überzeugt habe. Dieses Bildungskonzept lege besonderen Wert auf einen intensiven Dialog zwischen Schülern und Lehrern und die Interaktion der Schüler untereinander. Durch das Verbot von Präsenzunterricht werde sie in ihrem nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten elterlichen Recht auf freie Bestimmung des Bildungsganges ihres Sohnes unverhältnismäßig beeinträchtigt.
Das ist jedoch nicht der Fall. Zwar folgt aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ein Recht der Eltern, den von ihrem Kind einzuschlagenden Bildungsweg wählen zu können (vgl. BVerfGE 34, 165 [184]; 45, 400 [415 f.]; oben Rn. 53 f.). Auch wurde dieses – hier auf der Grundlage privatrechtlicher Leistungsbeziehungen mit dem privaten Schulträger ausgeübte – Recht der Beschwerdeführerin durch den staatlich angeordneten Wegfall von Präsenzunterricht beeinträchtigt. Die Anforderungen an die Rechtfertigung dieses Eingriffs sind indes jedenfalls nicht strenger als beim Eingriff in das der Persönlichkeitsentwicklung der Schüler dienende Recht auf schulische Bildung nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 GG, so dass die Maßnahme auch mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG vereinbar gewesen ist.
III.
Das Verbot von Präsenzunterricht nach § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG verstieß auch nicht gegen das von den beschwerdeführenden Eltern im Verfahren 1 BvR 971/21 geltend gemachte Familiengrundrecht gemäß Art. 6 Abs. 1 GG.


BVerfGE 159, 355 (441):

1. Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet das Recht der Eltern, ihr familiäres Leben nach ihren Vorstellungen zu planen und zu verwirklichen und in ihrer Erziehungsverantwortung zu entscheiden, ob und in welchem Entwicklungsstadium das Kind überwiegend von einem Elternteil allein, von beiden Eltern in wechselseitiger Ergänzung oder von einem Dritten betreut werden soll (vgl. BVerfGE 99, 216 [231]; 130, 240 [251]). Der Staat ist verpflichtet, die Familiengemeinschaft in ihrer eigenständigen und selbstverantwortlichen Ausgestaltung zu respektieren (vgl. BVerfGE 61, 319 [346 f.]; 99, 216 [231]; 107, 27 [53]).
Darüber hinaus umfasst der Gewährleistungsgehalt des Art. 6 Abs. 1 GG eine über die allgemeine grundrechtliche Schutzpflicht hinausgehende Förder- und Schutzpflicht des Staates für die Familie. Dem Staat kommt danach die Aufgabe zu, die Pflege- und Erziehungstätigkeit der Eltern durch geeignete wirtschaftliche Maßnahmen zu unterstützen und zu fördern (vgl. BVerfGE 130, 240 [252]). Er ist auch verpflichtet, Grundlagen dafür zu schaffen, dass Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit aufeinander abgestimmt werden können und die Wahrnehmung der familiären Erziehungsaufgabe nicht zu beruflichen Nachteilen führt (vgl. BVerfGE 88, 203 [260]; 97, 332 [348]; 121, 241 [264]). Damit erfüllt der Staat zugleich das aus Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG folgende Gebot, die Gleichstellung der Frauen im Arbeitsleben zu unterstützen (vgl. BVerfGE 97, 332 [347 f.]). Zwar lassen sich aus dem Förder- und Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG keine konkreten Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen ableiten (vgl. BVerfGE 130, 240 [252] m.w.N. zu finanziellen Leistungen). Dem Gesetzgeber, der im Interesse des Gemeinwohls neben der Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange zu berücksichtigen hat, kommt bei der Erfüllung des Förder- und Schutzgebots Gestaltungsfreiheit zu. Das Gebot ist jedoch verletzt, wenn die staatliche Familienförderung offensichtlich unangemessen ist (vgl. BVerfGE 82, 60 [81 f.]; 87, 1 [35 f.]).
2. Ausgehend davon konnten sich die Eltern schulpflichtiger Kinder nicht abwehrrechtlich unter Berufung auf Art. 6 Abs. 1 GG gegen das Verbot von Präsenzunterricht wenden. Es fehlt in

BVerfGE 159, 355 (442):

soweit bereits an einem Eingriff in den Schutzbereich des Familiengrundrechts.
a) Das gilt einmal, soweit das Verbot von Präsenzunterricht unmittelbar dazu geführt hat, dass die Betreuung insoweit bedürftiger Schüler während der Unterrichtszeit entfällt. Diese Betreuungsleistungen des Staates unterfallen nicht dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG. Sie beruhen nicht auf einer freien Entscheidung der Eltern, ihr Kind durch Dritte betreuen zu lassen. Vielmehr besteht wegen der Schulbesuchspflicht eine Pflicht zur Teilnahme der Kinder am Präsenzunterricht. Daher können die Eltern weder darüber bestimmen, ob sie die damit verbundene Betreuung in Anspruch nehmen wollen, noch über Zeit und Umfang derselben.
Ob sich die Eltern gegen den Wegfall frei gewählter Betreuungsleistungen wenden konnten, die wie etwa die offene Ganztagesschule oder die Horteinrichtungen außerhalb des Pflichtunterrichts an Schulen angeboten werden, bedarf hier keiner Entscheidung. Auf diese Einrichtungen zur Betreuung von Kindern bezogene Verbote unterfielen nicht der Vorschrift des § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG, sondern § 28b Abs. 3 Satz 10 in Verbindung mit § 33 Nr. 1 und 2 IfSG, der insoweit nicht angegriffen ist.
b) Ein Abwehrrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG stand den Eltern auch nicht mit Rücksicht auf die zusätzlichen Betreuungsleistungen zu, die in den Familien erbracht werden mussten, oder wegen der weiteren durch den Wegfall von Präsenzunterricht verursachten Belastungen des Familienlebens und der beruflichen Tätigkeit. Zwar wogen diese Belastungen schwer (dazu Rn. 212 ff.). Auch ist insoweit der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG berührt. Denn die Belastungen infolge des Wegfalls von Präsenzunterricht betrafen das eigenverantwortlich gestaltete Familien- und Berufsleben der Eltern. Sie sind jedoch nicht das Ergebnis eines mittelbar-faktischen Eingriffs in das Familiengrundrecht durch das in § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG angeordnete Verbot von Präsenzunterricht.
Ein mittelbar-faktischer Eingriff in Grundrechte liegt vor, wenn eine Regelung in ihrer Zielsetzung und ihren mittelbar-faktischen

BVerfGE 159, 355 (443):

Wirkungen einem Eingriff als funktionales Äquivalent gleichkommt, die mittelbaren Folgen also kein bloßer Reflex einer nicht entsprechend ausgerichteten Regelung sind (vgl. BVerfGE 148, 40 [51 Rn. 28] m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Das allein der Eindämmung von Infektionen dienende Verbot von Präsenzunterricht war nicht darauf ausgerichtet, das Familienleben der Eltern schulpflichtiger Kinder oder deren Möglichkeiten zu beruflicher Tätigkeit zu ändern. Bei den entsprechenden nachteiligen Auswirkungen der Maßnahme handelte es sich vielmehr um eine ungewollte Nebenfolge. Die Maßnahme wirkte sich auch nicht faktisch in vergleichbarer Weise wie ein unmittelbarer staatlicher Eingriff in das eigenverantwortlich gestaltete Familienleben der Eltern schulpflichtiger Kinder aus. Das setzte voraus, dass bestimmbar wäre, wie sich die familiären Verhältnisse durch den Wegfall von Präsenzunterricht ändern. Das ist nicht der Fall. Ebenso wie die Eltern schulpflichtiger Kinder ihr Familienleben und ihre berufliche Tätigkeit jeweils eigenverantwortlich auf den im Rahmen der Schulpflicht stattfindenden Präsenzschulbetrieb ausrichten, entschieden sie auch eigenverantwortlich und daher auf unterschiedliche Weise darüber, wie sie ihr Familienleben und ihre berufliche Tätigkeit an dessen Wegfall anpassen wollten.
3. Die beschwerdeführenden Eltern können auch keine Verletzung des staatlichen Förder- und Schutzgebots aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG geltend machen. Zwar wiegen die Belastungen der Eltern schulpflichtiger Kinder durch das Verbot von Präsenzunterricht schwer (a). Den Staat trifft wegen dieser Maßnahme auch eine Verantwortlichkeit für eine deren Folgen ausgleichende Familienförderung (b). Dem wurde jedoch durch verschiedene Fördermaßnahmen hinreichend Rechnung getragen (c).
a) Hinsichtlich der allgemeinen Folgen des Wegfalls von Präsenzunterricht für die Eltern schulpflichtiger Kinder weisen die sachkundigen Dritten darauf hin, dass diese zahlreiche zusätzliche Aufgaben im Bereich der Bildung und Erziehung ihrer Kinder hätten übernehmen müssen, die üblicherweise von der Schule ge

BVerfGE 159, 355 (444):

tragen werden. Die elterliche Belastung aufgrund der häuslichen Unterstützung ihrer Kinder bildete sich in vermehrtem Streit mit diesen ab, von dem in verschiedenen Studien mehr als ein Drittel der Eltern berichteten. Schulische Fragen sind ohnehin ein konfliktträchtiges Thema in Familien (DGfE, ifo Institut und KSB). Die Angaben von Eltern über den erhöhten zeitlichen Aufwand bei der Unterstützung der Kinder beim Lernen schwankten nach Studienergebnissen zwischen einer halben Stunde und drei Stunden am Tag (DGfE). Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung gibt den zeitlichen Umfang des Mehraufwandes im Bereich der Haus- und Familienarbeit für Mütter von Kindern unter 16 Jahren zum Zeitpunkt des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 mit 1,3 Stunden pro Tag gegenüber der Zeit vor der Pandemie an. Bei Vätern sei dieser Wert sogar um 2,3 Stunden pro Tag gestiegen (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Eltern während der Corona-Krise, 2020, S. 39). Zu diesen Belastungen sind pandemiebedingte Änderungen der Beschäftigungsverhältnisse hinzugekommen. Diese reichten von der Einrichtung von Arbeit im Homeoffice über Kurzarbeit bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes. Das Arbeiten im Homeoffice entfaltete zwar durch entfallene Arbeitswege und eine gewisse Flexibilisierung der Arbeitszeiten auch entlastende Wirkungen, die fehlende Fremdbetreuung der Kinder und die häufig gleichzeitig erforderliche Organisation der häuslichen Beschulung barg nach Mitteilung verschiedener sachkundiger Dritter aber auch erhebliche Konflikte zwischen der beruflichen Arbeit und dem familiären Zusammenleben (Bundesärztekammer, Bundeselternrat und DAKJ).
Besonders belastet waren die Eltern betreuungsbedürftiger Schüler. Aufgrund des Schulzwangs haben sie vor der Pandemie kein anderweitiges Fremdbetreuungssystem aufgebaut. Auch konnten sie wegen der häufig wechselnden Phasen zwischen Präsenzunterrichtsverbot, Wechselunterricht und stattfindendem Präsenzunterricht kein stabiles anderweitiges Betreuungssystem einrichten. Auf die Großeltern kann in Zeiten einer Pandemie wegen der Ansteckungsgefahr häufig nicht zurückgegriffen werden. Hinzu kam ein gesteigerter Betreuungsbedarf bei Grundschüle

BVerfGE 159, 355 (445):

rinnen und Grundschülern, der wiederum eine berufliche Tätigkeit im Homeoffice erheblich erschwerte (Bundeselternrat, DAKJ und DGfE).
Von sachkundiger Seite wird darauf hingewiesen, dass zwar der Zuwachs der Familienarbeitszeit in der Pandemie bei den Vätern größer gewesen sei als bei den Müttern, letztere aber wegen ihres deutlich höheren Anteils an der Haus- und Familienarbeit den maßgeblichen Teil der elterlichen Lernunterstützung erbracht hätten. Dementsprechend hätten bei Befragungen deutlich mehr Mütter als Väter angegeben, dass sie ihre Arbeitszeit hätten verringern müssen, um die Betreuung der Kinder sicherzustellen (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Belastungen von Kindern, Jugendlichen und Eltern in der Corona-Pandemie, 2021, S. 51 ff.).
Stark belastet waren nach sachkundigen Angaben die Alleinerziehenden. Bei dieser Gruppe lösten die Schulschließungen besonders große Betreuungslücken aus. Alleinerziehende mussten sich dann häufig allein um den Erwerb des Lebensunterhalts, die Kinderbetreuung, die häusliche Beschulung und den Haushalt kümmern (DAKJ sowie Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Belastungen von Kindern, Jugendlichen und Eltern in der Corona-Pandemie, 2021, S. 61). Besonders belastet waren nach Angaben der sachkundigen Dritten außerdem Eltern, denen es wegen eingeschränkter Kenntnisse der deutschen Sprache oder aufgrund eines geringen eigenen Bildungsniveaus schwerfiel, ihre Kinder beim Heimunterricht zu unterstützen (DGfE und KSB). Ein weiterer besonderer Belastungsfaktor waren beengte Wohnverhältnisse, weil dann die unterschiedlichen Bedürfnisse der Familienmitglieder zwischen häuslichem Arbeiten, häuslicher Beschulung und Freizeitgestaltung nur schwer organisiert werden konnten (KSB, RKI, Epidemiologisches Bulletin 33/2021, S. 25; Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Belastungen von Kindern, Jugendlichen und Eltern in der Corona-Pandemie, 2021, S. 68 f.).
b) Den Staat trifft aus den Förder- und Schutzgeboten des Art. 6 Abs. 1 GG sowie des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG die Pflicht, die nach

BVerfGE 159, 355 (446):

teiligen Folgen der pandemiebedingten Schulschließungen für die Familien und die Teilhabe der Eltern am Arbeitsleben durch Maßnahmen zur Familienförderung auszugleichen. Das umfasst zwar keine konkreten Ansprüche einzelner betroffener Eltern schulpflichtiger Kinder auf bestimmte staatliche Leistungen. Es wäre jedoch offensichtlich nicht mehr angemessen, wenn keine Fördermaßnahmen ergriffen würden, um die Belastungen für das Familienleben und für die Berufstätigkeit von Eltern aufgrund der seit Beginn der Pandemie erfolgten Schulschließungen abzumildern. Maßgebend hierfür sind einmal die Intensität dieser Belastungen sowie der Umstand, dass hierfür nicht gesellschaftliche Verhältnisse, sondern staatliche Maßnahmen verantwortlich waren. Eine Verantwortlichkeit des Staates, den Eltern schulpflichtiger Kinder bei der Bewältigung der Folgen des Wegfalls von Präsenzunterricht zu helfen, folgt aber vor allem aus dem rechtsstaatlichen Gebot des Vertrauensschutzes. Denn es war den Eltern nicht möglich, rechtzeitig Vorsorge für den Fall zu treffen, dass die Schulen bisher von ihnen wahrgenommene Aufgaben nicht mehr erfüllen könnten. Die Schulbesuchspflicht ließ den Aufbau paralleler eigener Strukturen zur Betreuung der Kinder grundsätzlich nicht sinnvoll erscheinen. Zugleich bot sie besondere Gewähr für den Fortbestand der schulischen Betreuung und Aufgabenerfüllung, so dass die pandemiebedingten Schulschließungen für die Eltern nicht vorhersehbar waren.
c) Die durch das Verbot von Präsenzunterricht bedingten Beeinträchtigungen des Familienlebens und der Möglichkeiten zur beruflichen Tätigkeit von Eltern schulpflichtiger Kinder wurden jedoch insgesamt so weit abgemildert, dass nicht von einer offensichtlich unangemessenen Förderpolitik gesprochen werden kann (vgl. BVerfGE 82, 60 [81 f.]; 87, 1 [35 f.]).
aa) Zu nennen ist hier zunächst die den Ländern nach § 28b Abs. 3 Satz 6 IfSG ermöglichte Einrichtung einer Notbetreuung. Deren Zweck war vor allem, die der Schule zukommende Betreuungsfunktion insbesondere für diejenigen Eltern zu ersetzen, die berufsbedingt nicht in ihrer Wohnung arbeiten konnten (vgl. BTDrucks 19/28444, S. 15). Damit konnten durch die Notbetreuung

BVerfGE 159, 355 (447):

die Folgen der Schulschließungen für Familien und berufstätige Eltern wenigstens teilweise abgemildert werden. Im Übrigen stand einer weitergehenden Befriedigung von Betreuungsbedürfnissen nichts entgegen, da die Länder die Notbetreuung nach von ihnen festgelegten Kriterien einrichten durften.
bb) Um Eltern, die wegen der Betreuung ihrer Kinder nicht arbeiten konnten, gegen Einkommenseinbußen abzusichern, wurde jedenfalls mit Art. 1 Nr. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze vom 28. Mai 2021 (BGBl I S. 1174) mit Wirkung zum 4. Mai 2021 § 56 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 IfSG dahin geändert, dass erwerbstätige Eltern auch dann eine staatliche Entschädigung erhalten konnten, wenn sie von Schulschließungen aufgrund der "Bundesnotbremse" betroffen waren. Anspruch auf Entschädigung haben nach § 56 Abs. 1a Nr. 2 IfSG erwerbstätige Personen, die einen Verdienstausfall dadurch erleiden, dass sie ihr Kind, das das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, wegen des Wegfalls von Präsenzunterricht selbst beaufsichtigen, betreuen oder pflegen, weil sie keine anderweitige zumutbare Betreuungsmöglichkeit sicherstellen können. Eltern haben danach Anspruch auf eine Entschädigung in Höhe von 67% des Nettoeinkommens (maximal 2.016 Euro/Monat) für zehn Wochen je Elternteil (bei Alleinerziehenden für 20 Wochen) pro Jahr (§ 56 Abs. 2 IfSG).
cc) Des Weiteren wurde der Anspruch gesetzlich Versicherter auf Krankengeld (Verdienstausfall wegen der Betreuung erkrankter Kinder) auf die Fälle erweitert, in denen unter anderem Schulen geschlossen werden oder die Präsenzpflicht in einer Schule aufgehoben wird (§ 45 Abs. 2a Satz 3 SGB V); für die Zeit des Bezugs von Krankengeld nach dieser Vorschrift ruht der Anspruch nach § 56 Abs. 1a IfSG für beide Elternteile (§ 45 Abs. 2b SGB V). Zugleich wurde die Zahl der Kinderkrankentage, für die Krankengeld beansprucht werden kann, für das Jahr 2021 erhöht, nämlich für jedes Kind auf 30 Arbeitstage und für die Kinder Alleinerziehender auf 60 Arbeitstage (§ 45 Abs. 2a Satz 1 SGB V).
Insgesamt hat der Staat damit auf angemessene Weise auf die Beeinträchtigungen des Familienlebens und der Möglichkeiten

BVerfGE 159, 355 (448):

zur beruflichen Tätigkeit von Eltern schulpflichtiger Kinder infolge des Wegfalls von Präsenzunterricht reagiert.
 
D.
Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen.
Harbarth Paulus Baer Britz Ott Christ Radtke Härtel