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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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53. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung |
vom 18. November 1992 |
i.S. Kinvar AG gegen Basler Heimatschutz, Freiwillige Basler Denkmalpflege, Regierungsrat und Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt |
(staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 4 und Art. 22ter BV, Art. 17 RPG; Denkmalschutz, Gebot von Treu und Glauben. |
1. Der Verzicht auf eine Schutzzonenzuweisung hat nicht zur Folge, dass eine Liegenschaft nicht mit einer Einzelverfügung (Eintrag in ein Denkmalverzeichnis) unter Denkmalschutz gestellt werden kann, da diese beiden Massnahmen grundsätzlich andere Zwecke verfolgen (E. 3). |
2. Gesetzliche Grundlage für die Unterschutzstellung eines Variété-Theaters, das heute als Kino mit Gastwirtschaftsbetrieb geführt wird (E. 4a); Kognition des Bundesgerichtes in Beachtung der dem kantonalen Verwaltungsgericht zustehenden freien Ermessensüberprüfung (E. 4b). |
3. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen für die Anordnung denkmalschützerischer Massnahmen (E. 5a); Gewichtung der öffentlichen Interessen, namentlich der architektonischen und städtebaulichen Aspekte (E. 5b-d); Verhältnismässigkeit des Eigentumseingriffes, Bedeutung der finanziellen Interessen des Eigentümers (E. 5e). | |
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A.- Die Kinvar AG ist Eigentümerin der Liegenschaft Steinenvorstadt 55 mit dem in den Jahren 1911/1912 im Auftrag des Unternehmers Karl Küchlin im Jugendstil erbauten Variété-Theater "Küchlin". Das Gebäude umfasst einen grossen Saal, welcher als Kino "Küchlin 1" mit 1056 Plätzen betrieben wird. Im Parterre befindet sich ein Restaurant, im ersten Stock ein "Night Club". Im Untergeschoss wurde im Jahre 1983 das Studio-Kino "Küchlin 2" gebaut.
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Zwischen Juli 1984 und September 1986 wurde im Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt über eine Revision des Zonenplanes für das Gebiet der inneren Stadt Basel diskutiert. Es stand auch die Festsetzung von Schutz- und Schonzonen gemäss dem Hochbautengesetz des Kantons Basel-Stadt vom 11. Mai 1939 (HBG) sowie dem Gesetz über den Denkmalschutz vom 20. März 1980 (DSchG) in Frage. Entsprechende Abklärungen wurden getroffen, ebenso für die Steinenvorstadt. Doch stand das Küchlin nie zur Diskussion. Im Oktober 1986 wurde die Zonenplanrevision verabschiedet. Die Liegenschaft Steinenvorstadt 55 wurde keiner Schutz- oder Schonzone zugewiesen, weshalb die Kinvar AG eine Gesamtplanstudie für eine bessere Nutzung der Liegenschaft in Auftrag gab. Diese Studie sah den Abbruch des Küchlin vor. Die Basler Denkmalpflege nahm daher im November 1988 ein Inventar über das Theater auf. Am 12. Juni 1989 stellte das Erziehungsdepartement dem Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt den Antrag, die Liegenschaft Steinenvorstadt 55 (Theater Küchlin) ins Denkmalverzeichnis einzutragen. Diesen Antrag lehnte der Regierungsrat am 22. August 1989 ab.
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Auf Beschwerde des Basler Heimatschutzes und der Freiwilligen Basler Denkmalpflege hin hob das Appellationsgericht (als Verwaltungsgericht) des Kantons Basel-Stadt am 28. Juni 1991 den ![]() ![]() | 3 |
Auszug aus den Erwägungen: | |
aus folgenden Erwägungen:
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Erwägung 3 | |
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b) Es trifft sodann nicht zu, dass das Küchlin vor dem Eintrag ins Denkmalverzeichnis zunächst hätte ins Inventar der Denkmäler gemäss § 14 der Verordnung über den Denkmalschutz vom 14. April 1982 (DSchV) aufgenommen werden müssen. Diesem Inventar kommt keine Rechtswirkung zu; es dient lediglich der Information (§ 14 Abs. 1 Satz 2 DSchV; CHRISTOPH WINZELER, Grundfragen des ![]() ![]() | 6 |
Erwägung 4 | |
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Mit dem Eintrag in das Denkmalverzeichnis wird der Beschwerdeführerin die bisherige Nutzung ihrer Liegenschaft als Kino, Theater, Restaurant und Night Club nicht verunmöglicht. Sie hat jedoch das Küchlin so zu unterhalten, dass sein Bestand dauernd gesichert bleibt. Dieser Eingriff ist namentlich deshalb als schwer zu bezeichnen, weil wesentliche Nutzungsänderungen, welche die Beschwerdeführerin zur Sicherstellung einer dauerhaften wirtschaftlichen Nutzung ihrer Liegenschaft als notwendig erachtet, im Falle des Denkmalschutzes grundsätzlich ausgeschlossen sind. Es ist daher frei zu prüfen, ob eine klare und eindeutige gesetzliche Grundlage vorliegt (BGE 116 Ia 45 E. 4c; 113 Ia 440 E. 2).
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§ 5 Abs. 1 des Denkmalschutzgesetzes bezeichnet als Denkmäler "Einzelwerke, Ensembles und deren Reste, die wegen ihres kulturellen, geschichtlichen, künstlerischen oder städtebaulichen Wertes erhaltenswürdig sind". Als solche kommen gemäss § 5 Abs. 2 DSchG unter anderem in Betracht: private Bauwerke wie Wohn- und Geschäftshäuser, Gaststätten, technische Anlagen (Ziffer 1), Fassaden (Ziffer 4), einzelne Objekte wie Beleuchtungseinrichtungen (Ziffer 5), Bauteile und Zubehör wie Treppenanlagen, Böden, Getäfer, Stukkaturen, Schilder und Verzierungen (Ziffer 6). Diese weite, mit nicht abschliessenden Beispielen präzisierte Begriffsumschreibung ![]() ![]() | 9 |
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In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass das Verwaltungsgericht in Fragen des Denkmalschutzes über eine volle Kognition verfügt, welche die Überprüfung der Angemessenheit einer Verfügung einschliesst (§ 28 DSchG). Auch wenn es zu Recht nicht sein Ermessen an die Stelle desjenigen des Regierungsrates gesetzt hat, ist der ihm zugewiesenen vollen Kognition bei der Beurteilung des "kulturellen, geschichtlichen, künstlerischen oder städtebaulichen Wertes" einer Baute (§ 5 Abs. § DSchG) Rechnung zu tragen. Das Gericht hat entgegen der Kritik des Justizdepartementes nicht "ausserhalb seines Ermessens" entschieden. Es ist vielmehr in Ausübung des ihm eingeräumten Beurteilungsspielraumes zu der vom Regierungsrat abweichenden Beurteilung der Schutzwürdigkeit gelangt. Ob das Gericht seine Folgerung ohne Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Beschwerdeführerin ziehen durfte, ist nachfolgend in Respektierung der dem Bundesgericht als Verfassungsgericht obliegenden Zurückhaltung zu prüfen.
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Erwägung 5 | |
5.- a) Eigentumsbeschränkungen zum Schutz von Baudenkmälern liegen ganz allgemein im öffentlichen Interesse (BGE 116 Ia 49; 115 Ia 373 E. 3a; 109 Ia 259 E. 5a). Damit ist allerdings die Frage ![]() ![]() | 12 |
Das Recht des Kantons Basel-Stadt trägt diesem Verständnis Rechnung, indem Einzelwerke nicht nur aufgrund ihres künstlerischen oder städtebaulichen, sondern namentlich auch wegen ihres kulturellen und geschichtlichen Wertes als erhaltenswürdig betrachtet werden können (§ 5 Abs. 1 DSchG; nicht publiziertes Urteil des Bundesgerichtes vom 17. August 1988 i.S. Sp. Bau AG gegen Grosser Rat des Kantons Basel-Stadt, E. 4d). In diesem Sinne hat das Bundesgericht die Unterschutzstellung des im Jugendstil gehaltenen Inneren des Zürcher Cafés Odeon unter anderem deshalb geschützt, weil es Begegnungsort berühmter Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft, Literatur, Musik und Kunst war (BGE 109 Ia 261 E. 5b). Doch ist, was das Verwaltungsgericht nicht verkannt hat, zu beachten, dass Denkmalschutzmassnahmen mit den oftmals schwerwiegenden Eigentumseingriffen nicht lediglich im Interesse eines begrenzten Kreises von Fachleuten erlassen werden dürfen. Sie müssen breiter, auf objektive und grundsätzliche Kriterien abgestützt sein und von einem grösseren Teil der Bevölkerung bejaht werden, um Anspruch auf eine gewisse Allgemeingültigkeit erheben zu können (BGE 89 I 474 E. 4b; Urteil des Bundesgerichtes vom 2. Juli 1986, ![]() ![]() | 13 |
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Hinsichtlich der Innengestaltung misst Mörsch der architektonischen Leistung eine grosse Bedeutung namentlich wegen der Art und Weise zu, wie das klassische Rangtheater aufgegriffen und der anspruchsvolle Jugendstildekor dem Spielzweck des Gebäudes angepasst wird. Sodann unterstreicht er die Kohärenz zwischen Innen und Aussen, Betrieb und Typ, Nutzung und Dekor, welcher für das Küchlin besonders dicht und entsprechend auch stets betont worden sei. Die Verzierungen des ersten und zweiten Ranges mit den Akanthusblättern und der darin integrierten Beleuchtung mit kleinen Birnen hat er anlässlich des Augenscheines als "sehr schön" bezeichnet, was die Verfahrensbeteiligten nicht in Abrede stellten. Bezüglich des grossen Kinosaales zeigte der Vertreter der Basler Denkmalpflege anlässlich des Augenscheines auf, dass der ganze Raum und die Decke auch heute noch sehr gut auf den Betrachter wirke, auch wenn der ehemalige Deckenleuchter verschwunden sei. Namentlich lenkte er den Blick auf die gut wirkende Spannung zwischen den Verzierungen an den Rängen und den modernen Konstruktion mit feinen Betonsäulen und -sockeln mit dem Unterzug an den Rängen hin. Diese Beurteilung blieb am Augenschein unbestritten.
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Das Verwaltungsgericht hielt die Schlussfolgerungen der beiden Gutachter sowie der Basler Denkmalpflege gemäss Inventar vom November 1988, wonach das Küchlin in architektonischer Hinsicht ![]() ![]() | 16 |
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Selbst wenn man davon ausgeht, dass das Küchlin zufolge der erwähnten Umbauten im Innern an architektonischem Wert eingebüsst hat, ist daraus nicht zu folgern, eine Unterschutzstellung komme nicht in Betracht. Einerseits ist daran zu erinnern, dass es der heutigen Denkmalpflege nicht nur ausschliesslich um die Erhaltung des besonders Schönen und Wertvollen geht. Anderseits hat das Verwaltungsgericht zu Recht auf die Symbolwirkung der Baute als markanter und prägender Bau in der Steinenvorstadt sowie dessen wichtige Rolle als Institution für Vergnügen und Unterhaltung und damit für die Lebensfreude im allgemeinen hingewiesen. Dies deckt sich mit den im Inventar der Basler Denkmalpflege wie auch im Gutachten Rebsamen getroffenen Feststellungen, wonach das Küchlin eine städtebauliche Entwicklung in Gang gesetzt habe, die aus der ehemals stillen Steinenvorstadt den Vergnügungsboulevard Basels werden liess.
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Unter dem Gesichtspunkt der städtebaulichen und kulturhistorischen Bedeutung des Küchlin ist die Unterschutzstellung auch ![]() ![]() | 19 |
d) Dass die Unterschutzstellung des Küchlin nur im Interesse eines engen Kreises fachspezifisch Interessierter stehe, kann nicht gesagt werden, auch wenn für diese Schlussfolgerung nicht ohne weiteres auf die von 15000 Personen unterzeichnete Petition abgestellt werden kann. Immerhin liegt darin ein nicht unbeachtliches Indiz für die herrschende breitere Zustimmung für den Schutz des Küchlin, die von den offiziellen Denkmalpflegebehörden, den privaten Heimatschutzorganisationen und den Experten übereinstimmend geteilt wird. Dass namentlich das Basler Baudepartement und das Finanzdepartement sich grundsätzlich nicht für eine Unterschutzstellung aussprechen, ändert daran nichts. Die ablehnende Haltung des Baudepartementes, welche vom Kantonsbaumeister am Augenschein bestätigt wurde, beruht auf den bei einer Unterschutzstellung aller Voraussicht nach aufzubringenden hohen Renovationskosten und der Schwierigkeit, das Küchlin in das Theaterkonzept einzubauen. Das Finanzdepartement befürchtet die finanziellen Folgen einer ![]() ![]() | 20 |
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Der Eintrag ins Denkmalverzeichnis ist nicht unverhältnismässig. Zwar lehnt die Beschwerdeführerin eine allfällige Unterschutzstellung nur der zur Steinenvorstadt gerichteten Hauptfassade nicht ab, auch wenn sie dies in ihrer Stellungnahme vor dem Verwaltungsgericht vom 18. März 1991 als unerwünscht bezeichnete. Dem Gutachten Mörsch ist eingehend und überzeugend zu entnehmen, dass der Schutz einzelner Bauteile nicht mehr der heutigen Auffassung über den Denkmalschutz entspricht und dem Interesse an der Erhaltung wertvoller Bauten, die - wie das Küchlin - vom Zusammenwirken ![]() ![]() | 22 |
Es ist unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismässigkeitsprinzips sodann nicht unwesentlich, dass es der Eintrag des gesamten Bauwerkes in das Denkmalverzeichnis grundsätzlich nicht ausschliesst, am Objekt Veränderungen vorzunehmen (§ 18 DSchG, § 13 DSchV, § 44 der Verordnung zum Einführungsgesetz zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch vom 9. Dezember 1991). Wie die Vertreter der kantonalen Behörden anlässlich der Instruktionsverhandlung ausführten, ist es, auch wenn das Küchlin integral unter Schutz steht, unter gewissen Voraussetzungen und ihm Rahmen des Schutzzweckes und -umfanges (§ 17 DSchG) denkbar, dass im Interesse der Eigentümerin massvolle bauliche Veränderungen vorgenommen werden dürfen, damit die auf der Liegenschaft betriebene Nutzung weiterhin gewährleistet ist. Insoweit kann auch den erwähnten finanziellen Interessen der Beschwerdeführerin in einem gewissen Rahmen Rechnung getragen werden. Schliesslich ergibt sich auch aus den §§ 21 und 22 des Denkmalschutzgesetzes, dass von Unverhältnismässigkeit des Eingriffes unter den gegebenen Umständen zur Zeit nicht die Rede sein kann. § 21 DSchG gibt dem Eigentümer das Recht, die Streichung des Denkmals im Denkmalverzeichnis zu beantragen, sofern seiner Auffassung nach die Gründe, die zur Eintragung führten, nicht mehr zutreffen. Unter der gleichen Voraussetzung sowie dann, wenn überwiegende Gründe des öffentlichen Interesses dies verlangen, kann auch der Regierungsrat die Streichung anordnen. ![]() | 23 |
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