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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
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64. Urteil vom 17. November 1972 i.S. Karl Vögele AG gegen Stadtrat von Zug und Regierungsrat des Kantons Zug. | |
Regeste |
Kantonale Ladenschlussvorschriften. Handels- und Gewerbefreiheit; derogatorische Kraft des Bundesrechtes. |
2. Rechtsetzungskompetenzen der Kantone auf dem Gebiete des Ladenschlusses seit dem Inkrafttreten des eidg. Arbeitsgesetzes vom 13. März 1964 (Bestätigung der neuesten Rechtsprechung) (E. 3). |
3. Die Ladenschlussordnung der Stadt Zug, welche den Schuhgeschäften die Schliessung während eines vollen Werktages vorschreibt, verstösst gegen Art. 31 BV (E. 5). | |
Sachverhalt | |
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"In einer Ortschaft können zwei Drittel der Geschäftsinhaber aller oder einzelner Geschäftszweige eine bestimmte Regelung des Ladenschlusses vorschlagen oder einer solchen zustimmen.
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Der zuständige Einwohnerrat hat diese Ordnung zu genehmigen und verbindlich zu erklären, sofern keine öffentlichen Interessen entgegenstehen."
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B.- Gestützt auf diese Vorschrift beschloss der Stadtrat von Zug am 26. Oktober 1971, dass alle Schuhgeschäfte in der Stadtgemeinde Zug jeweils am Montag grundsätzlich den ![]() | 4 |
C.- Die Firma Karl Vögele AG Uznach, die verschiedene Schuhgeschäfte betreibt und am 10. März 1971 in Zug eine Filiale eröffnet hatte, führte gegen den Beschluss des Stadtrates Beschwerde beim Regierungsrat des Kantons Zug. Sie machte geltend, beim angefochtenen Beschluss handle es sich um einen Rechtssatz, der als solcher ordnungsgemäss zu publizieren sei, um Rechtskraft zu erlangen; vorliegend fehle es an einer rechtsgenüglichen Veröffentlichung. Materiell verstosse die angeordnete Ladenschliessung an Montagen gegen Art. 31 BV.
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Der Regierungsrat wies die Beschwerde mit Entscheid vom 18. Januar 1972 ab. Er führt aus, der Stadtrat habe durch den angefochtenen Beschluss keinen Rechtssatz erlassen, sondern eine Gesetzesbestimmung vollzogen; die Ladenschlussordnung richte sich nicht an unbestimmt viele Personen, sondern bloss an den geschlossenen Kreis aller Geschäftsinhaber der Schuhbranche. Der Einwand der mangelnden amtlichen Publikation sei daher nicht stichhaltig. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 91 I 98 ff.) sei es vor Art. 31 BV zulässig, während einer bestimmten Zeitspanne an Werktagen die Schliessung der Ladengeschäfte vorzuschreiben, um den Ladeninhabern und dem Personal die nötige Freizeit zu verschaffen. Der Beschluss des Stadtrates verstosse auch nicht gegen das Gebot der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes könnten Warenhäuser nicht verhalten werden, ihren Betrieb abteilungsweise zu schliessen, da ein Warenhaus als ein Ganzes betrachtet werden müsse. Die Schuhabteilungen der Migros und der Nordmann AG seien im Rahmen dieser Betriebe nur unbedeutende Nebenabteilungen, die bei der Festlegung der Ladenschlussordnung ausser Betracht fielen.
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E.- Der Regierungsrat des Kantons Zug und der Stadtrat Zug beantragen Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Die vom Stadtrat Zug am 26. Oktober 1971 beschlossene Ladenschlussordnung für die Schuhgeschäfte erfüllt die Merkmale eines Rechtssatzes. Wenn auch gemäss § 7 EG eine solche Ordnung nur erlassen werden darf, wenn zwei Drittel der betroffenen Geschäftsinhaber ihr zustimmen, so handelt es sich doch um eine von der Gemeindebehörde ausgehende Regelung. Sie gilt sodann nicht nur für die derzeitigen Geschäfte, sondern auch für allfällige neue Schuhgeschäfte, die in Zug eröffnet werden, und sie enthält eine Verhaltensvorschrift nicht bloss für die jetzigen und künftigen Betriebsinhaber, sondern darüber hinaus für alle weiteren Personen, denen zu irgendeinem Zeitpunkt die Geschäftsleitung obliegt. Die getroffene Anordnung erweist sich damit klarerweise als generellabstrakte, d.h. als rechtssatzmässige Norm. Das Bundesgericht hat denn auch seit jeher Ladenschlussordnungen Gesetzes- oder Verordnungscharakter zuerkannt, gleichgültig, ob sie auf Antrag von interessierten Geschäftsinhabern ergangen waren oder nicht (BGE 97 I 513 E. 3, BGE 89 I 30; nicht publ. Entscheid vom 17.12.1952 i.S. Jenny & Kons. gegen Stadt Chur, E. 1; IMBODEN, Verwaltungsrechtsprechung, 4. A., Bd. I, Nr. 212, IV). Die gegenteilige Auffassung der kantonalen Behörden, wonach es sich bei der fraglichen Ladenschlussordnung um eine blosse Verfügung handle, die nur den derzeit betroffenen Geschäftsinhabern zu eröffnen und von diesen selber dem weiteren Publikum bekanntzugeben sei, ist nicht haltbar. Der Stadtrat Zug war vielmehr verpflichtet, die Ladenschlussordnung von Amtes wegen in der Form zu publizieren, welche in der Stadtgemeinde Zug für Gemeindegesetze und allgemeinverbindliche Reglemente vorgesehen ist. Die von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage, ob die neue Ordnung mangels genügender Publikation unverbindlich war, kann indessen dahingestellt bleiben. Da der staatsrechtlichen Beschwerde aufschiebende Wirkung erteilt wurde und die angefochtene ![]() | 10 |
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3. Die kantonalen und kommunalen Ladenschlussvorschriften verfolgen herkömmlicherweise einen doppelten Zweck. Sie dienen zunächst der öffentlichen Ordnung, nämlich der Wahrung der Nacht- und Sonntagsruhe, und sind insoweit rein polizeilicher Natur. Darüber hinaus aber soll durch die Beschränkung der Öffnungszeit mittelbar auch die Arbeitszeit der im Verkaufsbetrieb tätigen Personen, insbesondere des angestellten Personals, beeinflusst werden. Das Bundesgericht hat in langjähriger Rechtsprechung derartige Regelungen als mit Art. 31 BV grundsätzlich vereinbar bezeichnet (BGE 97 I 502 E. 3 mit Hinweisen auf frühere Entscheide). Mit dem Inkrafttreten des eidgenössischen Arbeitsgesetzes vom 13. März 1964 (ArG) hat sich indessen die Rechtslage geändert. Durch dieses Bundesgesetz wurde der Arbeitnehmerschutz in bestimmten Bereichen einheitlich und abschliessend geordnet. Die Kantone sind nicht mehr befugt, Vorschriften zum Schutze solcher Arbeitnehmer zu erlassen, welche dem ArG unterstellt sind, und in Art. 73 Abs. 1 lit. a ArG werden denn auch kantonale Vorschriften, welche vom ArG geregelte Sachgebiete betreffen, ausdrücklich als aufgehoben erklärt (BGE 97 I 503 /4; AUBERT, Komm. zu Art. 71-73 ArG, N. 19 ff). Zu den durch das ArG geschützten Arbeitnehmern gehört grundsätzlich auch das Personal der Verkaufsgeschäfte. Es hat, sofern mehr als fünf Tage in der Woche gearbeitet wird, Anspruch auf einen freien ![]() | 12 |
4. Zur Begründung des angefochtenen Beschlusses des Stadtrates wurde lediglich angeführt, dass der neuen Ladenschlussordnung keine öffentlichen Interessen entgegenstünden. Auch in der dem Bundesgericht eingereichten Vernehmlassung vertritt der Stadtrat die Auffassung, er habe nicht zu begründen, welches öffentliche Interesse für die streitige Beschränkung spreche, sondern es genüge, festzustellen, dass kein entgegenstehendes öffentliches Interesse vorliege. Diese Auffassung entspricht zwar dem Wortlaut von § 7 EG, doch lässt sie sich verfassungsrechtlich nicht halten. Wie jeder Eingriff in die Freiheit des Einzelnen muss auch ein Eingriff in die Handels-und Gewerbefreiheit - und um einen solchen handelt es sich hier - ![]() | 13 |
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a) Selbst wenn man annimmt, der obligatorische Ladenschluss während eines vollen Werktages bezwecke nicht den Schutz des Personals, sondern diene lediglich dazu, die Freizeit der dem ArG nicht unterstellten Personen sicherzustellen, so stellt sich doch die Frage, ob dadurch nicht in unzulässiger Weise in ein durch das ArG geregeltes Sachgebiet eingegriffen wird. Gemäss Art. 9 Abs. 1 lit. b ArG beträgt die wöchentliche Höchstarbeitszeit für das in Kleinbetrieben des Detailhandels angestellte Personal 50 Stunden. Zwingt man den Arbeitgeber, sein Geschäft ausser am Sonntag auch während eines ganzen Werktages zu schliessen, also einen Fünftagebetrieb einzuführen, so besitzt er praktisch wohl kaum mehr die Möglichkeit, sein Personal während der gemäss ArG zulässigen 50 Stunden je Woche einzusetzen. Zwar ist zu beachten, dass Öffnungszeit und Betriebszeit nicht notwendigerweise identisch sind. Das Personal kann auch ausserhalb der Ladenöffnungszeiten zu internen Tätigkeiten herangezogen werden (Aufräumungsarbeiten, Auffüllen von Regalen usw.). In der Regel werden aber solche Arbeiten täglich vor und nach der Öffnungszeit oder ![]() | 15 |
b) Um vor Art. 31 BV Bestand zu haben, muss eine Ladenschlussordnung u.a. auf einem hinreichenden öffentlichen Interesse beruhen, wobei der Gedanke des Personalschutzes als Motiv nicht mehr herangezogen werden kann. Ein zulässiger öffentlicher Zweck ist jedoch, wie dargelegt, der Schutz der dem ArG nicht unterstellten Personen (Ladeninhaber, mitarbeitende Familienangehörige, leitende Angestellte); um ihnen die nötige Freizeit sicherzustellen, können die Kantone einen halbtägigen Ladenschluss je Woche vorschreiben. Ein obligatorischer Ladenschluss während eines ganzen Werktages hielte vor Art. 31 BV nur stand, wenn man annähme, dass für die dem ArG nicht unterstellten Personen eine längere Freizeit notwendig ist, als sie das ArG für das Personal vorsieht. Zwar ist der kantonale oder kommunale Gesetzgeber in der Frage, welches die aus sozialen Gründen sicherzustellende minimale Freizeit sei, an die Auffassung des Bundesgesetzgebers nicht unbedingt gebunden. Vorliegend kann er sich aber über sie nicht hinwegsetzen, da ein obligatorischer Ladenschluss während eines vollen Werktages, der sich einzig mit dem Schutz der dem ArG nicht unterstellten Personen begründen liesse, im Hinblick auf die im ArG für das Personal getroffene Regelung dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit widerspräche.
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Gegen die Zulässigkeit eines ganztägigen Ladenschlusses sprechen im konkreten Fall noch weitere Gründe. Nach unwidersprochener Darstellung der Beschwerdeführerin haben die meisten Detailgeschäfte der Stadt Zug nur während eines halben Werktages zu schliessen. Es ist, wie in der staatsrechtlichen ![]() | 17 |
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Es trifft zu, dass der mit der Ladenschlussordnung verfolgte öffentliche Zweck an sich auch erreicht wäre, wenn es dem einzelnen Ladenbesitzer überlassen bliebe, an welchem Halbtag der Woche er sein Geschäft schliessen will. Diese Wahlmöglichkeit darfnur soweit beschränkt werden, als es aus anderweitigen Gründen des öffentlichen Interesses notwendig erscheint. Eine gewisse Einschränkung drängt sich wohl schon deshalb auf, um überhaupt eine staatliche Kontrolle zu ermöglichen bzw. um ![]() | 19 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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