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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
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26. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 26. März 1980 i.S. G. gegen Regierungsrat des Kantons Appenzell-A.Rh. (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
I. Abstrakte Normenkontrolle: massgebliche Gesichtspunkte bei der Prüfung der Verfassungsmässigkeit eines kantonalen Erlasses (Präzisierung der Rechtsprechung). |
2. Ein Gefängnisreglement für Untersuchungshaft muss durch eine ausreichende Regelungsdichte und eine klare Fassung selber eine erhöhte Gewähr für die Vermeidung verfassungswidriger Anordnungen bieten (E. 3b). |
II. Persönliche Freiheit. |
Für einen Untersuchungshäftling, der länger als einen Monat inhaftiert ist, ergibt sich aus dem Grundrecht der Persönlichen Freiheit ein erweiterter Anspruch auf Besuche der nächsten Familienangehörigen (E. 7a). | |
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3. a) Bei der Prüfung der Verfassungsmässigkeit eines Erlasses im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle ist massgebend, ob der betreffenden Norm nach anerkannten Auslegungsregeln ein Sinn zugemessen werden kann, der sie mit den angerufenen Verfassungsgarantien vereinbar erscheinen lässt. Das Bundesgericht hebt grundsätzlich die angefochtene kantonale Vorschrift nur auf, wenn sie sich jeder verfassungskonformen Auslegung entzieht, nicht jedoch, wenn sie einer solchen in vertretbarer Weise zugänglich ist (BGE 104 Ia 99 E. 9, 249 lit. c, je mit Hinweisen). Ermöglicht ein generell-abstrakter Erlass für die Verhältnisse, die der Gesetzgeber als üblich voraussetzen konnte, eine verfassungsmässige Regelung der einzelnen Fälle, spricht die Vermutung für die Verfassungstreue des Gesetzgebers. Die ungewisse Möglichkeit, dass der Erlass sich in besonders gelagerten Einzelfällen als verfassungswidrig auswirken könnte, vermag ein Eingreifen des Verfassungsrichters im Stadium der abstrakten Normenkontrolle im allgemeinen noch nicht zu rechtfertigen, vor allem dann nicht, wenn im fraglichen Sachbereich die Möglichkeit der späteren konkreten Normenkontrolle den Betroffenen ![]() | 1 |
b) Im vorliegenden Zusammenhang ist nach den gemachten Ausführungen von Bedeutung, dass ein Gefängnisreglement, wie der Regierungsrat in der Vernehmlassung selber angibt, die Rechtsstellung des Häftlings namentlich gegenüber den Gefängnisbehörden klarzustellen hat. Für die entsprechenden Amtsstellen soll damit eine Regelung geschaffen werden, die ihnen vor allem in praktischen Fragen des täglichen Gefängnislebens eine angemessene Lösung aufzeigt und sie zu einem modernen Grundsätzen genügenden Haftvollzug anweist. Das Reglement wendet sich in erster Linie an Beamte der Kantonspolizei (§ 2 Regl), d.h. an juristisch nicht besonders ausgebildetes Personal. Diese Beamten sind darauf angewiesen, dass sie sich für die üblichen Fälle rasch und zuverlässig am Wortlaut der einzelnen Bestimmungen Orientieren können, ohne interpretatorische Überlegungen anstellen zu müssen.
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Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Untersuchungsgefangene in einem wichtigen Grundrecht beschränkt wird, wobei allerdings das Ausmass dieser Beschränkung anhand der ![]() | 3 |
In diesem Sinne ist zu prüfen, ob die einzelnen Bestimmungen des angefochtenen Erlasses vor der Verfassung standhalten.
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§ 19 Regl lautet:
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"1 Besuche bedürfen einer Bewilligung. Bewilligt werden können nur Besuche, die weder die Anstaltsordnung noch den Untersuchungszweck gefährden. Entsprechende Gesuche sind der zuständigen Amtsstelle frühzeitig vorzulegen.
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2 In der Regel gelten die folgenden Einschränkungen:
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- Besuche sind frühestens nach Ablauf einer Woche möglich.
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- Sie dauern höchstens zwanzig Minuten.
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- Wöchentlich wird nur ein Besuch bewilligt.
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- Die Besuche sind den Angehörigen vorbehalten.
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4 Die Besuche werden überwacht. Die Unterhaltung darf sich nicht auf ein hängiges Strafverfahren beziehen.
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5 Die Besuche von Verteidiger, Gefangenenseelsorger und Gefängnisarzt unterliegen keinen Beschränkungen. Vorbehalten bleibt Abs. 3."
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a) Der Beschwerdeführer bezeichnet diese Regelung in verschiedener Hinsicht als übermässig restriktiv. Er rügt zunächst, die Besuchsdauer sei zu kurz und das Besuchsverbot in der ersten Woche treffe die Familie des oder der Inhaftierten übermässig. Es verletze deshalb auch Art. 8 EMRK.
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Art. 8 EMRK garantiert in Abs. 1 den Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Eingriffe in dieses Recht sind jedoch gerechtfertigt, soweit sie gesetzlich vorgesehen sind und in einer demokratischen Gesellschaft zur Aufrechterhaltung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen notwendig erscheinen. Eine allgemeine Regelung kann somit dem Familienleben Beschränkungen unterwerfen, die zur Durchführung rechtmässiger Strafverfolgungsmassnahmen erforderlich sind (vgl. unveröffentlichtes Urteil Z. c. Staatsanwaltschaft und Anklagekammer des Kts St. Gallen vom 31. August 1978, S. 10). Art. 8 EMRK bietet daher dem Untersuchungsgefangenen keinen weitergehenden Schutz als die Garantie der persönlichen Freiheit der Bundesverfassung gegen die Beschränkung von Besuchen.
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Das Bundesgericht hat in früheren Entscheiden eine Regelung, welche von der zweiten Haftwoche an Besuche während einer Viertelstunde wöchentlich ermöglicht, als mit der Garantie der persönlichen Freiheit vereinbar, wenn auch sehr restriktiv und an den Grenzen des Zulässigen erachtet; dabei war allerdings ausdrücklich eine zusätzliche Besuchsmöglichkeit bei dringenden Angelegenheiten vorgesehen (BGE 99 Ia 286; BGE 102 Ia 300). § 19 Abs. 2 Regl, welcher nach einer Wartefrist von einer Woche Besuche während 20 Minuten gewährleistet, erscheint daher namentlich mit Rücksicht darauf, dass diese Besuchsordnung ausdrücklich nur "in der Regel" gelten soll, wenn auch nicht als sehr grosszügig, so doch als verfassungsmässig: durch den Hinweis darauf, dass die so beschränkte Besuchsmöglichkeit lediglich als Regel zu Verstehen ist, ist eine ![]() | 18 |
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