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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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50. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 17. September 1982 i.S. Zbinden gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich und Obergericht (I. Strafkammer) des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 10 EMRK; Veröffentlichung eines nach Art. 293 StGB geheimen amtlichen Berichtes. | |
Sachverhalt | |
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Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte Zbinden am 8. April 1982 in Bestätigung eines Urteils des Einzelrichters in Strafsachen des Bezirksgerichtes Zürich vom 2. Juli 1981 wegen der Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293 Abs. 1 StGB) zu einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 750.--. Zbinden ficht dieses Urteil wegen Verletzung von Art. 4 BV und Art. 10 EMRK mit staatsrechtlicher Beschwerde an mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Entscheides. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. Gleichzeitig hat er eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde erhoben (zur Publikation bestimmtes Urteil vom 17. September 1982).
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Aus den Erwägungen: | |
1. Von Art. 10 Ziff. 1 EMRK ausgehend, demzufolge jedermann Anspruch auf freie Meinungsäusserung hat, anerkennt Zbinden, dass nach Ziffer 2 des genannten Artikels die in Ziffer 1 genannten Freiheiten bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen ![]() | 3 |
a) Mit dieser Argumentation setzt der Beschwerdeführer als selbstverständlich voraus, dass das in Art. 22 GRN statuierte "Sitzungsgeheimnis" für die Beratungen der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates eine Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit im Sinne des Art. 10 EMRK sei und deswegen dem Erfordernis der gesetzlichen Grundlage in der angeführten Form genügen müsse. Diese Prämisse ist indessen nur richtig, wenn das durch Art. 10 EMRK gewährleistete Grundrecht seinem Inhalt nach so weit reicht, dass jenes Sitzungsgeheimnis als eine von aussen an dieses herangetragene Schranke erscheint und nicht dem Begriff der Meinungsäusserungsfreiheit inhärent ist. Im letzteren Fall hätte man es nicht mehr mit einer Einschränkung des Grundrechts gemäss Art. 10 Ziff. 2 EMRK zu tun, die nur unter den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen zulässig wäre.
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b) Nach dem Wortlaut des Art. 10 Ziff. 1 Satz 2 EMRK schliesst die Meinungsäusserungsfreiheit die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein. Wie das Bundesgericht unter Heranziehung der am 10. Dezember 1948 durch die Vereinten Nationen verkündeten "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte", der Entwicklungsgeschichte der EMRK und der herrschenden Lehre entschieden hat, schliesst die Freiheit, Nachrichten und Meinungen ohne Eingriffe der Behörden zu empfangen, das Recht ein, sich zu diesem Zwecke aus allgemein zugänglichen Quellen aktiv zu unterrichten (BGE 104 Ia 92 E. 4a, 378 E. 2; bestätigt in BGE BGE 107 Ia 236 E. 2 und BGE 105 Ia 182 E. 2a). Soweit damit die durch Art. 10 EMRK garantierte Meinungsäusserungsfreiheit das ![]() | 5 |
c) Zur Entscheidung steht deshalb die Frage, ob die Verhandlungen der GPK des Nationalrates als allgemein zugängliche Informationsquelle zu gelten haben oder nicht. Die GPK des Nationalrates ist eine der ständigen Kommissionen dieses Rates, denen es obliegt, die Ratsgeschäfte vorzuberaten (Art. 11bis des Bundesgesetzes über den Geschäftsverkehr der Bundesversammlung usw./Geschäftsverkehrsgesetz; SR 171.11/GVG; Art. 15 GRN) und ihrem Rat Bericht zu erstatten und Antrag zu stellen (Art. 11ter GVG; Art. 20 GRN). Die Übertragung so weitgehender Aufgaben an Kommissionen sollte nicht nur der schwerfälligen Arbeitsweise einer Vollversammlung wie derjenigen eines Parlamentes bzw. einer seiner Kammern entgegenwirken, sondern hatte ihren Grund auch und vor allem in den durch die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen (Art. 94 BV) verursachten Schwierigkeiten sicherheitspolitischer und arbeitspsychologischer Natur. Abgesehen davon, dass es delikate aussen- und innenpolitische Angelegenheiten gibt, deren öffentliche Beratung im Parlament u.U. der Sache höchst abträglich wäre, verlangt die den Kommissionen übertragene bedeutende Aufgabe eine eingehende und möglichst objektive Prüfung des einzelnen Ratsgeschäftes sowie die Erarbeitung von Lösungen, die häufig nur als Kompromiss zwischen stark divergierenden Auffassungen erreichbar sind. Hierfür aber ist es unerlässlich, dass die einzelnen Mitglieder der Kommission sich jederzeit frei und unbehindert durch unzeitige äussere Einflüsse, aber auch unbelastet von irgendwelchen parteipolitischen Rücksichten zum Verhandlungsgegenstand sollen äussern können (BGE 107 IV 187 ff.; C. BURKHARD, Die parlamentarischen Kommissionen der schweizerischen Bundesversammlung, Diss. Zürich 1952, S. 3 ff., 110, 117 und 191 f.; FLEINER/GIACOMETTI, Schweizer. Bundesstaatsrecht, S. 552). Dass dies aber in aller Regel nur durch den ![]() | 6 |
Nach dem Gesagten kann es somit keinem Zweifel unterliegen, dass die Verhandlungen der GPK nicht als allgemein zugängliche Informationsquelle gelten können, die im Sinne von Art. 10 EMRK jedermann jederzeit zu erschliessen berechtigt wäre; sie werden denn auch im Schrifttum als nicht öffentlich bezeichnet (AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, II S. 573 Nr. 1430; BURKHARD, a.a.O. S. 3, 182, 189-191). Was aber für die Verhandlungen selber Geltung hat, muss selbstverständlich auch für den im vorliegenden Fall von der GPK des Nationalrats bei der Sektion EMD eingeholten Bericht über den Fall Bachmann/Schilling (samt den integrierenden Bestandteil dieses Berichtes bildenden Antworten des EMD) gelten, den die genannte Kommission am 3. Juni 1980 in ihre Beratungen einbeziehen wollte und der deshalb einer Kenntnisnahme durch unbeteiligte Dritte im Zeitpunkt, als der Beschwerdeführer ihn auszugsweise publizierte, hätte entzogen bleiben sollen, was übrigens durch den darauf angebrachten Vermerk deutlich gemacht worden war.
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d) Ist dem aber so, stellt sich die vom Beschwerdeführer zur Entscheidung gestellte Frage nach der genügenden gesetzlichen Grundlage der von ihm behaupteten Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit gemäss Art. 10 EMRK überhaupt nicht. Was er als "Einschränkung" ansieht, ist eine im Grundrecht selber liegende Schranke, die nicht jenem Erfordernis unterliegt; denn - wie bereits ausgeführt - gewährleistet die von der Meinungsäusserungs- und ![]() | 8 |
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