![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
5. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 12. Dezember 2000 i.S. Schmid gegen Kälin, Gemeinderat Wollerau und Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 6 Ziff. 1 EMRK; "zivilrechtliche Ansprüche" von Nachbarn im Bau- und Planungsrecht, Anspruch auf öffentliche Verhandlung. | |
Sachverhalt | |
![]() | 1 |
2 | |
Heinz und Amanda Schmid erhoben am 6. Dezember 1999 Beschwerde an den Regierungsrat des Kantons Schwyz mit dem Antrag, den Beschluss des Gemeinderats Wollerau aufzuheben und den Gestaltungsplan nicht zu erlassen. Der Regierungsrat überwies die Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz. Dieses wies das Rechtsmittel mit Entscheid vom 14. April 2000 ab.
| 3 |
Heinz und Amanda Schmid erheben staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, den Entscheid des Verwaltungsgerichts aufzuheben.
| 4 |
Aus den Erwägungen: | |
5 | |
a) Nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK besteht in Verfahren über zivilrechtliche Streitigkeiten ein Anspruch auf öffentliche Verhandlung, sofern die Parteien nicht ausdrücklich oder stillschweigend darauf verzichten (BGE 125 II 417 E. 4f S. 426; BGE 123 I 87 E. 2b/c S. 89; BGE 121 I 30 E. 5f S. 37 f., und E. 6a S. 40 f.). Ein Entscheid über zivilrechtliche Ansprüche im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK liegt unter anderem vor, wenn eine bau- oder planungsrechtliche Massnahme direkte Auswirkungen auf die Ausübung der Eigentumsrechte der Grundeigentümer hat (BGE 122 I 294 E. 3e S. 300; BGE 121 I 30 E. 5c S. 34 f.).
| 6 |
b) Die Beschwerdeführer machen als Nachbarn des Gestaltungsplangebiets geltend, die Terrassenbauweise sowie die Erhöhung der Ausnützungsziffer und der Gebäudelängen hätten zur Folge, dass z.B. der Lichteinfall auf ihr Grundstück beeinträchtigt werde. Zudem würden die nachbarlichen Immissionen (Lärm und Geruch) durch das verdichtete Bauen erheblich steigen. Insbesondere kritisieren die Beschwerdeführer, dass die Einfahrt in die geplante zentrale Tiefgarage direkt auf Höhe ihres Wohnzimmers liegen soll, obwohl eine andere, weniger störende Anordnung der Einfahrt problemlos möglich wäre.
| 7 |
c) Nach der Strassburger Rechtsprechung ist Art. 6 EMRK bei Drittinterventionen gegen die Erteilung einer Bau- oder sonstigen behördlichen Genehmigung anwendbar, soweit auf das Eigentum gegründete Abwehrrechte geltend gemacht werden (FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, 2. Aufl., 1996, S. 187). Nicht anwendbar ist Art. 6 EMRK, wenn lediglich die Einhaltung öffentlich-rechtlicher Bestimmungen ![]() | 8 |
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 88 OG ist ein Nachbar zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert, wenn er die Verletzung von Normen geltend macht, die auch seinem Schutz dienen, weil er insoweit in seinen eigenen Nutzungsbefugnissen beschränkt wird (BGE 119 Ia 362 E. 1b S. 364 f.). Diese Normen umschreiben - nebst anderen - den Umfang der Nutzungsrechte des Nachbarn. Soweit solche Normen verletzt werden, ist der Nachbar in seinen "civil rights" im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK berührt und kann sich auf diese Bestimmung berufen.
| 9 |
d) Vorliegend steht ein Gestaltungsplan zur Diskussion, der die künftige Bebauung des Nachbargrundstücks der Beschwerdeführer detailliert festlegt (Gebäudevolumen, Bauabstände, zentrale Parkierungsanlage, Lage der Einfahrt etc.). Die Beschwerdeführer verlangen nicht lediglich die Einhaltung rein öffentlich-rechtlicher Bestimmungen auf dem Baugrundstück, sondern berufen sich zumindest ![]() | 10 |
Die Liegenschaft der Beschwerdeführer grenzt unmittelbar an den Perimeter des umstrittenen Gestaltungsplans. Die darin vorgesehene Überbauung ist geeignet, direkte Auswirkungen auf die Vermögens- und Eigentumsrechte der Beschwerdeführer zu entfalten, da der Gestaltungsplan in Bezug auf nachbarschützende Bestimmungen verschiedene Abweichungen von der für dieses Gebiet bisher geltenden Normalbauweise und damit eine intensivere Nutzung des Plangebiets zulässt. Die Beschwerdeführer können den Inhalt des Gestaltungsplans nach dessen rechtskräftiger Genehmigung grundsätzlich nicht mehr in Frage stellen. Der Rechtsschutz gegen den Gestaltungsplan wird auch gegenüber den Nachbarn im Zeitpunkt des Planerlasses und nicht bei seiner Anwendung gewährt (Art. 33 RPG; § 30 Abs. 3 PBG; vgl. BGE 120 Ia 227 E. 2c S. 232, mit Hinweisen; THIERRY TANQUEREL, RPG-Kommentar, Art. 21 Rz. 26; HEINZ AEMISEGGER/STEPHAN HAAG, RPG-Kommentar, Art. 33 Rz. 63 ff.). Es liegt somit eine Streitigkeit über zivilrechtliche Ansprüche im Sinne der Strassburger Rechtsprechung zu Art. 6 Ziff. 1 EMRK vor (Urteil Ortenberg c. Österreich vom 25. November 1994, Ziff. 28, Serie A Nr. 295-B; s. auch RUTH HERZOG, Art. 6 EMRK und kantonale Verwaltungsrechtspflege, Diss. Bern 1995, S. 150 f. und S. 46).
| 11 |
e) Die Bestimmung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK räumt jedermann einen Anspruch darauf ein, dass seine zivil- oder strafrechtliche Angelegenheit von einem Gericht öffentlich gehört werde. Dieser Öffentlichkeitsgrundsatz stellt ein fundamentales Prinzip dar, bedeutet eine Absage an jegliche Form der Kabinettsjustiz und soll dem Betroffenen wie der Allgemeinheit ermöglichen, Prozesse unmittelbar zu verfolgen und Kenntnis davon zu erhalten, wie das Recht verwaltet und die Rechtspflege ausgeführt wird (vgl. BGE 119 Ia 99 S. 104; BGE 122 V 47 S. 51 mit Hinweisen).
| 12 |
![]() | 13 |
bb) Die Beschwerdeführer haben im kantonalen Verfahren ausdrücklich erklärt, dass sie nicht auf die aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK fliessenden Verfahrensrechte verzichteten. Das Verwaltungsgericht führt im bundesgerichtlichen Verfahren aus, die Äusserung der Beschwerdeführer habe keinen konkreten Antrag auf Durchführung einer mündlichen öffentlichen Verhandlung enthalten, weshalb eine solche habe unterbleiben dürfen, zumal die kantonale Verordnung über die Rechtspflege keine mündliche Verhandlung vorschreibe.
| 14 |
Dieser Sichtweise des Verwaltungsgerichts kann nicht gefolgt werden. Auch wenn die Äusserung der Beschwerdeführer keinen konkreten Antrag auf öffentliche Anhörung enthielt, kann daraus jedenfalls nicht geschlossen werden, auf die Durchführung einer öffentlichen Anhörung sei eindeutig und unmissverständlich im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung verzichtet worden. Das Verwaltungsgericht hätte bei Zweifeln über den Antrag nachfragen können und müssen, ob die Beschwerdeführer eine öffentliche Verhandlung wünschten. Unter den gegebenen Umständen lässt sich das Absehen von einer öffentlichen Verhandlung mit der Garantie von Art. 6 Ziff. 1 EMRK nicht vereinbaren. Die Beschwerde erweist sich daher als begründet. Sie ist gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben (vgl. BGE 121 I 30 E. 5j S. 40).
| 15 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |