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4. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich sowie Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich (Staatsrechtliche Beschwerde) |
1P.120/2006 vom 23. März 2006 | |
Regeste |
Art. 10 Abs. 2 und Art. 31 Abs. 1 und 3 BV; persönliche Freiheit, Sicherheitshaft. | |
Sachverhalt | |
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Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
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3.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, die Staatsanwaltschaft habe ihren früheren Haftverlängerungsantrag vom 23. Dezember 2005 auf "Kollusionsgefahr" mit einem "Mitangeschuldigten" gestützt. Der Haftrichter habe jenen Antrag am 24. Dezember 2005 "gutgeheissen, da die Untersuchung noch nicht ganz abgeschlossen" gewesen sei. Nach Ansicht des Beschwerdeführers habe es ![]() | 7 |
3.2 Kollusion bedeutet nach der bundesgerichtlichen Praxis insbesondere, dass sich der Angeschuldigte mit Zeugen, Auskunftspersonen, Sachverständigen oder Mitangeschuldigten ins Einvernehmen setzt oder sie zu wahrheitswidrigen Aussagen veranlasst, oder dass er Spuren und Beweismittel beseitigt. Die strafprozessuale Haft wegen Kollusionsgefahr soll verhindern, dass der Angeschuldigte die Freiheit oder einen Urlaub dazu missbrauchen würde, die wahrheitsgetreue Abklärung des Sachverhaltes zu vereiteln oder zu gefährden. Die theoretische Möglichkeit, dass der Angeschuldigte in Freiheit kolludieren könnte, genügt indessen nicht, um die Fortsetzung der Haft oder die Nichtgewährung von Urlauben unter diesem Titel zu rechtfertigen. Es müssen vielmehr konkrete Indizien für die Annahme von Verdunkelungsgefahr sprechen. Das Vorliegen des Haftgrundes ist nach Massgabe der Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu prüfen (BGE 123 I 31 E. 3c S. 35; BGE 117 Ia 257 E. 4b S. 261, je mit Hinweisen).
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3.2.1 Konkrete Anhaltspunkte für Kollusionsgefahr können sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes namentlich ergeben aus dem bisherigen Verhalten des Angeschuldigten im Strafprozess, aus seinen persönlichen Merkmalen, aus seiner Stellung und seinen Tatbeiträgen im Rahmen des untersuchten Sachverhaltes sowie aus den persönlichen Beziehungen zwischen ihm und den ihn belastenden Personen. Bei der Frage, ob im konkreten Fall eine massgebliche Beeinträchtigung des Strafverfahrens wegen Verdunkelung droht, ist auch der Art und Bedeutung der von Beeinflussung bedrohten Aussagen bzw. Beweismittel, der Schwere der untersuchten Straftaten sowie dem Stand des Verfahrens Rechnung zu ![]() | 9 |
3.2.2 Nach Abschluss der Strafuntersuchung (und insbesondere nach Durchführung einer erstinstanzlichen Hauptverhandlung) bedarf der Haftgrund der Kollusionsgefahr einer besonders sorgfältigen Prüfung. Er dient primär der Sicherung einer ungestörten Strafuntersuchung. Zwar ist auch die richterliche Sachaufklärung vor unzulässigen Einflussnahmen zu bewahren. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die (in der Regel beschränkte) Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme anlässlich der Hauptverhandlung (vgl. BGE 117 Ia 257 E. 4b S. 261; s. auch §§ 280 und 285 StPO/ZH; dazu NIKLAUS SCHMID, Strafprozessrecht, 4. Aufl., Zürich 2004, Rz. 196-199; derselbe, in: Donatsch/Schmid, a.a.O., § 183 N. 4-14 i.V.m. § 285). Je weiter das Strafverfahren vorangeschritten ist und je präziser der Sachverhalt bereits abgeklärt werden konnte, desto höhere Anforderungen sind jedoch grundsätzlich an den Nachweis von Verdunkelungsgefahr zu stellen (vgl. ALBRECHT, a.a.O., S. 12; DONATSCH, ibidem; MEIER/RÜEGG, ibidem).
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3.2.3 Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die gestützt auf das verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2, Art. 31 BV) wegen der Ablehnung eines Haftentlassungsgesuches erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des Eingriffes die Auslegung und Anwendung des entsprechenden kantonalen Rechtes frei. Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Instanz willkürlich sind (BGE 128 I 184 E. 2.1 S. 186; BGE 123 I 31 E. 3a S. 35, BGE 123 I 268 E. 2d S. 271, je mit Hinweisen). Das vom Beschwerdeführer angerufene Willkürverbot hat in diesem Zusammenhang keine über das oben Dargelegte hinausgehende selbstständige Bedeutung.
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"Dass bezüglich der als Haftgrund angeführten Kollusionsgefahr der Vollständigkeit halber anzuführen ist, dass diese im Rahmen der dem
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Der Beschwerdeführer räumt ein, dass er vor seiner Inhaftierung "Beziehungen im Milieu" hatte. Zwar beteuert er, dass er diese im Falle einer Haftentlassung nicht "spielen lassen" würde, da dies "sofort auffallen" würde und er mit einer neuen Inhaftierung rechnen ![]() | 16 |
So habe er den Geschädigten "für den Fall der Nichteinhaltung der Öffnungszeiten der Bar" jeweils "Bussen bis zu CHF 500.- angedroht" und die Geschädigten eingeschüchtert, geschlagen und "an den Haaren gezerrt". "Verschiedene Opfer" seien "nach ihrem Weggang" aus dem Etablissement der Angeklagten "angehalten" worden, "wieder zurückzukehren". Eine Geschädigte, die am 11. November 2004 von einer Kollegin am Zürcher Flughafen abgeholt worden war und nicht ihr Zimmer im Lokal der Angeklagten bezog, habe der Beschwerdeführer an ihrem Aufenthaltsort aufgesucht. Er habe ihr "Vorwürfe" gemacht und sie in das fragliche Lokal "beordert". Dort sei ihr mitgeteilt worden, dass sie "innert drei Tagen CHF 1'000.-" für angebliche "Umtriebe" bzw. als "Entschädigung" zu bezahlen habe; widrigenfalls werde sie bei der Polizei angezeigt und ausgeschafft. Eine andere Geschädigte habe der Beschwerdeführer am 3. November 2004 telefonisch aufgefordert, "ihm CHF 2'500.- zu bezahlen, ansonsten er ins Geschäft ihres neuen Freundes kommen und einen Skandal machen würde". Auch ihr habe er angedroht, "sie bei der Polizei anzuzeigen und ihre Verhaftung zu bewirken". Später sei es am Aufenthaltsort dieser Geschädigten "erneut zu einem Streit" zwischen ihr und dem Beschwerdeführer gekommen; dabei habe er ihr "einen Schlüsselbund an den Kopf" geworfen, "wodurch sich die Geschädigte unbekannte Verletzungen" zugezogen habe. Anschliessend habe der Beschwerdeführer den von ihm verlangten Geldbetrag mehrmals persönlich und "auch durch Drittpersonen" von der Geschädigten eingefordert.
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Den Geschädigten sei jeweils "zu verstehen" gegeben worden, dass "sie vor der vollständigen Bezahlung von Ticket- und Mietkosten und vor Ablauf der dreimonatigen Tätigkeit" als Prostituierte das Lokal "nicht verlassen dürften, ansonsten sie mit Repressalien oder Nachteilen zu rechnen hätten", dass "die Angeklagten über gute ![]() | 18 |
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4.1 Gemäss Art. 31 Abs. 3 BV und Art. 5 Ziff. 3 EMRK hat ei ne in strafprozessualer Haft gehaltene Person Anspruch darauf, innerhalb einer angemessenen Frist richterlich abgeurteilt oder während des Strafverfahrens aus der Haft entlassen zu werden. Eine übermässige Haftdauer stellt eine unverhältnismässige Beschränkung dieses Grundrechts dar. Sie liegt dann vor, wenn die Haftfrist die mutmassliche Dauer der zu erwartenden freiheitsentziehenden Sanktion übersteigt. Bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit der Haftdauer ist namentlich der Schwere der untersuchten Straftaten Rechnung zu tragen. Der Richter darf die Haft nur so lange erstrecken, als sie nicht in grosse zeitliche Nähe der (im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung) konkret zu erwartenden Dauer der freiheitsentziehenden ![]() | 21 |
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Aus den vorliegenden Akten ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass gegen den angeklagten Beschwerdeführer (im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung) eine sehr milde Sanktion bzw. lediglich die gesetzliche Mindeststrafe zur Anwendung gelangen könnte. Solche Anhaltspunkte werden auch in der Beschwerdeschrift nicht dargelegt. Es handelt sich gemäss Anklageschrift vielmehr um einen schwerwiegenden Fall von Menschenhandel bzw. der mehrfachen Förderung der Prostitution. Im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung droht dem Beschwerdeführer beim jetzigen Verfahrensstand eine mehrjährige Freiheitsstrafe. Damit ist die bisherige Haftdauer (von gut einem Jahr) noch nicht in grosse Nähe der freiheitsentziehenden Sanktion gerückt, die bei einer Verurteilung konkret zu erwarten wäre.
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