![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Philippe Dietschi | |||
![]() | ![]() |
28. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich sowie Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich (Beschwerde in Strafsachen) |
1B_154/2007 vom 14. September 2007 |
Art. 31 Abs. 3 BV, Art. 5 Ziff. 3 EMRK, Art. 46 Abs. 1 BGG; Fristenstillstand bei strafprozessualer Haft. |
Art. 5 Abs. 3, Art. 9, Art. 10 Abs. 2, Art. 29 Abs. 2 und Art. 36 BV, Art. 74 f. StGB; Wiederholungs- bzw. Fortsetzungsgefahr, vorzeitiger Strafvollzug, Haftdauer und Verhältnismässigkeitsprinzip, Prüfungs- und Begründungspflicht des Haftrichters. | |
Sachverhalt | |
![]() | 1 |
Die Untersuchungshaft wurde zunächst mit dringendem Tatverdacht und Kollusionsgefahr begründet. Nach Inhaftierung eines mutmasslichen Mittäters entfiel der besondere Haftgrund der Kollusionsgefahr und die Weiterführung der Haft beruht seit Februar 2005 auf dem Vorliegen von Fortsetzungsgefahr. Ein Haftentlassungsgesuch des Verdächtigten lehnte der Haftrichter am Bezirksgericht Zürich mit Verfügung vom 27. Juni 2007 wegen dringendem Tatverdacht und Fortsetzungsgefahr im Sinne von § 58 Abs. 1 Ziff. 3 der kantonalen Strafprozessordnung vom 4. Mai 1919 (StPO/ZH) ab.
| 2 |
Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 27. August 2007 beantragt X., die Verfügung des Haftrichters vom 27. Juni 2007 sei aufzuheben und er sei aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Eventualiter seien die zuständigen kantonalen Behörden anzuweisen, angemessene Auflagen oder Ersatzmassnahmen mit der Haftentlassung zu verbinden oder zumindest Haft- und Vollzugsmodalitäten zu veranlassen, die dem Strafzweck der Resozialisierung gerecht würden. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 i.V.m. Art. 31 BV), der Begründungspflicht (Art. 29 Abs. 2 BV) und des Beschleunigungsgebots (Art. 31 Abs. 3 BV) sowie die Missachtung der Art. 74 f. StGB und Art. 5 Ziff. 1 und 3 EMRK.
| 3 |
Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 1 | |
1.1 Gemäss Art. 78 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen Entscheide in ![]() | 4 |
5 | |
1.2.1 Nach Art. 46 Abs. 1 lit. b BGG stehen gesetzlich oder richterlich nach Tagen bestimmte Fristen vom 15. Juli bis und mit dem 15. August still. Diese Vorschrift gilt nicht in Verfahren betreffend aufschiebende Wirkung und andere vorsorgliche Massnahmen sowie in der Wechselbetreibung und auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen (Art. 46 Abs. 2 BGG). Der Gesetzgeber hat somit gewisse Ausnahmen vom Fristenstillstand vorgesehen. Beschwerden gegen Entscheide betreffend Anordnung und Weiterführung strafprozessualer Haft sind bei diesen Ausnahmen aber nicht ausdrücklich erwähnt. Immerhin ergibt sich aus der Botschaft des Bundesrates zum BGG, dass die Anordnung der Untersuchungshaft vom Gesetzgeber als vorsorgliche Massnahme mit nicht wiedergutzumachendem Nachteil verstanden wurde (BBl 2001 S. 4334), für welche nach dem Wortlaut von Art. 46 Abs. 2 BGG der Fristenstillstand nicht gelten würde. Ob der angefochtene Entscheid einen solchen Entscheid über eine vorsorgliche Massnahme ![]() | 6 |
1.2.2 Dem Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung, der sich insbesondere aus den Art. 29 Abs. 1 und Art. 31 Abs. 2 und 3 BV sowie Art. 5 Ziff. 3 und 4 und Art. 6 Ziff. 1 EMRK ergibt, kommt im Strafverfahren besondere Bedeutung zu. Gemäss Art. 31 Abs. 3 BV und Art. 5 Ziff. 3 EMRK hat eine in strafprozessualer Haft gehaltene Person Anspruch darauf, innerhalb einer angemessenen Frist richterlich beurteilt oder während des Strafverfahrens aus der Haft entlassen zu werden. Eine übermässige Haftdauer stellt eine unverhältnismässige Beschränkung dieses Grundrechts dar (BGE 128 I 149 E. 2.2.1 S. 151; BGE 126 I 172 E. 5a S. 176 f.; BGE 124 I 208 E. 6 S. 215; BGE 123 I 268 E. 3a S. 273, je mit Hinweisen). Daraus ergibt sich, dass insbesondere Haftfälle vordringlich zu behandeln sind (so auch Botschaft des Bundesrats vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 S. 1130 zu Art. 5 E-StPO). Mit dem im Haftverfahren besonders zu beachtenden Beschleunigungsgebot lässt sich der Fristenstillstand nach Art. 46 Abs. 1 BGG nicht vereinbaren. Vielmehr kann mit Rücksicht auf die betroffenen Grundrechte (insbesondere persönliche Freiheit [Art. 10 Abs. 2 BV]) und die verfassungs- und konventionsrechtlich verankerten Verfahrensgarantien (insbesondere Art. 31 Abs. 3 BV und Art. 5 Ziff. 3 EMRK) bei allen Fällen, in welchen die strafprozessuale Haft umstritten ist, der Fristenstillstand nach Art. 46 Abs. 1 BGG nicht Platz greifen. Die frühere Praxis des Bundesgerichts, welche im Rahmen der staatsrechtlichen Beschwerde bei Strafsachen und somit auch in Haftfällen den Fristenstillstand gemäss Art. 34 OG zuliess (BGE 103 Ia 367), kann unter der Herrschaft des BGG nicht weitergeführt werden. Diese neue Praxis entspricht im Übrigen auch dem Entwurf des Bundesrats zu einer neuen Strafprozessordnung, nach welchem im Strafverfahren generell keine Gerichtsferien und somit kein Fristenstillstand mehr gelten sollen (Art. 87 Abs. 2 E-StPO, BBl 2006 S. 1415). Mit der amtlichen Publikation des vorliegenden Urteils wird die neue Rechtsprechung wie eine Praxisänderung angekündigt und damit in allen strafprozessualen Haftfällen anwendbar (vgl. BGE 132 II 153 E. 5.1 S. 159 mit Hinweisen).
| 7 |
1.2.3 Dem Wortlaut von Art. 46 Abs. 2 BGG lässt sich nicht entnehmen, dass der Fristenstillstand bei Beschwerden gegen strafprozessuale Haft nicht gilt. Der Beschwerdeführer konnte nach Treu und ![]() | 8 |
2. Untersuchungs- oder Sicherheitshaft kann auf Antrag des Angeschuldigten in vorzeitigen Straf- und Massnahmenvollzug umgewandelt werden, wenn die richterliche Anordnung einer unbedingten Strafe oder einer sichernden Massnahme zu erwarten ist und der Zweck des Strafverfahrens nicht gefährdet wird (§ 71a Abs. 1 und 3 StPO/ZH). Für alle strafprozessualen Häftlinge (inklusive Gefangene im vorzeitigen Straf- und Massnahmenvollzug) gilt die Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV). Ausserdem können sie sich auf die einschlägigen Verfahrensgarantien von Art. 31 BV berufen (BGE 126 I 172 E. 3a S. 174; BGE 123 I 221 E. II/3f/aa S. 239, je mit Hinweisen).
| 9 |
2.1 Gemäss § 58 Abs. 1 StPO/ZH ist die Anordnung oder Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft zulässig, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt wird und überdies Flucht-, Kollusions- oder Wiederholungsgefahr besteht. Wiederholungsgefahr liegt gemäss Zürcher Strafprozessrecht vor, wenn "aufgrund bestimmter Anhaltspunkte ernsthaft befürchtet werden muss", der Angeschuldigte werde, "nachdem er bereits zahlreiche Verbrechen oder erhebliche Vergehen verübt hat, erneut solche Straftaten begehen" (§ 58 Abs. 1 Ziff. 3 StPO/ZH). Sinn und Zweck der Anordnung von Haft wegen Wiederholungsgefahr im Sinne von § 58 Abs. 1 Ziff. 3 StPO/ZH ist die Verhütung von Verbrechen; die Haft ist somit überwiegend Präventivhaft. Die Notwendigkeit, den Angeschuldigten an der Begehung einer strafbaren Handlung zu hindern (Spezialprävention) wird von Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK ausdrücklich als Haftgrund anerkannt (BGE 125 I 361 E. 4c S. 365 f.; BGE 123 I 268 E. 2c S. 270; Urteil des Bundesgerichts 1P.4/2000 vom 21. Januar 2000, E. 3d und e).
| 10 |
![]() | 11 |
12 | |
3. Der Beschwerdeführer beanstandet die Aufrechterhaltung der Haft unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit in mehrfacher Hinsicht. Er macht geltend, die Haftdauer von nunmehr rund 23 /4 Jahren rücke in die Nähe der tatsächlich zu verbüssenden Strafe. Er könne ohne Vollzugsplan und ambulante Therapie, die nach dem psychiatrischen Gutachten im Strafvollzug durchführbar wäre, keine langfristige Wiedereingliederungsperspektive verfolgen, was dem Resozialisierungsgedanken (Art. 74 f. StGB) widerspreche. Zudem habe der Haftrichter mögliche Ersatzmassnahmen zu Unrecht ![]() | 13 |
14 | |
Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör. Der Betroffene hat das Recht, sich vor Erlass eines in seine Rechtsstellung eingreifenden Entscheids zur Sache zu äussern. Dazu gehört insbesondere das Recht, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn es geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 127 I 54 E. 2b S. 56). Wesentlicher Bestandteil des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist die Begründungspflicht. Die Begründung soll verhindern, dass sich die Behörde von unsachlichen Motiven leiten lässt, und dem Betroffenen ermöglichen, die Verfügung gegebenenfalls sachgerecht anzufechten. Dies ist nur möglich, wenn sowohl er wie auch die Rechtsmittelinstanz sich über die Tragweite des Entscheids ein Bild machen können. In diesem Sinn müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf welche sich ihr Entscheid stützt. Dies bedeutet indessen nicht, dass sie sich ausdrücklich mit jeder tatbeständlichen Behauptung und jedem rechtlichen Einwand auseinandersetzen muss. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken (BGE 129 I 232 E. 3.2 S. 236; BGE 126 I 97 E. 2b S. 102 f. mit Hinweisen).
| 15 |
Erwägung 3.2 | |
3.2.1 Für den vorzeitigen Strafvollzug ist, auch wenn er in einer Strafanstalt erfolgt, grundsätzlich das Regime der Untersuchungshaft massgebend. Das Bundesgericht hat wiederholt festgehalten, der vorzeitige Strafvollzug stelle seiner Natur nach eine Massnahme auf der Schwelle zwischen Strafverfolgung und Strafvollzug dar. Er soll ermöglichen, dass dem Angeschuldigten bereits vor der rechtskräftigen Urteilsfällung verbesserte Chancen auf Resozialisierung im Rahmen des Strafvollzugs geboten werden können. Aus dem Umstand, dass der Angeschuldigte nach § 71a StPO/ZH auf eigenen ![]() | 16 |
17 | |
![]() | 18 |
19 | |
3.3.1 Untersuchungshaft darf nur angeordnet werden, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ausserdem aufgrund bestimmter Anhaltspunkte ein besonderer Haftgrund ernsthaft befürchtet werden muss (§ 58 Abs. 1 StPO/ZH). Anstelle von Untersuchungshaft werden nach dem Verhältnismässigkeitsprinzip (Art. 5 Abs. 2 und Art. 36 Abs. 3 BV) eine oder mehrere Ersatzmassnahmen verfügt, wenn und solange sich der Haftzweck auch auf diese Weise erreichen lässt. Als Ersatzmassnahmen sind namentlich die Pass- und Schriftensperre sowie Weisungen zum Aufenthaltsort, beruflicher Tätigkeit, ärztlicher Behandlung und die regelmässige Meldung bei einer Behörde vorgesehen (§ 72 StPO/ZH). Der Haftrichter setzt sich im angefochtenen Entscheid mit den im vorliegenden Fall geeigneten ![]() | 20 |
21 | |
22 | |
23 | |
3.4.1 Der Haftrichter führt im angefochtenen Entscheid aus, der Beschwerdeführer habe mit einer Freiheitsstrafe zu rechnen, die unter Gewichtung der massiven Vorstrafen aufgrund des heutigen Untersuchungsstandes ohne weiteres im Bereich zwischen 5-8 Jahren liegen dürfte. Damit drohe keine Überhaft, auch wenn mit der ![]() | 24 |
Der Beschwerdeführer wendet gegen diese Ausführungen ein, dem Haftrichter seien die umfangreichen Untersuchungsakten nicht vorgelegen. Er habe nicht abgeklärt, wie viele einzelne Straftaten dem Beschwerdeführer zur Last gelegt würden, von welchem Deliktsbetrag auszugehen sei, wann mit einer Anklage zu rechnen sei und wie der Strafantrag der Anklagebehörde lauten werde. Zudem habe er weder das Geständnis des Beschwerdeführers noch das psychiatrische Gutachten berücksichtigt und auch nicht in Rechnung gestellt, dass ein Zusatzurteil zu einem Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 9. Oktober 2006 und damit eine Gesamtstrafe auszusprechen seien. Bereits aus dem vorangehenden Strafverfahren ergebe sich eine Überhaft von 4 Monaten, welche angerechnet werden müsse (BGE 133 IV 150 E. 5 S. 154). Zudem datierten einige Tatvorwürfe aus den Jahren 2001/2002, und es sei mit einer grossen Anzahl von Einstellungen zu rechnen.
| 25 |
3.4.2 Gemäss Art. 31 Abs. 3 BV und Art. 5 Ziff. 3 EMRK hat eine in strafprozessualer Haft gehaltene Person Anspruch darauf, innerhalb einer angemessenen Frist richterlich beurteilt oder während des Strafverfahrens aus der Haft entlassen zu werden. Eine übermässige Haftdauer stellt eine unverhältnismässige Beschränkung dieses Grundrechts dar. Sie liegt dann vor, wenn die Haftfrist die mutmassliche Dauer der zu erwartenden freiheitsentziehenden Sanktion übersteigt. Bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit der Haftdauer ist namentlich der Schwere der untersuchten Straftaten Rechnung zu tragen. Der Richter darf die Haft nur so lange erstrecken, als sie nicht in grosse zeitliche Nähe der (im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung) konkret zu erwartenden Dauer der freiheitsentziehenden Sanktion rückt. Im Weiteren kann eine Haft die zulässige Dauer auch dann überschreiten, wenn das Strafverfahren nicht genügend vorangetrieben wird, wobei sowohl das Verhalten der Justizbehörden als auch dasjenige des Inhaftierten in Betracht gezogen werden müssen. Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung des Bundesgerichtes und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist die Frage, ob eine Haftdauer als übermässig bezeichnet werden muss, aufgrund der konkreten Verhältnisse des einzelnen Falles zu beurteilen (BGE 132 I 21 E. 4.1 S. 27 f.; BGE 128 I 149 E. 2.2 S. 151, je mit Hinweisen). Für die Beurteilung der Verhältnismässigkeit der Haft spielt es jedoch grundsätzlich keine Rolle, dass für die in Aussicht ![]() | 26 |
27 | |
Angesichts dieser vagen Äusserungen der Anklagebehörde, der bereits langen Haftdauer und der geringen aktenkundigen Kenntnisse des tatsächlichen Untersuchungsstandes kann der Haftrichter im Laufe des weiteren Haftprüfungsverfahrens nicht darauf verzichten, die zur Beurteilung der Verhältnismässigkeit der Haftdauer erforderlichen Akten zu erheben und seinen Entscheid in Nachachtung der Begründungspflicht nach Art. 29 Abs. 2 BV nachvollziehbar zu begründen. Die Unterlassungen des Haftrichters können hingegen zurzeit nicht zu einer unverzüglichen Entlassung des Beschwerdeführers aus dem vorzeitigen Strafvollzug führen, da nach der Aktenlage noch keine Überhaft anzunehmen ist und nach dem psychiatrischen Gutachten nicht ausgeschlossen werden kann, dass mit einer Freilassung des Beschwerdeführers der Untersuchungszweck gefährdet würde und der Beschwerdeführer seine deliktische Tätigkeit wieder aufnehmen könnte.
| 28 |
![]() | |
29 | |
Gerade weil es sich beim Haftrichter im einstufigen zürcherischen System um die einzige richterliche Haftprüfungsinstanz handelt, darf an die Begründungspflicht bzw. an die Gewährung des rechtlichen Gehörs kein tiefer Massstab angelegt werden (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1P.516/1992 vom 7. Oktober 1992, E. 3b, publ. in: EuGRZ 1992 S. 554 ff.; BGE 103 Ia 407 E. 3a S. 409). Zu berücksichtigen ist auch, dass es bei der Frage der Zulässigkeit von Untersuchungshaft um einen äusserst schwerwiegenden Eingriff in die persönliche Freiheit geht. Der Beschwerdeführer befindet sich bereits seit rund 2 ¾ Jahren in strafprozessualer Haft. Im vorliegenden Fall kommt noch hinzu, dass es der Haftrichter auch unterlassen hat, wenigstens nachträglich, in einer Vernehmlassung zur vorliegenden Beschwerde, auf die Argumente des Beschwerdeführers einzugehen. Die diesbezügliche Einladung des Bundesgerichtes ist mit dem Vermerk "Verzicht auf Vernehmlassung" retourniert worden (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1P.464/1996 vom 12. September 1996, E. 2c/cc, publ. in: EuGRZ 1997 S. 16). Die Zürcher Regelung, wonach gegen den Entscheid des Haftrichters kein kantonales Rechtsmittel gegeben ist, hat das Bundesgericht trotz schwerer Bedenken als ![]() | 30 |
3.5.2 Im vorliegenden Zusammenhang ist zudem darauf hinzuweisen, dass das am 1. Januar 2007 in Kraft getretene Bundesgerichtsgesetz in den Kantonen für Strafsachen ein zwei-instanzliches Verfahren vorsieht (Art. 80 Abs. 2 BGG), welches grundsätzlich auch bei strafprozessualer Haft zum Zug kommen soll. Art. 130 Abs. 1 BGG (in der Fassung vom 23. Juni 2006, AS 2006 S. 4213) räumt den Kantonen allerdings eine Übergangsfrist für die Anpassung ihrer Ausführungsbestimmungen bis zum Inkrafttreten einer schweizerischen Strafprozessordnung ein, weshalb die vorliegende Beschwerde auch ohne Zuständigkeit einer kantonalen Rechtsmittelinstanz zulässig ist (s. E. 1.1 hiervor). Ist sechs Jahre nach Inkrafttreten dieses Gesetzes noch keine schweizerische Strafprozessordnung in Kraft, so legt der Bundesrat die Frist zum Erlass der Ausführungsbestimmungen nach Anhörung der Kantone fest (Art. 130 Abs. 1 Satz 2 BGG). Im Entwurf für die schweizerische Strafprozessordnung hat der Bundesrat vorgeschlagen, für Entscheide über die Anordnung, Verlängerung und Aufhebung der Untersuchungs- und Sicherheitshaft von weniger als 3 Monaten kein Rechtsmittel vorzusehen (Art. 221 E-StPO, BBl 2006 S. 1454). Der Ständerat ist hingegen in seiner Sitzung vom 7. Dezember 2006 als Erstrat vom Vorschlag des Bundesrats abgewichen und hat für diese Fälle generell die Einführung eines kantonalen Rechtsmittels beschlossen, welches nicht von der Dauer der Inhaftierung abhängt (AB 2006 S 1027 f.). Der Nationalrat hat sich am 20. Juni 2007 im Wesentlichen dem ursprünglichen Vorschlag des Bundesrats angeschlossen ![]() | 31 |
4. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben ist. Die Sache wird zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an den Haftrichter zurückgewiesen (Art. 107 Abs. 2 BGG). Der Haftrichter wird die Verhältnismässigkeit der Haft aufgrund der zu erhebenden Untersuchungsakten und der beantragten Vollzugsmassnahmen neu zu prüfen haben. Dabei wird er mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismässigkeit auch mögliche Ersatzanordnungen im Sinne von § 72 StPO/ZH beurteilen müssen. Zudem werden die zuständigen kantonalen Behörden aufgefordert, umgehend Haft- und Vollzugsmodalitäten anzuordnen, welche die Resozialisierung des Beschwerdeführers fördern (s. E. 3.2.2 hiervor). (...)
| 32 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |