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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: | |||
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95. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 23. Oktober 1990 i.S. B. H. und J. H. gegen L. (Berufung) | |
Regeste |
Haftpflicht des Arztes, Genugtuung (Art. 49 OR). |
2. Aufklärung des Patienten als Vertragspflicht des Arztes (E. 3). |
3. Unterbrechung des adäquaten Kausalzusammenhangs durch Mitverschulden eines Dritten? (E. 4). | |
Sachverhalt | |
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B.- Mit Klage vom 25. Mai 1988 belangten die Klägerinnen den Beklagten auf Genugtuungsleistungen von Fr. 120'000.-- an das Kind und Fr. 60'000.-- an die Mutter.
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Das Bezirksgericht Dielsdorf wies am 3. Mai 1989 die Klage ab, ebenso auf Berufung der Klägerinnen hin am 27. März 1990 das Obergericht des Kantons Zürich.
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Eine Berufung der Klägerinnen heisst das Bundesgericht teilweise gut, soweit es darauf eintritt, und weist die Streitsache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück.
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Aus den Erwägungen: | |
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b) Schadenersatzansprüche liegen nicht im Streit. Mithin kann die Frage offenbleiben, ob die Mutter aus der behaupteten Vertragsverletzung und Schädigung des Kindes eigene Ansprüche unter diesem Titel geltend machen könnte, insbesondere inwieweit solche neben den Forderungen des Kindes und über deren Umfang hinaus ersatzfähig wären (für das deutsche Recht etwa BGHZ 89 S. 263 ff., 266/7 und NÜSSGENS im BGB-RGRK, Anhang II zu § 823, N 7).
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c) Im Bereiche des Deliktsrechts haben die nahen Angehörigen eines Verletzten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts Anspruch auf Genugtuung nach Art. 49 OR, wenn das schädigende Ereignis sie in ihren persönlichen Verhältnissen verletzt (BGE 112 II 220 Nr. 37). Das Vertragsrecht enthält keine Anspruchsnorm für eine Genugtuung, doch nimmt die Rechtsprechung an, die Verweisung von Art. 99 Abs. 3 OR erfasse ebenfalls Art. 47 und 49 OR (grundlegend BGE 54 II 481 ff.; zustimmend BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. ![]() | 7 |
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b) Zu den ärztlichen Vertragspflichten gehört unter anderen die sachgerechte Aufklärung des Patienten, welche in mehrfacher Form rechtliche Bedeutung erlangt (NÜSSGENS, a.a.O., N 44 ff.). Einmal hat der Arzt den Patienten oder dessen Betreuer im Rahmen der Behandlung über ein therapiegerechtes Verhalten aufzuklären (sogenannte Sicherungs- oder therapeutische Aufklärungspflicht), sodann ihn auf wirtschaftliche Besonderheiten aufmerksam ![]() | 9 |
c) Bedient der Arzt sich zur Erfüllung seiner Vertragspflichten einer Hilfsperson, haftet er für deren Verhalten wie für ein eigenes (Art. 101 OR; BGE 92 II 18 E. 2).
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d) Die Schädigung der Erstklägerin ist nach der Sachverhaltshypothese der Vorinstanz auf eine Dehydration zurückzuführen. Darunter ist ein absoluter oder relativer Flüssigkeitsmangel im Extra- und Interzellularraum als Störung des Wasser-Elektrolythaushalts zu verstehen (ROCHE Lexikon Medizin, S. 327). Ein solcher Flüssigkeitsverlust ist die wichtigste Komplikation in Zusammenhang mit Diarrhoe, wobei ab Verlusten von 10% des Körpergewichts ein Schock und damit ein Schädigungs- oder gar Todesrisiko droht (Der Gesundheits Brockhaus, 3. Aufl. 1984, S. 156). Namentlich Kleinkinder sind besonders dehydrationsgefährdet. Dieses Wissen gehört zum objektiv voraussetzbaren Allgemeinwissen eines Kinderarztes.
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aa) Nach der Sachverhaltshypothese der Vorinstanz hatte die Zweitklägerin am Morgen des 22. März 1979 in der Praxis des Beklagten angerufen und um eine sofortige Untersuchung gebeten, da die Erstklägerin an Durchfall und Erbrechen leide. Die Arztgehilfin habe ihr die strikte Einhaltung von Diätvorschriften empfohlen, sie angewiesen, wegen solcher Bagatellfälle nicht immer den Arzt zu stören und frühestens am 26. März 1979 wiederum anzurufen.
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bb) Zu Recht erachtet die Vorinstanz die Auskunft der Arztgehilfin als ungenügend und erblickt darin eine Vertragsverletzung. Bei der Meldung der genannten Symptome eines Kleinkindes gehört zu den elementarsten ärztlichen Aufklärungspflichten, auf die Risiken einer Dehydration aufmerksam zu machen und den Betreuer anzuweisen, im Falle andauernden Wasserverlusts ärztliche Hilfe zu beanspruchen. Die gegebene Diätanweisung genügte dieser Aufklärungspflicht nicht. Dabei ist ohne Bedeutung, dass die ungenügende Auskunft nicht durch den Arzt selbst, sondern durch seine Gehilfin gegeben wurde; deren Verhalten ist vertragsrechtlich dem Geschäftsherrn zuzurechnen (Art. 101 OR). Ebensowenig wird der Beklagte dadurch entlastet, dass die Auskunft bloss telefonisch und ohne Untersuchung der Erstklägerin erfolgte. Die Anweisung wurde im Rahmen eines Behandlungsvertrages gegeben. Mit dessen Annahme hatte der Beklagte eine Garantenpflicht ![]() | 13 |
Als Vertragsverletzung erscheint weiter die - hypothetische - Weisung der Arztgehilfin, den Arzt deswegen nicht zu belästigen und frühestens in vier Tagen wieder anzurufen. Damit wurde die Gefahr verharmlost sowie beim vernünftig denkenden Anrufer der Eindruck erweckt, besondere Risiken beständen nicht, und bei Einhaltung der Diät könnten bedenkenlos mehrere Tage abgewartet werden, bevor wiederum ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen sei (vgl. BGH in NJW 1979 1249 E. b). Diesen Eindruck zu erwecken ist angesichts der konkret nicht näher abgeklärten, theoretisch aber erheblichen Dehydrationsgefahr bei Kleinkindern unverständlich. Auch diese Vertragsverletzung wiegt nicht leicht.
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b) Das Verhalten des Geschädigten oder eines Dritten vermag im Normalfall den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen Schaden und Verhalten des Schädigers nicht zu beseitigen, selbst wenn das Verschulden des Geschädigten oder des Dritten dasjenige des Schädigers übersteigt (BGE 112 II 141 E. 3a). Auch wenn neben die erste Ursache andere treten und die Erstursache in den Hintergrund drängen, bleibt sie adäquat kausal, solange sie im Rahmen des Geschehens noch als erheblich zu betrachten ist, solange nicht eine Zusatzursache derart ausserhalb des normalen Geschehens liegt, derart unsinnig ist, dass damit nicht zu rechnen war (BGE 102 II 366; A. KELLER, Haftpflicht im Privatrecht, 4. Aufl. 1979, S. 50/1 mit Hinweisen). Entscheidend ist die Intensität der beiden Kausalzusammenhänge; erscheint der eine bei wertender Betrachtung als derart intensiv, dass er den andern gleichsam verdrängt und als unbedeutend erscheinen lässt, wird eine sogenannte Unterbrechung des andern angenommen (OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht, 4. Aufl. 1975, Band I, S. 108 ff.; OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, 4. Aufl. 1987, Band II/1, S. 70 Rz. 223; STARK, Ausservertragliches Haftpflichtrecht, 2. Aufl. 1988, S. 54/5 Rz. 218 ff.; BREHM, N 132 ff. zu Art. 41 OR; DESCHENAUX/TERCIER, La responsabilité civile, 2e éd. 1982, S. 63 ff. Rz. 60 ff.).
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c) Ihr Fehlverhalten gereicht den Eltern ohne Zweifel zum Verschulden. Dennoch wird dadurch das nicht leicht zu nehmende Fehlverhalten des Beklagten oder seiner Hilfsperson nicht derart verdrängt, dass es nach der Sachverhaltshypothese des Obergerichts ![]() | 18 |
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