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36. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) gegen A. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
2C_240/2017 vom 18. September 2018 | |
Regeste |
Art. 62 ff., insb. 67 OR; Art. 6 Abs. 1, 27 Abs. 2 und 42 Abs. 1 MWSTG 2009; Art. 68 ff. RTVG 2006; Möglichkeit und zeitliche Schranken des Rechts der leistungsempfangenden Person, eine zwar nicht rechtsgrundlos, aber rechtswidrig auf sie überwälzte Mehrwertsteuer zurückzufordern (hier: Mehrwertsteuer auf der rundfunkrechtlichen Empfangsgebühr nach dem Recht von 2006). |
Art. 62 ff. OR gelten als allgemeiner Rechtsgrundsatz auch im öffentlichen Recht (E. 3.1). |
Art. 27 Abs. 2 MWSTG 2009 bildet ein Hilfssteuerobjekt und kodifiziert das Prinzip "impôt facturé = impôt dû" (E. 3.2). |
Die vom BAKOM abgerechnete und dem Gebührenpflichtigen überwälzte Mehrwertsteuer ist daher nicht rechtsgrundlos erfolgt. Nach BGE 141 II 182 musste dem BAKOM aber klar sein, dass die Empfangsgebühr bisher bundesrechtswidrig besteuert worden war, weshalb es die ESTV um Rückerstattung hätte ersuchen können (Art. 27 Abs. 2 MWSTG). Aufgrund der reflexweisen Wirkung dieser Norm ist die gebührenpflichtige Person berechtigt, vom BAKOM die Erstattung der Mehrwertsteuer zu verlangen (E. 3.3). |
Die in der Abrechnungsbeziehung herrschende mehrwertsteuerliche Verjährungsfrist von fünf Jahren gilt analog auch in der Überwälzungsbeziehung, wobei der Anspruch auf Rückerstattung hier zusätzlich der einjährigen Frist (Art. 67 OR) unterliegt (E. 3.4). | |
Sachverhalt | |
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In BGE 140 II 80 erwog das Bundesgericht hauptsächlich, im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Verhältnisses zwischen der Erhebungsstelle für Radio- und Fernsehempfangsgebühren und den Gebührenpflichtigen müsse entgegen dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 2 MWSTG 2009 auch über die damit verbundenen Mehrwertsteuerfragen im dafür vorgesehenen öffentlich-rechtlichen Verfahren entschieden werden.
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In BGE 141 II 182 erkannte das Bundesgericht, Streitgegenstand sei einzig die Mehrwertsteuer für die Zeit vom 1. Juni 2011 bis zum 31. Mai 2013, nicht aber die Frage einer Rückerstattung der zuvor geleisteten Zahlungen. Auf den Antrag auf Rückerstattung sei daher nicht einzutreten. Im Übrigen hiess es die Beschwerde gut und hob es das angefochtene Urteil auf, da die rundfunkrechtliche Empfangsgebühr keiner objektiven Mehrwertsteuerpflicht unterstehe.
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B. Mit Schreiben vom 9. Juli 2015 ersuchte der Gebührenpflichtige die Billag AG um Rückerstattung der von ihm ab Ende Januar 2007 auf der rundfunkrechtlichen Empfangsgebühr bezahlten Mehrwertsteuer. Diese betrug insgesamt Fr. 45.35 nebst Zins. Mit Verfügung vom 30. Oktober 2015 wies die Billag AG das Begehren ab. Dagegen erhob der Gebührenpflichtige am 30. November 2015 Beschwerde an das BAKOM, welches das Rechtsmittel als Sprungbeschwerde an das Bundesverwaltungsgericht weiterleitete. Mit Urteil A-7678/2015 vom 25. Januar 2017 hiess dieses die Beschwerde gut. ![]() | 4 |
Das Bundesverwaltungsgericht prüfte im Wesentlichen, ob im streitbetroffenen Zeitraum zwischen dem BAKOM und dem Gebührenpflichtigen ein mehrwertsteuerlicher Leistungsaustausch vorgelegen habe. Es verneinte dies mit Blick auf BGE 141 II 182 und schloss, dass das BAKOM nicht verpflichtet gewesen wäre, Mehrwertsteuern zu erheben (E. 8.2). Entsprechend habe es an einem Rechtsgrund gefehlt, die Mehrwertsteuern auf den Gebührenpflichtigen zu überwälzen. Folglich habe dieser die streitbetroffenen Mehrwertsteuern von Fr. 45.35 ohne Rechtsgrund erbracht (E. 8.3). Der Gebührenpflichtige habe Vertrauen in die Rechnungstellung haben dürfen, weshalb von ihm nicht zu verlangen sei, dass er sich über die Schuldpflicht im Irrtum befunden habe (Art. 63 OR; E. 9.1).
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Die vom BAKOM vorgebrachte Entreicherungseinrede (Art. 64 OR) greife zu kurz. Das BAKOM als Verwaltungseinheit der zentralen Bundesverwaltung könne nicht mit Recht geltend machen, der Bund sei nicht bereichert worden (E. 9.2). Eine Verjährungseinrede seitens des BAKOM sei unterblieben (Art. 67 OR; E. 9.3). Entsprechend sei das BAKOM gehalten, dem Gebührenpflichtigen den streitbetroffenen Betrag von Fr. 45.35 zu erstatten (E. 10), und dies unter Zinsfolgen (E. 11).
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C. Das UVEK, vertreten durch das BAKOM, erhebt mit Eingabe vom 24. Februar 2017 beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Es beantragt, das Urteil A-7678/2015 vom 25. Januar 2017 sei aufzuheben und die Verfügung der Billag AG vom 30. Oktober 2015 zu bestätigen. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut. Das Urteil A-7678/2015 des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Januar 2017 wird bezüglich des Zeitraums bis und mit dem 31. Dezember 2009 aufgehoben, im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. Das BAKOM hat dem Beschwerdegegner die von diesem seit dem 1. Januar 2010 entrichteten Mehrwertsteuern zu erstatten.
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(Zusammenfassung)
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Erwägung 2 | |
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Erwägung 2.2 | |
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2.2.2 Das zweite Verhältnis ordnet die Beziehung zwischen der mehrwertsteuerpflichtigen Person (hier: BAKOM) und der leistungsempfangenden Person (hier: Gebührenpflichtiger), auf welche die Steuer (gegebenenfalls) überwälzt wird (Art. 1 Abs. 3 lit. c MWSTG 2009). Dieses Verhältnis stellt sich als Überwälzungsbeziehung dar. ![]() | 11 |
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2.3 Streitig und zu prüfen ist nach dem Gesagten ausschliesslich die Überwälzungsbeziehung zwischen dem BAKOM und dem Gebührenpflichtigen. Die Abrechnungsbeziehung (und eine etwaige Rückerstattung im Verhältnis zwischen ESTV und BAKOM) liegt im vorliegenden Verfahren ausserhalb des Streitgegenstandes. Konkret ist der Frage nachzugehen, ob der Gebührenpflichtige einen Anspruch gegenüber dem BAKOM auf Rückerstattung der von diesem auf ihn überwälzten Mehrwertsteuern hat. Er beansprucht die Rückerstattung der Mehrwertsteuer für den Zeitraum vom 1. Januar 2007 (richtig wohl: 1. April 2007) bis zum 30. Mai 2011, ausmachend ![]() | 13 |
Erwägung 3 | |
3.1 Die Vorinstanz begründet ihren Entscheid im Wesentlichen damit, dass die streitbetroffenen Zahlungen (Mehrwertsteuern über mehrere Perioden von insgesamt Fr. 45.35) rechtsgrundlos erbracht worden seien. Wie sie insoweit zutreffend ausführt, gilt auch im allgemeinen Verwaltungsrecht - analog zu den privatrechtlichen Regeln über die ungerechtfertigte Bereicherung (Art. 62 ff. OR) - als allgemeiner Rechtsgrundsatz, dass die aus einem nicht verwirklichten oder nachträglich weggefallenen Grund erfolgten Zuwendungen bzw. rechtsgrundlos erbrachten Leistungen von der öffentlichen Hand zurückzuerstatten sind (BGE 139 V 82 E. 3.3.2 S. 86 f.; BGE 138 V 426 E. 5.1 S. 430 f.; BGE 135 II 274 E. 3.1 S. 276). Als ungerechtfertigt erweisen sich namentlich Leistungen, auf welche die öffentliche Hand materiell-rechtlich keinen Anspruch hat (BGE 124 II 570 E. 4b S. 578 f.; BGE 98 V 274 E. I.2 S. 275 f.). Demgegenüber ist eine Zahlung insbesondere dann nicht rechtsgrundlos erbracht, wenn sie zum einen aufgrund einer zwar materiell-rechtlich unzutreffenden, aber rechtskräftigen Verfügung erfolgt ist und zum andern kein Grund besteht, auf diese Verfügung zurückzukommen (BGE 143 II 37 E. 6.3.1 S. 47 f.; BGE 141 II 447 E. 8.5.1; BGE 135 II 274 E. 3.1 S. 276 f.; BGE 124 II 570 E. 4c S. 579; BGE 111 V 329 E. 1 S. 332).
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Erwägung 3.2 | |
3.2.1 Diese Grundsätze gelten praxisgemäss auch im Bereich der Rückerstattung zu Unrecht bezahlter Mehrwertsteuern. Dabei bestehen jedoch Besonderheiten, die sich hauptsächlich aus dem für die Mehrwertsteuer typischen Selbstveranlagungsprinzip ergeben (BGE 143 II 646 E. 2.2.1 S. 650). Diese Eigenheiten haben sich im gefestigten Grundsatz " impôt facturé = impôt dû " niedergeschlagen. Das Prinzip gilt namentlich auch, falls die Steuer fälschlicherweise oder durch eine nicht mehrwertsteuerpflichtige Person fakturiert wurde (dazu unter anderem Urteil 2A.546/2000 vom 31. Mai 2002 E. 5b, in: ASA 72 S. 727, zu Art. 28 Abs. 4 der Verordnung vom 22. Juni 1994 über die Mehrwertsteuer [MWSTV 1994; AS 1994 1464]; BGE 131 II 185 E. 5 S. 190 und Urteil 2C_334/2014 vom 9. Juli 2015 E. 3.5.2, in: ASA 84 S. 252, StR 70/2015 S. 775 zu ![]() | 15 |
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"1 Wer nicht im Register der steuerpflichtigen Personen eingetragen ist oder wer das Meldeverfahren nach Art. 38 anwendet, darf in Rechnungen nicht auf die Steuer hinweisen.
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2 Wer in einer Rechnung eine Steuer ausweist, obwohl er zu deren Ausweis nicht berechtigt ist, oder wer für eine Leistung eine zu hohe Steuer ausweist, schuldet die ausgewiesene Steuer, es sei denn:
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a. es erfolgt eine Korrektur der Rechnung nach Abs. 4; oder
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b. er oder sie weist nach, dass dem Bund kein Steuerausfall entstanden ist; kein Steuerausfall entsteht namentlich, wenn der Rechnungsempfänger oder die Rechnungsempfängerin keinen Vorsteuerabzug vorgenommen hat oder die geltend gemachte Vorsteuer dem Bund zurückerstattet worden ist.
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3 Die Rechtsfolgen von Abs. 2 treten auch bei Gutschriften ein, soweit der Gutschriftsempfänger oder die Gutschriftsempfängerin einem zu hohen Steuerbetrag nicht schriftlich widerspricht.
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4 Die nachträgliche Korrektur einer Rechnung kann innerhalb des handelsrechtlich Zulässigen durch ein empfangsbedürftiges Dokument erfolgen, das auf die ursprüngliche Rechnung verweist und diese widerruft."
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3.2.3 Aus dem insoweit klaren Wortlaut von Art. 27 Abs. 2 MWSTG 2009 ergibt sich ohne Weiteres, dass die Norm grammatikalisch auf die Abrechnungsbeziehung zwischen der mehrwertsteuerpflichtigen Person (hier: BAKOM) und der Eidgenössischen ![]() | 23 |
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3.2.5 Die fakturierende Person hat gegenüber der ESTV über die ausgewiesene Steuer abzurechnen, weil die Rechnung oder Gutschrift eine unberechtigte oder überhöhte Steuer ausweist und dies eine abstrakte Gefährdung des Steuersubstrats bewirkt (formelle ![]() | 25 |
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Erwägung 3.3 | |
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3.3.2 Es fragt sich, ob die Zahlungen rechtsgrundlos erfolgt seien, sodass ein Rückerstattungsanspruch aufgrund rechtsgrundloser Bezahlung (Art. 62 ff. OR per analogiam ) infrage kommen könnte (vorne E. 3.1). Auszugehen ist zunächst davon, dass im streitbetrofenen Zeitraum für die Erhebung der rundfunkrechtlichen Empfangsgebühr eine hinreichende gesetzliche Grundlage bestand (Art. 68 ff. RTVG ![]() | 28 |
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3.3.4 Wenngleich ein qualifizierender mehrwertsteuerlicher Leistungsaustausch fehlte (Art. 5 ff. MWSTG 1999 bzw. Art. 1 Abs. 2 lit. a in Verbindung mit Art. 18 ff. MWSTG 2009) und daher kein "Hauptsteuerobjekt" vorliegen konnte (vorne E. 2.1), bestand aufgrund des unrichtigen oder unberechtigten Steuerausweises ein ![]() | 30 |
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Erwägung 3.4 | |
3.4.1 Nach dem Gesagten ist das Begehren des Gebührenpflichtigen um Erstattung der Mehrwertsteuer (Fr. 45.35 nebst Verzugszins) ![]() | 34 |
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3.4.4 Von der Verjährung in der Abrechnungsbeziehung zwischen dem BAKOM und der ESTV, welche die Rückerstattung insoweit ![]() | 37 |
3.4.5 Vorliegend ist über die Abgabeperioden vom 1. Juni 2011 bis zum 31. Mai 2013 bereits rechtskräftig entschieden worden (BGE 141 II 182). Darauf ist nicht zurückzukommen, zumal der Gebührenpflichtige in dieser Zeit die Mehrwertsteuer ohnehin nicht (mehr) entrichtet hatte. Streitig ist der Zeitraum von Ende April 2007 bis Ende Mai 2011, wobei sich zeigt, dass alle Ansprüche, die den Zeitraum vor dem 1. Januar 2010 betreffen, verjährt sind. Zusammenfassend hat der Gebührenpflichtige gegenüber dem BAKOM einen Anspruch pro rata temporis auf Erstattung der Mehrwertsteuer für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis und mit dem 30. Mai 2011. In diesem zeitlichen Umfang ist der vorinstanzlichen Sichtweise im Ergebnis zu folgen und die Beschwerde des UVEK unbegründet. Soweit weitergehend, ist sie gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben.
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