BGE 124 IV 86 | |||
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15. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 6. März 1998 i.S. V. gegen Staatsanwaltschaft und Obergericht des Kantons Aargau (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 19 Ziff. 2 lit. b BetmG und Art. 4 BV: Begriff der Bande; verfassungsrechtliche Anforderungen an die Feststellung des Vorsatzes bandenmässiger Tatbegehung. |
Zwei Personen genügen, um eine Bande zu bilden (E. 2b; Bestätigung der Rechtsprechung). Für den Begriff der "Bande" ist aber weniger auf die Zahl der Mitglieder als auf den Organisationsgrad und die Intensität der Zusammenarbeit der Täter abzustellen (E. 2b; Weiterentwicklung der Rechtsprechung). |
Die Bejahung des Vorsatzes bandenmässiger Tatbegehung trotz gewichtiger Gegenindizien allein gestützt auf den Umstand, dass zwei Täter mehrere Delikte gemeinsam verübt haben, ist willkürlich und verletzt den Grundsatz "in dubio pro reo" (E. 2c). | |
Sachverhalt | |
V. wird unter anderem vorgeworfen, in der Zeit zwischen März und Juli 1996 in Zürich, Olten und Lenzburg insgesamt ungefähr 240 Gramm Haschisch an verschiedene Abnehmer verkauft zu haben. Ab Juni 1996 habe ihm L. beim Wägen, Portionieren und Verpacken des Haschischs geholfen, Haschischgeschäfte vermittelt und Haschisch und Drogengelder für ihn transportiert. In der Nacht vom 18./19. Juli 1996 habe sich V. zusammen mit L. nach Zürich begeben, um dort zwischen 3 und 3,5 kg Haschisch für den Weiterverkauf zu erstehen. Bei ihrer Ankunft in Zürich habe V. L. für den Drogenkauf bestimmtes Bargeld in der Höhe von Fr. 13'500.-- zum Aufbewahren übergeben.
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Am 23. Januar 1997 sprach das Bezirksgericht Laufenburg V. der mehrfachen Widerhandlung gegen Art. 19 Ziff. 1 al. 2 bis 6 teilweise i.V.m. Art. 19 Ziff. 2 lit. b des Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe (BetmG; SR 812.121), der mehrfachen Widerhandlung gegen Art. 19a Ziff. 1 BetmG sowie verschiedener weiterer Delikte schuldig und verurteilte ihn - teilweise als Zusatzstrafe zu einem früheren Urteil - zu einer Zuchthausstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten sowie zu einer Busse von Fr. 3'000.--.
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Eine Berufung des Verurteilten wies das Obergericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 13. November 1997 ab.
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V. führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts aufzuheben, soweit es dem Grundsatz "in dubio pro reo" widerspreche.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut
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aus folgenden Erwägungen: | |
2. a) Gemäss der aus Art. 4 BV fliessenden und in Art. 6 Ziff. 2 EMRK verankerten Maxime "in dubio pro reo" ist bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld zu vermuten, dass der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist (BGE 120 Ia 31 E. 2b S. 35).
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Als Beweiswürdigungsregel besagt die Maxime, dass sich der Strafrichter nicht von der Existenz eines für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalts überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Die Beweiswürdigungsregel ist verletzt, wenn der Strafrichter an der Schuld des Angeklagten hätte zweifeln müssen. Dabei sind bloss abstrakte und theoretische Zweifel nicht massgebend, weil solche immer möglich sind und absolute Gewissheit nicht verlangt werden kann. Es muss sich um erhebliche und nicht zu unterdrükkende Zweifel handeln, d.h. um solche, die sich nach der objektiven Sachlage aufdrängen (BGE 120 Ia 31 E. 2c S. 37). Bei der Beurteilung von Fragen der Beweiswürdigung beschränkt sich das Bundesgericht auf eine Willkürprüfung. Es kann demnach nur eingreifen, wenn der Sachrichter den Angeklagten verurteilte, obgleich bei objektiver Würdigung des ganzen Beweisergebnisses offensichtlich erhebliche und schlechterdings nicht zu unterdrückende Zweifel an dessen Schuld fortbestanden (BGE 120 Ia 31 E. 2d S. 38). Willkür liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtes vor, wenn der angefochtene kantonale Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 123 I 1 E. 4a S. 5; BGE 121 I 113 E. 3a S. 114, je mit Hinweisen). Eine materielle Rechtsverweigerung ist nicht schon dann gegeben, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erschiene, sondern nur dann, wenn das Ergebnis schlechterdings mit vernünftigen Gründen nicht zu vertreten ist (BGE 123 I 1 E. 4a S. 5; BGE 120 Ia 31 E. 4b S. 40; BGE 117 Ia 97 E. 4b S. 106, 135 E. 2c S. 139).
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b) Nach der Rechtsprechung ist Bandenmässigkeit gegeben, wenn zwei oder mehrere Täter sich mit dem ausdrücklich oder konkludent geäusserten Willen zusammenfinden, inskünftig zur Verübung mehrerer selbständiger, im einzelnen möglicherweise noch unbestimmter Straftaten zusammenzuwirken (BGE 122 IV 265 E. 2b mit Hinweisen). Es macht hierbei keinen Unterschied, ob zwei oder mehr Täter vorhanden sind; entscheidend ist einzig der ausdrücklich oder konkludent manifestierte Wille, inskünftig zur Verübung mehrerer selbständiger, im einzelnen noch unbestimmter Straftaten zusammenzuwirken, und dieser Zusammenschluss (auch nur zweier Personen) ist es, der den einzelnen psychisch und physisch stärkt, ihn deshalb besonders gefährlich macht und die Begehung von weiteren solchen Straftaten voraussehen lässt (BGE 83 IV 142 E. 5; BGE 78 IV 227 S. 233 E. 2 mit Hinweis). Diese Rechtsprechung ist in der Literatur auf Kritik gestossen (vgl. die Hinweise in BGE 120 IV 318 sowie OLIVIER PECORINI, Le brigandage et l'extorsion par brigandage d'une chose mobilière en droit pénal suisse, Diss. Lausanne 1995, S. 147/148). In einem nicht publizierten Entscheid vom 25. April 1997 hat das Bundesgericht diese Kritik aufgegriffen und sich gefragt, ob für den Begriff der Bande weniger auf die Zahl der Beteiligten und stattdessen mehr auf den Organisationsgrad und die Intensität der Zusammenarbeit der Täter abgestellt werden sollte. Bei dieser Betrachtungsweise würde der Umstand, dass sich "nur" zwei Personen zur fortgesetzten Begehung von Straftaten zusammengefunden haben, eine bandenmässige Tatbegehung nicht ausschliessen, wenn nur gewisse Mindestansätze einer Organisation (etwa einer Rollen- oder Arbeitsteilung) und die Intensität des Zusammenwirkens ein derartiges Ausmass erreichten, dass von einem bis zu einem gewissen Grade fest verbundenen und stabilen Team gesprochen werden kann, auch wenn dieses allenfalls nur kurzlebig war. Ist demgegenüber schon die Zusammenarbeit derart lokker, dass von Anfang an nur ein sehr loser und damit völlig unbeständiger Zusammenhalt besteht, läge keine Bande vor. Im beurteilten Fall hatte die Vorinstanz auch bei einer derartigen Umschreibung des Bandenbegriffs zutreffend eine bandenmässige Tatbegehung bejaht.
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Für die Bejahung des Vorsatzes ist wesentlich, ob der Täter die Tatsachen kannte und wollte, aus denen das Gericht den rechtlichen Schluss auf bandenmässige Tatbegehung zieht (BGE 122 IV 265 E. 2b; BGE 105 IV 181 E. 4b). Bandenmässigkeit ist erst anzunehmen, wenn der Wille der Täter auf die gemeinsame Verübung einer Mehrzahl von Delikten gerichtet ist.
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c) aa) Das Obergericht bejaht die subjektiven Voraussetzungen bandenmässiger Tatbegehung im wesentlichen gestützt auf die Aussagen des Beschwerdeführers im Schlussverhör vor dem Bezirksamt Brugg. Auf entsprechende Frage hin legte V. dar, dass er L. vor allem mitgenommen habe, um die zu verkaufenden Betäubungsmittel schneller "an den Mann" zu bringen und um das Risiko zu verringern, von der Polizei mit Drogen und grösseren Mengen Bargeld aufgegriffen zu werden.
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bb) Aus den Akten ergibt sich, dass der Beschwerdeführer vor seiner Verhaftung über längere Zeit hinweg Drogendelikte zum Teil allein, aber auch zu zweit und einmal zu dritt mit jeweils wechselnden Partnern beging. An der Verhandlung des Bezirksgerichts Laufenburg vom 23. Januar 1997 standen nebst dem Beschwerdeführer G., S. und M. als Mitangeklagte vor Gericht. Dem Protokoll ihrer Befragung ist zu entnehmen, dass sie sich bei der Begehung der Delikte mit V. gegenseitig aushalfen, Betäubungsmittel füreinander bei sich aufbewahrten und versteckten sowie ganz allgemein miteinander "geschäfteten". Das Obergericht sprach den Beschwerdeführer einzig in bezug auf die mit L. begangenen Delikte der bandenmässigen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig. Demgegenüber verneinte das Bezirksgericht Brugg im Verfahren gegen L. die Qualifikation der Bandenmässigkeit.
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Der Beschwerdeführer begründet sein mehrfaches Zusammenwirken mit L. bei der Begehung von Drogendelikten im wesentlichen damit, dass dieser anlässlich ihrer mehr oder weniger zufälligen Begegnungen nichts zu tun gehabt habe. Deshalb habe er L. bei drei Gelegenheiten spontan gefragt, ob er ihm bei der Verwirklichung der jeweils schon geplanten Drogendelikte zur Hand gehen wolle. Bereits anlässlich seiner polizeilichen Befragung vom 19. Juli 1996 sagte der Beschwerdeführer zur Frage, wo er L. vor ihrer gemeinsamen Fahrt nach Zürich getroffen habe, folgendes aus: "Diesen traf ich, als ich bei ihm zu Hause die Wohnung strich. Danach fragte ich ihn, ob er etwas Geld verdienen möchte. Da er dazu nicht abgeneigt war, nahm ich ihn mit auf die Baustelle in Wohlen. Dort half er mir". Das Abhörungsprotokoll vom darauffolgenden Tag, 20. Juli 1996, enthält zur Absicht, nach Zürich zu fahren, folgende Aussage: "Als ich bei der Familie L. am 18.7.1996 die Wohnung strich, war L. auch dort. Dieser half beim Streichen. Dabei habe ich ihn gefragt, ob er mit mir nach Zürich käme, um Haschisch zu kaufen. Er erklärte sich dazu bereit. Vorerst mussten wir jedoch nach Wohlen fahren und dort zwei Balkone streichen". L. bestätigte vor der Polizei und dem Bezirksamt, dass er V. in erster Linie aus Langeweile und Gefälligkeit bei seinen Drogengeschäften zur Hand gegangen sei; finanziell habe er kaum profitiert.
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cc) Die widerspruchsfreien Aussagen des Beschwerdeführers und von L. weisen darauf hin, dass V. L. bei drei zufälligen Begegnungen spontan einlud, sich ihm anzuschliessen, um ein jeweils bereits vorher für sich selbst geplantes Drogendelikt gemeinsam zu verüben, und L. im wesentlichen aus Langeweile und Gefälligkeit zusagte. Den Akten lässt sich hingegen nichts entnehmen, woraus geschlossen werden könnte, dass sich die beiden zu irgend einem Zeitpunkt willentlich zusammengefunden haben, um inskünftig mehrere selbständige Delikte zu verüben. Auch ist nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer die für die Annahme einer bandenmässigen Deliktsbegehung notwendige Intensität des Zusammenwirkens als Tätergespann gewollt habe; der Umstand allein, dass zwei Mittäter mehrere Straftaten begehen und sich jeweils von ihrem Zusammenwirken gewisse Vorteile versprechen, vermag einen derartigen Vorsatz jedenfalls nicht zwingend zu indizieren.
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dd) Das Obergericht hat den Vorsatz des Beschwerdeführers zur bandenmässigen Tatbegehung mit L. bejaht, ohne sich mit den oben (E. 2c/bb) wiedergegebenen Aussagen des Beschwerdeführers und von L. auseinanderzusetzen und ohne sich zu fragen, ob ihrem Zusammenwirken im Vergleich zu demjenigen des Beschwerdeführers mit Mittätern in weiteren Anklagepunkten ein anderer Wille zugrunde lag. Da das Bezirksgericht Brugg beim Mittäter L. Bandenmässigkeit verneint hatte, hätten sich dem Obergericht insbesondere auch im Lichte der gesamten Tatumstände und der bei den Akten liegenden Aussagen des Beschwerdeführers und seiner Mittäter nicht zu unterdrückende Zweifel jedenfalls darüber aufdrängen müssen, ob der Wille des Beschwerdeführers auf die Realisierung aller tatbestandsrelevanten Umstände gerichtet war. Indem das Obergericht Bandenmässigkeit bejahte, obwohl es bei objektiver Betrachtung an der Schuld des Beschwerdeführers hätte zweifeln müssen, ist es in Willkür verfallen und hat es den Grundsatz "in dubio pro reo" verletzt.
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