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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
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1. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung |
vom 3. Februar 1997 |
i.S. X. gegen Erziehungsdirektion und Verwaltungsgericht des Kantons Bern |
(staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 4 Abs. 1 BV, Art. 27 Abs. 2 BV; Lehrerbesoldung; Gesetzmässigkeitsprinzip; Rechtsgleichheit; Verhältnismässigkeitsprinzip. |
Bedeutung und Geltendmachung des Grundsatzes der Gesetzmässigkeit der Verwaltung (E. 2). |
Bestimmtheitsgebot für Besoldungsregelungen im öffentlichen Dienstrecht (E. 4). |
Ein mit der unterschiedlichen Vorbildung von Logopädinnen (Matura bzw. Lehrerpatent) begründeter Besoldungsunterschied von 8-9% verstösst nicht gegen Art. 4 Abs. 1 BV (E. 6). |
Auf Art. 27 Abs. 2 BV können sich die Schüler bzw. ihre Eltern berufen, aber nicht die Lehrer (E. 9). |
Das Verhältnismässigkeitsprinzip ist kein selbständiges verfassungsmässiges Recht (E. 10). | |
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X. ist diplomierte Logopädin mit Vorbildung Matura. Sie wurde per 1. April 1978 definitiv an die Primarschule W. gewählt, wo sie seither Sprachheilunterricht erteilt. Ihre Besoldung setzt sich zusammen aus 90% der Grundbesoldung für Primarlehrer und einer Zulage für Spezialunterricht. Logopäden, welche vor ihrer logopädischen Ausbildung eine Primarlehrerausbildung absolviert haben, erhalten demgegenüber die volle Grundbesoldung für Primarlehrer und die Zulage für Spezialunterricht.
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Mit Eingabe vom 26. August 1993 gelangte X. an das Personalamt des Kantons Bern; sie führte aus, die zehnprozentige Kürzung des Grundlohnes lasse sich nicht auf die geltende Gesetzgebung abstützen. Sie ersuchte um entsprechende Erhöhung der Grundbesoldung und rückwirkende Nachzahlung des unrechtmässig abgezogenen Differenzbetrages für die letzten fünf Jahre. Das Amt für Finanzen und Administration der Erziehungsdirektion und auf Rekurs hin die Erziehungsdirektion des Kantons Bern wiesen das Begehren ab. X. erhob dagegen Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, welches diese mit Urteil vom 13. November 1995, zugestellt am 24. November 1995, abwies.
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X. erhebt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, den Entscheid des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Erziehungsdirektion anzuweisen, den zehnprozentigen Abzug vom Grundlohn ab sofort zu streichen und den Differenzbetrag für die letzten fünf Jahre nachzubezahlen. Sie rügt eine Verletzung des Grundsatzes der Gesetzmässigkeit der Verwaltung, der Rechtsgleichheit, des Willkürverbots, des rechtlichen Gehörs, von Art. 27 Abs. 2 BV sowie des Verhältnismässigkeitsprinzips. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf einzutreten ist. ![]() | 3 |
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Aus den Erwägungen:
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Erwägung 2 | |
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"Art. 15 Besoldungen
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1 Lehrer, welche an Kleinklassen A B oder C unterrichten, erhalten eine Zulage zur Primarlehrergrundbesoldung gemäss Lehrerbesoldungsgesetz.
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2 Der Spezialunterricht wird in der Regel ebenfalls nach den Besoldungsbestimmungen für die Primarlehrerschaft im Verhältnis zur Stundenzahl besoldet.
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3 Für Ausnahmefälle nach Absatz 2 und Artikel 9 Absatz 2 werden die Besoldung und eine allfällige Zulage von der Erziehungsdirektion festgesetzt. Im Streitfall trifft das Personalamt eine Verfügung."
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Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts findet dieses Dekret eine formellgesetzliche Grundlage in Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes vom 1. Juli 1973 über die Lehrerbesoldungen (LBG). Diese Bestimmung lautet wie folgt:
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"Art. 5 Nähere Regelungen der Besoldungen, der Zulagen und der Entschädigungen
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1 Der Grosse Rat legt die Besoldungen und Zulagen gemäss Art. 4 Absätze 1 und 2 sowie die Dienstaltersgeschenke durch Dekret fest. Den Besoldungszuschlägen soll die Funktion zukommen, der Lehrerschaft einen angemessenen finanziellen Aufstieg zu ermöglichen."
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b) Das Legalitätsprinzip besagt, dass ein staatlicher Akt sich auf eine materiellgesetzliche Grundlage stützen muss, die hinreichend bestimmt und vom staatsrechtlich hiefür zuständigen Organ erlassen worden ist. Es dient damit einerseits dem demokratischen Anliegen der Sicherung der staatsrechtlichen Zuständigkeitsordnung, andererseits dem rechtsstaatlichen Anliegen der Rechtsgleichheit, Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit des staatlichen ![]() ![]() | 14 |
c) Die Rüge, die gesetzliche Grundlage für die zehnprozentige Kürzung der Grundbesoldung fehle bzw. sei zu wenig bestimmt, ist somit vorliegend insoweit mit freier Kognition zu prüfen, als eine Verletzung verfassungsmässiger Zuständigkeitsregeln gerügt wird, im übrigen aber nur auf ihre Vereinbarkeit mit dem Willkürverbot und der Rechtsgleichheit, da keine Verletzung eines speziellen Grundrechts geltend gemacht wird (BGE 121 I 22 E. 3a S. 25). ![]() | 15 |
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(E. 3b-e: Die Kürzung der Besoldung verstösst nicht gegen Art. 26 Ziff. 14 oder Art. 27 aKV/BE).
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Erwägung 4 | |
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b) Das Legalitätsprinzip verlangt, dass die angewendeten Rechtssätze eine angemessene Bestimmtheit aufweisen müssen (BGE 113 Ib 60 E. 3b S. 63 f.; DUBS, a.a.O., S. 225; RENÉ RHINOW/BEAT KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, Basel 1990, S. 192). Das Gebot der Bestimmtheit kann nicht in absoluter Weise verstanden werden. Der Gesetzgeber kann nicht darauf verzichten, allgemeine Begriffe zu verwenden. Es ist unvermeidlich, dass viele Rechtssätze mehr oder minder vage Begriffe enthalten, deren Auslegung und Anwendung der Praxis überlassen werden muss (BGE 117 Ia 472 E. 3e S. 479 f.). Der Grad der erforderlichen Bestimmtheit lässt sich nicht abstrakt festlegen. Eine besondere Bedeutung hat die ![]() ![]() | 21 |
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d) Vorliegend wird die Differenzierung der Besoldung nicht auf einzelfallrelevante Kriterien wie die individuellen Leistungen oder Fähigkeiten abgestützt. Vielmehr werden sämtliche Logopäden mit Matura als Vorbildung schlechter entlöhnt als diejenigen mit einem Lehrerpatent, was offenbar eine grössere Zahl von Personen betrifft. Eine rechtssatzmässige Regelung wäre somit ohne weiteres möglich und im Interesse der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit auch erwünscht. Umgekehrt wird aber durch die Besoldungsregelung ![]() ![]() | 23 |
Erwägung 6 | |
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a) Eine Regelung verletzt den Grundsatz der Rechtsgleichheit und damit Art. 4 Abs. 1 BV, wenn sie rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich ist, oder Unterscheidungen unterlässt, die sich aufgrund der Verhältnisse aufdrängen. Die Rechtsgleichheit ist verletzt, wenn Gleiches nicht nach Massgabe seiner Gleichheit gleich oder Ungleiches nicht nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich behandelt wird. Vorausgesetzt ist, dass sich der unbegründete Unterschied oder die unbegründete Gleichstellung auf eine wesentliche Tatsache bezieht. Die Frage, ob für eine rechtliche Unterscheidung ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen ersichtlich ist, kann zu verschiedenen Zeiten verschieden beantwortet werden je nach den herrschenden Anschauungen und Zeitverhältnissen. Dem Gesetzgeber bleibt im Rahmen dieser Grundsätze und des Willkürverbots ein weiter Spielraum der Gestaltungsfreiheit (BGE 121 I 102 E. 4a S. 104, mit Hinweisen). Das Bundesgericht übt eine gewisse Zurückhaltung und greift von Verfassungs wegen bloss ein, ![]() ![]() | 25 |
b) Ein grosser Ermessensspielraum der kantonalen Behörden besteht in besonderem Masse in Organisations- und Besoldungsfragen (BGE 121 I 49 E. 3b S. 51, 102 E. 4a S. 104). Eine besondere Zurückhaltung des Verfassungsrichters drängt sich hier um so mehr auf, als es nicht nur um einen Vergleich zwischen zwei Kategorien von Berechtigten, sondern um das ganze Besoldungssystem geht; der Gesetzgeber oder Verfassungsrichter läuft daher stets Gefahr, neue Ungleichheiten zu schaffen, wenn er im Hinblick auf zwei Kategorien von Bediensteten Gleichheit erzielen will (vgl. BGE 120 Ia 329 E. 3 S. 333). Anders verhält es sich nur im Falle einer geschlechterbedingten Ungleichheit der Besoldung, wo gemäss Art. 4 Abs. 2 Satz 3 BV der Richter eine unbegründete Ungleichbehandlung ungeachtet der Auswirkungen auf das Besoldungssystem aufhebt (BGE 117 Ia 262 E. 3c S. 267). Vorliegend wird jedoch nicht eine Verletzung von Art. 4 Abs. 2, sondern nur von Art. 4 Abs. 1 BV gerügt.
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e) Vorliegend beträgt der Besoldungsunterschied zwischen der Beschwerdeführerin und einer Logopädin mit Lehrerpatent 10% der Grundbesoldung. Wird die ganze Besoldung berücksichtigt, so beträgt die Differenz ca. 8-9%, da die Zulage für Sonderunterricht unterschiedslos ausgerichtet wird. Es ist nicht bestritten, dass die Beschwerdeführerin die gleiche Logopädieausbildung genossen hat und die gleiche Aufgabe versieht wie eine Logopädin mit Primarlehrerpatent. Als Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung wird seitens des Kantons einzig die unterschiedliche Vorbildung (Lehrerpatent bzw. Matura) geltend gemacht. Das Verwaltungsgericht führt dazu aus, eine logopädische Lehrkraft mit Vorbildung ![]() ![]() | 29 |
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g) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist für die Beurteilung der Besoldungsdifferenzierung durch den Kanton nicht erheblich, dass nach der Auffassung von logopädischen Ausbildungsstätten oder Berufsverbänden die Logopädie eine medizinische oder therapeutische Massnahme ist. Im Kanton Bern ist die Logopädie als Spezialunterricht zum ordentlichen Schulunterricht in das Schulsystem integriert und wird nicht als medizinische, sondern als schulische Tätigkeit betrachtet. Der Kanton ist zu dieser Regelung kraft seiner Hoheit im Schul- wie im Gesundheitswesen befugt. Demgemäss wäre es auch verfassungsrechtlich zulässig, für den logopädischen Unterricht nur Personen zuzulassen, die über eine Lehrerausbildung verfügen. Wenn der Kanton auch Logopäden anerkennt, die als Vorbildung eine Matura haben, so ist er deshalb nicht verpflichtet, sie besoldungsmässig gleich zu behandeln. Das Bundesgericht hat erkannt, dass Unterschiede in der Ausbildung besoldungsmässig berücksichtigt werden können, wenn eine bessere Ausbildung für die Ausübung einer Funktion von Nutzen ist (BGE 117 Ia 270 E. 4a S. 276). Wird die Logopädie zulässigerweise als Teil der Schule betrachtet, so ist es haltbar, eine Lehrerausbildung als für die Ausübung des Logopädenberufs nützlich zu betrachten und dementsprechend besoldungsmässig zu berücksichtigen. Der Umstand, dass französischsprachige Logopäden offenbar gar nicht anders als über die Matura das Logopädiestudium absolvieren können, ändert daran nichts, da die Kantone nicht verfassungsrechtlich ![]() ![]() | 31 |
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Erwägung 9 | |
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Erwägung 10 | |
10.- Schliesslich rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips.
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Das Verhältnismässigkeitsprinzip ist zwar ein verfassungsmässiges Prinzip, aber kein verfassungsmässiges Recht, dessen Verletzung der einzelne selbständig, ohne Zusammenhang mit der Anrufung eines besonderen Grundrechts, geltend machen kann (ZBl 95/1994 S. 264, E. 2b; ZBl 89/1988 S. 461, E. 2; KÄLIN, a.a.O., S. 69). Die Rüge der Verletzung der Verhältnismässigkeit hat deshalb nebst den bereits behandelten Rügen der Willkür und der Rechtsungleichheit keine selbständige Bedeutung (BGE 102 Ia 69 E. 2 S. 71). ![]() | 37 |
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