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40. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, A. und B. (Nichtigkeitsbeschwerde) |
6S.71/2003 vom 26. August 2003 | |
Regeste |
Art. 181 StGB; Nötigung durch "stalking" (zwanghafte Verfolgung einer Person). |
Widerrechtlichkeit der Einschränkung der Handlungsfreiheit (E. 2.6) sowie vollendete Nötigung (E. 2.7) vorliegend bejaht. | |
Sachverhalt | |
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B.- Das Bezirksgericht Baden wies am 11. April 2000 die gegen X. wegen Drohung und Nötigung erhobene Anklage vom 19. Oktober 1999 zurück. Daraufhin erstattete die Staatsanwaltschaft eine Zusatzanklage. Am 16. Oktober 2001 sprach das Bezirksgericht X. mit der Begründung frei, der Anklagegrundsatz sei nicht eingehalten worden.
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Am 26. März 2002 hob das Obergericht auf Berufung der Staatsanwaltschaft das Urteil vom 16. Oktober 2001 auf und wies die Sache zu materieller Beurteilung an die Vorinstanz zurück.
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Das Bezirksgericht Baden sprach darauf X. am 20. August 2002 von der Anklage der mehrfachen Nötigung frei und verurteilte ihn wegen mehrfacher Drohung zu einer bedingten Gefängnisstrafe von zwei Monaten.
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Auf Berufung des Verurteilten und der Staatsanwaltschaft hin sprach das Obergericht des Kantons Aargau X. am 21. Januar 2003 von der Anklage der Drohung in einem Punkt frei, erkannte ihn jedoch der mehrfachen Nötigung und der mehrfachen Drohung schuldig. Es bestrafte ihn mit vier Monaten Gefängnis und bestätigte im Übrigen das erstinstanzliche Urteil.
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C.- X. erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei im Schuld- und im Strafpunkt aufzuheben.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
2. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 181 StGB. Die einzelnen Handlungen des Beschwerdeführers auf dem Areal des Instituts seien zu Recht nicht als Nötigung qualifiziert worden. Es sei aber mit dem Grundsatz "nulla poena sine lege" nicht vereinbar, ohne besondere Norm zum so genannten stalking die Gesamtheit der begangenen Handlungen als tatbestandsmässig zu taxieren: Eine einzelne rechtmässige Handlung könne nicht durch ![]() | 8 |
2.1 Gemäss Art. 181 StGB wird wegen Nötigung mit Gefängnis oder mit Busse bestraft, wer jemanden durch Gewalt, Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden. Schutzobjekt von Art. 181 StGB ist die Freiheit der Willensbildung und Willensbetätigung des Einzelnen (BGE 129 IV 6 E. 2.1 S. 8). Um dem gesetzlichen und verfassungsmässigen Bestimmtheitsgebot ("nullum crimen sine lege") gerecht zu werden, ist die Tatbestandsvariante der "anderen Beschränkung der Handlungsfreiheit" einschränkend auszulegen. Nicht jeder noch so geringfügige Druck auf die Entscheidungsfreiheit eines andern führt zu einer Bestrafung nach Art. 181 StGB. Vielmehr muss das verwendete Zwangsmittel das üblicherweise geduldete Mass an Beeinflussung in ähnlicher Weise eindeutig überschreiten, wie es für die vom Gesetz ausdrücklich genannte Gewalt und die Androhung ernstlicher Nachteile gilt. Dies ist der Massstab, nach dem sich der Richter bei der gebotenen Konkretisierung der Generalklausel richten kann und richten muss. Die unter die Generalklausel fallenden Nötigungsmittel müssen dem im Gesetz ausdrücklich genannten Nötigungsmittel der Anwendung von Gewalt in ihrer Intensität beziehungsweise Wirkung ähnlich sein und nach der Auslegung des Gewaltbegriffs noch unter diesen subsumiert werden können (BGE 119 IV 301 E. 2a S. 305). Als Nötigung gilt die massive akustische Verhinderung eines öffentlichen Vortrages durch organisiertes und mit Megaphon unterstütztes "Niederschreien". Ebenso hat das Bundesgericht die Bildung eines "Menschenteppichs" und die Sabotage eines Bahnschranken-Mechanismus, die je den Strassenverkehr behinderten, sowie die totale Blockierung des Haupteingangs zu einem Verwaltungsgebäude als Nötigung qualifiziert (vgl. Zusammenfassung der Rechtsprechung des Bundesgerichts in BGE 129 IV 6 E. 2.2 und 2.3 S. 9 f.).
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Unrechtmässig ist eine Nötigung, wenn das Mittel oder der Zweck unerlaubt ist, wenn das Mittel zum erstrebten Zweck nicht im richtigen Verhältnis steht oder wenn die Verknüpfung zwischen einem an sich zulässigen Mittel und einem erlaubten Zweck rechtsmissbräuchlich oder sittenwidrig ist (BGE 129 IV 6 E. 3.4 S. 15 mit Hinweisen). Ob die Beschränkung der Handlungsfreiheit anderer eine rechtswidrige Nötigung ist, hängt somit vom Mass der Beeinträchtigung, von den dazu verwendeten Mitteln bzw. den damit verfolgten ![]() | 10 |
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Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass die Beschränkung der Handlungsfreiheit, die der Tatbestand der Nötigung gemäss Art. 181 StGB erfordert, durch mehrere Einzelakte herbeigeführt wird. Doch setzt dieses Delikt ebenfalls voraus, dass die nötigende Handlung das Opfer zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen zwingt. Der damit bezeichnete Erfolg muss als Resultat eines näher bestimmten nötigenden ![]() | 15 |
Aus den Erwägungen des angefochtenen Entscheids geht freilich hervor, dass sich die Vorinstanz teilweise lediglich ungeschickt ausdrückt und die Handlungen des Beschwerdeführers auch einzeln und nicht nur gesamthaft beurteilt. So erklärt sie, die in der Zusatzanklageschrift vom 19. Oktober 1999 erwähnten E-Mails hätten nicht die für eine Nötigung erforderliche Intensität der Beschränkung der Handlungsfreiheit der Betroffenen erreicht und daher den Tatbestand von Art. 181 StGB nicht erfüllt. Das Gleiche gelte, soweit der Beschwerdeführer A. und B. ausserhalb des Areals des Instituts nachgefahren sei. Demgegenüber qualifiziert die Vorinstanz die übrigen Handlungen des Beschwerdeführers als mehrfache Nötigung, wobei sie diese zwar ebenfalls einzeln feststellt, aber als Gesamtheit würdigt, was wie erwähnt unzutreffend ist. Es ist deshalb zu prüfen, ob und gegebenenfalls welche der Handlungen, welche die Vorinstanz dem Beschwerdeführer noch vorwirft, den Tatbestand der Nötigung erfüllen.
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2.5 Eine einmalige Anwesenheit auf dem Parkplatz des Instituts, ein einmaliges Nachfahren oder eine einmalige kurzfristige Verhinderung an oder Erschwerung der Weiterfahrt würden für sich allein noch keine Beschränkung der Handlungsfreiheit im Sinne von Art. 181 StGB darstellen. Das dem Beschwerdeführer vorgeworfene Verhalten ist jedoch unter Berücksichtigung der gesamten Umstände zu würdigen. Vorliegend verleiht zunächst die Vorgeschichte den fraglichen Handlungen ein besonderes Gewicht. So hat der Beschwerdeführer ![]() | 17 |
Die dargestellten Umstände zeigen, dass die Präsenz des Beschwerdeführers auf dem Areal des Instituts, das Nachfahren und die Behinderung bei der Wegfahrt mit der Zeit eine Intensität annahmen, welche die Handlungsfreiheit von A. und B. erheblich einschränkte. Jedenfalls nach Einreichung der Strafanzeige am 23. April 1999 erschienen die oben genannten Handlungen den Betroffenen als massives Druckmittel, zumal der Beschwerdeführer unmittelbar zuvor auch massive Drohungen geäussert hatte. Die nötigenden Handlungen zeigten auch die beabsichtigten Wirkungen. Wenn die ![]() | 18 |
Jeder Anwesenheit des Beschwerdeführers auf dem Gelände des Instituts und erst recht jeder Behinderung bei der Zu- und Wegfahrt nach dem 23. April 1999 kommt damit nötigender Charakter zu. Die sehr zahlreichen Vorfälle werden von der Vorinstanz nicht alle detailliert, sondern mehr nur zusammenfassend und beispielhaft umschrieben. Es steht jedoch fest, dass der Beschwerdeführer sowohl gegenüber A. als auch B. im Zeitraum von Mai 1999 bis April 2000 in etwas mehr als hundert Fällen gehandelt hat. Auch wenn die einzelnen Taten gleichartig waren und sich stets gegen dieselben Personen richteten, liegt keine Handlungseinheit vor. Im Unterschied zur sog. iterativen Tatbestandsverwirklichung, wie sie bei der Verabreichung einer Tracht Prügel, der Zerstörung einer Sache durch mehrere Schläge oder einer Schimpftirade vorkommt (vgl. ACKERMANN, a.a.O., und eingehend CLAUS ROXIN, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. II, München 2003, S. 805 f.), handelte der Beschwerdeführer während eines grösseren Zeitraums, zum Teil nach längeren Unterbrüchen, immer wieder von neuem. Im Ergebnis hat die Vorinstanz daher zu Recht eine mehrfache Tatbegehung angenommen.
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Der Beschwerdeführer hielt sich trotz Hausverbots auf dem Areal des Instituts auf. Er kann sich nicht auf ein besseres Recht stützen, das ihn dazu befugt hätte, gegen den Willen der Eigentümerin auf deren Gelände zu verweilen. Indem er sich gegen den Willen des Instituts auf dessen Areal begab und den Aufforderungen, dieses zu verlassen, keine Folge leistete, handelte er unrechtmässig. Da sich der Beschwerdeführer mit seiner Anwesenheit auf dem Parkplatz des Instituts eines unrechtmässigen Nötigungsmittels bediente, ist die Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit rechtswidrig.
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Die Widerrechtlichkeit ist auch zu bejahen, weil das zur Beschränkung der Handlungsfreiheit eingesetzte Mittel in keinem Verhältnis zum verfolgten Zweck stand. Insbesondere erschien das zwanghafte ![]() | 22 |
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Gemäss den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz verfolgte der Beschwerdeführer mit der Nötigung der Beschwerdegegner als Fernziel seine Wiederanstellung. Doch hält die Vorinstanz ebenfalls fest, sein unmittelbares Ziel sei es gewesen, dass die Beschwerdegegner auf Grund des ausgeübten Druckes örtliche und zeitliche Ausweichmanöver vornehmen würden. Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz änderte A. seine Fahrgewohnheiten sowie seine An- und Abfahrtszeiten, um dem Beschwerdeführer auszuweichen. B. habe den Parkplatz gewechselt, sei Umwege gefahren, habe den rückwärtigen Eingang des Instituts benutzt und sei später als geplant nach Hause gefahren, wenn der Beschwerdeführer auf dem Parkplatz gewesen sei. Da die Beschwerdegegner ihre Fahrgewohnheiten und Arbeitszeiten tatsächlich änderten, verhielten sie sich, zumindest teilweise, nach dem Willen des Beschwerdeführers. Dieser beging somit nicht nur einen Nötigungsversuch.
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Entgegen der Auffassung der Vorinstanz hätte im Übrigen die Tatsache, dass die Anklage nur auf Nötigung und nicht auf Nötigungsversuch lautet, eine Verurteilung wegen blossen Versuchs dieses Delikts nicht ausgeschlossen. Das Gericht ist an den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden, nicht aber an dessen rechtliche Würdigung durch die Anklagebehörde. Das Anklageprinzip schliesst insbesondere eine Verurteilung wegen eines gleichartigen oder geringfügigeren Delikts (wie etwa den Versuch des angeklagten Delikts) nicht aus (BGE 126 I 19 E. 2a S. 21 mit Hinweisen).
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