Beschluss | |
des Zweiten Senats vom 25. Mai 2022
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– 2 BvE 10/21 – | |
in dem Verfahren über den Antrag festzustellen, dass die Antragsgegner dadurch gegen die Rechte der Antragstellerin aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes – Recht auf Gleichbehandlung als Fraktion sowie Recht auf faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages – und gegen deren aus dem Rechtsstaatsprinzip, Artikel 20 Absatz 2 Satz 2, Absatz 3 des Grundgesetzes folgendes Recht auf effektive Opposition verstoßen haben, dass sie den von der Antragstellerin für die Ausschüsse, für die ihr aufgrund des Zugreifverfahrens das Benennungsrecht zusteht, benannten Ausschussvorsitzenden im Wege der Veranstaltung einer ungebundenen Mehrheitswahl den Amtsantritt verweigert haben; Antragstellerin: AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag, vertreten durch die Fraktionsvorsitzenden Dr. Alice Weidel und Tino Chrupalla, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, – Bevollmächtigter: (...) – ; Antragsgegner: 1. Deutscher Bundestag, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, 2. Ausschuss für Inneres und Heimat des Deutschen Bundestages, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, 3. Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, 4. Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestages, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, 5. Präsidentin des Deutschen Bundestages, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, 6. Präsidium des Deutschen Bundestages, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, – Bevollmächtigte: (...) –; hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. | |
Entscheidungsformel: | |
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
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Gründe: | |
A. | |
Die Antragstellerin wendet sich in der Hauptsache im Wege des Organstreits gegen die Durchführung von Wahlen zur Bestimmung der Vorsitzenden der Ausschüsse für Inneres und Heimat (im Folgenden: Innenausschuss), Gesundheit sowie für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (im Folgenden: Entwicklungsausschuss) im Deutschen Bundestag, bei denen die von ihr vorgeschlagenen Kandidaten jeweils nicht die erforderliche Mehrheit erreicht haben. Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt sie, die von ihr benannten Kandidaten vorläufig als Ausschussvorsitzende einzusetzen.
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I.
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1. Nachdem sich die Fraktionen des 20. Deutschen Bundestages zu Beginn der Wahlperiode im Ältestenrat nicht auf die Verteilung der Ausschussvorsitze verständigen konnten, wurden diese unter den Fraktionen im sogenannten Zugriffsverfahren verteilt. Die Antragstellerin griff im Rahmen dieses Verfahrens auf die Vorsitze des Innenausschusses, des Gesundheitsausschusses und des Entwicklungsausschusses zu. In den konstituierenden Sitzungen dieser drei Ausschüsse am 15. Dezember 2021 benannte die Antragstellerin als Kandidaten für die Ausschussvorsitze den Abgeordneten Hess im Innenausschuss, den Abgeordneten Schneider im Gesundheitsausschuss sowie den Abgeordneten Friedhoff im Entwicklungsausschuss. Auf Antrag der Regierungsfraktionen wurden daraufhin in den drei Ausschüssen geheime Wahlen zur Bestimmung der Ausschussvorsitzenden durchgeführt; bei diesen Wahlen erhielt keiner der von der Antragstellerin benannten Kandidaten die erforderliche Mehrheit (vgl. die Kurzmeldungen "heute im bundestag" vom 15. Dezember 2021, abrufbar unter www.bundestag.de/inneres, www.bundestag.de/gesundheit und www.bundestag.de/entwicklung).
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2. In der Sitzung des Innenausschusses am 12. Januar 2022 verfehlte der von der Antragstellerin benannte Kandidat, der Abgeordnete Hess, bei einer erneuten geheimen Wahl wiederum die erforderliche Mehrheit; im Anschluss wählte der Innenausschuss einen Abgeordneten der SPD-Fraktion zum stellvertretenden Vorsitzenden (vgl. die Kurzmeldung "heute im bundestag" vom 12. Januar 2022, abrufbar unter www.bundestag.de/inneres).
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Im Gesundheitsausschuss erzielte der von der Antragstellerin benannte Kandidat, der Abgeordnete Schneider, bei der erneut durchgeführten geheimen Wahl am 12. Januar 2022 ebenfalls keine Mehrheit; daneben wählte der Ausschuss eine Abgeordnete der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur stellvertretenden Vorsitzenden (vgl. die Kurzmeldung "heute im bundestag" vom 12. Januar 2022, abrufbar unter www.bundestag.de/gesundheit).
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Auch bei der Wahl im Entwicklungsausschuss am 12. Januar 2022 erreichte der von der Antragstellerin benannte Kandidat, der Abgeordnete Friedhoff, abermals keine Mehrheit. Zudem wählte der Ausschuss einen Abgeordneten der FDP-Fraktion zum stellvertretenden Vorsitzenden (vgl. die Kurzmeldung "heute im bundestag" vom 12. Januar 2022, abrufbar unter www.bundestag.de/entwicklung).
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3. Die Vorsitze der drei betroffenen Ausschüsse wurden bisher noch nicht besetzt. Aktuell werden die Ausschüsse von den stellvertretenden Vorsitzenden geleitet.
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II.
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1. Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 31. Dezember 2021 das Organstreitverfahren eingeleitet und darüber hinaus den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Sie sieht sich durch die "Veranstaltung einer ungebundenen Mehrheitswahl" zur Besetzung der ihr zustehenden Ausschussvorsitze in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG auf Gleichbehandlung und auf faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages sowie in einem aus dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG, folgenden Recht auf effektive Opposition verletzt.
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a) Das Organstreitverfahren sei in der Hauptsache zulässig. Die Antragstellerin sei antragsbefugt, weil der von ihr vorgetragene Sachverhalt eine Verletzung der genannten verfassungsmäßigen Rechte zumindest als möglich erscheinen lasse. Die von ihr angegriffenen geheimen Wahlen stellten Maßnahmen der betreffenden Ausschüsse sowie der Präsidentin und des Präsidiums des Deutschen Bundestages dar, da im Präsidium eine entsprechende Vereinbarung getroffen worden sei. Die Handlungen dieser Teilorgane seien dem Deutschen Bundestag zuzurechnen. Möglichkeiten der Abhilfe außerhalb des Organstreitverfahrens bestünden nicht. Es liege kein Anhaltspunkt dafür vor, dass die Parlamentsmehrheit ihre Rechtsauffassung seit der Plenarentscheidung gemäß § 127 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (im Folgenden: GO-BT) in der Sache "Ausschussvorsitz Brandner" geändert habe. In dieser Entscheidung habe sich der Deutsche Bundestag die Interpretation des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu eigen gemacht, dass Ausschussvorsitzende durch Mehrheitsentscheidung der Ausschussmitglieder gewählt und abgewählt werden könnten. Schließlich sei der Antragstellerin die Präsentation weiterer Kandidaten nicht zumutbar und eine Lösung durch den Ältestenrat weder zu erwarten noch zu leisten.
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b) Das Organstreitverfahren sei in der Hauptsache auch begründet.
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Die Fraktionen hätten wegen ihrer Bedeutung für parlamentarische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse ein Recht auf einen spiegelbildlichen Zugang zu den Beratungen in den Ausschüssen und ähnlichen Gremien. Die Fachausschüsse übernähmen die fachliche Arbeit sowie die Informations-, Kontroll- und Untersuchungsaufgaben des Parlaments. Dafür, dass die hohe Bedeutung der Ausschussarbeit den Fraktionen nicht nur einen geschäftsordnungsmäßigen, sondern auch einen verfassungsunmittelbaren Anspruch auf die spiegelbildliche Beteiligung an den Vorsitzendenpositionen der Fachausschüsse gewähre, spreche, dass ansonsten eine Wahrnehmung der Minderheitenrechte und der Kontrollaufgaben der Opposition nicht effektiv erfolgen könne. Dies gelte auch für die verfassungsrechtlich geforderte Chance der Minderheit, zur Mehrheit zu werden. Ein Ausschussvorsitzender könne definitionsgemäß nicht Repräsentant des gesamten Ausschusses sein, weil er oft der Minderheit angehöre, was gerade beabsichtigt sei. Der Minderheitenschutz könnte willkürlich durchbrochen werden, wenn die Mehrheit in einem Ausschuss einen von der Minderheitenfraktion Entsandten einfach "nicht wählen" oder "abwählen" könnte. Bei fehlender Einigung der Fraktionen im Ältestenrat über die Verteilung der Ausschussvorsitze komme das Zugreifverfahren und nicht das Prinzip der Wahl zum Zuge. Die Bestimmungen der Geschäftsordnung seien bei den beanstandeten Maßnahmen nicht gleichmäßig, fair und loyal angewendet worden.
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Selbst wenn ein Rechtfertigungsgrund für die Durchbrechung der Grundsätze der Gleichbehandlung der Fraktionen und der effektiven Opposition anerkannt würde, müssten die einander gegenüberstehenden Verfassungswerte in einer dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechenden Art und Weise zu einem Ausgleich gebracht werden. Dies stehe der Anwendung der Mehrheitsregel bei der Bestimmung der Ausschussvorsitzenden entgegen.
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2. Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt die Antragstellerin die vorläufige Einsetzung der von ihr benannten Kandidaten in die Rechte und Pflichten als Vorsitzende der Ausschüsse, für die ihr nach dem Zugriffsverfahren das Benennungsrecht zustehe.
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a) Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Antrags seien erfüllt. Rechtsschutzziel sei die Ausübung der Minderheitenrechte und Oppositionsaufgaben zu Bedingungen, die dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Fraktionen, der fairen und loyalen Anwendung der Geschäftsordnung sowie dem Grundsatz effektiver Opposition entsprächen. Dies sei nur durch eine verfassungsgerichtliche einstweilige Anordnung möglich, da sich die derzeitige verfassungsferne Situation, die ihr die Wahrnehmung ihrer essentiellen Rechte nicht erlaube, mit dem weiteren Zeitablauf von Tag zu Tag vertiefe. Damit schwänden zugleich ihre verfassungsrechtlich verbürgten Chancen, von der Minderheit zur Mehrheit werden zu können. Zwar sei ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung regelmäßig unzulässig, wenn das Gericht eine entsprechende Rechtsfolge im Hauptsacheverfahren nicht bewirken könne. Wenn jedoch in der Hauptsache – wie hier – zulässigerweise die Feststellung einer Verletzung organschaftlicher Rechte beantragt werde, sei die Verpflichtung des Antragsgegners zu einem bestimmten Verhalten zulässig; andernfalls könne die einstweilige Anordnung ihre Funktion nicht erfüllen. Die "Einsetzung" der Ausschussvorsitzenden sei möglich, da eine Wahl hier in Wahrheit nicht zu erfolgen habe, sondern die Präsentation durch die zugriffsberechtigte Fraktion genüge. Darin liege keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache, weil keine unumkehrbare Rechtsposition geschaffen werde.
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b) Zur Begründetheit des Eilantrags führt die Antragstellerin aus, dass wegen des vorliegend weder von vornherein unzulässigen noch offensichtlich unbegründeten Hauptantrags eine Abwägung nach der "Doppelhypothese" maßgeblich sei. Erginge die einstweilige Anordnung nicht, hätte der Hauptantrag aber letztlich Erfolg, wäre die Antragstellerin bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens in verfassungswidriger Weise, ohne auch nur eine Begründung dafür zu erfahren, nicht mit den ihr zustehenden Ausschussvorsitzen auf der Arbeitsebene des Parlaments vertreten. Sie wäre weiterhin auf breiter Front gehindert, ihre Oppositionsaufgaben zu erfüllen, wobei ihre Beschwer durch die Verdreifachung der Vorenthaltung in gänzlich unzumutbarer Weise verbreitert wäre. Diese Benachteiligung würde sich mit zunehmendem Zeitablauf vertiefen, da sie die Chancen, die ihr als Oppositionsfraktion zustünden, über einen langen Zeitraum der Legislaturperiode nicht mehr nutzen könnte. Dies würde sich auch nachteilig auf ihre Wahlchancen auswirken. Demgegenüber würde bei Erlass einer einstweiligen Anordnung niemandem etwas genommen, da die streitgegenständlichen Ausschussvorsitze unstreitig weder einem dienstältesten Abgeordneten noch einem stellvertretenden Vorsitzenden von der Regierungsseite zustünden.
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Zudem sei vorliegend die objektive Funktion des Eilrechtsschutzes im verfassungsgerichtlichen Verfahren zu beachten. Es stünden fundamentale, im öffentlichen Interesse liegende Verfassungsprinzipien auf dem Spiel. Die Kontrollbefugnisse seien der parlamentarischen Opposition nicht nur in ihrem eigenen Interesse, sondern in erster Linie im Interesse des demokratischen, gewaltengegliederten Staates – nämlich zur öffentlichen Kontrolle der von der Mehrheit gestützten Regierung und ihrer Exekutivorgane – in die Hand gegeben. Wenn im Hauptsacheverfahren Grundfragen des Verfassungsrechts beziehungsweise die Beachtung fundamentaler oder hochrangiger Verfassungsgrundsätze betroffen seien, sei eine einstweilige Anordnung geboten, weil die besondere Qualität grundlegender Verfassungsprinzipien es nicht zulasse, dass deren Verletzung auch nur für einen vorübergehenden Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache hingenommen werde. Sie erlitten einen schweren Schaden, wenn sich ein Konzeptwechsel nach seiner Verwerfung durch die Hauptsacheentscheidung als bloß kurzfristiger Versuch darstellen würde. Durch eine einstweilige Anordnung sei daher sicherzustellen, dass ein umstrittener Konzeptwechsel erst nach seiner verfassungsgerichtlichen Bestätigung in Kraft gesetzt werden könne. Vorliegend gehe es um einen grundlegenden Konzeptwechsel von dem heute geltenden parlamentarischen System mit Minderheitenschutz auf der Arbeitsebene des Parlaments hin zu einer völlig neuen Ordnung. Zu deren Berechtigung hätten die Antragsgegner nichts vorgetragen außer dem unpassenden Gemeinplatz, Wahlen seien ja schließlich demokratisch. Die infrage stehenden, gerade auch den Oppositionsfraktionen zugewiesenen Minderheitenrechte würden in demonstrativer und zynischer Weise gebrochen. Um diese vollendete akute Störung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht zu einer dauerhaften Schädigung werden zu lassen, sei der Erlass einer einstweiligen Anordnung dringend geboten.
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III.
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Die Antragsgegner halten den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für unbegründet.
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1. Der Antrag in der Hauptsache sei bereits offensichtlich unbegründet. Ein Verfassungsverstoß durch die Wahl der Ausschussvorsitzenden würde voraussetzen, dass aus dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit ein unmittelbares Entsendungsrecht der Fraktion folge. Nach der gängigen Staatspraxis sowie der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fänden Wahlen und der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit gerade bei Ausschüssen nebeneinander Anwendung; dabei sei die Wahl in die nach dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit zu besetzenden Ausschüsse sogar der verfassungsrechtlich vorgesehene Normalfall. So habe das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Mitglieder der Ausschüsse nach Art. 42 Abs. 2 GG grundsätzlich mit Mehrheit gewählt würden und dass der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit von Parlament und Ausschüssen auch für die Wahl der Mitglieder des Bundestages im Vermittlungsausschuss gelte. Die Bestimmung der Mitglieder bei der Besetzung des Gemeinsamen Ausschusses (Art. 53a GG) unterliege ebenfalls dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit. Es bedürfe für die Durchführung einer Wahl keines rechtfertigenden Grundes wie etwa eines besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen wählender Versammlung und Gewählten. Ein Teilhaberecht einer Fraktion aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG, sollte es tatsächlich existieren, sei nicht identisch mit einem Entsendungsrecht, das durch das Abhalten einer Wahl vereitelt werden könnte.
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Darüber hinaus könne keine Verfassungsverletzung aus einem etwaigen Grundsatz der "fairen und loyalen Anwendung der Geschäftsordnung" hergeleitet werden. Eine Auslegung der § 12 Satz 1, § 58 GO-BT dahingehend, dass die Bestimmung des Ausschussvorsitzenden mit der Entsendung von Ausschussmitgliedern durch die Fraktion gleichzusetzen sei, stünde im eklatanten Widerspruch zum Wortlaut dieser Vorschriften. Nach dem Wortlaut des § 58 GO-BT bestimmten die Ausschüsse ihre Vorsitzenden. Damit sei vollkommen klar festgehalten, dass dem jeweiligen Ausschuss als Kollegialorgan die letztendliche Entscheidung über die Person des Ausschussvorsitzenden zustehe. Die Geschäftsordnung verwende nicht das Wort "wählen", weil die Möglichkeit bestehen solle, den Vorsitzenden auch per Akklamation ins Amt zu bringen, wenn sich kein Widerspruch gegen seine Person formiere. Demgegenüber "benennen die Fraktionen" gemäß § 57 Abs. 2 GO-BT die Ausschussmitglieder, wobei der Norm unmissverständlich zu entnehmen sei, dass die jeweiligen Fraktionen die Entscheidungsbefugnis über die Entsendung hätten. Im Übrigen würden die Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses (Art. 53a GG) völlig selbstverständlich durch Wahlen entsprechend dem Stärkeverhältnis der Fraktionen "bestimmt", zuletzt am 27. Januar 2022.
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a) Die Antragstellerin habe in keiner Weise dargelegt, welche schweren Nachteile ihr ohne den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung entstünden. Die angeführte nachteilige Auswirkung auf ihre Wahlchancen könne keine Berücksichtigung finden, weil die Antragstellerin als Fraktion an entsprechenden Wahlen nicht teilnehme und die Partei nicht Beteiligte dieses Verfahrens sei. Der ganze Vortrag der Antragstellerin beruhe auf einer Gleichsetzung der politischen Bedeutung der Ausschussvorsitze mit ihrer verfassungsrechtlichen Relevanz für die Wahrnehmung der Oppositionsrechte. Das Innehaben eines Ausschussvorsitzes stehe jedoch in keinerlei Zusammenhang mit der parlamentarischen Kontrollfunktion der Opposition. Aufgabe des Ausschussvorsitzenden sei nicht die parlamentarische Kontrolle, sondern die überparteiliche und politisch neutrale Leitung der Geschäfte des jeweiligen Ausschusses im Dienste des gesamten Parlaments, die ein bestimmtes Maß an Vertrauen seitens der Ausschussmitglieder voraussetze.
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b) Jedenfalls müsse der Erlass einer einstweiligen Anordnung aufgrund der vorzunehmenden Folgenabwägung unterbleiben. Würde die einstweilige Anordnung erlassen, stellte sich aber in der Hauptsache heraus, dass das Abhalten von Wahlen für die Besetzung der Ausschussvorsitze verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, müssten die drei betroffenen Ausschüsse jeweils mit einem Vorsitzenden zusammenarbeiten, der das Vertrauen des größten Teils des Ausschusses nicht genieße. Dies gefährdete die Arbeitsfähigkeit des Ausschusses. Zudem griffe der Eilbeschluss in das von Art. 40 Abs. 1 GG garantierte Selbstbestimmungsrecht des Deutschen Bundestages ein, wozu das Bundesverfassungsgericht im Eilverfahren nur unter strengen Voraussetzungen befugt sei. Diese strengen Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt, weil keinerlei Nachteile ersichtlich seien, die ein hinreichendes Gewicht hätten, um die entsprechende Beeinträchtigung der Arbeit und Selbstbestimmung des Verfassungsorgans Bundestag zu überwiegen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb die Vorenthaltung eines etwaigen Rechts der Antragstellerin auf die Besetzung von Ausschussvorsitzen die Arbeit als Fraktion oder gar ihre Funktionsfähigkeit bedrohen würde. Soweit die Antragstellerin in diesem Fall das von ihr entsandte Personal nicht öffentlichkeitswirksam in Szene setzen könnte, handele es sich allenfalls um einen Randbereich der parlamentarischen Tätigkeit der Fraktion.
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IV.
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1. In ihrer Stellungnahme zum Antrag in der Hauptsache halten die Antragsgegner diesen teilweise für unzulässig. Soweit die Antragstellerin die Feststellung eines Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG, beantrage, fehle ihr bereits die Antragsbefugnis.
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2. Im Übrigen sei der Hauptsacheantrag unbegründet. Keines der von der Antragstellerin angeführten Rechte verleihe einen Anspruch darauf, dass die Fraktion den Ausschussvorsitzenden unmittelbar selbst entsenden könne. Die Pflicht der fairen und loyalen Anwendung der Geschäftsordnung stelle keine eigene verfassungsrechtliche Rechtsposition der Antragstellerin dar. Es liege kein Verstoß gegen die Geschäftsordnung vor, weil diese nicht gegen ihren Wortlaut ausgelegt werde. Weiterhin existiere kein aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG folgendes Teilhaberecht der Fraktionen an den Ausschussvorsitzen. Die Ausschussvorsitzenden hätten nach der Geschäftsordnung gerade nicht die Aufgabe, die parlamentarische Willensbildung inhaltlich vorzuformen. Ihre Funktionen seien lediglich organisatorischer Art. Darüber hinaus handele es sich bei der Gesamtheit der Ausschussvorsitzenden um eine reine Rechengröße und kein Gremium, das ein verkleinertes Abbild des Plenums darstellen könnte. Die Verteilung parlamentarischer Leitungsfunktionen unter den verschiedenen Fraktionen nach ihrem Stärkeverhältnis möge zwar parlamentarischer Brauch sein, der auch durch die Geschäftsordnung abgesichert sei; mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Spiegelbildlichkeit stehe diese Praxis jedoch in keinerlei funktionellem Zusammenhang. Selbst wenn ein solches verfassungsrechtliches Teilhaberecht bestünde, wäre dieses nicht durch die Abhaltung einer Wahl verletzt. Der Ausschuss mache von seinem Selbstorganisationsrecht nach Art. 40 GG in der urdemokratischen Standardform der Wahl Gebrauch. Die Abhaltung einer Wahl für die Ausschussvorsitze verletze die Antragstellerin auch nicht in ihrem Recht auf effektive Opposition, weil das Innehaben eines Ausschussvorsitzes in keinerlei Zusammenhang mit dem Zweck dieses verfassungsrechtlichen Grundsatzes stehe.
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V.
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In weiteren Schriftsätzen haben Antragstellerin und Antragsgegner ihre Ausführungen wiederholt und vertieft.
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1. Auf die Erwiderung der Antragsgegner zum Eilantrag hat die Antragstellerin repliziert, dass eine Wahl der Ausschussvorsitzenden erstmals in der vergangenen Legislaturperiode praktiziert worden sei, damals noch beschränkt auf die ihr zustehenden Vorsitze. Zu Beginn der laufenden Legislaturperiode habe man plötzlich damit begonnen, alle Ausschussvorsitzenden zu wählen. Dabei seien ausschließlich Kandidaten der Antragstellerin stets durchgefallen. Mit ihrem Eilantrag gehe es ihr vor allem um die objektive Funktion des Eilrechtsschutzes bei Grundfragen des Verfassungsrechts, hier um die Verhinderung der Entstehung undemokratischer parlamentarischer Gewohnheiten.
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Ein Ausschussvorsitzender habe nicht nur eine geschäftsleitende Funktion inne. Er könne durch die ihm obliegende Festlegung des Arbeitsplanes eine gewisse (kontrollierende) Einflussnahme auf die Beschleunigung beziehungsweise Verzögerung bestimmter Tagesordnungspunkte in den Ausschussberatungen und damit letztlich auf die Entscheidung im Plenum ausüben. Außerdem habe er kraft seines Amtes und mithilfe des Ausschusssekretariats Zuarbeits- und Informationsmöglichkeiten, wodurch der fehlende Zugang der Opposition zu Regierungs- und Verwaltungsunterlagen wenigstens teilweise ausgeglichen werde.
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2. Die Antragsgegner halten dem entgegen, dass der Organstreit allein der Klärung der Rechte der Staatsorgane im Verhältnis zueinander diene und nicht einer allgemeinen Verfassungsaufsicht. Im Übrigen sei die Unterscheidung zwischen Partei und Fraktion sowohl organisationsrechtlich begründet als auch grundlegend verfassungsrechtlich verankert. Das Bundesverfassungsgericht unterscheide sehr genau zwischen den Rechten im innerparlamentarischen Raum, wie dem Recht auf effektive parlamentarische Opposition, und Rechten im außerparlamentarischen Raum, wie dem Recht auf Chancengleichheit im Wettbewerb der politischen Parteien.
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Der Antrag ist zulässig.
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I.
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1. Gegenstand eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Organstreitverfahren kann allein die vorläufige Sicherung des streitigen organschaftlichen Rechts eines Antragstellers sein, damit es nicht im Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache durch die Schaffung vollendeter Tatsachen überspielt wird (vgl. BVerfGE 89, 38 [44]; 96, 223 [229]; 98, 139 [144]; 108, 34 [41]; 118, 111 [122]; 145, 348 [356 f. Rn. 29]; 151, 58 [65 Rn. 15]; 154, 1 [9 Rn. 23]; 155, 357 [375 Rn. 40]; 159, 1 [9 f. Rn. 24]; 159, 14 [22 f. Rn. 26]).
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2. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist regelmäßig unzulässig, wenn das Bundesverfassungsgericht eine entsprechende Rechtsfolge im Verfahren der Hauptsache nicht bewirken könnte (vgl. BVerfGE 7, 99 [105]; 14, 192 [193]; 16, 220 [226]; 151, 58 [64 Rn. 13]; 154, 1 [9 Rn. 22]; 155, 357 [374 Rn. 38]; 159, 1 [8 Rn. 22]; 159, 14 [21 Rn. 24]). Demgemäß kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung im Organstreit, welche die Verpflichtung des Antragsgegners zu einem bestimmten Verhalten zum Gegenstand hat, grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. BVerfGE 151, 58 [64 Rn. 13]; 155, 357 [374 Rn. 38]; 159, 1 [8 Rn. 22]; 159, 14 [21 Rn. 24]). Dies gilt auch, soweit der Antragsteller eine Anordnung mit rechtsgestaltender Wirkung begehrt (vgl. BVerfGE 136, 277 [301 Rn. 64 m.w.N.] auch mit Verweis auf eine Sonderkonstellation BVerfGE 112, 118 [147 f.]).
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Gleichwohl kann eine solche rechtsgestaltende Wirkung im Wege der einstweiligen Anordnung zur Vermeidung der Schaffung vollendeter Tatsachen ausnahmsweise zulässig sein. Andernfalls könnte die einstweilige Anordnung, der immanent ist, dass sie einen Zustand vorläufig regelt (§ 32 Abs. 1 BVerfGG), ihre Funktion nicht erfüllen (vgl. BVerfGE 154, 1 [9 Rn. 22 m.w.N.] auch mit Verweis auf BVerfGE 140, 225).
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II.
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Nach diesen Maßstäben ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zulässig.
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1. Die Antragstellerin beantragt in der Hauptsache die Feststellung einer Verletzung organschaftlicher Rechte im Sinne des § 67 Satz 1 BVerfGG und mit ihrem Eilantrag die Einsetzung der von ihr benannten Ausschussvorsitzenden durch das Bundesverfassungsgericht. Dieser Eilantrag ist zwar auf eine rechtsgestaltende Wirkung gerichtet. Das steht dem Erlass einer einstweiligen Anordnung jedoch nicht im Wege, weil eine vorläufige Regelung des hier streitgegenständlichen Zustands andernfalls nicht möglich wäre.
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2. Mit ihrem Eilantrag begehrt die Antragstellerin auch keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache. Ihr Eilantrag zielt auf eine vorläufige Einsetzung der von ihr benannten Ausschussvorsitzenden ab, das heißt sinngemäß auf eine entsprechende Regelung bis zur Entscheidung in der Hauptsache. Durch den Erlass einer solchen einstweiligen Anordnung würde keine unumkehrbare Rechtsposition geschaffen (vgl. BVerfGE 154, 1 [9f. Rn. 23]). Sollte dem Antrag in der Hauptsache der Erfolg zu versagen sein, entfielen die Rechtswirkungen einer einstweiligen Anordnung mit der Entscheidung über den Hauptantrag.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
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1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG gegeben sind, ist wegen der weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 55, 1 [3]; 82, 310 [312]; 94, 166 [216 f.]; 104, 23 [27]; 106, 51 [58]; 132, 195 [232 Rn. 86]; 150, 163 [166 Rn. 10]; 151, 58 [63 Rn. 11]; 154, 1 [10 Rn. 25]; 155, 357 [373 Rn. 37]; 159, 1 [6 f. Rn. 18]; 159, 14 [21 Rn. 23]; 160, 191 [202 f. Rn. 30]; 160, 346 [359 Rn. 40]; stRspr). Die Gründe müssen so schwer wiegen, dass sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabdingbar machen (vgl. BVerfGE 151, 152 [161 Rn. 24]; 159, 1 [6 f. Rn. 18]; 159, 14 [21 Rn. 23]; 160, 191 [202 f. Rn. 30]; 160, 346 [359 Rn. 40]; stRspr). Im Organstreitverfahren ist dabei zu berücksichtigen, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung der Sache nach einen Eingriff des Bundesverfassungsgerichts in die Autonomie eines anderen Verfassungsorgans bedeutet (vgl. BVerfGE 106, 253 [261]; 108, 34 [41]; 118, 111 [122]; 145, 348 [356 f. Rn. 29]; 150, 163 [166 Rn. 10]; 154, 1 [10 Rn. 25]; 159, 1 [6 f. Rn. 18]; 159, 14 [21 Rn. 23]; 160, 191 [203 Rn. 31]; 160, 346 [359 Rn. 41]; stRspr).
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2. Bei der Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahmen vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung oder der in der Hauptsache gestellte Antrag erwiesen sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 89, 38 [43 f.]; 98, 139 [144]; 103, 41 [42]; 108, 34 [41]; 118, 111 [122]; 150, 163 [166 Rn. 9]; 151, 58 [63 Rn. 11]; 154, 1 [10 Rn. 25]; 159, 1 [7 f. Rn. 20]; stRspr). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen abwägen, die eintreten würden, wenn einerseits eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag in der Hauptsache aber Erfolg hätte, und andererseits die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Antrag in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 105, 365 [371]; 106, 351 [355]; 108, 238 [246]; 125, 385 [393]; 126, 158 [168]; 129, 284 [298]; 132, 195 [232 f. Rn. 87]; 140, 225 [226 f. Rn. 7]; 151, 58 [63 Rn. 11]; 154, 1 [10 Rn. 25]; 159, 1 [7 f. Rn. 20]; stRspr).
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II.
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Nach diesen Maßstäben hat der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keinen Erfolg. Der Antrag in der Hauptsache ist weder von vornherein unzulässig (1.) noch offensichtlich unbegründet (2.). Die Folgenabwägung fällt jedoch zulasten der Antragstellerin aus (3.).
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1. Die Antragstellerin benennt mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Fraktionen aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG eine rügefähige Position, deren Verletzung im Organstreitverfahren gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG in Verbindung mit § 64 Abs. 1 BVerfGG festgestellt werden kann (vgl. BVerfGE 154, 1 [11 Rn. 28 m.w.N.]). Die Antragstellerin und die Antragsgegner sind gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG in Verbindung mit § 63 BVerfGG parteifähig. Es handelt sich bei der beanstandeten Durchführung von Wahlen zur Besetzung der Ausschussvorsitze um einen tauglichen Verfahrensgegenstand im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG (vgl. BVerfGE 140, 115 [141 f. Rn. 65]; 154, 1 [12 Rn. 28]). Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren muss nicht entschieden werden, inwieweit alle Antragsgegner passiv legitimiert sind, also die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung verursacht haben und rechtlich verantworten müssen (vgl. BVerfGE 140, 115 [140 Rn. 61 m.w.N.]). Dies ist jedenfalls bei den Antragsgegnern zu 2., 3. und 4. der Fall.
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Die Antragstellerin hat ihren Hauptantrag nur etwas über zwei Wochen nach Durchführung der ersten Wahlen in den betroffenen Ausschüssen und damit innerhalb der sechsmonatigen Ausschlussfrist des § 64 Abs. 3 BVerfGG beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Auch bestehen keine durchgreifenden Bedenken gegen das Rechtsschutzbedürfnis. Es ist nicht absehbar, dass die betroffenen Ausschüsse die von der Antragstellerin benannten Kandidaten in einem erneuten Wahlgang zu ihren Vorsitzenden wählen werden oder eine Befassung des Ältestenrats zu der von ihr begehrten Besetzung der Ausschussvorsitze führen wird. Der Konflikt über die Verfassungsrechtslage, dessen Bereinigung die Antragstellerin mit diesem Organstreitverfahren begehrt, liegt für alle Verfahrensbeteiligten offen zutage (vgl. BVerfGE 129, 356 [375]; 147, 31 [37 f. Rn. 19]; 152, 35 [47 Rn. 31]). Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung sowie das Plenum haben sich nach § 127 GO-BT in der letzten Legislaturperiode anlässlich der Abwahl des Vorsitzenden des Rechtsausschusses am 13. November 2019 mit der Auslegung von § 58 GO-BT befasst und die Möglichkeit einer Abwahl des Ausschussvorsitzenden durch den Ausschuss als actus contrarius zur Bestimmung desselben, jeweils gegen die Stimmen der Antragstellerin, bestätigt (vgl. BTDrucks 19/15076, S. 2 sowie Plenarprotokoll 19/137 zur 137. Sitzung des Deutschen Bundestages am 19. Dezember 2019, S. 17108).
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2. Eine Verletzung der von der Antragstellerin geltend gemachten organschaftlichen Rechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG erscheint nicht von vornherein völlig ausgeschlossen.
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Die Antragstellerin ist als Fraktion im Deutschen Bundestag ein Zusammenschluss von Abgeordneten, dessen Rechtsstellung – ebenso wie der Status der Abgeordneten – aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG abzuleiten ist. Die Fraktionen im Deutschen Bundestag haben ein aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG folgendes Recht auf gleiche Teilhabe an der parlamentarischen Willensbildung. Ihr Mitwirkungs- und Teilhabeanspruch erstreckt sich nicht nur auf die Tätigkeit des Parlaments als Organ der Gesetzgebung sowie der Kontrolle der Regierung und damit auf den Bereich der politisch-parlamentarischen Willensbildung im engeren Sinn. Vielmehr umfasst die gleiche Mitwirkungsbefugnis der Abgeordneten und daraus abgeleitet der Fraktionen aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG auch Entscheidungen über die innere Organisation und die Arbeitsabläufe des Deutschen Bundestages einschließlich der Festlegung und Besetzung von Untergliederungen und Leitungsämtern (vgl. BVerfGE 160, 368 [384 f. Rn. 49, 51]; 160, 411 [420 Rn. 28]).
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Das in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Recht auf gleichberechtigte Mitwirkung der Abgeordneten beziehungsweise ihrer Zusammenschlüsse kommt daher dem Grundsatz nach auch beim Zugang zu einem Leitungsamt wie dem Ausschussvorsitz in Betracht. Gemäß § 12 GO-BT, nach dem die Regelung des Vorsitzes in den Ausschüssen im Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen vorzunehmen ist, stehen der Antragstellerin drei Vorsitzendenpositionen auch grundsätzlich zu (vgl. auch BVerfGE 154, 1 [12 f. Rn. 29]). Insofern scheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG der Antragstellerin – gegebenenfalls unter Rückgriff auf den von ihr ebenfalls angeführten Grundsatz der fairen und loyalen Anwendung der Geschäftsordnung – ein verfassungsrechtliches Mitwirkungsrecht verleiht, das durch die Vorenthaltung der Ausschussvorsitze als Folge der Durchführung freier Mehrheitswahlen beeinträchtigt sein könnte.
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Gemäß § 58 GO-BT bestimmen die Ausschüsse ihre Vorsitzenden. In den vergangenen Legislaturperioden ging die Handhabung im Deutschen Bundestag regelmäßig dahin, der vorschlagsberechtigten Fraktion faktisch ein Benennungsrecht für den Ausschussvorsitz einzuräumen. Nur ausnahmsweise, im Fall eines Widerspruchs gegen den Personalvorschlag, wurde eine Wahl durchgeführt. In der laufenden 20. Legislaturperiode wurden die Ausschussvorsitze demgegenüber ganz überwiegend durch Wahlen bestimmt, wobei mit Ausnahme der Kandidaten der Antragstellerin die Vorschläge aller Fraktionen für die jeweiligen Ausschussvorsitze die erforderliche Mehrheit erhielten (vgl. die Kurzmeldungen "heute im bundestag" vom 15. Dezember 2021 zu den konstituierenden Sitzungen der Ausschüsse des Deutschen Bundestages, abrufbar unter www.bundestag.de/ausschuesse).
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Im Hauptsacheverfahren wird zu klären sein, ob § 58 GO-BT eine freie Wahl der Ausschussvorsitze zulässt, ob hiermit eine Beeinträchtigung von Rechtspositionen der Antragstellerin aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verbunden sein kann und ob eine solche im Hinblick auf den Zweck der Wahl zulässig wäre. Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr darauf an, ob vorliegend darüber hinaus eine Verletzung der behaupteten Rechte der Antragstellerin auf effektive Opposition sowie auf faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung in Betracht kommt.
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3. Die wegen des offenen Verfahrensausgangs zu treffende Folgenabwägung führt zur Ablehnung des Antrags.
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a) Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Durchführung freier Wahlen für das Amt des Ausschussvorsitzes jedoch als verfassungswidrig, würden die drei derzeit vakanten, nach der Geschäftsordnung der Antragstellerin zustehenden Ausschussvorsitze bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens voraussichtlich nicht mit den von ihr benannten Kandidaten besetzt. Wenn das Bundesverfassungsgericht im Hauptsacheverfahren gemäß § 67 Satz 1 BVerfGG einen Verfassungsverstoß feststellen sollte, obläge es sodann den Antragsgegnern, den festgestellten verfassungswidrigen Zustand zu beenden (vgl. BVerfGE 151, 58 [64 Rn. 14]; 154, 1 [15 Rn. 34]).
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Es ist allerdings nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin durch die einstweilige Vorenthaltung der Ausschussvorsitze daran gehindert wäre, an der politisch-parlamentarischen Willensbildung im engeren Sinn in den betroffenen Ausschüssen mitzuwirken. Nach den Vorschriften der Geschäftsordnung sind mit dem Amt des Ausschussvorsitzes insbesondere Geschäftsleitungs- und Organisationsbefugnisse verbunden, die durch weitgehende Kontroll- und Korrekturrechte der Ausschussmitglieder begrenzt sind (vgl. §§ 59 bis 61 GO-BT). Auch ohne dieses Funktionsamt mit entsprechend eingeschränktem Handlungsspielraum kann die Antragstellerin durch ihre Mitglieder in den drei betroffenen Ausschüssen ihr Recht auf Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Deutschen Bundestages in vollem Umfang wahrnehmen. Eigenständige parlamentarische Kontrollrechte sind mit dem Ausschussvorsitz nicht verbunden.
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Daher fehlen auch jegliche Anhaltspunkte dafür, dass die beanstandeten Vorgänge eine Verletzung fundamentaler Verfassungsgrundsätze zur Folge haben könnten, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einen schweren Nachteil im Sinne von § 32 Abs. 1 BVerfGG bedeuten würde (vgl. BVerfGE 160, 346 [359 f. Rn. 42] m.w.N.).
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b) Erginge demgegenüber die einstweilige Anordnung und erwiese sich die Nichtwahl der von der Antragstellerin vorgeschlagenen Kandidaten für den Ausschussvorsitz als verfassungsgemäß, würden die drei betroffenen Ausschüsse bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens jeweils von einer Person geleitet, die das Vertrauen der Ausschussmehrheit offensichtlich nicht besitzt. Das gefährdete die Arbeitsfähigkeit dieser Ausschüsse (vgl. BVerfGE 154, 1 [16 f. Rn. 36]). Das fehlende Vertrauen des jeweiligen Ausschusses in den Vorsitz kann eine erhebliche Einschränkung der Effizienz der Ausschussarbeit zur Folge haben, nicht zuletzt durch die sich aus der Geschäftsordnung ergebenden Möglichkeiten der Ausschussmehrheit, Leitungshandlungen des Vorsitzenden zu konterkarieren. Dabei ist nicht auszuschließen, dass sich eine solche Beeinträchtigung der Arbeit der betroffenen Ausschüsse wegen ihrer unverzichtbaren Vorarbeit für das Plenum auch auf die Funktionsfähigkeit des Bundestages insgesamt auswirken könnte.
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Zudem griffe der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung in Form der vorläufigen Einsetzung von Ausschussvorsitzenden durch das Bundesverfassungsgericht schwerwiegend in die von Art. 40 Abs. 1 GG garantierte Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages ein. Hierzu ist das Bundesverfassungsgericht im Eilverfahren nur unter strengen Voraussetzungen befugt.
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Schließlich beeinträchtigte das Einsetzen der von der Antragstellerin benannten Kandidaten als Ausschussvorsitzende das durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte freie Mandat der Mehrheit der Ausschussmitglieder. Das freie Mandat der Abgeordneten manifestiert sich auch durch ihr Recht auf Beteiligung an den im Parlament stattfindenden Abstimmungen (vgl. BVerfGE 160, 411 [421 Rn. 32]). Die begehrte einstweilige Anordnung widerspräche dem im Wahlergebnis zum Ausdruck gekommenen Mehrheitswillen des jeweiligen Ausschusses.
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