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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
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43. Urteil des Kassationshofes |
vom 23. Mai 1975 |
i.S. Fink, Rubi, Zenzünen und Wild gegen Generalprokurator des Kantons Bern | |
Regeste | |
Regeste |
1. "Andere Beschränkung" der Handlungsfreiheit durch akustische Einwirkung (Erw. 2). |
2. Rechtswidrigkeit der Nötigung (Erw. 5). | |
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A. | |
Im Rahmen einer von der philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern organisierten Vortragsreihe über "Sinn und Bewährung unserer Landesverteidigung" war für den 9. Februar 1973, um 18.15 Uhr im Hörsaal Nr. 31 ein öffentlicher Vortrag von Korpskommandant Hirschy, Ausbildungschef der Armee, über das Thema "L'instruction de notre armée; sa valeur éducatrice et civique" angesagt. Diese Vortragsreihe, insbesondere das Referat von Hirschy, ![]() ![]() | 1 |
B. | |
Auf Privatklage von Dekan Fricker sprach der Gerichtspräsident VI von Bern mit Urteil vom 11./12. Juli 1974 Rudolf Fink, Christian Rubi, Amandus Zenzünen sowie Peter Wild der Nötigung schuldig und verurteilte den ersten zu 15 Tagen und die übrigen zu 7 Tagen Gefängnis. Allen Verurteilten wurde der bedingte Strafvollzug mit einer Probezeit von drei Jahren gewährt.
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Auf Appellation der Verurteilten hin bestätigte das Obergericht des Kantons Bern am 29. Oktober 1974 den erstinstanzlichen Entscheid.
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C. | |
Fink, Rubi, Zenzünen und Wild führen Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das vorinstanzliche Urteil zu kassieren. ![]() | 4 |
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Erwägung 1 | |
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Das Nötigungsmittel sieht die Vorinstanz in der akustischen Einwirkung ("andere Beschränkung" der Handlungsfreiheit); das erzwungene Verhalten darin, dass Dekan Fricker, Rektor Nef und Korpskommandant Hirschy am Sprechen gehindert wurden und die beiden ersteren überdies genötigt waren, das Referat abzusagen. Die Verhinderung des geplanten Vortrages sei ein missbräuchlicher und sittenwidriger Eingriff in die Meinungs- und Versammlungsfreiheit der Bürger und daher rechtswidrig.
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Erwägung 2 | |
2.- Wenn Art. 181 StGB neben Gewalt und Androhung ernstlicher Nachteile die Generalklausel "oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit" verwendet, so ist damit gemeint, dass der Täter mit anderen, im Gesetz nicht näher umschriebenen Mitteln auf das Opfer einwirkt. Dabei ist nicht erforderlich, dass die betreffenden Nötigungsmittel das Opfer völlig widerstandsunfähig machen. Im Gegensatz zu den Art. 139, 187 und 188 StGB, deren Auslegung hier offen bleiben kann (vgl. dazu BGE 100 IV 164), lässt es Art. 181 StGB genügen, dass die Handlungsfreiheit beschränkt wird ("Beschränkung", "en l'entravant", "o intralciando"), ohne dass sie vollständig ausgeschlossen sein müsste (siehe E. HAFTER, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil, S. 94; V. SCHWANDER, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Aufl., Nr. 628 c und d; E. SCHMIDT, Die Nötigung als selbständiger Tatbestand und als Tatbestandselement im Strafgesetzbuch, Diss. Bern 1969, S. 65 und 95 ff. mit Hinweisen auf die Entstehungsgeschichte). Trotz des an sich niedrigen Strafminimums kann aber nicht jeder noch so geringfügige Druck auf die Entscheidungsfreiheit eines andern zu einer Bestrafung führen. Vielmehr muss das verwendete Zwangsmittel das üblicherweise geduldete Mass der Beeinflussung in ähnlicher Weise eindeutig überschreiten, wie es für die vom Gesetz ausdrücklich genannte Gewalt oder die Androhung ernstlicher Nachteile gilt. Unter die Generalklausel fallen demnach nicht nur Narkose, Betäubung, schwerer Rausch, Hypnose und ähnliche ![]() ![]() | 8 |
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b) Ferner bestreitet die Beschwerde den Tatbestand der Nötigung, weil davon auszugehen sei, dass nur die fünf Angeklagten geschrien hätten; das Brüllen der anderen Teilnehmer könne sie nichts angehen; sonst hätte die Untersuchung gegen alle Teilnehmer angehoben werden müssen; dass gegenüber anderen Demonstranten nicht vorgegangen worden sei, sei willkürlich. Diese Einwände gehen fehl. Im angefochtenen ![]() ![]() | 10 |
Erwägung 3 | |
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Ebenso verhält es sich bezüglich des angekündigten Vortrages. Korpskommandant Hirschy war genötigt, auf sein Referat zu verzichten. Zwar stand er nicht direkt unter der Wirkung des Lärms; aber den Äusserungen und dem Verhalten der Demonstranten ("Hirschy raus") war zu entnehmen, dass die Lärmstörungen auch beim Versuch, den Vortrag zu halten, fortgesetzt worden wären. Wie aber die Aussicht auf Fortsetzung der Gewaltanwendung der Gewaltanwendung gleichsteht, muss auch die Aussicht, der fortgesetzten Wirkung eines andern die Freiheit beschränkenden Zwangsmittels unterworfen zu sein, dessen unmittelbarer Anwendung gleichgestellt werden (vgl. SCHÖNKE/SCHRÖDER, Strafgesetzbuch, 16. Auflage, N. 11 vor §§ 234 ff.).
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Demnach steht auch fest, dass zwischen dem Schreien der Beschwerdeführer und der Verhinderung ein Kausalzusammenhang besteht. Die in der Beschwerde dagegen erhobenen ![]() ![]() | 13 |
Erwägung 4 | |
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Erwägung 5 | |
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Durch organisiertes und mit Megaphon verstärktes Brüllen und Rufen verhinderten die Beschwerdeführer den von der Universität organisierten Vortrag. Sie hinderten damit ebenfalls das Publikum, das erschienen war, um den Referenten anzuhören, dessen Ansicht zur Kenntnis zu nehmen. Ein solcher Eingriff in die Freiheit der die Versammlung veranstaltenden Professoren, des Referenten sowie der Zuhörer stellte einen rechtswidrigen Eingriff in die Meinungsäusserungsfreiheit dar. Denn auch wenn die Meinungsäusserungsfreiheit, die von der Praxis als ungeschriebenes Grundrecht anerkannt wird (BGE 97 I 896 E. 4 und 96 I 592 f. mit Verweisungen), primär die Beziehungen zwischen dem Bürger einerseits und dem Staat andererseits betrifft, so müssen ihr doch auch Wirkungen im horizontalen Verhältnis (d.h. zwischen den Bürgern) zuerkannt werden. Hierfür besteht gerade im Hinblick auf die demokratische Willensbildung ein berechtigtes Interesse.
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Die Beschwerdeführer berufen sich zur Rechtfertigung ihres Verhaltens ebenfalls auf die Meinungsäusserungsfreiheit. Zu Unrecht. Sie hatten am Nachmittag des 9. Februar Gelegenheit, ihre Meinung in der von ihnen organisierten Vorversammlung, wofür ihnen die Aula zur Verfügung gestellt worden ![]() ![]() | 17 |
Entscheid: | |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann. ![]() | 19 |
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