BVerfGE 96, 100 - Überstellung auf Wunsch |
1. Stellt ein Gesetz die Vornahme oder das Unterlassen einer Maßnahme in das Ermessen der zuständigen Behörde, so greift die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, wenn das Entscheidungsprogramm des Gesetzes der Behörde aufgibt, bei der Ermessensausübung rechtlich geschützte Interessen des Betroffenen zu berücksichtigen. |
2. Das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen und das Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen veranlassen ein Verfahren, in dem die Grundrechtsposition des Verurteilten neben dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung zu berücksichtigen ist. Findet ein zweistufiges Verfahren statt, in dem vor der Bewilligungsentscheidung des Bundesministeriums der Justiz die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde die vollstreckungsrechtlichen Belange prüft und eine Überstellung anregt, so muß der Resozialisierungsanspruch des Verurteilten bei der Entscheidung der Staatsanwaltschaft Berücksichtigung finden. Art. 19 Abs. 4 GG verbürgt insoweit den gerichtlichen Rechtsschutz zur Prüfung, ob die Vollstreckungsbehörde ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. |
Beschluß |
des Zweiten Senats vom 18. Juni 1997 |
-- 2 BvR 483, 2501, 2990/95 -- |
in den Verfahren über die Verfassungsbeschwerden 1. des Herrn K... [...]; 2. des Herrn F... [...]; 3. des Herrn Y... [...]. |
Entscheidungsformel: |
1. Die Beschlüsse des Landgerichts Bonn ... . Der Beschluß wird aufgehoben. ... . |
2. Der Beschluß ... ... wird aufgehoben. |
3. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer zu 1., das Land Rheinland-Pfalz hat dem Beschwerdeführer zu 3. die notwendigen Auslagen zu erstatten. |
4. Die Verfassungsbeschwerde zu 2. wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Anträge auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts werden abgelehnt. |
Gründe: |
Die zu gemeinsamer Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden betreffen Fragen des Rechtsschutzes verurteilter ausländischer Strafgefangener hinsichtlich der von ihnen gewünschten Überstellung zur Strafvollstreckung in ihr Heimatland.
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A. -- I. |
Das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) vom 23. Dezember 1982 (BGBl. 1982 I S. 2071) - in Kraft seit 1. Juli 1983 - sieht in §§ 71 ff. erstmals vor, daß ein ausländischer Staat um die Vollstreckung eines Strafurteils ersucht werden kann. Dies kommt vor allem in Betracht, wenn ein von einem deutschen Gericht verurteilter Ausländer nach dem Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen den Wunsch äußert, in seinen Heimatstaat überstellt zu werden. Dieses vom Europarat zur Unterzeichnung aufgelegte und von der Bundesrepublik Deutschland am 21. März 1983 unterzeichnete Übereinkommen ist aufgrund des Zustimmungsgesetzes vom 26. September 1991 für die Bundesrepublik Deutschland am 1. Februar 1992 in Kraft getreten.
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1. Das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen in der für die Entscheidung maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juni 1994 (BGBl. 1994 I S. 1537) bestimmt:
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(1) Ein ausländischer Staat kann um Vollstreckung einer im Geltungsbereich dieses Gesetzes gegen einen Ausländer verhängten Strafe oder sonstigen Sanktion ersucht werden, wenn
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1. der Verurteilte in dem ausländischen Staat seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat oder sich dort aufhält und nicht ausgeliefert wird, weil ein Auslieferungsersuchen nicht gestellt oder abgelehnt wird oder die Auslieferung nicht ausführbar ist, oder
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2. die Vollstreckung in dem ersuchten Staat im Interesse des Verurteilten oder im öffentlichen Interesse liegt.
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Die Überstellung des Verurteilten darf nur zur Vollstreckung einer freiheitsentziehenden Sanktion erfolgen; § 6 Abs. 2, § 11 gelten entsprechend.
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(2 bis 4) ...
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§ 74 Zuständigkeit des Bundes |
(1) Über ... die Stellung von Ersuchen an ausländische Staaten um Rechtshilfe entscheidet der Bundesminister der Justiz im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und mit anderen Bundesministern, deren Geschäftsbereich von der Rechtshilfe betroffen wird. Ist für die Leistung der Rechtshilfe eine Behörde zuständig, die dem Geschäftsbereich eines anderen Bundesministers angehört, so tritt dieser an die Stelle des Bundesministers der Justiz. ...
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(2) Die Bundesregierung kann die Ausübung der Befugnisse, über ausländische Rechtshilfeersuchen zu entscheiden und ausländische Staaten um Rechtshilfe zu ersuchen, im Wege einer Vereinbarung auf die Landesregierungen übertragen. Die Landesregierungen haben das Recht zur weiteren Übertragung.
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§ 77 Anwendung anderer Verfahrensvorschriften |
Soweit dieses Gesetz keine besonderen Verfahrensvorschriften enthält, gelten die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes und seines Einführungsgesetzes, der Strafprozeßordnung, des Jugendgerichtsgesetzes, der Abgabenordnung und des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten sinngemäß.
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2. Das Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen (ÜberstÜbk) vom 21. März 1983 (BGBl. 1991 II S. 1006 ff.; 1992 II S. 98 ff.) lautet in seinen hier maßgeblichen Vorschriften:
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...
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in dem Wunsch, die internationale Zusammenarbeit in strafrechtlichen Angelegenheiten weiterzuentwickeln;
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in der Erwägung, daß diese Zusammenarbeit den Interessen der Rechtspflege dienen und die soziale Wiedereingliederung verurteilter Personen fördern sollte;
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in der Erwägung, daß es diese Ziele erfordern, Ausländern, denen wegen der Begehung einer Straftat ihre Freiheit entzogen ist, Gelegenheit zu geben, die gegen sie verhängte Sanktion in ihrer Heimat zu verbüßen;
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in der Erwägung, daß dieses Ziel am besten dadurch erreicht werden kann, daß sie in ihr eigenes Land überstellt werden -
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sind wie folgt übereingekommen:
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Art. 1 Begriffsbestimmungen |
Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck
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a) "Sanktion" jede freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme, die von einem Gericht wegen einer Straftat für eine bestimmte Zeit oder auf unbestimmte Zeit verhängt worden ist;
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b) "Urteil" eine Entscheidung eines Gerichts, durch die eine Sanktion verhängt wird;
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c) "Urteilsstaat" den Staat, in dem die Sanktion gegen die Person, die überstellt werden kann oder überstellt worden ist, verhängt worden ist;
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d) "Vollstreckungsstaat" den Staat, in den die verurteilte Person zum Vollzug der gegen sie verhängten Sanktion überstellt werden kann oder überstellt worden ist.
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Art. 2 Allgemeine Grundsätze |
(1) Die Vertragsparteien verpflichten sich, nach diesem Übereinkommen im Hinblick auf die Überstellung verurteilter Personen weitestgehend zusammenzuarbeiten.
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(2) Eine im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei verurteilte Person kann nach diesem Übereinkommen zum Vollzug der gegen sie verhängten Sanktion in das Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei überstellt werden. Zu diesem Zweck kann sie dem Urteils- oder dem Vollstreckungsstaat gegenüber den Wunsch äußern, nach diesem Übereinkommen überstellt zu werden.
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(3) Das Ersuchen um Überstellung kann entweder vom Urteils- oder vom Vollstreckungsstaat gestellt werden.
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(1) Eine verurteilte Person kann nach diesem Übereinkommen nur unter den folgenden Voraussetzungen überstellt werden:
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a) daß sie Staatsangehöriger des Vollstreckungsstaats ist;
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b) daß das Urteil rechtskräftig ist;
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c) daß zum Zeitpunkt des Eingangs des Ersuchens um Überstellung noch mindestens sechs Monate der gegen die verurteilte Person verhängten Sanktion zu vollziehen sind oder daß die Sanktion von unbestimmter Dauer ist;
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d) daß die verurteilte Person oder, sofern einer der beiden Staaten es in Anbetracht ihres Alters oder ihres körperlichen oder geistigen Zustands für erforderlich erachtet, ihr gesetzlicher Vertreter ihrer Überstellung zustimmt;
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e) daß die Handlungen oder Unterlassungen, derentwegen die Sanktion verhängt worden ist, nach dem Recht des Vollstreckungsstaats eine Straftat darstellen oder, wenn sie in seinem Hoheitsgebiet begangen worden wären, darstellen würden;
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f) daß sich der Urteils- und der Vollstreckungsstaat auf die Überstellung geeinigt haben.
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...
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Art. 4 Informationspflicht |
(1) Jede verurteilte Person, auf die dieses Übereinkommen Anwendung finden kann, wird durch den Urteilsstaat vom wesentlichen Inhalt dieses Übereinkommens unterrichtet.
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(2) Hat die verurteilte Person dem Urteilsstaat gegenüber den Wunsch geäußert, nach diesem Übereinkommen überstellt zu werden, so teilt der Urteilsstaat dies dem Vollstreckungsstaat so bald wie möglich nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils mit.
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(3) Die Mitteilung enthält
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a) Namen, Geburtstag und Geburtsort der verurteilten Person;
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b) gegebenenfalls ihre Anschrift im Vollstreckungsstaat;
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c) eine Darstellung des Sachverhalts, welcher der Sanktion zugrunde liegt;
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d) Art und Dauer der Sanktion sowie Beginn ihres Vollzugs.
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(4) Hat die verurteilte Person dem Vollstreckungsstaat gegenüber ihren Wunsch geäußert, überstellt zu werden, so übermittelt der Urteilsstaat dem Vollstreckungsstaat auf dessen Ersuchen die in Absatz 3 bezeichnete Mitteilung.
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3. Ergänzende Bestimmungen enthält die Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Übereinkommens über die Überstellung verurteilter Personen vom 19. Dezember 1991 (BGBl. 1992 II S. 98 ff.):
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"...
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Bei Hinterlegung der Ratifikationsurkunde hat Deutschland folgende Erklärungen abgegeben:
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'Zum Übereinkommen insgesamt:
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Die Bundesrepublik Deutschland geht in Übereinstimmung mit der Präambel des Übereinkommens davon aus, daß dessen Anwendung nicht nur die soziale Wiedereingliederung verurteilter Personen fördern, sondern auch den Interessen der Rechtspflege dienen soll. Sie wird dementsprechend die Entscheidung über die Überstellung von Verurteilten in jedem Einzelfall auf der Grundlage aller ihrem Strafrecht zugrundeliegenden Strafzwecke treffen.
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Zu Artikel 2 Abs. 2 Satz 2:
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Die Bundesrepublik Deutschland legt das Übereinkommen dahin aus, daß es Rechte und Pflichten ausschließlich zwischen den Vertragsparteien begründet und verurteilten Personen hieraus keine Ansprüche oder subjektiven Rechte erwachsen noch solche Ansprüche oder Rechte begründet werden müssen.
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..."
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II. |
1. a) Der Beschwerdeführer zu 1., ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, wurde wegen Betäubungsmitteldelikten zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Die Hälfte der Strafe wird er am 5. Januar 1998, zwei Drittel am 6. Januar 2000 verbüßt haben; das Strafende ist auf den 6. Januar 2004 notiert. Er beantragte bei der Staatsanwaltschaft, zur weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe in die Türkei überstellt zu werden. Er habe ein berechtigtes Interesse an der Überstellung, da er die deutsche Sprache nicht beherrsche, in der Bundesrepublik Deutschland nicht integriert und im deutschen Strafvollzug weitgehend isoliert sei. Seine Verlobte und seine engere Familie (Eltern und elf Geschwister) lebten in der Türkei und könnten ihn aus Kosten- und teilweise auch aus Gesundheitsgründen nicht oder nicht regelmäßig besuchen. Die Überstellung in sein Heimatland, wo er bleiben wolle, sei auch im Blick auf das Resozialisierungsziel sinnvoll.
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Die Staatsanwaltschaft teilte daraufhin dem Beschwerdeführer mit, daß das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen nicht beabsichtige, die Überstellung des Beschwerdeführers an die türkische Regierung heranzutragen. Die dagegen erhobene Beschwerde verwarf die Strafvollstreckungskammer als unzulässig, weil eine Überstellung gemäß § 71 IRG im Ermessen der Staatsanwaltschaft liege, wogegen es kein Rechtsmittel gebe. Mit einer dagegen zum Oberlandesgericht erhobenen Beschwerde machte der Beschwerdeführer insbesondere geltend, die Staatsanwaltschaft habe ihr Ermessen sachgerecht auszuüben. Dies sei offensichtlich nicht geschehen, denn die Begründung habe nur in der Mitteilung der Entscheidung des Justizministeriums bestanden.
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Das Oberlandesgericht entschied daraufhin, daß das Rechtsmittel gemäß § 304 Abs. 1 StPO zwar statthaft, in der Sache jedoch unbegründet sei. Der ablehnende Bescheid des Justizministeriums, den die Staatsanwaltschaft der Verteidigung mitgeteilt habe, unterliege keiner gerichtlichen Nachprüfung. Der Beschwerdeführer habe weder einen Anspruch auf ein völkerrechtliches Ersuchen noch auf Anregung eines solchen Ersuchens durch die Vollstreckungsbehörde. Dies folge aus der Erklärung der Bundesrepublik Deutschland zu Art. 2 Satz 2 ÜberstÜbk anläßlich der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde.
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b) Der Beschwerdeführer rügt mit der Verfassungsbeschwerde die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3, 103 Abs. 1 GG. Die Auffassung, Entscheidungen seien hier nicht justitiabel, könne vor Art. 19 Abs. 4 GG keinen Bestand haben. Aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip sei ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung darüber herzuleiten, ob dem Wunsch eines Verurteilten, in seinen Heimatstaat zum Zweck der Strafvollstreckung überstellt zu werden, Folge gegeben werde. Die Vollstreckung in seinem Heimatland stelle sich für den Beschwerdeführer als der geringere Eingriff in dessen Freiheitsgrundrecht dar.
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2. a) Auch der Beschwerdeführer zu 2. beantragte, seine Freiheitsstrafe in der Türkei, seinem Heimatland, verbüßen zu dürfen. Er war wegen Betäubungsmitteldelikten zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt worden. Zur Begründung trug er insbesondere vor, daß er kein Deutsch spreche und seinen Lebensmittelpunkt in der Türkei habe. Seine Wiedereingliederung komme nur dort in Betracht. Auch leide er unter erheblichen Magenbeschwerden. Die ärztliche Versorgung stoße wegen der Sprachprobleme in Deutschland auf Schwierigkeiten.
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Die Staatsanwaltschaft beschied den Beschwerdeführer dahin, daß sein Wunsch vom Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen in Anbetracht der Schwere seiner Schuld und unter Abwägung der Interessen der Rechtspflege abgelehnt worden sei. In seiner abschlägigen Beschwerdeentscheidung führte der Generalstaatsanwalt weiter aus, dem Beschwerdeführer stehe kein subjektives Recht zu. Er könne weder ein Ersuchen um Vollstreckungshilfe an die Türkei verlangen noch die Anregung eines solchen Ersuchens. Die Staatsanwaltschaft habe in Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens entschieden. Sie habe sowohl die mit dem Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen verfolgten Zwecke als auch die dem Beschwerdeführer durch die Vollstreckung der Strafe in Deutschland erwachsenden Nachteile berücksichtigt. Andererseits sei aber auch den Interessen der Rechtspflege auf der Grundlage aller dem deutschen Strafrecht zugrundeliegenden Strafzwecke Rechnung zu tragen. In Anbetracht der erheblichen Schuld des Beschwerdeführers und unter Berücksichtigung insbesondere generalpräventiver Strafzwecke sowie in Ansehung der Vollstreckungspraxis in der Türkei sei die Entscheidung der Staatsanwaltschaft durchaus sachgemäß gewesen. Nach vorliegenden Erkenntnissen stehe nämlich zu erwarten, daß der Verurteilte im Falle einer Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe in der Türkei bereits nach Verbüßung von 42 v.H. der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung entlassen werde. Diese Vollstreckungspraxis widerspreche den mit der Strafvollstreckung nach deutschem Strafrecht verfolgten Zwecken und führe darüber hinaus zu einer erheblichen Benachteiligung vor allem deutscher Strafgefangener.
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Das Oberlandesgericht verwarf den gemäß §§ 23 ff. EGGVG gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig. Zwar handele es sich bei der Entscheidung der Vollstreckungsbehörde um eine Maßnahme im Sinne des § 23 EGGVG. Diese verletze den Beschwerdeführer jedoch nicht in seinen Rechten (§ 24 Abs. 1 EGGVG), da sich aus dem Überstellungsübereinkommen für ihn kein subjektives Recht ergebe. Selbst wenn man das Begehren des Beschwerdeführers für zulässig hielte, könne es in der Sache keinen Erfolg haben. Bei der Entschließung über die Weiterleitung eines Überstellungsgesuchs sei es der Vollstreckungsbehörde nicht verwehrt, die dem deutschen Strafrecht zugrundeliegenden Strafzwecke in Rechnung zu stellen und gegenüber den Belangen des Betroffenen abzuwägen. Dabei könne die Vollstreckungsbehörde insbesondere den Strafzweck der Generalprävention berücksichtigen. Es sei zu erwarten, daß der Beschwerdeführer in der Türkei bereits nach Verbüßung von 42 v.H. der verhängten Freiheitsstrafe entlassen werde, während er in Deutschland erst nach Verbüßung von zwei Dritteln seiner Strafe wieder in Freiheit kommen könne. Diesen Erwägungen den Vorrang gegenüber den persönlichen Belangen des Beschwerdeführers einzuräumen, sei nicht ermessensfehlerhaft.
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b) Der Beschwerdeführer rügt - im wesentlichen unter Wiederholung und Vertiefung seines früheren Sachvortrags - die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. 19 Abs. 4, 20 GG. Ihm stehe ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Überstellungsantrag zu, dessen Beachtung gemäß Art. 19 Abs. 4 GG gerichtlich überprüfbar sein müsse.
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3. a) Auch der Beschwerdeführer zu 3., der wegen Betäubungsmitteldelikten zu einer Freiheitsstrafe von dreizehn Jahren verurteilt ist, beantragte die Überstellung in die Türkei. Nur dort, in seinem Heimatland, habe er soziale Bindungen, während er im deutschen Vollzug isoliert sei, zumal er kein Deutsch spreche. In der Türkei lebe seine Familie (Ehefrau und drei Kinder). Aufgrund der gegen ihn bestehenden Ausweisungsverfügung würden ihm Behandlungsmaßnahmen wie Vollzugslockerungen und Ausbildung verweigert.
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Die Staatsanwaltschaft lehnte den Antrag ab, da die weitere Vollstreckung in Deutschland angesichts der Schwere des begangenen Verbrechens im öffentlichen Interesse liege. Die gegen die Ablehnung eingereichte Beschwerde zur Generalstaatsanwaltschaft blieb "aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Bescheids" erfolglos.
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Das Oberlandesgericht verwarf den unter Bezugnahme auf §§ 23 ff. EGGVG gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft darüber, ob die Stellung eines Vollstreckungsersuchens bei der Bundesregierung angeregt werden solle, sei kein Justizverwaltungsakt im Sinne des § 23 Abs. 1 EGGVG, sondern ein behördeninterner Vorgang ohne unmittelbare Rechtswirkung nach außen.
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b) Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 Abs. 1, 6 Abs. 1, 19 Abs. 4 und 20 Abs. 3 GG. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft habe eine unmittelbare Auswirkung auf seine Rechtsstellung und müsse daher gerichtlich überprüfbar sein. Seine Familie habe nicht die Möglichkeit, ihn in der Bundesrepublik Deutschland zu besuchen, so daß die Ablehnung einer Überstellung für ihn bedeute, seine Familie bis zu 13 Jahren nicht mehr sehen zu können. Eine Resozialisierung werde in der deutschen Vollzugsanstalt auch nicht ansatzweise versucht.
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III. |
Das Bundesministerium der Justiz, das Bundesverwaltungsgericht, der Bundesgerichtshof, der Generalbundesanwalt sowie die Justizminister der Länder Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
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1. Namens der Bundesregierung vertritt das Bundesministerium der Justiz den Standpunkt, daß in den Fällen, in denen beim Vollstreckungshilfeverkehr mit dem Ausland ein Bundesministerium Bewilligungsbehörde sei, die abschließende vollstreckungsrechtliche Entscheidung der Staatsanwaltschaft, ein Ersuchen um Vollstreckungshilfe im konkreten Fall nicht anzuregen, der gerichtlichen Überprüfung unterliegen müsse.
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Nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung habe der Gefangene aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG einen Anspruch auf Resozialisierung. Im Bereich des Strafvollzugsrechts habe das Bundesverfassungsgericht dies dahingehend konkretisiert, daß der Gefangene von Verfassungs wegen einen Anspruch auf gerichtliche Überprüfung des von der Strafvollzugsbehörde bei der Vollzugsplanung ausgeübten Ermessens habe und dementsprechend der Rechtsweg etwa zur Überprüfung von Entscheidungen über eine Verlegung von Gefangenen gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG gegeben sei. Nach Auffassung der Bundesregierung seien diese Grundsätze auch bei der Überstellung anwendbar.
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Die maßgebliche Regelung für das Vollstreckungshilfeverfahren und die Rechtsstellung des betroffenen Gefangenen finde sich in § 71 Abs. 1 IRG, nach dem ein Vollstreckungshilfeersuchen gestellt werden könne, wenn die Vollstreckung im ersuchten Staat im Interesse des Verurteilten oder im öffentlichen Interesse liege. Danach habe die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, ob sie gegenüber der Bewilligungsbehörde ein Vollstreckungshilfeersuchen anrege. Die ermessensfehlerfreie Entscheidung setze eine Abwägung der öffentlichen Interessen und der Interessen des Verurteilten an der Vollstreckung im ausländischen Staate voraus. Dabei seien das mit der Vollstreckungshilfe angestrebte Ziel der Resozialisierung (familiäre Bindungen, Sprache, Kultur des betroffenen Verurteilten etc.) sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen.
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Daran ändere auch das Überstellungsübereinkommen nichts, das den von § 71 Abs. 1 IRG gesetzten Rahmen ausfülle. Das Übereinkommen schwäche nicht die rechtliche Position des Verurteilten, sondern stärke sie. So verlange es - im Unterschied zu § 71 IRG - als Voraussetzung der Überstellung eine Zustimmung des Verurteilten. Sowohl der Vorschrift des § 71 Abs. 1 IRG als auch den Bestimmungen des Art. 1 i.V.m. Art. 3 und 4 des Übereinkommens lägen nicht allein die objektiven Interessen der Rechtspflege zugrunde, sondern jedenfalls auch die Individualinteressen des betroffenen Verurteilten.
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Einige Oberlandesgerichte hätten sich den Weg zu dieser Auslegung verstellt, weil sie die rechtlich strikt zu trennende Ebene der innerstaatlichen, vollstreckungsrechtlichen Prüfung eines Überstellungswunsches mit der Ebene der Bewilligung und Vornahme eines zwischenstaatlichen Vollstreckungshilfeersuchens in eins gesetzt hätten. So habe im Falle des Beschwerdeführers zu 1. das Oberlandesgericht unzutreffend auf den ablehnenden Bescheid des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen abgestellt. Zuständige Strafvollstreckungsbehörde sei die Staatsanwaltschaft. Das Landesjustizministerium sei insoweit lediglich justizverwaltungsintern als Aufsichtsbehörde tätig geworden. Bewilligungsbehörde im Sinne des § 74 Abs. 1 Satz 1 IRG sei demgegenüber das Bundesministerium der Justiz im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt, da für den Vollstreckungshilfeverkehr mit der Türkei eine Übertragung der Befugnisse auf die Landesregierungen gemäß § 74 Abs. 2 IRG nicht stattgefunden habe. Auf dieser Ebene handele es sich um außenpolitische Entscheidungen im Rahmen der Pflege der Beziehungen zu einem anderen Staat im Sinne des Art. 32 GG, in die mannigfache innen- und außenpolitische Wertungen einflößen und die deshalb - im Unterschied zu vollstreckungsrechtlichen innerstaatlichen Entscheidungen der Staatsanwaltschaft - nicht justitiabel seien.
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Nur für diese Entscheidungsebene könne die völkerrechtliche Erklärung der Bundesrepublik Deutschland zu Art. 2 des Überstellungsübereinkommens herangezogen werden, die klarstelle, daß ein förmliches Ersuchen um Überstellung lediglich vom Urteilsstaat, nicht jedoch von dem Verurteilten gestellt werden könne. Diesem solle nämlich nicht die Rechtsstellung eines völkerrechtlich Berechtigten erwachsen. Zu der innerstaatlichen Ebene hingegen verhielten sich das völkerrechtliche Abkommen und die dazu abgegebene völkerrechtliche Erklärung nicht; insoweit gelte das innerstaatliche Recht des jeweiligen Vertragsstaates.
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Bei der staatsanwaltlichen Entscheidung handele es sich auch nicht um ein Verwaltungsinternum ohne Außenwirkung und ohne Regelungsgehalt. Im Lichte der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern obliege die Entscheidung, ob aus vollstreckungsrechtlicher Sicht eine strafrechtliche Zusammenarbeit mit dem Ausland im Wege der Vollstreckungshilfe erfolgen solle, ausschließlich und abschließend den Vollstreckungsbehörden der Länder. Lehne die Staatsanwaltschaft die Anregung eines Ersuchens um Vollstreckungshilfe aus vollstreckungsrechtlichen Gründen ab, sei das Bundesministerium der Justiz als Bewilligungsbehörde zu einer Entscheidung nicht mehtr befugt. Das Verfahren sei dann vielmehr, auch mit Bindungswirkung gegenüber dem Verurteilten, beendet. Die Anregung eines Vollstreckungshilfeersuchens sei nicht mit einem Akt des Wohlwollens oder der Gnade vergleichbar, sondern entspreche dem rechtlichen Charakter anderer vollstreckungsrechtlicher Entscheidungen, z. B. gemäß § 456a StPO (Absehen von Vollstreckung bei Auslieferung und Ausweisung), gegen die Rechtsschutz gewährleistet sei.
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2. Der Generalbundesanwalt ist der Ansicht, die Anwendung des Prozeßrechts durch die Gerichte, insbesondere ihre Auslegung von Art. 2 Abs. 2, 4 Abs. 2 ÜberstÜbk und § 71 Abs. 1 IRG, wonach ein Anspruch des Verurteilten auf Stellung oder Anregung eines Vollstreckungshilfeersuchens oder auch nur auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung darüber nicht bestehe, sei mit dem Grundgesetz vereinbar. Da die Rechtssphäre des Verurteilten durch das Nichtstellen eines Vollstreckungs- hilfeersuchens nicht verletzt werde, komme eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG nicht in Betracht.
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3. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hält die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 483/95 für zumindest unbegründet. Dem Beschwerdeführer stehe kein der gerichtlichen Überprüfung unterliegender Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zu.
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B. |
Den Verfassungsbeschwerden zu 1. und 3. kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, die ihre Annahme rechtfertigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Nur hier wird entscheidungserheblich die Frage aufgeworfen, ob die ablehnende Entscheidung der Vollstreckungsbehörde im Verfahren der Vollstreckungshilfe nach § 71 IRG in Verbindung mit dem Überstellungsübereinkommen justitiabel ist. Hingegen erfüllt die Verfassungsbeschwerde zu 2. nicht die Voraussetzungen, unter denen eine Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen werden kann. Im Ausgangsverfahren hat das Oberlandesgericht bereits hilfsweise Erwägungen zur Sache angestellt; es ist zu dem Ergebnis gekommen, daß das Begehren des Beschwerdeführers keinen Erfolg haben könne. Damit ist der Rechtsschutzverbürgung des Art. 19 Abs. 4 GG genügt. Eine Annahme zur Durchsetzung anderer in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannter Rechte (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG) kommt nicht in Betracht.
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C. |
Die Verfassungsbeschwerden zu 1. und 3. sind zulässig, soweit sie sich gegen die gerichtlichen Entscheidungen wenden. Diesen liegt die Auffassung zugrunde, daß der Verurteilte nicht nach Art. 19 Abs. 4 GG gerichtliche Nachprüfung verlangen könne, ob die Staatsanwaltschaft ihr Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt habe. Dabei ist es ohne Belang, daß die Gerichte im Ausgangsverfahren der Verfassungsbeschwerde zu 1. als Strafvollstreckungsgerichte entschieden haben, während im anderen Ausgangsverfahren das Oberlandesgericht mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG befaßt war. Im Ausgangsverfahren der Verfassungsbeschwerde zu 1. hatte die Strafvollstreckungskammer - freilich ohne besondere Darlegungen - ihre funktionelle Zuständigkeit bejaht; das Oberlandesgericht hat dies nicht beanstandet. Auch damit ist der Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG erschöpft.
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D. |
Die Beschlüsse, mit denen die Gerichte die Anträge der Beschwerdeführer zu 1. und 3. auf Überprüfung der staatsanwaltschaftlichen Bescheide als unzulässig angesehen haben, sind mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar.
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I. |
1. a) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, steht ihm gemäß Art. 19 Abs. 4 GG der Rechtsweg offen. Die Rechtsweggarantie setzt voraus, daß dem Betroffenen eine Rechtsposition zusteht, die Verletzung bloßer Interessen genügt nicht (BVerfGE 31, 33 [39 ff.]; 83, 182 [194]). Die Rechtsposition kann sich aus einem anderen Grundrecht oder einer grundrechtsgleichen Gewährleistung ergeben, aber auch durch Gesetz begründet sein, wobei der Gesetzgeber bestimmt, unter welchen Voraussetzungen dem Bürger ein Recht zusteht und welchen Inhalt es hat (vgl. BVerfGE 78, 214 [226]; 83, 182 [195]).
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b) Diese Grundsätze gelten auch, wenn ein Gesetz die Vornahme oder das Unterlassen einer Maßnahme in das Ermessen der zuständigen Behörde stellt. Gibt das Entscheidungsprogramm des Gesetzes der Behörde auf, bei der Ermessensausübung auch rechtlich geschützte Interessen des Betroffenen zu berücksichtigen, so greift die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Schützt die Norm demgegenüber keine rechtlichen Interessen des Betroffenen, ist die Ermessensentscheidung für ihn nicht justitiabel; im Grenzbereich verdient die grundrechtsfreundliche Interpretation den Vorzug (vgl. BVerfGE 15, 275 [281 f.]; 27, 297 [305 ff.]; 51, 176 [185 f.]).
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2. Die Rechtsstellung eines zu einer Freiheitsstrafe Verurteilten ist wesentlich durch seinen gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten Anspruch auf Resozialisierung bestimmt; das Resozialisierungsziel entspricht dem Selbstverständnis einer der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip verpflichteten Gemeinschaft (vgl. BVerfGE 35, 202 [235 f.]; 36, 174 [188]; 45, 187 [239]). Daraus erwächst bei Ermessensentscheidungen im Bereich des Strafvollzugs dem Verurteilten ein Anspruch darauf, daß die Behörden ihr Ermessen pflichtgemäß ausüben (vgl. schon BVerfGE 89, 315 [322 ff.]; des weiteren BVerfG - Kammer - Beschlüsse vom 16. Februar 1993, NJW 1993, S. 3188 [3189], vom 29. Oktober 1993, NStZ 1994, S. 100, vom 10. Februar 1994, StV 1994, S. 432 [433]). Dieser Anspruch umfaßt auch die gegenüber dem Strafvollzug eigenständige strafvollstreckungsrechtliche Frage, ob der Verurteilte zur Verbüßung seiner Strafe in seine Heimat überstellt wird.
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3. Das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen und das Überstellungsübereinkommen veranlassen ein Verfahren, in dem die Grundrechtsposition des Verurteilten neben dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung zu berücksichtigen ist.
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a) Die materielle Regelung der Überstellung eines Verurteilten in sein Heimatland zum Zweck des Vollzugs der gegen ihn verhängten Strafe findet sich zunächst in § 71 IRG. Nach dieser Vorschrift kann mit dem Vollstreckungshilfeersuchen sowohl das Interesse des Verurteilten wie auch das öffentliche Interesse aufgegriffen werden (§ 71 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IRG). Das Überstellungsübereinkommen ändert an dieser Rechtslage nichts. Es nimmt auf das Interesse des Verurteilten an seiner sozialen Wiedereingliederung Bezug und regelt dazu Einzelheiten des Verfahrens. Die Präambel des Übereinkommens bringt den Wunsch zum Ausdruck, die internationale Zusammenarbeit in strafrechtlichen Angelegenheiten weiterzuentwickeln, um den Interessen der Rechtspflege zu dienen und die soziale Wiedereingliederung verurteilter Personen zu fördern (vgl. auch die Denkschrift der Bundesregierung zum ÜberstÜbk, BTDrucks 12/194, S. 17). Die Überstellung nach dem Übereinkommen ist nur mit der Zustimmung des Betroffenen zulässig (Art. 3 Abs. 1 Buchstabe d ÜberstÜbk). Verurteilte werden vom wesentlichen Inhalt des Übereinkommens unterrichtet (Art. 4 Abs. 1 ÜberstÜbk).
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Äußern sie den Wunsch, nach dem Übereinkommen überstellt zu werden, so teilt der Urteilsstaat dies dem Vollstreckungsstaat so bald wie möglich nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils mit (Art. 4 Abs. 2 ÜberstÜbk). Die verurteilte Person wird sodann schriftlich über das Veranlaßte sowie über jede Entscheidung, die einer der beiden Staaten aufgrund eines Ersuchens um Überstellung getroffen hat, unterrichtet (Art. 4 Abs. 5 ÜberstÜbk). Die Bundesrepublik Deutschland geht, wie die bei Hinterlegung der Ratifikationsurkunde abgegebenen Protokollerklärungen vom 19. Dezember 1991 (BGBl. 1992 II S. 98 ff.) klarstellen, in Übereinstimmung mit der Präambel des Übereinkommens davon aus, daß dessen Anwendung nicht nur die soziale Wiedereingliederung verurteilter Personen fördern, sondern auch den Interessen der Rechtspflege dienen soll.
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b) Das Verfahren bei Vollzug des Überstellungsübereinkommens ist im Gesetz über die internationale Rechtshilfe nur punktuell geregelt. Dieses Gesetz legt insbesondere die Rolle der Vollstreckungsbehörde im Überstellungsverfahren nicht ausdrücklich fest, sondern sieht nur vor, daß ein Überstellungsersuchen an den Vollstreckungsstaat von der Bewilligungsbehörde gestellt wird. Bewilligungsbehörde ist, sofern die Ausübung dieser Befugnis nicht kraft Delegation den Landesregierungen zusteht, das Bundesministerium der Justiz, welches im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und gegebenenfalls weiteren Ministerien, wenn deren Geschäftsbereich betroffen ist, entscheidet (§ 74 IRG).
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Die Bewilligungspraxis des Bundesministeriums der Justiz geht beim Vollzug des Überstellungsübereinkommens von der Teilung des Verfahrens in zwei Stufen aus: Das Bundesministerium der Justiz wird als Bewilligungsbehörde nur tätig, wenn zuvor die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde die vollstreckungsrechtlichen Belange geprüft und eine Überstellung angeregt hat. Spricht die Staatsanwaltschaft sich aus vollstreckungsrechtlichen Erwägungen gegen die Überstellung aus, lehnt das Bundesministerium der Justiz es ab, sich mit der Sache überhaupt zu befassen. Es stützt sich dabei auf die durch Art. 30 GG vorgegebene Aufgabenteilung. Danach ist die Pflege der auswärtigen Beziehungen Sache des Bundes (Art. 32 Abs. 1 GG). Das Amt der mit der Strafvollstreckung betrauten Staatsanwaltschaft (§ 451 Abs. 1 StPO) nimmt bei Urteilen, die in Ausübung von Gerichtsbarkeit eines Landes ergangen sind, eine Landesbehörde wahr (§§ 141, 142 Abs. 1 Nr. 2 und 3 GVG). Dementsprechend beschränkt sich das Bundesministerium der Justiz als Bewilligungsbehörde auf die Würdigung außen- und allgemeinpolitischer Aspekte, die dem Vollstreckungshilfeverkehr als einer Form der Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten (Art. 32 Abs. 1 GG) innewohnen.
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4. Hieraus folgt auf der Grundlage der dargestellten zweistufigen Überstellungspraxis, daß die Grundrechtsposition des Verurteilten bei der Entscheidung der Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde Berücksichtigung finden muß.
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a) aa) Äußert der Verurteilte gemäß dem Überstellungsübereinkommen den Wunsch, zur Vollstreckung der gegen ihn verhängten Strafe in sein Heimatland überstellt zu werden, so ist es Aufgabe der Staatsanwaltschaft, die Interessen des Verurteilten an seiner sozialen Wiedereingliederung und die Belange der Rechtspflege - auch im Blick auf die Vollstreckungspraxis des Aufnahmestaates - vollstreckungsrechtlich zu würdigen. Dieses Entscheidungsprogramm gibt der Vollstreckungsbehörde auf, bei der Ermessensausübung auch den Resozialisierungsanspruch des Verurteilten zu berücksichtigen. Insoweit hat er ein Recht auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens der Vollstreckungsbehörde (so auch Lagodny NStZ 1993, 607 f.; Schomburg in: Uhlig/Schomburg/ Lagodny, IRG Kommentar, 2. Aufl. 1992, § 71 Rn. 3; Wilkitzki in: Vogler/Walter/Wilkitzki, IRG Kommentar, 2. Aufl., 29. Lfg. 1991, § 71 Rn. 3, in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen). Anderes gilt in dem zweistufigen Verfahren für die Entscheidung der Bewilligungsbehörde. Der dargestellten Rollenverteilung entsprechend orientiert sie sich allein an allgemein-, insbesondere außenpolitischen Belangen; ihr Entscheidungsprogramm ist nicht auf das rechtliche Interesse des Verurteilten ausgerichtet. Ihm steht insoweit ein Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung nicht zu.
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bb) Mit diesem Ergebnis stehen die völkerrechtlichen Erklärungen der Bundesrepublik Deutschland nicht in Widerspruch, wonach Rechte und Pflichten aus dem Übereinkommen ausschließlich zwischen den Vertragsparteien erwüchsen, während für verurteilte Personen keine Ansprüche oder subjektiven Rechte begründet würden. Wie das Bundesministerium der Justiz ausgeführt hat, betrifft diese Erklärung die völkerrechtlichen Beziehungen zwischen den Vertragsstaaten; sie soll ausschließen, daß dem einzelnen Verurteilten die Rechtsstellung eines völkerrechtlich Berechtigten erwächst. Zu der Frage, ob nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Prüfung des Überstellungswunsches besteht, verhält sich die Erklärung nicht.
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b) Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, ob bei der Bewilligungsbehörde ein Überstellungsersuchen angeregt werden soll, stellt sich als Rechtsakt mit unmittelbarer Außenwirkung für den betroffenen Verurteilten dar; sie ist nicht bloßes Verwaltungsinternum. Die Bewilligungsbehörde wird nur tätig, wenn eine entsprechende Anregung der Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde vorliegt. Ihr abschlägiger Bescheid hat abschließende Wirkung sowohl gegenüber der Bewilligungsbehörde als auch gegenüber dem Verurteilten.
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c) Die von der Vollstreckungsbehörde zu treffende Entscheidung wirkt sich mithin unmittelbar auf das grundrechtlich geschützte Resozialisierungsinteresse des Verurteilten (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG; vgl. dazu BVerfGE 45, 187 [238 f.]; 89, 315 [322]) aus. Deswegen verbürgt Art. 19 Abs. 4 GG den gerichtlichen Rechtsschutz zur Überprüfung, ob die Vollstreckungsbehörde ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Welcher Rechtsweg hierfür in Betracht kommt, haben die Fachgerichte in Auslegung und Anwendung der Vorschriften des Prozeßrechts festzustellen.
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II. |
1. An diesem Maßstab gemessen, können die gerichtlichen Beschlüsse in den Verfahren der Verfassungsbeschwerden zu 1. und 3. keinen Bestand haben. Die Gerichte haben den Beschwerdeführern Rechtsschutz gegen die Entschließungen der Strafvollstreckungsbehörden vorenthalten, weil sie der Meinung waren, das von den Staatsanwaltschaften geübte Ermessen sei hier nicht - auch nicht auf die Einhaltung der Fehlerfreiheit hin - überprüfbar. Der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG sind sie damit nicht gerecht geworden.
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2. Gemäß § 95 Abs. 1 BVerfGG ist die Verletzung der Grundrechte der Beschwerdeführer zu 1. und 3. aus Art. 19 Abs. 4 GG durch die angegriffenen Beschlüsse festzustellen; sie sind aufzuheben. Die Sache des Beschwerdeführers zu 1. ist an das Landgericht Bonn, die des Beschwerdeführers zu 3. an das Oberlandesgericht Koblenz zurückzuverweisen. Die Gerichte werden auch ihre funktionelle Zuständigkeit zu überprüfen haben.
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E. |
Da die Beschwerdeführer zu 1. und 3. mit ihren Verfassungsbeschwerden im wesentlichen durchdringen, ist der Ausspruch der vollen Erstattung ihrer Kosten angemessen (§ 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG).
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Limbach, Graßhof, Kruis, Kirchhof, Winter, Sommer, Jentsch, Hassemer |