BVerfGE 85, 191 - Nachtarbeitsverbot


BVerfGE 85, 191 (191):

1. Ein Gesetz ist nicht entscheidungserheblich im Sinne von Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG, wenn feststeht, daß es aufgrund entgegenstehenden Gemeinschaftsrechts nicht angewandt werden darf.
2. Eine Ungleichbehandlung, die an das Geschlecht anknüpft, ist mit Art. 3 Abs. 3 GG nur vereinbar, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich ist.
3. Der über das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG hinausreichende Regelungsgehalt des Art. 3 Abs. 2 GG besteht darin, daß er ein Gleichberechtigungsgebot aufstellt und dieses auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt.
4. Das Nachtarbeitsverbot des § 19 der Arbeitszeitordnung benachteiligt Arbeiterinnen im Vergleich zu Arbeitern und weiblichen Angestellten; es verstößt damit gegen Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 GG.
 
Urteil
des Ersten Senats vom 28. Januar 1992 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 1. Oktober 1991
-- 1 BvR 1025/82, 1 BvL 16/83 und 10/91 --
in den Verfahren ...


BVerfGE 85, 191 (192):

Entscheidungsformel:
1. Die Vorlagen sind unzulässig.
2. § 19 Abs. 1 erste Alternative der Arbeitszeitordnung vom 30. April 1938 (Reichsgesetzbl. I Seite 447), zuletzt geändert durch Gesetz vom 10. März 1975 (Bundesgesetzbl. I Seite 685) ist mit Artikel 3 Absatz 1 und 3 des Grundgesetzes unvereinbar.
3. Der Beschluß des Oberlandesgerichts Hamm vom 14. Juli 1982 - 4 Ss OWi 1135/82 - und das Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 29. März 1982 - 23 OWi 11 Js 861/81 (1439/81) - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
4. Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.
 
Gründe:
 
A.
In den Vorlagebeschlüssen wird dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 25 Abs. 1 Nr. 5 in Verbindung mit § 19 Abs. 1 und 2 der Arbeitszeitordnung vom 30. April 1938 (RGBl. I S. 447), zuletzt geändert durch Gesetz vom 10. März 1975 (BGBl. I S. 685) - AZO -, mit Art. 3 GG vereinbar ist. Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen Beschlüsse in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren, durch die

BVerfGE 85, 191 (193):

sie wegen der Beschäftigung von Arbeiterinnen zur Nachtzeit mit einem Bußgeld belegt worden ist.
I.
1. Nach § 19 Abs. 1 erste Alternative AZO ist die Beschäftigung von Arbeiterinnen zur Nachtzeit untersagt. Die Vorschrift lautet:
    "§ 19 Nachtruhe und Frühschluß vor Sonn- und Feiertagen
    (1) Arbeiterinnen dürfen nicht in der Nachtzeit von zwanzig bis sechs Uhr und an den Tagen vor Sonn- und Feiertagen nicht nach siebzehn Uhr beschäftigt werden.
    (2) In mehrschichtigen Betrieben dürfen Arbeiterinnen bis dreiundzwanzig Uhr beschäftigt werden. Nach vorheriger Anzeige an das Gewerbeaufsichtsamt kann die Frühschicht regelmäßig frühestens um fünf Uhr beginnen, wenn die Spätschicht entsprechend früher endet. Das Gewerbeaufsichtsamt kann zulassen, daß die Spätschicht regelmäßig spätestens um vierundzwanzig Uhr endet, wenn die Frühschicht entsprechend später beginnt.
    (3) ... ."
Von der Geltung der Arbeitszeitordnung sind gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 AZO eine Reihe von Wirtschaftszweigen, darunter vor allem die Land- und Forstwirtschaft, ausgenommen. Für das Pflegepersonal der Krankenpflegeanstalten gilt allein die Verordnung über die Arbeitszeit in Krankenpflegeanstalten vom 13. Februar 1924 (RGBl. I S. 66), geändert durch Gesetz vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469). Ein Nachtarbeitsverbot ist darin nicht enthalten. Weitere generelle Ausnahmen vom Nachtarbeitsverbot - so etwa für Verkehrsbetriebe und Gastwirtschaften - enthält § 19 Abs. 3 in Verbindung mit § 17 Abs. 3 AZO. Auch bei Notfallarbeiten dürfen Arbeiterinnen nachts eingesetzt werden (§ 21 AZO). In mehrschichtigen Betrieben gilt das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen nur eingeschränkt (§ 19 Abs. 2 AZO). Im Einzelfall können aus betriebstechnischen oder allgemeinwirtschaftlichen Gründen, bei einem dringenden Bedürfnis oder bei großer Tageshitze Ausnahmen zugelassen werden (§ 20 AZO). Nach § 28 AZO sind darüber hinaus Ausnahmegenehmigungen vorgesehen, wenn daran ein dringendes öf

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fentliches Interesse besteht. Die Arbeitszeit der Bäcker und Konditoren ist im Gesetz über die Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien (BAZG) vom 29. Juni 1936 (RGBl. I S. 521, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. Juli 1976, BGBl. I S. 1801) besonders geregelt. Nach § 13 Abs. 1 BAZG gelten auch insoweit die Vorschriften des Dritten Abschnitts der Arbeitszeitordnung über den erhöhten Schutz für Frauen, darunter das Nachtarbeitsverbot des § 19 Abs. 1 AZO.
Das Nachtarbeitsverbot ist nach § 25 Abs. 1 Nr. 5 AZO bußgeldbewehrt. Die Vorschrift lautet:
    "§ 25 Straf- und Bußgeldvorschriften
    (1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig
    1. bis 4. ...
    5. einer Vorschrift des § 12 Abs. 1 Satz 1, 2, Abs. 2 Satz 1, 3, des § 18 Abs. 1 bis 3 Satz 1, 3 oder des § 19 Abs. 1, 2 Satz 1, 2, Abs. 3 über arbeitsfreie Zeiten und Ruhepausen,
    6. bis 8. ...
    zuwiderhandelt."
Als Täter kommen nach § 9 Abs. 2 OWiG auch Personen in Betracht, die beauftragt sind, den Betrieb oder das Unternehmen ganz oder zum Teil zu leiten (Nr. 1), oder ausdrücklich beauftragt sind, in eigener Verantwortung Aufgaben wahrzunehmen, die dem Inhaber des Betriebes obliegen (Nr. 2). Betriebsleiter im Sinne von § 9 Abs. 2 Nr. 1 OWiG kann auch der Prokurist sein.
Nach Art. 1 des Gesetzes zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertragsgesetz - vom 23. September 1990 (BGBl. II S. 885) in Verbindung mit Art. 8 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 889) und Kapitel VIII, Sachgebiet C, Abschnitt III Nr. 7 b der Anlage I des Einigungsvertrages ist § 19 AZO in dem Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik nicht anzuwenden.
2. Ein reichsgesetzliches Verbot der Nachtarbeit von Frauen

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wurde zuerst durch die Novelle zur Gewerbeordnung vom 1. Juni 1891 (RGBl. S. 261), das "Arbeitsschutzgesetz", eingeführt (§ 137 Abs. 1 GewO). In der Begründung des Gesetzentwurfs wird dargelegt, das Nachtarbeitsverbot empfehle sich aus Rücksichten der Gesundheit und des Familienlebens (Verhandlungen des Reichstags 1890/91, Aktenstück Nr. 4, S. 26; Verhandlungen des Bundesrats, 1890, Drucks. Nr. 50, S. 51). Durch eine Novelle vom 28. Dezember 1908 erhielt § 137 Abs. 1 GewO eine Fassung, die im wesentlichen dem noch heute geltenden Nachtarbeitsverbot entspricht (RGBl. S. 667). Seine endgültige Fassung erhielt das Nachtarbeitsverbot durch eine Verordnung des Reichsarbeitsministers vom 30. April 1938 (RGBl. I S. 446).
In der Begründung dieser Verordnung heißt es, es bleibe weiteren Feststellungen vorbehalten, wie weit die nur für Arbeiterinnen geltenden Vorschriften über Nachtruhe und Frühschluß vor Sonn- und Feiertagen auch auf weibliche Angestellte unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Erfordernisse ausgedehnt werden könnten (RArbBl. III, 1938, S. 126 [127]). Durch Art. 240 Nr. 1 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch - EGStGB - vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469) wurde die auch für das Nachtarbeitsverbot einschlägige Bußgeldvorschrift (§ 25 AZO) in die noch heute geltende Fassung gebracht.
3. Von rund 27,7 Millionen Erwerbstätigen, darunter 10,8 Millionen Frauen, arbeiteten nach der Mikrozensuserhebung 1989 im Erhebungszeitraum insgesamt 4,1 Millionen ständig, regelmäßig oder gelegentlich nachts, darunter 3,24 Millionen Männer und 852.000 Frauen. Nachtarbeit leisteten 191.000 von insgesamt 2,949 Millionen Arbeiterinnen (6,5 vom Hundert), 478.000 von insgesamt 6,2 Millionen weiblichen Angestellten (7,6 vom Hundert) und 29.000 von 511.000 Beamtinnen (5,7 vom Hundert). 594.000 erwerbstätige Frauen waren selbständig; von dieser Gruppe leisteten 108.000 Nachtarbeit (18,2 vom Hundert).


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II.
1. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine Verurteilung der Beschwerdeführerin zu einem Bußgeld von 500 DM wegen eines Verstoßes gegen das Nachtarbeitsverbot. Die Beschwerdeführerin ist Prokuristin einer Backwarenfabrik. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts waren in diesem Betrieb am 16. Oktober 1981 gegen 0.35 Uhr vier Arbeiterinnen mit dem Verpacken von Kuchen beschäftigt. Die Beschwerdeführerin hat den Sachverhalt zugegeben, aber den Standpunkt vertreten, § 19 Abs. 1 AZO verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 und 3 GG. Das Amtsgericht ist ihrer Auffassung nicht gefolgt, ebensowenig das Oberlandesgericht, das die Rechtsbeschwerde der Beschwerdeführerin als offensichtlich unbegründet verwarf.
In den Gründen des amtsgerichtlichen Urteils, denen sich das Oberlandesgericht angeschlossen hat, wird ausgeführt: Alleiniger Zweck des Nachtarbeitsverbotes sei es, die schweren gesundheitlichen Schäden, die bei einer über längere Zeit ausgeübten Nachtarbeit entstünden, bei Frauen zu verhindern. Frauen würden dadurch insgesamt gesehen gegenüber den Arbeitern nicht benachteiligt, sondern begünstigt. Es spreche zwar manches dafür, daß der Gleichberechtigungsgrundsatz und das Benachteiligungsverbot es dem Gesetzgeber verwehrten, Regelungen aufrechtzuerhalten, die der Frau die überkommene Hausfrauenrolle zuwiesen oder durch familiäre Sozialisation und Tradition bedingte Unterschiede zwischen den Geschlechtern rechtlich festschrieben. Der Gesetzgeber könne aber an biologische Unterschiede anknüpfen und demgemäß Mann und Frau unterschiedlich behandeln. Die Frau sei wegen biologisch-konstitutioneller Besonderheiten durch Nachtarbeit stärker als der Mann gefährdet. Es sei nicht Sinn der Gleichberechtigung, Frauen Gefahren für ihre Gesundheit auszusetzen, die ihnen bislang nicht zugemutet worden seien.
Im Jahre 1983 beantragte das Unternehmen, bei dem die Beschwerdeführerin arbeitet, eine Ausnahmegenehmigung nach § 20 Abs. 1 AZO. Der Antrag wurde abschlägig beschieden. Eine Ausnahme vom Nachtarbeitsverbot dürfe nur aus betriebstechnischen

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oder allgemeinwirtschaftlichen Gründen genehmigt werden. Solche Gründe lägen nicht vor. Der Widerspruch blieb erfolglos. Über die dagegen erhobene verwaltungsgerichtliche Klage ist noch nicht entschieden. Nachdem die Klägerin unwidersprochen eine Aussetzung bis zur Entscheidung über die anhängige Verfassungsbeschwerde erbeten hatte, hat das Verwaltungsgericht bislang von einer Terminierung abgesehen.
2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG. Sie trägt vor, § 19 Abs. l AZO verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil er ohne sachlichen Grund zwischen weiblichen Angestellten und Arbeiterinnen unterscheide. Eine nicht nachvollziehbare Differenzierung ergebe sich ferner zwischen den Arbeiterinnen der Beschwerdeführerin und den Bäckergesellinnen, die auch zur Nachtzeit arbeiten dürften. Darüber hinaus verstoße die Regelung gegen Art. 3 Abs. 3 GG. Nachtarbeit sei für Männer nicht weniger schädlich als für Frauen. Die Stellung der Frau im Berufsleben habe sich gewandelt, was beispielsweise in § 611 a BGB zum Ausdruck komme; diesem Benachteiligungsverbot habe sie, die Beschwerdeführerin, entsprochen, als sie ihren Arbeiterinnen die Möglichkeit zur Nachtarbeit eingeräumt habe.
III.
Die Beschwerdeführerin ist zugleich Betroffene des Ausgangsverfahrens, das zu der Vorlage im Normenkontrollverfahren 1 BvL 16/83 geführt hat. Im Jahre 1982 wurden in einer Halle ihres Betriebes wieder mehrere Arbeiterinnen nachts beim Verpacken von Tortenböden angetroffen. Daraufhin verhängte das Staatliche Gewerbeaufsichtsamt eine Geldbuße in Höhe von 1.000 DM wegen Verstoßes gegen § 25 Abs. 1 Nr. 5 in Verbindung mit § 19 Abs. 1 AZO. Das auf den Einspruch der Betroffenen hin angerufene Amtsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 25 Abs. 1 Nr. 5 in Verbindung mit § 19 Abs. 1 AZO mit Art. 3 GG vereinbar sei.
Zur Begründung führt das Gericht aus: Die Betroffene müßte

BVerfGE 85, 191 (198):

verurteilt werden, wenn § 25 Abs. 1 Nr. 5 AZO verfassungsgemäß wäre. Diese Vorschrift verstoße jedoch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz und das Gebot, Männer und Frauen gleichzubehandeln, sowie gegen die Verpflichtung, niemanden wegen seines Geschlechts zu benachteiligen oder zu bevorzugen. Mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei davon auszugehen, daß eine Ungleichbehandlung nur dann nicht gegen Art. 3 Abs. 2 GG verstoße, wenn sie wegen der funktionalen und biologischen Unterschiede der Geschlechter nach der Natur der jeweiligen Lebensverhältnisse notwendig oder erlaubt sei. Das Rollenverständnis der Frau habe sich geändert. Die traditionelle Doppelbelastung der berufstätigen Frau sei nicht mehr als funktionales Unterscheidungsmerkmal anzusehen, das eine Ungleichbehandlung der Frau im Hinblick auf Nachtarbeit rechtfertigen könne. Die biologisch-konstitutionellen Besonderheiten der Frau rechtfertigten die Ungleichbehandlung ebensowenig. Frauen seien nicht stärker als Männer durch Nachtarbeit gesundheitlich gefährdet. Nachtarbeit sei für jeden menschlichen Organismus schädlich. Da Frauen nach der Reform des Ehe- und Familienrechts im Jahre 1976 rechtlich nicht mehr verpflichtet seien, den Haushalt zu führen, träte durch die Nachtarbeit auch keine unzumutbare Überforderung ein. Frauen hätten in den letzten Jahren unter anderem im sportlichen Bereich gezeigt, daß sie ebenso wie Männer in der Lage seien, körperliche Strapazen zu ertragen. Das soziale Netz in der Bundesrepublik Deutschland sei so ausgestaltet, daß Frauen durch Nachtarbeit nicht überfordert würden.
Darüber hinaus dürften Arbeiterinnen nicht anders behandelt werden als weibliche Angestellte oder weibliche Beamte. Die vom Gesetz zugelassenen Ausnahmen seien nicht nachvollziehbar. Daß Arbeiterinnen nachts zwar in einer Schankwirtschaft arbeiten, jedoch keinen Kuchen in einem Backwarenbetrieb verpacken dürften, sei nicht einzusehen. Durch das Nachtarbeitsverbot seien Arbeiterinnen bei der Stellensuche benachteiligt.


BVerfGE 85, 191 (199):

IV.
Der Betroffene des Ausgangsverfahrens in dem Normenkontrollverfahren 1 BvL 10/91 ist Inhaber eines Kunststoffbetriebes, in dem mehrschichtig gearbeitet wird. Im Juli 1990 stellte er einen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 20 Abs. 2 AZO zur Beschäftigung von Arbeiterinnen in der Zeit zwischen 23 und 6 Uhr. Der Antrag wurde abgelehnt. Der Widerspruch blieb erfolglos. Über die verwaltungsgerichtliche Klage ist noch nicht entschieden.
Im August 1990 beschäftigte er sieben Arbeiterinnen während der Zeit von 20 bis 6 Uhr. Dafür verhängte das Gewerbeaufsichtsamt ein Bußgeld in Höhe von 5.000 DM gegen ihn. Auf seinen Einspruch hin wurde die Sache dem Amtsgericht Hannover zur Entscheidung vorgelegt. Es hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 25 Abs. 1 Nr. 5 in Verbindung mit § 19 Abs. 2 Satz 1 AZO insoweit verfassungsmäßig sei, als darin bestimmt wird, daß der Verstoß gegen das nur für Arbeiterinnen, nicht aber für weibliche Angestellte geltende Nachtarbeitsverbot eine Ordnungswidrigkeit darstellt, die mit einer Geldbuße geahndet werden kann.
Zur Begründung führt das Amtsgericht aus: § 25 Abs. 1 Nr. 5 in Verbindung mit § 19 Abs. 1 und 2 AZO verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil es Arbeiterinnen und weibliche Angestellte ungleich behandele. Dafür sei ein rechtfertigender Grund nicht ersichtlich. Arbeiterinnen verrichteten heute in der Regel zwar monotone, aber physisch leichte Arbeiten. Solche Tätigkeiten seien nach arbeitsmedizinischen Erkenntnissen nachts sogar weniger belastend als geistige Arbeiten. Die gesundheitliche Belastung durch Nachtarbeit hänge nicht von der Art der Tätigkeit ab. Schädlich sei vielmehr, daß der biologische Rhythmus gestört werde. Dieser unterscheide sich nicht bei Arbeiterinnen und weiblichen Angestellten.


BVerfGE 85, 191 (200):

V.
1. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung trägt namens der Bundesregierung vor, die angegriffene Regelung stehe mit dem Grundgesetz im Einklang. Sie knüpfe an die geringere körperliche Leistungsfähigkeit der Frau an und trage damit den objektiven biologischen Unterschieden zwischen den Geschlechtern Rechnung. Gesicherte Erkenntnisses darüber, daß Frauen allein wegen ihrer Konstitution besonders stark betroffen seien, lägen zwar nicht vor. Frauen seien aber weitaus häufiger als Männer neben ihrer Berufsarbeit mit der Betreuung von Kleinkindern und mit Hausarbeit belastet. Sie könnten dann auch tagsüber nicht durchschlafen. Es bestehe der begründete Verdacht, daß Nachtarbeit unter diesen Umständen zu besonders gravierenden gesundheitlichen Schäden führe.
Die unterschiedliche Regelung der Nachtarbeit für Arbeiterinnen und weibliche Angestellte sei durch die fortschreitende Technisierung der Arbeit fragwürdig geworden; heute seien die Arbeiterinnen im allgemeinen nicht mehr mit schweren körperlichen Arbeiten befaßt. Im übrigen gebe es keine Anhaltspunkte dafür, daß geistige Nachtarbeit weniger belastend sei als körperliche.
Die Bundesregierung wolle eine Neuregelung der Nachtarbeit vorschlagen, in der nicht mehr nach dem Geschlecht unterschieden werde. Nachtarbeit sei für alle Menschen schädlich. Vorgesehen seien daher einheitliche Schutzmaßnahmen für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Nachtarbeit leisten. Dazu gehörten regelmäßige medizinische Untersuchungen und ein Anspruch auf Tagarbeit bei gesundheitlichen Bedenken gegen Nachtarbeit.
2. Der Deutsche Gewerkschaftsbund verteidigt die angegriffene Regelung. Sie sei zum Schutz der Arbeiterinnen weiterhin erforderlich, weil diese durch Kinderbetreuung und Haushaltsführung zusätzlich belastet würden. Partnerschaftliche Lebensgemeinschaften, in denen sich Mann und Frau Berufs- und Hausarbeit gerecht aufteilten, seien in der gesellschaftlichen Realität nur selten anzutreffen. Die herkömmliche Rollenverteilung sei im Arbeitermilieu noch stärker verankert als unter Angestellten. Die Arbeiterinnen selbst empfänden das Nachtarbeitsverbot nicht als diskriminierend.


BVerfGE 85, 191 (201):

3. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) halten § 19 AZO für verfassungswidrig, weil besondere gesundheitliche Belastungen von Arbeiterinnen durch Nachtarbeit nicht nachweisbar seien. Eine Neuregelung sei nicht erforderlich. Zu weitgehende Schutzmaßnahmen würden die Berufsfreiheit der Unternehmer verletzen. Wegen der zunehmenden Kapitalintensität moderner Produktionspraktiken werde die Schichtarbeit immer stärker ausgeweitet. Das Nachtarbeitsverbot werde sich daher in Zukunft noch mehr als bisher beschäftigungshemmend auswirken. Schon jetzt sei der Frauenanteil in Bereichen mit Mehrschichtbetrieb deutlich zurückgegangen.
4. Der Deutsche Juristinnenbund trägt vor, Art. 3 Abs. 2 GG habe eine über das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG hinausgehende Bedeutung. Aus ihm ergebe sich ein Gleichstellungsauftrag zugunsten der noch immer diskriminierten Frauen. Das Nachtarbeitsverbot verstoße gegen diese Verfassungsnorm. Es benachteilige Frauen, weil es ihnen den Zugang zu bestimmten Tätigkeiten erschwere. Die Benachteiligung werde durch den Schutzzweck des Nachtarbeitsverbotes nicht kompensiert. Nachtarbeit sei für Männer und Frauen in gleicher Weise schädlich. Frauen seien zwar wegen ihrer zusätzlichen familiären Belastung stärker betroffen als Männer. Die herkömmliche Arbeitsteilung in der Familie sei aber kein zulässiges funktionales Unterscheidungsmerkmal, da sie nicht dem Ziel des Art. 3 Abs. 2 GG entspreche. Außerdem treffe das Nachtarbeitsverbot auch Frauen, die keiner Doppelbelastung ausgesetzt seien. Die Regelung verstoße darüber hinaus gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil Arbeiterinnen angesichts der gewandelten Arbeitsbedingungen nicht schutzbedürftiger seien als weibliche Angestellte.
Ein ersatzloser Wegfall des Nachtarbeitsverbotes sei allerdings ebenfalls grundgesetzwidrig. Das Verbot müsse für eine Übergangszeit aufrechterhalten bleiben, bis der Gesetzgeber eine grundlegende Neuregelung geschaffen habe, die die Gesundheit aller Arbeitnehmer sowie Ehe und Familie hinreichend schütze, Männer und Frauen nicht unterschiedlich behandele und für beide Ge

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schlechter nicht unverhältnismäßig in das Grundrecht der freien Berufsausübung eingreife. Nachtarbeit müsse auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt werden. Dauernde Nachtarbeit dürfe nicht zugelassen werden. Die insgesamt höchstzulässige Nachtarbeit sei festzulegen. Regelmäßige arbeitsmedizinische Untersuchungen seien vorzusehen. Arbeitnehmern mit Kindern unter sechs Jahren sowie spezifisch gesundheitsgefährdeten Personen dürfe Nachtarbeit nicht gestattet werden. Kinderbetreuungsmöglichkeiten auch für die Nachtzeit müßten vorgeschrieben werden.
5. Der Deutsche Frauenring e.V. hält § 19 Abs. 1 AZO für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG. Die Ungleichbehandlung von Arbeiterinnen könne nicht mit Gründen des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt werden. Auf die durch die Führung des Haushalts eintretende Doppelbelastung der berufstätigen Frau könne das Nachtarbeitsverbot nicht gestützt werden, weil es nicht zu den geschlechtsbedingten Eigenschaften der Frau gehöre, Hausarbeit zu verrichten. Die verfassungswidrige Ungleichbehandlung liege darin, daß Arbeiterinnen Tätigkeitsfelder verschlossen blieben, die Männern offenstünden.
Die von weiblichen Angestellten und von Arbeiterinnen geleistete Arbeit unterscheide sich heute nur noch unwesentlich. Der Anteil an körperlicher Tätigkeit sei nahezu gleich. Deshalb könne nicht mehr auf den das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen ursprünglich rechtfertigenden Schutzgedanken abgestellt werden.
6. Der Bundesgerichtshof und die Mehrzahl der Oberlandesgerichte halten die angegriffene Regelung für verfassungsmäßig. In ihren Stellungnahmen wird zusätzlich ausgeführt, die Frau verdiene aufgrund ihrer biologisch begründeten Rolle als Mutter einen erhöhten Schutz, der sich nicht in den Bestimmungen erschöpfe, die unmittelbar dem Mutterschutz dienten. Das Nachtarbeitsverbot beuge auch einer Gefährdung der Arbeiterinnen durch nächtliche Straßenüberfälle und sexuelle Belästigungen auf dem Weg von und zu ihrer Arbeitsstelle vor.
Es sei nicht erforderlich, das Nachtarbeitsverbot auf weibliche Angestellte zu erstrecken, weil diese Berufsgruppe nur selten Nachtarbeit leisten müsse. Das Nachtarbeitsverbot diene in erster

BVerfGE 85, 191 (203):

Linie dem Schutz vor körperlicher Nachtarbeit. Auch heute noch leisteten die Arbeiterinnen überwiegend körperliche, die weiblichen Angestellten hingegen überwiegend geistige Arbeit. Derselbe Unterschied bestehe im Vergleich mit der Gruppe der Beamtinnen, die außerdem durch die besondere Fürsorgepflicht des Dienstherrn geschützt seien.
Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung liege auch nicht in der Beschränkung des Nachtarbeitsverbots auf bestimmte Betriebe. Die von dem Nachtarbeitsverbot ausgenommenen Betriebe erbrächten ihr Leistungsangebot vornehmlich außerhalb der regulären Arbeitszeit, und Frauenarbeit sei in den genannten Betrieben üblich.
 
B. -- I.
Die Vorlagen sind unzulässig, weil sie die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Norm in einem wesentlichen Punkt ungeklärt lassen.
Nach Art. 100 Abs. 1 GG kann ein Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit einer Norm nur einholen, wenn es auf ihre Gültigkeit ankommt. Die Entscheidungserheblichkeit muß im Vorlagebeschluß hinreichend deutlich dargelegt werden und im Zeitpunkt der Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht noch gegeben sein (vgl. BVerfGE 7, 171 [173 ff.]; st. Rspr.). Das ist jedenfalls dann nicht (mehr) der Fall, wenn die Unanwendbarkeit der Norm bereits aus anderen Gründen feststeht.
Die Anwendbarkeit der Norm ist hier aufgrund der zwischenzeitlichen Rechtsanwendung erörterungsbedürftig geworden. Der Europäische Gerichtshof hat durch Urteil vom 25. Juli 1991 (Rechtssache C-345/89 - Stoeckel -, EuGRZ 1991, S. 421 ff.) entschieden, daß Art. 5 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 9. Februar 1976 die Mitgliedstaaten verpflichtet, für Frauen kein Verbot der Nachtarbeit als gesetzlichen Grundsatz aufzustellen, wenn es kein Verbot der Nachtarbeit von Männern gibt. In den Entscheidungsgründen wird unter Bezugnah

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me auf das Urteil des Gerichtshofs vom 26. Februar 1986 in der Rechtssache 152/84 (Marshall) ausgeführt, daß die genannte Richtlinie hinreichend bestimmt ist, um vom Einzelnen vor den nationalen Gerichten zu dem Zweck in Anspruch genommen zu werden, die Anwendung jeder nationalen Norm auszuschließen, die Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie nicht entspricht.
Rechtsakten des Gemeinschaftsrechts kommt für den Fall des Widerspruchs zu innerstaatlichem Gesetzesrecht auch vor deutschen Gerichten der Anwendungsvorrang zu. Dieser Anwendungsvorrang gegenüber späterem wie früherem nationalen Gesetzesrecht beruht auf einer ungeschriebenen Norm des primären Gemeinschaftsrechts, der durch die Zustimmungsgesetze zu den Gemeinschaftsverträgen in Verbindung mit Art. 24 Abs. 1 GG der innerstaatliche Rechtsanwendungsbefehl erteilt worden ist (BVerfGE 75, 223 [244 f.] m.w.N.).
Die Auffassung des Europäischen Gerichtshofs zur rechtlichen Qualität der genannten Richtlinie hält sich im Rahmen des durch das Zustimmungsgesetz zum EWG-Vertrag abgesteckten Integrationsprogramms. Dieses wahrt seinerseits die rechtsstaatlichen Grenzen, die einer Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 24 Abs. 1 GG von Verfassungs wegen gesetzt sind (BVerfGE 75, 223 [240 ff.]). Über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht, das als Grundlage für ein Verhalten deutscher Gerichte und Behörden in Anspruch genommen wird, übt das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit unter den gegebenen Umständen nicht aus (BVerfGE 73, 339 [387]).
Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs bezieht sich zwar auf das Nachtarbeitsverbot nach Art. L 213-1 des französischen Code du travail. Diese Bestimmung unterscheidet sich aber im Hinblick auf die Ungleichbehandlung von Frauen und Männern nicht wesentlich von dem Nachtarbeitsverbot nach deutschem Recht. Art. L 213-1 Code du travail verbietet die Beschäftigung von Frauen unter anderem in Fabriken, Manufakturen und Werkstätten aller Art. Ebenso wie das deutsche kennt auch das französische Recht eine Reihe von Ausnahmen vom Nachtarbeitsverbot. Der Europäische Gerichtshof stellt bei seiner Entscheidung allein darauf

BVerfGE 85, 191 (205):

ab, daß das Verbot nur für Frauen gilt, und läßt die zahlreichen Ausnahmen mit dem Hinweis außer Betracht, daß die Richtlinie 76/207/EWG es verbiete, den Ausschluß von Frauen von der Nachtarbeit als allgemeinen Grundsatz aufzustellen. Seine Antwort auf die ihm vorgelegte Frage ist so gefaßt, daß sie Beschränkungen der Nachtarbeit betrifft, solange sie nur für Frauen, nicht aber für Männer gelten.
Damit liegt ein Konflikt zwischen § 25 Abs. 1 Nr. 5 in Verbindung mit § 19 Abs. 1 und 2 AZO und sekundärem Gemeinschaftsrecht offen zutage. Kollidiert Gemeinschaftsrecht mit nationalem Recht, so muß das Gericht den Normenkonflikt lösen. Dabei ist der Vorrang des Gemeinschaftsrechts zu beachten. Das gilt nicht nur für das primäre, sondern auch für das sekundäre Gemeinschaftsrecht. Richtlinien können unmittelbare Rechtswirkungen für den einzelnen Marktbürger entfalten, wenn der Mitgliedstaat eine darin festgelegte Verpflichtung nicht fristgerecht erfüllt hat. Auf solche Verpflichtungen des Staates kann der Marktbürger sich gegenüber den Gerichten seines Landes berufen, sofern sie klar und unbedingt sind und zu ihrer Anwendung keines Ausführungsakts mehr bedürfen (vgl. BVerfGE 75, 223 [237 ff.]). Diese Voraussetzungen hat der Europäische Gerichtshof für die Richtlinie 76/207/EWG ausdrücklich bejaht. Unter den gegebenen Umständen spricht alles dafür, daß § 25 Abs. 1 Nr. 5 in Verbindung mit § 19 Abs. 1 und 2 AZO von deutschen Gerichten nicht mehr angewendet werden darf. Bei dieser Sachlage mußten die Gerichte die Frage der Anwendbarkeit der Norm erneut prüfen, wenn sie ihre Vorlagen aufrechterhalten wollten.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
Nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ist eine Verletzung ihrer Grundrechte möglich. Zwar wird sie nicht selbst durch das nur für Arbeiterinnen geltende Nachtarbeitsverbot diskriminiert. Daher kommt für sie eine Verletzung in ihrem Grundrecht aus Art. 3 GG nicht in Betracht. Sie kann aber in ihrem Grundrecht auf

BVerfGE 85, 191 (206):

allgemeine Handlungsfreiheit verletzt sein, wenn das Nachtarbeitsverbot des § 19 Abs. 1 AZO gegen Art. 3 Abs. 1 und 3 GG verstößt, weil es Arbeiterinnen ohne zureichenden Grund im Verhältnis zu anderen Arbeitnehmern benachteiligt. Jedenfalls beeinträchtigt eine Vorschrift, die einen Bürger zur diskriminierenden Behandlung Dritter zwingt, diesen unmittelbar in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit. Soweit sich aus der Entscheidung BVerfGE 77, 84 (101) etwas anderes ergibt, wird daran nicht festgehalten.
 
C.
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf dem in § 19 Abs. 1 AZO ausgesprochenen Verbot einer Beschäftigung von Arbeiterinnen zur Nachtzeit. Dieses Verbot ist jedoch mit Art. 3 Abs. 1 und 3 GG unvereinbar. Die Verhängung eines Bußgeldes auf dieser verfassungswidrigen Rechtsgrundlage verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG).
I.
Das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen (§ 19 Abs. 1 erste Alternative AZO) verstößt gegen Art. 3 Abs. 3 GG.
1. Nach dieser Verfassungsnorm darf niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt werden. Sie verstärkt den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, indem sie der dem Gesetzgeber darin eingeräumten Gestaltungsfreiheit engere Grenzen zieht. Das Geschlecht darf grundsätzlich - ebenso wie die anderen in Absatz 3 genannten Merkmale - nicht als Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden. Das gilt auch dann, wenn eine Regelung nicht auf eine nach Art. 3 Abs. 3 GG verbotene Ungleichbehandlung angelegt ist, sondern in erster Linie andere Ziele verfolgt (Klarstellung von BVerfGE 75, 40 [70]).
Soweit es um die Frage geht, ob eine Regelung Frauen wegen ihres Geschlechts zu Unrecht benachteiligt, enthält Art. 3 Abs. 2 GG keine weitergehenden oder spezielleren Anforderungen. Der

BVerfGE 85, 191 (207):

über das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG hinausreichende Regelungsgehalt von Art. 3 Abs. 2 GG besteht darin, daß er ein Gleichberechtigungsgebot aufstellt und dieses auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt. Der Satz "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" will nicht nur Rechtsnormen beseitigen, die Vor- oder Nachteile an Geschlechtsmerkmale anknüpfen, sondern für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchsetzen (vgl. BVerfGE 15, 337 [345]; 48, 327 [340]; 57, 335 [345 f.]). Er zielt auf die Angleichung der Lebensverhältnisse. So müssen Frauen die gleichen Erwerbschancen haben wie Männer (vgl. BVerfGE 6, 55 [82]). Überkommene Rollenverteilungen, die zu einer höheren Belastung oder sonstigen Nachteilen für Frauen führen, dürfen durch staatliche Maßnahmen nicht verfestigt werden (vgl. BVerfGE 15, 337 [345]; 52, 369 [376 f.]; 57, 335 [344]). Faktische Nachteile, die typischerweise Frauen treffen, dürfen wegen des Gleichberechtigungsgebots des Art. 3 Abs. 2 GG durch begünstigende Regelungen ausgeglichen werden (BVerfGE 74, 163 [180]).
Im vorliegenden Fall geht es nicht um eine Angleichung der Verhältnisse, sondern um die Beseitigung bestehender rechtlicher Ungleichbehandlung. § 19 Abs. 1 AZO behandelt die Arbeiterinnen "wegen" ihres Geschlechts ungleich. Adressat der Regelung ist zwar der Arbeitgeber. Die Folgen des Nachtarbeitsverbots treffen aber unmittelbar die Arbeiterinnen. Ihnen wird im Gegensatz zu männlichen Arbeitnehmern die Möglichkeit genommen, Nachtarbeit zu verrichten. Darin liegt eine rechtliche Ungleichbehandlung, die ursächlich mit ihrer Geschlechtszugehörigkeit zusammenhängt.
2. Allerdings verstößt nicht jede Ungleichbehandlung, die an das Geschlecht anknüpft, gegen Art. 3 Abs. 3 GG. Differenzierende Regelungen können vielmehr zulässig sein, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich sind. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
a) Für die ursprünglich dem Nachtarbeitsverbot zugrundeliegende Annahme, daß Arbeiterinnen wegen ihrer Konstitution stärker unter Nachtarbeit litten als männliche Arbeitnehmer, haben

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sich in der arbeitsmedizinischen Forschung keine gesicherten Anhaltspunkte ergeben. Nachtarbeit ist grundsätzlich für jeden Menschen schädlich. Sie führt zu Schlaflosigkeit, Appetitstörungen, Störungen des Magen-Darmtraktes, erhöhter Nervosität und Reizbarkeit sowie zu einer Herabsetzung der Leistungsfähigkeit (vgl. Rutenfranz, Ist Nachtarbeit für Frauen gesundheitsgefährdender als für Männer?, 1969, S. 16 und 19 ff.; Rutenfranz/Beermann/Löwenthal, Nachtarbeit für Frauen, 1987, S. 28 ff.; Ulich, Schicht- und Nachtarbeit, 1964, S. 37 ff.; Menzel, Menschliche Tag-Nacht-Rhythmik und Schichtarbeit, 1962, S. 122 ff.; Streich, Nacht- und Schichtarbeit, in: Schmidt/Müller/Volz/Funke/Weiser, Arbeit und Gesundheitsgefährdung, 1982, S. 95 (101); Hahn, Nacht- und Schichtarbeit I, 3. Aufl., 1987, S. 26; Corlett/Queinnec/ Paoli, Die Gestaltung der Schichtarbeit, 1989, S. 28 ff.). Spezifische gesundheitliche Risiken, die auf die weibliche Konstitution zurückgehen, sind nicht mit hinreichender Sicherheit erkennbar.
b) Soweit Untersuchungen darauf hindeuten, daß Frauen durch Nachtarbeit stärker beeinträchtigt werden, wird dies allgemein auf ihre zusätzliche Belastung mit Hausarbeit und Kinderbetreuung zurückgeführt (vgl. insbesondere Rutenfranz/ Beermann/Löwenthal, a.a.O., S. 56 f.; Bergmann/Bolm/Seitz/ Bartholomeyczik, Schichtarbeit als Gesundheitsrisiko, 1982, S. 161; Elsner, Nachtschichtarbeit und gesundheitliche Beeinträchtigungen, AiB 1988, S. 303). Frauen, die diese Aufgaben neben nächtlicher Berufsarbeit erfüllen müssen, kommen auch tagsüber nicht zur Ruhe und finden insbesondere keinen zusammenhängenden Tagesschlaf. Es liegt auf der Hand, daß sie in besonderem Maße unter den allgemeinen gesundheitsschädlichen Folgen einer durch Nachtarbeit gestörten Tag-Nacht-Rhythmik zu leiden haben.
Das für alle Arbeiterinnen geltende Nachtarbeitsverbot kann darauf aber nicht gestützt werden; denn die zusätzliche Belastung mit Hausarbeit und Kinderbetreuung ist kein hinreichend geschlechtsspezifisches Merkmal. Es entspricht zwar dem tradierten Rollenverständnis von Mann und Frau, daß die Frau den Haushalt führt und die Kinder betreut, und es läßt sich auch nicht leugnen, daß diese Rolle ihr sehr häufig auch dann zufällt, wenn sie ebenso

BVerfGE 85, 191 (209):

wie ihr männlicher Partner berufstätig ist. Diese Doppelbelastung trifft aber in ihrer ganzen Schwere nur Frauen mit betreuungsbedürftigen Kindern, soweit sie alleinstehen oder der männliche Partner ihnen trotz ihrer Nachtarbeit die Kinderbetreuung und den Haushalt überläßt. In gleicher Weise trifft sie alleinerziehende Männer und in abgemilderter Form Männer und Frauen, die sich die Arbeit im Haus und mit den Kindern teilen.
Ein solcher sozialer Befund reicht - unabhängig von der genauen Zahl der Betroffenen - zur Rechtfertigung einer geschlechtsbezogenen Ungleichbehandlung nicht aus. Dem nicht zu leugnenden Schutzbedürfnis für Nachtarbeiterinnen und Nachtarbeiter, die zugleich Kinder zu betreuen und einen Mehrpersonenhaushalt zu führen haben, kann sachgerechter durch Regelungen Rechnung getragen werden, die an diesen Tatbestand anknüpfen.
c) Für das bestehende Nachtarbeitsverbot wird ferner angeführt, daß Frauen auf ihrem nächtlichen Weg von und zur Arbeitsstelle besonderen Gefahren ausgesetzt seien. Das trifft sicherlich in vielen Fällen zu. Aber auch dies rechtfertigt es nicht, allen Arbeiterinnen die Nachtarbeit zu verbieten. Der Staat darf sich seiner Aufgabe, Frauen vor tätlichen Angriffen auf öffentlichen Straßen zu schützen, nicht dadurch entziehen, daß er sie durch eine Einschränkung ihrer Berufsfreiheit davon abhält, nachts das Haus zu verlassen (ähnlich auch EuGH, EuGRZ 1991, S. 421 [422]). Außerdem trifft auch dieser Grund nicht so allgemein für die Gruppe der Arbeiterinnen zu, daß er es rechtfertigen könnte, alle Arbeiterinnen zu benachteiligen. So kann eine besondere Gefährdung etwa dann entfallen, wenn ein Werkbus für den Weg zur Arbeitsstelle zur Verfügung steht.
3. Der Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts (Art. 3 Abs. 3 GG) ist nicht durch das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG gerechtfertigt. Das Nachtarbeitsverbot des § 19 Abs. 1 AZO ist den Zielen des Art. 3 Abs. 2 GG nicht förderlich. Es schützt zwar zahlreiche Frauen, die neben Kinderbetreuung und Hausarbeit beruflich tätig sind, vor gesundheitsgefährdender Nachtarbeit. Dieser Schutz ist aber mit erheblichen Nachteilen verbunden: Frauen werden dadurch bei der Stellensuche benachteiligt. Arbeit, die mindestens zeitweise auch nachts geleistet werden

BVerfGE 85, 191 (210):

muß, können sie nicht annehmen. In einigen Branchen hat das zu einem deutlichen Rückgang der Ausbildung und des Einsatzes von weiblichen Arbeitskräften geführt. Darüber hinaus werden Arbeiterinnen daran gehindert, über ihre Arbeitszeit frei zu disponieren. Nachtarbeitszuschläge können sie nicht verdienen. All das kann auch zur Folge haben, daß Frauen weiterhin in größerem Umfang als Männer neben einer Berufsarbeit noch mit Kinderbetreuung und Hausarbeit belastet werden und daß sich damit die überkommene Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern verfestigt. Insofern erschwert das Nachtarbeitsverbot einen Abbau von gesellschaftlichen Nachteilen der Frau.
II.
§ 19 Abs. 1 AZO verstößt außerdem gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil die Regelung Arbeiterinnen ohne zureichenden Grund anders behandelt als weibliche Angestellte.
1. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es dem Gesetzgeber, die Rechtsverhältnisse verschiedener Personengruppen differenzierend zu behandeln, wenn zwischen ihnen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfGE 55, 72 [88]; 68, 287 [301]; 81, 156 [205]; 81, 228 [236]; 82, 126 [146]). Damit ist es nicht zu vereinbaren, daß Arbeiterinnen im Hinblick auf Nachtarbeit anders behandelt werden als weibliche Angestellte.
2. Gerechtfertigt sein könnte die Ungleichbehandlung der beiden Gruppen von Arbeitnehmerinnen nur, wenn weibliche Angestellte durch Nachtarbeit weniger belastet würden als Arbeiterinnen. Dafür gibt es aber keinen Beleg. Die einschlägigen arbeitsmedizinischen Untersuchungen deuten vielmehr darauf hin, daß die gesundheitsschädlichen Folgen von Nachtarbeit beide Gruppen in gleicher Weise treffen (vgl. Rutenfranz, a.a.O., S. 31; Rutenfranz/Beermann/Löwenthal, a.a.O., S. 59). Ob das mit einer Angleichung der Arbeitsinhalte von Arbeiterinnen und weiblichen Angestellten im Zuge der technischen Entwicklung zusammenhängt oder ob die

BVerfGE 85, 191 (211):

Arbeitsinhalte von vornherein keinen Einfluß auf die schädlichen Folgen von Nachtarbeit hatten, kann auf sich beruhen. Jedenfalls ist ein unterschiedliches Schutzbedürfnis von Arbeiterinnen und weiblichen Angestellten, das allein eine differenzierende Regelung der Nachtarbeit vor dem allgemeinen Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen könnte, nicht zu erkennen.
3. Die Ungleichbehandlung von Arbeiterinnen und weiblichen Angestellten kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, daß beide Gruppen von Arbeitnehmerinnen unterschiedlich stark zu Nachtarbeit herangezogen würden. Nach den im Rahmen der Mikrozensuserhebung 1989 ermittelten Daten leisteten von Februar bis April 1989 etwa 478.000 weibliche Angestellte Nachtarbeit. Das entspricht einem Anteil von 7,6 vom Hundert. Danach kann keine Rede davon sein, daß die Gruppe der weiblichen Angestellten typischerweise von Nachtarbeit verschont würde. Jedenfalls handelt es sich bei den weiblichen Angestellten nicht um eine Gruppe, die in so geringem Umfang von Nachtarbeit betroffen wäre, daß sie vom Gesetzgeber im Rahmen zulässiger Typisierung vernachlässigt werden konnte.
III.
Der Verfassungsverstoß führt zur Feststellung der Unvereinbarkeit von § 19 Abs. 1 erste Alternative AZO mit dem Grundgesetz. Die übrigen Regelungen der genannten Vorschrift (§ 19 Abs. 1 zweite Alternative, Absätze 2 und 3 AZO) werden von dieser Feststellung miterfaßt. Sie sind unselbständige Ergänzungen des allgemeinen Nachtarbeitsverbots für Arbeiterinnen, das in der ersten Alternative des ersten Absatzes zum Ausdruck kommt, und teilen damit sein rechtliches Schicksal. Dasselbe gilt für § 25 AZO, soweit darin auf § 19 AZO Bezug genommen wird.
1. Steht eine Norm mit der Verfassung nicht im Einklang, so ist sie grundsätzlich für nichtig zu erklären (§ 82 Abs. 1 i.V.m. § 78 Abs. 1 BVerfGG). Mit Rücksicht auf die Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers ist aber von einer Nichtigkeitserklärung abzusehen, wenn mehrere Möglichkeiten zur Beseitigung der Verfassungswi

BVerfGE 85, 191 (212):

drigkeit bleiben (vgl. BVerfGE 28, 324 [362]; 52, 369 [379]; 55, 100 [113]; 77, 308 [337]). Das ist regelmäßig bei Verstößen gegen Art. 3 GG der Fall (vgl. BVerfGE 22, 349 [361]). Für nichtig zu erklären ist in diesen Fällen eine Regelung nur, wenn mit Sicherheit anzunehmen ist, daß der Gesetzgeber bei Beachtung des Art. 3 GG die nach der Nichtigerklärung verbleibende Fassung der Norm wählen, hier also von einem Nachtarbeitsverbot gänzlich absehen würde (BVerfGE 27, 391 [399]).
2. Die Verfassungswidrigkeit des § 19 Abs. 1 erste Alternative AZO läßt sich auf verschiedene Weise beseitigen. Der beabsichtigte Schutz vor den gesundheitlichen Folgen von Nachtarbeit kann sowohl durch geschlechtsneutrale Beschränkungen ihrer Zulässigkeit als auch durch andersartige Regelungen, insbesondere die Begründung besonderer Schutz- und Fürsorgepflichten, verwirklicht werden. Darüber hinaus kommen Fördermaßnahmen zur Erleichterung der Doppelbelastung durch Familie und Beruf in Betracht. Daß der Gesetzgeber den mit dem Nachtarbeitsverbot verfolgten Schutzgedanken aufgibt und auf eine Regelung gänzlich verzichtet, ist nicht anzunehmen.
3. Unmittelbare Folge der Unvereinbarkeitsfeststellung ist, daß Verstöße gegen § 19 AZO nicht geahndet werden dürfen. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, den Schutz der Arbeitnehmer vor den schädlichen Folgen der Nachtarbeit neu zu regeln. Eine solche Regelung ist notwendig, um dem objektiven Gehalt der Grundrechte, insbesondere des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), Genüge zu tun. Eine Schutzpflicht des Staates besteht gerade im Hinblick auf dieses Grundrecht (vgl. BVerfGE 77, 170 [214] m.w.N.; st. Rspr.). Dem Gesetzgeber kommt bei der Erfüllung dieser Schutzpflicht zwar ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsfreiraum zu, der auch Raum für die Berücksichtigung konkurrierender öffentlicher und privater Interessen läßt. Die von ihm getroffenen Maßnahmen dürfen aber zur Wahrung des Grundrechtsschutzes nicht gänzlich ungeeignet sein (vgl. BVerfGE 77, 170 [214 f.]). Daran muß sich auch die Neuregelung des Arbeitnehmerschutzes vor den gesundheitsschädlichen Folgen der Nachtarbeit messen lassen.


BVerfGE 85, 191 (213):

Ein besonderer gesetzlicher Schutz ist nicht deswegen entbehrlich, weil Nachtarbeit durchweg aufgrund freiwillig getroffener Vereinbarungen verrichtet wird. Das dem Vertragsrecht zugrundeliegende Prinzip der Privatautonomie kann hinreichenden Schutz nur gewährleisten, soweit die Bedingungen freier Selbstbestimmung gegeben sind. Wo es an einem annähernden Kräftegleichgewicht der Beteiligten fehlt, ist mit den Mitteln des Vertragsrechts allein kein sachgerechter Ausgleich der Interessen zu gewährleisten. Das ist bei Abschluß von Arbeitsverträgen typischerweise der Fall. In einer solchen Lage sind die objektiven Grundentscheidungen der Verfassung im Grundrechtsabschnitt und im Sozialstaatsgebot durch gesetzliche Vorschriften, die sozialem und wirtschaftlichem Ungleichgewicht entgegenwirken, zu verwirklichen (vgl. BVerfGE 81, 242 [254 f.]). Der Gesetzgeber ist bei der Schaffung des § 19 AZO auch ersichtlich von der Einschätzung ausgegangen, daß ein hinreichender Schutz vor den Gesundheitsgefahren der Nachtarbeit bei rein privatautonomer Gestaltung der Arbeitsverträge nicht gewährleistet wäre.
Auf der Grundlage dieser Einschätzung bedarf Nachtarbeit im Rahmen von Arbeitsverhältnissen angesichts ihrer nachgewiesenen Schädlichkeit für die menschliche Gesundheit auch weiterhin einer gesetzlichen Regelung. Ihre unbeschränkte Freigabe ohne flankierende Maßnahmen würde gegen den objektiven Gehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verstoßen. Welche Regelungen erforderlich sind, muß zunächst der Gesetzgeber selbst im Rahmen seines weiten Wertungs- und Gestaltungsfreiraums bestimmen. Soweit einzelne Gruppen von Arbeitnehmern besonders schutzbedürftig sind, kann sich aus dem objektiven Gehalt von Grundrechten die Pflicht zu weitergehender gesetzgeberischer Vorsorge ergeben. Die besondere Schutzbedürftigkeit von Arbeitnehmerfamilien mit kleinen Kindern darf aber nicht zum Anlaß für ein frauenspezifisches Verbot, etwa für Mütter kleiner Kinder, genommen werden.
 


BVerfGE 85, 191 (214):

D.
Die angegriffenen Urteile beruhen auf der verfassungswidrigen Vorschrift des § 19 Abs. 1 AZO. Sie sind daher aufzuheben.
Herzog, Henschel, Seidl, Grimm, Söllner, Dieterich, Kühling, Seibert