BGE 129 II 297
 
29. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen E. sowie Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im Kanton Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)
 
2P.6/2003 vom 2. April 2003
 
Regeste
Art. 88 OG; Art. 103 lit. a OG; Bundesgesetz vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (BGFA); Legitimation des Anzeigers zur Anfechtung kantonaler Disziplinarentscheide.
 
Sachverhalt


BGE 129 II 297 (298):

Die Ehe von Rechtsanwalt A. und B. wurde am 26. April 1999 gerichtlich getrennt. Am 8. November 2001 hiess das zuständige Bezirksgericht eine Klage von A. gut, mit welcher er die Vaterschaftsvermutung betreffend den ehelichen Sohn C. (geb. 2001) anfocht. In beiden Verfahren wurde B. durch Rechtsanwalt E. vertreten. Dieser nahm gleichzeitig für D., den leiblichen Vater von C., zu einer von A. gestellten Genugtuungsforderung Stellung; Letzterer sah sich durch die Beziehung von D. mit seiner Ehefrau in der Persönlichkeit verletzt.
Am 14. Dezember 2001 gelangte A. an die Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im Kanton Zürich und erstattete Anzeige gegen E. wegen unzulässiger "Doppelvertretung". Die Aufsichtskommission eröffnete ein Disziplinarverfahren betreffend "Geschäftsführung und Interessenwahrung" (§ 7 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 des Zürcher Gesetzes vom 3. Juli 1938 über den Anwaltsberuf [AnwG]). Mit Beschluss vom 7. November 2002 hielt sie fest, dass kein Disziplinarfehler vorliege, und stellte das Verfahren gegen E. ein. Sie auferlegte die Verfahrenskosten von 1'774 Franken A. und verpflichtete diesen, E. eine Parteientschädigung von 1'500 Franken zu bezahlen. Sie begründete ihren Kostenentscheid damit, dass der Erstere seiner Sorgfalts- und Abklärungspflicht als Anzeiger nicht nachgekommen sei; er sei selbst Rechtsanwalt und hätte deshalb erkennen können, dass seine Vorwürfe gegen E. haltlos seien.
Am 7. Januar 2003 hat A. beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde eingereicht mit dem Antrag, den angefochtenen Entscheid im Kosten- und Entschädigungspunkt aufzuheben. Er rügt insbesondere eine Verletzung des Willkürverbots (Art. 9 BV) und des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV).
 
Aus den Erwägungen:


BGE 129 II 297 (299):

1.1 Bis anhin waren die Verhaltenspflichten der Rechtsanwälte und die Disziplinarsanktionen, welche für Verstösse gegen diese Pflichten verhängt werden können, ausschliesslich kantonalrechtlich geregelt. Als eidgenössisches Rechtsmittel war in diesem Bereich deshalb einzig die staatsrechtliche Beschwerde gegeben. Inzwischen ist am 1. Juni 2002 das Bundesgesetz vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA; SR 935.61) in Kraft getreten, welches neben den Berufsregeln (Art. 12) insbesondere auch das Disziplinarrecht (Art. 17) abschliessend regelt (vgl. die Botschaft des Bundesrats vom 28. April 1999; BBl 1999 S. 6054, 6060). Gegen letztinstanzliche kantonale Disziplinarentscheide steht nunmehr gestützt auf Art. 97 ff. OG in Verbindung mit Art. 5 VwVG die eidgenössische Verwaltungsgerichtsbeschwerde offen. Die Regelung des Verfahrens bleibt dabei Sache der Kantone (Art. 34 Abs. 1 BGFA), wobei aber nach Art. 98a OG als letzte kantonale Instanz eine richterliche Behörde entscheiden muss (vgl. BBl 1999 S. 6058).
1.2 Der disziplinarrechtlich beurteilte Sachverhalt hat sich vorliegend vor Inkrafttreten des eidgenössischen Anwaltsgesetzes abgespielt; auch das Verfahren wurde vor diesem Zeitpunkt eröffnet. Der angefochtene Entscheid wurde indessen unter der Herrschaft des neuen Bundesgesetzes gefällt. Es könnte deshalb als Rechtsmittel auf Bundesebene bereits die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in Frage kommen, wobei diesfalls aufgrund von Art. 98a OG als kantonale Vorinstanz ein Gericht amten müsste. Gemäss BGE 126 I 228 E. 2a S. 234 stellt die zürcherische Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte - jedenfalls unter dem Gesichtswinkel von Art. 6 EMRK - keine richterliche Behörde dar. § 7 Abs. 1 der Verordnung des Regierungsrats des Kantons Zürich vom 15. Mai 2002 betreffend die Anpassung des kantonalen Rechts an das eidgenössische Anwaltsgesetz gewährleistet die Befolgung von Art. 98a OG, indem er bei Zulässigkeit der eidgenössischen Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Entscheide der Aufsichtskommission eine Rekursmöglichkeit an das Obergericht (Verwaltungskommission) vorsieht. Aufgrund der folgenden Erwägungen kann offen bleiben, ob gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide über die Sanktionierung von Disziplinarverstössen, die sich vor Inkrafttreten des neuen Bundesgesetzes ereignet haben, aber unter dessen Herrschaft zur Beurteilung gelangen, gleich wie für rein neurechtliche Fälle die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu ergreifen ist; dasselbe gilt für die Frage, inwieweit dieses Rechtsmittel gegebenenfalls auch dem erfolglosen Anzeiger zur Verfügung stünde.
 


BGE 129 II 297 (300):

Erwägung 2
2.1 Ist das gegen den angefochtenen Entscheid zur Verfügung stehende Rechtsmittel, wovon der Beschwerdeführer ausgeht, die staatsrechtliche Beschwerde, so richtet sich dessen Legitimation nach Art. 88 OG. Danach ist zur staatsrechtlichen Beschwerde befugt, wer durch den angefochtenen Hoheitsakt in seinen eigenen rechtlich geschützten Interessen beeinträchtigt ist; allgemeine öffentliche Interessen können mit der staatsrechtlichen Beschwerde nicht verfolgt werden. Nun dient aber die Disziplinaraufsicht über die Rechtsanwälte öffentlichen und nicht etwa privaten Interessen allfälliger Geschädigter. Verzichtet die zuständige Behörde auf eine Disziplinierung, so spricht deshalb das Bundesgericht dem Anzeiger die Legitimation nach Art. 88 OG in konstanter Rechtsprechung ab; diesem kommt kein rechtlich geschützter Anspruch auf Disziplinierung des Anwalts zu (BGE 109 Ia 90; BGE 94 I 67 f.; vgl. auch BGE 119 Ib 241 E. 1c S. 244). Soweit sich die Eingabe des Beschwerdeführers - zumindest implizit - gegen den Entscheid in der Sache richtet, ist deshalb nicht darauf einzutreten.
2.2 Dem Beschwerdeführer wurden die Kosten des kantonalen Verfahrens im Betrage von Fr. 1'774.- auferlegt und er wurde zur Bezahlung einer Parteientschädigung verpflichtet. In dieser Hinsicht greift der angefochtene Entscheid in rechtlich geschützte Interessen des Beschwerdeführers ein, welcher deshalb insoweit legitimiert ist, staatsrechtliche Beschwerde zu führen. Allerdings bleibt die verfassungsrechtliche Kontrolle auf den Kostenspruch als solchen beschränkt und kann nicht dazu führen, dass indirekt auch der Entscheid in der Sache überprüft wird (BGE 109 Ia 90; vgl. auch BGE 106 Ia 237 E. 2 S. 238). Es fragt sich demnach vorliegend einzig, ob der streitige Kostenspruch aus Gründen verfassungswidrig ist, die nicht mit dem Entscheid der Aufsichtsbehörde in der Sache in Zusammenhang stehen. So kann der Beschwerdeführer etwa rügen, für eine Kostenauflage fehle es an der gesetzlichen Grundlage bzw. das kantonale Recht sehe die Kostenlosigkeit des Verfahrens vor (vgl. BGE 109 Ia 90), der Kostenspruch stehe im Widerspruch zum Ergebnis des Verfahrens oder die auferlegte Gebühr oder Parteientschädigung sei übersetzt.
2.2.1 § 45 Abs. 1 AnwG verweist für die Kostenregelung im Disziplinarverfahren auf §§ 42, 188 und 189 des Zürcher Gesetzes vom 4. Mai 1919 betreffend den Strafprozess (StPO). Gemäss diesen Bestimmungen kann der Anzeiger zur Bezahlung der Verfahrenskosten und allenfalls auch einer Parteientschädigung verpflichtet

BGE 129 II 297 (301):

werden, wenn er die Untersuchung in "verwerflicher oder leichtfertiger" Weise veranlasst hat. Der Beschwerdeführer rügt, die Aufsichtskommission habe diese Normen willkürlich angewandt. Zur Begründung macht er jedoch ausschliesslich geltend, er habe Anlass gehabt, beim Beschwerdegegner eine standeswidrige Doppelvertretung und eine Interessenkollision zu vermuten, weshalb er nicht leichtfertig Anzeige erstattet habe. Diese Vorbringen laufen auf eine indirekte Überprüfung der Hauptsache hinaus, lässt sich ihre Beurteilung doch nicht von einer Wertung der disziplinarrechtlichen Gegebenheiten trennen; es ist darauf nicht einzutreten.
2.2.2 Der Beschwerdeführer macht sodann geltend, aus § 45 AnwG in Verbindung mit § 189 Abs. 2 StPO ergebe sich, dass die Anforderungen für die Zusprechung einer Entschädigung zulasten des Anzeigers höher seien als für eine Kostenauflage. Er führt indessen nicht aus, inwiefern der angefochtene Entscheid, welcher ihn zu einer Entschädigung an den Beschwerdegegner verpflichtet, gegen verfassungsmässige Rechte verstossen soll. Auf diese Vorbringen ist deshalb nicht weiter einzugehen: Die staatsrechtliche Beschwerde muss die wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze inwiefern durch den angefochtenen Entscheid verletzt worden sind (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Das Bundesgericht untersucht nicht von Amtes wegen, ob ein kantonaler Hoheitsakt verfassungsmässig ist, sondern prüft nur rechtsgenügend vorgebrachte, klar erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen (BGE 110 Ia 1 E. 2 S. 3 f.; BGE 119 Ia 197 E. 1d S. 201 mit Hinweisen).
2.3 Praxisgemäss kann - trotz fehlender Legitimation in der Sache selbst - die Verletzung von Verfahrensvorschriften gerügt werden, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt. Das nach Art. 88 OG erforderliche, rechtlich geschützte Interesse ergibt sich diesfalls nicht aus der Berechtigung in der Sache, sondern aus jener, am Verfahren teilzunehmen; insoweit kann mit staatsrechtlicher Beschwerde die Verletzung von jenen Parteirechten gerügt werden, die sich aus dem kantonalen Verfahrensrecht oder unmittelbar aus der Verfassung (bisher Art. 4 aBV, heute Art. 29 BV) ergeben (BGE 121 I 218 E. 4a S. 223; BGE 120 Ia 157 E. 2a/aa S. 160, je mit Hinweisen). Soweit der Anzeiger eines angeblichen Disziplinarverstosses entsprechende Rügen erhebt, ist grundsätzlich auf seine staatsrechtliche Beschwerde einzutreten, sofern er Partei des kantonalen Aufsichtsverfahrens war. Nun räumt jedoch das Zürcher Anwaltsgesetz dem "Verzeiger" im gegen den Rechtsanwalt geführten

BGE 129 II 297 (302):

Disziplinarverfahren keine Parteistellung ein (vgl. BGE 106 Ia 237 E. 2 S. 237 f.). Dem Beschwerdeführer kommen deshalb vorliegend keine unmittelbar aus der Bundesverfassung fliessenden Rechte zu; er ist mithin nicht legitimiert, eine Verletzung des rechtlichen Gehörs oder der Begründungspflicht (Art. 29 Abs. 2 BV; vgl. BGE 126 I 97 E. 2b S. 102 f.) zu rügen. Am Gesagten ändert nichts, dass dem Beschwerdeführer wegen leichtfertigem Vorgehen Kosten auferlegt wurden.
3.1 In einer durch Bundesverwaltungsrecht geregelten aufsichtsrechtlichen Streitigkeit ist der Anzeiger gestützt auf Art. 103 lit. a OG dann zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde befugt, wenn die angerufene Behörde zur Ausübung der Aufsicht verpflichtet ist und der Anzeiger an der abgelehnten Aufsichtsmassnahme ein konkretes schutzwürdiges Interesse hat (vgl. BGE 120 Ib 351 E. 3b S. 355 betreffend die Anzeige eines Anlegers bei der Eidgenössischen Bankenkommission; vgl. auch FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 223 ff.). Vorliegend ist zwar die Aufsichtskommission als kantonale Aufsichtsbehörde verpflichtet, die Disziplinaraufsicht über die Rechtsanwälte auszuüben (Art. 14 BGFA; vgl. BBl 1999 S. 6058). Dem Beschwerdeführer fehlt es jedoch in der Sache selbst an einem schutzwürdigen Interesse im Sinne von Art. 103 lit. a OG: Es geht hier nicht etwa um aufsichtsrechtliche Verhaltensanweisungen an einen Anwalt, wie dieser ein noch hängiges Mandat zu führen hat, sondern allein um eine nachträgliche disziplinarrechtliche Sanktionierung behaupteter Verstösse gegen die anwaltlichen Berufspflichten. An solchen Anordnungen hat der Anzeiger kein schutzwürdiges eigenes Interesse, das ihn zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimieren würde. Es verhält sich diesbezüglich gleich wie bei der Disziplinaraufsicht über die öffentlichen Bediensteten: Der durch das fehlbare Verhalten eines Beamten Betroffene kann dagegen sowohl zivil- als auch strafrechtlich

BGE 129 II 297 (303):

vorgehen und die hierüber ergehenden Entscheide mit den einschlägigen prozessualen Mitteln anfechten. Hingegen hat er regelmässig keinen Anspruch darauf, dass seinem Begehren um Durchführung einer Disziplinaruntersuchung oder um Verhängung einer Disziplinarmassnahme gegen den Beamten entsprochen wird. Er kann weder die Einstellung des Verfahrens noch die allenfalls verhängte Disziplinarsanktion anfechten (vgl. PETER HÄNNI, in: Koller/Müller/Rhinow/Zimmerli, Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Basel 1996, Personalrecht des Bundes, N. 190 S. 93).
3.2 Bezüglich der Anfechtung des Kostenspruchs wäre das nach Art. 103 lit. a OG erforderliche schutzwürdige Interesse an sich gegeben. Doch ist auch in diesem Punkt auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht einzutreten: Zwar kann bei Anfechtung eines sich materiell auf Bundesverwaltungsrecht stützenden kantonalen Entscheids im gleichen Verfahren - kraft Sachzusammenhangs - mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch der auf kantonalem Verfahrensrecht beruhende Kostenspruch auf seine Bundesrechtskonformität hin überprüft werden; es braucht in diesem Punkt nicht gesondert staatsrechtliche Beschwerde erhoben zu werden (BGE 122 II 274 E. 1b/aa S. 277 f.). Wird dagegen nur gerade der Kostenspruch angefochten, steht als Rechtsmittel einzig die staatsrechtliche Beschwerde zur Verfügung (BGE 122 II 274 E. 1b/bb S. 278). Vorliegend ficht der Beschwerdeführer zwar den Entscheid der Aufsichtskommission - zumindest implizit - nicht nur hinsichtlich des Kostenspruchs sondern auch in der Hauptsache an, auf welche intertemporal allenfalls das eidgenössische Anwaltsgesetz und mithin Bundesverwaltungsrecht Anwendung finden könnte. Nach dem Gesagten geht ihm jedoch diesbezüglich die Legitimation gemäss Art. 103 lit. a OG ab. Ist nun aber die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in der Hauptsache unzulässig, so fehlt es an einem Sachzusammenhang, welcher es erlauben würde, den Kostenspruch trotz dessen kantonalrechtlicher Natur im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu überprüfen.