BVerfGE 22, 114 - Entziehung der Verteidigungsbefugnis | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: A. Tschentscher, Djamila Strößner | |||
Zur Entziehung der Verteidigungsbefugnis (Art. 12 Abs. 1 GG). |
Beschluß |
des Zweiten Senats vom 28. Juni 1967 |
-- 2 BvR 143/61 -- |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Rechtsanwalts ... - gegen den Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 2. März 1961 - 3 StR 49/60. |
Entscheidungsformel: |
Der Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 2. März 1961 -- 3 StR 49/60 -- verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. |
Gründe: | |
A. -- I. | |
Der Beschwerdeführer war von dem Schreiner ..., Düsseldorf, gegen den die Vierte Große Strafkammer beim Landgericht Düsseldorf das Hauptverfahren wegen Staatsgefährdung eröffnet hatte, zum Wahlverteidiger bestellt worden. Gegen den in diesem Verfahren ergangenen Freispruch legte die Staatsanwaltschaft Revision ein. Der Beschwerdeführer wollte den Angeklagten auch vor dem Revisionsgericht vertreten. Durch Schreiben vom 17. Januar 1961 gab der Vorsitzende des Dritten Strafsenats des Bundesgerichtshofs dem Beschwerdeführer Gelegenheit, sich zu rechtlichen Bedenken, die gegen ihn als Verteidiger in Staatsschutzsachen bei dem Senat aufgekommen seien, zu erklären. In dem Schreiben des Vorsitzenden heißt es nach dem Hinweis auf die SED-Mitgliedschaft des Beschwerdeführers, seinen Wohnsitz in Ost-Berlin, die gerichtsbekannte Art seines Auftretens vor den Gerichten in für die SED oder KPD wichtigen Verfahren, sein Verhalten in SED-Veranstaltungen, seine Schriften und seine Ernennung zum Professor in Ost-Berlin:
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"Dies alles spricht zusammengenommen nahezu unabweislich dafür, daß Sie Ihr Verteidigeramt in Staatsschutzsachen der Bundesrepublik Deutschland in selbstgewählter Abhängigkeit von der SED nach deren Anweisungen ausüben, nötigenfalls auch gegen berechtigte Belange des Beschuldigten, und daß Sie dies auch in dem gegenwärtigen Verfahren tun oder tun werden. Dies hätte zur Folge, daß Sie, soweit diese Beurteilung reicht, kraft Gesetzes als Verteidiger ausgeschlossen sind, also jedenfalls in Staatsschutzsachen der Bundesrepublik Deutschland."
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Der Senat wünsche, dem Beschwerdeführer gegebenenfalls Gelegenheit zu geben, die aufgeworfenen Fragen durch Verfassungsbeschwerde zu klären. Hierzu gab der Beschwerdeführer keine Erklärung ab, sondern erhob gegen den vom Dritten Strafsenat angekündigten Beschluß Verfassungsbeschwerde. Darauf faßte der Senat am 2. März 1961 in den Strafsachen 3 StR 49/60 (...) und 3 StR 52/60 (...) folgenden jeweils gleichlautenden Beschluß, der dem Beschwerdeführer am 13. März 1961 zugestellt wurde:
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"Rechtsanwalt Prof. Dr. ... ist als Verteidiger gesetzlich ausgeschlossen."
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Der Bundesgerichtshof stützt seine Entscheidung auf die §§ 1, 3, 46 BRAO, § 146 StPO. Gemäß seinem Amt habe sich der Verteidiger als Rechtspflegeorgan nicht nur vom Staat, sondern von jeder Person oder Gruppe unabhängig zu halten, deren Interessen denen des Beschuldigten im Strafverfahren zuwiderlaufen könnten oder die das Verfahren auf dem Rücken des Beschuldigten zu politischen Zwecken zu mißbrauchen trachteten. Dieses Postulat beruhe ebenso auf Vorschriften des Standesrechts wie des Strafverfahrens und gelte für jeden einzelnen Anwalt. Der Beschuldigte könne auf die Befolgung dieser Regel ebensowenig verzichten wie auf die Beachtung anderer zwingender Verfahrensgarantien.
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Aus dem Auftreten des Beschwerdeführers in anderen Strafverfahren, in denen er die Verteidigung nach den Richtlinien der SED, die politische Märtyrer ihrer Sache schaffen wolle, geführt habe, aus seiner Parteimitgliedschaft, die "auf seiner weltanschaulichen Gesinnung" beruhe, aus Berichten im "Neuen Deutschland", das sich über den Beschwerdeführer häufig und stets anerkennend äußere, ferner aus den hetzerischen Buchklappentexten in Schriften, die er über die Strafjustiz der Bundesrepublik veröffentlicht habe, und aus seiner Ernennung zum Professor wegen angeblicher Verdienste um die "Wiederherstellung einer demokratischen Gesetzlichkeit in Westdeutschland" folgert der Bundesgerichtshof, daß der Beschwerdeführer zumindest in Staatsschutzsachen und auch in dem Verfahren gegen ... in selbstgewählter SED-Abhängigkeit handele. Seine Verteidigung sei daher "prozeßordnungswidrig, ohne daß es auf Prüfung der Wirkung einzelner Prozeßhandlungen" ankomme.
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Der Bundesgerichtshof führt weiter aus, über die Zurückweisung im Einzelfall habe das in der Sache erkennende Strafgericht zu entscheiden, weil die Frage, ob ein Beschuldigter prozeßordnungsgemäß verteidigt sei, nicht dem anwaltschaftlichen Standesrecht angehöre, sondern bei notwendiger wie bei nicht notwendiger Verteidigung von Amts wegen zu prüfen sei. Daran habe die Bundesrechtsanwaltsordnung von 1959, insbesondere deren § 3 Abs. 2, nichts geändert.
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II. | |
Gegen den Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 2. März 1961 in der Strafsache gegen ... hat der Beschwerdeführer am 9. April 1961 Verfassungsbeschwerde erhoben. Er rügt Verletzung der Art. 2, 101 Abs. 1 Satz 1, 103 Abs. 1, 103 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und führt aus:
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Der angefochtene Beschluß verletze Art. 2 Abs. 1 GG, weil er gegen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, die Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und 103 Abs. 2 GG verstoße und daher nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung gehöre. Tenor und Begründung des Beschlusses seien widersprüchlich, weil einmal der generelle Ausschluß vom Verteidigeramt festgestellt werde, in der Begründung jedoch der Ausspruch auf das gegenwärtige Verfahren beschränkt werde.
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Der Beschwerdeführer sei sich nicht bewußt, auch nur in einem einzigen Fall die verfassungsmäßige Ordnung des Grundgesetzes verletzt zu haben. Die gegen ihn erhobenen Anwürfe beruhten auf einer Kette nicht bewiesener oder entstellter Indizien.
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III. | |
Der Bundesminister der Justiz hat wie folgt Stellung genommen:
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Auf Grund der §§ 146 Abs. 1, ferner 138, 140, 141, 142 und 145 StPO in Verbindung mit den Bestimmungen der Bundesrechtsanwaltsordnung ergebe sich die Stellung des Verteidigers als eines Rechtspflegeorgans, das im Falle einer verteidigungswidrigen Interessenkollision in einer einzelnen Strafsache ausscheiden müsse. Den bisherigen höchstrichterlichen Entscheidungen über die Ausschließungsbefugnis des Strafrichters sei gemeinsam, daß der Verteidiger seine Stellung als Organ der Rechtspflege infolge bestimmter Umstände im Einzelfall verwirkt habe, "weil er in dieser Sache nicht mehr unabhängig ist oder sich der Findung eines gerechten Urteils mit seinem der Organstellung widersprechenden Verhalten in den Weg gestellt hat". Ebenso wie in der Gefährdung von Staatsgeheimnissen durch den Verteidiger liege eine zum Ausschluß berechtigende "Verteidungswidrigkeit" auch in seiner Mitwirkung an Gewalt- oder Willkürmaßnahmen, die Leib, Leben oder Freiheit einer Person gefährdeten. Auch wenn ein solcher Rechtssatz nur durch Auslegung der Strafprozeßordnung zu erschließen sei, beruhe er auf einem Gesetz im Sinn des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG.
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IV. | |
Die Revisionsverhandlung gegen den Mandanten des Beschwerdeführers fand ohne dessen Mitwirkung als Verteidiger statt und führte zur Aufhebung des freisprechenden Urteils; der Angeklagte ... wurde später rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
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B. -- I. | |
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
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Der Beschwerdeführer hat dargetan, daß die angefochtene Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die in der Strafsache gegen seinen Mandanten ergangen ist, ihn selbst in seinen Grundrechten verletze. Zwar kann der Beschwerdeführer nach Abschluß des Strafverfahrens gegen ... in jenem Verfahren nicht wieder als Verteidiger auftreten. Da er aber in der Begründung des angefochtenen Beschlusses generell als Verteidiger in Staatsschutzsachen disqualifiziert wird, muß er besorgen, daß der Bundesgerichtshof in anderen Sachen diese Rechtsprechung wieder aufnimmt und die Instanzgerichte dem folgen. Daraus ergibt sich eine fortwirkende Behinderung der Anwaltstätigkeit des Beschwerdeführers. Zudem wurde der angefochtene Beschluß in größerer Anzahl an Justizbehörden mitgeteilt. Ferner ist er in der amtlichen Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs -- BGHSt 15, 326 -- und in einigen Fachzeitschriften (JZ 1961, 608; MdR 1961, 432; NJW 1961, 614) veröffentlicht worden, und für die interessierten Kreise ist leicht erkennbar, daß mit "Rechtsanwalt Dr. K." der Beschwerdeführer gemeint ist. Der Beschwerdeführer hat also auch noch nach dem rechtskräftigen Abschluß des Strafverfahrens ein schutzwürdiges Interesse an der Entscheidung (vgl. auch BVerfGE 15, 226 [230]).
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II. | |
Mit der Rüge, der angefochtene Beschluß verletze prozessuale Grundrechte, vermag der Beschwerdeführer nicht durchzudringen.
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Der Beschwerdeführer meint, er werde durch den angefochtenen Beschluß seinem gesetzlichen Richter entzogen (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG); offenbar geht er dabei von der Zuständigkeit der Ehrengerichte für Rechtsanwälte gemäß §§ 119 ff. BRAO aus (ebenso: von Winterfeld, NJW 1961, 901 [902]). Eine Zuständigkeit des Ehrengerichts, einen Verteidiger in einem bestimmten Verfahren aus seinem Amt zu entfernen, ist aber nirgends begründet.
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Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers verstößt der Beschluß des Dritten Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 2. März 1961 nicht gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Zwar muß die Gewähr des rechtlichen Gehörs die Möglichkeit einschließen, das Gericht in seiner Willensbildung zu beeinflussen. Der Hinweis, die im Ankündigungsschreiben geschilderten Umstände sprächen zusammengenommen nahezu unabweislich dafür, daß der Beschwerdeführer sein Verteidigeramt in selbstgewählter Abhängigkeit von der SED nach deren Anweisungen ausübe, schließt jedoch die Entscheidungserheblichkeit eines dem Beschwerdeführer anheimgestellten Gegenvorbringens nicht aus, zumal nicht der Vorsitzende, sondern der Senat über den etwaigen Ausschluß als Verteidiger zu entscheiden hatte.
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Der angefochtene Beschluß verstößt auch nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG. Er stellt keine Bestrafung des Beschwerdeführers dar, sondern soll den Angeklagten vor den vom Dritten Strafsenat des Bundesgerichtshofs vermuteten Machenschaften des Beschwerdeführers schützen.
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III. | |
1. Die angefochtene Entscheidung greift in die berufliche Tätigkeit des Beschwerdeführers als Anwalt ein; seit der Rechtsanwaltsordnung vom 1. Juli 1878 hatte jeder bei einem deutschen Gericht zugelassene Anwalt die Befugnis, vor jedem Gericht innerhalb des Reichs in Strafsachen zu verteidigen; dieses Recht ist heute durch § 3 BRAO und § 138 Abs. 1 StPO gewährleistet und sichert die anwaltschaftliche Berufsausübung. Es ist damit in Art. 12 Abs. 1 GG durch ein besonderes Grundrecht geschützt (BVerfGE 10, 185 [199]; 15, 226 [231]). Nach dieser Norm, nicht -- wie der Beschwerdeführer meint -- nach Art. 2 Abs. 1 GG, ist die angefochtene Maßnahme deshalb zu prüfen (BVerfGE 6, 32 [37]; 9, 3 [11]; 9, 73 [77]; 11, 234 [238]). Da diese Maßnahme die Befugnis des Beschwerdeführers, als Strafverteidiger aufzutreten, einschränkt, muß sie durch Gesetz im Sinn des Art. 12 Abs. 1 GG geregelt sein. Das ist bisher nicht geschehen.
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2. Die vom Bundesgerichtshof herangezogenen Bestimmungen der Bundesrechtsanwaltsordnung und der Strafprozeßordnung enthalten eine solche Regelung nicht.
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Nach § 1 BRAO ist der Rechtsanwalt ein unabhängiges Organ der Rechtspflege und nach § 3 Abs. 1 der berufene unabhängige Berater in allen Rechtsangelegenheiten. Diese Bestimmungen enthalten aber keinen Eingriffstatbestand für den Fall, daß ein Anwalt ihrem Leitbild nicht entspricht. Das ergibt sich schon aus § 3 Abs. 2 BRAO, wonach das allgemeine Vertretungsrecht des Anwalts nur durch ein besonderes Bundesgesetz beschränkt werden kann.
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§ 46 BRAO bestimmt, daß ein Anwalt einen Auftraggeber, von dem er auf Grund eines Dienstverhältnisses abhängig ist, nicht vor Gericht als Rechtsanwalt vertreten darf. Der hier zu beurteilende Sachverhalt, der Beschwerdeführer führe die Verteidigung gegen die wohlverstandenen Interessen des Angeklagten nach Weisung einer verfassungsfeindlichen Partei, ist aber von diesem Tatbestand so weit entfernt, daß er auch bei weiter Auslegung nicht darunter subsumiert werden kann. Abgesehen davon begründet die Bundesrechtsanwaltsordnung keine Kompetenz des jeweils erkennenden Strafgerichts.
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Nach § 146 Abs. 1 StPO darf für mehrere Beschuldigte nur dann ein gemeinschaftlicher Verteidiger auftreten, wenn dies der Aufgabe der Verteidigung nicht widerstreitet. Das Reichsgericht hat in seinem Urteil vom 11. April 1902 (RGSt 35, 189 [191]) aus dem Sinn des § 146 Abs. 1 StPO gefolgert, es sei Pflicht des Vorsitzenden, eventuell des Gerichts, von Amts wegen einzuschreiten, wo der Widerstreit der Interessen offenbar werde und für anderweite, dem Gesetz entsprechende Regelung der Verteidigung Sorge zu tragen. § 146 Abs. 1 StPO selbst besagt aber über die Befugnisse des Prozeßgerichts nichts. Vor allem ist der in ihm geregelte Tatbestand einer Interessenkollision zwischen mehreren Beschuldigten von dem hier zu beurteilenden Fall sachlich so verschieden, daß er nicht als Grundlage des Eingriffs dienen kann.
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3. a) Als mögliche Eingriffsgrundlage in das Grundrecht der Berufsfreiheit kommt auch Gewohnheitsrecht in Betracht, d. h. Recht, das nicht durch förmliche Setzung, sondern durch längere tatsächliche Übung entstanden ist, die eine dauernde und ständige, gleichmäßige und allgemeine sein muß und von den beteiligten Rechtsgenossen als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird (vgl. BVerfGE 9, 109 [117]; 15, 226 [232 ff.]). Allerdings muß es sich dabei um vorkonstitutionelles, nicht um nachkonstitutionelles, neues Gewohnheitsrecht handeln. Denn der Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG erfordert zumindest eine Rechtsnorm, die durch einen förmlichen Rechtsetzungsakt geschaffen worden ist; welchen Rang diese Norm im übrigen haben muß, kann hier dahingestellt bleiben.
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b) Die reichsgerichtliche Rechtsprechung hat über den in § 146 StPO behandelten Interessenwiderstreit zwischen mehreren Beschuldigten hinaus drei weitere Ausschließungstatbestände entwickelt. Das Reichsgericht hat angenommen, daß die Zeugeneigenschaft (RGSt 24, 104 [108]; 24, 296 [297 ff.]; 54, 175; 55, 219; JW 1937, 2423), der Verdacht der Teilnahme an der Straftat (RG DRiZ 1928, 470 [471]) und der Begünstigung (RG JW 1926, 2756) den Strafrichter unter bestimmten Voraussetzungen berechtigen, einem Rechtsanwalt die Mitwirkung als Verteidiger zu untersagen. Im "Felseneck-Prozeß" hat ferner das Kammergericht den Ausschluß eines Verteidigers, der in der Verhandlung hemmungslose Parteipropaganda betrieb und versuchte, die mehrmonatige Hauptverhandlung zu sprengen, für den Fall der Offenkundigkeit dieser Umstände für zulässig erachtet (JW 1933, 484). Einzelheiten dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung blieben in der Literatur umstritten.
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Es kann dahingestellt bleiben, ob diese höchstrichterliche Rechtsprechung für die von ihr erfaßten Einzelfälle schon zur Bildung einer Rechtsüberzeugung und Rechtsübung der Beteiligten, somit zu neuem speziellem Gewohnheitsrecht geführt hat. Um die im vorliegenden Fall bestehende Gesetzeslücke zu schließen, müßte sich als Gewohnheitsrecht ein Rechtssatz etwa des Inhalts feststellen lassen, daß der Verteidiger durch das erkennende Gericht von der Verteidigung auszuschließen ist, wenn er dem Angeklagten keinen Beistand leistet, sich der Wahrheitsfindung hindernd in den Weg stellt oder verfahrensfremden Einflüssen und Weisungen unterliegt, oder -- wie es im Leitsatz des angefochtenen Beschlusses spezieller formuliert ist -- daß ein Strafverteidiger, der die Verteidigung nicht unabhängig führt, sondern dabei Weisungen unbeteiligter politischer Stellen befolgt, gesetzlich als Verteidiger ausgeschlossen und vom erkennenden Gericht von Amts wegen zurückzuweisen ist. Ein solcher Satz kann aber der Rechtsprechung des Reichsgerichts nicht entnommen werden.
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c) Im Bereich des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG findet die Weiterentwicklung durch Auslegung bereits bestehenden Gewohnheitsrechts dort ihre Grenze, wo sie im Ergebnis zu einem neuen Eingriffstatbestand führt (vgl. BVerfGE 15, 226 ff. [233 f.]). Bei der hohen Bedeutung der freien Advokatur sind besonders strenge Maßstäbe anzulegen.
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Der Ausschluß eines Verteidigers, der von einer verfassungsfeindlichen Partei abhängig ist und deren Weisungen folgt, erweist sich als ein neuartiger Eingriffstatbestand. Dem vom Bundesgerichtshof (BGHSt 9, 20 ff.) angenommenen gewohnheitsrechtlichen Satz, der Verteidiger dürfe sich der Wahrheitserforschung nicht hindernd in den Weg stellen, liegen die vom Reichsgericht entschiedenen Fälle der Begünstigung und Teilnahme zugrunde; er wendet sich deshalb gegen einen Verteidiger, der den Angeklagten mit kriminellen Mitteln fördert oder gefördert hat. Dem Beschwerdeführer wird aber zum Vorwurf gemacht, daß er gegen die wohlverstandenen Interessen des Angeklagten arbeite.
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Um den gegen den Beschwerdeführer erhobenen Vorwurf bejahen zu können, müßte das Gericht tief in das durch das Anwaltsgeheimnis geschützte Vertrauensverhältnis zwischen dem Verteidiger und seinem Mandanten eindringen. Es müßte sich Gewißheit darüber verschaffen, auf welcher Linie sich der Angeklagte aus eigenem Entschluß zu verteidigen wünscht und inwieweit der Verteidiger davon aus Gründen, die nicht im wohlverstandenen Interesse des Beschuldigten liegen, abweicht. Auch unter diesem Gesichtspunkt hebt sich der zu beurteilende Fall von der bisherigen Rechtsprechung ab und stellt einen neuen Eingriffstatbestand dar.
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IV. | |
Selbst wenn es eine gesetzliche Grundlage gäbe, wäre nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Verbot des Übermaßes (vgl. BVerfGE 19, 342 [348 f.]) der Ausschluß eines Rechtsanwalts von der Verteidigung gegen den Willen seines Mandanten ein so schwerwiegender Eingriff in seine durch das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübung, daß er in jedem Fall nur dann ausgesprochen werden dürfte, wenn er durch die Umstände des besonderen Falls zwingend geboten wäre, um ein höherwertiges Rechtsgut zu schützen (vgl. BVerfGE 16, 214 [217 f.]).
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Zu einer so einschneidenden Maßnahme hat aber das Verhalten des Beschwerdeführers im Strafverfahren gegen ... keinen hinreichenden Anlaß gegeben. Der Mandant des Beschwerdeführers war in erster Instanz unter seiner Mitwirkung freigesprochen worden. Tatsächliche Einzelfeststellungen, die den Schluß rechtfertigen würden, daß der Beschwerdeführer seinem Mandanten bis zu seinem Ausschluß als Verteidiger keinen rechten Beistand geleistet, sondern gegen dessen Interessen gearbeitet hätte, oder daß er in dieser Richtung pflichtwidrige Absichten verfolgte, sind in dem angefochtenen Beschluß nicht getroffen worden. Der Bundesgerichtshof begründet seine Entscheidung lediglich mit der engen Bindung des Beschwerdeführers an die SED; nach deren Weisungen führe er die Verteidigung zumindest in Staatsschutzsachen prozeßordnungswidrig im Parteiinteresse der SED/KPD, ohne auf die Belange des Beschuldigten Rücksicht zu nehmen; das sei durch sein Auftreten in früheren Strafsachen und sein sonstiges Verhalten bewiesen (im einzelnen siehe oben Abschn. A I).
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Das Bundesverfassungsgericht hat die Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung des Bundesgerichtshofs nur im Hinblick auf den rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den durch Art. 12 Abs. 1 GG gebotenen Schutz der Berufsfreiheit zu prüfen. Unter diesem Gesichtspunkt rechtfertigen aber die aus den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers, seiner politischen Gesinnung und den bisher mit ihm gemachten Erfahrungen zusammengetragenen allgemeinen Verdachtsgründe seinen Ausschluß als Verteidiger nicht. Der Ausschluß würde praktisch auf eine bloße Prävention gegenüber einer entfernten -- abstrakten -- Gefährdung des Angeklagten hinauslaufen. Als Abwehrmaßnahme gegenüber einer solchen Gefährdung stellt der präventive Ausschluß des Verteidigers einen unverhältnismäßigen und daher verfassungswidrigen Eingriff in das Grundrecht des Beschwerdeführers auf Berufsfreiheit dar.
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V. | |
Der angefochtene Beschluß des Bundesgerichtshofs war daher aufzuheben.
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Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen.
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