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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: A. Tschentscher, Rainer M. Christmann | |||
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2. Zur Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei Anordnungen nach § 81a StPO. |
Beschluß |
des Ersten Senats vom 14. November 1969 |
- 1 BvR 253/68 - |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn W... - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Curt Freiherr v. Stackelberg, Karlsruhe-Durlach, Im Rosengärtle 20 - gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 5. April 1968 - 3 Ws 35/67 -. |
Entscheidungsformel: |
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. |
Gründe: | |
A. | |
1. Der im Jahre 1892 geborene Beschwerdeführer ist verantwortlicher Repräsentant der bergrechtlichen Gewerkschaft "Finstergrund" in Wieden/Schwarzwald. Im Jahre 1949 wurden durch private geologische Untersuchungen in verschiedenen Gebieten des Schwarzwaldes uranhaltige Mineralien entdeckt, für deren wirtschaftliche Auswertung sich der Beschwerdeführer interessierte. Da jedoch die damalige badische Landesregierung den ![]() ![]() | 1 |
Nachdem in den Jahren 1955 und 1958 zwei gegen Professor Dr. K... eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Verdachts strafbarer Handlungen nach §§ 99, 100 StGB eingestellt worden waren, da es sich bei den Uranvorkommen nicht um geheimhaltungsbedürftige Tatsachen handele, eröffnete die Große Strafkammer beim Landgericht Baden-Baden am 16. Dezember 1959 gegen den Beschwerdeführer das Hauptverfahren. Die Hauptverhandlung wurde wegen parlamentarischer Inanspruchnahme ![]() ![]() | 2 |
Anschließend eingeleitete Verhandlungen über eine gütliche Erledigung blieben erfolglos. Am 29. Oktober 1965 stellte das Landgericht auf Grund amtsärztlicher Gutachten das Verfahren wegen Verhandlungsunfähigkeit des Beschwerdeführers vorläufig und am 14. Februar 1967 nach Einholung weiterer Gutachten auf Antrag der Staatsanwaltschaft endgültig ein. Gegen die letzte Entscheidung legten der Generalstaatsanwalt und das Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg Beschwerde ein. Der Vorsitzende des zuständigen Strafsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe bat am 1. Juni 1967 den Direktor des Instituts für gerichtliche Medizin der Universität in Tübingen, Professor Dr. Schmidt, über die Verhandlungsfähigkeit des Beschwerdeführers ein Obergutachten zu erstatten. Der Beschwerdeführer lehnte es jedoch unter Hinweis auf sein Alter und die bereits ausgesprochene Einstellung des Verfahrens ab, sich nochmals von einem Sachverständigen untersuchen zu lassen. Das Gericht wies darauf am 5. Oktober 1967 den Verteidiger auf die Möglichkeit hin, daß nach § 81 a StPO eine zwangsweise Untersuchung angeordnet werden könne, und erkundigte sich bei dem in Aussicht ge ![]() ![]() | 3 |
Am 1. März 1968 erschien in der "Stuttgarter Zeitung" eine Pressemeldung folgenden Inhalts:
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Beschwerde im Verfahren Wölfel
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Oberlandesgericht Karlsruhe muß neu entscheiden - Intervention des Justizministers -
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Stuttgart, 29. Februar. Justizminister Dr. Schieler hat die Staatsanwaltschaft angewiesen, bei dem Oberlandesgericht Karlsruhe Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts Baden-Baden in dem Fall Wölfel einzulegen. Wie berichtet, hatte das Landgericht Baden-Baden das Verfahren gegen den Bergbauunternehmer Carl Wölfel, dem Beleidigung und üble Nachrede gegen den früheren Präsidenten des Geologischen Landesamtes vorgeworfen werden, wegen dauernder Verhandlungsunfähigkeit auf Antrag des Generalstaatsanwalts eingestellt.
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Justizminister Dr. Schieler sagte, es müsse nun abgewartet werden, wie das Oberlandesgericht Karlsruhe über die Beschwerde entscheiden werde. Er sei entschlossen, sich über den weiteren Fortgang des Verfahrens unterrichten zu lassen. Wenn man daran glaube, daß jeder Bürger vor dem Gesetz gleich sei, dann sei dieses Verfahren ein Musterbeispiel dafür, wie ein Strafverfahren nicht laufen solle. Dieses Verfahren sei auch ein Beispiel dafür, wie ein Beschuldigter unter Beanspruchung aller Rechtsmittel ein Verfahren verzögern könne. Es sei heute noch nicht zu sagen, ob es gelingen werde, das Verfahren wieder in ein rechtes Geleis zu bringen. Eventuell müsse noch darüber entscheiden werden, ob ein medizinisches Obergutachten über die Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten Wölfel eingeholt werden solle. Gewisse Anzeichen sprechen dafür, daß dieser nicht dauernd verhandlungsunfähig sei. Im übrigen laufe auch noch eine Beschwerde des Wirtschaftsministeriums, weil dieses bei der letzten Verhandlung vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe nicht zugezogen worden sei.
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Nach nochmaliger Anhörung des Verteidigers, des Generalstaatsanwalts und des Wirtschaftsministeriums ordnete das Ober ![]() ![]() | 9 |
2. Mit der gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts Karlsruhe gerichteten Verfassungsbeschwerde vom 23. April 1968 rügt der Beschwerdeführer, ohne ein bestimmtes Grundrecht als verletzt zu bezeichnen, das Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt habe, verstoße gegen das "Verbot des Ein ![]() ![]() | 10 |
Der Justizminister des Landes Baden-Württemberg habe durch seine Kritik an dem bisherigen Verfahren und mit der in seiner Presseäußerung zum Ausdruck gebrachten Erwartung, das Verfahren möge "wieder in ein rechtes Geleis" gebracht werden, in unzulässiger Weise auf den Inhalt der Entscheidung des Oberlandesgerichts Einfluß genommen. Zumindest sei der böse Schein entstanden, daß die sachliche Unabhängigkeit der entscheidenden Richter durch eine in die Form öffentlicher Justizkritik gekleidete Weisung des Justizministers beeinträchtigt worden sei. Daß die Entscheidung des Oberlandesgerichts ohne die Einflußnahme des Justizministers anders ausgefallen wäre, lasse sich jedenfalls nicht ausschließen.
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Inhaltlich verstoße die Entscheidung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Bestraft werden könne der Beschwerdeführer nur noch wegen seiner Äußerung vom 16. Februar 1954; wegen der erhobenen Vorwürfe bestehe jedoch kein legitimes staatliches Strafverfolgungsinteresse mehr, weil die Zeit darüber hinweggegangen sei. Dennoch solle sich der Beschwerdeführer einer körperlichen Untersuchung mit Entnahme von Blutproben und mit röntgenologischen, elektrokardiographischen und elektroenzephalographischen Maßnahmen unterziehen, die ihm angesichts seines hohen Alters und seines Gesundheitszustandes nicht mehr zugemutet werden könnten.
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3. Das Justizministerium Baden-Württemberg hat sich namens der Landesregierung am 9. Dezember 1968 dahin geäußert, das Vorbringen des Beschwerdeführers zum Verhalten des Justizministers enthalte die dem § 92 BVerfGG noch entsprechende Rüge, der Minister habe mit seiner Erklärung so auf die sach ![]() ![]() | 13 |
B. | |
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit der Beschwerdeführer einen "Eingriff der Exekutive in ein schwebendes Verfahren" beanstandet; sie ist unbegründet, soweit er die Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rügt.
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1. Nach § 92 BVerfGG ist in der Begründung der Verfassungsbeschwerde das Recht, das verletzt sein soll, innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG entweder ausdrücklich zu bezeichnen oder durch Sachvortrag erkennbar zu machen (BVerfGE 5, 1; 8, 141 [142 f.]). In der Verfassungsbeschwerde selbst ist kein Grundrecht als verletzt bezeichnet. Soweit der Beschwerdeführer sich gegen einen "Eingriff der Exekutive in ein schwebendes Verfahren" wendet, ergibt sich aus seinen Ausführungen nicht, welches Grundrecht verletzt sein soll. Die in Art. 97 GG garantierte richterliche Unabhängigkeit ist kein Grundrecht im Sinne des § 90 BVerfGG. Der Beschwerdeführer hat keinen einleuch ![]() ![]() | 15 |
2. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei der Anordnung einer körperlichen Untersuchung gemäß § 81 a StPO wendet, ist aus der Verfassungsbeschwerde hinreichend erkennbar, daß er das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG als verletzt rügen will. Im Schriftsatz vom 21. Mai 1969 spricht er von einem Eingriff in das "Grundrecht der persönlichen Integrität nach Art. 2 GG". Die insoweit zulässige Verfassungsbeschwerde ist jedoch nicht begründet. ![]() | 16 |
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Das Oberlandesgericht hat Inhalt und Tragweite des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht verkannt. Es ist zu der Überzeugung gelangt, daß die Erstattung eines Obergutachtens unerläßlich ist, um die Verhandlungsfähigkeit des Beschwerdeführers endgültig zu klären, und daß nach der Weigerung des Beschwerdeführers, sich freiwillig den hierzu notwendigen Untersuchungen zu unterziehen, die Anordnung einer Maßnahme nach § 81 a StPO geboten ist. Über die Notwendigkeit und Zumutbarkeit der einzelnen Untersuchungshandlungen und körperlichen Eingriffe hat es sich nach Anhörung eines Sachverständigen ausreichend vergewissert und schwerere Eingriffe wie die Vornahme einer Lumbalpunktion oder einer Pneumoenzephalographie ausgeschlossen. Das Interesse des schon in hohem Alter stehenden und nach den amtsärztlichen Zeugnissen gesundheitlich labilen Beschwerdeführers, von einer zwangsweisen körperlichen Untersuchung verschont zu bleiben, ist zwar nicht gering zu achten. Ihm steht aber ein nicht minder gewichtiges Interesse ![]() ![]() | 18 |
Dr. Stein, Ritterspach, Dr. Haager, Dr. Böhmer, Dr. Zeidler Die Richter Rupp-v. Brünneck und Dr. Brox sind erkrankt. Dr. Stein ![]() | |
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