Zur Frage der verfassungsrechtlichen Grenzen für die Durchführung der Hauptverhandlung im Hinblick auf die Verhandlungsfähigkeit eines kranken Angeklagten.
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Beschluss
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des Zweiten Senats vom 19. Juni 1979
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- 2 BvR 1060/78 -
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Der Beschluß des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 29. November 1978 - 1 Ws 401/78 - verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an den 3. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts zurückverwiesen. Die Freie und Hansestadt Hamburg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
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Gründe
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A.
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Strafverfahren einzustellen ist, wenn zu befürchten ist, daß die Durchführung der Hauptverhandlung das Leben oder die körperliche Unversehrtheit des Beschuldigten gefährden würde.
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I.
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1. Der jetzt 71 Jahre alte Beschwerdeführer trat nach dem Studium der Rechtswissenschaft und Ablegung beider Staatsprüfungen in den Verwaltungsdienst ein. Im Herbst 1935 wurde er zur Geheimen Staatspolizei (Gestapo) versetzt und in der Folgezeit mit der Leitung verschiedener Staatspolizeistellen betraut. Nach seiner Ernennung zum Regierungsrat und zum SS-Sturmbannführer nahm er am Polenfeldzug teil. Von November 1939 bis etwa Ende September 1941 war er Leiter der Staatspolizeileitstelle Posen. Im Dezember 1943 wurde er, nachdem er inzwischen zum Oberregierungsrat und SS-Obersturmbannführer befördert worden war, zum Abwehrbeauftragten im Reichsministerium für Rüstung und Munition mit Dienstsitz in I. bei N. bestellt. Seine Aufgabe bestand darin, die V-Waffenproduktion im Raum N. sicherheitspolizeilich zu überwachen.
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2. Im Februar 1946 wurde der Beschwerdeführer von Angehörigen des sowjetischen Geheimdienstes festgenommen und in Magdeburg inhaftiert. Ein sowjetisches Militärtribunal verurteilte ihn im Jahre 1950 als Kriegsverbrecher zu 25 Jahren Zwangsarbeit. Aufgrund dieser Verurteilung verbrachte er die folgenden Jahre in sibirischen Straflagern. Dort erlitt er im März 1953 einen ersten Schlaganfall. Im Oktober 1955 wurde er entlassen und kehrte in die Bundesrepublik Deutschland zurück. Hier ereilte ihn im Jahre 1957 ein zweiter Schlaganfall.
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3. Im Jahre 1961 leitete die Staatsanwaltschaft Berlin gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren ein. Sie beschuldigte ihn, während des Polenfeldzuges in Ausführung zuvor erteilter Rahmenbefehle maßgeblich an kriegsrechtlich nicht zu rechtfertigenden Erschießungen von Polen und Juden beteiligt gewesen zu sein, wobei er als Mörder gehandelt habe. Im Zuge dieses Verfahrens wurde der Beschwerdeführer vom 20. Mai 1965 bis zum 2. November 1967 in Untersuchungshaft genommen. Nach Beendigung der gerichtlichen Voruntersuchung setzte ihn das Landgericht Berlin auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit Beschluß vom 26. März 1971 außer Verfolgung, weil er des ihm zu Last gelegten Mordes nicht hinreichend verdächtig sei.
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4. Ein weiteres im Jahre 1961 gegen den Beschwerdeführer eingeleitetes Strafverfahren, in dem er sich ebenfalls - für die Dauer von insgesamt etwa fünf Monaten - in Untersuchungshaft befunden hat, führten die Staatsanwaltschaften Köln und Essen. In der beim Landgericht Essen erhobenen Anklage wurde ihm vorgeworfen, als Abwehrbeauftragter für die V-Waffenproduktion Tötungsverbrechen an Häftlingen des Konzentrationslagers M., die zur Herstellung der V-Waffen eingesetzt worden seien, begangen zu haben.
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a) In diesem Verfahren traten im Verlauf der Hauptverhandlung Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Beschwerdeführers auf, die zur Einvernahme mehrerer Ärzte, darunter des Nervenarztes Professor Dr B., führten. Dieser beurteilte den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers wie folgt:
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Der Beschwerdeführer leide an einem labilen Bluthochdruck, verbunden mit einer allgemeinen Arteriosklerose. Die Gefäßerkrankung habe zu psychischen Veränderungen geführt, deren Schwerpunkt in einer ausgeprägten Affektlabilität liege, die sich zeitweise bis zur Affektinkontinenz steigere. Auch hätten sich Zeichen einer beginnenden organischen Wesensveränderung in Gestalt von leichten Perseverationsphänomenen und formalen Denkstörungen gefunden. Der affektlabile Zustand werde vorzugsweise durch bestimmte Themen aus der Biographie und der derzeitigen Prozeßsituation, aber auch durch bestimmte Reizworte ausgelöst. Die "Reizschutzlosigkeit" des Beschwerdeführers sei als führendes Krankheitssymptom zu nennen.
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Die durch Reizworte ausgelösten emotionalen Krisen gefährdeten den Beschwerdeführer erheblich. Angesichts der Brüchigkeit seines Gefäßsystems könne bei Blutdrucksteigerungen exzessiver Art mit - bereits erreichten - Werten über 260 mm Hg jederzeit eine Arterie im Gehirn reißen. Die Folgen wären sofortige Bewußtlosigkeit, dauernde Verhandlungsunfähigkeit und unter Umständen der Tod infolge einer Massenblutung. Es sei mit hinreichender Sicherheit auszuschließen, daß der Beschwerdeführer seinen Zustand willentlich herbeigeführt habe oder aufrechterhalte.
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Mit dieser Beurteilung stimmten die anderen vom Gericht vernommenen Ärzte im wesentlichen überein.
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Daraufhin setzte die Strafkammer nach etwa 180 Verhandlungstagen durch Beschluß vom 5. Mai 1970 das Verfahren gegen den Beschwerdeführer aus.
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b) In der Folgezeit wurden weitere ärztliche Gutachten zur Frage der Verhandlungsfähigkeit des Beschwerdeführers eingeholt.
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In seiner fachärztlichen Stellungnahme vom 13. Juli 1971 bestätigte Professor Dr B. seine früher erhobenen Befunde. Er kam zu dem Schluß, daß der Beschwerdeführer nicht verhandlungsfähig und daß mit der Wiedererlangung seiner Verhandlungsfähigkeit nicht zu rechnen sei, weil es sich bei der Er krankung um ein chronisch progredientes Leiden mit ungünstiger Prognose handele.
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Professor Dr B. vom Universitäts-Krankenhaus E. in H. trat in seinem internistischen Gutachten vom 19. Dezember 1972 dieser Beurteilung im wesentlichen bei: Bei der vorgegebenen Gefäßschädigung, insbesondere der Schädigung der Hirngefäße, und der Neigung zu exzessiven Blutdruckerhöhungen sei jederzeit mit einem erneuten Schlaganfall - möglicherweise mit Todesfolge - zu rechnen. Diese Gefahr bestehe schon unabhängig von besonderen Belastungen und werde durch die Hauptverhandlung beträchtlich erhöht.
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Auch Professor Dr Bu. von der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität H. vertrat in seinem nervenfachärztlichen Zusatzgutachten vom 27. März 1974 die Ansicht, die pathogene, dh in bestimmten Situationen krankmachende Gemütslage des Beschwerdeführers führe in enger psychosomatischer Verbindung mit seinem Hochdruckleiden zur Verhandlungsunfähigkeit. Der Beschwerdeführer reagiere auf eine womöglich hohe Strafdrohung wie auf ein kränkendes Unrecht und gerate dadurch in einen Erregungszustand, der ihn unter Umständen in Lebensgefahr bringe. Er müsse auch dann als verhandlungsunfähig gelten, wenn man davon ausgehe, daß die psychogene Erregung, in die er durch eine für ihn bedrohliche Verhandlungssituation gerate, eine seelische Schutzreaktion bilde. Daß er seinen Krankheitszustand bewußt einsetzen oder willentlich steuern könne, erscheine ausgeschlossen. Eine medizinische Hilfe zur Erlangung der "Prozeßfähigkeit" sei schlecht vorstellbar. Sie würde nicht nur eine pharmakologische Behandlung notwendig machen, die ihrerseits die "Verhandlungsfähigkeit oder sogar Prozeßfähigkeit verhindern" würde, sondern sie müßte darüber hinaus wahrscheinlich auch psychotherapeutische Maßnahmen einschließen, die mit Sicherheit von vornherein zum Scheitern verurteilt wären. Eine erfolgreiche "Psychotherapie" einer lebenslangen Einstellung, wie sie bei dem Beschwerdeführer vorliege, sei undenkbar.
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c) Durch Beschluß vom 2. September 1974 stellte das Landgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den Beschwerdeführer gemäß § 206a StPO ein. Es hatte aufgrund der eingeholten Gutachten die Überzeugung gewonnen, daß der Beschwerdeführer dauernd verhandlungsunfähig sei.
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II.
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1. Im April 1972 leitete die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Hamburg ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen Mordes gegen den Beschwerdeführer ein. Ein Teil dieses Verfahrens wurde später abgetrennt und gesondert zur Anklage bei dem Landgericht Hamburg geführt. In diesem Verfahren wirft die Staatsanwaltschaft dem Beschwerdeführer vor, er habe in den Jahren 1940/41 als Leiter der Staatspolizeileitstelle Posen in mindestens fünf Fällen aus Mordlust, aus Rassenhaß und grausam die rechtswidrige Tötung von mindestens 26 jüdischen Häftlingen angeordnet und durch ihm unterstellte Beamte durchführen lassen.
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2. Das Landgericht Hamburg lehnte durch Beschluß vom 19. Juli 1976 die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Es vertrat die Ansicht, nach den im Strafverfahren vor dem Landgericht Essen eingeholten ärztlichen Gutachten stehe der Durchführung des Verfahrens in der Verhandlungsunfähigkeit des Beschwerdeführers ein nicht zu behebendes Hindernis entgegen.
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3. a) Nachdem die Staatsanwaltschaft gegen diesen Beschluß sofortige Beschwerde erhoben hatte, beauftragte das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg den Medizinaldirektor Dr N. vom Gerichtsärztlichen Dienst der Gesundheitsbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg, zur Frage der Verhandlungsfähigkeit des Beschwerdeführers Stellung zu nehmen. In seinem Gutachten vom 11. Februar 1977 bestätigte Dr N. die von den Vorgutachtern erhobenen ärztlichen Befunde. Er berichtete, es sei bei dem Beschwerdeführer anläßlich einer Untersuchung zu einem psychischen Zusammenbruch mit Weinkrämpfen gekommen. Auch er vertrat die Auffassung, die psychische Erregung, in die der Beschwerdeführer bei Durchführung der Hauptverhandlung geraten würde, begründe die dringende Gefahr einer akuten Verschlimmerung seines Leidens in Form eines Herzinfarkts oder einer Hirnmassenblutung. Der Beschwerdeführer sei deshalb auch weiterhin absolut verhandlungsunfähig.
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b) Das Oberlandesgericht beschloß daraufhin, den Beschwerdeführer durch den Facharzt für innere Medizin und Kardiologie Professor Dr W. vom Universitäts-Krankenhaus E. untersuchen zu lassen. Ziel der Untersuchung sollte die Beantwortung der Frage sein, in welchem Grade das Leben des Beschwerdeführers bei Durchführung der Hauptverhandlung gefährdet erscheine.
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Auf Veranlassung des Sachverständigen wurde der Gutachterauftrag geteilt: Professor Dr W. übernahm die Begutachtung aus internistischer und kardiologischer Sicht, während das neurologische Gutachten von Professor Dr P. und dessen Oberarzt Dr H. von der Neurologischen Universitäts-Klinik und Poliklinik E. erstattet werden sollte. Daraus ergab sich, daß für Professor Dr W. die Frage nach der Infarktgefährdung des Beschwerdeführers, für Professor Dr P. und Dr H. diejenige nach der Wahrscheinlichkeit eines erneuten Schlaganfalls im Vordergrund der Begutachtung stand.
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Die Sachverständigen stellten in ihren am 10. Oktober und 1. Dezember 1977 erstatteten Gutachten übereinstimmend und im Einklang mit den Vorgutachten fest, daß der Beschwerdeführer an Bluthochdruck und Arteriosklerose mit den Folgen einer leichten organischen Wesensveränderung und einer rechtsseitigen Gliederbehinderung nach zwei Schlaganfällen leide. Hingegen beurteilten sie seine Gefährdung durch eine Hauptverhandlung in den ihnen jeweils zur Begutachtung übertragenen Bereichen unterschiedlich.
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Professor Dr W. kam zu dem Schluß, daß das Risiko einer Herzfunktionsstörung durch eine Gerichtsverhand lung zwar erhöht werde, der Eintritt einer solchen Komplikation jedoch nicht wahrscheinlich sei. Das gelte vor allem bei geeigneter medikamentöser Behandlung. Das Auftreten eines Herzinfarkts durch emotional bedingte Blutdruckanstiege und Herzfrequenzanstiege kündige sich regelmäßig durch einen Herzschmerz an. In einem solchen Fall könnten sofort wirkende Medikamente die akute Gefährdung abwenden. Darüber hinaus bestehe die Möglichkeit, durch sogenannte Beta-Rezeptorenblocker die Sympathikus-Funktion zu dämpfen. Zahlreiche Untersuchungen hätten gezeigt, daß unter dieser Medikation Herzfrequenz und Blutdruck bei körperlichem und emotionalem Streß in geringerem Maße anstiegen und Versorgungsstörungen am Herzmuskel eventuell vermieden werden könnten.
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Demgegenüber schätzten Professor Dr P. und Dr H. die Gefahr eines erneuten Schlaganfalls höher ein:
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Die Rezidivquote nach einem erlittenen Schlaganfall liege statistisch bei 25%. Im Einzelfall hänge die Prognose vor allem von der Blutdruckregulierung ab. Komme es - etwa bei Erregungszuständen - zu erheblichen Blutdruckschwankungen, so steige das Risiko eines erneuten Schlaganfalls; es könne dann zu hypertonen Krisen mit akuten Zirkulationsstörungen im cerebralen Gefäßsystem oder gar zu Gefäßzerreißung mit der Folge von Gehirnblutungen kommen. Werde die Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer durchgeführt, so seien solche Erregungszustände mit Sicherheit zu erwarten. Deshalb müsse man in einem derartigen Fall befürchten, daß die Gefahr eines neuerlichen Schlaganfalls noch über das statistisch abschätzbare Risiko hinaus ansteige.
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Ausweislich der Statistik sei die Chance des Beschwerdeführers, einen erneuten Schlaganfall zu überleben, als ungünstig zu beurteilen. Berücksichtige man zudem sein Alter und die Schlaganfallsanamnese, so ergebe sich, daß die "einjährige Überlebenschance" unter 50% liege. Allerdings müsse ein erneuter Schlaganfall nicht zum sofortigen Tod führen. Es könne im günstigsten Fall eine schwere Halbseitenlähmung, im schlechteren Fall Bettlägerigkeit mit weitgehender oder vollständiger Pflegebedürftigkeit und nur im ungünstigsten Fall den sofortigen Tod oder ein nach Tagen oder Wochen tödlich endendes Siechtum zur Folge haben.
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Wollte man beim Beschwerdeführer Erregungszustände mit der Konsequenz gefährlicher Blutdruckanstiege verhindern, so müßte man ihn so stark sedieren, daß er einer Verhandlung nicht mehr folgen könnte.
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c) Mit Beschluß vom 9. Februar 1978 eröffnete das Oberlandesgericht das Hauptverfahren und ließ die Anklage zur Hauptverhandlung vor der Großen Strafkammer 7 des Landgerichts Hamburg zu. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wäre von der Durchführung der Hauptverhandlung nur dann abzusehen gewesen, wenn von vornherein hätte angenommen werden müssen, daß die Verhandlung für den Beschwerdeführer infolge seines schlechten Gesundheitszustandes und seiner Neigung zu hochgradiger Erregung sehr wahrscheinlich mit Lebensgefahr verbunden sein werde. Davon könne indessen nicht ausgegangen werden. Wie sich aus den Gutachten der Sachverständigen Professor Dr P./Dr H. und Professor Dr W. ergebe, werde die Eröffnung des Hauptverfahrens möglicherweise, aber nicht sehr wahrscheinlich zur folge haben, daß der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung einen dritten Schlaganfall erleide oder daß es bei ihm zu einem Herzinfarkt komme, dessen Wahrscheinlichkeit sich im übrigen durch eine medikamentöse Behandlung herabsetzen lasse.
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4. Dieser Beschluß ging dem Beschwerdeführer am 16. Februar 1978 zu. Unmittelbar darauf mußte er wegen einer akuten Verschlechterung seines Gesundheitszustandes mit dem Notarztwagen ins Universitäts-Krankenhaus E. eingeliefert werden, wo er bis zum 12. Mai 1978 behandelt wurde. Sein Hausarzt hatte einen schweren Schock mit zeitweisen Bewußtseinsstörungen und Sprachstörungen, Schwindelzuständen und Zitterzuständen, Absterben der äußeren Gliedmaßen und Versagen des rechten Beines sowie einen stark erhöhten Blutdruck festgestellt. Nach seiner Ansicht bestand die "drohende Gefahr eines erneuten Schlaganfalls (Lebensgefahr)".
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5. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Eröffnungsbeschluß des Hanseatischen Oberlandesgerichts Verfassungsbeschwerde. Diese wurde durch Beschluß des zuständigen Vorprüfungsausschusses des Zweiten Senats vom 26. Mai 1978 nicht zur Entscheidung angenommen. Das Bundesverfassungsgericht wies darauf hin, daß der Beschwerdeführer noch nicht alle Möglichkeiten richterlicher Nachprüfung erschöpft habe. Er könne sein Ziel, die Einstellung des Strafverfahrens schon vor Beginn der Hauptverhandlung zu erreichen, durch Anrufung der zuständigen Strafkammer anstreben. Diese werde dann die Frage der Verhandlungsfähigkeit des nach den vorliegenden Gutachten offensichtlich schwerkranken Beschwerdeführers erneut zu überprüfen und gegebenenfalls eine Entscheidung nach § 206a StPO zu treffen haben, nachdem der Beschwerdeführer nach der Darstellung seines Bevollmächtigten einen Zusammenbruch erlitten habe, als ihm die Eröffnung des Hauptverfahrens bekanntgegeben worden sei, und "wegen Lebensgefahr" in ein Krankenhaus habe eingewiesen werden müssen.
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6. Inzwischen hatte das Landgericht durch Beschluß vom 16. Mai 1978 die erneute ärztliche Untersuchung des Beschwerdeführers angeordnet. Es sollte unter Berücksichtigung der neueren Krankheitsentwicklung geklärt werden, ob sein Gesundheitszustand die Durchführung der Hauptverhandlung gestatte. Zu Sachverständigen waren Dr H. und - anstelle des nicht mehr in H. tätigen Professors Dr W. - Professor Dr B., beide vom Universitäts-Krankenhaus E., bestellt worden.
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Die Sachverständigen trugen dem Gericht die Ergebnisse ihrer Untersuchungen am 3. Juli 1978 mündlich vor, wobei Dr H. die Begutachtung unter neurologischen, der Oberarzt Dr M. - als Beauftragter Professor Dr B. - diejenige unter internistischen Gesichtspunkten übernahm. An schließend übermittelten die Sachverständigen dem Gericht unter dem 10. und 18. Juli 1978 schriftliche Zusammenfassungen ihrer Erkenntnisse. Darin führten sie im wesentlichen übereinstimmend aus:
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Der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers habe sich seit den letzten Untersuchungen im September 1977 nicht verschlechtert. Der Beschwerdeführer sei am 16. Februar 1978 wegen eines krisenhaften Blutdruckanstiegs, der mit Schwindel und Herzkrämpfen einhergegangen sei, für die Dauer von nahezu drei Monaten stationär aufgenommen und behandelt worden.
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Im übrigen trugen die Sachverständigen in ihren schriftlichen Gutachten vor: Professor Dr. Bleifeld/Dr. Mathey :
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Die Wahrscheinlichkeit koronarer Komplikationen - dazu zählten der plötzliche Herztod durch Herzrhythmusstörungen und der Herzinfarkt - betrage beim Beschwerdeführer etwa 30%. Eine Minderdurchblutung des Herzmuskels kündige sich jedoch meistens rechtzeitig durch Schmerzen an und könne mit Hilfe von Nitropräparaten durchbrochen werden.
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Dr. Hunger:
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Die Wahrscheinlichkeit, das der Beschwerdeführer bei neuen schweren und wiederholten Blutdruckkrisen, mit denen unter starker psychischer Belastung zu rechnen sei, einen erneuten Schlaganfall erleide, belaufe sich nach seiner Schätzung auf mehr als 50%, die Überlebenschance im Grenzzeitpunkt eines Jahres in einem solchen Fall auf weniger als 50%.
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Die im Gutachten von Professor Dr W. erwähnten Beta-Rezeptorenblocker könnten einzelne Blutdruckkrisen nicht mit einiger Sicherheit abfangen. Sie stellten deshalb keine ausreichende Schlaganfall-Prophylaxe dar. Die Eingabe von Psychopharmaka in nennenswerten Dosen komme nicht in Betracht; denn eine Dosierung, welche die Erregungszustände mit entsprechenden Blutdruckanstiegen abblocken könne, würde eine so beträchtliche Minderung der Aufmerksamkeit und Auf fassungsfähigkeit des Beschwerdeführers bewirken, daß er einer Gerichtsverhandlung nicht mehr ausreichend folgen könne.
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Die Verteidigungsfähigkeit des Beschwerdeführers sei durch eine hirnorganische Wesensänderung, die man als eine beginnende demente Entwicklung zu diagnostizieren habe, eingeschränkt. Dies wirke sich allerdings weniger auf intellektuellem Gebiet aus; durch die beim Beschwerdeführer festzustellenden Erstarrungen im emotionalen Bereich sei vielmehr vor allem die Fähigkeit zur Auseinandersetzung mit Problemen jedweder Art beeinträchtigt.
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7. Daraufhin beantragte der Beschwerdeführer, das Verfahren gemäß § 206a StPO einzustellen. Das Landgericht entsprach dem Antrag durch Beschluß vom 31. August 1978. Es zog aus den eingeholten Gutachten, insbesondere aus den Ausführungen des Sachverständigen Dr H., den Schluß, daß der Beschwerdeführer dauernd verhandlungsunfähig sei. Wie Dr H. bei seiner Anhörung auf wiederholtes eindringliches Befragen erklärt habe, sei die Wahrscheinlichkeit, daß der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung einen erneuten Schlaganfall erleiden würde, deutlich höher als 50% und die Chance des Beschwerdeführers, einen solchen Schlaganfall zu überleben, geringer als 50%. Der Sachverständige habe weiter ausgeführt: Aus dem Umstand, daß der Beschwerdeführer seit dem Jahre 1957 keinen Schlaganfall mehr erlitten und auch die langwierige Hauptverhandlung vor dem Landgericht Essen ohne einen solchen überstanden habe, folge nicht, daß die Rückfallgefahr gering sei; vielmehr lasse der relativ frühe Zeitpunkt der ersten Schlaganfälle darauf schließen, daß bei dem Beschwerdeführer eine konditionell bedingte Bereitschaft zu Schlaganfällen bestehe; seine Chance verringere sich mit zunehmendem Alter; der Schlaganfall könne jeden Tag eintreten.
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Gegen die fachliche Kompetenz des Sachverständigen Dr H. bestünden keine Bedenken. Daß der Sachverständige in sein Gutachten neben wissenschaftlich erarbeiteten auch ärztlich-fürsorgerische Erwägungen habe einfließen lassen, könne aus geschlossen werden. Der Auffassung Dr H., daß es nicht möglich sei, einem erneuten Schlaganfall durch Medikamente vorzubeugen, habe sich der Sachverständige Dr M. bei seiner Anhörung angeschlossen.
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Danach stehe fest, daß die Hauptverhandlung den Beschwerdeführer in eine "zu große Gefahr für Leib und Leben" bringen würde. Das Gericht sehe sich außerstande, dabei zwischen einem nur wahrscheinlichen und einem sehr wahrscheinlichen Tod zu unterscheiden. Das sei aber auch nicht erforderlich, weil bei dem Beschwerdeführer alle Faktoren vorhanden seien, die einen erneuten Schlaganfall erwarten ließen. Selbst wenn dieser "nur" die Lähmung und Pflegebedürftigkeit des Beschwerdeführers zur Folge haben sollte, schließe die Wahrscheinlichkeit einer solchen dauernden Schädigung die Verhandlung gegen ihn aus. Auch der gegen den Beschwerdeführer erhobene schwerwiegende Tatvorwurf erlaube nicht, die ihm im Falle einer Hauptverhandlung drohende Verletzung des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Kauf zu nehmen. Im übrigen verbiete der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Leben und Gesundheit eines Angeklagten durch eine Hauptverhandlung zu gefährden, wenn aus tatsächlichen Gründen deutliche Zweifel daran bestünden, daß das Verfahren mit einer Verurteilung des Angeklagten abgeschlossen werden könne. So aber lägen die Dinge - wie das Landgericht näher ausführt - hier. Dabei könne nicht unberücksichtigt bleiben, daß sich die Beweislage aufgrund von Unterlagen, die dem Oberlandesgericht bei Eröffnung des Hauptverfahrens noch nicht vorgelegen hätten, zugunsten des Beschwerdeführers geändert habe.
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8. Gegen diesen Beschluß erhob die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde. Sie machte ua geltend, der Gerichtsvorsitzende habe den Sachverständigen Dr H. bei seiner mündlichen Anhörung zu der Erklärung, daß die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Schlaganfalls höher als 50% einzuschätzen sei, in einer Weise gedrängt, die Zweifel an der Unvorein genommenheit des Richters begründen könnte. Dem traten die Richter der Strafkammer in dienstlichen Äußerungen entgegen.
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Das Hanseatische Oberlandesgericht hob die angefochtene Entscheidung mit Beschluß vom 29. November 1978 auf. Zugleich ordnete es an, daß die Hauptverhandlung vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts Hamburg stattzufinden habe. Zur Begründung führte es aus:
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Der Beschwerdeführer sei verhandlungsfähig. Zwar könne die Gefahr eines Herzinfarkts oder eines Schlaganfalls nicht ausgeschlossen werden. Dieser Umstand stehe jedoch - auch unter Berücksichtigung der sich aus Art. 2 Abs. 2 GG und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergebenden Rechte des Angeklagten auf Leben und Gesundheit - der Durchführung der Hauptverhandlung nicht entgegen.
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Die Gefahr eines Herzinfarkts bestehe für den Beschwerdeführer seit vielen Jahren. Gleichwohl habe er sich in dieser Hinsicht allen strafprozessualen Belastungen, denen er in der Vergangenheit ausgesetzt gewesen sei, gewachsen gezeigt. Berücksichtige man weiter, daß sich sein Gesundheitszustand in letzter Zeit nicht verschlechtert habe, so bestünden keine durchgreifenden Bedenken, ihm auch die Anstrengungen einer längeren Hauptverhandlung zuzumuten. Seinen schutzwürdigen Belangen könne dabei durch eine geeignete Verfahrensgestaltung sowie dadurch Rechnung getragen werden, daß ihm ein Arzt zur Seite gestellt werde.
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Das Landgericht habe zwar zutreffend erwogen, daß der Beschwerdeführer in der für ihn mit erheblichen Anspannungen verbundenen Hauptverhandlung einen weiteren Schlaganfall erleiden könnte. Zu Unrecht meine es jedoch, schon aus diesem Grunde auf eine dauernde Verhandlungsunfähigkeit des Beschwerdeführers schließen zu müssen. Bei der Feststellung der Verhandlungsfähigkeit sei für den Grundsatz, daß im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden sei, kein Raum. Hier lägen keine Tatsachen vor, die den Eintritt eies Schlaganfalls in der Hauptverhandlung "in zweifelsfreier Weise wahrscheinlich" machten. Die Anhörung des Sachverständigen Dr H. habe insoweit nichts Entscheidendes erbracht. Zwar habe das Landgericht versucht, den Sachverständigen gegen seinen Widerstand auf eine prozentuale Wahrscheinlichkeitsrechnung über den Eintritt eines weiteren Schlaganfalls festzulegen. Bei der im vorliegenden Fall gegebenen Risikenbündelung sei es jedoch für einen Arzt unmöglich, unter Abschätzung des Verlaufs einer noch gar nicht begonnenen Hauptverhandlung exakte Prozentangaben über die Wahrscheinlichkeit einer Gehirnblutung zu machen. Deshalb laufe eine derartige Befragung im Ergebnis darauf hinaus, die allein dem Gericht obliegende Verantwortung für die Entscheidung, ob der Angeklagte verhandlungsfähig sei, auf den Sachverständigen abzuwälzen. Für diese Beurteilung könne der Sachverständige nach der ihm von der Strafprozeßordnung zugewiesenen Rolle jedoch nur Entscheidungshilfen geben. Werte man die Ausführungen des Sachverständigen Dr H. im schriftlichen Gutachten vom 10. Juli 1978 unter diesem Gesichtspunkt, so ergebe sich, daß die beim Beschwerdeführer vorhandene Anfälligkeit für Gehirnblutungen zwar durch eine Hauptverhandlung erheblich gesteigert werden würde, daß es andererseits aber nicht zwingend zu einem neuen Schlaganfall kommen müsse. Unter diesen Umständen erfordere die zwischen den Grundrechten des Beschwerdeführers und dem Strafanspruch des Staates anzustellende Güterabwägung, daß die Hauptverhandlung durchgeführt werde.
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Die Anordnung, daß die Hauptverhandlung vor einer anderen Kammer des Landgerichts stattzufinden habe, beruhe auf einer analogen Anwendung des § 210 Abs. 3 StPO. Sie sei zur ordnungsgemäßen Durchführung der Hauptverhandlung unerläßlich. Nachdem der Senat nach Einholung mehrerer Gutachten die Verhandlungsfähigkeit des Beschwerdeführers im Eröffnungsbeschluß bejaht habe, sei die Große Strafkammer 7 jetzt wiederum zu der Ansicht gelangt, daß der Angeklagte dauernd verhandlungsunfähig sei, und zwar aufgrund der in der nicht protokollierten Anhörung vom 3. Juli 1978 aus dem Sachverständigen Dr H. "herausgefragten" Prozentzahlen. Darüber hinaus habe die Kammer in ihrem Einstellungsbeschluß nun auch noch den hinreichenden Tatverdacht in Zweifel gezogen, obwohl dieser durch den Eröffnungsbeschluß des Senats der nochmaligen Bewertung durch die Kammer entzogen gewesen sei. Aus diesen Umständen könne nur geschlossen werden, daß die Richter der Strafkammer in ihrer Ansicht über die Verhandlungsfähigkeit des Beschwerdeführers derartig festgelegt seien, daß sie nicht bereit wären, einer anderen Beurteilung zu folgen.
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III.
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Mit seiner rechtzeitig erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, der Beschluß des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 29. November 1978 verletze ihn in seinen Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 und 3 Abs. 1 GG sowie in seinen Ansprüchen auf ein faires Verfahren, den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) und rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Zur Begründung trägt er vor:
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1. Das Oberlandesgericht habe "bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze als Bewertungsmaßstab" den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verkannt. Es hätte insoweit - ebenso wie das Landgericht - berücksichtigen müssen, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit es verbiete, die Hauptverhandlung gegen einen Angeklagten durchzuführen, wenn ihm hierdurch Gefahr für Leib und Leben drohe und die Möglichkeit seiner Verurteilung gering zu veranschlagen sei.
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2. Nach den eingeholten ärztlichen Gutachten stehe eindeutig fest, daß er verhandlungsunfähig sei und die Durchführung der Hauptverhandlung sein Leben und seine Gesundheit hochgradig gefährden würde. Bei dieser Sachlage müsse der staatliche Strafanspruch im Interesse seiner Menschenwürde und seines Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit zurücktreten.
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3. Der angegriffene Beschluß beruhe auf sachfremden Erwägungen. Das Oberlandesgericht habe sich willkürlich über die von den Sachverständigen zur Frage seiner Verhandlungsfähigkeit getroffenen Feststellungen hinweggesetzt. Wenn es den Eintritt eines Herzinfarkts oder eines Schlaganfalls lediglich als "nicht ausgeschlossen" bezeichne, so liege darin eine unzulässige Verharmlosung. Die Behauptung, er habe sich bislang allen Belastungen gewachsen gezeigt, sei - wie schon sein Zusammenbruch am 16. Februar 1978 zeige - offensichtlich unrichtig. Entgegen der Auffassung des Gerichts bestehe nicht nur die vage Möglichkeit eines erneuten Schlaganfalls; vielmehr handele es sich nach den zutreffenden Angaben des Sachverständigen Dr H. um eine deutlich über 50% liegende Wahrscheinlichkeit. Der Hinweis auf die Unanwendbarkeit des Grundsatzes "in dubio pro reo" gehe daher fehl. Die Annahme des Oberlandesgerichts, es lägen keine Tatsachen vor, die den Eintritt eines Schlaganfalls aufgrund der Hauptverhandlung "in zweifelsfreier Weise wahrscheinlich" machten, sei in sich widersprüchlich. Zu Unrecht meine das Gericht, die Strafkammer habe versucht, den Sachverständigen gegen seinen Widerstand auf eine prozentuale Wahrscheinlichkeitsrechnung festzulegen. Die eindringliche Befragung des Sachverständigen gehöre zu den selbstverständlichen Pflichten des Richters. Daß das Landgericht versucht habe, die ihm bei der Entscheidungsfindung obliegende Verantwortung auf den Sachverständigen abzuwälzen, treffe nicht zu.
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4. Die Durchführung der Hauptverhandlung würde ihn in seinen Ansprüchen auf rechtliches Gehör und auf ein faires Verfahren verletzen. Seine Verteidigungsfähigkeit sei, wie der Sachverständige Dr H. ausgeführt habe, erheblich eingeschränkt. Hiervon abgesehen wäre er auch wegen der im Falle einer Hauptverhandlung gebotenen medikamentösen Behandlung außerstande, dem Gang der Verhandlung zu folgen, Rede und Antwort zu stehen und sich sachgerecht zu verteidigen.
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Eine weitere Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG sehe er darin, daß die Staatsanwaltschaft Aktenmaterial mit neuen, die Be weislage zu seinen Gunsten beeinflussenden Tatsachen dem Landgericht erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens zugänglich gemacht habe, ohne daß er hierzu habe Stellung nehmen können.
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5. Das Oberlandesgericht habe ihn durch die Anordnung, daß die Hauptverhandlung vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts Hamburg stattzufinden habe, willkürlich seinem gesetzlichen Richter entzogen. Die Annahme des Gerichts, es könne nicht erwartet werden, daß die Richter der Großen Strafkammer 7 sich die Auffassung des Strafsenats voll zu eigen machen wollten, sei unzutreffend und finde im Beschluß der Strafkammer keine Stütze.
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6. Der Beschwerdeführer beantragt zugleich, der jetzt zuständigen Strafkammer des Landgerichts im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde keinen Termin zur Hauptverhandlung anzuberaumen und das Strafverfahren auszusetzen.
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IV.
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Für den Senat der Freien und Hansestadt Hamburg hat sich die Justizbehörde zu der Verfassungsbeschwerde wie folgt geäußert:
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1. Die Durchführung der Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer würde sich als ein Eingriff in sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG darstellen. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines solchen Eingriffs sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Auch die Würdigung des entscheidungserheblichen Sachverhalts müsse von der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit geprägt sein.
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Ziel der im vorliegenden Fall gebotenen Abwägung zwischen dem beträchtlichen Gewicht des staatlichen Strafanspruchs und dem Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG sei die Ermittlung der äußersten Grenze des dem Beschwerdeführer noch zumutbaren gesundheitlichen Risikos. Dabei dürf te das Oberlandesgericht den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verkannt haben.
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Nach Ansicht des Oberlandesgerichts sei die ein Zurücktreten des staatlichen Strafanspruchs auslösende Risikogrenze erst dann erreicht, wenn es "zwingend zu einem neuen Schlaganfall kommen muß". Eine derartige Zwangsläufigkeit lasse sich indessen im medizinischen Bereich kaum jemals prognostizieren. Werde sie dennoch als durch Indiztatsachen zu belegender Obersatz postuliert, so dürfte darin ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG liegen. Es spreche vieles dafür, daß dieses Grundrecht einer Hauptverhandlung schon dann entgegenstehe, wenn die gutachterlichen Feststellungen indizierten, daß die Verhandlung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einen erneuten Schlaganfall auslösen werde. In einem solchen Fall seien noch verbleibende Zweifel an der Verhandlungsunfähigkeit des Beschuldigten unbeachtlich. Bei dieser Sachlage lasse sich das vom Oberlandesgericht in Gestalt der angegriffenen Entscheidung gefundene Abwägungsergebnis verfassungsrechtlich nicht halten.
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2. Der angegriffene Beschluß verletze dagegen ersichtlich nicht die Menschenwürde des Beschwerdeführers, seinen Anspruch auf rechtliches Gehör oder das Willkürverbot. Er stehe auch mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im Einklang. Die Annahme des Oberlandesgerichts, der Rechtsgedanke des § 210 Abs. 3 StPO könne bei Beschwerdeentscheidungen nach den §§ 206a, 311, 309 StPO zum Tragen kommen, erscheine zumindest gut vertretbar. Der Auffassung des Gerichts, daß dieser Gedanke angesichts der Besonderheiten des Falles hier Anwendung erheische, lägen sachrechtliche Erwägungen zugrunde.
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Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
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Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde steht ihrer Zulässigkeit nicht entgegen. Dem Beschwerdeführer droht nach seinem Vorbringen bei Durchführung der Hauptverhandlung eine später nicht mehr zu behebende Grundrechts beeinträchtigung. Unter diesen Umständen kann ihm nicht zugemutet werden, vor Einlegung einer Verfassungsbeschwerde zunächst den Ausgang des Strafverfahrens abzuwarten und gegebenenfalls im Revisionsrechtszug zu rügen, daß die Hauptverhandlung vor der Strafkammer nicht hätte stattfinden dürfen.
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Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet.
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I.
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Der angegriffene Beschluß verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG).
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1. Die Sicherung des Rechtsfriedens in Gestalt der Strafrechtspflege ist seit jeher eine wichtige Aufgabe staatlicher Gewalt. Die Aufklärung von Straftaten, die Ermittlung des Täters, die Feststellung seiner Schuld und seine Bestrafung obliegen den Organen der Strafrechtspflege, die zu diesem Zweck unter den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen Strafverfahren einzuleiten und durchzuführen sowie erkannte Strafen zu vollstrecken haben. Demgemäß hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung das Interesse der Allgemeinheit an der Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege hervorgehoben, ohne die Gerechtigkeit nicht durchgesetzt werden kann (BVerfGE 33, 367 (383); 38, 105 (115f); 38, 312 (321); 39, 156 (163); 41, 246 (250); 44, 353 (374); 46, 214 (222)). Der Rechtsstaat kann nur verwirklicht werden, wenn sichergestellt ist, daß Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, die Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger und deren Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen, und die Gleichbehandlung aller in Strafverfahren Beschuldigten erfordern grundsätzlich die Durchsetzung des staatlichen Straf anspruchs. Die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, eine funktionstüchtige Rechtspflege zu gewährleisten, umfaßt danach regelmäßig auch die Pflicht, die Einleitung und Durchführung des Strafverfahrens sicherzustellen (vgl. BVerfGE 46, 214 (222f); 49, 24 (54)).
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2. a) Daraus folgt, daß die Entscheidung darüber, ob ein Strafverfahren einzuleiten und durchzuführen ist, nicht von der Mitwirkungsbereitschaft des Beschuldigten abhängig gemacht werden darf. Das öffentliche Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung läßt es nicht zu, daß dem Beschuldigten die Möglichkeit eingeräumt wird, sich - etwa durch bewußte Herbeiführung seiner Verhandlungsunfähigkeit, zB durch Medikamentenmißbrauch, Genuß von Rauschgiften, Nichtinanspruchnahme medizinischer Behandlungsmöglichkeiten, Hungerstreik und andere Selbstbeschädigung etc (vgl.. Kleinknecht, StPO, 34. Aufl. 1979, § 231a Rdnr. 2) - dem Strafverfahren nach seinem Belieben zu entziehen und damit die Feststellung seiner Schuld und seine Bestrafung zu verhindern.
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b) Diesem verfassungsrechtlichen Gebot, das Strafverfahren auch gegen "Manipulationen" (vgl.. ua. Bericht und Antrag des Rechtsausschusses des Bundestages, BTDrucks. 7/2989, S 5 betr. den Entwurf eines § 231a StPO) von seiten des Beschuldigten zu sichern, haben Gesetzgeber (vgl.. §§ 230 Abs. 2, 231 Abs. 2, 231a, 329 StPO) und Rechtsprechung im Rahmen der Vorschriften über die Hauptverhandlung Rechnung getragen. Zwar steht nach allgemeiner Auffassung der verhandlungsunfähige Beschuldigte einem ausgebliebenen Beschuldigten im Sinne des § 230 StPO gleich; auch gegen jenen findet also nach der genannten Vorschrift eine Hauptverhandlung - grundsätzlich - nicht statt (z.B. BGHSt 2, 300 (305); Kleinknecht, a.a.O., § 230 Rdnr. 2). Hiervon gibt es jedoch im Interesse der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege gewichtige Ausnahmen: Nach § 231 Abs. 2 StPO kann, wenn sich der Beschuldigte aus der Hauptverhandlung entfernt oder bei Fortsetzung einer unterbrochenen Hauptverhandlung ausbleibt, diese in seiner Ab wesenheit zu Ende geführt werden, sofern er über die Anklage schon vernommen war und das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet. Die Rechtsprechung wendet diese Vorschrift auch in Fällen an, in denen sich der Beschuldigte bewußt zur Verhinderung des Verfahrens in eine krankhafte, seine Verhandlungsfähigkeit ausschließende Erregung versetzt hat (BGHSt 2, 300 (304f); vgl.. auch BGHSt 16, 178 (183)). Unter den besonderen Voraussetzungen des § 231a StPO ist die Hauptverhandlung auch dann in Abwesenheit des verhandlungsunfähigen Beschuldigten durchzuführen oder fortzusetzen, wenn dieser noch nicht über die Anklage vernommen war. Diese Regelung, die mit dem Grundgesetz vereinbar ist (BVerfGE 41, 246 (249)), kann nach der Rechtsprechung z.B. auch in Fällen eingreifen, in denen sich der Beschuldigte bewußt in einen psychischen Ausnahmezustand mit dem Ziel, seine Verhandlungsunfähigkeit herbeizuführen, hineingesteigert hat (OLG Hamm, NJW 1977, S 1739).
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3. Die verfassungsrechtliche Pflicht zu einer wirksamen Rechtspflege rechtfertigt indessen nicht in jedem Fall eines hinreichenden Tatverdachts die Durchführung des Strafverfahrens. Diese kann - unabhängig von einer Verurteilung des Beschuldigten und deren Folgen - ihrerseits mit dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit in Widerstreit treten und Grundrechte des Beschuldigten beeinträchtigen. Das kann der Fall sein, wenn angesichts seines Gesundheitszustandes zu befürchten ist, daß er bei Fortsetzung des Strafverfahrens sein Leben einbüßen oder schwerwiegenden Schaden an seiner Gesundheit nehmen würde. In solchen Fällen entsteht zwischen der Pflicht des Staates zur Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und dem Interesse des Beschuldigten an der Wahrung seiner verfassungsmäßig verbürgten Rechte, zu deren Schutz das Grundgesetz den Staat ebenfalls verpflichtet, ein Spannungsverhältnis. Keiner dieser Belange genießt schlechthin den Vorrang vor dem anderen. Weder darf der staatliche Strafverfolgungsanspruch ohne Rücksicht auf die Grundrechte des Beschuldigten durch gesetzt werden, noch erfordert jede denkbare Gefährdung dieser Rechte ein Zurückweichen jenes Anspruchs.
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Für das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gilt nichts anderes. Ein hier entstehender Konflikt ist nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips, das bei der Beurteilung von Eingriffen in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ganz allgemein Beachtung erfordert, durch Abwägung der einander widerstreitenden Interessen zu lösen (vgl.. BVerfGE 17, 108 (117); 27, 211 (219); 44, 353 (373)). Führt diese Abwägung zu dem Ergebnis, daß die dem Eingriff entgegenstehenden Interessen des Beschuldigten im konkreten Fall ersichtlich wesentlich schwerer wiegen als diejenigen Belange, deren Wahrung die staatliche Maßnahme dienen soll, so verletzt der gleichwohl erfolgte Eingriff das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und damit das Grundrecht des Beschuldigten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (vgl.. BVerfGE 44, 353 (373)). Bei der Beurteilung dieser Frage können vor allem Art, Umfang und mutmaßliche Dauer des Strafverfahrens, Art und Intensität der zu befürchtenden Schädigung sowie Möglichkeiten, dieser entgegenzuwirken, Beachtung erfordern.
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4. Besteht die naheliegende, konkrete Gefahr, daß der Beschuldigte bei Durchführung der Hauptverhandlung sein Leben einbüßen oder schwerwiegenden Schaden an seiner Gesundheit nehmen würde, so verletzt ihn die Fortsetzung des Verfahrens in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.
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a) Treten im Strafverfahren Zweifel auf, ob der Beschuldigte mit Rücksicht auf seine physische oder psychische Verfassung den Belastungen einer Hauptverhandlung wird standhalten können, so kann seinem Interesse, die Verhandlung aus diesem Grunde zu verhindern, die verfassungsrechtliche Schutzwürdigkeit nicht schon mit dem Hinweis abgesprochen werden, die Fortsetzung des Strafverfahrens bewirke allenfalls eine Gefährdung seiner Grundrechte. Zwar liegen bloße Grundrechtsgefährdungen im allgemeinen noch im Vorfeld verfassungsrechtlich relevanter Grundrechtsbeeinträchtigungen. Sie können jedoch, wie das Bundesverfassungsgericht anerkannt hat (BVerfGE 49, 89 (141f)), unter besonderen Voraussetzungen Grundrechts verletzungen gleichzuachten sein. Um welche Voraussetzungen es sich dabei handelt, braucht hier nicht abschließend erörtert zu werden. Eine solche Grundrechtsverletzung im weiteren Sinne liegt jedenfalls vor, wenn ernsthaft zu befürchten ist, daß der Beschuldigte bei Durchführung der Hauptverhandlung sein Leben einbüßen oder schwerwiegenden Schaden an seiner Gesundheit nehmen würde.
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b) Daß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG den staatlichen Organen verbietet, den Beschuldigten im Strafverfahren in eine naheliegende, konkrete Lebensgefahr zu bringen, versteht sich für den Rechtsstaat des Grundgesetzes von selbst. Darüber hinaus steht auch eine mit der Durchführung der Hauptverhandlung etwa verbundene ernsthafte Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit des Beschuldigten der Fortsetzung des Strafverfahrens entgegen, sofern die zu befürchtende gesundheitliche Schädigung als schwerwiegend zu erachten ist (vgl. BGH bei Dallinger, MDR 1958, S 142; BGH, NJW 1970, S 1981). In solchen Fällen tritt der staatliche Strafverfolgungsanspruch gleichfalls inter das Interesse des Beschuldigten am Schutz seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zurück.
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Ob im Einzelfall eine bei Durchführung der Hauptverhandlung drohende Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit des Beschuldigten so schwer wiegt, daß sie zur Einstellung des Verfahrens zwingt, hat der Strafrichter unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Falles zu entscheiden (vgl. Seetzen, DRiZ 1974, S 259 (260)). Dabei wird von Bedeutung sein, ob der Schaden, dessen Eintritt droht, dauernder oder nur vorübergehender Natur ist. Besteht die ernsthafte Befürchtung, daß der Beschuldigte bei Durchführung der Hauptverhandlung einen schwerwiegenden, irreparablen gesundheitlichen Schaden erleiden würde, so ist das Strafverfahren in jedem Fall einzustellen. Hingegen kann seine Gefährdung durch die Hauptverhandlung im Einzelfall hinnehmbar sein, wenn ihm gesundheitliche Beeinträchtigungen lediglich vorübergehender Art - etwa in Gestalt bestimmter Anfälle - drohen. Ob der Beschuldigte auf die Möglichkeit späterer Heilung oder Besserung verwiesen werden darf, hängt davon ab, wie schwer die zu befürchtende Beeinträchtigung wiegt und wie - mit Rücksicht auf den Gesundheitszustand des Beschuldigten - die Aussichten auf einen günstigen Verlauf einzuschätzen sind.
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c) Ist zu entscheiden, ob die Durchführung der Hauptverhandlung das Leben oder die körperliche Unversehrtheit des Beschuldigten in solchem Maße gefährden würde, daß sie auch in Ansehung der staatlichen Strafverfolgungspflicht als unzulässiger Eingriff in das Grundrecht des Beschuldigten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu werten wäre, so vermag nur eine hinreichend sichere Prognose über den Schadenseintritt die Einstellung des Verfahrens vor der Verfassung zu rechtfertigen.
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aa) Die unterhalb der Wahrscheinlichkeitsgrenze liegende bloße Möglichkeit des Todes oder einer gesundheitlichen Schädigung des Beschuldigten berechtigt das Gericht ersichtlich nicht, von der Durchführung der Hauptverhandlung Abstand zu nehmen. Diese stellt auch für den gesunden Beschuldigten regelmäßig eine erhebliche psychische und oftmals auch eine nicht geringe physische Belastung dar. Die Möglichkeit, daß er solchen Anspannungen nicht gewachsen ist, läßt sich letztlich niemals ausschließen. Derartige Risiken sind indessen unvermeidbar und müssen im Interesse einer wirksamen Rechtspflege hingenommen werden.
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bb) Auf der anderen Seite dürfen die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit solcher Beeinträchtigungen nicht überspannt werden. Die Annahme, in derartigen Fällen sei von der Durchführung der Hauptverhandlung nur dann abzusehen, wenn sich mit Sicherheit vorhersagen lasse, daß die Verhandlung schwerwiegende gesundheitliche Nachteile oder gar den Tod des Beschuldigten zur Folge hätte, brächte den Beschuldigten in eine mit der Bedeutung und Tragweite seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht zu vereinbarende Gefahr.
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cc) Die Grenze, bis zu der aus verfassungsrechtlicher Sicht in Kauf genommen werden kann und muß, daß die Durchführung der Hauptverhandlung das Leben oder die Gesundheit des Beschuldigten gefährden würde, liegt mithin zwischen den erwähnten Positionen. Sie wird durch einen spezifischen Wahrscheinlichkeitsgrad gekennzeichnet (vgl. OLG Frankfurt, NJW 1969, S 570; OLG Karlsruhe, NJW 1978, S 601 (602)), der sich regelmäßig einer genaueren Quantifizierung entziehen dürfte. Der vorliegende Fall nötigt nicht dazu, diesen Wahrscheinlichkeitsgrad und damit den Verlauf der Risikogrenze näher zu umschreiben. Wie der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg in seiner Äußerung zur Verfassungsbeschwerde unter Hinweis auf Bedeutung und Schutzzweck des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zutreffend dargelegt hat, verläuft die absolute Grenze, die bei der Abwägung auch durch den schwersten Schuldvorwurf nicht zurückgedrängt werden kann, jedenfalls nicht unerheblich unterhalb der Prognose eines mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu bestimmenden Kausalablaufs. Ist sie erreicht, so sind noch verbleibende Zweifel an der Verwirklichung der festgestellten Gefahr unbeachtlich.
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5. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt der angegriffene Beschluß nicht. Der rechtliche Maßstab, anhand dessen das Oberlandesgericht die Frage beurteilt hat, ob der Beschwerdeführer bei Durchführung der Hauptverhandlung einer zur Verfahrenseinstellung zwingenden Gefahr für Leben oder körperliche Unversehrtheit ausgesetzt sein würde, trägt der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht ausreichend Rechnung.
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a) Das Oberlandesgericht hat geprüft, ob bei Durchführung der Hauptverhandlung die Gefahr bestünde, daß der Beschwerdeführer einen Schlaganfall erleiden würde, und dabei festgestellt, es lägen keine Tatsachen vor, die eine derartige Komplikation "in zweifelsfreier Weise wahrscheinlich" machten. Dieser Formulierung kann noch nichts Endgültiges darüber entnommen werden, anhand welchen Maßstabes das Oberlandesge richt die ihm obliegende Prognoseentscheidung getroffen hat. Immerhin könnte schon die Verwendung des Wortes "zweifelsfrei" darauf hindeuten, daß nach Ansicht des Strafsenats in Fällen der vorliegenden Art nur ein besonders hoher, an Gewißheit grenzender oder gar mit ihr identischer Wahrscheinlichkeitsgrad die Grundlage einer Verfahrenseinstellung bilden kann. Daß das Oberlandesgericht tatsächlich einen solchen Maßstab zugrundegelegt hat, wird durch seine Feststellung belegt, daß es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bei dem Beschwerdeführer "nicht zwingend zu einem neuen Schlaganfall kommen muß".
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b) Dieser Maßstab hält einer verfassungsrechtlichen Würdigung nicht stand. Indem das Oberlandesgericht die zu treffende Prognoseentscheidung auf den Gesichtspunkt der Zwangsläufigkeit eingeengt hat, hat es die von der Verfassung vorgezeichnete Grenze, bis zu der das Risiko einer Beeinträchtigung des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit des Beschuldigten hingenommen werden kann und muß, zum Nachteil des Beschwerdeführers überschritten.
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6. Der angegriffene Beschluß beruht auf der festgestellten Verletzung des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Es kann angesichts der vorliegenden Sachverständigengutachten in ihrer Gesamtheit nicht ausgeschlossen werden, daß das Oberlandesgericht bei Anwendung eines verfassungsrechtlich unbedenklichen Prüfungsmaßstabes die Frage der Verhandlungsfähigkeit des schwerkranken Beschwerdeführers anders beurteilt hätte, als dies in der angegriffenen Entscheidung geschehen ist.
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II.
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1. Hat der Strafrichter - wie hier - die Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten zu beurteilen, so wird seine Entscheidung verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht schon dadurch gerecht, daß er ihr einen unbedenklichen, den Normen und Prinzipien des Grundgesetzes Rechnung tragenden Maßstab zugrunde legt. Vielmehr muß der Richter in solchen Fällen in Anwendung dieses Maßstabes die für seine Entscheidung maßgebenden Gesichtspunkte gegeneinander abwägen, wobei dem unterschiedlichen Gewicht der einzelnen Abwägungselemente für das zu findende Ergebnis entscheidende Bedeutung zukommen kann (BVerfGE 27, 211 (219); 44, 353 (373ff)). Dazu gehört die Berücksichtigung aller wesentlichen persönlichen und tatsächlichen Umstände des Einzelfalles, hier insbesondere die Würdigung sämtlicher dem Gericht vorliegenden Sachverständigengutachten, soweit sie für die Entscheidungsfindung von Erheblichkeit sein können. Ob der angegriffene Beschluß auch unter diesem Gesichtspunkt verfassungsrechtlich zu beanstanden ist, bedarf indessen, da schon die Verwendung des verfassungswidrigen Prüfungsmaßstabes zu seiner Aufhebung führt, keiner Entscheidung.
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2. Aus demselben Grunde kann dahinstehen, ob die angegriffene Entscheidung auch im Blick auf Art. 1, 101 Abs. 1 Satz 2, 103 Abs. 1 GG und das Willkürverbot Bedenken begegnet.
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III.
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1. Der angegriffene Beschluß war danach aufzuheben und die Sache an ein zuständiges Gericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
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2. Die Entscheidung über die Erstattung der dem Beschwerdeführer erwachsenen notwendigen Auslagen beruht auf § 34 Abs. 4 BVerfGG. Erstattungspflichtig ist die Freie und Hansestadt Hamburg, der die erfolgreich gerügte Grundrechtsverletzung zuzurechnen ist.
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3. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird mit der Entscheidung in der Hauptsache gegenstandslos.
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IV.
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Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen.
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Zeidler Rinck Wand Hirsch Niebler Steinberger Träger
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