1. Werden erstinstanzliche Beschwerdeentscheidungen über die sofortige Vollziehung atomrechtlicher Errichtungsgenehmigungen wegen Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen, läßt sich die gegenwärtige und unmittelbare Betroffenheit des Grundrechtsträgers nicht deshalb verneinen, weil Gefahren für Leben und Gesundheit erst vom Betrieb eines Kernkraftwerks, aber noch nicht von vorherigen baulichen Maßnahmen ausgehen können.
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2. Auch unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität sind derartige Verfassungsbeschwerden jedenfalls dann zulässig, wenn die Entscheidung von keiner weiteren tatsächlichen Aufklärung abhängt und wenn diejenigen Voraussetzungen vorliegen, unter denen gemäß § 90 Abs. 2 BVerfGG vom Erfordernis der Rechtswegerschöpfung abgesehen werden kann.
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3. Die friedliche Nutzung der Atomenergie ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Zur Grundsatzentscheidung für oder gegen diese Nutzung ist der Gesetzgeber berufen.
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4. Der aus Art. 2 Abs. 2 GG folgenden Pflicht, Maßnahmen zum Schutz gegen die Gefahren der friedlichen Nutzung der Atomenergie zu treffen, ist der Staat durch den Erlaß materiellrechtlicher und verfahrensrechtlicher Vorschriften für die Genehmigung von Kernkraftwerken nachgekommen.
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5. Zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Vorschriften für die Genehmigung von Kernkraftwerken und von wesentlichen Änderungen solcher Anlagen.
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6. Eine Grundrechtsverletzung kommt auch dann in Betracht, wenn die Genehmigungsbehörde solche atomrechtlichen Verfahrensvorschriften außer acht läßt, die der Staat in Erfüllung seiner aus Art. 2 Abs. 2 GG folgenden Schutzpflicht erlassen hat.
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Beschluß | |
des Ersten Senats vom 20. Dezember 1979
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-- 1 BvR 385/77 -- | |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Oberstudienrätin V ... gegen den Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 3. Mai 1977 - 1 B 15/77 -.
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Entscheidungsformel:
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Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
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Gründe: | |
A. | |
Die Verfassungsbeschwerde betrifft einen Ausschnitt aus dem Genehmigungsverfahren für das Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich, das im Neuwieder Becken in der Nähe des Wohnsitzes der Beschwerdeführerin errichtet wird. Ihr Gegenstand ist die vom Oberverwaltungsgericht bestätigte sofortige Vollziehung des siebten Freigabebescheids, den das zuständige Landesministerium im Rahmen der Ersten Teilgenehmigung erlassen hatte und der die Errichtung mehrerer Anlageteile betrifft.
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I.
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1. Das Kraftwerk ist zur Erzeugung von etwa 1.300 Megawatt elektrischer Leistung ausgelegt und gehört damit zu den größten seiner Art. Er soll mit einem Druckwasser-Reaktor ausgestattet werden, der in seiner Bauart von der bisher in der Bundesrepublik üblichen abweicht. Es liegt in der unmittelbaren Nähe des Rheins zwischen diesem und einer Hauptlinie der Bundesbahn; in seiner Umgebung bis zu 5 km Entfernung wohnen etwa 80.000 Menschen.
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Die "Erste Teilgenehmigung" für dieses Kraftwerk erging am 9. Januar 1975, nachdem zuvor die vorgeschriebene Auslegung der Antragsunterlagen und ein Erörterungstermin durchgeführt sowie Gutachten eingeholt worden waren. Sie wurde erteilt "nach Maßgabe der Beschreibung des Kernkraftwerkes in dem Sicherheitsbericht..., soweit sich aus den Auflagen zu diesem Bescheid und Freigabeauflagen für die einzelnen Anlagenteile nichts anders ergibt". Die Genehmigung umfaßte die gesamte Errichtung der Anlage; einer späteren Teilgenehmigung sollte nur noch die Genehmigung des Betriebs vorbehalten bleiben. Sie wurde für sofort vollziehbar erklärt, ermöglichte aber noch nicht die Bauausführung. Denn gemäß Ziff II 1 des Bescheids durfte mit der Errichtung der im einzelnen aufgeführten sicherheitstechnisch wichtigen Anlageteile und Systeme erst begonnen werden, wenn die Genehmigungsbehörde schriftlich eine besondere Freigabe erteilt habe; diese erfolge erst, wenn der Genehmigungsbehörde jeweils eine positive gutachtliche Stellungnahme des Technischen Überwachungsvereins (TÜV) Rheinland vorliege. In der Folgezeit ergingen nach Einschaltung des TÜV Rheinland mehrere Freigabebescheide. Ihnen liegt eine Gebäudeanordnung zugrunde, die von der Bauweise abweicht, wie sie in den ursprünglich ausgelegten und im Erörterungstermin behandelten Unterlagen vorgesehen war. Die sicherheitstechnische und rechtliche Beurteilung dieser Änderung ist strittig. Einerseits wird geltend gemacht, die in den ausgelegten Unterlagen beschriebene und in der Ersten Teilgenehmigung genehmigte sog Kompaktbauweise, die zum besseren Schutz gegen äußere Einwirkungen durch Flugzeugabstürze und Explosionsdruckwellen wesentlich sei, habe man aufgegeben und die Anlage im Interesse eines verbesserten Schutzes gegen Erdbeben in mehre Gebäudekomplexe aufgeteilt; dies sei eine wesentliche Änderung, die das Sicherheitsniveau berühre und ein neues förmliches Genehmigungsverfahren erfordert habe. Dem wird entgegengehalten, die Änderung führe insgesamt zu einer Verbesserung des Sicherheitsniveaus; sie beruhe auf Empfehlungen der in der Ersten Teilgenehmigung genannten Gutachten und liege auf der Linie mehrerer in dieser Genehmigung enthaltenen Auflagen, in denen Vorkehrungen gegen Erdbeben und andere äußere Einwirkungen gefordert worden seien.
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Die neue Gebäudeanordnung ergab sich aus Unterlagen, die nach der Ersten Teilgenehmigung mit den Freigabeanträgen eingereicht wurden. In seiner gutachtlichen Stellungnahme zu dieser Änderung gelangte der TÜV Rheinland zu dem Ergebnis, gegen sie bestünden keine sicherheitstechnischen Bedenken, sofern die von ihm vorgeschlagenen Bedingungen erfüllt würden. Soweit sich ungünstigere radiologische Auswirkungen ergeben könnten, bleibe die Belastung unter den höchstzulässigen Werten. Durch die Gebäudeaufteilung entstehe zwischen den beiden Komplexen eine Gasse, die nach den bisherigen Kenntnissen eine Schwachstelle sei, und es entfalle für das Reaktorgebäude der Schutz durch vorgelagerte Bauteile; diesen Auswirkungen lasse sich jedoch durch Verschließen der Gasse und durch geeignete Auslegung der Außenwände begegnen. Die vom TÜV Rheinland genannten Bedingungen übernahm die Genehmigungsbehörde in teils abgewandelter Form in ihren ersten Freigabebescheid. Dieser und auch die folgenden Freigabebescheide umfaßten aber jeweils nur bestimmte Komplexe des Vorhabens, obwohl ausdrücklich auch die Freigabe "der Gesamtanordnung des Kernkraftwerkes" beantragt worden war. Mit dem von der Beschwerdeführerin angegriffenen siebten Freigabebescheid vom 24. Juni 1976 wurden das Reaktorgebäude oberhalb einer näher bezeichneten Höhe, die Betonstrukturen im Sicherheitsbehälter, das Zwischengebäude, die Nebenkühlwasserpumpenhäuser sowie weitere Anlageteile freigegeben. Ferner ordnete die Genehmigungsbehörde am 16. November 1976 vorsorglich die sofortige Vollziehung dieser Freigabe an, was sie bislang nicht für erforderlich gehalten hatte, weil die Freigabe nach ihrer Meinung lediglich eine nicht anfechtbare verwaltungsinterne Kontrollmaßnahme darstelle. Die sofortige Vollziehung wurde unter Bezugnahme auf eine entsprechende Anordnung für die Erste Teilgenehmigung damit begründet, sie sei wegen des besonderen öffentlichen Interesse an einer alsbaldigen Errichtung und Inbetriebnahme des Kernkraftwerks geboten; da ab 1977/78 damit zu rechnen sei, daß das Verbundnetz bereits an seinen Einspeisungsquellen im Norden und Süden verstärkt belastet werde, sei es notwendig, das Netz durch Errichtung eines Kraftwerks in seinem Mittelpunkt in Rheinland-Pfalz zu stützen.
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2. Die Beschwerdeführerin wohnt in K., das etwa 7 km vom Standort des Kernkraftwerks entfernt liegt. Sie hat sowohl gegen die Erste Teilgenehmigung als auch gegen mehrere Freigabebescheide Klage erhoben. Ihr Antrag, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den siebten Freigabebescheid wiederherzustellen, hatte in erster Instanz Erfolg. In zweiter Instanz wurde er hingegen durch den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluß abgewiesen.
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a) Beide Gerichte halten den auf § 80 Abs. 5 VwGO gestützten Antrag für zulässig. Nach ihrer übereinstimmenden Auffassung ist er Freigabebescheid eine Aufsichtsmaßnahme im Sinne des § 19 AtomG die nach ihrem konstitutiven Regelungsgehalt den Charakter eines Verwaltungsaktes habe. Die nur wenige Kilometer vom Standort des Kraftwerks wohnende Beschwerdeführerin sei auch klagebefugt und antragsbefugt. Ihre Beschwer entfalle nicht deshalb, weil die befürchteten Gefahren erst durch den Betrieb des Kernkraftwerks entstünden und nicht schon durch seine Errichtung; die mehr oder weniger schwerwiegenden rechtlichen und tatsächlichen Folgen der Freigabe könnten lediglich die dem Gericht obliegende Interessenabwägung beeinflussen.
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Bei ihrer materiell-rechtlichen Prüfung gehen die Verwaltungsgerichte übereinstimmend davon aus, daß bei einer Entscheidung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage nicht abschließend zu beurteilen seien, daß aber die aufschiebende Wirkung der Klage jedenfalls dann wiederherzustellen sei, wenn die Klage offensichtlich zum Erfolg führe. Diese Voraussetzung liegt nach Auffassung des Verwaltungsgericht vor. Nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts läßt sich hingegen eine eindeutige Aussage über die Erfolgsaussichten der Klage nicht treffen; demgemäß hänge die Entscheidung über die beantragte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von einer Abwägung der widerstreitenden Interessen ab. Im einzelnen wird in den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen folgendes ausgeführt:
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b) Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts (DVBl. 1977, S. 360) läßt sich ohne weitere Sachaufklärung feststellen, daß die angefochtene Freigabe rechtswidrig sei und die Beschwerdeführerin in ihren Rechten verletze. Freigegeben werden dürften nur solche Anlageteile, die auch genehmigt worden seien oder jedenfalls nicht wesentlich vom Genehmigungsbescheid abwichen. Der Gesetzgeber habe durch die Vorschriften des § 7 Abs. 1 und § 19 Abs. 1 Satz 2 AtomG auch im Interesse des unmittelbar vom Gesetz geschützten Personenkreises sicherstellen wollen, daß alle sicherheitstechnisch wichtigen Anlageteile und Systeme vor ihrer Errichtung oder Inbetriebnahme einer genauen Prüfung in dem eingehend geregelten und an strenge formelle Voraussetzungen geknüpften Genehmigungsverfahren unterzogen würden. Die mit den verfahrensrechtlichen Vorschriften bezweckte Transparenz des Genehmigungsverfahrens und seine weitgehende Publizität sollten es weiten Bevölkerungskreisen ermöglichen, ihre durch das Atomgesetz geschützten Rechte vor Schaffung vollendeter Tatsachen geltend zu machen. Dieses gesetzgeberische Anliegen werde unterlaufen, wenn wesentliche Anlageteile ohne Einbeziehung in das förmliche Genehmigungsverfahren und abweichend vom Genehmigungsbescheid im Wege einer nicht an diese engen Voraussetzungen geknüpften Freigabe in veränderter Form errichtet werden dürften.
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Die angegriffene siebte Freigabe genüge diesen Anforderungen nicht. Mit der genehmigten, als Kompaktbauweise bezeichneten Anordnung seien bestimmte sicherheitstechnische Absichten verfolgt worden, die mit der Änderung verlassen worden seien. Daß die Gesamtanordnung der Gebäude im wesentlichen, sicherheitstechnisch relevanten Punkten nach Erteilung der Ersten Teilgenehmigung geändert worden sei, lasse sich eindeutig den Äußerungen des TÜV Rheinland entnehmen und sei im wesentlichen unstreitig. Diese Änderungen könne die Beschwerdeführerin im Rahmen der Anfechtung einer jeden Freigabe beanstanden, soweit die freigegebenen Anlageteile - wie im vorliegenden Fall - von der Änderung beeinflußt würden. Denn bislang habe die Genehmigungsbehörde nicht über den Antrag auf Freigabe der geänderten Gesamtanordnung, sondern immer nur über die Freigabe einzelner Anlageteile entschieden.
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c) Das Oberverwaltungsgericht (DVBl. 1977 S. 730) hält demgegenüber eine eindeutige Aussage über den Erfolg der Anfechtungsklage nicht für möglich. Anders als das Verwaltungsgericht ist es - wie es im Zusammenhang mit der Klagebefugnis und Antragsbefugnis näher darlegt - der Auffassung, daß die Beschwerdeführerin als belastete Dritte nur die Verletzung materiell-rechtlicher Vorschriften beanstanden könne, da grundsätzlich nur diese eine Schutzfunktion zugunsten Dritter ausübten. Demgemäß könne die Beschwerdeführerin ihre Klagebefugnis nicht daraus herleiten, die geänderte Gebäudeanordnung habe nur nach erneuter Bekanntmachung und Auslegung in einem weiteren atomrechtlichen Genehmigungsbescheid zugelassen werden dürfen.
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Unter dem Blickwinkel des materiellen Rechts könne die Beschwerdeführerin allerdings geltend machen, durch nachträgliche Änderungen der Gebäudeanordnung des Kernkraftwerks gegenüber der Ersten Teilgenehmigung schlechter gestellt und dadurch in ihren schützenswerten Rechten verletzt zu sein. Aus dem Zweck der Freigabeerklärung als einer zusätzlichen Sicherheitskontrolle folge nach den insoweit zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts, daß nur diejenigen Anlageteile freigegeben werden dürften, die zuvor als solche genehmigt worden seien. Andererseits könne der längere Zeitraum zwischen einer Ersten Teilgenehmigung und der späteren Ausführung eine Anpassung an den inzwischen erreichten Stand von Wissenschaft und Technik nötig machen. Die Grenze zwischen zulässiger Anpassung und unzulässiger Freigabe nicht genehmigter Anlageteile sei darin zu sehen, ob die Anlage oder der Betrieb wesentlich verändert werde oder nicht. Im vorliegenden Fall lasse sich - wie in dem angegriffenen Beschluß im einzelnen ausgeführt wird - nicht ohne weitere Sachaufklärung feststellen, daß die Anordnung des Reaktorgebäudes, des Zwischengebäudes und sonstiger Anlageteile, wie diese nunmehr nach dem siebten Freigabebescheid errichtet würden, offensichtlich der Ersten Teilgenehmigung widerspreche, zumindest aber als wesentliche Änderung im Sinne des § 7 Abs. 1 AtomG zu beurteilen sei. Nach dem Inhalt der Ersten Teilgenehmigung könne nicht davon ausgegangen werden, daß die sog Kompaktbauweise die ausschließliche Anordnung der Gebäude des Kernkraftwerks darstelle. Es sei nämlich nicht auszuschließen, daß zumindest die Auflagen Nr. 30 und 76 des Ersten Teilgenehmigungsbescheids ihren Grund darin hätten, eine Auslegung aller Kraftwerkbauten zu gewährleisten, die den im Genehmigungsverfahren durch Sachverständigengutachten ermittelten Werten entspreche, um eine etwaige Erdbebengefährdung zu vermeiden. Ob dies zutreffe und ob auch die weiteren Auflagen Nr. 21 und 27 der Teilgenehmigung ein Auseinanderrücken der Gebäude gegenüber ihrer ursprünglichen Anordnung unumgänglich notwendig gemacht hätten, werde im Verfahren der Hauptsache zu klären sein.
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Sollte sich in diesem Verfahren ergeben, daß die Änderung der Gebäudeanordnung nicht eine zwangsläufige Folge der genannten Auflagen sei, müsse der Frage nachgegangen werden, ob eine wesentliche Änderung gegenüber den diesbezüglichen Anordnungen des Genehmigungsbescheids vorliege und ob dadurch das Sicherheitsniveau des Kraftwerks nachteilig beeinflußt sein könne. Sollte sich hingegen im Hauptsacheverfahren herausstellen, daß der angegriffene Freigabebescheid mit der Ersten Teilgenehmigung übereinstimme oder aber nicht wesentlich von ihren Anordnungen abweiche, müsse den Einwendungen der Beschwerdeführerin, durch die Gebäudetrennung habe sich das Sicherheitsniveau insgesamt zu ihren Lasten vermindert, im Rahmen des Hauptsacheverfahrens gegen die Erste Teilgenehmigung nachgegangen werden.
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Die unter diesen Umständen gebotene Abwägung der widerstreitenden Interessen müsse zum Nachteil der Beschwerdeführerin ausfallen. Allerdings dürfe bei dieser Interessenabwägung nicht die Sicherung der Stromversorgung berücksichtigt werden, mit der die Anordnung der sofortigen Vollziehung begründet worden sei. Zwar handele es sich insoweit zweifellos um ein wichtiges öffentliches Interesse. Aus der Zielsetzung des § 80 Abs. 6 Satz 2 VwGO, wonach eine stattgebende gerichtliche Entscheidung für die Verwaltung bindend sei, folge aber, daß auf die an sich zulässige Beschwerde der beigeladenen Genehmigungsinhaber nur deren privates Interesse berücksichtigt werden dürfe. Dieses bestehe darin, daß im Falle eines auch nur teilweise angeordneten Baustopps erhebliche zusätzliche Kosten durch umfangreiche Konservierungsmaßnahmen und Wartungsmaßnahmen sowie das Vorhalten von Fachpersonal entstünden. Andererseits führe die Fortsetzung der Bauarbeiten nicht zu einer irreparablen Rechtsbeeinträchtigung der Beschwerdeführerin, um deren Schutz es bei der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln allein gehe. Erst durch den Betrieb, nicht dagegen durch die Errichtung des Kernkraftwerks werde die Beschwerdeführerin in schützenswerten Rechten beeinträchtigt. Die Errichtung der Gebäude bewirke auch nichts "Unabänderliches". Werde nämlich der Betrieb nicht aufgenommen, so habe die Betreiberin für die Beseitigung der Anlage Sorge zu tragen. Daß die mit der Errichtung verbundenen hohen Investitionskosten eine positive Entscheidung hinsichtlich der noch zu erteilenden Betriebsgenehmigung präjudizierten, sei nicht zu erwarten. Ebensowenig sei zu befürchten, daß ein - wenn auch nur unbewußter - Einfluß auf spätere gerichtliche Entscheidungen ausgeübt werden könnte.
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3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die Beschwerdeentscheidung des Oberverwaltungsgerichts rügt die Beschwerdeführerin, sie werde durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung des siebten Freigabebescheids in ihrem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und ferner in der durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten Rechtsschutzgarantie verletzt.
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Zur Begründung wiederholt die Beschwerdeführerin im wesentlichen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts und macht insbesondere geltend, es bedürfe keiner Beweisaufnahme zu der Feststellung, daß die Gebäudeanordnung nach Erteilung der Ersten Teilgenehmigung wesentlich geändert worden sei. Grundlage des Genehmigungsbescheids und des gesamten Verfahrens sei die Kompaktbauweise gewesen. Die Aufteilung in zwei Gebäudekomplexe hätte als wesentliche Änderung zur sofortigen Einstellung der Bauarbeiten führen müssen. Nur in einem neuen Genehmigungsverfahren unter Beteiligung der Bundesbehörden, der Reaktorsicherheitskommission und der Öffentlichkeit habe entschieden werden dürfen, ob die geänderte Anordnung der Gebäude den Schutz Dritter gewährleiste. Die strengen formalrechtlichen Vorschriften, die durch die Genehmigungsbehörde offensichtlich verletzt worden seien, dienten dem Schutz der materiellen Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Der TÜV Rheinland habe seine völlig unzureichende gutachtliche Stellungnahme zur Änderung der Gebäudeanordnung vom April 1975 unter Zeitzwang und Erfolgszwang angefertigt, während bereits die Ausschachtungsarbeiten für die geänderte Gebäudeanordnung ausgeführt und damit rechtswidrige Fakten geschaffen worden seien. Es werde die Errichtung einer gefährlichen Anlage wenige Kilometer von ihrem Wohnsitz und Arbeitsplatz entfernt zugelassen, ehe grundlegende sicherheitstechnische Probleme geklärt seien. Schon die Erste Teilgenehmigung habe nicht erteilt werden dürfen, da der vorgesehene Reaktor gegenüber vergleichbaren deutschen Reaktoren bedeutsame Abweichungen aufweise und das sicherheitstechnische Konzept der Anlage nicht dem maßgeblichen Stand von Wissenschaft und Technik entsprochen habe. Der rasche Fortschritt der Bauarbeiten lasse befürchten, daß durch die Schaffung vollendeter Tatsachen der verfassungsrechtlich verbürgte Rechtsschutz des Bürgers unterlaufen werde. Unter Ausnutzung der sofortigen Vollziehung werde eine Bausubstanz geschaffen, die geeignet sei, künftige Entscheidungen von Behörden und Gerichten zunehmend zu beeinflussen.
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4. Nach Einlegung der Verfassungsbeschwerde hat die Genehmigungsbehörde vorsorglich eine sofort vollziehbare Zweite Teilgenehmigung erlassen (Staatsanzeiger für Rheinland-Pfalz Nr. 28 vom 25. Juli 1977, S. 503). Diese erstreckt sich nunmehr ausdrücklich auf die geänderte Gesamtanordnung der Gebäude sowie die Fundamente zahlreicher Baukörper und umfaßt auch die Freigabe nach der Ersten Teilgenehmigung. Von einer erneuten Auslegung und Bekanntmachung vor Erteilung der Zweiten Teilgenehmigung wurde unter Bezugnahme auf § 4 Abs. 2 der Atomrechtlichen Verfahrensverordnung abgesehen. Im übrigen heißt es in der Begründung, die Genehmigungsbehörde sei davon ausgegangen, daß aufgrund des Freigabevorbehalts in der Ersten Teilgenehmigung die Möglichkeit bestanden habe, die Pläne im Rahmen der genehmigten Gesamtkonzeption und in Anpassung an den jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik weiterzuentwickeln. Die Behörde habe sich jedoch im Interesse einer zweifelsfreien rechtlichen Absicherung der zwischenzeitlichen Änderung der Gebäudeanordnung entschlossen, diese Maßnahme durch eine weitere atomrechtliche Teilgenehmigung abzudecken. Die derzeitige verbesserte Gebäudeanordnung trage den Empfehlungen der Gutachter Rechnung. Die zwischen den beiden Gebäudekomplexen entstandene Gasse sei - einer Auflage der Genehmigungsbehörde entsprechend - durch ein Verbindungsbauwerk geschlossen worden, so daß etwaige durch die Gasse bedingte Gefahren vermieden würden.
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In der Folgezeit sind noch zwei weitere Teilgenehmigungen ergangen. Inzwischen sind die Gebäude in der freigegebenen Anordnung im wesentlichen errichtet. Nach dem Reaktorunfall von H. (USA) hat das Bundeskabinett bekanntgegeben, daß die Aufsichtsbehörde für das in der Konstruktion vergleichbare Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich schon vor einiger Zeit die Überprüfung des Kühlsystems angeordnet habe; bevor dies nicht sichergestellt sei, werde keine weitere Teilerrichtungsgenehmigung erteilt (Bulletin Nr. 43/79, S. 381).
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II.
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Zu der Verfassungsbeschwerde haben der Bundesminister des Innern namens der Bundesregierung, das rheinland-pfälzische Ministerium für Wirtschaft und Verkehr als zuständige Genehmigungsbehörde und von den Genehmigungsinhabern die Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk (RWE) AG sowie mehrere Verbände und Einrichtungen Stellung genommen.
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a) Der Bundesminister des Innern stellt die einfachrechtlichen Grundlagen des vorliegenden Genehmigungsverfahrens dar. Der Vollzug des Atomgesetzes wurde von den Ländern als Bundesauftragsverwaltung durchgeführt; seinerseits erteile er in der Regel - so auch im vorliegenden Fall - nur hinsichtlich des Inhalts der Ersten Teilgenehmigung eine Weisung nach Anhörung der Reaktorsicherheitskommission. Demgemäß sei er über das weitere Vorgehen der Genehmigungsbehörde und die von ihr gewählte verfahrensmäßige Ausgestaltung nicht unterrichtet worden. Dieses Vorgehen sei aber nicht zu beanstanden.
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Den gesetzlichen Bestimmungen des Atomgesetzes liege das Leitbild einer jeweils in sich abgeschlossenen Errichtungsgenehmigung und Betriebsgenehmigung zugrunde. In der Praxis habe sich indessen ein stufenförmiges Teilgenehmigungsverfahren herausgebildet, das vom Bundesverwaltungsgericht gebilligt und inzwischen im Atomgesetz und der Verfahrensordnung auf der Grundlage entsprechender Vorschriften des Immissionsschutzgesetzes positivrechtlich geregelt worden sei. Das im vorliegenden Fall angewandte Institut der "Freigabe" und die daraus folgende weitere Aufgliederung einer einzelnen Teilgenehmigung in weitere Teilakte sei im Atomgesetz nicht ausdrücklich geregelt, müsse aber deshalb nicht als gesetzwidrig angesehen werden. Rechtlich sei die Freigabe - entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts - nicht als Aufsichtsmaßnahme nach § 19 AtomG und auch nicht als Auflage im Sinne einer selbständigen Nebenverpflichtung zu beurteilen. Vielmehr müsse in der Ersten Teilgenehmigung und den späteren Freigaben eine in mehrere Teilakte aufgespaltene einheitliche Teilerrichtungsgenehmigung im Sinne einer inhaltlichen Beschränkung der Ersten Teilgenehmigung und eines späteren stufenweisen Fortfalls dieser Schranken gesehen werden.
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Daß innerhalb dieses Verfahrens vom ursprünglichen Antrag abgewichen und der erste Teilerrichtungsakt durch die erste und siebte Freigabe als weitere Teilerrichtungsakte partiell modifiziert worden sei, vermöge eine Gesetzwidrigkeit nicht zu begründen. Vielmehr sei es Aufgabe der Genehmigungsbehörde, im Rahmen der Handlungsmöglichkeiten nach § 17 AtomG projektbegleitend die zu genehmigende Anlage fortlaufend dem sich wandelnden Stand von Wissenschaft und Technik anzupassen und deshalb auch bereits vollzogene Genehmigungsschritte unter Berücksichtigung fortschreitender Erkenntnisse so zu modifizieren, daß bereits bei der Errichtung der Anlage eine optimale sicherheitstechnische Auslegung gewährleistet werde. Für die Freigaben habe es auch keines neuen Bekanntmachungsverfahrens mit Öffentlichkeitsbeteiligung bedurft, da der Gegenstand dieses (Teilverwaltungsaktes) Verwaltungsaktes bereits von der ersten Bekanntmachung und Auslegung erfaßt worden sei. Selbst wenn bei der ersten Freigabe abweichend von der Ersten Teilgenehmigung eine Änderung der Gebäudeanordnung gefordert worden sein sollte, wäre diese neue inhaltliche Beschränkung kein selbständiger Verwaltungsakt, sondern lediglich unselbständiger Bestandteil der Freigabe, durch die eine Verbesserung der Schadensvorsorge bezweckt werde."
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b) Die Genehmigungsbehörde und die RWE AG halten die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.
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Nach ihrer im wesentlichen übereinstimmenden Auffassung trifft die vom Oberverwaltungsgericht angenommene Möglichkeit zu, daß die Änderung der Gebäudeanordnung, die entsprechend den Empfehlungen der Gutachter aus Sicherheitsgründen erfolgt und als Verbesserung zu beurteilen sei, grundsätzlich bereits der Ersten Teilgenehmigung zugrunde gelegen habe und aus mehreren Auflagen herzuleiten sei. Die darin enthaltenen Zielanforderungen seien in den ersten Freigabeantrag übernommen, mit der ersten Freigabe umfassend verwirklicht und lediglich vorsorglich durch eine spätere Zweite atomrechtliche Teilgenehmigung abgedeckt worden. Nachdem sich auch der TÜV Rheinland mit einer Stellungnahme vom April 1977 positiv zur neuen Gebäudeanordnung und zur Schließung der Gasse zwischen den beiden Komplexen durch einen Verbindungsbau geäußert habe, stehe für die Genehmigungsbehörde fest, daß die Änderung ein erhöhtes Maß an Sicherheit bewirke. Von einer Verletzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin auf Leben und körperliche Unversehrtheit durch die siebte Freigabe könne somit keine Rede sein.
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Die veränderte Gebäudeanordnung ist nach Meinung der RWE AG insbesondere nicht als wesentliche Änderung im Sinne des § 7 Abs. 1 AtomG zu beurteilen, so daß die Beschwerdeführerin auch unter diesem Gesichtspunkt keine Rechtsverletzung geltend machen könne. Wesentlich im Sinne dieser Vorschrift seien nur solche Änderungen, durch die das Sicherheitsniveau der Anlage gesenkt werde. Dieses sei aber durch die Gebäudeverschiebung in keiner Weise vermindert, sondern teilweise verbessert worden; mögliche Verschlechterungen würden durch die vom TÜV Rheinland vorgeschlagenen Gegenmaßnahmen völlig ausgeglichen.
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2. Der Umweltbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland hat sich vor allem auf ein Gutachten von Prof Bender, F., bezogen. Nach diesem ist bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung davon auszugehen, daß der Staat zur vorbeugenden Sicherung der Grundrechte berufen und der Suspensiveffekt einer Anfechtungsklage auch verfassungsrechtlich relevant sei. Angesichts der qualitativen Unterschiede einer Kernkraftanlage gegenüber anderen umweltrelevanten Vorhaben sei es verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, die sofortige Vollziehung einer Errichtungsgenehmigung auch dann aufrechtzuerhalten, wenn mit der Anfechtungsklage eine Verletzung solcher Normen des Atomrechts gerügt werde, die den Schutzzweck konkretisierten, und wenn bei summarischer Betrachtung die Klage keineswegs aussichtslos sei. Ein Kernkraftwerk werde nur errichtet, um in Betrieb genommen zu werden. Seien die für eine solche Anlage erforderlichen Aufwendungen in Höhe von rund zwei Milliarden DM erst einmal investiert, gehe hiervon ein psychologischer Druck aus, das Projekt nach Möglichkeit zu halten. Dem könne sich auch der Richter schwerlich entziehen. Da es um die Effektivität des Rechtsschutzes gegen drittbelastende Verwaltungsakte von erheblicher Tragweite gehe, insbesondere um die Sicherung bedeutsamer, grundrechtlich geschützter Lebensgüter, müßten entgegenstehende Interessen vorübergehend bis zur Klärung der rechtlichen Streitfragen, mindestens bis zur erstinstanzlichen Entscheidung in der Hauptsache zurücktreten, zumal an der Gewährleistung einer dem Schutzzweck des Atomgesetzes entsprechenden Sicherheit ein eminentes öffentliches Interesse bestehen. Dies gelte um so mehr, als die Beschwerdeführerin für den Fall, daß der siebte Freigabebescheid in Wahrheit eine wesentliche Abweichung von der Ersten Teilgenehmigung enthalten sollte, zu Unrecht keine Möglichkeit gehabt habe, sich zu dieser Gestaltung im Rahmen des besonders geregelten Verwaltungsverfahrens im Wege der Erhebung von einwendungen und der Erörterung dieser Einwendungen zu äußern. Dieses Verfahren diene nicht nur der Information der Behörde, sondern auch der Respektierung des rechtsstaatlichen Anspruchs auf zureichendes und rechtzeitiges Gehör.
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3. In den übrigen Stellungnahmen wird die Verfassungsbeschwerde als zulässig und begründet beurteilt.
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Diese Stellungnahmen gehen übereinstimmend davon aus, daß die Veränderung der Gebäudeanordnung eine wesentliche Änderung im Sinne des § 7 Abs. 1 AtomG darstelle, die nur nach Durchführung eines neuen Verfahrens unter Auslegung der geänderten Unterlagen, Durchführung eines Erörterungstermins und Beteiligung der Reaktorsicherheitskommission habe genehmigt werden dürfen.
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Dies wird vor allem vom Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz, von der Bürgeraktion Atomschutz Mittelrhein sowie mit ausführlichen technischen Ausführungen von Prof Haverbeck für den Weltbund zum Schutz des Lebens näher begründet. Im übrigen lassen sich die Stellungnahmen des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz und der Bürgeraktion Atomschutz Mittelrhein wie folgt zusammenfassen:
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Mit den Grundrechten der Beschwerdeführerin aus Art. 2 Abs. 2 und Art. 19 Abs. 4 GG sei es bereits unvereinbar, wenn das Oberverwaltungsgericht die Erste Teilgenehmigung mit ihren Auflagen dahin auslege, daß die Anlage ohne besondere Genehmigung in ihrer Lage geändert werden dürfe. Die Teilgenehmigung sei ein Verwaltungsakt mit Doppelwirkung und grenze die Rechtsposition der Betreiber und die der Beschwerdeführerin unter Einschränkung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 2 GG voneinander ab. Diese Abgrenzungsfunktion und Zuordnungsfunktion der Teilgenehmigung gehe verloren und die Grundrechte der Beschwerdeführerin würden beeinträchtigt, wenn die Teilgenehmigung so ausgelegt werden dürfe, daß ihr Inhalt ohne besondere Genehmigung in einer Weise geändert werden könne, durch die sich möglicherweise die Gefahren für den Dritten erhöhten. Das sei zugleich unvereinbar mit Art. 19 Abs. 4 GG, da nach rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätzen die Rechte der Nachbarn nur durch eine förmliche Genehmigung beschränkt werden dürften und die Bestimmtheit der Ersten Teilgenehmigung Rechtssicherheit auch für die Nachbarn schaffe. Bei grundrechtskonformer Auslegung des Bescheids habe das Gericht zum Ergebnis gelangen müssen, daß der Freigabebescheid offensichtlich rechtswidrig gewesen sei.
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Verfassungsrechtlich unhaltbar sei ferner die Auffassung, die Beschwerdeführerin könne nicht die Verletzung von verfahrensrechtlichen Vorschriften geltend machen. Zwar habe der Bürger keinen Rechtsanspruch auf die Einführung eines bestimmten förmlichen Verfahrens. Bestehe aber ein solches, so habe er einen durch Art. 19 Abs. 4 GG geschützten Anspruch auf Einhaltung der Verfahrensvorschriften. Gerade das atomrechtliche Genehmigungsverfahren und die Beteiligung des Bürgers daran diene entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht nur der Information der Behörden, sondern zugleich dazu, die Rechte des Bürgers zu wahren. Verfahrensverstöße im Genehmigungsverfahren dürften schon deshalb nicht sanktionslos bleiben, weil mit Ablauf der Auslegungsfrist alle Einwendungen ausgeschlossen seien und weil infolge dieser Präklusionsvorschrift spätere Einwendungen nach Meinung mehrerer Gerichte auch in einer späteren Anfechtungsklage nicht mehr geltend gemacht werden dürften.
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Endlich stehe auch die vom Oberverwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung nicht in Einklang mit der grundgesetzlichen Wertordnung. Ob die Aufspaltung atomrechtlicher Genehmigungen in einzelne Teilgenehmigungen verfassungsrechtlich unbedenklich sei, möge dahingestellt bleiben. Immerhin werde dadurch die Rechtsverfolgung des Bürgers erheblich erschwert. Jedenfalls sei es aber unzulässig, wenn das Oberverwaltungsgericht das Interesse an einer Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bei Teilerrichtungsgenehmigungen deshalb verneine, weil der Nachbar erst durch den späteren Betrieb der Anlage in seinen Rechten beeinträchtigt werde. Es verwechsele Rechtsbeeinträchtigung und faktische Beeinträchtigung der geschützten Güter. Der Rechtsschutz des Nachbarn setze nicht erst ein, wenn dieser tatsächlich körperlich verletzt sei, sondern bereits dann, wenn dem Betreiber die Errichtung einer Anlage genehmigt werde, die bei späterem Betrieb zu einer Beeinträchtigung von Leben und Gesundheit führen müsse. Das Recht des Nachbarn sei darauf gerichtet, daß nur ein Werk errichtet werde, das bei späterem Betrieb seine Rechte nicht verletze. Seine Grundrechte geböten es, dieses schützenswerte Interesse auch bei der Abwägung im Rahmen des § 80 VwGO zu berücksichtigen.
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Die Grundrechtsverletzung durch die beanstandete Freigabe und deren sofortige Vollziehung werde durch die spätere Zweite Teilgenehmigung nicht geheilt. Diese regele den gleichen Sachverhalt wie die Erste Teilgenehmigung, wobei sich beide widersprächen; dies sei unzulässig. Im übrigen habe der Zweiten Teilgenehmigung ein förmliches atomrechtliches Verfahren vorangehen müssen. Entgegen den Ausführungen in ihrer Begründung werde durch das bloße Verschließen der Gasse zwischen den beiden Gebäudekomplexen die Schutzfunktion der ursprünglichen Kompaktbauweise nicht wiederhergestellt.
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Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
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I.
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Die Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden setzt die Behauptung des Beschwerdeführers voraus, durch einen Akt der öffentlichen Gewalt in seinen Grundrechten verletzt zu sein. Das schließt ein, daß der Akt geeignet sein muß, den Beschwerdeführer selbst, unmittelbar und gegenwärtig in seiner grundrechtlich geschützten Rechtsposition zu beeinträchtigen. Diese Voraussetzungen, die bei Verfassungsbeschwerden gegen gerichtliche Entscheidungen in der Regel keiner näheren Prüfung bedürfen, sind auch hier gegeben.
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1. Die Ablehnung des Oberverwaltungsgerichts, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den strittigen Freigabebescheid wiederherzustellen, ist ein mit der Verfassungsbeschwerde anfechtbarer Akt der öffentlichen Gewalt im Sinne des Art. 93 Nr. 4a GG, § 90 BVerfGG. Dabei kann offenbleiben, wie die im Atomrecht nicht ausdrücklich vorgesehene Freigabe verwaltungsrechtlich zu charakterisieren ist. Denn jedenfalls handelt es sich um eine hoheitliche Maßnahme, die sich nicht auf bloße verwaltungsinterne Auswirkungen beschränkt, deren Vollziehung vielmehr geeignet ist, in die Rechtsposition der Beschwerdeführerin noch stärker einzugreifen als die zugrunde liegende Erste Teilgenehmigung. Diese sollte zwar die gesamte Errichtung des Kernkraftwerks umfassen, berechtigte aber ihrerseits noch nicht zum Bau solcher Anlageteile, von denen Gefahren für Dritte ausgehen könnten. Vielmehr mußten zuvor besondere sicherheitstechnische Überprüfungen und sodann ausdrückliche Freigaben durch die Genehmigungsbehörde erfolgen. Unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit lassen sich daher Freigabebescheide nicht anders als atomrechtliche Teilerrichtungsgenehmigungen beurteilen.
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2. In atomrechtlichen Massenverfahren kann die Frage, wer zur Einlegung von Verfassungsbeschwerden befugt ist, besondere Probleme aufwerfen; denn der Kreis derjenigen, die im behördlichen Genehmigungsverfahren zur Erhebung von Einwendungen berechtigt sind, ist nicht näher umgrenzt. Demgegenüber folgt eine Eingrenzung der genannten Befugnis bereits daraus, daß schon zur Erhebung von verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklagen gegen Genehmigungsbescheide nicht jedermann, sondern nur derjenige befugt ist, der geltend machen kann, durch die Genehmigung in seinen Rechten verletzt zu sein (§ 42 Abs. 2 VwGO). Ob dies der Fall ist, wird in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung im allgemeinen von der Art der befürchteten Gefahren und von der Entfernung der Anlage vom Wohnsitz des Einwenders abhängig gemacht. Die Befugnis zur Einlegung einer Verfassungsbeschwerde wird darüber hinaus dadurch weiter eingeschränkt, daß die Billigung der behördlichen Entscheidung durch die Verwaltungsgerichte geeignet sein muß, nicht nur Vorschriften des einfachen Rechts, sondern grundrechtlich geschützte Rechtspositionen zu verletzen.
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Das vorliegende Verfahren nötigt nicht zu einer näheren Erörterung dieser Problematik. Nicht nur haben die Verwaltungsgerichte übereinstimmend die Klagebefugnis und Antragsbefugnis der wenige Kilometer vom Standort des Kernkraftwerks wohnenden Beschwerdeführerin bejaht, ohne daß dagegen Bedenken ersichtlich wären. Die Beschwerdeführerin hat auch hinreichend dargelegt, daß der angegriffene Beschluß jedenfalls deshalb nachteilige Wirkungen für den Schutzbereich der von ihr als verletzt gerügten Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 und Art. 19 Abs. 4 GG erzeugen könnte, weil das Oberverwaltungsgericht etwaige Verfahrensverstöße bei der Freigabe sicherheitsrelevanter Anlageteile als unerheblich gewertet und bei seiner Interessenabwägung den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz verkürzt habe. Ob diese Rügen im Ergebnis zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung nötigen, ist eine Frage der Begründetheit der Verfassungsbeschwerde.
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3. Entgegen der Ansicht des Bundesministers des Innern, der Genehmigungsbehörde und der RWE AG ist die Beschwerdeführerin auch gegenwärtig und unmittelbar betroffen. Es kann insbesondere nicht der Auffassung zugestimmt werden, Verfassungsbeschwerden müßten während der Errichtungsphase eines Kernkraftwerks grundsätzlich als unzulässig behandelt werden, weil eine unmittelbare und gegenwärtige Gefahr für Leben und Gesundheit immer nur vom Betrieb eines solchen Kraftwerks, nicht aber von den vorherigen baulichen Maßnahmen ausgehen könne.
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Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits in seiner Würgassen-Entscheidung ausgeführt, schon bei der Erteilung von Errichtungsgenehmigungen müßten die nachteiligen Folgen des Betriebs geprüft werden; genehmigungspflichtige Anlagen würden selbstverständlich nur errichtet, um betrieben zu werden (DVBl. 1972, S. 678 [679]). Dies steht in Einklang mit der atomrechtlichen Genehmigungsregelung. Nach § 7 AtomG bedarf nicht nur der Betrieb, sondern bereits die Errichtung von Atomkraftwerken der Genehmigung. Mag auch beides verfahrensrechtlich in Teilgenehmigungen aufgespalten werden können, so ist doch in beiden Fällen materiell-rechtliche Voraussetzungen für die Genehmigung, daß die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlichen Vorkehrungen gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb getroffen sind. Demgemäß mußten schon nach § 1 Abs. 3 der früheren Atomanlagen-Verordnung und ebenfalls nach § 18 Abs. 1 der neuen Atomrechtlichen Verfahrensverordnung Anträge, mit den lediglich die Teilgenehmigung zur Errichtung einer Anlage begehrt wird, ein vorläufiges Gesamturteil über die Anlage und ihren Betrieb ermöglichen. Diese normative Regelung hat ihren Sinn darin, daß ein effektiver Schutz gegen Gefährdungen nur dann zuverlässig gewährleistet ist, wenn die gebotenen Schutzvorkehrungen bereits bei Planung und Errichtung der Anlage berücksichtigt werden.
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Für die Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden, die Errichtungsgenehmigungen betreffen, kann im Ergebnis nichts anderes gelten als für die verwaltungsgerichtliche Klagebefugnis und Antragsbefugnis. In das durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützte Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit darf nur auf der Grundlage der zuvor genannten gesetzlichen Regelung eingegriffen werden. Davon abgesehen wird dieses Recht nicht erst durch eine faktische Verletzung der geschützten Rechtsgüter beeinträchtigt; es soll einer solchen faktischen Verletzung vielmehr vorbeugen und kann daher auch dann eingreifen, wenn bei der Errichtung von Kernkraftwerken vorbeugende Maßnahmen gegen spätere Betriebsgefahren außer acht bleiben. Das zeigt gerade der vorliegende Streitfall, in dem geltend gemacht wird, der Schutz gegen äußere Einwirkungen durch Flugzeugabstürze und Explosionsdruckwellen erfordere eine bestimmte Anordnung der Gebäude. Hier kann die für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde erforderliche gegenwärtige und unmittelbare Betroffenheit zudem deshalb nicht zweifelhaft sein, weil es um die Nachprüfung geht, ob etwaige aus dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 GG folgende verfahrensrechtliche Anforderungen speziell für die Erteilung atomrechtlicher Errichtungsgenehmigungen sowie das Gebot effektiven Rechtsschutzes bei der Entscheidung über die sofortige Vollziehung dieser Genehmigung hinreichend beachtet worden sind. Es bedarf daher keiner weiteren Prüfung, ob es zur Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden im übrigen genügen würde, daß eine Gefährdung von Grundrechten durch eine später drohende Verletzung zu besorgen ist (vgl. dazu BVerfGE 24, 289 [294]; 49, 89 [141]; Beschluß vom 3. Oktober 1979, EuGRZ 1979, S. 554).
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Auch unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität und des Rechtsschutzbedürfnisses bestehen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde.
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1. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht der Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden gegen letztinstanzliche Beschwerdeentscheidungen im summarischen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht entgegen, daß der Beschwerdeführer das Verfahren in der Hauptsache betreiben kann und daß insoweit der Rechtsweg nicht erschöpft ist; denn gegenüber dem Hauptsacheverfahren ist das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes rechtlich selbständig (BVerfGE 35, 382 [397] mw Nachw; BVerfGE 38, 52 [57]). Die gleiche Beurteilung wurde für andere vorläufige Verfahren herangezogen; so für Anträge auf Erlaß einstweiliger Anordnungen (BVerfGE 51, 130 mw Nachw), vorläufige Dienstenthebungen (BVerfGE 46, 17 [25]) und insbesondere in solchen Fällen, in den Grundrechtsverletzungen speziell durch vorläufige Maßnahmen gerügt wurden (BVerfGE 40, 179; 44, 105; 45, 422; 46, 166; 48, 292; 48, 300; 51, 268).
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Für das Verfahren der einstweiligen Anordnung hat das Bundesverfassungsgericht die Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden neuerdings unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität einschränkend beurteilt und ausgeführt, ja nach Eigenart des Verfahrensgegenstandes könne der Beschwerdeführer gehalten sein, vor Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts das verwaltungsgerichtliche Hauptsacheverfahren durchzuführen (BVerfGE 51, 130). Eine solche eingeschränkte Beurteilung der Zulässigkeit kann auch für die Anfechtung letztinstanzlicher Entscheidungen im Verfahren nach § 80 VwGO gerechtfertigt sein, zumal § 80 Abs. 6 VwGO die Möglichkeit der jederzeitigen Änderung getroffener Entscheidungen eröffnet (vgl. dazu BVerfGE 49, 325 [327f]). Im Bereich der atomrechtlichen Massenverfahren könnte diese Einschränkung schon deshalb unerläßlich werden, weil hier die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit praktisch zur Regel geworden ist und weil die Genehmigungen häufig in mehrere anfechtbare Teilakte zerlegt werden, so daß in erheblicher Zahl verwaltungsgerichtliche Entscheidungen im Verfahren gemäß § 80 VwGO ergehen. Wäre die Zulässigkeit der dagegen gerichteten Verfassungsbeschwerden uneingeschränkt zu bejahen, könnte das Bundesverfassungsgericht - unter Ausschaltung des Bundesverwaltungsgerichts - in die Rolle einer Superinstanz geraten. Dies erschiene um so problematischer, als vielfach technisch-naturwissenschaftliche Sachverhalte strittig sind, die von den Verwaltungsgerichten im summarischen Verfahren in der Regel nur kursorisch erörtert werden, so daß das Bundesverfassungsgericht genötigt sein könnte, auf ungesicherten tatsächlichen Grundlagen weitreichende Entscheidungen treffen zu müssen.
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Wo unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität die Grenzen für die Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden gegen letztinstanzliche Beschwerdeentscheidungen zu ziehen wären, bedarf indessen keiner abschließenden Erörterung. Schon für den Bereich einstweiliger Anordnungen hat das Bundesverfassungsgericht die Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden nicht uneingeschränkt verneint, obwohl hier eine Einschränkung der Zulässigkeit eher gerechtfertigt erschiene als bei der Anfechtung von Entscheidungen nach § 80 VwGO. Denn während die Möglichkeit einer einstweiligen Anordnung den Rechtsschutz um ein zusätzliches Eilverfahren verstärkt, bewirkt die sofortige Vollziehung und die damit möglicherweise verbundene Herbeiführung vollendeter Tatsachen eine Verkürzung des Rechtsschutzes; angesichts der vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Relevanz des Suspensiveffekts (BVerfGE 35, 263 [274f] wäre es nicht vertretbar, diese Verkürzung gänzlich der verfassungsgerichtlichen Kontrolle zu entziehen. Vielmehr sind auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Subsidiarität Verfassungsbeschwerden der vorliegenden Art ausnahmsweise dann als zulässig zu behandeln, wenn die Entscheidung von keiner weiteren tatsächlichen Aufklärung abhängt und wenn diejenigen Voraussetzungen gegeben sind, unter denen gemäß § 90 Abs. 2 [VBerfGG vom Erfordernis der Rechtswegerschöpfung abgesehen werden kann; ein schwerer und unabwendbarer Nachteil im Sinne dieser Vorschrift kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die gerügte Grundrechtsverletzung speziell die Anordnung der sofortigen Vollziehung betrifft und durch die Durchführung des Hauptsacheverfahrens oder auf andere Wiese nicht mehr zureichend ausgeräumt werden könnte.
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Die Voraussetzungen für einen solchen Ausnahmefall liegen vor. Soweit das vorliegende Verfahren Anlaß zur Überprüfung verfahrensrechtlicher Auswirkungen des Grundrechtsschutzes gibt, kann ihm allgemeine Bedeutung nicht abgesprochen werden. Darüber hinaus greift die Beschwerdeführerin die Interessenabwägung des Oberverwaltungsgerichts an; dabei handelt es sich um eine spezifische Besonderheit des summarischen Verfahrens.
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2. Der Verfassungsbeschwerde fehlt endlich auch nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Da es im Zeitpunkt der Einlegung vorhanden war, könnte es allenfalls durch nachträgliche Umstände weggefallen sein. Dies ist nicht der Fall. Im wesentlichen sind die nachträglich eingetretenen Umstände schon nicht geeignet, die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Beschwer auszuräumen. Wurde die Beschwerdeführerin in den Grundrechten deshalb verletzt, weil die ursprünglich beantragte Kompaktbauweise ohne Durchführung eines förmlichen Genehmigungsverfahrens aufgegeben wurde, konnte die spätere Zweite Teilgenehmigung diesen Mangel schon deshalb nicht ausräumen, weil auch sie ohne ein solches Verfahren erlassen wurde. Ob ferner etwaige sicherheitsrelevante Vorteile der ursprünglich beantragten Bauweise durch die vom TÜV Rheinland empfohlenen zusätzlichen Vorkehrungen in ausreichender Weise wiederhergestellt worden sind, haben die dafür zuständigen Verwaltungsgerichte bislang nicht überprüft; dies kann daher nicht Gegenstand einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sein. Der weitere Umstand, daß das Verwaltungsgericht inzwischen in der Hauptsache entschieden und den angegriffenen Freigabebescheid durch Urteil vom 7. Dezember 1979 aufgehoben hat, ändert mangels Rechtskraft dieser Entscheidung nichts daran, daß die Anordnung der sofortigen Vollziehung dieses Bescheids fortwirkt. Ob diese Prozeßlage Anlaß zu einer Änderung des angegriffenen Beschlusses gemäß § 80 Abs. 6 VwGO gibt, ist in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung strittig (vgl. etwa BVerwG NJW 1978, S. 2211; OVG Münster NJW 1977, S. 726; VGH Kassel NJW 1978, S. 182). Schon deshalb kann von der Beschwerdeführerin nicht verlangt werden, vor einer Entscheidung über ihre zulässigerweise eingelegte Verfassungsbeschwerde erneut einen Abänderungsantrag bei demselben Gericht zu stellen, das bereits ihren früheren Antrag abgewiesen hatte. Soweit durch die Fertigstellung der Gebäude inzwischen die Beschwer fortgefallen sein sollte, ist durch den Zeitablauf, auf den die Beschwerdeführerin keinen Einfluß hatte, ihr schutzwürdiges Interesse an der Feststellung einer etwaigen Grundrechtswidrigkeit nicht beseitigt worten (vgl. BVerfGE 33, 247 [257f]; 50, 244 [247f]).
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Die sonach zulässige Verfassungsbeschwerde ist jedoch nicht begründet. Soweit der angegriffene Beschluß verfassungsrechtlich bedenkliche Ausführungen enthält, sind diese nicht ursächlich für die Ablehnung des Oberverwaltungsgerichts, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den strittigen Freigabebescheid wiederherzustellen.
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I.
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1. In einzelnen Stellungnahmen wird die Prüfung angeregt, ob nicht die wirtschaftliche Nutzung der Atomspaltung wegen des Ausmaßes denkbarer Gefahren und einiger wesentlicher, bislang nicht hinreichend gelöster Schwierigkeiten gegenwärtig generell verfassungswidrig sei. Dies wird letztlich mit dem Zweifel begründet, ob eine Technik, die keine Fehler erlaubt, ohne daß außerordentliche Risiken auch für künftige Generationen entstehen, überhaupt verantwortet werden kann und gegen den Widerspruch potentiell Betroffener angewendet werden darf, solange nicht alle anderen Möglichkeiten der Energieversorgung ausgeschöpft sind.
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Diese Frage zu beantworten, obliegt indessen nicht dem Bundesverfassungsgericht. Dieses hat davon auszugehen, daß die Verfassung selbst die "Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken" durch die Kompetenzvorschrift des Art. 74 Nr. 11a GG im Grundsatz als zulässig gebilligt hat. Zwar wurde diese Vorschrift bereits im Jahre 1959 in die Verfassung aufgenommen, also zu einem Zeitpunkt, in dem die Problematik einer friedlichen Nutzung der Atomenergie noch wenig erörtert, diese vielmehr als grundsätzlich positiv der damals besonders umstrittenen militärischen Nutzung gegenübergestellt wurde. Das ändert aber nichts daran, daß auch aus Kompetenzvorschriften der Verfassung eine grundsätzliche Anerkennung und Billigung des darin behandelten Gegenstandes durch die Verfassung selbst folgt und daß dessen Verfassungsmäßigkeit nicht aufgrund anderer Verfassungsbestimmungen grundsätzlich in Frage gestellt werden könnte. Kraft dieser Kompetenzzuweisung ist vielmehr - wie bereits der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in der Kalkar-Entscheidung in anderem Zusammenhang dargelegt hat (BVerfGE 49, 89 [127 ff.]) - zur Grundsatzentscheidung für oder gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie allein der Gesetzgeber berufen; auch in einer notwendigerweise mit Ungewißheit belasteten Situation liege es zuvörderst in der politischen Verantwortung des Gesetzgebers und der Regierung, im Rahmen ihrer jeweiligen Kompetenzen die von ihnen für geboten erachteten Entscheidungen zu treffen. Soweit ersichtlich wird auch in Rechtsprechung und Literatur die Verfassungsmäßigkeit der wirtschaftlichen Nutzung der Atomspaltung nicht grundsätzlich bezweifelt (vgl. etwa Roßnagel, Grundrechte und Kernkraftwerke, Heidelberg 1979, S. 37 ff.). Die verfassungsrechtliche Nachprüfung beschränkt sich daher von vornherein auf die Frage, ob die der angegriffenen Entscheidung zugrunde liegende normative Regelung verfassungsmäßig ist und ob insbesondere diese Regelung in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise angewendet worden ist.
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2. Als verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab kommt das in Art. 2 Abs. 2 GG gewährleistete Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Verbindung mit dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz in Betracht.
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Nach anerkannter Rechtsprechung schützt dieses Grundrecht nicht nur als subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe. Vielmehr folgt darüber hinaus aus seinem objektiv-rechtlichen Gehalt die Pflicht der staatlichen Organe, sich schützend und fördernd vor die darin genannten Rechtsgüter zu stellen und sie insbesondere vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren. Diese zunächst im Urteil zur Fristenlösung (BVerfGE 39, 1 [41]; vgl. ferner BVerfGE 46, 160 [164] - Schleyer) entwickelte Rechtsprechung ist in dem erwähnten Kalkar-Beschluß auch zur verfassungsrechtlichen Beurteilung atomrechtlicher Normen herangezogen und dabei ausgeführt worden, daß angesichts der Art und Schwere möglicher Gefahren bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie bereits eine entfernte Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts genügen müsse, um die Schutzpflicht des Gesetzgebers konkret auszulösen (BVergGE 49, 89 [141f]).
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Dieser Schutzpflicht ist der Staat in der Weise nachgekommen, daß er die wirtschaftliche Nutzung der Atomenergie von einer vorherigen staatlichen Genehmigung und die Erteilung solcher Genehmigungen von näher geregelten materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen abhängig gemacht hat. Diese Genehmigungsregelung ist - wie auch von der Beschwerdeführerin und in den eingeholten Stellungnahmen nicht bezweifelt wird - durchaus ein geeignetes Mittel zum Schutz gefährdeter Dritter. Zugleich kann dadurch der Staat am ehesten seiner Aufgabe genügen, unter Berücksichtigung der Allgemeinbelange einen Ausgleich zwischen den Grundrechtspositionen gefährdeter Bürger einerseits und der Betreiber andererseits herbeizuführen. Wird aber ein Kernkraftwerk trotz des in ihm verkörperten außerordentlichen Gefährdungspotentials im Allgemeininteresse an der Energieversorgung genehmigt, so bedeutet dies, daß die körperliche Integrität Dritter Gefährdungen ausgesetzt werden kann, die diese nicht beeinflussen und denen sie kaum ausweichen können. Damit übernimmt der Staat seinerseits eine eigene Mitverantwortung für diese Gefährdungen. Demgemäß erscheint es geboten, bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Vorschriften für die Genehmigung von Kernkraftwerken nicht weniger strenge Maßstäbe anzulegen als bei der Prüfung staatlicher Eingriffsgesetze. Auch bei Anwendung solcher Maßstäbe bestehen aber gegen die Genehmigungsvorschriften, soweit sie für das Ausgangsverfahren erheblich sind, keine verfassungsrechtlichen Bedenken, sofern sie im Sinne der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ausgelegt werden.
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Das Atomgesetz bezweckt ausdrücklich - und zwar nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorrangig vor einer Förderung der Atomenergienutzung (DVBl. 1972, S. 678 [680]) -, Leben, Gesundheit und Sachgüter vor den Gefahren der Kernenergie zu schützen (§ 1 Nr. 2; zum unbedingten Vorrang des Schutzzweckes vgl. Hartkopf, Zur Sicherheit der Kernkraftwerke, Bulletin Nr. 122/79, S. 1134). Nach der grundlegenden Vorschrift des § 7 Abs. 2 AtomG darf eine Genehmigung "nur" erteilt werden, wenn ua die nach "dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge" gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage getroffen ist; gemäß § 17 AtomG kann sie inhaltlich beschränkt und mit Auflagen verbunden werden, wobei zur Erreichung des erwähnten Schutzzwecks auch nachträglich Auflagen zulässig sind. Mit dieser Anknüpfung an den jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik legt das Atomgesetz die Genehmigungsbehörde normativ auf den Grundsatz der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge fest (vgl. dazu und zum folgenden: BVerfGE 49, 89 [135 ff.]). Indem es nicht auf die allgemein anerkannten Regeln, sondern schlechthin auf den Stand der Technik abstellt, verpflichtet es zur Berücksichtigung des jeweils erreichten technischen Entwicklungsstandes. Indem es darüber hinaus auf den Stand der Wissenschaft abhebt, nötigt es - wie das Bundesverwaltungsgericht bereits im Würgassen-Urteil (DVBl. 1972 S. 678 [680]) hervorgehoben hatte - zu derjenigen Schadenvorsorge, die nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen für erforderlich gehalten wird; läßt sie sich technisch noch nicht verwirklichen, muß eine Genehmigung unterbleiben. Inhaltlich sind also die Genehmigungsvoraussetzungen so gefaßt, daß aus verfassungsrechtlicher Sicht eine Genehmigung dann zu versagen ist, wenn die Anlage zu Schäden führen kann, die sich als Grundrechtsverletzung darstellen; auch im Hinblick auf ein verbleibendes Restrisiko in Gestalt einer künftigen Grundrechtsgefährdung läßt das Gesetz eine Genehmigung nur dann zu, wenn es nach dem Stand von Wissenschaft und Technik praktisch ausgeschlossen ist, daß solche Schadensereignisse eintreten (BVerfGE 49, 89 [140 ff.]; vgl. dazu Bender, Gefahrenabwehr und Risikovorsorge als Gegenstand nukleartechnischen Sicherheitsrechts, NJW 1979, S. 1425).
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Die normative Regelung begnügt sich nicht damit, die Genehmigungsbehörde an strenge materiell-rechtliche Genehmigungsvoraussetzung zu binden. Vielmehr trägt sie der staatlicher Schutzpflicht und Mitverantwortung auch verfahrensrechtlich einmal dadurch Rechnung, daß die Erteilung einer Genehmigung von einem formalisierten Genehmigungsverfahren abhängig ist, in dem die Genehmigungsvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen und an dem ua alle Behörden des Bundes, der Länder und Gemeinden zu beteiligen sind, deren Zuständigkeitsbereich berührt wird. Zum anderen sieht das Verfahrensrecht eine eigene Beteiligung des gefährdeten Bürger am Verfahren vor (vgl. zum folgenden § 7 Abs. 4 AtomG i.V.m. den dort zitierten Bestimmungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes sowie die darauf beruhende Atomrechtliche Verfahrensverordnung und die vorher geltende Atomanlagen-Verordnung). Dieser ist nicht nur befugt, Genehmigungsbescheide und entsprechende Verwaltungsakte im Wege der Anfechtungsklage (§ 42 VwGO) gerichtlich überprüfen zu lassen und um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz (§ 80 VwGO) nachzusuchen. Vielmehr ermöglicht das Verfahrensrecht eine Vorverlagerung des Rechtsschutzes, indem bereits im behördlichen Verfahren Einwendungen gegen das Vorhaben erhoben werden können. Diese hat die Genehmigungsbehörde in einem besonderen Termin zu erörtern, nachdem zuvor das Vorhaben bekannt gemacht und die Antragsunterlagen zur Einsicht ausgelegt worden sind, und zwar einschließlich des Sicherheitsberichts, der alle mit der Anlage verbundenen Gefahren und die vorgesehenen Sicherheitsmaßnahmen unter besonderer Berücksichtigung der materiell-rechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen darzulegen hat. Dieser Erörterungstermin dient nach der Klarstellung in § 8 Abs. 2 der Atomrechtlichen Verfahrensverordnung dazu, die rechtzeitig erhobenen Einwendungen zu erörtern, soweit dies für die Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen von Bedeutung sein kann. Von Bekanntmachung und Auslegung darf nur abgesehen werden, wenn bereits früher eine vorschriftsmäßige Bekanntmachung und Auslegung stattgefunden hat und wenn deren Wiederholung keine weiteren Umstände offenbaren würde, die für die Belange Dritter erheblich sein könnten.
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Eine Genehmigung unter vorheriger Durchführung eines förmlichen Verfahrens schreibt das Atomrecht sowohl für Errichtung und Betrieb der Anlage als auch für wesentliche Veränderungen vor (§ 7 Abs. 1 AtomG). Damit will der Gesetzgeber - wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - sicherstellen, daß alle sicherheitsrelevanten Anlageteile und Einrichtungen dem vorgeschriebenen Prüfungsverfahren unterzogen werden; von diesem Zweck her gesehen kann es keinen rechtlichen Unterschied machen, ob die wesentliche Änderung nach Fertigstellung einer genehmigten Anlage oder während ihrer Errichtung durch Änderung der ursprünglichen Pläne erfolgt. Als wesentlich werden dabei nach der Rechtsprechung zu vergleichbaren Regelungen in anderen Gesetzen (hierzu etwa BVerwGE 6, 294) solche Änderungen anzusehen sein, die Anlaß zu einer erneuten Prüfung geben, weil sie mehr als nur offensichtlich unerhebliche Auswirkungen auf das Sicherheitsniveau der Anlage haben können.
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3. Der Streitfall nötigt nicht zu der Prüfung, ob und inwieweit die verfassungsrechtliche Schutzpflicht und Mitverantwortung des Staates zum Erlaß von Regelungen der geschilderten Art zwingen (zur verfassungsrechtlichen Beurteilung umweltrechtlicher Nachbarklagen vgl. BVerwG DVBl. 1977, S. 897). Auch die Beschwerdeführerin bezweifelt nicht, daß die bestehende normative Regelung jedenfalls insoweit verfassungsrechtlich unbedenklich ist, als sie für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens Bedeutung hat. In ihren Grundrechten könnte sie daher nicht schon durch diese Regelung als solche, sondern lediglich durch deren Auslegung und konkrete Anwendung in der angegriffenen Entscheidung verletzt sein.
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Die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen unter Würdigung eines konkreten Sachverhalts obliegt nach ständiger Rechtsprechung in erster Linie den dafür zuständigen Fachgerichten. Deren Beurteilung ist vom Bundesverfassungsgericht nur begrenzt darauf nachzuprüfen, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen läßt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen und die in ihrer Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (BVerfGE 18, 85 [92f]; 32, 311 [316]; 42, 143 [148f]; 49, 304 [314]). Die Intensität der gerügten Grundrechtsbeeinträchtigung und die Schwere der Auswirkungen für den Betroffenen können zwar das Bundesverfassungsgericht veranlassen, die vom Fachgericht vorgenommene Wertung durch seine eigene zu ersetzen. Eine derart weitreichende Nachprüfungsmöglichkeit erscheint aber in der Regel nicht gerechtfertigt, wenn ein Beschwerdeführer lediglich beanstandet, das Fachgericht habe im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO die Erfolgsaussichten der Hauptsache bei seiner summarischen Prüfung unzutreffend beurteilt und eine unzureichende Abwägung der konkreten beiderseitigen Interessen vorgenommen. Gerade hier kann es grundsätzlich nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ein, seine Vorstellung von der zu treffenden Entscheidung an die Stelle derjenigen der Fachgerichte zu setzen, zumal der im vorläufigen Verfahren unterlegene Rechtsuchende die Möglichkeit behält, seine Rechte im Verfahren der Hauptsache weiter zu verfolgen.
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II.
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Die angegriffene Entscheidung beruht im Ergebnis nicht auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung der als verletzt gerügten Grundrechte.
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1. Da Gegenstand der Verfassungsbeschwerde allein die vom Oberverwaltungsgericht bestätigte sofortige Vollziehung des siebten Freigabebescheids ist, hat sich die verfassungsgerichtliche Nachprüfung auf diejenigen Rügen zu beschränken, die die Verfassungsmäßigkeit der sofortigen Vollziehung speziell im Hinblick auf die freigegebenen Anlageteile in der geänderten Gebäudeanordnung betreffen. Nicht nachzuprüfen sind daher die Angriffe der Beschwerdeführerin gegen die grundsätzliche Konzeption des Kraftwerks. Das gleiche gilt für die weitere Frage, welche Bedeutung es hat, daß das nachträglich als Leasing-Geberin eingeschaltete luxemburgische Unternehmen seinerseits über keine atomrechtliche Genehmigung verfügt.
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2. Eine grundsätzlich unrichtige Auffassung von der Bedeutung des Grundrechtsschutzes könnte in erster Linie in den Ausführungen des Oberverwaltungsgericht über die Funktion der atomrechtlichen Verfahrensvorschriften zu erblicken sein.
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a) Im Zusammenhang mit der Klagebefugnis und Antragsbefugnis der Beschwerdeführerin geht das Oberverwaltungsgericht davon aus, daß bei der Anfechtung von Verwaltungsakten mit Drittwirkung der belastete Dritte nur die Verletzung solcher rechtlichen Vorschriften geltend machen könne, die nicht nur dem allgemeinen öffentlichen Interesse, sondern auch seinen besonderen Belangen zu dienen bestimmen seien. Schutzfunktion zugunsten Dritter hätten grundsätzlich aber nur die Bestimmungen des materiellen Rechts. Vorschriften für das behördliche Verfahren hätten diese Funktion nur dann, wenn der der Rechtsnorm zugrunde liegende Schutzzweck gerade in der Wahrung der Anhörungsrechte und Mitwirkungsrechte selbst liege. Das sei für den Regelfall nicht anzunehmen. Es sei nicht erkennbar, daß das atomrechtliche Genehmigungsverfahren mit solchen besonderen verfahrensrechtlichen Sicherungen habe ausgestattet werden sollen; die vorgeschriebene Bekanntmachung und Beteiligung Dritter diene der Ordnung des Verfahrens und solle die Genehmigungsbehörde in den Stand versetzen, alle für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Die Beschwerdeführerin als belastete Dritte könne daher nicht geltend machen, die geänderte Gebäudeanordnung des Kraftwerks hätte nur im Wege eines weiteren atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens zugelassen werden dürfen, dem ein nochmaliges Bekanntmachungsverfahren und Auslegungsverfahren vorausgegangen wäre.
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Diese Auffassung, die das Oberverwaltungsgericht bereits früher vertreten hatte (GewArch 1977, S. 133 [135f]), findet sich mit gleicher Begründung auch in Entscheidungen des Bayer Verwaltungsgerichtshofs (GewArch 1975, S. 61 [63]; DVBl. 1979, S. 673 [677]). Beide Gerichte beziehen sich dabei auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 41, 58 [63 ff.]), in dem es heißt, im Regelfall sei die in den Verfahrensvorschriften vorgesehene förmliche Verfahrensbeteiligung Dritter nichts weiter als ein der Verwaltung vorgeschriebenes Mittel, sich möglichst umfassend über die entscheidungserheblichen Sachverhalte zu unterrichten. Dieses Urteil - und ebenfalls die darin zitierte Rechtsprechung - erging indessen für andere Rechtsgebiete; seine Ausführungen zielen auf den Fall, daß dem Dritten eine materiell-rechtlich geschützte Rechtsposition überhaupt nicht zusteht und demgemäß zu prüfen ist, ob die Verfahrensvorschrift ihrerseits dem Dritten ein subjektives Recht in der Weise gewährt, daß schon ein bloßer Verfahrensmangel unabhängig von der materiellen Rechtslage zur Aufhebung der behördlichen Entscheidung nötigt. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sogar eine solche selbständige Schutzfunktion des Verfahrensrechts nur für den Regelfall aus. Demgemäß interpretiert der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (DVBl. 1976, S. 538 [540]) das Bundesverwaltungsgericht dahin, daß Verfahrensfehler jedenfalls dann zur Aufhebung der auf ihnen beruhenden Genehmigung führen können, wenn Dritte eine durch die Errichtung eines Kernkraftwerks beeinträchtigte Position des materiellen Rechts innehaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat seinerseits im Würgassen-Urteil (DVBl. 1972, S. 678) auch die Rügen des in der Nachbarschaft wohnhaften Klägers gegen das behördliche Verfahren behandelt.
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Die in der angegriffenen Entscheidung vertretene Beurteilung des Verfahrensrechts ist auf entschiedene Kritik von Redeker für den Bereich des Umweltschutzes (Festgabe zum 25jährigen Bestehen des Bundesverwaltungsgerichts, 1978, S. 511 [520]) sowie von Blümel und Kimminich für den Bereich des Atomrechts (Fünftes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1976, S. 223 [227 ff.] und S. 263 [266f]) gestoßen, die die Hauptfunktion der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht in der Unterrichtung der Behörden, sondern im wirksamen Rechtschutz des Bürgers sehen (vgl. auch Breuer, [NJW 1978, S. 1558 [1564]]. Auch das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat in einer Entscheidung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz ausgeführt [DVBl. 1977, S. 347 [348]], daß die Vorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung nicht nur dem Informationsinteresse der Genehmigungsbehörden, sondern auch und vor allem den Interessen der potentiell betroffenen Nachbarn dienen, sich frühzeitig gegen eine für sie möglicherweise nachteilige Anlage zur Wehr setzen zu können; die Einhaltung solcher Verfahrensvorschriften sei vom Gericht jedenfalls dann zu überprüfen, wenn der Antragsteller geltend mache, durch einen unter Verstoß gegen jene Verfahrensvorschriften zustande gekommenen Verwaltungsakt in seinem materiellen Recht verletzt zu sein.
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Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung dieser Frage ist von der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auszugehen, daß Grundrechtsschutz weitgehend auch durch die Gestaltung von Verfahren zu bewirken ist und daß die Grundrechte demgemäß nicht nur das gesamte materielle, sondern auch das Verfahrensrecht beeinflussen, soweit dieses für einen effektiven Grundrechtsschutz von Bedeutung ist. Diese Rechtsprechung ist zunächst für den Grundrechtsschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG (vgl. etwa BVerfGE 37, 132 [141, 148]; 46, 325 [334]; 49, 220 [225]) und aus Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. etwa BVerfGE 39, 276 [294]; 44, 105 [119 ff.]; 45 422 [430 ff.]) entwickelt worden. Inzwischen haben beide Senate des Bundesverfassungsgerichts bereits ausdrücklich entschieden, daß Art. 2 Abs. 2 GG ebenfalls eine dieses Grundrecht berücksichtigende Verfahrensgestaltung gebietet (BVerfGE 51, 324 - Verhandlungsfähigkeit: Beschluß vom 3. Oktober 1979, EuGRZ 1979, S. 554 - Räumungsschutz).
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Das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 GG beeinflußt auch die Anwendung der Vorschriften über das behördliche und gerichtliche Verfahren bei der Genehmigung von Kernkraftwerken, deren vorrangige Aufgabe gerade darin besteht. Leben und Gesundheit vor den Gefahren der Kernenergie zu schützen. Das bedeutet nicht, daß jeder Verfahrensfehler in einem atomrechtlichen Massenverfahren bereits als Grundrechtsverletzung zu beurteilen wäre. Eine solche Verletzung kommt aber dann in Betracht, wenn die Genehmigungsbehörde solche Verfahrensvorschriften außer acht läßt, die der Staat in Erfüllung seiner Pflicht zum Schutz der in Art. 2 Abs. 2 GG genannten Rechtsgüter erlassen hat. Keinesfalls dürfen daher die Gerichte bei der Überprüfung von atomrechtlichen Genehmigungsbescheiden ohne weiteres davon ausgehen, daß ein klagebefugter Dritter zur Geltendmachung von Verfahrensverstößen in der Regel nicht befugt sei.
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Es bedarf keiner abschließenden Prüfung, welchen atomrechtlichen Verfahrensvorschriften verfassungsrechtliche Relevanz im Sinne der vorstehenden Erwägungen zukommt. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, daß dazu auch die Vorschriften über die Beteiligung klagebefugter Dritter am Genehmigungsverfahren gehören und daß daher die Beschwerdeführerin entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts auch geltend machen durfte, die Änderung der Gebäudeanordnung habe ein erneutes atomrechtliches Genehmigungsverfahren erfordert.
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b) Auch wenn dies zugunsten der Beschwerdeführerin unterstellt wird, führt dies jedoch nicht zu einer Aufhebung des im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ergangenen angegriffenen Beschlusses:
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Die dargelegten Erwägungen hat das Oberverwaltungsgericht im Zusammenhang mit der Prüfung der Klagebefugnis und Antragsbefugnis der Beschwerdeführerin angestellt, die es aus anderen Gründen gleichwohl bejaht hat. Seine Ablehnung, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen, beruht nicht auf diesen Erwägungen, sondern auf seiner Beurteilung der Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage. Für diese Beurteilung wäre der gerügte Verfahrensmangel nur unter der weiteren Voraussetzung erheblich, daß die Gebäudeänderung eine wesentliche Änderung im Sinne des § 7 Abs. 1 AtomG darstellte. Denn nur unter dieser Voraussetzung wäre die Durchführung eines weiteren förmlichen Genehmigungsverfahrens erforderlich gewesen und könnte die Beschwerdeführerin wegen Unterlassung einer erneuten Anhörung in ihren Rechten verletzt sein.
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Die Frage einer wesentlichen Änderung hat das Oberverwaltungsgericht vornehmlich unter dem Gesichtspunkt untersucht, ob die freigegebene geänderte Gebäudeanordnung vom Genehmigungsbescheid abweicht. Anders als das Verwaltungsgericht hält es eine solche Abweichung bei der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorgesehenen summarischen Prüfung jedenfalls nicht für offensichtlich. Ob seine Erwägungen in jeder Hinsicht zu überzeugen vermögen, unterliegt nicht der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht. Dieses kann angesichts der begrenzten Nachprüfbarkeit von Entscheidungen der vorliegenden Art die auf einer Würdigung der konkreten Umstände beruhende Beurteilung der Erfolgsaussichten um so weniger beanstanden, als die Beschwerdeführerin dadurch keinen bleibenden Rechtsnachteil erleidet. Denn die abschließende Prüfung, ob die freigegebene Gebäudeanordnung von der Ersten Teilgenehmigung abweicht, wird lediglich in das Verfahren der Hauptsache verwiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat auch nicht übersehen, daß sich im Falle einer Übereinstimmung von genehmigter und freigegebener Gebäudeanordnung die weitere Frage aufdrängt, ob dann nicht jedenfalls im Abschnitt zwischen Antragstellung und Genehmigung eine das Sicherheitsniveau vermindernde Änderung erfolgt ist. Auch insoweit hat aber nach seiner Ansicht die endgültige Prüfung im Hauptsacheverfahren zu erfolgen, deren Gegenstand die von der Beschwerdeführerin angegriffene Erste Teilgenehmigung zu sein habe.
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3. Bei seinen weiteren Ausführungen geht das Oberverwaltungsgericht in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise davon aus, daß dann, wenn eine Anfechtungsklage nicht offensichtlich begründet erscheint, die Entscheidung über ihre aufschiebende Wirkung von einer Abwägung der beiderseitigen Interessen abhängt. Entgegen der in mehreren Stellungnahmen vertretenen Ansicht läßt auch diese Interessenabwägung eine Grundrechtsverletzung nicht erkennen.
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Eine Interessenabwägung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO könnte namentlich dann als grundsätzlich unrichtige Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts und des daraus folgenden Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz zu beanstanden sein, wenn dadurch der als Regel vorgesehene Suspensiveffekt der Anfechtungsklage zur Ausnahme wird und außer acht bleibt, daß durch eine sofortige Vollziehung unabänderliche Fakten geschaffen werden können (vgl. BVerfGE 35, 263 [274]; 35, 382 [401]; 51, 268). Unter diesem Gesichtspunkt läßt sich die angegriffene Entscheidung aber nicht schon deshalb beanstanden, weil die Behörden atomrechtliche Genehmigungsbescheide praktisch stets für sofort vollziehbar erklären (vgl. Winters, DÖV 1978, S. 265 [268]; Breuer, NJW 1977, S. 1121 [1122]). Abgesehen davon, daß die Verwaltungsgerichte diese Praxis keineswegs durchgängig bestätigt haben, kann - wie bereits das Oberverwaltungsgericht Lüneburg (DVBl. 1978, S. 67) zutreffend ausgeführt hat - die erwähnte Verwaltungspraxis allein noch nicht die Rechtswidrigkeit einer sofortigen Vollziehung im Einzelfall begründen, solange sichergestellt bleibt, daß dem Betroffenen durch Anrufung der Gerichte effektiver Rechtsschutz gegen die Herbeiführung irreparabler Tatsachen gewährt wird.
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Ist ein solcher Rechtsschutz gesichert, kann das Bundesverfassungsgericht die dem Fachgericht obliegende konkrete Abwägung der widerstreitenden Interessen nur sehr begrenzt nachprüfen. Im vorliegenden Fall mag die Interessenabwägung des Oberverwaltungsgerichts zu Bedenken Anlaß geben. Möglicherweise unterschätzt es den Einfluß, den die sofortige Vollziehung von Errichtungsgenehmigungen auf spätere Entscheidungen ausüben kann. Auch mag die - in Rechtsprechung und Schrifttum umstrittene - Ausklammerung von Betriebsgefahren im vorliegenden Fall schon deshalb problematisch sein, weil es um sicherheitstechnische Vorkehrungen gegen äußere Einwirkungen geht, die speziell auf der Stufe der Errichtung der Anlage durch die Art der Gebäudeanordnung zu verwirklichen wären. Gleichwohl läßt sich die Interessenabwägung des Oberverwaltungsgerichts im Ergebnis nicht als Grundrechtsverletzung beurteilen. Soweit es die Interessen der Beschwerdeführerin zu gering bewertet haben sollte, stünde dem gegenüber, daß es zu ihren Gunsten auch die erheblichen öffentlichen Interessen an einer sofortigen Vollziehung nicht einbezogen hat. Wesentlich erscheint vor allem, daß aufgrund früherer Freigabebescheide ohnehin bereits mit dem Bau der Anlage in der geänderten Gebäudeanordnung begonnen worden ist und daß die durch den siebten Freigabebescheid freigegebene Fortsetzung der Bauarbeiten nach den zutreffenden Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts jedenfalls nicht zu einer irreparablen Rechtsbeeinträchtigung der Beschwerdeführerin führt.
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I.
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Auch wir halten die materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Vorschriften für die Genehmigung von Atomkraftwerken als solche für verfassungsrechtlich unbedenklich, soweit sie der Entscheidung des Ausgangsverfahrens zugrunde liegen. Abweichend von der Mehrheit sind wir aber der Meinung, daß Genehmigungsbehörde und Beschwerdegericht diese Regelung nicht verfassungskonform angewendet haben.
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Zum gleichen Ergebnis wäre wohl auch die Mehrheit gelangt, wenn es sich beim Ausgangsverfahren um das Verfahren der Hauptsache und nicht um eine bereits ausgeführte einstweilige Maßnahme gehandelt hätte. Auch sie hält es für möglich, daß das Oberverwaltungsgericht die verfassungsrechtliche Relevanz des Verfahrensrechts verkannt hat; sie meint dies letztlich deshalb offen lassen zu können, weil sie es für unbedenklich ansieht, daß das Oberverwaltungsgericht die Beschwerdeführerin zur abschließenden Klärung auf das Verfahren der Hauptsache verweist. Auch dieses Verfahren könnte aber mit verfassungsrechtlich angreifbaren Entscheidungen enden und auf diese Weise zu erheblichen Zeitverlusten führen, wenn die Relevanz der atomrechtlichen Verfahrensvorschriften nicht rechtzeitig geklärt wird. Zu dieser Klärung will das Sondervotum in erster Linie beitragen (dazu unten II). Wird ferner das Verfahrensrecht in seiner Bedeutung für einen bestmöglichen Grundrechtsschutz wirklich ernst genommen, muß sich eine verfassungswidrige Anwendung und Beurteilung von Verfahrensregeln auch für das vorläufige Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO auswirken.
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Hätte das Oberverwaltungsgericht den gerügten Verfahrensverstoß berücksichtigt, hätte es nach unserer Auffassung ebenso wie das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage der Beschwerdeführerin wieder herstellen müssen. Das Ausgangsverfahren ist geradezu ein Lehrstück für eine Verfahrensgestaltung, die zwar eine reibungslose Durchführung des behördlichen Verfahrens erleichtert, die aber die Mitwirkungsrechte betroffener Bürger überspielt und deren ohnehin vorhandene Ohnmachtserfahrungen gegenüber Staatsapparat und einflußreichen Interessenten bestätigt - mag das auch subjektiv so nicht gewollt gewesen sein und letztlich seine Ursache in der Schwierigkeit haben, den "Zielkonflikt zwischen Richtigkeit und Rechtzeitigkeit von Entscheidungen in Massenverfahren" angemessen lösen zu müssen (dazu unten III 1). Entgegen der Ansicht der Mehrheit läßt sich jedenfalls nicht ausschließen, daß das Oberverwaltungsgericht ohne seine verfassungsrechtlich unrichtige Beurteilung von Verfahrensverstößen sowohl die Erfolgsaussichten der Hauptsache anders beurteilt als auch die beiderseitigen Interessen anders abgewogen hätte (dazu unten III 2a und b); seine Ausführungen dazu erscheinen sogar noch unter weiteren Gesichtspunkten bedenklich.
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II.
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Eine konsequente Fortführung der bisherigen Rechtsprechung zur verfassungsrechtlichen Relevanz des Verfahrensrechts zwingt zu dem Schluß, daß die Beurteilung der atomrechtlichen Verfahrensvorschriften durch das Oberverwaltungsgericht mit dem Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 2 Abs. 2 GG unvereinbar ist. Diese Rechtsprechung hat allerdings erst nach Erlaß der angegriffenen Entscheidung deutliche Konturen gewonnen.
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1. In seinem Bericht für die IV. Konferenz der Europäischen Verfassungsgerichte hat Herr Kollege H. die in der Rechtsprechung zunehmend betonte Grundrechtsverwirklichung durch Organisation und Verfahren zutreffend als eine der wichtigsten Tendenzen der neueren Grundrechtsinterpretation gewürdigt (EuGRZ 1978, S. 427; vgl. auch Art. 24 des Entwurfs für eine neue schweizerische Verfassung). Damit Grundrechte ihre Funktion in der sozialen Wirklichkeit erfüllen könnten, bedürfe es nicht nur näherer inhaltlicher Normierungen, sondern auch geeigneter Organisationsformen und Verfahrensregelungen. Zugleich wirkten die Grundrechte ihrerseits auf das bestehende Organisationsrechts und Verfahrensrecht ein, und zwar nicht nur die eigentlichen verfahrensrechtlichen, sondern auch die materiellen Grundrechte. Diese Zusammenhänge gewännen verstärkte Bedeutung in einer Zeit, in der es in zunehmendem Maße der Abgrenzung und Zuordnung der Bereiche menschlicher Freiheit und eines Ausgleichs kollidierender Grundrechtspositionen bedürfe; hier erwiesen sich Organisation und Verfahren oft als möglicherweise einziges Mittel, um ein grundrechtsgemäßes Ergebnis herbeizuführen.
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Auf der gleichen Linie bewegen sich die Erwägungen von Herrn Kollegen B. in seinem Sondervotum zur Zwangsversteigerung (BVerfGE 49, 220 [235]). Danach haben die staatlichen Organe nicht nur die Pflicht, die materiellen Grundrechte zu beachten, sie müßten ihnen auch durch eine entsprechende Verfahrensgestaltung Wirksamkeit verschaffen. Wenn das Verfahrensrecht nicht auf die Effektuierung der Grundrechte ausgerichtet sei, könne deren substantieller Gehalt beeinträchtigt werden. Im Grunde sei ein ordnungsgemäßes Verfahren die einzige Möglichkeit, Grundrechte durchzusetzen oder wirksam zu gewährleisten. Dies zwinge die staatlichen Organe zu einer grundrechtskonformen Auslegung und Handhabung der Verfahrensvorschriften.
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Diese Überlegungen stehen in Einklang mit der Rechtsprechung beider Senate des Bundesverfassungsgerichts. Die einschlägigen Entscheidungen befaßten sich anfangs vor allem mit der Sicherung eines effektiven Rechtsschutzes vor Gericht. Dabei knüpft der Zweite Senat bevorzugt bei den verfassungsrechtlichen Verfahrensgrundrechten, insbesondere bei Art. 19 Abs. 4 GG an, der nicht nur das Recht umfasse, die Gerichte anzurufen, sondern auch den substantiellen Anspruch auf wirksame gerichtliche Kontrolle, etwa in dem Sinne, daß das Beschreiten des Rechtswegs nicht in unzumutbarer Weise erschwert werden dürfe (BVerfGE 40, 272 [274f]; 41, 23 [26]) oder daß soweit als möglich zu verhindern sei, durch die sofortige Vollziehung hoheitlicher Maßnahmen vollendete Tatsachen zu schaffen (BVerfGE 37, 150 [153]; 46, 166 [177f]). Ferner rechnet der Zweite Senat das Recht auf ein faires Verfahren zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens namentlich im Bereich des Strafprozesses und des Disziplinarrechts (BVerfGE 26, 66 [71]; 38, 105 [111]; 39, 238 [243]; 40, 95 [99]; 46, 202 [210]). Auch der Erste Senat betont selbstverständlich die in Art. 19 Abs. 4 GG enthaltene Garantie eines effektiven Rechtsschutzes (BVerfGE 35, 263 [274]; 35, 382 [401]; 51, 268). Darüber hinaus geht der Erste - in neueren Entscheidungen auch der Zweite - Senat davon aus, daß bereits die einzelnen Grundrechte ihrerseits nicht nur die Ausgestaltung des materiellen Rechts beeinflussen, sondern auch Maßstäbe für eine den Grundrechtsschutz effektuierende Verfahrensgestaltung und für eine verfassungskonforme Anweisung der vorhandenen Verfahrensvorschriften setzen. Demgemäß hat er unmittelbar aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG die Pflicht hergeleitet, bei Eingriffen in dieses Grundrecht einen effektiven Rechtsschutz zu gewähren (BVerfGE 24, 367 [401] - Hamburger Deichgesetz; BVerfGE 35, 348 [361] - Armenrecht; BVerfGE 37, 132 [141, 148] - Wohnraumkündigung; BVerfGE 45, 297 [322, 333] - Hamburger U-Bahn; BVerfGE 46, 325 [334]; 49, 220 [225]; 51, 150 - sämtlich zur Zwangsversteigerung), der den Anspruch auf faire Verfahrensführung einschließe. Gleiche verfahrensrechtliche Konsequenzen wurden aus dem Grundrecht der Berufsfreiheit gezogen (BVerfGE 39, 276 [294] - Passivlegitimation für Zulassungsklagen; BVerfGE 41, 251 [265] - schulrechtliche Ordnungsmaßnahmen; BVerfGE 44, 105 [119 ff.]; 45, 422 [430 ff.]; 48, 292 [297f] - vorläufige Berufsverbote und Amtsenthebungen; BVerfGE 50, 16 [30] - Anfechtbarkeit von Mißbilligungen); um eine grundrechtskonforme Prüfung der Prozeßfähigkeit eines Anwalts zu gewährleisten, müßten notfalls sogar verfahrensrechtliche Lücken geschlossen werden (BVerfGE 37, 67 [81]). Inzwischen haben beide Senate ebenfalls aus Art. 2 Abs. 2 GG die Pflicht zu einer Verfahrensgestaltung hergeleitet, die eine Verletzung der durch dieses Grundrecht geschützten Rechtsgüter tunlichst ausschließt (BVerfGE 51, 324 - Verhandlungsunfähigkeit; Beschluß vom 3. Oktober 1979, EuGRZ 1979, S. 554 - Räumungsschutz). Schließlich wurde auch in der Entscheidung zur Asylgewährung vom 14. November 1979 (EuGRZ 1979, S. 633) ausdrücklich die verfassungsrechtliche Pflicht betont, in der Verfahrensgestaltung auf einen "bestmöglichen Schutz" des Grundrechts aus Art. 16 Abs. 2 GG hinzuwirken, und demgemäß die Durchführung weiterer Beweiserhebungen gefordert.
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Die Auswirkungen der Grundrechte erschöpfen sich nach der Rechtsprechung nicht in der Garantie effektiven Rechtsschutzes in Gestalt einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unter fairer Verfahrensführung. Wenn diese Garantie bereits unmittelbar aus den Einzelgrundrechten folgt, dann kann dies auch auf die Gestaltung des vorherigen behördlichen Verfahrens nicht ohne Einfluß bleiben, soweit die behördliche Entscheidung diese Grundrechte berührt. Dies hat der Erste Senat inzwischen in einer Entscheidung zum Verfahren der juristischen Staatsprüfung ausdrücklich klargestellt (Beschluß vom 13. November 1979 - 1 BvR 1022/78 -). Auch in anderen Entscheidungen finden sich Erwägungen über weitergehende Konsequenzen für eine grundrechtskonforme Ausgestaltung und Anwendung des gesamten Verfahrensrechts. In ihren Entscheidungen zur Zwangsversteigerung heben beide Senate hervor, daß das Verfahrensrecht der "Herbeiführung gesetzmäßiger und unter diesem Blickpunkt richtiger, aber darüber hinaus auch im Rahmen dieser Richtigkeit gerechter Entscheidungen" diene (BVerfGE 42, 64 [73]; 46, 325 [333]; vgl. ferner Beschluß vom 25. Juli 1979, EuGRZ 1979, S. 506 [509] zum Beweisrecht im Arzthaftungsprozeß). Weitere Entscheidungen enthalten Erwägungen, die für den Bereich des Umweltschutzes besonders bedeutsam erscheinen. So warnt die Entscheidung zur Hamburger U-Bahn vor einer Verfahrensgestaltung, die ausschließlich nach den Bedürfnissen der Verwaltung so eingerichtet werde, daß das behördlich beabsichtigte Vorhaben möglichst reibungslos ausgeführt werden und der Bürger lediglich die von der Verwaltung geschaffenen Tatsachen zur Kenntnis nehmen könne; die Notwendigkeit des Gesprächs zwischen Verwaltung und Bürger entspreche dem grundgesetzlichen Verständnis der Stellung des Bürgers im Staat (BVerfGE 45, 297 [330 ff., insbesondere 335]). Andere Entscheidungen enthalten Hinweise zur Gestaltung des Verfahrensrechts für den Fall, daß sich materiell-rechtliche Voraussetzungen für eine staatliche Maßnahme nur durch ausfüllungsbedürftige Normbegriffe und Generalklauseln umschreiben lassen: Alsdann sei um so wichtiger, wer über die Ausfüllung und Anwendung dieser Normen entscheide und wie dieses Entscheidungsverfahren gestaltet sei; solche Normen und Generalklauseln erschienen eher tragbar, wenn durch ein formalisiertes, gerichtlich kontrollierbares Verfahren dafür vorgesorgt werde, daß die wesentlichen Entscheidungsfaktoren geprüft und die mit der Norm angestrebten Ziele wirklich erreicht würden (BVerfGE 33, 303 [341] - zur Kapazitätsermittlung; BVerfGE 41, 251 [265] und 44, 105 [116] - für Ordnungsmaßnahmen und Disziplinarmaßnahmen).
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2. Wenn schon in den zuvor zitierten Fällen dem Verfahrensrecht verfassungsrechtliche Relevanz beigemessen und eine Verfahrensgestaltung gefordert wird, die auf einen bestmöglichen Grundrechtsschutz hinwirkt, dann muß dies auch und erst recht für das atomrechtliche Genehmigungsverfahren gelten. Denn dieses Verfahren bezweckt bevorzugt gerade die Sicherung der durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützten Rechtsgüter vor dem in Atomkraftwerken verkörperten außerordentlichen Gefährdungspotential und soll demgemäß diesem Grundrecht zur Durchsetzung verhelfen. Seine verfassungsrechtliche Relevanz beruht zudem darauf, daß die Genehmigung als Verwaltungsakt mit Drittwirkung einen Ausgleich zwischen verschiedenen grundrechtlich geschützten Rechtspositionen finden muß und dabei den Betreiber zu Handlungen ermächtigt, die weit über dessen eigene Rechtssphäre hinauswirken können. Die Notwendigkeit zum Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung folgt hier insbesondere aus zwei Besonderheiten, die bereits in der Kalkar-Entscheidung (BVerfGE 49, 89) hervorgehoben worden sind:
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In dieser Entscheidung weist der Zweite Senat darauf hin (a.a.O., S. 133 ff.), daß der Gesetzgeber für das materielle Genehmigungsrecht in weitem Umfang unbestimmte Rechtsbegriffe verwende; dies beruhe auf den besonderen Schwierigkeiten des in ständiger Entwicklung befindlichen technischen Sicherungsrechts und diene zugleich einem zukunftsgerichteten dynamischen Grundrechtsschutz. Diese Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe sei zulässig; doch würden dadurch die Schwierigkeiten der verbindlichen Konkretisierung und der laufenden Anpassung sicherheitstechnischer Anforderungen an den neuesten Erkenntnisstand mehr oder weniger auf die administrative und judikative Ebene verlagert. Behörden und Gerichte müßten das Regelungsdefizit der normativen Ebene ausgleichen." Trifft diese Beurteilung zu - und sie entspricht zumindest der geltenden Regelung - dann kann es nach der zitierten bisherigen Rechtsprechung verfassungsrechtlich nicht gleichgültig sein, wie gerade auch das behördliche Genehmigungsverfahren strukturiert ist und wer als Beteiligter auf die Entscheidung Einfluß nehmen kann (vgl. dazu auch Hansmann in seinem Referat auf dem Wiesbadener Juristentag 1978, Bd II, S. K 38 f.). Für einen effektiven Grundrechtsschutz der potentiell Gefährdeten ist angesichts des Ausmaßes denkbarer Gefahren entscheidend, daß bereits das behördliche Verfahren geeignet ist, im konkreten Fall zu "richtigen" sicherheitsrelevanten Entscheidungen zu führen. Wahrscheinlich läßt sich nur über das Verfahrensrecht verhindern, daß der Bereich zwischen Recht und Technik zum juristischen Niemandsland wird.
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Ein geeignetes, den Schutz der Gefährdeten sicherstellendes Verfahren zur Entscheidungsbildung ist im Bereich der wirtschaftlichen Nutzung der Atomenergie auch aus einem weiteren, ebenfalls im Kalkar-Beschluß angesprochenen Grund bedeutsam (a.a.O., S. 142 f.). Während im herkömmlichen Bereich die sicherheitstechnischen Anforderungen auf einem mehr oder minder umfassenden empirischen Material beruhen, mußte auf dem Gebiet der Kerntechnik eine "Sicherheitsphilosophie" vorausgedacht und versucht werden, aufgrund theoretischer Überlegungen und wissenschaftlicher Untersuchungen mögliche Störfälle vorauszusehen und die erforderlichen Schutzmaßnahmen zu entwickeln (s dazu insbesondere Dokumentation der Bundesregierung zur friedlichen Nutzung der Kernenergie, 2. Aufl 1978, S. 276 ff.). Dabei kann es sich - wie es im Kalkar-Beschluß zutreffend heißt - nur um Annäherungswissen handeln, das durch jede neue Erfahrung korrigierbar ist und sich insofern "immer nur auf den neuesten Stand unwiderlegten möglichen Irrtums befindet". Da ferner diese Sicherheitsphilosophie mit nur denkbaren Risiken arbeitet, hängt deren Beurteilung einschließlich der Einplanung entsprechender Schutzmaßnahmen von Wertungen ab, die sich schwerlich freihalten lassen von den jeweiligen grundsätzlichen Standpunkten und subjektiven Interessen. Um so wesentlicher erscheint es, die Standpunkte, Interessen und Befürchtungen aller Beteiligten rechtzeitig in das Genehmigungsverfahren einzubeziehen und durch einen Prozeß der Kommunikation zwischen Kraftwerksbetreibern, gefährdeten Bürgern und zuständigen Behörden eine sachgemäße Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte sicherzustellen. Daß dieser Kommunikationsprozeß nur bei einem allseits fairen und vernünftigen Verhalten funktionieren kann, liegt auf der Hand.
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3. Nach alledem kann das atomrechtliche Verfahrensrecht ohne Zweifel ebensowenig grundrechtsneutral sein wie die materiell-rechtliche Regelung der Genehmigungsvoraussetzungen. Das bedeutet nicht, daß sich unmittelbar aus der in Art. 2 Abs. 2 GG verkörperten objektiven Grundentscheidung eine ins einzelne gehende Verfahrensgestaltung herleiten ließe. Auch stimmen wir der Mehrheit darin zu, daß in atomrechtlichen Massenverfahren nicht jeder Verfahrensfehler als Grundrechtsverletzung zu beurteilen ist und daß im übrigen selbstverständlich die Entscheidungsprärogative der zuständigen Behörde gewahrt bleiben muß. Andererseits ergeben sich aber aus dem verfassungsrechtlichen Ansatzpunkt und unter Berücksichtigung der mit der Erteilung von Genehmigungen verbundenen gesteigerten staatlichen Mitverantwortung in mehrfacher Richtung Konsequenzen sowohl für die normative Ausgestaltung des Verfahrensrechts als auch für dessen Anwendung. Das gilt insbesondere für das gerichtliche Rechtsschutzverfahren und das vorgelagerte behördliche Genehmigungsverfahrens, aber auch - das ist bislang kaum erörtert worden - für die Zusammensetzung und Verfahrensweise solcher Kommissionen, die allgemeine Sicherheitsrichtlinien oder Immissionsgrenzwerte erarbeiten und damit weitreichende Entscheidung präjudizieren. Ob in jeder dieser Richtungen die vorhandenen Regelungen ihrerseits den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen oder ob bereits ein normatives Regelungsdefizit und nicht nur ein vielfach behauptetes Vollzugsdefizit bestehen, kann - anders als im Blick auf das materielle Recht - zumindest zweifelhaft sein (vgl. die Vorschläge des Wiesbadener Juristentages zur Offenlegungspflicht für alle entscheidungserheblichen Unterlagen, zum Rechtsanspruch auf Akteneinsicht und zur Einbeziehung von behördlichen Stellungnahmen und Sachverständigengutachten in den Erörterungstermin, Beschlüsse des 52. Deutschen Juristentages 1978, Bd II, S. K 215 f.). Darauf braucht indessen nicht weiter eingegangen zu werden, da ein etwaiges Regelungsdefizit für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens nicht erheblich wäre.
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Für diese Entscheidung genügt die Tatsache, daß der Normgeber in Erfüllung der ihm obliegenden verfassungsrechtlichen Schutzpflicht und Mitverantwortung sowohl für Errichtung und Betrieb als auch für wesentliche Veränderungen eines Atomkraftwerks ein formalisiertes Genehmigungsverfahren vorgeschrieben hat. Daraus folgt - wie auch die Mehrheit betont - für die Gerichte die Pflicht, bei der Auslegung und Anwendung der vorhandenen Verfahrensvorschriften den Einfluß des Art. 2 Abs. 2 GG zu beachten. Dieser Einfluß geht insbesondere dahin, daß Mängel im Genehmigungsverfahren, jedenfalls soweit sie dessen Schutzaufgabe berühren, nicht als unerhebliche Verfahrensverstöße, sondern als grundrechtsrelevant behandelt und daß die von hier aus gebotenen Folgerungen für die Gewährung von Rechtsschutz und die Beurteilung der zu entscheidenden Fragen gezogen werden müssen. Dazu gehört, daß der Träger des Grundrechts die Verletzung "grundrechtsschützender" Verfahrensvorschriften im gerichtlichen Verfahren geltend machen kann. Ob die Gerichte diesen Einfluß des Art. 2 Abs. 2 GG auf das von ihnen anzuwendende Recht beachtet haben, unterliegt der verfassungsgerichtlichen Überprüfung. Das gilt auch für das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO. Dieses dient der Effektivität des nach Artt 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsschutzes (BVerfGE 35, 263 [264]); es ist damit ein Element des Grundrechtsschutzes, das von der Gewährleistungsfunktion der materiellen Grundrechte umfaßt und ebenfalls verfassungsrechtlich beeinflußt wird. Dieser Einfluß schließt es aus, Verfahrensverstöße der genannten Art im vorläufigen Rechtsschutzverfahren bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage oder bei der Abwägung der Interessen als für die Entscheidung unerheblich beiseite zu lassen.
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Zu den grundrechtsschützenden Verfahrensvorschriften gehören sicherlich diejenigen Regelungen für die Genehmigung sicherheitsrelevanter Anlageteile, die zum Schutz gefährdeter Dritter eine richtige Entscheidung über die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Schadensvorsorge und damit einen effektiven Rechtsschutz dieser Dritten bezwecken. Dazu zählen auch und gerade die Vorschriften über die Verfahrensbeteiligung solcher klagebefugter Dritter am Genehmigungsverfahren, deren Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG durch die Genehmigung eines Kernkraftwerks berührt wird. Diese sind - anders als zahlreiche andere Verfahrensregeln, deren Einhaltung in der bisherigen Rechtsprechung von Verfassungs wegen gefordert wurde - sogar eine unmittelbare Ausprägung der grundrechtsschützenden Funktion des Verfahrensrechts; würde ausgerechnet dieser Mitwirkungsbefugnis die verfassungsrechtliche Relevanz abgesprochen, bliebe an grundrechtsschützenden Vorschriften für das atomrechtliche Genehmigungsverfahren kaum etwas übrig. Die Linie der bisherigen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung wird nur folgerichtig weitergeführt, wenn Redeker, Blümel und Kimminich in den von der Mehrheit zitierten Veröffentlichungen (vgl. C II 2a) den Standpunkt vertreten, daß die Öffentlichkeitsbeteiligung nicht allein zur umfassenden Information der zuständigen Behörden diene, sondern zu einem vorbeugenden Grundrechtsschutz mit dem Zweck, begründet erscheinenden Einwendungen und Bedenken schon im behördlichen Genehmigungsverfahren Rechnung zu tragen und damit dem grundrechtlich gebotenen Schutz von Leben und Gesundheit vor den Gefahren der Kernenergie möglichst frühzeitig gerecht zu werden. Es sei daran erinnert, daß Häberle schon 1971 in seinem bekannten Regensburger Vortrag "Grundrechte im Leistungsstaat" die Komplementärfunktion des Verfahrensrechts für die Grundrechtsverwirklichung herausgearbeitet und sogar einen status activus processualis entwickelt hatte, der nicht erst das gerichtliche Verfahren beeinflusse, sondern vor allem den vorweggehenden Rechtsschutz im behördlichen Verfahren präge in Richtung auf Beteiligungsrechte und Anhörungsrechte und einem Kommunikationsprozeß, der einer Konfrontation von Grundrechtsinteressen und "entschiedenen Vorhaben" vorbeuge (VVDStRL 30 [1972], S. 43 [86 ff., 121 ff.]; ferner: Verfassung als öffentlicher Prozeß, 1978, S. 677 ff.). Nur eine solche Beurteilung der Verfahrensbeteiligung wird - wie bereits in der zitierten Entscheidung zur Hamburger U-Bahn für eine weniger gewichtige Problematik dargelegt worden ist - dem grundgesetzlichen Verständnis von der Stellung des Bürgers im Staat gerecht.
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Grundrechtsschützende Bedeutung kommt der Verfahrensbeteiligung gefährdeter Bürger auch insoweit zu, als das Atomrecht für den Fall wesentlicher Änderungen eines Vorhabens die Durchführung eines förmlichen Genehmigungsverfahren vorschreibt. Der verfassungsrechtlich gebotene Einfluß des Bürgers auf die Entscheidungsbildung würde leerlaufen, wenn er keinerlei Gelegenheit erhielte, sich mit den Behörden und den Antragstellern über eine geänderte Konzeption auseinanderzusetzen. Dabei erscheint - wie in dem von der Beschwerdeführerin überreichten Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages unter Auswertung von Rechtsprechung und Schrifttum zu vergleichbaren Regelungen im einzelnen dargelegt und auch von der Mehrheit anerkannt wird - die Durchführung eines die Dritten beteiligenden Verfahrens nicht nur dann geboten, wenn die Änderung das Sicherheitsniveau nachgewiesenermaßen negativ beeinflußt, sondern bereits dann, wenn sich solche Auswirkungen darauf in nicht offensichtlich unerheblichem Ausmaß einstellen können; denn das behördliche Verfahren dient gerade der Prüfung, ob solche Auswirkungen zu befürchten sind. Das gilt auch dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - geltend gemacht wird, eine Änderung führe zur erhöhten Sicherheit gegenüber bestimmten Gefahren und deshalb müßten gewisse Nachteile in anderer Richtung in Kauf genommen werden. Auch wenn es sich um die Beurteilung sicherheitstechnischer Alternativen handelt, muß für betroffene Dritte die Möglichkeit gewahrt bleiben, im Erörterungstermin Rechenschaft zu fordern und Stellung zu nehmen. Etwaige mit diesem Standpunkt verbundene Erschwerungen und Zeitverluste für das behördliche Verfahren dürften sich weitgehend dadurch vermeiden lassen, daß die Betreiber ihrerseits rechtzeitig alle erforderlichen Schutzmaßnahmen prüfen und im vorgeschriebenen Sicherheitsbericht zusammen mit den Antragsunterlagen darlegen. Im vorliegenden Fall erscheint es schwer verständlich, daß sie die Bodenuntersuchungen erst nach Antragstellung durchgeführt und die daraus hergeleiteten Konsequenzen für die Gebäudeanordnung sogar erst nach Erteilung der Ersten Teilgenehmigung vorgelegt haben.
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Abschließend mag noch bemerkt werden, daß eine faire Anwendung des Verfahrensrecht im vorstehend dargelegten Sinne noch gewichtige zusätzliche Vorteile erbringt. Sie ist Voraussetzung für die unerläßliche Akzeptanz atomrechtlicher Entscheidungen durch die Bevölkerung und ermöglicht es darüber hinaus der Verwaltungsgerichtsbarkeit, den Schwerpunkt ihrer Nachprüfung von der schwierigen Beurteilung technischer und naturwissenschaftlicher Streitfragen mehr auf eine Verhaltenskontrolle und Verfahrenskontrolle der eigentlichen Entscheidungsträger zu verlagern und damit auf eine Aufgabe, für die die Gerichte besser gerüstet sind und deren sorgfältige Erfüllung zugleich dem Bürger angemessenen Rechtsschutz gewährleistet.
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III.
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Die verfassungsrechtliche Relevanz der atomrechtlichen Vorschriften über die Bürgerbeteiligung hat das Oberverwaltungsgericht nicht nur verkannt. Es ist vielmehr ausdrücklich davon ausgegangen, daß die an sich klagebefugte Beschwerdeführerin überhaupt keine Verfahrensverstöße geltend machen dürfe (vgl. C II 2a des Senatsbeschlusses). Die darin liegende grundsätzlich unrichtige Auffassung von der Bedeutung des Grundrechtsschutzes nötigte entgegen der Ansicht der Mehrheit zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung.
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1. Enthält die Begründung einer gerichtlichen Entscheidung eine derart schwerwiegende Grundrechtsverletzung, zwingt dies schon deshalb zu ihrer Aufhebung, weil sich in aller Regel nicht ausschließen läßt, daß das Fachgericht bei richtiger Betrachtung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Es genügt, wenn der Beschwerdeführer, der durch eine verfassungswidrige Rechtsanwendung in einer Gerichtsentscheidung betroffen ist, mit deren Aufhebung die Chance erhält, daß eine erneute verfassungsgemäße Sachprüfung zu einem für ihn günstigeren Ergebnis führt (vgl. BVerfGE 35, 324 [334] mw Nachw; BVerfGE 39, 258 [264f, 274]). Mit einer entsprechend knappen Begründung in der auch sonst üblichen lapidaren Kürze begnügt sich denn auch die jüngst ergangene Senatsentscheidung zur Asylgewährung (EuGRZ 1979, S. 633 [638]). Nach der bisherigen Rechtsprechung kommt eine Abweisung der Verfassungsbeschwerde in solchen Fällen nur dann in Betracht, wenn die Möglichkeit einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung mit Sicherheit zu verneinen ist, etwa wenn sich aus der angefochtenen Entscheidung selbst hinreichend ergibt, daß das Fachgericht ohne den Verfassungsverstoß aus anderen Gründen im Ergebnis ebenso entschieden hätte. Diese Voraussetzung liegt - wie noch auszuführen sein wird (unten 2) - entgegen der Meinung der Mehrheit nicht vor. Es ist im Gegenteil mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß das Oberverwaltungsgericht bei richtiger Betrachtungsweise dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage ebenso wie das Verwaltungsgericht hätte stattgeben müssen.
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a) Betrachtet mann den im Senatsbeschluß nur allgemein dargestellten Sachverhalt genauer, spricht viel für die Annahme, daß es gegenüber den ursprünglich eingereichten und im Anhörungstermin erörterten Plänen zu einer wesentlichen Änderung gekommen ist:
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Nach dem von den Antragstellern eingereichten Sicherheitsbericht vom April 1973 und ebenfalls nach einem vom TÜV Rheinland erstatteten Sicherheitsgutachten vom August 1973 war die ursprüngliche Gebäudeanordnung dadurch gekennzeichnet, daß das Reaktorgebäude, das Reaktorhilfsanlagengebäude, das Maschinenhaus mit Zwischenbau, das Schaltanlagengebäude sowie die Gebäude für Wasseraufbereitung und die Notstromdieselmotoren nahtlos aneinandergebaut werden sollten und eine kompakte bauliche Einheit bildeten; ferner sollte der Abluftkamin unmittelbar an das Reaktorhilfsanlagengebäude anschließen. Diese Kompaktbauweise war nach der unbestrittenen Darstellung in einigen der eingeholten Stellungnahmen schon vor Erlaß der Ersten Teilgenehmigung insbesondere zum besseren Schutz gegen äußere Einwirkungen durch Flugzeugabstürze und Explosionsdruckwellen empfohlen worden und gehörte damit zum Stand der Wissenschaft; inzwischen soll diese Konzeption vom Bundesminister des Innern in die Sicherheitsrichtlinien übernommen worden sein.
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Die mit den Freigabeanträgen eingereichten Lageplänen ließen - wie insbesondere in einer Stellungnahme des TÜV Rheinland vom April 1975 dargelegt wird - eine geänderte Gebäudeanordnung erkennen. Nunmehr sollte der ursprünglich kompakte Kraftwerksblock in einen Komplex 1 (Reaktorgebäude, Zwischengebäude sowie die Gebäude für Wasseraufbereitung, den ersten Notstromdiesel und die Reaktorhilfsanlagen) und einen etwa 14 m südlich stehenden Komplex 2 (Maschinenhaus mit Anbau sowie die Gebäude für Schaltanlagen und den zweiten Notstromdiesel) aufgeteilt werden. Zwischen beiden Komplexen war eine Brücke vorgesehen. Auch sollte der jetzt frei stehende Abluftkamin 60 m weiter zum Kühlturm hin verschoben werden. Diese Veränderung ging nach Darstellung der Antragsteller auf seismologische sowie auf Baugrundgutachten und Gründungsgutachten zurück, die nach der öffentlichen Anhörung und vor Erteilung der Ersten Teilgenehmigung ab Ende 1973 erstattet worden waren. Die Gutachter hatten empfohlen, das Reaktorgebäude und die für die Sicherheit des Reaktors erforderlichen Versorgungseinrichtungen auf eine nördlich vom ursprünglichen Standort nachgewiesene erdbebensicherere feste Erdscholle zu verschieben. Um aber Setzungsdifferenzen zu vermeiden, die sich im Falle einer Beibehaltung der ursprünglichen Kompaktbauweise wegen des unterschiedlichen Baugrundes hätten ergeben können, erfolgte im Zuge weiterer Überlegungen eine Aufteilung in zwei Komplexe.
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Die aus den Gutachterempfehlungen gezogenen Folgerungen für eine geänderte Gebäudeanordnung ergaben sich erstmals aus Unterlagen, die nach der Ersten Teilgenehmigung mit den Freigabeanträgen - teils erst nach Beanstandung - eingereicht wurden. Dies bestätigte eines der beteiligten Unternehmen, die BBC-AG, mit Schreiben vom 18. März 1975, in dem es heißt, daß "das Konzept der Kompaktbauweise des Blocks verlassen" worden sei, "um für die gesamte Anlage die Betriebssicherheit zu erhöhen". Der zur Äußerung aufgeforderte TÜV Rheinland hielt seinerseits mit Schreiben vom 20. März 1975 ausdrücklich eine erneute Stellungnahme zur Gesamtanordnung des Kraftwerks für erforderlich, da diese gegenüber dem Beurteilungsstand des ursprünglichen Sicherheitsgutachtens "in wesentlichen Punkten geändert" worden sei. In ihrer "gutachtlichen Stellungnahme zur Änderung der Gesamtanordnung der Gebäude" vom April 1975 stellten dann die TÜV-Gutachter in mehrfacher Hinsicht nachteilige Auswirkungen dieser Änderungen fest. Durch den neuen Standort des Abluftkamins und das Auseinanderrücken der Gebäude könnten sich ungünstigere radiologische Verhältnisse mit der Folge einer erhöhten Schilddrüsenbelastung für Kinder ergeben. Die Gasse zwischen den beiden Gebäudekomplexen sei nach heutigen Erkenntnissen eine Schwachstelle, weil in ihr eine Deflagration zündfähiger Gemische verdämmt verlaufen oder in eine Detonation umschlagen könne; beides führe zur Überschreitung des für die einzelnen Gebäude vorgesehenen Druckes. Durch die Verlegung des Wasseraufbereitungsgebäudes entfalle für das Reaktorgebäude und das Zwischengebäude der Schutz durch vorgelagerte Bauteile. Wenn jedoch die in der Stellungnahme vorgeschlagenen Bedingungen erfüllt würden, bestünden im Ergebnis keine sicherheitstechnischen Bedenken gegen die Änderung.
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b) Nach diesem im wesentlichen unstreitigen Sachverhalt gaben die erfolgten Änderungen doch wohl Anlaß zu einer erneuten Prüfung im Sinne der Rechtsprechung zum Begriff der wesentlichen Änderung, weil sie mehr als nur offensichtlich unerhebliche Auswirkungen auf das Sicherheitsniveau der Anlage haben konnten. Nicht nur beruhten die Änderungen auf Untersuchungen über die Erdbebensicherheit des Baugrundes und damit auf eindeutig, sicherheitsrelevanten, im Anhörungstermin noch nicht bekannten Faktoren. Darüber hinaus beeinflußten sie - wie insbesondere die Stellungnahme des TÜV Rheinland und ebenso die im Verfassungsbeschwerde-Verfahren eingeholte Stellungnahme der TÜV-Arbeitsgemeinschaft Kerntechnik West bestätigen - auch im übrigen das Sicherheitsniveau der Anlage, und zwar in einem Maße, daß es zumindest nahegelegen hätte, die Zulässigkeit dieser Veränderungen in dem dafür vorgesehenen förmlichen Genehmigungsverfahren zu überprüfen. Dazu bestand - wie in der Stellungnahme einiger Umweltschutzverbände hervorgehoben wird - um so mehr Anlaß, als eine Einwirkung durch Explosionsdruckwellen angesichts der unmittelbaren Nähe des Eisenbahnverkehrs und Schiffsverkehrs nicht völlig außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegt. Prof Haverbeck gelangt unter kritischer Würdigung des TÜV-Gutachtens sogar zu dem Ergebnis, die Änderung verschlechtere das Sicherheitsniveau erheblich; die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge sei bewußt vernachlässigt worden.
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Wir verkennen nicht, daß die Frage, ob im konkreten Einzelfall eine Änderung als wesentlich zu beurteilen ist, in erster Linie von den Fachgerichten zu beantworten und vom Bundesverfassungsgericht nur sehr begrenzt zu überprüfen ist. Demgemäß kann es sich bei den vorstehenden Ausführungen nur um eine Prognose handeln, wie das Oberverwaltungsgericht bei richtiger Betrachtungsweise nach verwaltungsrechtlichen Grundsätzen entschieden haben würde. Sie stehen jedenfalls in Einklang mit dem neuesten einschlägigen Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim vom 14. September 1979 - VII 2854/78 -, das einen Planfeststellungsbeschluß für den Teilabschnitt einer Schnellbaustrecke betrifft und das sich ua mit nachträglich angeordneten Baumaßnahmen zur Herabsetzung von Erschütterungen befaßt:
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Dieser Änderungsbeschluß sei - so heißt es im Urteil - auch deshalb rechtswidrig, weil er ohne erneutes förmliches Planfeststellungsverfahren erlassen worden sei. Zwar dürfe die Behörde bei Änderungen von unwesentlicher Bedeutung von einem erneuten Verfahren absehen. Zur Feststellung, ob eine Planänderung unwesentlich sei, dürften aber nicht erst Ermittlungen angestellt und Beweise darüber erhoben werden, ob von dem geänderten Vorhaben größere Auswirkungen auf die Umgebung ausgingen als von der ursprünglich geplanten Ausführung. Vielmehr sei eine Planänderung nur dann unwesentlich, wenn solche größeren Auswirkungen "mit Sicherheit auszuschließen" seien; im Zweifel sei - wie bereits der Bayer. Verwaltungsgerichtshof ausgeführt habe (DÖV 1978, S. 766 [768]) - ein erneutes Planfeststellungsverfahren durchzuführen. Dies sei auch im vorliegenden Fall erforderlich gewesen. Der Verfahrensfehler des fehlenden erneuten Verfahrens zwinge zur Aufhebung des Änderungsbeschlusses. Die Kläger seien jedenfalls dadurch in ihren Rechten verletzt, daß sie an der Planänderung nicht beteiligt gewesen seien, obwohl sie daran hätten beteiligt werden müssen. Wesentlicher Bestandteil eines Planfeststellungsverfahrens sei die Anhörung der von dem geplanten Vorhaben Betroffenen un die Erörterung ihrer Einwendungen. Die entsprechenden Vorschriften über das Planfeststellungsverfahren bezweckten auch den Schutz der Planbetroffenen. Werde ein Vorhaben geplant oder die Planung wesentlich geändert, ohne daß ein Planfeststellungsverfahren stattfinde, werde den Planbetroffenen die ihnen vom Gesetz eingeräumte Möglichkeit genommen, durch Geltendmachung von Einwendungen eine Berücksichtigung ihrer Belange zu erreichen. Darin liege eine formelle Rechtsbeeinträchtigung (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1979 - BVerwG 4 C 40.75 -).
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Statt die Frage einer wesentlichen Änderung zum Gegenstand eines förmlichen Genehmigungsverfahrens zu machen, hat die Genehmigungsbehörde ein Verfahren eingeschlagen, das den Betreibern die Errichtung der geänderten Gebäudeanordnung unter völliger Ausschaltung betroffener Dritter ermöglichte. Von der gesetzlich vorgesehenen Verfahrensweise wich sie bereits dadurch ab, daß sie ein besonderes, im Atomrecht nicht geregelten Freigabeverfahren einführte. Dies mochte zwar zulässig und auch geeignet sein, um die Pläne projektbegleitend entsprechend dem jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik fortzuentwickeln, obwohl sich dies auch durch die in § 17 AtomG vorgesehene Möglichkeit nachträglicher Auflagen erreichen lassen dürfte. Diese Verfahrensweise erschwert aber schon durch die Aufsplitterung in weitere Teilentscheidungen den Rechtsschutz betroffener Dritter; sie erleichtert - wie der vorliegende Fall zeigt - das verzögerte Nachschieben geänderter Unterlagen und begünstigt Unklarheiten über die Tragweite früherer Teilbescheide. Vor allem aber reduziert sie in untragbarer Weise die sicherheitstechnische Überprüfung, wenn sie sogar im Falle wesentlicher Änderungen angewendet wird. Zu der hier strittigen Änderung ist ausweislich seiner Stellungnahme weder der Bundesminister des Innern unter Beteiligung der Reaktorsicherheitskommission gehört worden, noch erfolgte eine Auslegung und öffentliche Erörterung der geänderten Unterlagen; auch die Gutachten über Baugrund und Erdbebensicherheit, die Anlaß zu den Änderungen gaben, sind nicht Gegenstand einer Bekanntmachung und Anhörung gewesen. Vielmehr hat die Genehmigungsbehörde lediglich kurzfristig ein Gutachten des TÜV Rheinland eingeholt und sodann durch einen nach ihrer Meinung nicht anfechtbaren Bescheid kurzerhand die Freigabe der geänderten Gebäudeanordnung erklärt. Nachdem auf diese Weise den betroffenen Dritten die Möglichkeit eines vorverlagerten Rechtsschutzes durch Erhebung von Einwendungen genommen worden war, hat die Genehmigungsbehörde obendrein die sofortige Vollziehung ihrer Freigabe angeordnet und damit auch noch verhindert, daß betroffene Dritte die Zulässigkeit der Änderungen wenigstens vor deren Verwirklichung durch die Gerichte überprüfen lassen konnten.
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Wie immer dieses Vorgehen im einzelnen verwaltungsrechtlich zu beurteilen sein mag (kritisch Fromont, Revue du Droit Public, 1978, S. 395 [434]), die Kombination von unterbliebener Anhörung im behördlichen Verfahren und gleichzeitiger Anordnung der sofortigen Vollziehung ist jedenfalls das genaue Gegenteil von einer auf bestmöglichen Grundrechtsschutz ausgerichteten Verfahrensgestaltung. Als Voraussetzung für die vom Regelfall abweichende sofortige Vollziehung einer behördlichen Genehmigung muß zumindest verlangt werden, daß ihr Regelungsgegenstand zuvor mit den Beteiligten erörtert wird und daß ihre Einwendungen Berücksichtigung finden. Der im Atomrecht vorgesehenen und verfassungsrechtlich gebotenen Mitwirkung gefährdeter Dritter am behördlichen Verfahren werden die Gerichte nach unserer Auffassung nur dann gerecht, wenn sie sich in Fällen der vorliegenden Art von folgendem Grundsatz leiten lassen, den in ähnlichem Sinne auch Prof. Bender in seinem Gutachten für geboten erachtet: Wird die Errichtung von Anlagen eines Atomkraftwerks in einer Ausführung genehmigt (freigegeben), die gegenüber den ausgelegten Antragsunterlagen sicherheitsrelevante Änderungen aufweist, und hat über diese Änderung kein behördliches Anhörungsverfahren stattgefunden, so ist die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen den Genehmigungsbescheid jedenfalls bis zur erstinstanzlichen Hauptsache-Entscheidung wieder herzustellen, es sei denn, daß die Anfechtungsklage aus anderen Gründen offensichtlich aussichtslos ist. Schon die vorbeugende Wirkung eines solchen Grundsatzes würde dazu führen, daß Antragsteller und Behörden grundrechtsschützende Verfahrensregeln sorgsam beachten.
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2. Die angegriffene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts hätte aber auch dann aufgehoben werden müssen, wenn man den vorstehenden Grundsatz als zu weitgehend ansieht. Denn jedenfalls läßt sich entgegen der Auffassung der Mehrheit nicht ausschließen, daß die grundsätzlich unrichtige Beurteilung des Verfahrensrechts durch das Oberverwaltungsgericht sowohl die Prüfung der Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage als auch die Interessenabwägung beeinflußt hat.
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a) Die Mehrheit weist zwar zutreffend darauf hin, daß das Oberverwaltungsgericht seine Überlegungen zur Bedeutungslosigkeit von Verfahrensverstößen bereits bei der einleitenden Prüfung der Klagebefugnis angestellt hat. Die damit verbundene Ausklammerung wesentlichen Klagevorbringens mußte sich aber zwangsläufig auf die weitere Prüfung der Erfolgsaussichten auswirken und diese unzulässig verengen. Tatsächlich hat sich das Oberverwaltungsgericht infolge seines Rechtsirrtums von vornherein auf eine unzureichende Teilprüfung beschränkt, nämlich auf die Frage, ob die freigegebene Bauweise von der Ersten Teilgenehmigung abweicht, und lediglich insoweit eine Abweichung als nicht sicher angesehen.
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Schon das Ergebnis dieser verengten Teilprüfung ist - wie in einigen Stellungnahmen mit gewichtigen Gründen geltend gemacht wird - seinerseits angreifbar. Denn da die Genehmigung als Verwaltungsakt mit Doppelwirkung die Rechtspositionen der Betreiber und der betroffenen Dritten voneinander abgrenzt und demgemäß hinreichend klar und bestimmt sein muß, dürfte es mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Rechtssicherheit kaum vereinbar sein, wenn das Oberverwaltungsgericht aus einigen wenigen der insgesamt über hundert Auflagen Folgerungen für die Gebäudeanordnung herleitet, die eindeutig der Beschreibung des Baukonzepts widersprechen, auf die an hervorgehobener Stelle zu Eingang des Bescheides ausdrücklich verwiesen wird; zudem enthält der Bescheid an keiner Stelle eine Begründung dafür, inwiefern es nach dem Stand von Wissenschaft und Technik unter Abweichen vom Genehmigungsantrag gerechtfertigt sein soll, auf die Vorteile der Kompaktbauweise zu verzichten. Ferner erscheint es - wie auch der Bundesminister des Innern darlegt - bedenklich, daß das Oberverwaltungsgericht die von der Genehmigungsbehörde erlassenen Freigabebescheide als Aufsichtsmaßnahmen im Sinne des § 19 AtomG wertet (für die in Rheinland-Pfalz ein anderes Ministerium zuständig ist), statt in ihnen das zu sehen, was sie der Sache nach allein bedeuten, nämlich die endgültige Teilerrichtungsgenehmigung für die jeweils freigegebenen Anlageteile.
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Alle diese Bedenken können indessen auf sich beruhen. Denn bei der verfassungsrechtlich gebotenen Berücksichtigung der gerügten Verfahrensverstöße ging die entscheidende Frage dahin, ob eine wesentliche Änderung ohne Durchführung des vorgeschriebenen Verfahrens genehmigt (freigegeben) worden ist. Da eine Anhörung lediglich über die ursprünglich eingereichten und ausgelegten Pläne für die Kompaktbauweise stattgefunden hatte, ließ sich diese allein maßgebliche Frage nur durch die umfassendere Prüfung beantworten, ob es zwischen dieser Anhörung und der endgültigen Freigabe zu einer wesentlichen Änderung gekommen ist. Mit dieser Frage hat sich aber das Oberverwaltungsgericht überhaupt nicht näher befaßt, sondern sich infolge seines Rechtsirrtums auf den engeren Vergleich zwischen der Ersten Teilgenehmigung und den Freigabebescheiden beschränkt. Schon weil somit das Oberverwaltungsgericht die Frage einer wesentlichen Änderung nicht zureichend geprüft hat, läßt sich entgegen der Ansicht der Mehrheit nicht ausschließen, daß es die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage anders beurteilt haben würde, wenn es den gerügten Verfahrensverstoß in seine Überlegungen einbezogen hätte.
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b) Die grundsätzlich unrichtige Auffassung über die Bedeutung von Verfahrensverletzungen hat darüber hinaus auch die Interessenabwägung des Oberverwaltungsgerichts beeinflußt.
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Infolge seines verengten Ausgangspunkts hat das Oberverwaltungsgericht die Interessen der Beschwerdeführerin unterbewertet. Denn es hat auf deren Seite völlig außer acht gelassen, daß sie durch die unterbliebene Durchführung eines Anhörungsverfahrens in ihren Grundrechten verletzt worden sein könnte und daß zumindest diese Grundrechtsverletzung irreparabel wurde, wenn der angegriffene Bescheid ohne vorherige Anhörung verwirklicht wurde. Daß bei der Interessenabwägung im Rahmen vorläufigen Rechtsschutzes auch die Möglichkeit von Grundrechtsverletzungen ins Gewicht fällt, ist für einstweilige Anordnungen im verfassungsgerichtlichen Verfahren wiederholt ausgesprochen worden (vgl. BVerfGE 34, 341 [344]; 36, 137 [139]; 49, 189 [191]). Für verwaltungsgerichtliche Entscheidungen über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von Anfechtungsklagen kann schon deshalb nichts anderes gelten, weil dieser Suspensiveffekt als Regel vorgeschrieben ist.
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Darüber hinaus bestehen gegen die Interessenabwägung des Oberverwaltungsgerichts noch aus weiteren Gründen verfassungsrechtliche Bedenken, auf die die Mehrheit nicht näher eingeht. Nach Meinung des Oberverwaltungsgerichts muß gegenüber den Interessen der Betreiber an einer sofortigen Vollziehung der Freigabe das entgegenstehende Interesse der Beschwerdeführerin vor allem deshalb weichen, weil sie erst durch den Betrieb, nicht dagegen durch die Errichtung des Atomkraftwerks eine irreparable Rechtsbeeinträchtigung zu befürchten habe. Diese Ausklammerung der Betriebsgefahren aus der Interessenabwägung erscheint uns verfassungsrechtlich bedenklich.
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Die Berücksichtigung betriebsbedingter Gefährdungen bei der Entscheidung über die Vollziehung von Errichtungsgenehmigungen ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Sie ist vom Oberverwaltungsgericht Koblenz schon früher (GewArch 1977, S. 133 [135]) und ebenfalls vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim (DVBl. 1976, S. 538 [547f]) abgelehnt worden. Diesem Standpunkt haben zugestimmt H. (GewArch 1975, S. 67 f.), Fischerhof in einer insoweit zustimmenden Anmerkung zum Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim (DVBl. 1976, S. 549) und in einer ablehnenden Anmerkung zum vorausgegangenen Beschluß des Verwaltungsgerichts Freiburg (DVBl. 1975, S. 343), Scheuten (ET 1975, S. 357 [360] und Häusler [Wirtschaft und Verwaltung 1977, S. 184 [192 ff.]]. Demgegenüber halten eine Berücksichtigung von Betriebsgefahren bei der Interessenabwägung für geboten der Bayer Verwaltungsgerichtshof [GewArch 1975, S. 61 [65]] sowie wegen der Auswirkung zwischenzeitlicher Fakten auf Folgeentscheidungen das Oberverwaltungsgericht Lüneburg [ET 1973, S. 610 [614] sowie DVBl. 1975, S. 190 [193]] und ferner das Verwaltungsgericht Freiburg [DVBl. 1975, S. 343 [347]]. Dieser Auffassung folgen in der Literatur Blüme [DVBl. 1975, S. 695 [702]]; Breuer [NJW 1977, S. 1121 [1128]] und Winters [Atomschutzrecht und Strahlenschutzrecht, S. 104 f. sowie DÖV 1978, S. 265 [269: "Die Antizipation der Gefährdung durch den späteren Anlagenbetrieb im Rahmen der Entscheidung über die sofortige Vollziehbarkeit der Errichtungsgenehmigung wird überwiegend für notwendig gehalten. Dieser Auffassung ist zuzustimmen."]].
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Nach unserer Auffassung gebührt bei verfassungskonformer Auslegung des § 80 Abs. 5 VwGO derjenigen Meinung der Vorzug, die auch bei der Entscheidung über die sofortige Vollziehung von Errichtungsgenehmigungen die jeweils in Betracht kommenden Betriebsgefahren mit berücksichtigt. Auszugehen ist von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach der im Regelfall vorgeschriebene Suspensiveffekt von Anfechtungsklagen eine adäquate Ausprägung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie und ein fundamentaler Grundsatz des öffentlich-rechtlichen Prozesses ist; eine Verwaltungspraxis, die das Regel-Ausnahme-Verhältnis umkehrt, indem etwa Verwaltungsakte der vorliegenden Art generell für sofort vollziehbar erklärt werden, und eine Rechtsprechung, die eine solche Praxis billigt, wäre mit der Verfassung nicht vereinbar (BVerfGE 35, 263 [274]; 35, 382 [402]; 51, 268). Zu einer solchen generellen Umkehr führt aber praktisch unvermeidlich eine Interessenabwägung, die bei der Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage gegen Errichtungsgenehmigungen wiederherzustellen ist, die späteren Betriebsgefahren außer acht läßt. Denn da der Erfolg solcher Anfechtungsklagen nahezu stets offen ist, hängt die Entscheidung in aller Regel von der Interessenabwägung ab; werden aus dieser Abwägung von vornherein etwaige Betriebsgefahren ausgeklammert, läßt sich schwer vorstellen, daß das Interesse Dritter überwiegen könnte und daß der seinen Grundrechtsschutz aus Art. 2 Abs. 2 GG verfolgende Anfechtungskläger bei Errichtungsgenehmigungen jemals eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung erreichen könnte. Daß eine derartige Umkehr des Regel-Ausnahme-Verhältnisses ausgerechnet bei der Errichtung solcher Anlagen, die ein außerordentliches Gefährdungspotential verkörpern, vertretbar sein sollte, leuchtet nicht ein. Überzeugender erscheint die Mahnung des im Bundesministerium des Innern zuständigen Ministerialdirektors S. auf dem Fünften Deutschen Atomrechts-Symposium (S 334), das für Ausnahmen konzipierte Rechtsinstitut der sofortigen Vollziehung müsse im Unterschied zur bisherigen Praxis mit größerer Sorgfalt und vor allem mit größter Zurückhaltung gehandhabt werden.
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Abgesehen von diesen allgemeinen Bedenken kann eine derart eingeschränkte Interessenabwägung auch aus folgenden Gründen dem verfassungsrechtlich gebotenen und durch die geltende gesetzliche Regelung ermöglichten Schutz gefährdeter Dritter nicht gerecht werden. Sie steht schon in einem schwer lösbaren Widerspruch zu den Gründen, aus denen seit dem Würgassen-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nach ganz herrschender Ansicht die Klagebefugnis und Antragsbefugnis nicht deshalb verneint werden kann, weil die angegriffene Genehmigung zunächst nur die Errichtung der Anlage betrifft, während Gefahren erst durch den Betrieb entstehen könnten (vgl. B I 3 des Senatsbeschlusses). Dies beruht letztlich darauf, daß das durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützte "Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit" nicht erst durch eine faktische Verletzung dieser Rechtsgüter beeinträchtigt wird und daß nach dem geltenden Atomrecht schon Errichtungsgenehmigungen zu versagen sind, wenn nicht die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch den Betrieb getroffen wird. Diese gesetzliche Regelung, die in Einklang mit der aus Art. 2 Abs. 2 GG folgenden Schutzpflicht und der mit der Erteilung von Genehmigungen verbundenen staatlichen Mitverantwortung steht, läßt es nicht darauf ankommen, zunächst die Errichtung höchst aufwendiger Anlagen zu tolerieren und dadurch schwerwiegende Fakten zu schaffen und erst hernach zu prüfen, ob diese Fakten wegen unzureichender Sicherheitsvorkehrungen ungenutzt bleiben müssen oder zu ändern oder gar rückgängig zu machen sind. Zwar mag es - wie das Oberverwaltungsgericht ausführt - formal zutreffen, daß dadurch nichts "Unabänderliches" bewirkt wird und daß die zwischenzeitlichen hohen Investitionen eine spätere gerichtliche Entscheidung nicht notwendig beeinflussen müssen. Ist aber eine kostspielige Anlage erst einmal errichtet, besteht für das weitere behördliche, aber auch für das gerichtliche Verfahren zumindest die Gefahr, daß versäumte Schutzvorkehrungen bagatellisiert oder durch zweitklassige Maßnahmen ersetzt werden, indem das ohnehin nur denkbare und wertungsabhängige Risiko als ein zu vernachlässigendes eingestuft wird. Mit Recht folgt daher die gesetzliche Regelung gerade nicht dem Prinzip nachträglicher Überprüfung und Korrekturen, das im übrigen auch für die Genehmigungsinhaber nicht zumutbar wäre. Sie behandelt vielmehr den Baukörper und seine Funktion, Errichtung und Betrieb eines Atomkraftwerks materiell-rechtlich als den einheitlichen Tatbestand, der er wirtschaftlich ist. Sie läßt es lediglich als verfahrensrechtliche Erleichterung zu, Errichtungsgenehmigung und Betriebsgenehmigung zu trennen, setzt aber selbstverständlich voraus, daß durch diese verfahrensrechtliche Erleichterung der gebotene materiell-rechtliche Schutz nicht abgeschwächt wird.
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Die vorstehenden Erwägungen dürfen auch bei einer Interessenabwägung im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO nicht außer acht bleiben. Auch hier darf die verfahrensrechtliche Erleichterung, die Genehmigung eines Kernkraftwerks in mehrere Teilakte aufzuspalten, nicht dazu führen, gefährdete Dritte in ihrer Rechtsposition schlechter zu stellen als in dem Falle, daß eine einheitliche Genehmigung für den Baukörper und seine Funktion ergeht. Auch hier ist es mit einem effektiven Grundrechtsschutz für Dritte, der einer faktischen Verletzung von Leben und Gesundheit vorbeugen will, nicht vereinbar, aus der Interessenabwägung von vornherein die späteren Betriebsgefahren, also ausgerechnet den wichtigsten Anlaß und Gegenstand des staatlichen Genehmigungsverfahrens, auszuklammern und damit den Rechtsschutz des Dritten gerade in dem Punkt zu vernachlässigen, in dem er besonders gewichtig ist.
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Eine Mitberücksichtigung der Betriebsgefahren erscheint - wie auch die Mehrheitsbegründung andeutet - jedenfalls dann unumgänglich, wenn die jeweils strittigen sicherheitstechnischen Vorkehrungen nur auf der Stufe der Errichtung verwirklicht werden können. Gerade darum aber geht im vorliegenden Verfahren der Streit; denn hier ist zu prüfen, ob zum Schutz gegen äußere Einwirkungen an der ursprünglich beantragten Kompaktbauweise festzuhalten ist oder ob auf diese Bauweise im Interesse besserer Erdbebensicherheit verzichtet und auf Ersatzlösungen ausgewichen werden kann. Es ist schwer vorstellbar, daß selbst in einem solchen Fall die mit der baulichen Änderung möglicherweise verbundenen Betriebsgefahren bei der Interessenabwägung völlig außer acht bleiben könnten, ohne daß dadurch der Rechtsschutz der Beschwerdeführerin unzulässig verkürzt wird.
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Nach alledem läßt sich die Ablehnung des Oberverwaltungsgerichts, die aufschiebende Wirkung der von der Beschwerdeführerin eingelegten Anfechtungsklage wieder herzustellen, aus mehreren Gründen nicht aufrechterhalten. Nachdem das erstinstanzliche Gericht dem Wiederherstellungsbegehren der Beschwerdeführerin stattgegeben hatte, wäre den wohlverstandenen Interessen aller Beteiligten doch wohl besser gedient gewesen, wenn die Betreiber diese Entscheidung hätten gelten lassen und die Behörde das versäumte Genehmigungsverfahren beschleunigt nachgeholt hätte. Alsdann hätte ohne Präjudizierung durch übereilte Investitionen auch die wesentlich gewichtigere Frage rechtzeitig geklärt werden können, ob das Atomkraftwerk nicht überhaupt in ein weniger dicht besiedeltes Gebiet zu verlegen wäre, dessen erdbebensicherer Untergrund zugleich die als vorteilhaft angesehene Kompaktbauweise gestattet.
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