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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: A. Tschentscher, Djamila Strößner | |||
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des Zweiten Senats vom 15. April 1980 |
-- 2 BvR 842/77 -- |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn St... gegen a) das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. März 1977 - I C 68.76 -, b) das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. Juli 1975 - 43 V 71 -, c) das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 21 Juli 1971 - 6 II 71 -, d) den Bescheid der Stadt Kitzingen vom 16. Juli 1970. |
Entscheidungsformel: |
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. |
Gründe: | |
A. -- I. | |
1. Der 1913 in K. geborene Beschwerdeführer, der einer jüdischen Familie entstammt, erwarb durch Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit. 1934 begab er sich zu Studienzwecken in die Schweiz. Auf Grund § 2 des Gesetzes über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933 (RGBl. I S 480) erklärte ihn der Reichsminister des Innern im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Auswärtigen durch Bekannt ![]() ![]() | 1 |
Nach dem 8. Mai 1945 kehrte der Beschwerdeführer nicht mehr nach Deutschland zurück. Er siedelte im Frühjahr 1946 von der Schweiz in die Vereinigten Staaten von Amerika über, deren Staatsangehörigkeit er am 3. Dezember 1951 erwarb.
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2. Im Mai 1970 beantragte der Beschwerdeführer bei der Stadt K. festzustellen, bis zu welchem Zeitpunkt er die deutsche Staatsangehörigkeit innehatte; er benötige für ein Wiedergutmachungsverfahren die Feststellung, daß seine Ausbürgerung rechtswidrig gewesen sei und er bis zum 3. Dezember 1951 die deutsche Staatsangehörigkeit besessen habe.
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Die Stadt K. erließ am 16. Juli 1970 folgenden Bescheid:
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I. Es wird festgestellt, daß Herr K. St., geboren am 22. November 1913 in K., wohnhaft in ... , mit Wirkung vom 4. Mai 1940 die deutsche Staatsangehörigkeit verloren hat.
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II. Ein Wiedererwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ist bislang nicht erfolgt.
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3. Nach erfolglosem Widerspruch erhob der Beschwerdeführer Klage.
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a) Vor dem Verwaltungsgericht beantragte er sinngemäß, den Bescheid der Stadt K. vom 16. Juli 1970 und den Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 18. November 1970 aufzuheben und die Stadt K. zu verpflichten festzustellen, daß er bis zum Erwerb der amerikanischen Staatsangehörigkeit am 3. Dezember 1951 deutscher Staatsangehöriger gewesen sei.
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Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Die Anfechtungsklage und Verpflichtungsklage sei zwar statthaft. Nachdem die Stadt K. über das Begehren des Beschwerdeführers durch einen ![]() ![]() | 9 |
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Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof änderte das erstinstanzliche Urteil. Er hob Nr I des Bescheids der Stadt K. vom 16. Juli 1970 und den sie betreffenden Teil des Widerspruchsbescheids der Regierung von Unterfranken vom 18. November 1970 auf. Im übrigen wurde die Klage abgewiesen.
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Die Ausbürgerung des Beschwerdeführers sei unter Anlegung der vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 14. Februar 1968 (BVerfGE 23, 98) entwickelten Maßstäbe als von Anfang an nichtig zu erachten, weil sie allein auf Grund der jüdischen Abstammung erfolgt sei und daher gegen das für alle Bereiche des Rechts geltende Willkürverbot verstoßen habe. Nur wegen der im Hinblick auf seine Abstammung zu befürchtenden Verfolgungsmaßnahmen durch das nationalsozialistische Regime sei der Beschwerdeführer gehindert gewesen, nach Deutschland zurückkehren und dadurch der Ausbürgerung zu entgehen. Da sich die Einzelausbürgerung des Beschwerdeführers als nichtig erweise, könne die von der Verwaltungsbehörde getroffene Feststellung, der Beschwerdeführer habe seine deutsche Staatsangehörigkeit verloren, keinen Bestand haben. Dem stehe Art 116 Abs 2 GG nicht entgegen. Das weitere Begehren des Beschwerdeführers, die Verwaltungsbehörde zu der Feststellung zu verpflichten, er sei bis zum Erwerb der amerikanischen Staatsangehörigkeit, durch den er nach den allgemeinen staatsangehörigkeitsrechtlichen Bestimmungen seine deutsche Staatsangehörigkeit verloren habe, deutscher Staatsangehöriger gewesen, sei dagegen unbegründet. Solange ein Betroffener von den Möglichkeiten des Art 116 Abs 2 GG keinen Gebrauch mache, werde er von der Bundesrepublik Deutschland nicht als Deutscher betrachtet, unbeschadet des Umstandes, daß er die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren habe. Damit trage Art 116 Abs 2 GG dem Gedanken Rechnung, daß einem Verfolgten die deutsche Staatsangehörigkeit nicht aufgedrängt werden dürfe. Bislang habe der Beschwerdeführer sich weder durch die Stel ![]() ![]() | 12 |
c) Die gegen das Berufungsurteil eingelegte Revision des Beschwerdeführers wies das Bundesverwaltungsgericht (DÖV 1978, S 109) zurück. Das angefochtene Urteil verletze nicht Bundesrecht.
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Der sachlich-rechtlichen Überprüfung durch das Revisionsgericht stehe allein das Begehren des Beschwerdeführers offen festzustellen, daß er bis zum 3. Dezember 1951 die deutsche Staatsangehörigkeit besessen habe. Der darüber hinausgehende Antrag festzustellen, er sei noch deutscher Staatsangehöriger, scheitere schon daran, daß er erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist (§ 139 Abs 1 und 2 VwGO) gestellt worden sei. Im übrigen hätte er auch in der Sache keinen Erfolg haben können.
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Dem Begehren des Beschwerdeführers festzustellen, er sei bis zum Erwerb der amerikanischen Staatsangehörigkeit am 3. Dezember 1951 deutscher Staatsangehöriger gewesen, habe das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum nicht stattgegeben. Der Grundgesetzgeber habe sich bei der Regelung des Art 116 Abs 2 GG von dem Gedanken leiten lassen, daß keinem Verfolgten die deutsche Staatsangehörigkeit gegen seinen Willen aufgedrängt werden solle. Der Beschwerdeführer hätte für die Zeit bis zum 3. Dezember 1951 nach Art 116 Abs 2 GG nur dann als Deutscher "betrachtet" werden können, wenn er sich durch Wohn ![]() ![]() | 15 |
II. | |
Mit seiner gegen die Entscheidungen der Verwaltungsbehörde und der Verwaltungsgerichte gerichteten Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechts aus Art 3 Abs 1 GG geltend. Er beantragt, grundsätzlich festzustellen, daß er nach wie vor deutscher Staatsangehöriger sei.
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Er sei im Jahre 1940 durch einen willkürlichen Akt des nationalsozialistischen Regimes gegen seinen Willen ausgebürgert worden. 1951 habe er sich gezwungen gesehen, die Staatsangehörigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika zu erwerben, weil er in den Vereinigten Staaten gelebt habe und vogelfrei gewesen sei. Die Voraussetzungen des Art 116 Abs 2 GG könne er nicht mehr erfüllen. Eine Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland sei ihm nicht zuzumuten. Er sei blind und krank und könne in seinem Zustand nicht nach Deutschland reisen. Mit einem Antrag auf Wiedereinbürgerung würde er seine amerikanische Staatsbürgerschaft gefährden. Die Regierung der Vereinigten Staaten erlaube nicht, daß ein amerikanischer Bürger einen förmlichen Antrag auf Wiedereinbürgerung stelle. Sie sehe darin einen Beweis für dessen Willen, die amerikanische Staatsbürgerschaft aufzugeben. Deshalb habe er lediglich beantragt, festzustellen, daß er die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren habe. Gegen die Feststellung, daß ein ameri ![]() ![]() | 17 |
Die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts verletzten den Gleichheitssatz des Grundgesetzes. Er werde als Ausländer behandelt, obwohl er mit seinem Feststellungsantrag einen entgegengesetzten Willen deutlich zum Ausdruck gebracht habe. Die Gerichte gingen zwar zutreffend davon aus, daß seine Ausbürgerung nichtig gewesen sei und daß ihm nach Art 116 Abs 2 GG grundsätzlich die freie Wahl offenstehe, die deutsche Staatsangehörigkeit wieder zu beanspruchen oder nicht. Wenn sie aber die Auffassung verträten, daß Art 116 Abs 2 GG nur die beiden dort genannten Wege zulasse, um sich auf die deutsche Staatsangehörigkeit berufen zu können, nicht jedoch eine Willensäußerung in der Form der beantragten Feststellung, so sei dies willkürlich. Art 116 Abs 2 GG diene dem Schutz der rassisch Verfolgten. Durch seine Anwendung dürften deren Rechte nicht gemindert werden. Der Verfassungsgeber habe den Verfolgten nicht die Wahl zwischen zwei Willensäußerungsformen aufzwingen wollen, erst recht nicht zwischen solchen, die der Betroffene auf keinen Fall benutzen könne oder dürfe. Art 116 Abs 2 GG bezwecke die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts. Bei der Wiedergutmachung müsse der materiellen Gerechtigkeit der Vorrang vor dem formalen Recht eingeräumt werden.
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Den ergänzenden Klageantrag festzustellen, daß er weiterhin deutscher Staatsangehöriger sei, habe er schon im Berufungsverfahren gestellt. Es habe sich daher erübrigt, diesen Antrag vor dem Bundesverwaltungsgericht neuerlich zu stellen.
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Der Beschwerdeführer hat eine Auskunft des Justizministeriums der Vereinigten Staaten von Amerika vom 1. August 1973 vorgelegt. Darin heißt es:
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Insofar as Article 116(2) is concerned, it is clear that the reacquisition of German nationality is not automatic and is conditioned upon affirmative action by the former national, namely, ![]() ![]() | 21 |
Im Hinblick auf die darin zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung hat der Beschwerdeführer im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren mehrmals ausdrücklich erklärt, daß er sich gehindert sehe, einen Antrag Art. 116 Abs 2 GG zu stellen.
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Der Beschwerdeführer, der zunächst vorgetragen hatte, er benötige die Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit bei der Verfolgung sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche, hat dem Bundesverfassungsgericht mitgeteilt, daß er an seiner Verfassungsbeschwerde auch nach dem Inkrafttreten der ihn insoweit begünstigenden Regelungen in Art 16 Abs 1 der Vereinbarung vom 21. Juni 1978 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über soziale Sicherheit (BGBl. 1979 II S 566) festhalte.
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III. | |
Zu der Verfassungsbeschwerde haben sich für die Bundesregierung der Bundesminister des Innern und für die Regierung des Freistaates Bayern der Bayerische Ministerpräsident geäußert.
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1. Der Bundesminister des Innern hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig, soweit sie die Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers zum gegenwärtigen ![]() ![]() | 25 |
Soweit es um die Ablehnung der Feststellung gehe, daß der Beschwerdeführer bis zum Erwerb der amerikanischen Staatsangehörigkeit am 3. Dezember 1951 deutscher Staatsangehöriger gewesen sei, dürfte die Verfassungsbeschwerde dagegen zulässig und auch begründet sein. Auszugehen sei von der Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts, daß nationalsozialistischen "Rechts"-vorschriften die Geltung als Recht abzuerkennen sein könne, wenn sie fundamentalen Prinzipien der Gerechtigkeit so evident widersprächen, daß der Richter, der sie anwenden oder ihre Rechtsfolgen anerkennen wollte, Unrecht anstatt Recht spräche. Nach diesem Grundsatz sei die Ausbürgerung des Beschwerdeführers als nichtig anzusehen.
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Bei einer primär auf den Wortlaut abstellenden Auslegung des Art 116 Abs 2 GG wäre für das Feststellungsbegehren des Beschwerdeführers kein Raum. Er erfülle die Voraussetzungen dieser Bestimmung nicht. Bei einer die Entstehungsgeschichte berücksichtigenden, sinnorientierten und zweckorientierten Auslegung ergebe sich jedoch eine andere Bewertung.
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Durch die Regelung des Art 116 Abs 2 GG habe der Verfassungsgeber das durch das nationalsozialistische Vorgehen begangene krasse Unrecht wiedergutmachen wollen. Um den Lebensverhältnissen der von den Ausbürgerungen Betroffenen Rechnung zu tragen, habe er es für zweckmäßig erachtet, es nicht bei der sich aus der Nichtigkeit der Ausbürgerungen ergebenden Folge zu belassen, daß die Ausgebürgerten nach wie vor deutsche Staatsangehörige seien und auch als solche in Anspruch genommen werden könnten. Er habe die Staatsangehörigkeitsverhältnisse der Ausgebürgerten vielmehr in Art 116 Abs 2 GG besonders geordnet. Bei Verfolgten, die ihren Wohnsitz nach dem 8. Mai 1945 nicht in Deutschland begründet hätten, spre ![]() ![]() ![]() ![]() | 28 |
Damit sei allerdings noch nicht gesagt, daß der Verfolgte, der inzwischen eine fremde Staatsangehörigkeit erworben und dadurch die deutsche Staatsangehörigkeit gemäß § 25 Abs 1 des Reichsgesetzes und Staatsangehörigkeitsgesetzes (RuStAG) verloren habe, nachträglich die Feststellung begehren könne, er habe bis zur Erfüllung dieses Verlusttatbestandes, also in einem Zeitraum, in dem die deutsche Staatsangehörigkeit "geruht" habe, die deutsche Staatsangehörigkeit besessen. Auch nach Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit könne ein rechtliches Interesse an der Feststellung ihres früheren Bestehens gegeben sein. Ein solches Interesse sei im vorliegenden Fall im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unterstellt worden. Der nachträglichen Berufung auf den früheren Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit stünden keine durchgreifenden Gründe entgegen. In Fällen unmittelbar verfolgungsbedingten Erwerbs einer fremden Staatsangehörigkeit könne dieser nicht als Ausdruck einer Abwendung von Deutschland gewertet werden. Ein solcher Schritt könne auch nicht zur Verwirkung des Rechts aus Art 116 Abs 2 GG führen. Die Wirkung der rückwirkenden Berufung auf die inzwischen erloschene deutsche Staatsangehörigkeit, daß aus der für die Vergangenheit reaktivierten zweiseitigen Rechtsbeziehung zwischen Staat und Bürger diesem nur noch Vorteile erwachsen könnten, erscheine mit der Zielsetzung des Art 116 Abs 2 GG als einer Wiedergutmachungsvorschrift vereinbar.
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Es ergebe sich somit, daß der Beschwerdeführer bis zum Erwerb der amerikanischen Staatsangehörigkeit deutscher Staatsangehöriger gewesen sei und daß er sich durch seinen Antrag wirksam auf die deutsche Staatsangehörigkeit habe berufen können. Die Verweigerung der begehrten Feststellung stelle deshalb eine mit dem Gleichheitssatz unvereinbare Benachteiligung dar.
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2. Der Bayerische Ministerpräsident hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Das Urteil des Bundesverwaltungs ![]() ![]() | 31 |
Der Beschwerdeführer hätte somit für die Zeit bis zum 3. Dezember 1951 nur dann als Deutscher betrachtet werden können, wenn er sich durch Wohnsitzbegründung oder durch Antragstellung auf die deutsche Staatsangehörigkeit berufen hätte. Durch seinen Einbürgerungsantrag in den Vereinigten Staaten habe er aber gerade einen entgegengesetzten Willen zum Ausdruck gebracht. Ihm könne ein Anspruch auf "Einbürgerung" nicht mehr zugebilligt werden. Wer im Bewußtsein der Möglichkeit des "Wiedererwerbs" der deutschen Staatsangehörigkeit freiwillig auf Antrag eine fremde Staatsangehörigkeit erworben habe, könne nicht besser gestellt werden, als ein deutscher Staatsangehöriger. Der Anspruch auf Einbürgerung müsse in diesem Fall, ebenso wie für einen deutschen Staatsangehörigen die deutsche Staatsangehörigkeit, gemäß § 25 Abs 1 RuStAG verlorengehen.
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B. | |
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist das Begehren des Beschwerdeführers festzustellen, daß er vor dem Erwerb der Staatsangehörigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika am 3. Dezember 1951 deutscher Staatsangehöriger war und nach wie vor geblieben ist.
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Die Verfassungsbeschwerde richtet sich ausdrücklich nur gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. März 1977. Der Beschwerdebegründung ist aber zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer auch den im gerichtlichen Verfahren aufrechterhaltenen Teil des Bescheids der Stadt K. vom 16. ![]() ![]() | 34 |
Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig und teilweise unbegründet.
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I. | |
1. Soweit die Verfassungsbeschwerde das Begehren des Beschwerdeführers betrifft festzustellen, daß er nach wie vor deutscher Staatsangehöriger sei, ist sie unzulässig, weil der Rechtsweg nicht erschöpft ist (§ 90 Abs 2 Satz 1 BVerfGG).
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Der in § 90 Abs 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde erfordert es, daß Verfassungsverstöße zunächst im Instanzenzug geltend gemacht werden, um eine Abhilfe durch die Fachgerichte zu ermöglichen. Dem Erfordernis der Erschöpfung des Rechtswegs ist aber dann nicht genügt, wenn ein Verfassungsverstoß im Instanzenzug zwar gerügt wurde, jedoch deshalb nicht nachgeprüft werden konnte, weil die Rüge nach den Vorschriften des Prozeßrechts verspätet war (vgl. BVerfGE 16, 124 [127]).
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Das Bundesverwaltungsgericht war gemäß § 139 Abs 1, Abs 2 Satz 2 VwGO gehindert, sich mit dem erweiterten Feststellungsantrag des Beschwerdeführers in der Sache zu befassen, weil der Antrag erst nach Ablauf der Frist für die Revisionsbegründung gestellt wurde. Daß der Beschwerdeführer bereits im Berufungsverfahren sein Klagebegehren erweitert hatte, vermag daran nichts zu ändern. Der Gegenstand des Revisionsverfahrens wird allein durch die in diesem Verfahren gestellten Anträge bestimmt.
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Das Bundesverfassungsgericht kann im übrigen nicht nachprüfen, ob der Verwaltungsgerichtshof die Erweiterung des Klagebegehrens zur Kenntnis genommen und in Erwägung ge ![]() ![]() | 39 |
2. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit sie das Begehren des Beschwerdeführers betrifft festzustellen, daß er bis zum 3. Dezember 1951 deutscher Staatsangehöriger war.
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a) Der Rechtsweg ist erschöpft (§ 90 Abs 2 Satz 1 BVerfGG). Die zunächst gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. Juli 1975 gerichtete Verfassungsbeschwerde ist inzwischen jedenfalls dadurch zulässig geworden, daß der Beschwerdeführer das Revisionsverfahren beim Bundesverwaltungsgericht durchgeführt hat (BVerfGE 2, 105 [109]).
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b) Der Beschwerdeführer hat sein Rechtsschutzbedürfnis für die Verfassungsbeschwerde hinreichend dargetan. Die von ihm angegriffene Ablehnung der beantragten behördlichen Feststellung seiner deutschen Staatsangehörigkeit ist ein Akt der öffentlichen Gewalt im Sinne des Art 93 Abs 1 Nr 4a GG. Die Verwaltungsgerichte haben sein rechtliches Interesse an der Feststellung seiner Staatsangehörigkeit bejaht. Im Hinblick auf die weitreichenden Folgen, die der Besitz oder Nichtbesitz einer Staatsangehörigkeit nach sich ziehen, ist von einem solchen Interesse auch für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde auszugehen, ohne daß es einer näheren Prüfung der Gründe bedürfte, weswegen der Beschwerdeführer die Feststellung seiner Staatsangehörigkeit beantragt hat.
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c) Der Antrag, das Bundesverfassungsgericht selbst möge die deutsche Staatsangehörigkeit feststellen, ist allerdings unstatthaft. Mit der Verfassungsbeschwerde können nur die aus § 95 BVerfGG ersichtlichen Ziele verfolgt werden. Gemäß § 95 Abs 2 BVerfGG ist das Bundesverfassungsgericht aber grundsätzlich nur befugt, die angegriffenen Entscheidungen aufzuheben und die Sache an ein zuständiges Gericht zurückzuverweisen.
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II. | |
1. Das Bundesverfassungsgericht ist bei der verfassungsrecht ![]() ![]() | 44 |
Als weiterer Prüfungsmaßstab könnte Art 16 Abs 1 GG in Betracht kommen. Diese Bestimmung führt indes im vorliegenden Fall im Vergleich zu Art 116 Abs 2 GG nicht zu einer weitergehenden verfassungsrechtlichen Prüfung oder zu einer weiterreichenden Wirkung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Art 16 Abs 1 GG setzt das Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit voraus. Die hier vorrangige Frage, ob der Beschwerdeführer bis zum 3. Dezember 1951 Deutscher war, ist allein nach Art 116 Abs 2 GG zu beurteilen.
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2. Soweit sie zulässig ist, ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.
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Die angegriffenen Entscheidungen stehen mit Art 116 Abs 2 GG in Einklang. Nach dieser Vorschrift sind "frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die deutsche Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, ... auf Antrag wieder einzubürgern. Sie gelten als nicht ausgebürgert, sofern sie nach dem 8. Mai 1945 ihren Wohnsitz in Deutschland genommen haben und nicht einen entgegengesetzten Willen zum Ausdruck gebracht haben".
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a) Die Verfasser des Grundgesetzes gingen bei der Abfassung des Art 116 Abs 2 GG von der Überzeugung aus, daß der durch Akte des nationalsozialistischen Staates aus rassenideologischen Gründen angeordnete Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit krasses Unrecht darstellte. Das beruht auf der Einsicht, daß Geltungsanordnungen, sollen sie als Recht gelten, die ![]() ![]() | 48 |
b) Das Bundesverfassungsgericht hat in der Entscheidung vom 14. Februar 1968 (BVerfGE 23, 98 [106]) aus der Erkenntnis, daß Geltungsanordnungen des nationalsozialistischen Regimes der Gültigkeit als Recht entbehren können, für die dort in Rede stehende Verordnung die Folgerung gezogen, daß sie als von Anfang an nichtig zu erachten sei. Dem liegt die Erwägung zugrunde, daß eine an der Idee der Gerechtigkeit sich ausrichtende Rechtsordnung solche Akte nicht schlechthin als rechtmäßige Akte behandeln darf und daß die Nichtigkeit als eine der möglichen Sanktionen für solche Art Unrecht geeignet ist, das Recht wiederherzustellen.
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An dieser Auffassung hält das Bundesverfassungsgericht fest. Auch die auf Grund des § 2 des Gesetzes über Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933 (RGBl. I S 480) aus rassenideologischen Gründen ausgesprochene Einzelausbürgerung in Fällen, wie dem des Beschwerdeführers, ist unter dem Grundgesetz als nichtig, das heißt als von Anfang an unheilbar unwirksam, anzusehen. Auch sie ist im Zusammenhang mit der na ![]() ![]() | 50 |
c) Art 116 Abs 2 GG dient der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts im Bereich des Staatsangehörigkeitsrechts (BVerfGE 8, 81 [86, 88]).
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Die Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland können die Tatsachen nicht ungeschehen machen, die durch die Unrechtsmaßnahmen der Nationalsozialisten geschaffen worden sind. Die Ausbürgerung von Juden im Sinne der nationalsozialistischen Gesetzgebung bleibt ein historisches Geschehen, das als solches nicht nachträglich beseitigt werden kann. Art 116 Abs 2 GG will das Unrecht, das den ausgebürgerten Verfolgten angetan worden ist, im Rahmen des Möglichen ausgleichen. Die Diskriminierung, die in der willkürlichen Ausbürgerung jüdischer Mitbürger lag, sollte indes nicht dadurch wiedergutgemacht werden, daß sich der deutsche Staat neuerlich über den Willen der Betroffenen hinwegsetzte, sondern allein dadurch, daß er ihren Willen nunmehr respektierte (vgl. BVerfGE 23, 98 [107]). Es ist der Sinn des Art 116 Abs 2 GG, die politisch, rassisch und religiös Verfolgten nicht gegen ihren Willen an der deutschen Staatsangehörigkeit festzuhalten (vgl. BVerfGE 23, 98 [108 ff.]). Sie sollen frei entscheiden können, ob sie nach dem ihnen zugefügten Unrecht noch deutsche Staatsangehörige sein wollen. Der Verfassungsgeber hat damit auch dem Umstand Rechnung getragen, daß es wegen der tatsächlichen Folgen der Ausbürgerung für viele Betroffene nachteilig gewesen wäre, wenn sie ohne weiteres nach wie vor als deutsche Staatsangehörige betrachtet worden wären. Nachteile hätten sich insbesondere für diejenigen Verfolgten ergeben können, die in der Emigration eine andere Staatsangehörigkeit erworben haben; sie hätten in die Gefahr geraten können, diese Staatsangehörigkeit auf Grund fremden Rechts zu verlieren. Das Grundgesetz hat die Rechtsunsicherheit, die durch die Einräumung eines freien Entscheidungsrechts der Verfolgten in Bezug auf ihre deutsche ![]() ![]() | 52 |
d) Art 116 Abs 2 GG unterscheidet nicht zwischen solchen Verfolgten, die in der Folge der nationalsozialistischen Ausbürgerungen die deutsche Staatsangehörigkeit aus einem anderen Rechtsgrund, insbesondere durch den Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit (§§ 17 Nr 2, 25 RuStAG) verloren haben, und solchen Verfolgten, bei denen dies nicht der Fall ist. Für diejenigen Verfolgten, die die deutsche Staatsangehörigkeit aus anderem Rechtsgrund verloren haben, liegt die Bedeutung des Art 116 Abs 2 GG darin, daß sie unter den (erleichterten) Voraussetzungen dieser Bestimmung die Wiedereinbürgerung herbeiführen können. Für diejenigen Verfolgten, die eine fremde Staatsangehörigkeit nicht erworben haben, liegt die Bedeutung des Art 116 Abs 2 GG darin, daß die Bundesrepublik Deutschland sie nicht als Deutsche betrachtet, solange sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Wohnsitzbegründung oder Antragstellung geltend machen (BVerfGE 23, 98 [108]). Damit ist auch diesen Verfolgten eine freie Entscheidung über ihre deutsche Staatsangehörigkeit eröffnet, unbeschadet des Umstandes, daß sie die deutsche Staatsangehörigkeit durch Ausbürgerung nicht verloren haben.
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Solange ein Verfolgter von der Möglichkeit, die deutsche Staatsangehörigkeit geltend zu machen, keinen Gebrauch macht, wird er von der Bundesrepublik Deutschland nicht als Deutscher betrachtet. Das bedeutet, daß seine deutsche Staatsangehörigkeit für den Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland im Rechtsverkehr nicht geltend gemacht werden kann. Die Bundesrepublik Deutschland darf den Verfolgten nicht als deutschen Staatsangehörigen behandeln. Allerdings kann in diesem Fall auch der Betroffene sich gegenüber der Bundesrepublik Deutschland auf die deutsche Staatsangehörigkeit nicht berufen. Art 116 Abs 2 GG versteht die deutsche Staatsangehörigkeit als ein umfassendes Rechtsverhältnis, aus dem Rechte und Pflichten erwachsen. Die Bestimmung unterscheidet nicht zwi ![]() ![]() | 54 |
e) Seinen Willen, deutscher Staatsangehöriger zu sein, bringt der Verfolgte durch Wohnsitzbegründung (Art 116 Abs 2 Satz 2 GG) oder durch Antragstellung (Art 116 Abs 1 Satz 1 GG) zum Ausdruck. Der vorliegende Fall gibt keine Veranlassung, der Frage im einzelnen nachzugehen, wann diese Voraussetzungen erfüllt sind. Allerdings ist dem Erfordernis der Rechtssicherheit Rechnung zu tragen, der bei Staatsangehörigkeitsverhältnissen im Hinblick auf die weitreichenden Folgen, die der Besitz oder Nichtbesitz der Staatsangehörigkeit nach sich ziehen, besonderes Gewicht zukommt. Der Betroffene muß deshalb seinen Willen Deutscher zu sein, hinreichend deutlich zum Ausdruck bringen.
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Bei Erklärungen eines Verfolgten zu seiner deutschen Staatsangehörigkeit müssen die Behörden und Gerichte freilich auch berücksichtigen, daß sie möglicherweise aus Gründen, die in der Beziehung des Verfolgten zu dem Land liegen, in dem er nach der Ausbürgerung Aufnahme gefunden hat, zurückhaltend formuliert und nicht als "förmlicher" Antrag gefaßt sind. An einen Antrag im Sinne des Art 116 Abs 2 Satz 1 GG sind deshalb keine übermäßig strengen Anforderungen zu stellen. Die Auslegung einer Erklärung als Antrag verbietet sich allerdings dann, wenn der Verfolgte ausdrücklich bekundet, er wolle einen Antrag nicht stellen.
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f) Daß sich die durch Art 116 Abs 2 GG getroffene Regelung zur Wiedergutmachung des durch nationalsozialistische Ausbürgerungen zugefügten Unrechts im Einzelfall für den Verfolgten nachteilig auswirken kann, ist nicht zu verkennen. Es ist die Folge der grundsätzlichen Entscheidung des Verfassungsgebers, die deutsche Staatsangehörigkeit nicht automatisch wie ![]() ![]() | 57 |
Die deutsche Rechtsordnung kann die Nachteile, die durch die Entscheidung eines Verfolgten für die deutsche Staatsangehörigkeit in seiner Beziehung zu dem Land eintreten können, in dem er nach der Ausbürgerung Aufnahme gefunden hat, nicht verhindern. Der Verfassungsgeber hat es als zumutbar erachtet, daß der Betroffene sie in Kauf nimmt. Die Entscheidungsfreiheit wurde ihm gerade auch wegen solcher möglicher Nachteile eingeräumt. Er kann sie nur dadurch vermeiden, daß er sich auf die deutsche Staatsangehörigkeit nicht mehr beruft.
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g) Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, daß Art 116 Abs 2 GG nur in den Fällen anzuwenden ist, in denen der Verfolgte nach dem 8. Mai 1945 die Möglichkeit hat oder hatte, seinen Willen zu bekunden und damit den einen oder den anderen der in Art 116 Abs 2 GG genannten Tatbestände zu erfüllen (BVerfGE 23, 98 [111 f.]). Es hat daraus den Schluß gezogen, daß Art 116 Abs 2 GG keine Regelung für Verfolgte enthält, die vor dem 8. Mai 1945 verstorben sind. Für zu diesem Zeitpunkt Lebende trifft die Vorschrift hingegen eine grundsätzliche abschließende Regelung. Es erscheint allerdings denkbar, daß in Ausnahmefällen auch solchen Personen die Möglichkeit verwehrt ist und war, ihren Willen, Deutsche zu sein, zu bekunden. Dies ist freilich nicht schon dann anzunehmen, wenn eine nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes einmal bestehende Möglichkeit zur Willensbekundung inzwischen fortgefallen ist. Im übrigen kann im vorliegenden Verfahren dahinstehen, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Ausnahmefall vorliegt.
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h) Die durch die Bekanntmachung des Reichsministers des Innern vom 29. April 1940 erklärte Ausbürgerung des Beschwerdeführers hatte ihren Grund in seiner jüdischen Abstammung. Sie war von Anfang an nichtig. Der Beschwerdeführer hat dadurch die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren.
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Gleichwohl war die von ihm begehrte behördliche Feststel ![]() ![]() | 61 |
Der Beschwerdeführer hat nach dem 8. Mai 1945 seinen Wohnsitz nicht wieder in Deutschland genommen (Art 116 Abs 2 Satz 2 GG). Er hat sich auch nicht durch einen Antrag auf die deutsche Staatsangehörigkeit berufen (Art 116 Abs 2 Satz 1 GG). Sein 1970 bei der Stadt K. gestellter Feststellungsantrag und seine weiteren in den behördlichen und verwaltungsgerichtlichen Verfahren sowie in dem vorliegenden Verfahren abgegebenen Erklärungen können schon deshalb nicht als Antrag gemäß Art 116 Abs 2 Satz 1 GG verstanden werden, weil er stets ausdrücklich erklärt hat, er wolle einen solchen Antrag nicht stellen, um seine amerikanischen Staatsangehörigkeit nicht zu gefährden.
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Es fehlt an Anhaltspunkten dafür, daß dem Beschwerdeführer nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes die Möglichkeit verwehrt war, die Voraussetzungen des Art 116 Abs 2 GG zu erfüllen. Zwar kam wegen seiner gesundheitlichen Behinderung eine Aufenthaltsnahme in Deutschland möglicherweise nicht in Betracht. Der Beschwerdeführer war aber nicht gehindert, einen Antrag gemäß Art 116 Abs 2 Satz 1 GG zu stellen. Daß er dies mit Rücksicht auf seine amerikanische Staatsangehörigkeit nicht getan hat, beruht auf seiner freien Entscheidung. Art 116 Abs 2 GG will gerade diese Freiheit respektieren. Wenn fremde Rechtsordnungen nachteilige Folgen an die Stellung eines Antrags nach Art 116 Abs 2 GG knüpfen, ist das dem Einfluß der deutschen Rechtsordnung entzogen. Das allein läßt die Erfüllung des Antragserfordernisses in Art 116 Abs 2 GG nicht als unzumutbar oder gar die Regelung selbst als Verstoß gegen ein überverfassungsrechtliches Willkürverbot erscheinen. ![]() | 63 |
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4. Eine Verletzung sonstiger Grundrechte oder grundrechtsgleicher Rechte des Beschwerdeführers ist nicht ersichtlich.
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III. | |
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist allein das Begehren des Beschwerdeführers festzustellen, daß er deutscher Staatsangehöriger war und ist. Die Entscheidung in diesem Verfahren besagt nichts darüber, ob es in anderen Zusammenhängen ausgeschlossen wäre zu berücksichtigen, daß der Beschwerdeführer durch seine Ausbürgerung im Jahre 1940 die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren hatte. Denn es bleibt festzuhalten: Die Ausbürgerung des Beschwerdeführers durch das nationalsozialistische Regime war willkürlich und nichtig.
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IV. | |
Diese Entscheidung ist mit sechs Stimmen gegen eine Stimme ergangen.
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Zeidler Rinck Wand Hirsch Rottmann Niebler Steinberger![]() |
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1. Dem Beschluß des Senats kann nicht zustimmen, wer seine Ausgangsfeststellung ernst nimmt: Die Ausbürgerung des Beschwerdeführers durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft war eine in krassem Widerspruch zu fundamentalen Gerechtigkeitsprinzipien stehende, dem Ziel der Ausrottung der deutschen und europäischen Juden dienende Maßnahme. Sie kann unter dem Grundgesetz keine Gültigkeit beanspruchen. Wenn somit die Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit nichtig war, kann mit der Wiedereinbürgerung im Sinne des Art 116 Abs 2 Satz 1 GG nicht gemeint sein eine konstitutive Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit. Den Status des deutschen Staatsangehörigen hatten die "ausgebürgerten" Verfolgten nicht verloren.
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Die Wiedereinbürgerung im Sinne dieser Verfassungsbestimmung kann danach nur bedeuten, unter Mitwirkung des Betroffenen das bestehende, aber vorübergehend auf seiten des Staates und des Staatsangehörigen nicht ausgeübte Staatsangehörigkeitsverhältnis zu aktualisieren. Der als Wiedereinbürgerung bezeichnete antragsbedingte Verwaltungsakt war ein rechtstechnisches Mittel zur Verwirklichung der Wiedergutmachung unter Berücksichtigung des Willens des verfolgten Staatsbürgers.
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In struktureller Hinsicht hat die dem Verfolgten verbliebene ruhende Staatsangehörigkeit Ähnlichkeit mit den unter einem präventiven Verbot stehenden Handlungsfreiheiten, die durch Erteilung der Erlaubnis aktualisiert werden. So wie die rechtlich Bedeutung der Erlaubnis in der Aufhebung einer vorübergehenden Rechtsausübungssperre liegt (vgl. BVerfGE 20, 150 [155]), aktualisiert sich die Staatsangehörigkeit mit der "Wiedereinbürgerung". Da sie nicht wieder neu begründet wird, ist die in Art 116 Abs 2 Satz 1 GG als Wiedereinbürgerung bezeichnete Verwaltungshandlung nicht rechtsgestaltender sondern feststellender Art, was nicht ausschließt, daß rechtliche ![]() ![]() | 70 |
Gleichwohl läßt die Senatsmehrheit den vom Beschwerdeführer durch alle Instanzen des behördlichen und gerichtlichen Verfahrens verfolgten Antrag auf Feststellung seiner deutschen Staatsangehörigkeit nicht genügen. Obwohl wegen der Nichtigkeit der Ausbürgerung eine Wiedereinbürgerung im Sinne eines erneuten Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit nicht in Betracht kommt, läßt die Mehrheit des Senats die Bemühungen des Beschwerdeführers um seine Anerkennung als deutscher Staatsangehöriger gerade daran scheitern, daß er nicht einen auf Wiedereinbürgerung im Sinne eines Neuerwerbs der Staatsangehörigkeit gerichteten Antrag gestellt hat. Nur einen solchen Antrag zu stellen, hatte der Beschwerdeführer -- wie die Senatsmehrheit ihm vorhält -- abgelehnt, weil er dadurch ("application for German citizenship" nach der Auskunft des US Dep of Justice vom 1. August 1973) seine US-Staatsbürgerschaft gefährdet hätte (vgl. Entscheidung des US Supreme Court, Vance v Terrazas -- in Newsletter 1980, 9).
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Nach der zutreffenden Formulierung der Gründe des Beschlusses verlangt Art 116 Abs 2 Satz 1 GG die Bekundung des Willens, Deutscher zu sein. Dieser Wille kann nicht stärker und deutlicher erklärt werden als durch einen ausdrücklichen Antrag des Betroffenen auf Feststellung seiner deutschen Staatsangehörigkeit. Ein Antrag, durch (Wiedereinbürgerung) Einbürgerung im strengen Sinne des Wortes Deutscher zu werden, würde dagegen nicht der wirklichen vom Senat festgestellten Rechtslage entsprechen. Es ist daher unrichtig und widersprüchlich, wenn die Senatsmehrheit meint, der Betroffene könne seinen Willen, Deutscher zu sein, nicht wirksam in Form eines Feststellungsantrages zum Ausdruck bringen. Es gibt keinen Grund, von dem Verfolgten zu fordern, daß er einen sinnlosen, für ihn im Hinblick auf seine US-Staatsbürgerschaft gefährlichen, auf Zuerkennen dessen, was er schon besitzt, gerichteten Antrag stellt.
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2. Die Beschlußgründe lassen jeden Anhaltspunkt dafür ver ![]() ![]() | 73 |
3. Die an den Inhalt eines Antrages zu stellenden Anforderungen bestimmen sich nach dessen Funktion. Diesen verwaltungsrechtlichen Grundsatz verkennt der Beschluß. Bei mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakten, auf deren Erlaß ein Anspruch besteht, ist der Antrag regelmäßig die Form, in der die Zustimmung des Betroffenen erteilt wird (vgl. Wolff, Verwaltungsrecht I § 48 IIa 2).
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Daß die nach Art 116 Abs 2 Satz 1 GG erforderlichen Erklärung des Betroffenen nicht mehr als das Einverständnis mit der deutschen Staatsangehörigkeit enthalten muß, folgt zwingend aus der vom Senat zutreffend herausgestellten Funktion des An ![]() ![]() | 75 |
Dieser Zweck würde voll erreicht, wenn dem Begehren des Betroffenen, das Fortbestehen seiner deutschen Staatsangehörigkeit bis 3. Dezember 1951 festzustellen, stattgegeben wird. Dagegen wird die Absicht des Verfassungsgebers, das den Verfolgten zugefügte Unrecht unter Respektierung ihres Willens und bei Vermeidung von Nachteilen wiedergutzumachen, verfehlt, wenn die intensiven Bemühungen um die Anerkennung als Deutscher nicht als hinreichend deutlicher Ausdruck des Willens, Deutscher zu sein, gewertet werden.
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Entgegen der Auffassung der Senatsmehrheit kann nicht der auf möglichst weitgehende Wiedergutmachung bedachte Verfassungsgeber dafür verantwortlich gemacht werden, daß der Beschwerdeführer von der Bundesrepublik Deutschland auch nicht vor dem Erwerb der US-Staatsbürgerschaft als Deutscher betrachtet werden kann, ohne seine amerikanische Staatsangehörigkeit für die Zukunft aufs Spiel zu setzen. In dieses Dilemma wird der Beschwerdeführer allein durch die Auslegung gestürzt, die die Mehrheit des Senats dem Antragserfordernis des Art 116 Abs 2 Satz 1 GG gibt. Nach dem Grundgesetz dient der Antrag der Gewährleistung, daß der Verfolgte nicht ohne seinen Willen als deutscher Staatsangehöriger betrachtet und behandelt wird und dadurch möglicherweise Nachteile erleidet. Der von der Senatsmehrheit getragene Beschluß läßt dagegen die in der Stellung des Antrages auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit liegende Willensbekundung nicht genügen, sondern verlangt einen Antrag mit einem Inhalt, der bei den mit der deutschen Rechtslage nicht vertrauten US-Behörden den Eindruck erwecken würde, als bewerbe sich der Betroffene um die Verleihung ![]() ![]() | 77 |
Diese Auslegung findet in der Rechtsordnung keine Stütze, verstößt gegen den vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochenen Grundsatz, der Wiedergutmachung dienende Vorschriften des Grundgesetzes nicht einengend zu Lasten des Verfolgten auszulegen (BVerfGE 8, 81 [86]), sie steht im Widerspruch zur Erkenntnis der Nichtigkeit der Ausbürgerung, ist durch Interessen der Rechtssicherheit nicht geboten und verkehrt die Schutzfunktion des Antragserfordernisses ins Gegenteil.
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Zu Unrecht wird in dem Beschluß ausgeführt, der Beschwerdeführer könne den Verlust seiner US-Staatsbürgerschaft nur vermeiden, wenn er sich nicht auf seine deutsche Staatsangehörigkeit berufe. Gerade die Berufung auf die bestehende deutsche Staatsangehörigkeit bis zum 3. Dezember 1951 ist nach dem auf die Auskunft des United States Department of Justice gestützten Vortrag des Beschwerdeführers für die US-Staatsbürgerschaft unschädlich: Der Beschwerdeführer konnte deswegen ohne Schaden für die im Zufluchtsland erworbene Staatsbürgerschaft in der Bundesrepublik Deutschland wie schon 1941 um die Anerkennung seiner deutschen Staatsangehörigkeit kämpfen. Dem Erfolg seines Kampfes stand nach meiner Auffassung die Verfassung nicht entgegen, er wäre durch sie geboten.
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