BVerfGE 54, 53 - Ausbürgerung II | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: A. Tschentscher, Djamila Strößner | |||
Beschluß |
des Zweiten Senats vom 15. April 1980 |
-- 2 BvR 842/77 -- |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn St... gegen a) das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. März 1977 - I C 68.76 -, b) das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. Juli 1975 - 43 V 71 -, c) das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 21 Juli 1971 - 6 II 71 -, d) den Bescheid der Stadt Kitzingen vom 16. Juli 1970. |
Entscheidungsformel: |
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. |
Gründe: | |
A. -- I. | |
1. Der 1913 in K. geborene Beschwerdeführer, der einer jüdischen Familie entstammt, erwarb durch Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit. 1934 begab er sich zu Studienzwecken in die Schweiz. Auf Grund § 2 des Gesetzes über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933 (RGBl. I S 480) erklärte ihn der Reichsminister des Innern im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Auswärtigen durch Bekanntmachung vom 29. April 1940 (veröffentlicht im Deutschen Reichsanzeiger und Preußischen Staatsanzeiger Nr 103 vom 4. Mai 1940) der deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig. Hiergegen erhob er am 18. Januar 1941 beim Deutschen Konsulat in Genf erfolglos Beschwerde.
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Nach dem 8. Mai 1945 kehrte der Beschwerdeführer nicht mehr nach Deutschland zurück. Er siedelte im Frühjahr 1946 von der Schweiz in die Vereinigten Staaten von Amerika über, deren Staatsangehörigkeit er am 3. Dezember 1951 erwarb.
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2. Im Mai 1970 beantragte der Beschwerdeführer bei der Stadt K. festzustellen, bis zu welchem Zeitpunkt er die deutsche Staatsangehörigkeit innehatte; er benötige für ein Wiedergutmachungsverfahren die Feststellung, daß seine Ausbürgerung rechtswidrig gewesen sei und er bis zum 3. Dezember 1951 die deutsche Staatsangehörigkeit besessen habe.
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Die Stadt K. erließ am 16. Juli 1970 folgenden Bescheid:
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I. Es wird festgestellt, daß Herr K. St., geboren am 22. November 1913 in K., wohnhaft in ... , mit Wirkung vom 4. Mai 1940 die deutsche Staatsangehörigkeit verloren hat.
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II. Ein Wiedererwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ist bislang nicht erfolgt.
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3. Nach erfolglosem Widerspruch erhob der Beschwerdeführer Klage.
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a) Vor dem Verwaltungsgericht beantragte er sinngemäß, den Bescheid der Stadt K. vom 16. Juli 1970 und den Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 18. November 1970 aufzuheben und die Stadt K. zu verpflichten festzustellen, daß er bis zum Erwerb der amerikanischen Staatsangehörigkeit am 3. Dezember 1951 deutscher Staatsangehöriger gewesen sei.
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Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Die Anfechtungsklage und Verpflichtungsklage sei zwar statthaft. Nachdem die Stadt K. über das Begehren des Beschwerdeführers durch einen feststellenden Verwaltungsakt entschieden und die Regierung von Unterfranken diesen bestätigt habe, müsse er die Aufhebung oder Abänderung dieser Entscheidungen durch Anfechtungsklage und Verpflichtungsklage verfolgen können. Die Klage sei aber unbegründet. Die 1940 ausgesprochene Ausbürgerung sei nichtig. Gleichwohl könne der Beschwerdeführer mit seinem Begehren keinen Erfolg haben. Art 116 Abs 2 GG, durch den der Wiedererwerb der deutschen Staatsangehörigkeit für diejenigen Personen geregelt sei, die durch Maßnahmen des nationalsozialistischen Regimes ausgebürgert worden seien, stehe der begehrten Feststellung entgegen. Der Beschwerdeführer habe die Voraussetzungen des Art 116 Abs 2 GG nicht erfüllt. Er habe weder einen Einbürgerungsantrag gestellt (Art 116 Abs 2 Satz 1 GG) noch nach dem 8. Mai 1945 seinen Wohnsitz in Deutschland genommen (Art 116 Abs 2 Satz 2 GG). Andere als die nach Art 116 Abs 2 GG bestehenden Möglichkeiten, nationalsozialistische Maßnahmen auf dem Gebiet des Staatsangehörigkeitsrechts zu beseitigen, gebe es nicht. Die Anwendung des Art 116 Abs 2 GG bedeute im Falle des Beschwerdeführers möglicherweise eine Härte, weil einerseits für ihn die Begründung eines Wohnsitzes in Deutschland nicht unerhebliche körperliche Anstrengungen und finanzielle Aufwendungen mit sich brächte, er andererseits aber unter Umständen zu Recht befürchte, daß er bei Stellung eines Antrags auf Wiedereinbürgerung die amerikanische Staatsangehörigkeit verlieren könnte. Diese Härte müsse er jedoch wegen des höherrangigen Prinzips der freien Entscheidung des Ausgebürgerten über die deutsche Staatsangehörigkeit, das dem Art 116 Abs 2 GG zugrunde liege, hinnehmen. Der Verfassungsgeber habe bewußt davon abgesehen, die nationalsozialistischen Maßnahmen auf dem Gebiet des Staatsangehörigkeitsrechts durch eine automatische Wiedereinbürgerung wiedergutzumachen.
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Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof änderte das erstinstanzliche Urteil. Er hob Nr I des Bescheids der Stadt K. vom 16. Juli 1970 und den sie betreffenden Teil des Widerspruchsbescheids der Regierung von Unterfranken vom 18. November 1970 auf. Im übrigen wurde die Klage abgewiesen.
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Die Ausbürgerung des Beschwerdeführers sei unter Anlegung der vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 14. Februar 1968 (BVerfGE 23, 98) entwickelten Maßstäbe als von Anfang an nichtig zu erachten, weil sie allein auf Grund der jüdischen Abstammung erfolgt sei und daher gegen das für alle Bereiche des Rechts geltende Willkürverbot verstoßen habe. Nur wegen der im Hinblick auf seine Abstammung zu befürchtenden Verfolgungsmaßnahmen durch das nationalsozialistische Regime sei der Beschwerdeführer gehindert gewesen, nach Deutschland zurückkehren und dadurch der Ausbürgerung zu entgehen. Da sich die Einzelausbürgerung des Beschwerdeführers als nichtig erweise, könne die von der Verwaltungsbehörde getroffene Feststellung, der Beschwerdeführer habe seine deutsche Staatsangehörigkeit verloren, keinen Bestand haben. Dem stehe Art 116 Abs 2 GG nicht entgegen. Das weitere Begehren des Beschwerdeführers, die Verwaltungsbehörde zu der Feststellung zu verpflichten, er sei bis zum Erwerb der amerikanischen Staatsangehörigkeit, durch den er nach den allgemeinen staatsangehörigkeitsrechtlichen Bestimmungen seine deutsche Staatsangehörigkeit verloren habe, deutscher Staatsangehöriger gewesen, sei dagegen unbegründet. Solange ein Betroffener von den Möglichkeiten des Art 116 Abs 2 GG keinen Gebrauch mache, werde er von der Bundesrepublik Deutschland nicht als Deutscher betrachtet, unbeschadet des Umstandes, daß er die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren habe. Damit trage Art 116 Abs 2 GG dem Gedanken Rechnung, daß einem Verfolgten die deutsche Staatsangehörigkeit nicht aufgedrängt werden dürfe. Bislang habe der Beschwerdeführer sich weder durch die Stellung eines Wiedereinbürgerungsantrags noch durch die Begründung eines Wohnsitzes in Deutschland nach dem 8. Mai 1945 auf seine deutsche Staatsangehörigkeit berufen. Dieses Ergebnis bedeute für den inzwischen erblindeten Beschwerdeführer zwar eine gewisse Härte, weil er auf Grund seiner körperlichen Behinderung unter Umständen nicht mehr in der Lage sei, die Tatbestandsvoraussetzungen des Art 116 Abs 2 Satz 2 GG durch eine Wohnsitzbegründung in Deutschland zu erfüllen. Es sei jedoch nicht Sache des Gerichts, darüber zu entscheiden, ob die vom Grundgesetz in Art 116 Abs 2 GG gewählte Lösung die zweckmäßigste und den Interessen der Betroffenen angemessenste Lösung sei.
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c) Die gegen das Berufungsurteil eingelegte Revision des Beschwerdeführers wies das Bundesverwaltungsgericht (DÖV 1978, S 109) zurück. Das angefochtene Urteil verletze nicht Bundesrecht.
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Der sachlich-rechtlichen Überprüfung durch das Revisionsgericht stehe allein das Begehren des Beschwerdeführers offen festzustellen, daß er bis zum 3. Dezember 1951 die deutsche Staatsangehörigkeit besessen habe. Der darüber hinausgehende Antrag festzustellen, er sei noch deutscher Staatsangehöriger, scheitere schon daran, daß er erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist (§ 139 Abs 1 und 2 VwGO) gestellt worden sei. Im übrigen hätte er auch in der Sache keinen Erfolg haben können.
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Dem Begehren des Beschwerdeführers festzustellen, er sei bis zum Erwerb der amerikanischen Staatsangehörigkeit am 3. Dezember 1951 deutscher Staatsangehöriger gewesen, habe das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum nicht stattgegeben. Der Grundgesetzgeber habe sich bei der Regelung des Art 116 Abs 2 GG von dem Gedanken leiten lassen, daß keinem Verfolgten die deutsche Staatsangehörigkeit gegen seinen Willen aufgedrängt werden solle. Der Beschwerdeführer hätte für die Zeit bis zum 3. Dezember 1951 nach Art 116 Abs 2 GG nur dann als Deutscher "betrachtet" werden können, wenn er sich durch Wohnsitzbegründung oder durch Antragstellung auf die deutsche Staatsangehörigkeit berufen hätte. Das habe er nicht getan. Daher könne für die in Frage stehende Zeit gemäß Art 116 Abs 2 GG auch nicht gerichtlich festgestellt werden, daß er Deutscher gewesen sei. Der Feststellungsantrag vom Mai 1970 könne als solcher die nach Art 116 Abs 2 GG für die "Wiedererlangung" der deutschen Staatsangehörigkeit vorausgesetzten Handlungen nicht ersetzen. Das folge schon daraus, daß er eine auf die tatsächliche Wiedererlangung der deutschen Staatsangehörigkeit gerichtete Erklärung nicht enthalte.
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II. | |
Mit seiner gegen die Entscheidungen der Verwaltungsbehörde und der Verwaltungsgerichte gerichteten Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechts aus Art 3 Abs 1 GG geltend. Er beantragt, grundsätzlich festzustellen, daß er nach wie vor deutscher Staatsangehöriger sei.
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Er sei im Jahre 1940 durch einen willkürlichen Akt des nationalsozialistischen Regimes gegen seinen Willen ausgebürgert worden. 1951 habe er sich gezwungen gesehen, die Staatsangehörigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika zu erwerben, weil er in den Vereinigten Staaten gelebt habe und vogelfrei gewesen sei. Die Voraussetzungen des Art 116 Abs 2 GG könne er nicht mehr erfüllen. Eine Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland sei ihm nicht zuzumuten. Er sei blind und krank und könne in seinem Zustand nicht nach Deutschland reisen. Mit einem Antrag auf Wiedereinbürgerung würde er seine amerikanische Staatsbürgerschaft gefährden. Die Regierung der Vereinigten Staaten erlaube nicht, daß ein amerikanischer Bürger einen förmlichen Antrag auf Wiedereinbürgerung stelle. Sie sehe darin einen Beweis für dessen Willen, die amerikanische Staatsbürgerschaft aufzugeben. Deshalb habe er lediglich beantragt, festzustellen, daß er die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren habe. Gegen die Feststellung, daß ein amerikanischer Staatsangehöriger die Staatsangehörigkeit eines befreundeten Staates bereits vor Erlangung der amerikanischen besessen habe, hätten die Vereinigten Staaten nichts einzuwenden.
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Die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts verletzten den Gleichheitssatz des Grundgesetzes. Er werde als Ausländer behandelt, obwohl er mit seinem Feststellungsantrag einen entgegengesetzten Willen deutlich zum Ausdruck gebracht habe. Die Gerichte gingen zwar zutreffend davon aus, daß seine Ausbürgerung nichtig gewesen sei und daß ihm nach Art 116 Abs 2 GG grundsätzlich die freie Wahl offenstehe, die deutsche Staatsangehörigkeit wieder zu beanspruchen oder nicht. Wenn sie aber die Auffassung verträten, daß Art 116 Abs 2 GG nur die beiden dort genannten Wege zulasse, um sich auf die deutsche Staatsangehörigkeit berufen zu können, nicht jedoch eine Willensäußerung in der Form der beantragten Feststellung, so sei dies willkürlich. Art 116 Abs 2 GG diene dem Schutz der rassisch Verfolgten. Durch seine Anwendung dürften deren Rechte nicht gemindert werden. Der Verfassungsgeber habe den Verfolgten nicht die Wahl zwischen zwei Willensäußerungsformen aufzwingen wollen, erst recht nicht zwischen solchen, die der Betroffene auf keinen Fall benutzen könne oder dürfe. Art 116 Abs 2 GG bezwecke die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts. Bei der Wiedergutmachung müsse der materiellen Gerechtigkeit der Vorrang vor dem formalen Recht eingeräumt werden.
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Den ergänzenden Klageantrag festzustellen, daß er weiterhin deutscher Staatsangehöriger sei, habe er schon im Berufungsverfahren gestellt. Es habe sich daher erübrigt, diesen Antrag vor dem Bundesverwaltungsgericht neuerlich zu stellen.
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Der Beschwerdeführer hat eine Auskunft des Justizministeriums der Vereinigten Staaten von Amerika vom 1. August 1973 vorgelegt. Darin heißt es:
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Insofar as Article 116(2) is concerned, it is clear that the reacquisition of German nationality is not automatic and is conditioned upon affirmative action by the former national, namely, the filing of an application for German citizenship. The fact that persons who elect to regain citizenship in that manner may be considered as not having lost German citizenship during the 1933-1945 period, does not alter the fact that that result follows only through an application for German citizenship. Accordingly, it would appear that a person who reacquires German citizenship in the manner indicated has applied for naturalization upon his own application, which action is highly persuasive evidence of a purpose and intent to relinquish United States citizenship. It is our opinion that any such action on your part could jeopardize your status as a United States citizen and could result in a decision that you thereby lost jour citizenship.
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Im Hinblick auf die darin zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung hat der Beschwerdeführer im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren mehrmals ausdrücklich erklärt, daß er sich gehindert sehe, einen Antrag Art. 116 Abs 2 GG zu stellen.
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Der Beschwerdeführer, der zunächst vorgetragen hatte, er benötige die Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit bei der Verfolgung sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche, hat dem Bundesverfassungsgericht mitgeteilt, daß er an seiner Verfassungsbeschwerde auch nach dem Inkrafttreten der ihn insoweit begünstigenden Regelungen in Art 16 Abs 1 der Vereinbarung vom 21. Juni 1978 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über soziale Sicherheit (BGBl. 1979 II S 566) festhalte.
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III. | |
Zu der Verfassungsbeschwerde haben sich für die Bundesregierung der Bundesminister des Innern und für die Regierung des Freistaates Bayern der Bayerische Ministerpräsident geäußert.
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1. Der Bundesminister des Innern hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig, soweit sie die Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers zum gegenwärtigen Zeitpunkt zum Gegenstand hat. Das Bundesverwaltungsgericht habe den diese Feststellung betreffenden Revisionsantrag aus prozessualen Gründen zurückgewiesen. Der Beschwerdeführer habe nicht schlüssig vorgetragen, inwiefern diese Rechtsanwendung fehlerhaft oder gar willkürlich sei.
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Soweit es um die Ablehnung der Feststellung gehe, daß der Beschwerdeführer bis zum Erwerb der amerikanischen Staatsangehörigkeit am 3. Dezember 1951 deutscher Staatsangehöriger gewesen sei, dürfte die Verfassungsbeschwerde dagegen zulässig und auch begründet sein. Auszugehen sei von der Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts, daß nationalsozialistischen "Rechts"-vorschriften die Geltung als Recht abzuerkennen sein könne, wenn sie fundamentalen Prinzipien der Gerechtigkeit so evident widersprächen, daß der Richter, der sie anwenden oder ihre Rechtsfolgen anerkennen wollte, Unrecht anstatt Recht spräche. Nach diesem Grundsatz sei die Ausbürgerung des Beschwerdeführers als nichtig anzusehen.
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Bei einer primär auf den Wortlaut abstellenden Auslegung des Art 116 Abs 2 GG wäre für das Feststellungsbegehren des Beschwerdeführers kein Raum. Er erfülle die Voraussetzungen dieser Bestimmung nicht. Bei einer die Entstehungsgeschichte berücksichtigenden, sinnorientierten und zweckorientierten Auslegung ergebe sich jedoch eine andere Bewertung.
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Durch die Regelung des Art 116 Abs 2 GG habe der Verfassungsgeber das durch das nationalsozialistische Vorgehen begangene krasse Unrecht wiedergutmachen wollen. Um den Lebensverhältnissen der von den Ausbürgerungen Betroffenen Rechnung zu tragen, habe er es für zweckmäßig erachtet, es nicht bei der sich aus der Nichtigkeit der Ausbürgerungen ergebenden Folge zu belassen, daß die Ausgebürgerten nach wie vor deutsche Staatsangehörige seien und auch als solche in Anspruch genommen werden könnten. Er habe die Staatsangehörigkeitsverhältnisse der Ausgebürgerten vielmehr in Art 116 Abs 2 GG besonders geordnet. Bei Verfolgten, die ihren Wohnsitz nach dem 8. Mai 1945 nicht in Deutschland begründet hätten, spreche keine Vermutung dafür, daß sie trotz der faktischen Wirkung der Ausbürgerungen Deutsche sein wollten. Bei ihnen sei im Gegenteil zu vermuten, daß sie -- aus welchen Gründen auch immer -- nicht mehr als deutsche Staatsangehörige behandelt werden wollten. Um die gegen sie sprechende Vermutung zu entkräften, müßten sie durch Antragstellung tätig werden. Da die an rassische Merkmale anknüpfenden Ausbürgerungen jedoch nichtig gewesen seien und die ausgebürgerten Personen dadurch ihre deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren hätten, scheine es widersprüchlich zu sein, daß der Verfassungsgeber für diese Betroffenen einen "Antrag auf Wiedereinbürgerung" vorsehe. Bereits diese Tatsache deute darauf hin, daß mit dem Begriff "Wiedereinbürgerung" nicht eine Einbürgerung im eigentlichen staatsangehörigkeitsrechtlichen Sinne gemeint sei. Aus den Gesetzesmaterialien gehe auch hervor, daß diesem Begriff im spezifischen Fall ein anderer Sinn beizumessen sei. Der Grundgesetzgeber habe eine Regelung schaffen wollen, die einerseits aus Gründen der Rechtssicherheit eindeutige objektive Merkmale beinhalte, die erkennen ließen, wer Deutscher sei und wer nicht, die andererseits aber den Willen der Betroffenen respektiere. Um diese beiden Kriterien miteinander zu verbinden, habe er an die Merkmale der Wohnsitznahme und der Antragstellung angeknüpft. Der Begriff "Antrag auf Wiedereinbürgerung" sollte deutlich machen, daß der Betroffene durch einen Antrag zu erkennen geben müsse, daß er Deutscher sein und als solcher in Anspruch genommen werden wolle. Er solle die noch bestehende deutsche Staatsangehörigkeit durch Antragstellung "reaktivieren". Der faktischen Wirkung der Ausbürgerung bleibe die rechtliche Anerkennung nur dann versagt, wenn der "Antrag auf Wiedereinbürgerung" als ein "Sichberufen auf die deutsche Staatsangehörigkeit" ausgelegt werde. Aus Gründen der Rechtssicherheit sei das "Sichberufen" an die Form eines Antrags an die zuständige Behörde gebunden. Vom Zeitpunkt der Antragstellung an stehe für den deutschen Staat fest, daß die deutsche Staatsangehörigkeit nie unterbrochen gewesen sei. Allein diese Auslegung werde auch dem Charakter des Art 116 Abs 2 GG als Wiedergutmachungsvorschrift gerecht.
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Damit sei allerdings noch nicht gesagt, daß der Verfolgte, der inzwischen eine fremde Staatsangehörigkeit erworben und dadurch die deutsche Staatsangehörigkeit gemäß § 25 Abs 1 des Reichsgesetzes und Staatsangehörigkeitsgesetzes (RuStAG) verloren habe, nachträglich die Feststellung begehren könne, er habe bis zur Erfüllung dieses Verlusttatbestandes, also in einem Zeitraum, in dem die deutsche Staatsangehörigkeit "geruht" habe, die deutsche Staatsangehörigkeit besessen. Auch nach Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit könne ein rechtliches Interesse an der Feststellung ihres früheren Bestehens gegeben sein. Ein solches Interesse sei im vorliegenden Fall im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unterstellt worden. Der nachträglichen Berufung auf den früheren Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit stünden keine durchgreifenden Gründe entgegen. In Fällen unmittelbar verfolgungsbedingten Erwerbs einer fremden Staatsangehörigkeit könne dieser nicht als Ausdruck einer Abwendung von Deutschland gewertet werden. Ein solcher Schritt könne auch nicht zur Verwirkung des Rechts aus Art 116 Abs 2 GG führen. Die Wirkung der rückwirkenden Berufung auf die inzwischen erloschene deutsche Staatsangehörigkeit, daß aus der für die Vergangenheit reaktivierten zweiseitigen Rechtsbeziehung zwischen Staat und Bürger diesem nur noch Vorteile erwachsen könnten, erscheine mit der Zielsetzung des Art 116 Abs 2 GG als einer Wiedergutmachungsvorschrift vereinbar.
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Es ergebe sich somit, daß der Beschwerdeführer bis zum Erwerb der amerikanischen Staatsangehörigkeit deutscher Staatsangehöriger gewesen sei und daß er sich durch seinen Antrag wirksam auf die deutsche Staatsangehörigkeit habe berufen können. Die Verweigerung der begehrten Feststellung stelle deshalb eine mit dem Gleichheitssatz unvereinbare Benachteiligung dar.
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2. Der Bayerische Ministerpräsident hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts halte sich im Rahmen des Art 116 Abs 2 GG. Der Wortlaut der Bestimmung und die Materialien sprächen dafür, daß die Ausbürgerungen aus rassischen Gründen vom Verfassungsgeber zwar als krasses Unrecht angesehen, aber grundsätzlich als wirksam betrachtet worden seien. Die früheren deutschen Staatsangehörigen hätten nach Art 116 Abs 2 Satz 1 GG einen Anspruch auf Einbürgerung. Eine Rückwirkung der Einbürgerung sei aber nicht möglich. Davon sei auch der Gesetzgeber ausgegangen.
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Der Beschwerdeführer hätte somit für die Zeit bis zum 3. Dezember 1951 nur dann als Deutscher betrachtet werden können, wenn er sich durch Wohnsitzbegründung oder durch Antragstellung auf die deutsche Staatsangehörigkeit berufen hätte. Durch seinen Einbürgerungsantrag in den Vereinigten Staaten habe er aber gerade einen entgegengesetzten Willen zum Ausdruck gebracht. Ihm könne ein Anspruch auf "Einbürgerung" nicht mehr zugebilligt werden. Wer im Bewußtsein der Möglichkeit des "Wiedererwerbs" der deutschen Staatsangehörigkeit freiwillig auf Antrag eine fremde Staatsangehörigkeit erworben habe, könne nicht besser gestellt werden, als ein deutscher Staatsangehöriger. Der Anspruch auf Einbürgerung müsse in diesem Fall, ebenso wie für einen deutschen Staatsangehörigen die deutsche Staatsangehörigkeit, gemäß § 25 Abs 1 RuStAG verlorengehen.
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B. | |
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist das Begehren des Beschwerdeführers festzustellen, daß er vor dem Erwerb der Staatsangehörigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika am 3. Dezember 1951 deutscher Staatsangehöriger war und nach wie vor geblieben ist.
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Die Verfassungsbeschwerde richtet sich ausdrücklich nur gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. März 1977. Der Beschwerdebegründung ist aber zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer auch den im gerichtlichen Verfahren aufrechterhaltenen Teil des Bescheids der Stadt K. vom 16. Juli 1970, in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 18. November 1970 gefunden hat, sowie die Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 21. Juli 1971 und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. Juli 1975 für verfassungswidrig hält und mit der Verfassungsbeschwerde angreifen will (vgl. BVerfGE 6, 386 [387]; ferner BVerfGE 3, 377 [379]).
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Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig und teilweise unbegründet.
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I. | |
1. Soweit die Verfassungsbeschwerde das Begehren des Beschwerdeführers betrifft festzustellen, daß er nach wie vor deutscher Staatsangehöriger sei, ist sie unzulässig, weil der Rechtsweg nicht erschöpft ist (§ 90 Abs 2 Satz 1 BVerfGG).
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Der in § 90 Abs 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde erfordert es, daß Verfassungsverstöße zunächst im Instanzenzug geltend gemacht werden, um eine Abhilfe durch die Fachgerichte zu ermöglichen. Dem Erfordernis der Erschöpfung des Rechtswegs ist aber dann nicht genügt, wenn ein Verfassungsverstoß im Instanzenzug zwar gerügt wurde, jedoch deshalb nicht nachgeprüft werden konnte, weil die Rüge nach den Vorschriften des Prozeßrechts verspätet war (vgl. BVerfGE 16, 124 [127]).
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Das Bundesverwaltungsgericht war gemäß § 139 Abs 1, Abs 2 Satz 2 VwGO gehindert, sich mit dem erweiterten Feststellungsantrag des Beschwerdeführers in der Sache zu befassen, weil der Antrag erst nach Ablauf der Frist für die Revisionsbegründung gestellt wurde. Daß der Beschwerdeführer bereits im Berufungsverfahren sein Klagebegehren erweitert hatte, vermag daran nichts zu ändern. Der Gegenstand des Revisionsverfahrens wird allein durch die in diesem Verfahren gestellten Anträge bestimmt.
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Das Bundesverfassungsgericht kann im übrigen nicht nachprüfen, ob der Verwaltungsgerichtshof die Erweiterung des Klagebegehrens zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Auch hinsichtlich etwaiger Verfassungsverstöße in diesem Zusammenhang ist der Rechtsweg nicht erschöpft, weil der Beschwerdeführer sie nicht mit der Revision gerügt hat.
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2. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit sie das Begehren des Beschwerdeführers betrifft festzustellen, daß er bis zum 3. Dezember 1951 deutscher Staatsangehöriger war.
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a) Der Rechtsweg ist erschöpft (§ 90 Abs 2 Satz 1 BVerfGG). Die zunächst gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. Juli 1975 gerichtete Verfassungsbeschwerde ist inzwischen jedenfalls dadurch zulässig geworden, daß der Beschwerdeführer das Revisionsverfahren beim Bundesverwaltungsgericht durchgeführt hat (BVerfGE 2, 105 [109]).
| 41 |
b) Der Beschwerdeführer hat sein Rechtsschutzbedürfnis für die Verfassungsbeschwerde hinreichend dargetan. Die von ihm angegriffene Ablehnung der beantragten behördlichen Feststellung seiner deutschen Staatsangehörigkeit ist ein Akt der öffentlichen Gewalt im Sinne des Art 93 Abs 1 Nr 4a GG. Die Verwaltungsgerichte haben sein rechtliches Interesse an der Feststellung seiner Staatsangehörigkeit bejaht. Im Hinblick auf die weitreichenden Folgen, die der Besitz oder Nichtbesitz einer Staatsangehörigkeit nach sich ziehen, ist von einem solchen Interesse auch für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde auszugehen, ohne daß es einer näheren Prüfung der Gründe bedürfte, weswegen der Beschwerdeführer die Feststellung seiner Staatsangehörigkeit beantragt hat.
| 42 |
c) Der Antrag, das Bundesverfassungsgericht selbst möge die deutsche Staatsangehörigkeit feststellen, ist allerdings unstatthaft. Mit der Verfassungsbeschwerde können nur die aus § 95 BVerfGG ersichtlichen Ziele verfolgt werden. Gemäß § 95 Abs 2 BVerfGG ist das Bundesverfassungsgericht aber grundsätzlich nur befugt, die angegriffenen Entscheidungen aufzuheben und die Sache an ein zuständiges Gericht zurückzuverweisen.
| 43 |
II. | |
1. Das Bundesverfassungsgericht ist bei der verfassungsrechtlichen Prüfung nicht darauf beschränkt zu untersuchen, ob die von dem Beschwerdeführer geltend gemachte Verletzung des Art 3 Abs 1 GG vorliegt. Es kann die angegriffenen Akte der öffentlichen Gewalt vielmehr von Amts wegen unter jedem in Betracht kommenden verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt prüfen (BVerfGE 17, 252 [258]; 31, 314 [333]; 42, 312 [325 f.]). Die vorliegende Verfassungsbeschwerde gibt Veranlassung, insbesondere auch über die Vereinbarkeit der angegriffenen Entscheidungen mit Art 116 Abs 2 GG zu befinden.
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Als weiterer Prüfungsmaßstab könnte Art 16 Abs 1 GG in Betracht kommen. Diese Bestimmung führt indes im vorliegenden Fall im Vergleich zu Art 116 Abs 2 GG nicht zu einer weitergehenden verfassungsrechtlichen Prüfung oder zu einer weiterreichenden Wirkung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Art 16 Abs 1 GG setzt das Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit voraus. Die hier vorrangige Frage, ob der Beschwerdeführer bis zum 3. Dezember 1951 Deutscher war, ist allein nach Art 116 Abs 2 GG zu beurteilen.
| 45 |
2. Soweit sie zulässig ist, ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.
| 46 |
Die angegriffenen Entscheidungen stehen mit Art 116 Abs 2 GG in Einklang. Nach dieser Vorschrift sind "frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die deutsche Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, ... auf Antrag wieder einzubürgern. Sie gelten als nicht ausgebürgert, sofern sie nach dem 8. Mai 1945 ihren Wohnsitz in Deutschland genommen haben und nicht einen entgegengesetzten Willen zum Ausdruck gebracht haben".
| 47 |
a) Die Verfasser des Grundgesetzes gingen bei der Abfassung des Art 116 Abs 2 GG von der Überzeugung aus, daß der durch Akte des nationalsozialistischen Staates aus rassenideologischen Gründen angeordnete Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit krasses Unrecht darstellte. Das beruht auf der Einsicht, daß Geltungsanordnungen, sollen sie als Recht gelten, diese Qualität nicht lediglich dadurch erlangen, daß sie von der staatlichen Macht im jeweils vorgesehenen Verfahren gesetzt sind, sondern daß sie darüber hinaus inhaltlich nicht fundamentalen Prinzipien der Idee der Gerechtigkeit widersprechen dürfen. In diesem Sinne hat das Bundesverfassungsgericht erkannt, daß Geltungsanordnungen des nationalsozialistischen Regimes der Gültigkeit als Recht entbehren, wenn sie fundamentalen Erfordernissen der Gerechtigkeit so offensichtlich widersprachen, daß der Richter, der sie als Rechtens beachten wollte, Unrecht statt Recht spräche (vgl. BVerfGE 3, 58 [119]; 6, 132 [198]; 23, 98 [106]). So hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß die Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 (RGBl. I S 722), mit der im Ausland lebenden Juden die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen wurde, in krassem Widerspruch zu fundamentalen Prinzipien der Gerechtigkeit stand (BVerfGE 23, 98 [105 ff.]).
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b) Das Bundesverfassungsgericht hat in der Entscheidung vom 14. Februar 1968 (BVerfGE 23, 98 [106]) aus der Erkenntnis, daß Geltungsanordnungen des nationalsozialistischen Regimes der Gültigkeit als Recht entbehren können, für die dort in Rede stehende Verordnung die Folgerung gezogen, daß sie als von Anfang an nichtig zu erachten sei. Dem liegt die Erwägung zugrunde, daß eine an der Idee der Gerechtigkeit sich ausrichtende Rechtsordnung solche Akte nicht schlechthin als rechtmäßige Akte behandeln darf und daß die Nichtigkeit als eine der möglichen Sanktionen für solche Art Unrecht geeignet ist, das Recht wiederherzustellen.
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An dieser Auffassung hält das Bundesverfassungsgericht fest. Auch die auf Grund des § 2 des Gesetzes über Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933 (RGBl. I S 480) aus rassenideologischen Gründen ausgesprochene Einzelausbürgerung in Fällen, wie dem des Beschwerdeführers, ist unter dem Grundgesetz als nichtig, das heißt als von Anfang an unheilbar unwirksam, anzusehen. Auch sie ist im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Rassengesetzgebung und dem politischen Ziel des damaligen Regimes zu sehen, das deutsche und europäische Judentum zu verfolgen (BVerfGE 23, 98 [105 ff.]).
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c) Art 116 Abs 2 GG dient der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts im Bereich des Staatsangehörigkeitsrechts (BVerfGE 8, 81 [86, 88]).
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Die Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland können die Tatsachen nicht ungeschehen machen, die durch die Unrechtsmaßnahmen der Nationalsozialisten geschaffen worden sind. Die Ausbürgerung von Juden im Sinne der nationalsozialistischen Gesetzgebung bleibt ein historisches Geschehen, das als solches nicht nachträglich beseitigt werden kann. Art 116 Abs 2 GG will das Unrecht, das den ausgebürgerten Verfolgten angetan worden ist, im Rahmen des Möglichen ausgleichen. Die Diskriminierung, die in der willkürlichen Ausbürgerung jüdischer Mitbürger lag, sollte indes nicht dadurch wiedergutgemacht werden, daß sich der deutsche Staat neuerlich über den Willen der Betroffenen hinwegsetzte, sondern allein dadurch, daß er ihren Willen nunmehr respektierte (vgl. BVerfGE 23, 98 [107]). Es ist der Sinn des Art 116 Abs 2 GG, die politisch, rassisch und religiös Verfolgten nicht gegen ihren Willen an der deutschen Staatsangehörigkeit festzuhalten (vgl. BVerfGE 23, 98 [108 ff.]). Sie sollen frei entscheiden können, ob sie nach dem ihnen zugefügten Unrecht noch deutsche Staatsangehörige sein wollen. Der Verfassungsgeber hat damit auch dem Umstand Rechnung getragen, daß es wegen der tatsächlichen Folgen der Ausbürgerung für viele Betroffene nachteilig gewesen wäre, wenn sie ohne weiteres nach wie vor als deutsche Staatsangehörige betrachtet worden wären. Nachteile hätten sich insbesondere für diejenigen Verfolgten ergeben können, die in der Emigration eine andere Staatsangehörigkeit erworben haben; sie hätten in die Gefahr geraten können, diese Staatsangehörigkeit auf Grund fremden Rechts zu verlieren. Das Grundgesetz hat die Rechtsunsicherheit, die durch die Einräumung eines freien Entscheidungsrechts der Verfolgten in Bezug auf ihre deutsche Staatsangehörigkeit vorübergehend eingetreten ist, aus Gründen der Wiedergutmachung in Kauf genommen.
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d) Art 116 Abs 2 GG unterscheidet nicht zwischen solchen Verfolgten, die in der Folge der nationalsozialistischen Ausbürgerungen die deutsche Staatsangehörigkeit aus einem anderen Rechtsgrund, insbesondere durch den Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit (§§ 17 Nr 2, 25 RuStAG) verloren haben, und solchen Verfolgten, bei denen dies nicht der Fall ist. Für diejenigen Verfolgten, die die deutsche Staatsangehörigkeit aus anderem Rechtsgrund verloren haben, liegt die Bedeutung des Art 116 Abs 2 GG darin, daß sie unter den (erleichterten) Voraussetzungen dieser Bestimmung die Wiedereinbürgerung herbeiführen können. Für diejenigen Verfolgten, die eine fremde Staatsangehörigkeit nicht erworben haben, liegt die Bedeutung des Art 116 Abs 2 GG darin, daß die Bundesrepublik Deutschland sie nicht als Deutsche betrachtet, solange sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Wohnsitzbegründung oder Antragstellung geltend machen (BVerfGE 23, 98 [108]). Damit ist auch diesen Verfolgten eine freie Entscheidung über ihre deutsche Staatsangehörigkeit eröffnet, unbeschadet des Umstandes, daß sie die deutsche Staatsangehörigkeit durch Ausbürgerung nicht verloren haben.
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Solange ein Verfolgter von der Möglichkeit, die deutsche Staatsangehörigkeit geltend zu machen, keinen Gebrauch macht, wird er von der Bundesrepublik Deutschland nicht als Deutscher betrachtet. Das bedeutet, daß seine deutsche Staatsangehörigkeit für den Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland im Rechtsverkehr nicht geltend gemacht werden kann. Die Bundesrepublik Deutschland darf den Verfolgten nicht als deutschen Staatsangehörigen behandeln. Allerdings kann in diesem Fall auch der Betroffene sich gegenüber der Bundesrepublik Deutschland auf die deutsche Staatsangehörigkeit nicht berufen. Art 116 Abs 2 GG versteht die deutsche Staatsangehörigkeit als ein umfassendes Rechtsverhältnis, aus dem Rechte und Pflichten erwachsen. Die Bestimmung unterscheidet nicht zwischen diesen Rechten und Pflichten. Sie kann deshalb nicht dahin ausgelegt werden, daß ohne eine Wohnsitzbegründung oder ohne eine Antragstellung die Bundesrepublik Deutschland zwar die aus der Staatsangehörigkeit folgenden Pflichten noch nicht geltend machen, der Betroffene aber seine daraus herzuleitenden Rechte bereits wahrnehmen könnte.
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e) Seinen Willen, deutscher Staatsangehöriger zu sein, bringt der Verfolgte durch Wohnsitzbegründung (Art 116 Abs 2 Satz 2 GG) oder durch Antragstellung (Art 116 Abs 1 Satz 1 GG) zum Ausdruck. Der vorliegende Fall gibt keine Veranlassung, der Frage im einzelnen nachzugehen, wann diese Voraussetzungen erfüllt sind. Allerdings ist dem Erfordernis der Rechtssicherheit Rechnung zu tragen, der bei Staatsangehörigkeitsverhältnissen im Hinblick auf die weitreichenden Folgen, die der Besitz oder Nichtbesitz der Staatsangehörigkeit nach sich ziehen, besonderes Gewicht zukommt. Der Betroffene muß deshalb seinen Willen Deutscher zu sein, hinreichend deutlich zum Ausdruck bringen.
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Bei Erklärungen eines Verfolgten zu seiner deutschen Staatsangehörigkeit müssen die Behörden und Gerichte freilich auch berücksichtigen, daß sie möglicherweise aus Gründen, die in der Beziehung des Verfolgten zu dem Land liegen, in dem er nach der Ausbürgerung Aufnahme gefunden hat, zurückhaltend formuliert und nicht als "förmlicher" Antrag gefaßt sind. An einen Antrag im Sinne des Art 116 Abs 2 Satz 1 GG sind deshalb keine übermäßig strengen Anforderungen zu stellen. Die Auslegung einer Erklärung als Antrag verbietet sich allerdings dann, wenn der Verfolgte ausdrücklich bekundet, er wolle einen Antrag nicht stellen.
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f) Daß sich die durch Art 116 Abs 2 GG getroffene Regelung zur Wiedergutmachung des durch nationalsozialistische Ausbürgerungen zugefügten Unrechts im Einzelfall für den Verfolgten nachteilig auswirken kann, ist nicht zu verkennen. Es ist die Folge der grundsätzlichen Entscheidung des Verfassungsgebers, die deutsche Staatsangehörigkeit nicht automatisch wiederaufleben zu lassen, daß dem Verfolgten die Last zufällt, sich entscheiden und seinen Willen bekunden zu müssen.
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Die deutsche Rechtsordnung kann die Nachteile, die durch die Entscheidung eines Verfolgten für die deutsche Staatsangehörigkeit in seiner Beziehung zu dem Land eintreten können, in dem er nach der Ausbürgerung Aufnahme gefunden hat, nicht verhindern. Der Verfassungsgeber hat es als zumutbar erachtet, daß der Betroffene sie in Kauf nimmt. Die Entscheidungsfreiheit wurde ihm gerade auch wegen solcher möglicher Nachteile eingeräumt. Er kann sie nur dadurch vermeiden, daß er sich auf die deutsche Staatsangehörigkeit nicht mehr beruft.
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g) Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, daß Art 116 Abs 2 GG nur in den Fällen anzuwenden ist, in denen der Verfolgte nach dem 8. Mai 1945 die Möglichkeit hat oder hatte, seinen Willen zu bekunden und damit den einen oder den anderen der in Art 116 Abs 2 GG genannten Tatbestände zu erfüllen (BVerfGE 23, 98 [111 f.]). Es hat daraus den Schluß gezogen, daß Art 116 Abs 2 GG keine Regelung für Verfolgte enthält, die vor dem 8. Mai 1945 verstorben sind. Für zu diesem Zeitpunkt Lebende trifft die Vorschrift hingegen eine grundsätzliche abschließende Regelung. Es erscheint allerdings denkbar, daß in Ausnahmefällen auch solchen Personen die Möglichkeit verwehrt ist und war, ihren Willen, Deutsche zu sein, zu bekunden. Dies ist freilich nicht schon dann anzunehmen, wenn eine nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes einmal bestehende Möglichkeit zur Willensbekundung inzwischen fortgefallen ist. Im übrigen kann im vorliegenden Verfahren dahinstehen, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Ausnahmefall vorliegt.
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h) Die durch die Bekanntmachung des Reichsministers des Innern vom 29. April 1940 erklärte Ausbürgerung des Beschwerdeführers hatte ihren Grund in seiner jüdischen Abstammung. Sie war von Anfang an nichtig. Der Beschwerdeführer hat dadurch die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren.
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Gleichwohl war die von ihm begehrte behördliche Feststellung des Fortbestehens der deutschen Staatsangehörigkeit bis zum 3. Dezember 1951 abzulehnen. Der Beschwerdeführer kann sich auf die deutsche Staatsangehörigkeit derzeit nicht berufen. Denn er hat seinen Willen, deutscher Staatsangehöriger zu sein, bislang nicht in der durch Art 116 Abs 2 GG bestimmten Weise bekundigt. Solange dies nicht geschehen ist, ist die bürgerliche Feststellung verwehrt.
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Der Beschwerdeführer hat nach dem 8. Mai 1945 seinen Wohnsitz nicht wieder in Deutschland genommen (Art 116 Abs 2 Satz 2 GG). Er hat sich auch nicht durch einen Antrag auf die deutsche Staatsangehörigkeit berufen (Art 116 Abs 2 Satz 1 GG). Sein 1970 bei der Stadt K. gestellter Feststellungsantrag und seine weiteren in den behördlichen und verwaltungsgerichtlichen Verfahren sowie in dem vorliegenden Verfahren abgegebenen Erklärungen können schon deshalb nicht als Antrag gemäß Art 116 Abs 2 Satz 1 GG verstanden werden, weil er stets ausdrücklich erklärt hat, er wolle einen solchen Antrag nicht stellen, um seine amerikanischen Staatsangehörigkeit nicht zu gefährden.
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Es fehlt an Anhaltspunkten dafür, daß dem Beschwerdeführer nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes die Möglichkeit verwehrt war, die Voraussetzungen des Art 116 Abs 2 GG zu erfüllen. Zwar kam wegen seiner gesundheitlichen Behinderung eine Aufenthaltsnahme in Deutschland möglicherweise nicht in Betracht. Der Beschwerdeführer war aber nicht gehindert, einen Antrag gemäß Art 116 Abs 2 Satz 1 GG zu stellen. Daß er dies mit Rücksicht auf seine amerikanische Staatsangehörigkeit nicht getan hat, beruht auf seiner freien Entscheidung. Art 116 Abs 2 GG will gerade diese Freiheit respektieren. Wenn fremde Rechtsordnungen nachteilige Folgen an die Stellung eines Antrags nach Art 116 Abs 2 GG knüpfen, ist das dem Einfluß der deutschen Rechtsordnung entzogen. Das allein läßt die Erfüllung des Antragserfordernisses in Art 116 Abs 2 GG nicht als unzumutbar oder gar die Regelung selbst als Verstoß gegen ein überverfassungsrechtliches Willkürverbot erscheinen.
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3. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen nicht Art 3 Abs 1 GG. Sie beruhen auf einer zutreffenden Auslegung und Anwendung des Art 116 Abs 2 GG. Zu der Annahme, daß die Behörden oder die Gerichte sich bei ihren Entscheidungen von sachfremden Erwägungen hätten leiten lassen, besteht keine Veranlassung.
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4. Eine Verletzung sonstiger Grundrechte oder grundrechtsgleicher Rechte des Beschwerdeführers ist nicht ersichtlich.
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III. | |
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist allein das Begehren des Beschwerdeführers festzustellen, daß er deutscher Staatsangehöriger war und ist. Die Entscheidung in diesem Verfahren besagt nichts darüber, ob es in anderen Zusammenhängen ausgeschlossen wäre zu berücksichtigen, daß der Beschwerdeführer durch seine Ausbürgerung im Jahre 1940 die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren hatte. Denn es bleibt festzuhalten: Die Ausbürgerung des Beschwerdeführers durch das nationalsozialistische Regime war willkürlich und nichtig.
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IV. | |
Diese Entscheidung ist mit sechs Stimmen gegen eine Stimme ergangen.
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Zeidler Rinck Wand Hirsch Rottmann Niebler Steinberger |
Abweichende Meinung des Richters Hirsch zu dem Beschluß des Zweiten Senats vom 15. April 1980 -- 2 BvR 842/77 --. | |
1. Dem Beschluß des Senats kann nicht zustimmen, wer seine Ausgangsfeststellung ernst nimmt: Die Ausbürgerung des Beschwerdeführers durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft war eine in krassem Widerspruch zu fundamentalen Gerechtigkeitsprinzipien stehende, dem Ziel der Ausrottung der deutschen und europäischen Juden dienende Maßnahme. Sie kann unter dem Grundgesetz keine Gültigkeit beanspruchen. Wenn somit die Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit nichtig war, kann mit der Wiedereinbürgerung im Sinne des Art 116 Abs 2 Satz 1 GG nicht gemeint sein eine konstitutive Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit. Den Status des deutschen Staatsangehörigen hatten die "ausgebürgerten" Verfolgten nicht verloren.
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Die Wiedereinbürgerung im Sinne dieser Verfassungsbestimmung kann danach nur bedeuten, unter Mitwirkung des Betroffenen das bestehende, aber vorübergehend auf seiten des Staates und des Staatsangehörigen nicht ausgeübte Staatsangehörigkeitsverhältnis zu aktualisieren. Der als Wiedereinbürgerung bezeichnete antragsbedingte Verwaltungsakt war ein rechtstechnisches Mittel zur Verwirklichung der Wiedergutmachung unter Berücksichtigung des Willens des verfolgten Staatsbürgers.
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In struktureller Hinsicht hat die dem Verfolgten verbliebene ruhende Staatsangehörigkeit Ähnlichkeit mit den unter einem präventiven Verbot stehenden Handlungsfreiheiten, die durch Erteilung der Erlaubnis aktualisiert werden. So wie die rechtlich Bedeutung der Erlaubnis in der Aufhebung einer vorübergehenden Rechtsausübungssperre liegt (vgl. BVerfGE 20, 150 [155]), aktualisiert sich die Staatsangehörigkeit mit der "Wiedereinbürgerung". Da sie nicht wieder neu begründet wird, ist die in Art 116 Abs 2 Satz 1 GG als Wiedereinbürgerung bezeichnete Verwaltungshandlung nicht rechtsgestaltender sondern feststellender Art, was nicht ausschließt, daß rechtliche Wirkungen im Sinne der Aufhebung einer Ausübungssperre daran geknüpft sind.
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Gleichwohl läßt die Senatsmehrheit den vom Beschwerdeführer durch alle Instanzen des behördlichen und gerichtlichen Verfahrens verfolgten Antrag auf Feststellung seiner deutschen Staatsangehörigkeit nicht genügen. Obwohl wegen der Nichtigkeit der Ausbürgerung eine Wiedereinbürgerung im Sinne eines erneuten Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit nicht in Betracht kommt, läßt die Mehrheit des Senats die Bemühungen des Beschwerdeführers um seine Anerkennung als deutscher Staatsangehöriger gerade daran scheitern, daß er nicht einen auf Wiedereinbürgerung im Sinne eines Neuerwerbs der Staatsangehörigkeit gerichteten Antrag gestellt hat. Nur einen solchen Antrag zu stellen, hatte der Beschwerdeführer -- wie die Senatsmehrheit ihm vorhält -- abgelehnt, weil er dadurch ("application for German citizenship" nach der Auskunft des US Dep of Justice vom 1. August 1973) seine US-Staatsbürgerschaft gefährdet hätte (vgl. Entscheidung des US Supreme Court, Vance v Terrazas -- in Newsletter 1980, 9).
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Nach der zutreffenden Formulierung der Gründe des Beschlusses verlangt Art 116 Abs 2 Satz 1 GG die Bekundung des Willens, Deutscher zu sein. Dieser Wille kann nicht stärker und deutlicher erklärt werden als durch einen ausdrücklichen Antrag des Betroffenen auf Feststellung seiner deutschen Staatsangehörigkeit. Ein Antrag, durch (Wiedereinbürgerung) Einbürgerung im strengen Sinne des Wortes Deutscher zu werden, würde dagegen nicht der wirklichen vom Senat festgestellten Rechtslage entsprechen. Es ist daher unrichtig und widersprüchlich, wenn die Senatsmehrheit meint, der Betroffene könne seinen Willen, Deutscher zu sein, nicht wirksam in Form eines Feststellungsantrages zum Ausdruck bringen. Es gibt keinen Grund, von dem Verfolgten zu fordern, daß er einen sinnlosen, für ihn im Hinblick auf seine US-Staatsbürgerschaft gefährlichen, auf Zuerkennen dessen, was er schon besitzt, gerichteten Antrag stellt.
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2. Die Beschlußgründe lassen jeden Anhaltspunkt dafür vermissen, daß die Rechtssicherheit gefährdet würde, wenn der Betroffene seinen Willen in Gestalt eines Feststellungsantrages äußerte. Wie in dem Beschluß an anderer Stelle (B II 2c a E) zutreffend ausgesprochen ist, wird der unter gewöhnlichen Verhältnissen nicht hinnehmbare Mangel an statusrechtlicher Eindeutigkeit vom Grundgesetz im Interesse der Wiedergutmachung in Kauf genommen. Die Ungewißheit der Staatsangehörigkeitsfrage liegt zwar nicht im "Besitz oder Nichtbesitz der Staatsangehörigkeit", denn diese ist nicht wirksam entzogen worden. Ungewiß ist lediglich, ob die Verfolgten die aus dem Staatsangehörigkeitsverhältnis fließenden Rechte ausüben und Pflichten auf sich nehmen werden, weil dies auch von ihrem Willen anhängig gemacht ist. Die Rechtsungewißheit wird aber in Grenzen gehalten dadurch, daß die Aktualisierung der deutschen Staatsangehörigkeit nicht nur von dem Willen des Betroffenen abhängt, sondern auch durch einen vom Grundgesetz mißverständlich als Wiedereinbürgerung bezeichneten staatlichen Akt festgestellt wird. Diese Feststellung beendet die Ungewißheit. Wie aber etwas für die Rechtssicherheit gewonnen werden kann, wenn einem auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit gerichteten Antrag die Wirksamkeit abgesprochen wird, ist nicht einzusehen.
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3. Die an den Inhalt eines Antrages zu stellenden Anforderungen bestimmen sich nach dessen Funktion. Diesen verwaltungsrechtlichen Grundsatz verkennt der Beschluß. Bei mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakten, auf deren Erlaß ein Anspruch besteht, ist der Antrag regelmäßig die Form, in der die Zustimmung des Betroffenen erteilt wird (vgl. Wolff, Verwaltungsrecht I § 48 IIa 2).
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Daß die nach Art 116 Abs 2 Satz 1 GG erforderlichen Erklärung des Betroffenen nicht mehr als das Einverständnis mit der deutschen Staatsangehörigkeit enthalten muß, folgt zwingend aus der vom Senat zutreffend herausgestellten Funktion des Antrages: Der vom Grundgesetz erstrebte Ausgleich des nationalsozialistischen Unrechts sollte nicht durch ein automatisches Wiederaufleben der sich aus dem Staatsangehörigkeitsverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten erreicht werden, weil dies dem Verfolgten nach den an ihm begangenen Verbrechen möglicherweise nicht willkommen oder für ihn mit Nachteilen verbunden war.
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Dieser Zweck würde voll erreicht, wenn dem Begehren des Betroffenen, das Fortbestehen seiner deutschen Staatsangehörigkeit bis 3. Dezember 1951 festzustellen, stattgegeben wird. Dagegen wird die Absicht des Verfassungsgebers, das den Verfolgten zugefügte Unrecht unter Respektierung ihres Willens und bei Vermeidung von Nachteilen wiedergutzumachen, verfehlt, wenn die intensiven Bemühungen um die Anerkennung als Deutscher nicht als hinreichend deutlicher Ausdruck des Willens, Deutscher zu sein, gewertet werden.
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Entgegen der Auffassung der Senatsmehrheit kann nicht der auf möglichst weitgehende Wiedergutmachung bedachte Verfassungsgeber dafür verantwortlich gemacht werden, daß der Beschwerdeführer von der Bundesrepublik Deutschland auch nicht vor dem Erwerb der US-Staatsbürgerschaft als Deutscher betrachtet werden kann, ohne seine amerikanische Staatsangehörigkeit für die Zukunft aufs Spiel zu setzen. In dieses Dilemma wird der Beschwerdeführer allein durch die Auslegung gestürzt, die die Mehrheit des Senats dem Antragserfordernis des Art 116 Abs 2 Satz 1 GG gibt. Nach dem Grundgesetz dient der Antrag der Gewährleistung, daß der Verfolgte nicht ohne seinen Willen als deutscher Staatsangehöriger betrachtet und behandelt wird und dadurch möglicherweise Nachteile erleidet. Der von der Senatsmehrheit getragene Beschluß läßt dagegen die in der Stellung des Antrages auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit liegende Willensbekundung nicht genügen, sondern verlangt einen Antrag mit einem Inhalt, der bei den mit der deutschen Rechtslage nicht vertrauten US-Behörden den Eindruck erwecken würde, als bewerbe sich der Betroffene um die Verleihung einer neuen Staatsangehörigkeit. Damit wird der Verfolgte in Wiedergutmachungsabsicht vor die Wahl gestellt, entweder auf die ihm als Deutschen auch für die Vergangenheit zustehenden Rechte verzichten zu müssen oder für die Zukunft seine amerikanische Staatsbürgerschaft preiszugeben; ein Ergebnis, das als absurd bezeichnet werden muß (Renck, JZ 1979, 752 [753]; DÖV 1979, 875 [876]).
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Diese Auslegung findet in der Rechtsordnung keine Stütze, verstößt gegen den vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochenen Grundsatz, der Wiedergutmachung dienende Vorschriften des Grundgesetzes nicht einengend zu Lasten des Verfolgten auszulegen (BVerfGE 8, 81 [86]), sie steht im Widerspruch zur Erkenntnis der Nichtigkeit der Ausbürgerung, ist durch Interessen der Rechtssicherheit nicht geboten und verkehrt die Schutzfunktion des Antragserfordernisses ins Gegenteil.
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Zu Unrecht wird in dem Beschluß ausgeführt, der Beschwerdeführer könne den Verlust seiner US-Staatsbürgerschaft nur vermeiden, wenn er sich nicht auf seine deutsche Staatsangehörigkeit berufe. Gerade die Berufung auf die bestehende deutsche Staatsangehörigkeit bis zum 3. Dezember 1951 ist nach dem auf die Auskunft des United States Department of Justice gestützten Vortrag des Beschwerdeführers für die US-Staatsbürgerschaft unschädlich: Der Beschwerdeführer konnte deswegen ohne Schaden für die im Zufluchtsland erworbene Staatsbürgerschaft in der Bundesrepublik Deutschland wie schon 1941 um die Anerkennung seiner deutschen Staatsangehörigkeit kämpfen. Dem Erfolg seines Kampfes stand nach meiner Auffassung die Verfassung nicht entgegen, er wäre durch sie geboten.
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Hirsch | |
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