1. a) Der verfassungsrechtliche Status eines Abgeordneten ist auch berührt, wenn die Legitimität seines Mandats im Rahmen einer Kollegialenquete in Abrede gestellt wird. Er gestattet nur in Ausnahmefällen die Einführung eines Verfahrens, mit dem der Bundestag zur Wahrung seiner Integrität und politischen Vertrauenswürdigkeit ein der Wahl vorausliegendes Verhalten von Abgeordneten untersuchen will.
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2. Ein solches Verfahren muß von Verfassungs wegen Sicherungen zum Schutz des Abgeordnetenstatus enthalten. Dem betroffenen Abgeordneten müssen Beteiligungsrechte eingeräumt sein, die ihm gestatten, aktiv an der Herstellung des Beweisergebnisses mitzuwirken. Die abschließende Auskunft über den ermittelten Sachverhalt muß der Eigenart des gewählten Verfahrens sowie der zugelassenen Beweismittel Rechnung tragen.
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Beschluß | |
des Zweiten Senats vom 21. Mai 1996
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-- 2 BvE 1/95 -- | |
Entscheidungsformel:
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1. Der Antrag zu I.2. wird zurückgewiesen.
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2. Im übrigen werden die Anträge zu I. als unzulässig erworfen.
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3. Damit erledigt sich der Antrag zu II.
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Gründe: | |
A. | |
Der Organstreit betrifft die Frage, ob das Verfahren nach § 44b Abs. 2 AbgG zur Überprüfung von Bundestagsabgeordneten auf eine Tätigkeit oder politische Verantwortung für den Staatssicherheitsdienst der DDR mit den Rechten der betroffenen Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar ist.
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I.
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1. a) Das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages (Abgeordnetengesetz - AbgG) vom 18. Februar 1977 (BGBl. I S. 297) wurde durch Gesetz vom 20. Januar 1992 (BGBl. I S. 67) um folgende Regelung ergänzt:
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"§ 44b AbgG
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(1) Mitglieder des Bundestages können beim Präsidenten schriftlich die Überprüfung auf eine hauptamtliche oder inoffizielle Tätigkeit oder politische Verantwortung für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik beantragen.
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(3) Das Verfahren wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 vom Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung durchgeführt.
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(4) Das Verfahren zur Feststellung einer Tätigkeit oder Verantwortung für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik legt der Deutsche Bundestag in Richtlinien fest."
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b) Die Richtlinien zur Überprüfung auf eine Tätigkeit oder politische Verantwortung für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (im folgenden: Richtlinien) wurden vom 12. Deutschen Bundestag zusammen mit der Gesetzesänderung beschlossen. Der 13. Deutsche Bundestag übernahm sie unverändert mit Beschluß vom 10. November 1994 (BT-Plenarprotokoll 13/1, S. 14). In den Richtlinien heißt es:
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"1. Der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuß) ist zuständig für Überprüfungen gemäß § 44b des Abgeordnetengesetzes.
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Dem 1. Ausschuß sind die Mitteilungen des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Bundesbeauftragter) und sonstige Unterlagen zur Überprüfung eines Mitgliedes des Bundestages unmittelbar zuzuleiten.
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Er kann aus seiner Mitte Mitglieder mit der Durchsicht von Unterlagen beauftragen.
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Entscheidungen nach § 44b Abs. 2 des Abgeordnetengesetzes, Entscheidungen über Ersuchen um zusätzliche Auskünfte des Bundesbeauftragten und Entscheidungen zur Feststellung des Prüfungsergebnisses trifft der 1. Ausschuß mit einer Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder.
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2. Der Präsident des Deutschen Bundestages ersucht den Bundesbeauftragten um Mitteilung von Erkenntnissen aus seinen Unterlagen über ein Mitglied des Bundestages und um Akteneinsicht, falls dieses Mitglied des Bundestages es verlangt.
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Er ersucht den Bundesbeauftragten auch, falls der 1. Ausschuß konkrete Anhaltspunkte für den Verdacht der hauptamtlichen oder inoffiziellen Tätigkeit oder politischen Verantwortung eines Mitgliedes des Bundestages für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit (MfS/AfNS) der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik festgestellt hat.
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3. Der 1. Ausschuß trifft aufgrund der Mitteilungen des Bundesbeauftragten und aufgrund sonstiger ihm zugeleiteter oder von ihm beigezogener Unterlagen die Feststellung, ob eine hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeit oder eine politische Verantwortung für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit (MfS/AfNS) der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik als erwiesen anzusehen ist.
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4. Vor Abschluß der Feststellungen gemäß Nummer 3 sind die Tatsachen dem betroffenen Mitglied des Bundestages zu eröffnen und mit ihm zu erörtern.
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Das betroffene Mitglied kann Einsicht in die beim 1. Ausschuß befindlichen Unterlagen verlangen. Es kann sich einer Vertrauensperson bedienen.
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Der Vorsitzende des 1. Ausschusses unterrichtet den Präsidenten des Deutschen Bundestages und den Vorsitzenden derjenigen Fraktion oder Gruppe, der das betroffene Mitglied des Bundestages angehört, über die beabsichtigte Feststellung des 1. Ausschusses.
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5. Die Feststellung des 1. Ausschusses über ein Mitglied des Bundestages wird unter Angabe der wesentlichen Gründe als Bundestagsdrucksache veröffentlicht. In die Bundestagsdrucksache ist auf Verlangen eine Erklärung des betroffenen Mitgliedes des Bundestages in angemessenem Umfang aufzunehmen."
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c) In der Absprache zur Durchführung der Richtlinien gemäß § 44b AbgG vom 30. April 1992 (im folgenden: Absprache) regelte der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (im folgenden: 1. Ausschuß) weitere Einzelheiten des Überprüfungsverfahrens und legte Kriterien für die zu treffende Feststellung fest (BTDrucks 12/4613, S. 8 f. [Anlage 3]). Durch Beschluß vom 19. Januar 1995 wurde die Absprache vom 1. Ausschuß für die 13. Wahlperiode übernommen (Protokoll G 2 der 2. Sitzung des 1. Ausschusses - Geschäftsangelegenheiten - S. 4). Sie bestimmt unter anderem:
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"1. Einzelfallüberprüfung
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Die Einzelfallüberprüfung übernehmen Berichterstattergruppen.
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Die Berichterstattergruppen bestehen jeweils aus dem Vorsitzenden und seinem Stellvertreter sowie je einem Mitglied der Fraktionen und Gruppen.
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2. Anhörung des Betroffenen
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Termin und Ort bestimmt der Vorsitzende, er gibt dies in einer Ausschußsitzung bekannt.
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Die Anhörung wird von der Berichterstattergruppe durchgeführt; jedes Ausschußmitglied kann teilnehmen.
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Die Einladung erfolgt schriftlich mit dem Hinweis, daß das betroffene Mitglied des Bundestages vorher Einsicht in die Akten des Ausschusses nehmen kann.
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Das betroffene Mitglied des Bundestages kann nach Ende der Anhörung dem Ausschuß eine schriftliche Stellungnahme zuleiten. Ob und inwieweit diese Stellungnahme für die Antragstellung gemäß Ziffer 5 der Richtlinien bewertet wird, muß zum Zeitpunkt der Abfassung der Beschlußempfehlung entschieden werden.
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3. Überprüfung von Amts wegen
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Die Überprüfung von Mitgliedern des Bundestages gemäß § 44b Abs. 2 AbgG kann von jedem Ausschußmitglied beantragt werden.
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Dem Antrag sind Belegmaterialien beizufügen.
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...
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4. Aktenaufbewahrung und Akteneinsicht
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Die Originale bleiben im Sekretariat. Sie können dort von jedem Ausschußmitglied eingesehen werden.
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Für das Überprüfungsverfahren werden höchstens zwei Kopien gezogen.
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Einsicht in die Akten des Ausschusses wird dem betroffenen Mitglied des Bundestages nur in den Räumen des Ausschusses gewährt. Bei der Einsichtnahme müssen der Vorsitzende oder von ihm beauftragte Mitglieder des Ausschusses oder des Sekretariats anwesend sein. Anonymisierte Kopien werden dem betroffenen Mitglied des Bundestages auf Verlangen ausgehändigt. Aufzeichnungen kann sich das betroffene Mitglied des Bundestages anfertigen.
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Das Akteneinsichtsrecht für Mitglieder des Bundestages in Überprüfungsakten des Ausschusses nach § 16 GO-BT ist durch die Sonderregelung des § 44b AbgG und der Richtlinien ausgeschlossen.
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5. Öffentlichkeit
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Die Mitglieder des Ausschusses sind zur Verschwiegenheit über schutzwürdige persönliche Daten überprüfter Abgeordneter verpflichtet.
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Presseerklärungen über die inhaltliche Bewertung von Einzelfällen werden nicht abgegeben.
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Hörfunk- und Fernsehaufzeichnungen im Sitzungssaal aus Anlaß der Sitzungen und Gespräche sind unzulässig.
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6. Feststellungskriterien
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Feststellungskriterien für den Ausschuß sind insbesondere:
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- inoffizielle Tätigkeit (vgl. § 6 Abs. 4 Nr. 2 StUG), wenn
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- eine unterzeichnete Verpflichtungserklärung vorliegt oder
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- nachweislich Berichte oder Angaben über Personen geliefert wurden oder
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- Zuwendungen, Vergünstigungen, Auszeichnungen oder Vergleichbares nachweislich dafür entgegengenommen wurden oder
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- sonstige Unterlagen vorliegen, die schlüssiges Handeln für das MfS/AfNS belegen.
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- politische Verantwortung für das MfS/AfNS oder seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
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- das Vorliegen einer unterzeichneten Verpflichtungserklärung, wobei jedoch wegen fehlender Unterlagen eine Mitarbeit nicht bewertet werden kann, ein Tätigwerden nicht vorliegt oder nicht nachweisbar ist,
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- eine nachgewiesene Eintragung in die IM-Kartei, wobei Verdachtsmomente jedoch offensichtlich auf manipulierten Daten zu ungunsten des Betroffenen basieren,
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- eine Tätigkeit oder politische Verantwortung für das MfS/AfNS, wobei jedoch Einzelpersonen nachweislich weder mittelbar noch unmittelbar belastet oder benachteiligt worden sind."
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2. Der Antragsteller ist Mitglied des 13. Deutschen Bundestages. Am 9. Februar 1995 beschloß der 1. Ausschuß eine Überprüfung des Antragstellers nach § 44b Abs. 2 AbgG und bat anschließend den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR (im folgenden: Bundesbeauftragter), ein Gutachten zu den in seiner Behörde aufgefundenen, mit dem Antragsteller im Zusammenhang stehenden Unterlagen auszuarbeiten und dabei Fragenkataloge einiger Ausschußmitglieder zu berücksichtigen.
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Der Bundesbeauftragte übersandte dem 1. Ausschuß eine gutachterliche Stellungnahme vom 26. Mai 1995. Sie kommt unter anderem zu dem Ergebnis, daß Kontakte des Antragstellers zum MfS vorlägen, die als "10-jährige Zusammenarbeit" mit "inoffiziellem Charakter" zu bewerten seien. Noch vor Eingang der Stellungnahme beim 1. Ausschuß berichtete das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" über ihren Inhalt (Nr. 22/1995 vom 29. Mai 1995, S. 22 ff.). Nachfolgend gab der Antragsteller gegenüber den Medien Passagen aus der Stellungnahme wieder. Daraufhin veröffentlichte der 1. Ausschuß aufgrund seines Beschlusses vom 2. Juni 1995 den vollständigen Text der Stellungnahme des Bundesbeauftragten.
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II.
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1. Mit seinen am 10. April 1995 eingegangenen Anträgen zu 1. und 2. beantragt der Antragsteller im Organstreit festzustellen, daß die Antragsgegner seine Rechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG und die Rechtsstaatlichkeit verletzt hätten
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1. durch die Regelung und Ausgestaltung eines Verfahrens zur Überprüfung von Abgeordneten auf eine Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik durch § 44b Abgeordnetengesetz sowie ergänzende Richtlinien und eine Absprache,
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2. indem sie ein Verfahren gemäß § 44b Abgeordnetengesetz gegen den Antragsteller durchführen.
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Zugleich hat der Antragsteller den Erlaß einer einstweiligen Anordnung beantragt.
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Mit einem am 14. August 1995 eingegangenen Schriftsatz hat der Antragsteller seine Anträge in der Hauptsache erweitert. Er beantragt nunmehr auch festzustellen, daß die Antragsgegner seine Rechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG und die Rechtsstaatlichkeit verletzt haben, indem
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3. der Antragsgegner zu 2. am 2. Juni 1995 beschloß,die auf die Person des Antragstellers bezogene gutachterliche Stellungnahme des Bundesbeauftragten allen interessierten Presseorganen und Einzelpersonen zugänglich zu machen,
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4. a) einzelne Mitglieder des Antragsgegners zu 2. direkt und indirekt Einfluß auf die Behörde des Bundesbeauftragten genommen haben, als von dieser im Auftrage der Antragsgegner eine gutachterliche Stellungnahme zur Person des Antragstellers erarbeitet wurde,
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b) Mitglieder des Antragsgegners zu 2. und dessen Vorsitzender inhaltlich vor der Presse der gutachterlichen Stellungnahme Seriosität, ordnungsgemäße Verfahrensweise, Kompetenz und Sorgfalt zuerkannten, bevor der Antragsteller Stellung nehmen konnte, und dadurch eine Vorverurteilung des Antragstellers aussprachen,
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c) Mitglieder des Antragsgegners zu 1. den Antragsteller im Hinblick auf die gutachterliche Stellungnahme des Bundesbeauftragten aufgefordert haben, sein Abgeordnetenmandat niederzulegen oder ihm den Rücktritt nahegelegt haben oder erklärt haben, er habe sich als ungeeignet erwiesen, Politiker zu sein, bevor der Antragsteller Stellung nehmen konnte und bevor der Antragsgegner zu 2. als zuständiger Ausschuß über die von ihm zu treffenden Feststellungen beraten hatte.
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2. Zur Begründung der Anträge trägt der Antragsteller vor:
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a) Dem Deutschen Bundestag fehle die Befugnis zur Einführung eines Überprüfungsverfahrens nach § 44b AbgG. Zwar könne der Bundestag die Ausübung des Abgeordnetenmandats durch Geschäftsordnung oder Gesetz näher ausformen; einschränken könne er sie im hier maßgeblichen Zusammenhang jedoch nur, soweit das Recht der Untersuchungsausschüsse (Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG) und der Schutz der Abgeordnetenimmunität (Art. 46 GG) Ausnahmen zuließen. Aus diesen Regelungen lasse sich das vom Bundestag in Anspruch genommene Überprüfungsrecht aber nicht herleiten.
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Die durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte freie Mandatsausübung verbiete es, Abgeordnete zu einem Mandatsverzicht zu zwingen. Die Überprüfung nach § 44b AbgG solle jedoch der "Selbstreinigung des Bundestages" dienen und damit im Ergebnis einen Mandatsverzicht belasteter Abgeordneter bewirken. Daß das Überprüfungsverfahren Folgen für die Mandatsausübung habe, zeige sich daran, daß der Antragsteller nicht in den Gemeinsamen Ausschuß gewählt worden sei und daß die beiden vom 1. Ausschuß in der 12. Legislaturperiode negativ bewerteten Abgeordneten nicht wieder für den Bundestag nominiert worden seien. Auch die massiven Angriffe auf den Antragsteller in der Presse nach Veröffentlichung der gutachterlichen Stellungnahme des Bundesbeauftragten und die Rücktrittsforderungen zahlreicher Politiker machten deutlich, daß durch das Überprüfungsverfahren in die Freiheit der Mandatsausübung eingegriffen werde.
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Die Überprüfungsmöglichkeit des § 44b AbgG verletze auch das Gebot der Gleichbehandlung aller Abgeordneten. Denn das Verfahren gestatte es, Abgeordnete einer politischen Minderheit oder bestimmten geographischen Herkunft auszugrenzen. Bürger der ehemaligen DDR seien eher als Bundesbürger Anwerbeaktivitäten und insbesondere dem Anwerbedruck durch den Staatssicherheitsdienst ausgesetzt gewesen.
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Es stünden auch der Ruf des Antragstellers als Rechtsanwalt und seine persönliche Ehre auf dem Spiel. Hoheitliche Eingriffe in diese Rechtsgüter dürften nur in einem rechtsstaatlichen Verfahren vorgenommen werden, was durch die normative Ausgestaltung des Überprüfungsverfahrens jedoch nicht gesichert sei. Das Verfahren nach § 44b AbgG entspreche insbesondere nicht den Vorgaben des Art. 44 GG. Es fehle eine Bindung an die Beweisregeln der Strafprozeßordnung sowie die Gewährleistung von Minderheitsrechten. Problematisch sei ferner, daß der 1. Ausschuß seine Überprüfungsergebnisse ausschließlich auf Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes stütze, dem zugearbeitet zu haben dem Abgeordneten vorgeworfen werde. Da die Unterlagen rechtsstaatswidrig erstellt worden seien, folge hieraus ein Verwertungsverbot. Jedenfalls sei der Beweiswert der Unterlagen zweifelhaft.
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Der Antragsteller sei inzwischen sechsmal auf eine Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst hin überprüft worden, darunter fünfmal unter Einbeziehung des Bundesbeauftragten. Da nach § 44b AbgG auch künftig jederzeit weitere Überprüfungsverfahren eingeleitet werden könnten, werde gegen den allgemeinen rechtsstaatlichen Grundgedanken des "ne bis in idem" verstoßen.
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b) Die in den Anträgen zu 3. und 4. gerügten Verfahrensverstöße beeinträchtigten das politische Wirken des Antragstellers im Parlament und in der Öffentlichkeit. Der Antragsteller habe daher ein rechtliches Interesse an der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit. Dies gelte insbesondere für die Veröffentlichung des Gutachtens durch den 1. Ausschuß. Sie verletze Nr. 4 und 5 der Absprache, die bestimmten, daß das Überprüfungsverfahren bis zu seinem Abschluß nichtöffentlich durchzuführen sei.
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III.
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Die Antragsgegner sind den Anträgen entgegengetreten:
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1. Die Anträge zu 1. und 2. seien unzulässig, denn hiermit begehre der Antragsteller unzulässigen verfahrensbegleitenden Rechtsschutz. Der Antragsteller müsse gemäß allgemeinen prozeßrechtlichen Grundsätzen abwarten, ob er durch das Ergebnis des Verfahrens überhaupt beschwert sein werde.
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2. Die Anträge seien unbegründet, weil das Überprüfungsverfahren nach § 44b AbgG in jeder Hinsicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen genüge:
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Angesichts der Lage im wiedervereinigten Deutschland sei die konkrete Zielsetzung des § 44b AbgG mit der Verfassung vereinbar. Mit Ausnahme der Abgeordneten der PDS/Linke Liste seien sich die Bundestagsabgeordneten darin einig gewesen, daß Volksvertreter nicht in Machenschaften des Staatssicherheitsdienstes verstrickt gewesen sein dürften. Die mangelnde Eignung von Mitarbeitern oder Verantwortlichen des Staatssicherheitsdienstes ergebe sich aus dem Einigungsvertrag. Die Unvereinbarkeit von Amt und Stasi-Mitarbeit sei eindeutiger gemeinsamer Wille der vertragsschließenden Parteien gewesen. An der Aufklärung der Beziehungen von Abgeordneten zum MfS/AfNS bestehe auch ein erhebliches öffentliches Interesse.
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Die Wahrung des Ansehens des Parlaments könne sogar eine Aberkennung des Mandats rechtfertigen. Demgegenüber sei für die Abgeordnetenüberprüfung nach § 44b Abs. 2 AbgG eine moderate Lösung gewählt worden. Es fehle jede rechtliche Zwangseinwirkung auf die Mandatsinhaber. Die abschließende Feststellung des 1. Ausschusses werde in ihrer Wirkung im übrigen auch dadurch abgemildert, daß der betroffene Abgeordnete ihr seine eigene Sachdarstellung anfügen könne.
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Der Deutsche Bundestag habe sich bewußt gegen ein Untersuchungsausschußmodell entschieden. Dies sei von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, denn das Parlament könne zur Wahrung seines Ansehens auch andere Gremien mit Überprüfungsaufgaben betrauen. Diese müßten nicht mit allen Rechten eines Untersuchungsausschusses ausgestattet sein, solange die Beschränkung der Erkenntnismittel hinreichend im Beweismaß reflektiert werde. Eine Vorgehensweise, die die Akten des Bundesbeauftragten in den Vordergrund rücke, entspreche im übrigen dem Verfahren, wie es für sonstige öffentliche Ämter angewandt werde. Der 1. Ausschuß sei jedoch bereit, auf Initiative des Antragstellers auch Zeugen anzuhören.
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IV.
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Die Landtage von Brandenburg und Sachsen haben zum Verfahren Stellung genommen.
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Der Sächsische Landtag hält die Abgeordnetenüberprüfung nach § 44b Abs. 2 AbgG für verfassungsgemäß.
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Der Landtag Brandenburg verweist auf seinen Beschluß "Mit menschlichem Maß die Vergangenheit bewerten" (Drucks 1/3098), in dem die sorgfältige Prüfung jedes Einzelfalls unter Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze gefordert wird. Die Prüfung müsse über die bloße Feststellung einer Zusammenarbeit mit dem MfS hinausgehen und die Motive für die Zusammenarbeit sowie Art, Umfang, Dauer und Gründe für ihre Beendigung berücksichtigen.
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Der Antrag zu 2. ist lediglich hinsichtlich einzelner Rügen zulässig; im übrigen sind die Anträge unzulässig.
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I.
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Im Organstreit kann der einzelne Abgeordnete die behauptete Verletzung oder Gefährdung jedes Rechts, das mit seinem Status verfassungsrechtlich verbunden ist, geltend machen (vgl. BVerfGE 80, 188 [208 f.]). Sein Antrag ist zulässig, wenn es nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, daß der Antragsgegner aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten erwachsende Rechte des Antragstellers durch die beanstandete rechtserhebliche Maßnahme verletzt oder unmittelbar gefährdet hat (vgl. auch BVerfGE 90, 286 [337]).
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II.
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Der Antrag zu 1., mit dem der Antragsteller den Erlaß des § 44b Abs. 2 AbgG einschließlich der dazu ergangenen Durchführungsrichtlinien und der getroffenen Absprache angreift, ist schon unzulässig, weil diese Regelungen nicht geeignet sind, den Antragsteller in den mit seinem verfassungsrechtlichen Abgeordnetenstatus verbundenen Rechten zu verletzen oder unmittelbar zu gefährden (vgl. § 64 Abs. 1 BVerfGG). § 44b Abs. 2 AbgG und die dazu ergangenen Bestimmungen berühren für sich allein die Rechtsstellung eines Abgeordneten noch nicht; weder fordern sie von ihm ein bestimmtes Verhalten, noch haben sie unmittelbare rechtliche Auswirkungen auf seine Rechte als Abgeordneter, noch setzen sie ein Überprüfungsverfahren unmittelbar in Gang. Rechtliche Bedeutung für den einzelnen Abgeordneten erlangen diese Regelungen vielmehr erst infolge eines selbständigen Umsetzungsaktes, der Feststellung des Vorliegens konkreter Anhaltspunkte für den Verdacht durch den 1. Ausschuß gemäß § 44b Abs. 2 AbgG in Verbindung mit Nr. 1 der Richtlinien.
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III.
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Der Antrag zu 2. ist nur mit zwei der dazu erhobenen Rügen zulässig.
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1. Der Antragsteller sieht seine Abgeordnetenstellung durch die Einleitung des Überprüfungsverfahrens verletzt. Er ist der Auffassung, der verfassungsrechtliche Status eines vom Volk wirksam gewählten Abgeordneten lasse eine derartige Überprüfung nicht zu. Jedenfalls sei aber das dazu in Richtlinien und Absprache vorgeschriebene Verfahren rechtsstaatlich zu beanstanden; es gewährleiste nicht, daß die gemäß Nr. 3 der Richtlinien mögliche Feststellung, eine Mitarbeit oder politische Verantwortung für das MfS/AfNS sei als erwiesen anzusehen, auf einer hinreichend sicheren Ermittlungsgrundlage beruhe. Insbesondere könne der Betroffene auf diese Feststellung nicht effektiv Einfluß nehmen. Nach diesen Darlegungen ist eine Beeinträchtigung der Abgeordnetenstellung des Antragstellers nicht von vornherein ausgeschlossen.
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Insoweit kommt auch der Einleitung des Überprüfungsverfahrens schon die Bedeutung einer im Organstreit angreifbaren rechtserheblichen Maßnahme (vgl. § 64 Abs. 1 BVerfGG) zu. Ist die Überprüfung, sei es generell, sei es in ihrer normativen Ausgestaltung, mit der Abgeordnetenstellung nicht vereinbar, so verwirklicht sich eine Rechtsverletzung bereits mit der Einleitung und nicht erst mit der das Verfahren abschließenden Feststellung.
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2. Anders verhält es sich, soweit der Antragsteller rügt, die Entscheidung, ein Überprüfungsverfahren einzuleiten, sei in seinem Fall von sachfremden Beweggründen getragen. Mit diesem Vorbringen kann der Antragsteller nicht geltend machen, schon durch die Einleitung des Verfahrens in rechtserheblicher Weise in seiner Abgeordnetenstellung betroffen zu sein. Die angegriffene Entscheidung bereitet eine abschließende Feststellung des Ausschusses lediglich vor und ist deshalb mit der vom Antragsteller erhobenen Rüge im Organstreitverfahren nicht selbständig angreifbar. Im übrigen hat der Antragsteller auch konkrete Anhaltspunkte dafür, daß die Einleitungsentscheidung des 1. Ausschusses auf sachfremden Erwägungen beruhe, nicht substantiiert vorgetragen (§ 23 Abs. 1 BVerfGG).
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3. Unzulässig ist auch die Rüge des Antragstellers, er werde einer rechtsstaatlich unzulässigen Doppelüberprüfung unterzogen. Art. 103 Abs. 3 GG findet von vornherein keine Anwendung (vgl. BVerfGE 28, 264 [276]). Auf die Reichweite eines vom Bundesverfassungsgericht aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsatzes, wonach die mehrfache Ahndung desselben Vorgangs mit der gleichen Maßnahme unzulässig ist (vgl. dazu BVerfGE 28, 264 [277]), kommt es nicht an, ebensowenig ist zu entscheiden, ob das Überprüfungsverfahren zur Feststellung einer Verstrickung einer Ahndung gleichgestellt werden kann. Stets wäre Voraussetzung für das Eingreifen dieses Grundsatzes - ebenso wie bei einem aus Art. 103 Abs. 3 GG folgenden Verbrauch der Strafklage -, daß ein vorangegangenes Verfahren zum Abschluß gebracht wurde; daran fehlt es hier. Dies gilt jedenfalls insoweit, als der fehlende Abschluß des vorausgegangenen Verfahrens verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
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4. Soweit der Antragsteller im Rahmen des Antrags zu 2. die Verletzung seiner Grundrechte rügt, ist diese Rüge unzulässig, weil ein Abgeordneter im Organstreit ausschließlich Rechte geltend machen kann, die sich aus seiner organschaftlichen Stellung im Sinne des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG ergeben.
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IV.
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Der Antrag zu 3. ist unzulässig. Der Antragsteller hat schon nicht dargelegt, daß der Beschluß des Antragsgegners zu 2., die gutachterliche Stellungnahme des Bundesbeauftragten während des laufenden Überprüfungsverfahrens zu veröffentlichen, ihn in der besonderen Situation, die der Beschlußfassung vorausgegangen war, in seinen Abgeordnetenrechten verletzen konnte. Im Zeitpunkt der Beschlußfassung des Antragsgegners zu 2. waren umfangreiche Teile der gutachterlichen Stellungnahme aufgrund einer Indiskretion, die auch der Antragsteller den Antragsgegnern nicht zurechnet, bereits von anderer Seite publiziert worden. Anschließend hatte der Antragsteller selbst Passagen der Stellungnahme öffentlich gemacht. Bei dieser Sachlage kann nicht davon ausgegangen werden, daß etwaige Behinderungen des Antragstellers bei der Mandatsausübung erst durch die nachfolgende Veröffentlichung des vollständigen Textes der Stellungnahme durch den 1. Ausschuß herbeigeführt worden sind.
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V.
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Die Anträge zu 4. sind unzulässig, weil mit ihnen keine Verletzung von Rechten gerügt wird, die dem Antragsteller aus seinem Verfassungsrechtsverhältnis zu den Antragsgegnern erwachsen können. Soweit der Antragsteller eine "Einflußnahme" auf die Behörde des Bundesbeauftragten durch einzelne Ausschußmitglieder rügt, ist nicht ersichtlich, inwiefern diese einem der beiden Antragsgegner als deren Maßnahmen zuzurechnen sein sollten. Gleiches gilt für die mit dem Antrag zu 4. b) angegriffenen Äußerungen von Ausschußmitgliedern über die Gediegenheit der gutachterlichen Stellungnahme des Bundesbeauftragten gegenüber der Presse. Schließlich werden auch mit dem Antrag zu 4. c) (Aufforderung von Abgeordneten zum Mandatsverzicht) keine Maßnahmen der Antragsgegner gerügt.
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Soweit der Antrag zu 2. zulässig ist, ist er unbegründet. Die Einleitung des Überprüfungsverfahrens nach § 44b Abs. 2 AbgG berührt zwar den verfassungsrechtlichen Status des davon betroffenen Abgeordneten (I.). Sein Status wird jedoch nicht durch die Schaffung eines Überprüfungsverfahrens (II.) und auch nicht durch dessen normative Ausgestaltung (III.) verletzt oder unmittelbar gefährdet.
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I.
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Der verfassungsrechtliche Status eines Abgeordneten wird durch eine parlamentarische Untersuchung berührt, welche sich auf eine mögliche Verstrickung in das MfS/AfNS richtet. Die durch Wahl erworbene Legitimation des Abgeordneten erschöpft sich nicht im formalen Innehaben und tatsächlichen Ausüben seines Mandats. Sein Status ist auch dann berührt, wenn die Legitimität seines Mandats im Rahmen einer Kollegialenquete in Abrede gestellt wird.
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Das Verfahren nach § 44b AbgG soll das Vertrauen in das Parlament fördern, indem es unter bestimmten Voraussetzungen zu überprüfen gestattet, ob Abgeordnete mit dem Staatssicherheitsdienst der DDR zusammengearbeitet haben (Beschlußempfehlung und Bericht des 1. Ausschusses vom 4. Dezember 1991 - BTDrucks 12/1737 - S. 2). Zwar zielt die Überprüfung möglicher Kontakte zum Ministerium für Staatssicherheit nicht auf den Verlust des Abgeordnetenmandats. Das Überprüfungsverfahren beruht aber auf der Prämisse, daß die frühere Tätigkeit eines Abgeordneten für die Staatssicherheit diesem die Legitimität nehme, Abgeordneter des Deutschen Bundestages zu sein. Damit wird nicht seine Ehre im Sinne eines personalen Rechtsguts in Frage gestellt, sondern seine "Würdigkeit", das Volk im Parlament zu vertreten. Das belegt der in der parlamentarischen Debatte zu § 44b AbgG wiederholt betonte Zweck des Verfahrens, zur "Selbstreinigung" des Parlaments beizutragen. Auch eine Feststellung des Abgeordneten Wiefelspütz, die mit Ausnahme der PDS den Beifall aller Parteien im Bundestag gefunden hat, verdeutlicht, daß im Überprüfungsverfahren die politische Vertrauenswürdigkeit des Abgeordneten, Volksvertreter zu sein, in Rede steht: "Mitarbeit für die Stasi oder gar politische Verantwortung für die Stasi läßt sich", so stellte der Abgeordnete fest, "grundsätzlich nicht mit einer Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag vereinbaren. Wer das eigene Volk bespitzelt und unterdrückt hat, wer es hintergangen, verraten und betrogen hat oder wer all dies zu verantworten hatte, gehört nicht in den Bundestag, auch wenn ihm das Mandat nicht entzogen werden kann." (BT-Plenarprotokoll, 12. Wahlperiode, 64. Sitzung vom 5. Dezember 1991, S. 5470).
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Das Verfahren nach § 44b Abs. 2 AbgG kann somit - obgleich es das Mandat und die aus ihm folgenden Rechte unberührt läßt - in der Sache zu dem Verdikt führen, daß der betroffene Abgeordnete politisch unwürdig sei, dem Parlament anzugehören. Daher betrifft eine Feststellung, der Antragsteller habe mit dem Staatssicherheitsdienst zusammengearbeitet, auch seine organschaftliche Stellung.
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II.
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1. Der Bundestag kann innerhalb seines Aufgabenbereichs bei Vorliegen eines öffentlichen Untersuchungsinteresses von hinreichendem Gewicht Überprüfungsaufträge an ein parlamentarisches Gremium zur Ermittlung von Sachverhalten erteilen, die seine Integrität und politische Vertrauenswürdigkeit berühren (vgl. BVerfGE 77, 1 [44]). Das vorliegende Verfahren nötigt nicht dazu, die engen Grenzen näher zu umschreiben, die dem Bundestag von Verfassungs wegen gesetzt sind, wenn er ein Verfahren einführen will, mit dem er ein der Wahl vorausliegendes Verhalten der gewählten Bundestagsabgeordneten untersuchen und aufklären will. Jedenfalls läßt der besondere politische und historische Anlaß, mit dem das Überprüfungsverfahren des § 44b Abs. 2 AbgG gerechtfertigt wird, ein solches Verfahren zu.
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a) Die Mitglieder des Bundestages haben durch das Wählervotum den repräsentativen Status eines unabhängigen Abgeordneten erlangt. Diesen Status hat der Bundestag zu achten. Er ist grundsätzlich gehindert, das Verhalten eines Abgeordneten vor der Wahl, soweit es nicht zulässigerweise seine Wählbarkeit ausschließt, zum Anknüpfungspunkt eines besonderen Überprüfungsverfahrens zu machen. Insoweit kommt eine Kollegialenquete daher nur ausnahmsweise in Betracht. Hier liegt ein Ausnahmefall vor.
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b) Der Bundestag durfte als Folge des Übergangs von der Diktatur zur Demokratie in den neuen Ländern der Bundesrepublik ein Verfahren einführen, durch das Abgeordnete unter bestimmten Voraussetzungen auf ihre frühere Tätigkeit oder Verantwortung für das MfS/AfNS überprüft werden.
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Das Ministerium für Staatssicherheit war ein zentraler Bestandteil des totalitären Machtapparates der DDR. Es fungierte als Instrument der politischen Kontrolle und Unterdrückung der gesamten Bevölkerung und diente insbesondere dazu, politisch Andersdenkende oder Ausreisewillige zu überwachen, abzuschrecken und auszuschalten. Diese Tätigkeit des Sicherheitsorgans der DDR zielte auf eine Verletzung der Freiheitsrechte, die für eine Demokratie konstituierend sind. Die Bespitzelung der Bevölkerung war ihrer Natur nach darauf angelegt, die Tätigkeit der handelnden Personen geheimzuhalten und zu verschleiern. Sind Abgeordnete in den Deutschen Bundestag gewählt worden, bei denen im Sinne des § 44b Abs. 2 AbgG besondere Verdachtsmomente einer Tätigkeit für das MfS/AfNS aufgetaucht sind, so kann der Bundestag ein öffentliches Untersuchungsinteresse annehmen und davon ausgehen, daß das Vertrauen in das Repräsentationsorgan in besonderer Weise gestört wäre, wenn ihm Repräsentanten angehörten, bei denen der Verdacht besteht, daß sie in der beschriebenen Weise eine Diktatur unterstützt und Freiheitsrechte der Bürger verletzt haben. Auch muß der Bundestag in einer solchen Lage nicht davon ausgehen, daß die Wähler solche Abgeordneten ungeachtet einer möglicherweise später aufgedeckten Verstrickung gewählt haben.
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2. Kann der Bundestag sich zur Überprüfung der unter § 44b Abs. 2 AbgG fallenden Abgeordneten - wie dargestellt - auf einen besonderen wichtigen Grund stützen, so verletzt die Einleitung des Überprüfungsverfahrens auch kein aus dem Abgeordnetenstatus folgendes Recht des Antragstellers auf Gleichbehandlung mit anderen Abgeordneten. Der den Abgeordnetenstatus bestimmende Grundsatz demokratischer, formaler Gleichheit läßt bei Vorliegen besonderer Gründe Differenzierungen zu (vgl. BVerfGE 93, 195 [204]).
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III.
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1. Ist ausnahmsweise - wie im vorliegenden Fall - eine Kollegialenquete gestattet, so muß das Verfahren von Verfassungs wegen Sicherungen zum Schutz des Abgeordnetenstatus enthalten. Vor allem müssen dem betroffenen Abgeordneten Beteiligungsrechte am Verfahren eingeräumt sein, die nicht nur das rechtliche Gehör gewährleisten, sondern ihm auch gestatten, aktiv an der Herstellung des Beweisergebnisses mitzuwirken. Die abschließende Auskunft über den ermittelten Sachverhalt muß der Eigenart des gewählten Verfahrens sowie der zugelassenen Beweismittel Rechnung tragen. Das Verfahren muß Regelungen enthalten, die eine korrekte Wiedergabe des Umfangs der Ermittlungen gewährleisten.
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2. Das vom Bundestag gewählte und durch Richtlinien und Absprachen näher ausgestaltete Verfahren des § 44b Abs. 2 AbgG wahrt diese Anforderungen an die abschließende Feststellung (a), an die Einräumung von Beteiligungsrechten des betroffenen Abgeordneten (b) und an die weitere Verfahrensgestaltung (c).
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a) Das Überprüfungsverfahren nach § 44b Abs. 2 AbgG verzichtet - in Abgrenzung zum parlamentarischen Untersuchungsausschuß - gezielt auf die Beweismittel des Zeugen- und Sachverständigenbeweises; es beschränkt sich auf eine Überprüfung des Verdachts anhand von Urkunden und Angaben des Betroffenen. So heißt es in der Beschlußempfehlung des 1. Ausschusses zu Nr. 3 der Richtlinien: "Es wird in dieser Vorschrift ausgeschlossen, daß der 1. Ausschuß bei der Überprüfung eines Mitgliedes des Bundestages Ermittlungen durch Zeugenvernehmungen durchführt. Die Feststellung des Sachverhaltes soll sich lediglich auf die Aktenlage stützen. Das Überprüfungsverfahren vermeidet nicht zuletzt dadurch jeden Anschein, es könnte sich um ein parlamentarisches Untersuchungsverfahren oder gerichtsähnliches Verfahren handeln." (Bericht und Beschlußempfehlung des 1. Ausschusses vom 4. Dezember 1991 - BTDrucks 12/1737 - S. 9). Dies belegt auch der Hinweis des Abgeordneten Hörster, die Fraktionen hätten übereinstimmend davon Abstand genommen, die Überprüfung als parlamentarisches Untersuchungsverfahren durchzuführen (vgl. Protokoll der Sitzung des Bundestagsrechtsausschusses vom 4. Dezember 1991, S. 32 f.). Der Ausschuß kann auch mangels richterlicher Zwangsbefugnisse Zeugen oder Sachverständige weder vorladen noch sie vereidigen.
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Diese Beschränkung der Beweismittel hat zur Folge, daß der Ausschuß eine belastende Feststellung im Sinne von Nr. 3 der Richtlinien nur aufgrund der in dem Verfahren zugelassenen Beweismittel einschließlich der Aussagen des betroffenen Abgeordneten treffen kann. Der Ausschuß muß von der Verstrickung des Abgeordneten eine so sichere Überzeugung gewinnen, daß auch angesichts der beschränkten Beweismöglichkeiten vernünftige Zweifel an der Richtigkeit der Feststellung ausgeschlossen sind; hierzu hat er die Beweise zu würdigen und das Beweisergebnis zu begründen. Kann der Ausschuß diese sichere Überzeugung nicht erlangen, steht es ihm offen, in den Gründen die Beweislage darzustellen. Mutmaßungen sind ihm verwehrt.
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b) Die gebotene Beteiligung des Abgeordneten ist durch die Richtlinien und deren Ergänzung in der Absprache gewährleistet.
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Nach Nr. 3 der Richtlinien trifft der 1. Ausschuß seine Feststellungen auch "aufgrund sonstiger ihm zugeleiteter Unterlagen"; er ist also verpflichtet, die vom betroffenen Abgeordneten eingereichten Unterlagen gleichermaßen wie die beigezogenen oder ihm anderweitig zugeleiteten Urkunden zu berücksichtigen. Auch ist der Abgeordnete gemäß Nr. 4 Abs. 1 der Richtlinien und Nr. 2 der Absprache vor Abschluß der Feststellungen persönlich anzuhören. Dabei sind die Tatsachen, wie sie sich dem Ausschuß vor Abschluß der Feststellungen darstellen, dem Abgeordneten zu eröffnen und mit ihm zu erörtern. Darüber hinaus hat der Abgeordnete Gelegenheit, dem Ausschuß eine geschlossene eigene Darstellung des maßgeblichen Sachverhalts in Schriftform zu überreichen (vgl. Nr. 2 Abs. 4 Satz 1 der Absprache). Zur Vorbereitung auf den Erörterungstermin, aber auch in jeder sonstigen Phase des Verfahrens, kann der Abgeordnete Einblick in die beim Ausschuß befindlichen Unterlagen nehmen (vgl. Nr. 4 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinien). Auch darf er sich jederzeit von einer Person seines Vertrauens unterstützen lassen (vgl. Nr. 4 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinien). Auf Verlangen des Abgeordneten ist ferner in die Bundestagsdrucksache, in der der Bericht des Ausschusses veröffentlicht wird, eine Erklärung aufzunehmen, die nur bei unangemessenem Umfang gekürzt werden darf.
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c) Auch die weitere Ausgestaltung des Überprüfungsverfahrens durch den Bundestag wird der Bedeutung des Verfahrens für den Status des betroffenen Abgeordneten gerecht.
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aa) Das Parlament schützt durch die Regelungen in Nr. 4 und 5 der Absprache die Rechte des Abgeordneten ausreichend. Das Überprüfungsverfahren wird bis zur Veröffentlichung der Feststellungen des Ausschusses nicht öffentlich durchgeführt. Die Mitglieder des Ausschusses sind auch über den Abschluß des Verfahrens hinaus zur Verschwiegenheit über schutzwürdige persönliche Daten des überprüften Abgeordneten verpflichtet.
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bb) Nr. 1 Abs. 4 der Richtlinien legt fest, daß die Einleitung eines Verfahrens nach § 44b Abs. 2 AbgG sowie grundlegende Entscheidungen bei der Durchführung des Verfahrens mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Ausschußmitglieder getroffen werden. Hierdurch hat der Gesetzgeber - da die Zusammensetzung des 1. Ausschusses die Mehrheitsverhältnisse im Parlament widerspiegelt - im Rahmen seiner Entscheidungsbefugnis sichergestellt, daß alle den Abgeordneten belastenden Verfahrensschritte und Feststellungen nur mit einer Mehrheit getroffen werden können, die in der Regel eine Fraktion übergreift und auch die Opposition einbezieht.
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D. | |
Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen.
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