BVerfGE 99, 361 - Bundesgelderveruntreuung | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: A. Tschentscher | |||
Zum Beginn der Frist des § 69 in Verbindung mit § 64 Abs. 3 Bundesverfassungsgerichtsgesetz. |
Beschluß |
des Zweiten Senats gemäß § 24 BVerfGG vom 20. Januar 1999 |
-- 2 BvG 2/95 -- |
in dem Verfahren über die Anträge festzustellen, daß der Bund gegen Artikel 20 Absatz 1, Artikel 85 in Verbindung mit Artikel 87b Absatz 2, Artikel 93 Absatz 1 Nummer 3, Artikel 104a Absatz 5 und Artikel 109 Absatz 1 des Grundgesetzes verstoßen und dadurch Rechte des Landes Nordrhein-Westfalen aus dem Grundgesetz verletzt hat, indem -- gestützt auf Artikel 104a Absatz 5 des Grundgesetzes als unmittelbare Anspruchsgrundlage -- a) die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Präsidenten des Bundesamtes für Zivilschutz, das Land Nordrhein-Westfalen durch Klage beim Bundesverwaltungsgericht auf Zahlung von 122.200,-- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 5. Mai 1992 Zug um Zug gegen die Abtretung des Schadensersatzanspruchs des Bundes gegen Herrn Klaus-Dieter Haase in Anspruch genommen, ein entsprechendes Urteil erstritten und das Land damit der Vollstreckung aus dem Urteil ausgesetzt hat und nunmehr auf der Grundlage dieses Urteils Zahlung verlangt, b) das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 2. Februar 1995 (BVerwG 2 A 5.92) zu Lasten des Landes Nordrhein-Westfalen antragsgemäß entschieden hat. Antragstellerin: Landesregierung Nordrhein-Westfalen, vertreten durch den Ministerpräsidenten, Haroldstraße 5, Düsseldorf -- Bevollmächtigter: Professor Dr. Michael Sachs, Dattenfelderstraße 7, Köln --, Antragsgegnerin: Bundesregierung, vertreten durch den Bundeskanzler, Adenauer-Allee 141, Bonn -- Bevollmächtigter: Professor Dr. Rudolf Wendt, Schulstraße 45, St. Ingbert-Hassel. |
Entscheidungsformel: |
Die Anträge werden verworfen. |
Gründe: | |
A. | |
Der Bund-Länder-Streit betrifft die Frage, ob der Bund das Land Nordrhein-Westfalen gemäß Art. 104a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG auf Schadensersatz für eine nicht ordnungsgemäße Verwaltung von Bundesgeldern in Anspruch nehmen kann.
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I. | |
Beim Amt für Feuer- und Zivilschutz der nordrhein-westfälischen Stadt Leverkusen war ein Beamter tätig, zu dessen Aufgaben es gehörte, Gelder des Bundes für Zivilschutzübungen anzufordern, Auszahlungsanordnungen seines Vorgesetzten vorzubereiten, entsprechende Geldbeträge in Empfang zu nehmen und sodann an die jeweiligen Berechtigten weiterzuleiten. Nach der einschlägigen Regelung des Katastrophenschutzgesetzes in der hier anzuwendenden Fassung von Art. 5 des Gesetzes vom 13. Juni 1986 (BGBl I S. 873) trägt der Bund die Kosten, die den Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden durch das Gesetz über die Erweiterung des Katastrophenschutzes, durch die allgemeinen Verwaltungsvorschriften aufgrund dieses Gesetzes und durch Weisungen der zuständigen Bundesbehörde entstehen (ausgenommen persönliche und sächliche Verwaltungskosten).
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Der städtische Beamte erstellte in mehreren Fällen Auszahlungsanordnungen, unterschrieb diese mit dem Namen seines Vorgesetzten und ließ sich die jeweiligen Beträge auszahlen. Er veruntreute auf diese Weise vom Bund zugewiesene Haushaltsmittel in Höhe von 122.200,-- DM und wurde deshalb zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Der Beamte ist zwischenzeitlich aus dem öffentlichen Dienst entlassen.
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II. | |
Die Stadt erließ zur Durchsetzung der Rückforderungsansprüche gegen den Beamten einen Leistungsbescheid. Die Bundesrepublik Deutschland erwirkte darüber hinaus gegen ihn einen Mahnbescheid und nachfolgend einen Vollstreckungsbescheid in Höhe des veruntreuten Betrages. Die auf Art. 104a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG gestützte Regreßforderung des Bundesamtes für Zivilschutz gegen das Land Nordrhein-Westfalen auf Zahlung von Schadensersatz wegen Veruntreuung zugewiesener Haushaltsmittel lehnte die Landesregierung als unbegründet ab.
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III. | |
Daraufhin erhob die Bundesrepublik Deutschland (vertreten durch den Präsidenten des Bundesamtes für Zivilschutz) am 5. Mai 1992 gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO Klage zum Bundesverwaltungsgericht und beantragte, das Land Nordrhein-Westfalen zur Zahlung von 122.200,- DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit Zug um Zug gegen die Abtretung ihres Schadensersatzanspruchs gegen den betreffenden Beamten zu verurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht entsprach dem Begehren antragsgemäß (Urteil vom 2. Februar 1995 - BVerwG 2 A 5.92). Es stützte sein Erkenntnis in dem für den vorliegenden Verfassungsrechtsstreit maßgeblichen Begründungsteil auf die Erwägung, Art. 104a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG enthalte - ohne das nicht ergangene Gesetz nach Satz 2 - einen mit unmittelbarer Geltungskraft ausgestalteten Haftungskern. Hiernach könnten aber nur schwerwiegende, vorsätzlich oder grob fahrlässig begangene Pflichtverletzungen erfaßt sein. Das sei vorliegend der Fall.
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IV. | |
1. Am 30. Juli 1995 leitete die Antragstellerin gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG einen Bund-Länder-Streit beim Bundesverfassungsgericht mit den im Rubrum aufgeführten Anträgen ein.
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a) Zur Rechtzeitigkeit der Anträge (§ 69 i.V.m. § 64 Abs. 3 BVerfGG) trägt sie vor: Die Frist für den Antrag zu a) beginne nicht vor Verkündung des angegriffenen Urteils des Bundesverwaltungsgerichts. Erst durch die antragsgemäße Verurteilung des Landes sei eine endgültige Verletzung seiner Rechte eingetreten. Die Klageerhebung entfalte hingegen nur vorläufige Rechtswirkungen.
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Das mit dem Antrag zu b) angegriffene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sei am 2. Februar 1995 verkündet worden. Auch dieser Antrag sei sonach rechtzeitig gestellt.
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b) Die Anträge beträfen rechtserhebliche Maßnahmen des Bundes. Der Antrag zu a) richte sich gegen die Klageerhebung und das Erstreiten des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts sowie gegen das hierauf gestützte Zahlungsverlangen des Bundes. Soweit der Klageerhebung für sich genommen erst vorbereitender Charakter zukomme, entfalle dieser, sobald das mit der Klageerhebung angestrengte materielle Ziel durch eine antragsgemäße Verurteilung erreicht sei. Jedenfalls aber liege eine rechtserhebliche Maßnahme spätestens darin, daß der Bund - gestützt auf den erstrittenen Titel - Zahlung begehrt habe.
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Dieser Rechtsstreit sei verfassungsrechtlicher Natur. Sein Gegenstand betreffe nicht allein den konkret vom Bund geltend gemachten Ersatzanspruch, sondern auch das Verhalten des Bundes, Schadensersatzansprüche gemäß Art. 104a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG für eine angeblich nicht ordnungsmäßige Verwaltung der Länder im Auftrag des Bundes vor dem Bundesverwaltungsgericht zu erstreiten, ohne daß für einen solchen Anspruch die nach Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG notwendige gesetzliche Grundlage bestehe. Bund und Land stritten sonach über einen Anspruch, dessen rechtliche Grundlage im Verfassungsrecht wurzele. Der konkrete verwaltungsrechtliche Anlaß für die Streitigkeit trete demgegenüber in den Hintergrund. Es sei zwar zutreffend, daß Streitigkeiten über derartige Ersatzansprüche aus einer nicht ordnungsmäßigen Verwaltung der verwaltungsrechtlichen Ebene angehörten. Solange der Bundesgesetzgeber jedoch das von Verfassungs wegen gemäß Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG zwingend vorgesehene Bundesgesetz zur näheren Regelung dieser Haftung nicht erlassen habe, gehe es allein um die Frage, ob der Bund überhaupt - gestützt auf diese Verfassungsnorm - eine Haftung des Landes durchsetzen könne. Eine solche Meinungsverschiedenheit über die Reichweite grundgesetzlicher Regelungen zu den Rechtsbeziehungen zwischen Bund und Ländern sei verfassungsrechtlicher Natur. Entgegen der vom Bundesverwaltungsgericht vertretenen Auffassung biete Art. 104a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG keine unmittelbare Anspruchsgrundlage für die Schadensersatzforderung des Bundes.
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2. Die Antragsgegnerin hält die Anträge für unzulässig und beantragt deren Verwerfung.
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Sie vertritt die Auffassung, die Antragsfrist habe mit der Klageerhebung begonnen und sei deshalb inzwischen abgelaufen. Im übrigen handele es sich um keine verfassungsrechtliche Streitigkeit; denn ihre Grundlage liege im einfachen Gesetzesrecht. Der Rechtsstreit betreffe allein die Frage, welche Rechtsfolgen sich in einem konkreten Fall aus dem fehlerhaften Vollzug des Katastrophenschutzgesetzes durch einen Landesbediensteten ergäben. Zudem enthalte Art. 104a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG eine unmittelbar anwendbare Anspruchsgrundlage für die Schadensersatzforderung des Bundes.
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3. Das Bundesverfassungsgericht hat Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz teilt die Auffassung der Antragstellerin. Der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts hat eine Stellungnahme des Zweiten Senats des Bundesverwaltungsgerichts übersandt. In dieser wird auf die Erwägungen des hier auch angegriffenen Urteils sowie auf die des Urteils vom 18. Mai 1994 in BVerwGE 96, 45 ff. verwiesen.
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B. | |
Die Anträge sind unzulässig; die Antragstellerin hat die in § 69 i.V.m. § 64 Abs. 3 BVerfGG bestimmte Frist zur Stellung der Anträge versäumt. Andere Fragen der Zulässigkeit, insbesondere die der Überprüfbarkeit von Gerichtsentscheidungen im Bund-Länder-Streit, bedürfen deshalb nicht der Erörterung.
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I. | |
1. Die Antragstellerin hat versäumt, den Antrag binnen sechs Monaten zu stellen, nachdem ihr die beanstandete Maßnahme bekanntgeworden ist. Die gesetzliche Frist begann am Tag der Klageerhebung durch die Bundesrepublik Deutschland im Bund-Länder-Streit vor dem Bundesverwaltungsgericht, sonach am 5. Mai 1992, und war deshalb bei Eingang der Antragsschrift vom 30. Juli 1995 beim Bundesverfassungsgericht am 1. August 1995 abgelaufen.
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2. Eine rechtserhebliche Maßnahme im Sinne des § 69 i.V.m. § 64 Abs. 1 BVerfGG ist allenfalls die Klageerhebung gegen die Antragstellerin zum Bundesverwaltungsgericht; denn der Bund berühmt sich hiermit eines auf Art. 104a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG gestützten und damit im Verfassungsrecht wurzelnden Anspruchs gegen die Antragstellerin. Schon mit der Klageerhebung zum Bundesverwaltungsgericht ist zwischen Antragstellerin und Antragsgegnerin ein konkretes Prozeßrechtsverhältnis begründet worden. Verfassungsrechtlich hat die Antragstellerin insoweit die Frage aufgeworfen, ob Art. 104a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG eine unmittelbare Anspruchsgrundlage für das Begehren des Bundes bietet, obwohl ein Gesetz gemäß Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG nicht ergangen ist. Eine Verletzung der von der Antragstellerin für sich in Anspruch genommenen Verfassungsrechtsposition wäre deshalb schon mit der Einleitung des Rechtsstreits beim Bundesverwaltungsgericht und nicht erst mit dem jenen Rechtsstreit abschließenden Urteil oder durch weitere nachfolgende Maßnahmen der Antragsgegnerin eingetreten (vgl. hierzu BVerfGE 94, 351 [364]).
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Dem Zahlungsbegehren, einer etwaigen Vollstreckung aus dem der Antragsgegnerin günstigen Urteil und diesem selbst kommt keine Bedeutung für einen verfassungsrechtlichen Bund-Länder-Streit zu. Insoweit geht es nur um einen verwaltungsrechtlichen Anspruch auf Schadensersatz und seine Durchsetzung, nicht aber um verfassungsrechtliche Fragen, die zum Gegenstand eines Bund-Länder-Streits im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG gemacht werden könnten. Der geltend gemachte Zahlungsanspruch über 122.200,-- DM nebst Zinsen fußt wegen seiner Voraussetzungen im übrigen ausschließlich auf Regelungen des einfachen Rechts, so etwa auf den Vorschriften des Katastrophenschutzgesetzes in Verbindung mit den hierzu erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften. Mit solchen Fragen hat sich das Bundesverfassungsgericht nicht zu befassen (BVerfGE 18, 85 [92 f.]).
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II. | |
Die Frist des § 69 i.V.m. § 64 Abs. 3 BVerfGG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Ausschlußfrist, nach deren Ablauf Rechtsverletzungen
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nicht mehr geltend gemacht werden können (vgl. hierzu BVerfGE 24, 252 [257 ff.]; 71, 299 [304]; 92, 80 [89]).
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Limbach, Kirchhof, Winter, Sommer, Jentsch, Hassemer, Broß, Osterloh | |
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