2. Art. 104 Abs. 2 Satz 3 GG setzt dem Festhalten einer Person ohne richterliche Entscheidung mit dem Ende des auf das Ergreifen folgenden Tages eine äußerste Grenze, befreit aber nicht von der Verpflichtung, eine solche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen.
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Beschluss | |
des Zweiten Senats vom 15. Mai 2002
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-- 2 BvR 2292/00 -- | |
In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde
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des Herrn N..., -- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Hans Meyer-Mews, Humboldtstraße 56, 28203 Bremen -- gegen a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 18. Oktober 2000 -- 17 W 10/00 --, b) den Beschluss des Landgerichts Verden vom 18. Januar 2000 -- 3 T 1/00 --, c) den Beschluss des Amtsgerichts Syke vom 6. Dezember 1999 -- 14 XIV 910 B -- und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts Hans Meyer-Mews. ![]() | |
Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Celle vom 18. Oktober 2000 -- 17 W 10/00 --, des Landgerichts Verden vom 18. Januar 2000 -- 3 T 1/00 -- und des Amtsgerichts Syke vom 6. Dezember 1999 -- 14 XIV 910 B -- verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 2 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Syke zurückverwiesen.
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Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerde-Verfahren zu erstatten. Damit erledigt sich der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe.
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Gründe: | |
A. | |
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die ohne richterliche Anordnung erfolgte Festnahme und Ingewahrsamnahme im Rahmen einer Abschiebung.
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I.
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1. a) Der Beschwerdeführer, ein gambischer Staatsangehöriger, wurde unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Ihm wurde die Abschiebung in sein Heimatland für den Fall angedroht, dass er die Bundesrepublik Deutschland nicht bis zum 31. Dezember 1998 verlassen haben sollte.
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b) Am Nachmittag des 20. Januar 1999 suchten zwei Polizeibeamte den Beschwerdeführer in seiner Wohnung auf, um Einzelheiten der Abschiebung zu besprechen. Aufgrund von Äußerungen des Beschwerdeführers und der Gesamtumstände seines Verhaltens sahen die Beamten seine Ingewahrsamnahme zur Sicherung der für den nächsten Morgen geplanten Abschiebung als notwendig an. Sie verbrachten den Beschwerdeführer auf ihre Dienststelle. Von dort aus versuchten sie nach ihren Angaben gegen 16.00 Uhr vergeblich, beim Amtsgericht Syke telefonisch einen Haftrichter zu erreichen. Der Beschwerdeführer wurde bis gegen 3.00 Uhr des folgenden Ta ![]() ![]() | |
2. a) Der Beschwerdeführer beantragte beim Amtsgericht Syke festzustellen, dass seine Festnahme am 20. Januar 1999 um ca. 15.30 Uhr und die daran anschließende Ingewahrsamnahme ohne richterliche Bestätigung rechtswidrig gewesen seien; gleichzeitig beantragte er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
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Nach § 42 Abs. 7 AuslG dürfe die Polizei einen Ausländer nur dann zur Aufenthaltsermittlung und Festnahme ausschreiben und festnehmen, wenn sein Aufenthalt unbekannt sei. Sein regelmäßiger Aufenthalt sei der Ausländerbehörde jedoch bekannt gewesen. Dementsprechend habe die Polizei ihn auch in seiner Wohnung angetroffen. Im Übrigen sei dem Ausländergesetz eine Ingewahrsamnahme ohne vorherige richterliche Anordnung fremd.
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Eine vorläufige Freiheitsentziehung ohne vorherige richterliche Anordnung komme nur in Betracht, wenn der damit verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck anders nicht erreichbar sei. Dann müsse gemäß Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG jedenfalls nachträglich unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeigeführt werden. Die Freiheitsentziehung ohne richterliche Überprüfung habe hier mehr als 15 Stunden gedauert. Für eine so weit gehende eigenmächtige Freiheitsentziehung habe die Polizei nicht die erforderliche Ermächtigungsgrundlage. Die zusätzliche zeitliche Grenze des Art. 104 Abs. 2 Satz 3 GG, wonach die Freiheitsentziehung nur bis zum Ende des Tages andauern dürfe, der auf den Tag der Festnahme folge, ändere daran nichts. Nach dem Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz -- NGefAG -- müssten Polizei- und Verwaltungsbehörden unverzüglich eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der vorläufigen Freiheitsentziehung herbeiführen, es sei denn, dass mit einer solchen Entscheidung erst nach Beendigung der Maßnahme zu rechnen sei. Auch nach § 13 des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen -- FEVG -- habe die Verwaltungsbehörde ohne jede Verzögerung eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Festnahme des Beschwerdeführers sei im Voraus geplant und eine rechtzeitige Einschaltung eines ![]() ![]() | |
b) Mit Beschluss vom 11. Oktober 1999 wies das Amtsgericht zunächst den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurück; die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Verwaltungsbehörde sei nicht verpflichtet gewesen, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Da die Festnahme des Beschwerdeführers gegen 15.30 Uhr und damit nach Dienstschluss des Amtsgerichts, die Abschiebung gegen 7.30 Uhr des folgenden Tages und damit vor Dienstbeginn erfolgt sei, sei mit einer richterlichen Entscheidung erst nach Beendigung der Maßnahme zu rechnen gewesen.
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Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies das Landgericht mit Beschluss vom 8. November 1999 als unbegründet zurück. Die Festnahme des Beschwerdeführers wäre auf Antrag der beteiligten Verwaltungsbehörde gemäß § 57 Abs. 2 Satz 2 AuslG zulässig gewesen, weil gegen den Beschwerdeführer ein Abschiebungshaftbefehl hätte ergehen können. Vor Entlassung des Betroffenen aus der Haft und seiner Abschiebung sei eine richterliche Entscheidung nicht mehr möglich gewesen.
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c) Mit Beschluss vom 6. Dezember 1999 wies das Amtsgericht den Feststellungsantrag unter Wiederholung der vom Landgericht im Prozesskostenhilfebeschluss angeführten Gründe zurück. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde wurde vom Landgericht mit Beschluss vom 18. Januar 2000 "aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses" verworfen.
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Mit Beschluss vom 18. Oktober 2000 wies das Oberlandesgericht Celle die sofortige weitere Beschwerde zurück. Das in § 13 FEVG vorgeschriebene gerichtliche Verfahren erfasse auch Maßnahmen von Verwaltungsbehörden, die -- wie hier -- nach Landesrecht ergingen, aber eine Freiheitsentziehung aufgrund Bundesrechts sichern sollten. Abschiebungshaft nach § 57 AuslG dürfe gemäß § 3 FEVG nur das Amtsgericht auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde, nicht aber die Ausländerbehörde selbst anordnen. Auch Art. 104 Abs. 2 Satz 2 und 3 GG ermächtige die Verwaltung nicht, von Ein ![]() ![]() | |
Wolle die Verwaltung aus eigener Machtvollkommenheit einen Ausländer zur Sicherung der Abschiebung vorläufig in Haft nehmen, bedürfe sie dafür gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 3, 104 Abs. 1 GG einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung. Bei der Festnahme des Beschwerdeführers habe es sich nicht um eine Fahndungsmaßnahme zur Ermittlung des unbekannten Aufenthalts nach § 42 Abs. 7 AuslG gehandelt. Die Festnahme sei jedoch nach § 18 Abs. 1 Nr. 2a NGefAG rechtmäßig. Danach könnten die Verwaltungsbehörden und die Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies unerlässlich sei, um die Fortsetzung einer Straftat zu verhindern. Da der vollziehbar ausreisepflichtige Beschwerdeführer nicht zum vorgegebenen Zeitpunkt ausgereist sei und sich deshalb nach § 92 Abs. 2 Nr. 1b AuslG strafbar gemacht habe, sei die Ausländerbehörde mit Amtshilfe der Polizei berechtigt gewesen, ihn festzunehmen oder festnehmen zu lassen, um gegen ihn Abschiebungshaft zu beantragen oder ihn sogleich abzuschieben.
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II.
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Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und von Art. 104 Abs. 1 und 2 GG.
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Nach Art. 104 Abs. 2 GG dürfe nur ausnahmsweise eine Freiheitsentziehung ohne vorherige richterliche Anordnung erfolgen. Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung setze die Ingewahrsamnahme vor einer Abschiebung in der Regel eine vorherige richterliche Entscheidung voraus. Das Landeskriminalamt habe vermutlich lange gewusst, dass ein Flug für den 21. Januar 1999 gebucht gewesen sei. Mithin hätte wegen der beabsichtigten Freiheitsentziehung vorher eine richterliche Entscheidung eingeholt werden können und ![]() ![]() | |
Das Ausländergesetz regele die Voraussetzungen abschließend, unter denen ein Ausländer zum Zweck der Anordnung von Abschiebungshaft festgenommen werden dürfe. Diese bundesgesetzliche Regelung habe Vorrang vor den Gesetzen der Länder. Die Festnahme des Beschwerdeführers habe nicht der Wiederherstellung der Ordnung, sondern seiner Abschiebung am kommenden Tag gedient. Deshalb komme das Niedersächsische Gefahrenabwehrgesetz nicht zum Tragen, zumal das speziellere Gesetz ohnehin Vorrang gegenüber polizeirechtlichen Generalklauseln genieße.
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Die Festnahme des Beschwerdeführers sei auch polizeirechtlich zu beanstanden. Aus Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG folge, dass nach einer Festnahme unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen sei. Das sei hier ohne tragfähigen Grund unterblieben. Des Weiteren verstoße die Festnahme gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Festnahme und die sich daran anschließende Freiheitsentziehung wären nur dann zur Erreichung eines verfassungsrechtlich gerechtfertigten Ziels geeignet gewesen, wenn dadurch der unerlaubte Aufenthalt hätte beendet werden können. Das sei hier nicht der Fall gewesen. Außerdem handele es sich beim unerlaubten Aufenthalt um ein echtes Unterlassungsdelikt, dessen Strafbarkeit entfalle, wenn dem Beschuldigten -- wie hier -- schuldhaftes Verhalten nicht vorgeworfen werden könne. Der Beschwerdeführer habe bei der Botschaft Gambias einen neuen Reisepass beantragt, den er vor der Festnahme aber noch nicht erhalten habe. Ihm sei nicht bekannt gewesen, dass die Ausländerbehörde schon im Besitz eines auf ihn ausgestellten gültigen Reisepasses gewesen sei.
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III.
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Danach liegt die Dauer von Abschiebungsmaßnahmen in der Regel zwischen drei und zwölf Stunden. Der konkrete Zeitbedarf im Einzelfall hänge bei Flugabschiebungen von der Entfernung zum Flughafen, der Fahrtroute und den üblichen Eincheckzeiten (zwei bis vier Stunden) ab. Auch sei eine Vorlaufzeit einzurechnen, da die Abzuschiebenden häufig noch nicht reisefertig seien und die Beamten nicht selten umfangreiches Übergepäck packen müssten. Ausschließlich bei Flugabschiebungen -- und zwar dann, wenn die Abflugzeit einen sehr frühen Abholungstermin verlange -- könne es notwendig werden, zur Sicherstellung des Vollzuges der Maßnahme den Ausländer bereits in den Nachmittagsstunden des Vortages in Gewahrsam zu nehmen, da ein Eindringen in Wohnungen zur Nachtzeit nach dem Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz ohne Einwilligung des Betroffenen nicht zulässig sei. Besondere Vorgaben zur Sicherstellung einer einheitlichen Verwaltungspraxis gebe es nicht. Ein Richter werde immer dann eingeschaltet, wenn über die für die Durchführung der Abschiebung unmittelbar benötigte Zeit hinaus eine Freiheitsentziehung erfolge. Das sei in der Regel der Fall bei einer Ingewahrsamnahme am Vortag der Abschiebung, die insbesondere bei Sammelabschiebungen erforderlich werden könne.
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Im vorliegenden Fall habe das Landeskriminalamt, das in Niedersachsen zentral mit der Durchführung von Flugabschiebungen beauftragt sei, das zuständige Polizeikommissariat gebeten, den Beschwerdeführer zum vorgesehenen Abschiebungstermin zum Flughafen zu transportieren. Zur Besprechung von Einzelheiten hätten zwei Polizeibeamte den Beschwerdeführer am Nachmittag des Vortages in seiner Wohnung aufgesucht. Da der Beschwerdeführer zur Nachtzeit hätte abgeholt werden müssen, habe ein reibungsloser Ablauf sichergestellt werden sollen. Die Beamten hätten zu diesem Zeitpunkt noch keine Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers beabsichtigt. Aufgrund seiner Äußerungen und der Gesamtumstände seines Verhaltens hätten sie dann aber davon ausgehen müssen, dass er sich einer Abschiebung entziehen werde, so dass die Inge ![]() ![]() | |
2. Nach Auffassung der zuständigen Ausländerbehörde begegnet die Festnahme des Beschwerdeführers durch die Polizei auf der Grundlage des § 18 NGefAG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
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Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere fehlt das erforderliche Rechtsschutzinteresse an einer Sachentscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht etwa deshalb, weil der Beschwerdeführer abgeschoben worden und der Freiheitseingriff beendet ist. Es würde der Bedeutung des Schutzes der persönlichen Freiheit, wie ihn das Grundgesetz garantiert, nicht entsprechen, wenn das Recht auf verfassungsgerichtliche Klärung der Rechtmäßigkeit eines Eingriffs in das Freiheitsrecht bei Wiedergewährung der Freiheit ohne Weiteres entfiele (vgl. BVerfGE 9, 89 [93 f.]; 10, 302 [308]; 53, 152 [157 f.]; 58, 208 [219]; 83, 24 [29 f.] ; Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 1992 -- 2 BvR 658/90 --, NVwZ 1992, S. 767, der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. März 1996 -- 2 BvR 927/95 --, NVwZ-Beilage 1996, S. 49, und der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Februar 2000 -- 2 BvR 453/99 --, NJW 2000, S. 1401; stRspr). Dies gilt unabhängig davon, ob der Eingriff bei Einlegung der Verfassungsbeschwerde noch andauert und erst im Laufe des verfassungsgerichtlichen Verfahrens beendet wird oder ob sich der Betroffene -- wie hier -- bereits bei Erhebung der Verfassungsbeschwerde nicht mehr in Haft befunden hat. ![]() | |
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 GG.
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I.
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Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG bezeichnet die Freiheit der Person als "unverletzlich". Diese verfassungsrechtliche Grundentscheidung kennzeichnet das Freiheitsrecht als ein besonders hohes Rechtsgut, in das nur aus wichtigen Gründen eingegriffen werden darf (vgl. BVerfGE 10, 302 [322]; 29, 312 [316]; 32, 87 [92]; 65, 317 [322] ). Geschützt wird die im Rahmen der geltenden allgemeinen Rechtsordnung gegebene tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit vor staatlichen Eingriffen (vgl. BVerfGE 94, 166 [198]; 96, 10 [21]), also vor Verhaftung, Festnahme und ähnlichen Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs (vgl. BVerfGE 22, 21 [26]).
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1. Nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG darf die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Person nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Die formellen Gewährleistungen des Art. 104 GG stehen mit der materiellen Freiheitsgarantie des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in unlösbarem Zusammenhang (vgl. BVerfGE 10, 302 [322]; 58, 208 [220] ). Art. 104 Abs. 1 GG nimmt den schon in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn für alle Freiheitsbeschränkungen, indem er neben der Forderung nach einem förmlichen Gesetz die Pflicht, die sich aus diesem Gesetz ergebenden Formvorschriften zu beachten, zum Verfassungsgebot erhebt (vgl. BVerfGE 10, 302 [323]; 29, 183 [195]; 58, 208 [220] ). Freiheitsbeschränkungen, also Eingriffe in die körperliche Bewegungsfreiheit, bedürfen einer materiell-gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfGE 2, 118 [119]; 29, 183 [195] ), wobei ein Bundes- oder Landesgesetz in Betracht kommt. Inhalt und Reichweite der Formvorschriften eines freiheitsbeschränkenden Gesetzes sind von den Gerichten so auszulegen, dass sie eine der Bedeutung des Grundrechts angemessene Wirkung entfalten (vgl. BVerfGE 65, 317 [322 f.]; 96, 68 [97]). ![]() | |
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3. Für den schwersten Eingriff in das Recht auf Freiheit der Person, die Freiheitsentziehung, fügt Art. 104 Abs. 2 GG dem Vorbehalt des (förmlichen) Gesetzes den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung hinzu, der nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht (vgl. BVerfGE 10, 302 [323] ). Der Richtervorbehalt dient der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird (vgl. zu Art. 13 Abs. 2 GG BVerfGE 103, 142 [151 ff.] ). Für den Staat folgt daraus die verfassungsrechtliche Verpflichtung, die Erreichbarkeit eines zuständigen Richters -- jedenfalls zur Tageszeit (vgl. etwa § 188 Abs. 1 ZPO, § 104 Abs. 3 StPO) -- zu gewährleisten und ihm auch insoweit eine sachangemessene Wahrnehmung seiner richterlichen Aufgaben zu ermöglichen (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 156).
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a) Gemäß Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG hat über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter zu entscheiden. Die Freiheitsentziehung setzt danach grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung voraus (vgl. nur BVerfGE 10, 302 [321]; 22, 311 [317]; Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 104 Rn. 23; Grabitz, Freiheit der Person, in: HStR VI, § 130 Rn. 25).
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b) Eine nachträgliche richterliche Entscheidung, deren Zulässigkeit in Ausnahmefällen Art. 104 Abs. 2 GG voraussetzt, genügt nur, wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrecht ![]() ![]() | |
c) Die Nachholung der richterlichen Entscheidung ist auch dann nicht entbehrlich, wenn der Freiheitsentzug vor Ablauf der Frist des Art. 104 Abs. 2 Satz 3 GG endet. Diese Vorschrift setzt dem Festhalten einer Person ohne richterliche Entscheidung mit dem Ende des auf das Ergreifen folgenden Tages eine äußerste Grenze (vgl. BVerfGE 83, 24 [33] ), befreit aber nicht von der Verpflichtung, eine solche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen (vgl. KG, Beschluss vom 11. April 1968, DVBl 1968, S. 470; Podlech, in: AK-GG, 2001, Art. 104 Rn. 36 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 104 Rn. 42; Rüping, in: BK, Art. 104 Rn. 66; Gusy, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG, 4. Aufl., Art. 104 Rn. 58; Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 104 Rn. 39). ![]() | |
1. Mit der Abschiebung des Beschwerdeführers ging hier eine Freiheitsentziehung einher. Dies folgt aus Intensität und Dauer der gegen ihn ergriffenen, seine körperliche Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin aufhebenden Maßnahmen. Der Beschwerdeführer ist nicht lediglich in dem zur Durchführung der Abschiebung unvermeidlichen Maße in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt, sondern vor dem Vollzug der Abschiebung von 16.00 Uhr bis gegen 3.00 Uhr des folgenden Tages gegen seinen Willen in einen Haftraum eingeschlossen worden (vgl. § 2 Abs. 1 FEVG; vgl. zur Abgrenzung BVerwGE 62, 317 [318]; 62, 325 [328]). Der Senat lässt offen, ob eine auch diesen Eingriff umfassende Rechtsgrundlage in § 49 AuslG, der allgemeinen Regelung über die Abschiebung als Vollstreckungsmaßnahme zur Durchsetzung der Ausreisepflicht, oder in § 57 AuslG, der freilich von der vorherigen richterlichen Anordnung einer Inhaftnahme zur Vorbereitung oder Sicherung einer Abschiebung als Regel ausgeht (vgl. dazu BVerwGE 62, 317 [320]; BGH, NJW 1993, S. 3069 [3070]; OLG Frankfurt/Main, NVwZ 1998, S. 213 [214]; Remmel, in: GK-AuslR, § 57 AuslG Rn. 31), oder -- wie das Oberlandesgericht in der angegriffenen Entscheidung gemeint hat -- in der dem allgemeinen Polizeirecht angehörenden Vorschrift des § 18 des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes -- NGefAG -- in der Fassung vom 20. Februar 1998 (GVBl S. 101) gefunden werden kann. Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen jedenfalls insoweit gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG, als sie es ohne weitere Aufklärung für rechtmäßig erachtet haben, dass der Beschwerdeführer elf Stunden im Polizeigewahrsam fest gehalten wurde, ohne dass eine richterliche Entscheidung wenigstens nachträglich eingeholt worden ist.
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2. Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG forderte, die vor der Inhaftnahme des Beschwerdeführers nicht eingeholte richterliche Anordnung unverzüglich nachzuholen. Dass diesem Verfassungsgebot hier genügt worden ist, wird durch die getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht belegt.
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Die nachträgliche Herbeiführung einer richterlichen Entschei ![]() ![]() | |
Die Polizei durfte nicht etwa nach § 19 Abs. 1 Satz 2 NGefAG von der Einholung einer richterlichen Entscheidung absehen. Nach dieser Vorschrift muss keine richterliche Entscheidung herbeigeführt werden, wenn anzunehmen ist, dass die Entscheidung erst nach Wegfall des Grundes der Maßnahme ergehen wird. Zweck dieser Vorschrift ist es, die Fortdauer einer Freiheitsentziehung über den durch den sachlichen Grund der Maßnahme gerechtfertigten Zeitraum hinaus zu verhindern; eine sachlich nicht mehr gerechtfertigte Freiheitsentziehung soll nicht durch eine Vorführung vor den Haftrichter verlängert werden. Dies erfordert eine Prognoseentscheidung der handelnden Beamten. Ihr ist jedoch, dem Schutzzweck des Art. 104 Abs. 2 GG entsprechend, eine den verfassungsrechtlichen Erfordernissen entsprechende Gerichtsorganisation zu Grunde zu legen. Der Richtervorbehalt hat als Sicherung gegen unberechtigte Freiheitsentziehungen hohe Bedeutung; er erfordert deshalb -- wie bereits dargelegt -- besondere Bemühungen und Vorkehrungen.
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Amtsgericht und Landgericht haben nicht hinreichend aufgeklärt und geprüft, warum hier wegen der gegen den Beschwerdeführer ergriffenen Maßnahme der Freiheitsentziehung auch nachträglich keine richterliche Entscheidung ergangen ist. Weder wurde ermittelt, welche Anstrengungen unternommen worden sind, einen Richter zu erreichen, noch wurde aufgeklärt, welche Vorkehrungen für die Erreichbarkeit eines Richters getroffen worden waren. Der bloße Hinweis auf den "Dienstschluss" des zuständigen Amtsgerichts reicht nicht aus, weil es allgemein festgelegte Dienstzeiten für Richter nicht gibt.
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Die im Rechtsbeschwerdeverfahren (vgl. § 27 FGG) getroffene ![]() ![]() | |
D. | |
Die angegriffenen Entscheidungen sind gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben; die Sache ist zu erneuter Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
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