BVerwGE 78, 243 - Ausweisungsanfechtung II | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Rainer M. Christmann, A. Tschentscher | |||
Eine im Zeitpunkt der Zustellung des ablehnenden Asylbescheids bestehende Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung des Asylbewerbers in seinem Heimatland steht dem Erlaß einer Ausreiseaufforderung und einer Abschiebungsandrohung entgegen. |
AsylVfG §§ 12, 28; AusIG § 21; VwGO § 113 |
Urteil |
des 9. Senats vom 3. November 1986 |
-- BVerwG 9 C 254.86 -- |
I. Verwaltungsgericht Ansbach |
II. Verwaltungsgerichtshof München | |
Der Kläger ist srilankischer Staatsangehöriger tamilischer Abstammung. Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland stellte er Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter, den das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ablehnte. Daraufhin forderte ihn das beklagte Landratsamt auf, das Bundesgebiet zu verlassen, und drohte ihm die Abschiebung an.
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Im anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren hat das Verwaltungsgericht den Bescheid des Landratsamtes aufgehoben. Die Berufung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof mit der Begründung zurückgewiesen, der angefochtene Bescheid sei bei seinem Erlaß rechtmäßig gewesen, doch habe in der Zwischenzeit die Gefährdung jedenfalls jüngerer männlicher Tamilen ein solches Ausmaß erreicht, daß eine Abschiebung den Ausländer einer Verletzung der Menschenwürde aussetzen würde; diese Änderung der Sachlage sei bei der gerichtlichen Entscheidung des Berufungsgerichts zu berücksichtigen gewesen. Die Revision des Beklagten führte zur Abweisung der Klage.
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Aus den Gründen: | |
Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht. Seiner Annahme, eine Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nach § 28 Abs. 1 AsylVfG seien im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach Maßgabe der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsacheninstanz zu beurteilen, vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich zwar aus dem Prozeßrecht, daß ein Kläger im verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreit ebenso mit einem Aufhebungsbegehren wie mit einem Verpflichtungsbegehren nur dann durchdringen kann, wenn er im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch auf die erstrebte Aufhebung des Verwaltungsaktes bzw. auf die erstrebte Leistung hat. Ob ein solcher Anspruch jedoch besteht, d. h., ob ein belastender Verwaltungsakt den Kläger im Sinne des § 113 Abs. 1 VwGO rechtswidrig in seinen Rechten verletzt oder die Ablehnung eines begehrten Verwaltungsaktes im Sinne des § 113 Abs. 4 VwGO rechtswidrig ist, beurteilt sich nach dem materiellen Recht, dem nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen des Anspruchs selbst, sondern auch die Antwort auf die Frage zu entnehmen ist, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Nur in diesem Rahmen ist tendenziell davon auszugehen, daß es bei der Anfechtung eines belastenden Verwaltungsaktes grundsätzlich auf die Sachlage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, bei einem mit der Verpflichtungsklage geltend gemachten Leistungsanspruch auf diejenige im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsacheninstanz ankommt (vgl. z. B Urteile vom 30. Oktober 1969 - BVerwGE 34, 155 [157 f.], vom 21. Mai 1976 - BVerwGE 51, 15 [24], vom 25. November 1981 - BVerwGE 64, 218 [221 f] und vom 18. Mai 1982 - BVerwGE 65, 313 [315]).
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In Fällen der vorliegenden Art beantwortet sich die Frage nach dem für die gerichtliche Beurteilung maßgebenden Zeitpunkt demnach in erster Linie aus den materiellrechtlichen Regelungen des Asylverfahrensgesetzes über die Voraussetzungen, unter denen die Ausländerbehörde eine Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung erlassen darf. Aus ihnen ergibt sich, daß bei der Anfechtung einer Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nach § 28 Abs. 1 AsylVfG für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung maßgebend ist:
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Nach der im Ausgangspunkt heranzuziehenden Vorschrift des § 28 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG fordert unter der Voraussetzung, daß das Bundesamt den Asylantrag abgelehnt und seine Entscheidung der zuständigen Ausländerbehörde gemäß § 12 Abs. 7 AsylVfG zur Zustellung zugeleitet hat, die Ausländerbehörde den Ausländer unverzüglich zur Ausreise auf, setzt ihm eine Ausreisefrist und droht ihm für den Fall, daß er nicht fristgemäß ausreist, die Abschiebung an. Aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Vorschrift ergibt sich, daß der Ausländerbehörde für den Erlaß der Ausreiseaufforderung und der Abschiebungsandrohung kein Ermessen eingeräumt ist. Sie ist dazu gesetzlich verpflichtet und hat dabei grundsätzlich nicht dem Ergebnis einer ihr aufgetragenen eigenen aufenthaltsrechtlichen Prüfung zu folgen, sondern allein dem asylversagenden Bescheid des Bundesamtes (vgl. Urteil vom 22. November 1983 - BVerwG 9 C 1068.82 - Buchholz 402.241 2. AsylBeschIG Nr. 4). Darin liegt auch die Begründung für das gesetzliche Gebot, die aufenthaltsbeendende Maßnahme "unverzüglich" und - gemäß § 28 Abs. 3 AsylVfG - ohne vorherige Anhörung des Ausländers anzuordnen. Die Ausländerbehörde soll um des Zieles einer möglichst raschen Entscheidung willen ihre Maßnahme allein auf der Grundlage der ihr vorliegenden Erkenntnisse treffen und von weiteren Ermittlungen durch Anhörung des Ausländers absehen (dazu, daß dies verfassungsrechtlich bedenkenfrei ist, vgl. Beschluß vom 15. April 1983 - BVerwG 9 B 10762.81 - Buchholz 402.25 5 28 AsylVfG Nr. 3 und Urteil vom 29. April 1983 - BVerwG 1 C 3.83 - Buchholz 402.241 2. AsylBeschIG Nr. 2). Das gilt auch im Hinblick auf den Bereich, in dem der Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Entscheidung nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG Ermessen eingeräumt ist, bei der Bestimmung der Ausreisefrist nämlich (vgl. dazu Urteil vom 22. November 1983 - BVerwG 9 C 1068.62 - aaO [11 ff.]). Auch diese Bestimmung unterliegt dem gesetzlichen Gebot der unverzüglichen Entscheidung und ist auf der Grundlage des der Behörde im Zeitpunkt ihrer Entscheidung nach Aktenlage und von Amts wegen vorliegenden Erkenntnisstandes zu treffen.
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An der danach gebotenen Annahme, daß eine zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung in Übereinstimmung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung rechtmäßig ist und ohne Rücksicht auf eine nachträgliche Änderung der Sachlage rechtmäßig bleibt, ändert auch nichts die Vorschrift des § 28 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG. Danach gilt das Gebot unverzüglicher Zustellung einer Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung dann nicht, wenn die unter den Nrn. 1 und 2 angeführten Voraussetzungen vorliegen, nämlich "der Ausländer aus anderen Gründen berechtigt ist, sich im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufzuhalten" (Nr. 1) oder ihm "ungeachtet der Ablehnung seines Asylantrags der Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes ermöglicht wird" (Nr. 2). Denn zum einen ist die nach § 28 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG gebotene Prüfung der Ausländerbehörde von ihr im Rahmen der Entscheidung nach Satz 1 vorzunehmen, d. h. unverzüglich nach Zugang der asylversagenden Entscheidung des Bundesamtes und ohne Anhörung des Ausländers. Zum anderen führt die Erkenntnis der Ausländerbehörde, daß eine der beiden Voraussetzungen des Satzes 2 gegeben ist, im Zuge des Verfahrens nach § 28 AsylVfG nicht etwa zu einer (positiven) aufenthaltsrechtlichen Entscheidung der Ausländerbehörde, beispielsweise durch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder Duldung, sondern allein dazu, daß die Ausländerbehörde vom Erlaß einer Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG abzusehen hat mit der Folge, daß in diesem Fall der aufenthaltsrechtliche Status des Ausländers einstweilen unmittelbar durch die gemäß § 20 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG bis zur Unanfechtbarkeit der Asylablehnung fortdauernde Aufenthaltsgestattung nach § 19 AsylVfG bestimmt ist und sich sodann nach dem allgemeinen Ausländerrecht richtet. Für eine von dem zuvor gefundenen Ergebnis abweichende Beantwortung der Frage nach dem maßgebenden Beurteilungszeitpunkt ist demnach unter dem Gesichtspunkt des § 28 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG kein Raum. Eine aufenthaltsbeendende Entscheidung der Ausländerbehörde nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist unter dem hier erörterten Blickwinkel rechtswidrig, wenn die Behörde sie seinerzeit trotz Vorliegens einer Ausnahme nach Satz 2 dieser Vorschrift erlassen hat; sie ist rechtmäßig, wenn solche Ausnahmen zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nicht bestanden haben.
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Dieses Ergebnis stimmt auch mit Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung überein. Sie liegen darin, das den Aufenthalt des Asylbewerbers betreffende Verfahren zu straffen und zu beschleunigen und den Aufenthalt jener Ausländer, die sich allein wegen eines schließlich erfolglosen Asylantrags im Bundesgebiet aufhalten dürfen, alsbald zu beenden. Gerade deshalb wird die Ausländerbehörde dazu angehalten, die Ausreiseaufforderung nebst Abschiebungsandrohung im öffentlichen Interesse möglichst schnell nach Ablehnung des Asylantrags (unverzüglich) zu erlassen (so Urteil vom 14. Mai 1986 - BVerwG 1 C 23.85 - Buchholz 402.25 5 28 AsylVfG Nr. 10 [9/10]), sofern nicht schon zu diesem Zeitpunkt ein Ausweisungs- oder Abschiebungshindernis im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG für die Ausländerbehörde ersichtlich ist. Die Verbindung von Zustellung der ablehnenden Asylentscheidung und der sich unmittelbar in Konsequenz daraus ergebenden aufenthaltsbeendenden Entscheidung der Ausländerbehörde dient ferner der Vorbereitung des gerichtlichen Verbundverfahrens nach § 30 AsylVfG, wenn der Ausländer sowohl gegen die ablehnende Entscheidung des Bundesamts als auch gegen die Ausweisungsentscheidung der Ausländerbehörde klagt. Dadurch soll erreicht werden, daß Asylbewerber, die in Wirklichkeit nicht politisch Verfolgte im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG sind, ihr Ziel, sich möglichst lange im Bundesgebiet aufhalten zu dürfen, nicht mehr in gesonderten Verfahren zunächst asylrechtlich, dann aufenthaltsrechtlich mit all den möglichen Rechtszügen nacheinander verfolgen können (Beschluß vom 4. Februar 1982 - BVerwG 9 B 2569.81 - DÖV 1982, 743 unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien). Das Verbundverfahren liegt demnach seinerseits im Interesse der Koordinierung und der Beschleunigung des durch die Asylablehnung ausgelösten Rechtsstreits sowie der Entlastung der mit Asylrechtssachen befaßten Verwaltungsgerichte (Beschluß vom 15. Oktober 1985 - BVerwG 9 C 5.85 - Buchholz 402.25 § 30 AsylVfG Nr. 1 [3]).
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Aus diesen Gesichtspunkten folgt, daß der mit den genannten Regelungen erstrebte Koordinierungs- und Beschleunigungseffekt ausschließlich für jene - vom Gesetz als Regelfall angesehene - Verfahren gelten soll und kann, in denen dem Ausländer der Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland in der Tat allein gemäß § 19 AsylVfG zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet ist. Nur ein solcher allein auf der verfassungsrechtlich gewährleisteten Vorwirkung des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG beruhender Aufenthalt soll nach Wegfall seiner asylrechtlichen Voraussetzungen mit den Verfahrensmöglichkeiten, die der Ausländerbehörde durch die Koordinierung von Asylverfahren und ausländerrechtlichem Verfahren und die mit ihr verbundenen Verfahrensvereinfachungen zur Verfügung stehen, unverzüglich beendet werden. Von diesem Zweck der Regelung her ist es daher konsequent, von § 28 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG solche Fälle auszunehmen, in denen der asylsuchende Ausländer zum Zeitpunkt der Entscheidung der Ausländerbehörde aus anderen als asylabhängigen Gründen zum Aufenthalt berechtigt ist oder in denen ihm der Aufenthalt ungeachtet des erfolglos gebliebenen Asylantrags ermöglicht wird. In solchen - insoweit nicht asylrechtlich, sondern ausländerrechtlich zu beurteilenden - Fällen würde eine Koordinierung des Asylverfahrens mit dem ausländerbehördlichen Verfahren der vom Gesetz erstrebten beschleunigten Beendigung des Aufenthalts des Ausländers gerade entgegenwirken, weil das Asylverfahren mit asylunabhängigen Fragestellungen und ggf. mit einem asylunabhängigen Rechtsstreit belastet werden würde. Deshalb hat es in solchen Fällen gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG bei der Trennung von Asylrechtsstreit und ausländerbehördlichem Verfahren zu verbleiben. Allein in letzterem ist zu entscheiden, ob und ggf. auf welche Weise dem Ausländer ein asylunabhängiger Aufenthalt im Bundesgebiet nach Maßgabe des allgemeinen Ausländerrechts zu gewähren ist.
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Für die - hier interessierenden - Fälle, in denen zwar nicht im Zeitpunkt der Entscheidung der Ausländerbehörde nach 5 28 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, wohl aber im Laufe des sich an die Entscheidung anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verbundverfahrens Gründe für ein asylunabhängiges Ausweisungs- und Abschiebungshindernis im Sinne des 5 28 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG geltend gemacht oder sonst ersichtlich werden, kann nach Sinn und Zweck der zur Rede stehenden gesetzlichen Regelungen im Ergebnis nichts anderes gelten. Zwar führt eine solche nachträgliche Änderung der Sachlage nicht etwa zur Auflösung des seinerzeit verfahrensrechtlich ordnungsgemäß zustande gekommenen Verfahrensverbundes. Sie kann aber andererseits in dem beizubehaltenden Verfahrensverbund nicht dessen Verfahrensgegenstand nachträglich über das hinaus erweitern, was Gegenstand der Entscheidung der Ausländerbehörde war. Während ein zum Zeitpunkt der ausländerbehördlichen Entscheidung bereits bestehendes Ausweisungs- und Abschiebungshindernis schon von vornherein der Verbindung von Asylverfahren und ausländerbehördlichem Verfahren entgegensteht, muß ein derartiges erst nachträglich eintretendes Hindernis in den verbundenen Verfahren unberücksichtigt bleiben, wenn der mit der Verbindung erstrebte Beschleunigungseffekt nicht in sein Gegenteil verkehrt werden und das Asylverfahren nicht mit einem Rechtsstreit über nachträglich entstandene asylunabhängige Gründe für eine rechtlich irgendwie geartete Aufenthaltsermöglichung belastet werden soll.
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Dieses Ergebnis steht auch nicht - wie der Verwaltungsgerichtshof annimmt - im Widerspruch mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes. Allerdings trifft es zu, daß die Ausländerbehörde bei einer Entscheidung nach § 28 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG unter der Fragestellung, ob dem Ausländer der Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes "ermöglicht wird", auch und gerade zu prüfen hat, ob eine Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung im Einzelfall mit dem Grundsatz der Menschenwürde als oberstem Prinzip unserer Rechtsordnung vereinbar ist. Das hat der erkennende Senat wiederholt entschieden und dabei darauf hingewiesen, daß es diesem Grundsatz widersprechen würde, wenn deutsche Behörden an der menschenrechtswidrigen Behandlung eines Betroffenen durch dessen zwangsweise Überstellung in ein Land mitwirken würden, in dem ihm eine derartige menschenrechtswidrige Behandlung droht (vgl. z. B. Urteile vom 17. Mai 1983 - BVerwGE 67, 184 [194] und vom 27. Mai 1986 - BVerwG 9 C 35.86 u. a. - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 47 [175]; s. auch Beschluß vom 3. Dezember 1986 - BVerwG 1 B 203.86 - Buchholz 402.24 § 14 AsylVfG Nr. 3). In diesem Sinne hat auch das Bundesverfassungsgericht zu der mit § 28 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG insoweit vergleichbaren Vorschrift des § 11 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ausgeführt, durch sie werde vermieden, daß die Ausländerbehörde "sehenden Auges" eine aufenthaltsbeendende Entscheidung treffen müsse, die etwa humanitären oder anderen beachtlichen Gründen zuwiderliefe (Beschluß vom 2. Mai 1984 - BVerfGE 67, 43 [57/58]).
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Aus diesen Grundsätzen folgt jedoch nichts für die Annahme, daß maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung jedenfalls aus Rechtsschutzgesichtspunkten der Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsacheninstanz sein müsse. Zu einer solchen Annahme bestünde vielmehr Anlaß nur dann, wenn der Ausländer andernfalls eine erst nach Erlaß der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung eintretende Änderung der Sachlage überhaupt nicht, nicht hinreichend wirksam oder nicht hinreichend rechtzeitig geltend machen könnte. Das trifft jedoch nicht zu. Leitet der Ausländer aus einer erst im Verlaufe des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens um die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung eingetretenen neuen Sachlage einen Anspruch auf ein Aufenthaltsrecht her, so obliegt es ihm, die veränderte Sachlage zunächst bei der Ausländerbehörde geltend zu machen und erforderlichenfalls anschließend in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren weiter zu verfolgen. Davon geht ausdrücklich § 28 Abs. 7 AsylVfG im Blick auf den Fall aus, daß eine Ausreiseaufforderung nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ergangen ist und der Asylbewerber danach eine Aufenthaltserlaubnis beantragt. Diese Folgerung, die in § 28 Abs. 7 AsylVfG dem Ausschluß des sich sonst aus § 21 Abs. 3 AusIG bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde ergebenden vorläufigen Aufenthaltsrechts dient, muß auch für alle anderen Begehren des Asylbewerbers gezogen werden, mit denen er aus nach Erlaß der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung entstehenden Gründen Anspruch auf den Fortbestand seines Aufenthalts im Bundesgebiet herleitet. Für das Asylrecht kann in diesem Zusammenhang nichts anderes gelten, als was nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Bereich des allgemeinen Ausländerrechts für das Verhältnis zwischen unanfechtbar gewordener Ausweisungsverfügung und nachträglich im Anfechtungsprozeß gegen die Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung entstandener Ausweisungshindernisse gilt: Sie sind zunächst bei der Ausländerbehörde geltend zu machen und erforderlichenfalls durch Verpflichtungs- oder Bescheidungsklage bzw. durch Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes zu verwirklichen (vgl. z. B. Urteile vom 20. Mai 1980 - BVerwGE 60, 133 [138 f.] und vom 29. April 1983 - BVerwG 1 C 19.79 - Buchholz 402.24 § 13 AusIG Nr. 7 [15]). Das gilt für den Bereich des Asylrechts um so mehr, als nur in einem solchen - eigenständigen - Verfahren eine abschließende aufenthaltsrechtliche Klärung erreicht werden kann. Denn die Berücksichtigung von nach Erlaß der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung eingetretener Änderungen der Sachlage könnte im Anfechtungsstreit gegen die aufenthaltsbeendende Maßnahme allenfalls zu deren Aufhebung, nicht aber zu einer positiven Entscheidung über das begehrte Aufenthaltsrecht führen.
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An diesem Ergebnis vermag auch die Regelung in § 30 AsylVfG, wonach die Anfechtungsklage gegen die aufenthaltsbeendende Maßnahme der Ausländerbehörde und die Verpflichtungsklage auf Asylanerkennung in einer Klage zusammen zu verfolgen sind, nichts zu ändern. Denn es handelt sich trotz des Klageverbundes um zwei verschiedene Streitgegenstände, die nach den je für sie geltenden Regelungen zu beurteilen sind. Daß damit die maßgeblichen Beurteilungszeitpunkte für die Asylanerkennungsklage (letzte mündliche Verhandlung der Tatsachengerichte) und für die Klage gegen die Ausreiseaufforderung (letzte Behördenentscheidung) trotz des gerichtlichen Verfahrensverbundes auseinanderfallen, ist auf Grund der obigen Erwägungen hinzunehmen. Durch § 30 AsylVfG werden die materiellen Rechtswirkungen des § 28 Abs. 1 AsylVfG jedenfalls nicht beseitigt oder prozeßrechtlich modifiziert.
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