Die Erklärung des Gemeindegebiets zur "atomwaffenfreien Zone" durch die Gemeindevertretung überschreitet die dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde gezogenen Grenzen.
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Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG
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Urteil | |
des 7. Senats vom 14. Dezember 1990
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- BVerwG 7 C 37.89 - | |
I. Verwaltungsgericht München II. Verwaltungsgerichtshof München | |
Die Regierung von Oberbayern beanstandete in der angefochtenen Verfügung im Wege der Rechtsaufsicht einen von dem Kreisverwaltungsausschuß der klagenden Landeshauptstadt München gefaßten Beschluß, in dem es u.a. heißt:
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1. Die Senatsbeschlüsse des Kreisverwaltungsausschusses vom ![]() ![]() | |
2. Dasselbe gilt für den eventuellen Transport von ABC-Waffen über das Münchner Stadtgebiet.
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3. In diesem Sinne erklärt sich München zur atomwaffenfreien Zone.
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In der rechtsaufsichtlichen Verfügung ist ausgeführt, der beanstandete Beschluß enthalte eine Äußerung zu verteidigungspolitischen Fragen, welche nicht dem den Gemeinden übertragenen Kreis von Aufgaben zuzurechnen seien; er betreffe auch keine eigene Angelegenheit der Gemeinde. In seinem Kerngehalt, der Erklärung Münchens zur atomwaffenfreien Zone, beziehe er sich nicht auf eine kommunale Aufgabe; er treffe vielmehr die allgemeine politische Aussage, die Stadt spreche sich gegen ABC-Waffen aus.
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Klage, Berufung und Revision der Klägerin blieben erfolglos.
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Aus den Gründen: | |
Durch die von der Regierung von Oberbayern verfügte rechtsaufsichtliche Beanstandung des Beschlusses des Kreisverwaltungsausschusses der Klägerin wird die Klägerin in ihrem Selbstverwaltungsrecht nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nicht verletzt. Der beanstandete Beschluß findet in der in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten Befugnis der Klägerin, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln, keine Rechtsgrundlage. Die rechtsaufsichtliche Beanstandung des Beschlusses greift daher in die verfassungsrechtlich geschützte Selbstverwaltungssphäre der Klägerin nicht rechtswidrig ein. Das ergibt sich aus den folgenden Erwägungen:
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1. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet der Gemeinde das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in ![]() ![]() ![]() ![]() | |
Voraussetzung einer auf dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht gründenden hoheitlichen Befassung ist indessen, daß sie die der Gemeindevertretung gezogenen Grenzen des Betätigungsfeldes wahrt, die durch den Tatbestand der "Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" vorgegeben sind. Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Sinne von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG sind diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der Gemeinde betreffen (BVerfGE 79, 127 [151]; ferner BVerfGE 8, 122 [134]; 50, 195 [201]; 52, 95 [120]). Die Stellungnahme muß demnach auch und gerade, wenn sie den Kompetenz- und Zuständigkeitsbereich sonstiger Stellen der vollziehenden Gewalt betrifft, in spezifischer Weise ortsbezogen sein. Der bloße Umstand, daß die Gemeindevertretung nur für die eigene Gemeinde spricht, genügt dem Anspruch spezifischer Ortsbezogenheit schon deshalb nicht, weil sie sonst unter Berufung auf die im Selbstverwaltungsrecht wurzelnde Allzuständigkeit der Gemeinde auch allgemeinpolitische Fragen zum Gegenstand ihrer Tätigkeit machen könnte. Die Gemeinde erlangt jedoch aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nur ein kommunalpolitisches, kein allgemeines politisches Mandat (BVerfGE 79, 127 [147]; ferner 8, 122 [134]), ebenso wie sie selbst weder Inhaberin grundrechtsgeschützter politischer Freiheit noch Sachwalterin der grundrechtlichen Belange ihrer Bürger ist (BVerfGE 61, 82 [102 f.]). Die von der Gemeindevertretung gefaßten Beschlüsse ergehen vielmehr, auch soweit die Vertretung sich in der Form "appellativer" oder "symbolischer" Entschließungen äußert, in Ausübung gesetzlich gebundener öffentlicher Gewalt und bedürfen daher der - hier durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG vermittelten - Rechtsgrundlage.
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Entgegen einer im Schrifttum (insbesondere Gröttrup in DÖV 1987, 714 ff.; vgl. auch Ladeur in DuR 1983, 30) geäußerten und von der Revision aufgegriffenen Auffassung werden das aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG abzuleitende Selbstverwaltungsrecht und die rechtlichen Befugnisse der Gemeinde ![]() ![]() | |
Die Formel des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 79, 127 zur Klärung dessen, was "Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" im Sinne des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG sind, kann ferner - entgegen der von der Revision vertretenen Rechtsauffassung - nicht deshalb als eine vom herkömmlichen Verständnis abweichende, das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden erweiternde Begriffsbestimmung verstanden werden, weil dort auf die "Bedürfnisse und Interessen" der Gemeindeeinwohner abgehoben wird. Gegenüber der in der früheren verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (a.a.O.) anzutreffenden Definition ("Angelegenheiten sind nur solche Aufgaben, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln . . .") hat die Verwendung jener Begriffe ersichtlich nur die Bedeutung größerer begrifflicher Präzision: Als Angelegenheiten, deren Wahrung und Förderung sich die Gemeinde zur Aufgabe machen kann, kommen - und kamen auch auf dem Boden der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - alle ortsbezogenen Interessen und Bedürfnisse der Gemeindebürger in Betracht; die Gemeinde, die sich einer solchen durch ortsbezogene Bedürfnisse und Interessen gekennzeichneten Angelegenheit annimmt, macht sie zu ihrer Aufgabe. Eine "Angelegenheit" ist einer "Aufgabe" begrifflich nicht -wie es die frühere Definition mißverständlich nahelegte - unmittelbar gleichzusetzen. Diese Unklarheit vermeidet nunmehr die in der Rastedeentscheidung BVerfGE 79, 127 gebrauchte Definition.
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2. Bedarf es demnach zur kommunalen Befassung mit Fragen der Stationierung und Lagerung atomarer Waffen eines spezifischen örtlichen Bezugs, so ist ein solcher Bezug unter der - hinreichenden, aber auch not ![]() ![]() ![]() ![]() | |
Den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Volksbefragungsurteil (BVerfGE 8, 122 [134]) ist demgegenüber nicht zu entnehmen, daß der Gemeinde ein Befassungsrecht erst in einem Stadium erwächst, in dem das Vorhaben einer lokalen Stationierung in Form bestimmter militärischer Planungen oder Maßnahmen konkrete Form annimmt. Das Abstellen auf die konkrete Stationierungsabsicht dient lediglich der Abwehr eines allgemeinen politischen Mandats der Gemeinden (ebenso BVerfGE 79, 127 [147]), läßt jedoch ausdrücklich unentschieden, unter welchen Voraussetzungen sich eine Gemeinde gleichwohl zu Angelegenheiten mit allgemeinpolitischem Bezug äußern darf.
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Ob in einem präventiv gefaßten Beschluß die von einer Stationierung künftig in vielfältiger Hinsicht betroffenen kommunalen Aufgaben, wie sie bereits oben erwähnt sind (z.B. Planungsaufgaben, Aufgaben auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit), und die insoweit berührten Belange der gemeindlichen Wohnbevölkerung näher und ins einzelne gehend dargestellt werden, kann für die Zulassung der Befassung letztlich ebenfalls kein maßgebliches Kriterium sein. Andernfalls würde die Rechtmäßigkeit des Be ![]() ![]() | |
Die im Schrifttum verbreitete, vom Verwaltungsgerichtshof geteilte Auffassung von der Unzulässigkeit sog. Vorratsbeschlüsse gehl in ihrer Substanz auf den Einwand zurück, hinter derartigen Beschlüssen stehe die Absicht der die Beschlüsse tragenden Gemeindevertreter, die Stationierungsentscheidung des Bundes als solche in Frage zu stellen; politischer Widerspruch gegen die Entscheidung für Nuklearwaffen der NATO auf dem Gebiet der Bundesrepublik sei, zumal derartige Beschlüsse in ihrer Vielzahl gleichsam flächendeckend wirkten, regelmäßig das wahre und entscheidende Motiv. Auch aus diesem politischen Gesamtzusammenhang (Kampagne "atomwaffenfreie Zonen"), in dem die in Rede stehenden Beschlüsse in ihrer Gesamtheit stehen, folgt indessen nicht notwendig die Unzulässigkeit des einzelnen zur Überprüfung stehenden Beschlusses. Als hoheitliche Äußerung ist der von der Gemeindevertretung gefaßte Beschluß an seinem Inhalt, wie er sich aus dem Wortlaut erschließt, zu messen. Davon und nicht von den im Beschluß nicht formulierten Motiven der Gemeindevertreter hat die staatliche Rechtsaufsicht auszugehen. Die Beweggründe der Gemeindevertreter gewinnen erst dann Bedeutung, wenn der Beschluß als solcher nicht eindeutig und für eine Auslegung im Sinne einer allgemeinpolitischen Äußerung offen ist.
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Mit Rücksicht auf den politischen Hintergrund der Nachrüstungsdebatte sind andererseits Äußerungen der Gemeinde, die schon nach ihrem Wortlaut den Charakter politischer Stellungnahmen haben oder den Anschein solcher Stellungnahmen erwecken, in keinem Fall zulässig. An das Erfordernis eines konkreten örtlichen Bezuges ist deshalb bei Beschlüssen, deren Anlaß die bloße Möglichkeit einer örtlichen Stationierung ist, ein strenger Maßstab anzulegen; auf diesen konkreten örtlichen Bezug hat sich der Beschluß zu beschränken, wobei auch insoweit ein strenger Maßstab anzulegen ist.
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Dem vorstehend Gesagten läßt sich nicht entgegenhalten, bei einiger ![]() ![]() | |
3. Die angefochtene rechtsaufsichtliche Verfügung ist ohne Verstoß gegen Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ergangen. Mit der Formulierung, die klagende Stadt erkläre sich zur "atomwaffenfreien Zone", bezieht sich der Beschluß in seinem Punkt 3 auf die gegen eine Atomrüstung geführte politische Kampagne, mit deren Zielen er sich so, nur äußerlich bezogen auf das Stadtgebiet, konkludent identifiziert. Daran ändert auch die Einschränkung nichts, die durch den Zusatz "in diesem Sinne" zum Ausdruck kommt. Sie bezieht sich auf den in den vorausgehenden Punkten 1 und 2 des Beschlusses erteilten Auftrag an die Verwaltung, gegenüber Bundeswehr und US-Streitkräften nachdrücklich zum Audruck zu bringen, daß die Verbringung von ABC-Waffen in oder über das Stadtgebiet auf entschiedene Ablehnung stoßen werde. Diese Ankündigung stellt sich für den Betrachter, auch wenn sie als erstes genannt wird, als zwingende Konsequenz einer - in der Erklärung zur "atomwaffenfreien Zone" zum Ausdruck kommenden - politischen Ablehnung der im Bund beschlossenen Bewaffnung dar. Damit teilt sie das rechtliche Schicksal der Erklärung zu Punkt 1. Da die Klägerin einer vom Bund getroffenen verteidigungspolitischen Entscheidung unter deutlicher Überschreitung ihrer Kompetenzen entgegengetreten ist, verstößt die Beanstandung ihres Beschlusses auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. ![]() |