"Mehrfach hat das Bundesgericht in jüngeren Entscheiden seine Absicht betont, mit Blick auf die Kinderrechtskonvention das Kindesinteresse bei der Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen verstärkt zu berücksichtigen (so bereits BGE 135 I 153 E. 2.2.2 S. 156 f. -- Postmortaler Familienschutz). Dass sich der "umgekehrte" Familiennachzug, bei dem Eltern die Aufenthaltsbewilligung erhalten, weil ihr Kind über ein gefestigtes Anwesenheitsrecht (typischerweise das Schweizer Bürgerrecht) verfügt, unter Umständen auch ...
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"Mehrfach hat das Bundesgericht in jüngeren Entscheiden seine Absicht betont, mit Blick auf die Kinderrechtskonvention das Kindesinteresse bei der Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen verstärkt zu berücksichtigen (so bereits
BGE 135 I 153 E. 2.2.2 S. 156 f. -- Postmortaler Familienschutz). Dass sich der "umgekehrte" Familiennachzug, bei dem Eltern die Aufenthaltsbewilligung erhalten, weil ihr Kind über ein gefestigtes Anwesenheitsrecht (typischerweise das Schweizer Bürgerrecht) verfügt, unter Umständen auch auf eine Leihmutter erstrecken kann, wurde in
BGE 135 I 143 festgehalten. Die Besonderheit bestand allerdings darin, dass die Leihmutter nicht nur die Schwester der Kindesmutter war. Vielmehr war sie seit langem aktiv in die Erziehung eingebunden. Ihre Ausweisung hätte darum eine bestehende intensive Beziehung zu dem Kind abbrechen lassen (E. 3.2 S. 149).
Im
Familiennachzug gemäss Freizügigkeitsabkommen hat das Bundesgericht in BGE 136 II 5 seine Praxis geändert und sich einer Praxisänderung des Europäischen Gerichtshofs im Urteil Metock angepasst. Die schweizerische Praxisänderung war in der Literatur schon länger gefordert worden. Wenn zukünftig ein EU-Bürger in der Schweiz den Familiennachzug für einen Nicht-EU-Bürger beantragt, ist nicht länger erforderlich, dass diese Person bereits vorher rechtmässig mit einem nicht nur vorübergehenden Aufenthaltstitel im EU-Raum gewohnt hat. Weil das Freizügigkeitsabkommen nur auf das Rückfallrisiko abstellt, können sogar straffällige Ausländer, die nie ein Aufenthaltsrecht hatten, in den Genuss des Nachzugsanspruchs kommen. In BGE 136 II 5 war ein bis 2000 wegen mehrerer Drogendelikte aufgefallener Palästinenser später nicht mehr einschlägig straffällig geworden und wurde vom Gericht dank geänderten Lebenswandels mit einer günstigen Prognose bedacht (E. 4.3-4.4). Als staatsvertraglich begründete Rechtsposition überspielt der Anspruch aus dem Freizügigkeitsabkommen die restriktiveren Regelungen des nationalen Ausländerrechts.
In BGE
136 II 65 weitet das Gericht seine Praxisänderung ausserdem auf das
Nachzugsrecht von Stiefkindern aus: Der Beschwerdeführer aus dem Kosovo kann darum nach Heirat einer in der Schweiz lebenden Französin die Einreise seiner Kinder aus einer früheren Beziehung verlangen. Nach der schon in BGE
135 II 369 getroffenen Feststellung gelten die Nachzugsrechte aus dem Freizügigkeitsabkommen zudem auch bei Doppelstaatsangehörigkeit (E. 2 S. 372).
Aus der geänderten Rechtsprechungspraxis resultiert nun allerdings eine
Inländerdiskriminierung beim Teilfamiliennachzug, die mit der Reform des Ausländerrechts eigentlich überwunden werden sollte. Damit hatte sich das Bundesgericht in
BGE 136 II 120 zu befassen. Wiederum ging es um den Nachzug von Stiefkindern, nur war diesmal die Mutter eine Schweizerin und der Vater ein eingebürgerter Serbe. Die Nachzugsvoraussetzungen für ausländische Kinder von Schweizern waren weder nach altem (ANAG) noch nach neuem Ausländerrecht (Art. 42 Abs. 2 AuG) erfüllt. Das Bundesgericht hielt es für "fraglich", ob die resultierende Beschränkung des Grundrechts auf Familienleben (Art. 13 Abs. 1 BV) sich in verhältnismässiger Weise auf einen schutzwürdigen Zweck stützen lässt, wenn gleichzeitig den Stiefkindern von EU-Ausländern ein Nachzugsrecht gewährt wird (E. 3.4.1 S. 29 f.). Es sah sich angesichts des klaren Wortlauts der Norm allerdings ausserstande, diese Inländerdiskriminierung durch Nichtanwendung des Bundesrechts zu vermeiden (Art. 190 BV). Auch eine Aufhebung wegen Verstosses gegen das akzessorische Diskriminierungsverbot der EMRK lehnte das Gericht ab. Einmal mehr zeigt sich hier, dass staatsvertragliche Ansprüche wegen der Beschränkung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Artikel 190 BV besser durchsetzbar sind als die Grundrechte der Bundesverfassung."