Beschluß | |
des Zweiten Senats vom 15. Januar 1975
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– 2 BvR 65/74 – | |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Frau Dr. med. vet. S..., Fachtierärztin für Laboratoriumsdiagnostik, ... – Bevollmächtigte: Prof. Dr. jur. Ilse Staff, Kelkheim, Am Forum 4 – gegen a) den Beschluß des Landgerichts Mannheim vom 26. November 1973 – Qs 395/73 –, b) den Beschluß des Amtsgerichts Mannheim vom 6. Juni 1973 – 22 Gs 191/73 –.
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Entscheidungsformel: | |
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
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Gründe: | |
A. – I. | |
1. § 53 Abs. 1 Nr. 3 der Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. September 1965 (BGBl. I S. 1373) gewährt Angehörigen bestimmter Berufe ein Zeugnisverweigerungsrecht, das sich auf alles erstreckt, was ihnen in ihrer beruflichen Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist. Als Inhaber dieses Rechts nennt die Bestimmung Rechtsanwälte, Patentanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer, Steuerberater und Steuerbevollmächtigte, Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und Hebammen.
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2. Die Beschwerdeführerin ist Fachtierärztin für Laboratoriumsdiagnostik. Sie untersucht in privatem Auftrag Lebensmittel tierischer Herkunft auf ihre Verkehrstauglichkeit nach den dafür maßgebenden Vorschriften (Lebensmittelgesetz – LMG – in der Fassung vom 17. Januar 1936 [RGBl. I S. 18]; seit 1. Januar 1975: Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz – LMBG – vom 15. August 1974 [BGBl. I S. 1945, 1946]). Gegen einen ihrer Auftraggeber, einen Fleischimporteur, führt die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Lebensmittelgesetz. In diesem Verfahren wurde die Beschwerdeführerin als Zeugin gerichtlich vernommen. Dabei sollte sie die Ergebnisse von Untersuchungen mitteilen, die sie im Auftrag des Beschuldigten an dessen importierten Fleisch- und Wurstwaren vorgenommen hatte. Hierzu verweigerte sie die Aussage. Sie berief sich auf § 9 Abs. 1 LMG, wonach die behördlich beauftragten Sachverständigen, vorbehaltlich der dienstlichen Berichterstattung und der Anzeige von Gesetzwidrigkeiten, verpflichtet sind, über Tatsachen und Einrichtungen zu schweigen, die durch die Ausübung amtlicher Befugnisse zu ihrer Kenntnis gelangen, und sich der Mitteilung und Verwertung von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen zu enthalten.
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Durch Beschluß vom 6. Juni 1973 verurteilte das Amtsgericht Mannheim die Beschwerdeführerin wegen grundloser Zeugnisverweigerung zu einer Ordnungsstrafe von 100 DM, ersatzweise 4 Tagen Haft und überbürdete ihr die durch die Weigerung entstandenen Kosten. Zur Begründung führte es aus, die Zeugin dürfe die Aussage nicht verweigern, weil § 53 StPO ihren Beruf nicht nenne und § 9 LMG keine Befugnis verleihe, auch vor Gericht als Zeuge zu schweigen.
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Hiergegen erhob die Zeugin Beschwerde. Diese hatte keinen Erfolg. Das Landgericht Mannheim wies sie mit Beschluß vom 26. November 1973 zurück. Es ließ die Ansicht der Beschwerdeführerin, ihr Zeugnisverweigerungsrecht ergebe sich aus entsprechender Anwendung des § 53 StPO, nicht gelten; denn in dieser Bestimmung sei erschöpfend geregelt, wem ein solches Recht zustehe. Die Beschwerdeführerin könne auch nicht mit der Behauptung gehört werden, sie erhielte von Lebensmittelhändlern keine Aufträge mehr, wenn sie aussagen müßte. Habe die Untersuchung ergeben, daß die Ware nicht einwandfrei sei, so mache sich der Importeur nur strafbar, wenn er sie gleichwohl zum Verkauf anbiete. In diesem Falle habe er aber kein schutzwürdiges Interesse an Geheimhaltung; ebensowenig dürfe ein Institut, das sich von Aufträgen derart unzuverlässiger Händler erhalte, bei der Justiz Rücksichtnahme erwarten.
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II.
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Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Ordnungsstrafe und deren Bestätigung durch das Landgericht. Sie rügt Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG sowie einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Hierzu trägt sie im einzelnen vor:
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Die Verfassung gebiete, dem Tierarzt sei es durch Einbeziehung in den "Arzt"-Begriff des § 53 StPO, sei es durch entsprechende Anwendung dieser Bestimmung – ein Zeugnisverweigerungsrecht mindestens insoweit zuzuerkennen, als er in privatem Auftrag Lebensmittel tierischer Herkunft auf ihre Vereinbarkeit mit dem Lebensmittelgesetz und den dazu ergangenen Verordnungen prüfe. Diese Tätigkeit gehöre heute zum Berufsbild des Veterinärmediziners. Sie diene dem Schutz der Verbraucher und damit der Gesunderhaltung des Volkes.
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1. Die Versagung des Zeugnisverweigerungsrechts für diesen Bereich – so meint die Beschwerdeführerin – sei ein Eingriff in ihr Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Der Zeugniszwang beschränke ihre allgemeine Handlungsfreiheit, ohne Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung zu sein. Bei Abwägung der in Betracht zu ziehenden Belange gehe der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Lebensmittelhändler und Tierarzt dem staatlichen Interesse an der Aufklärung von Straftaten vor. Die Vertraulichkeit tierärztlicher Erkenntnisse müsse auch im Strafverfahren gewahrt werden können.
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Dies sei im Interesse des Gemeinwohls erforderlich, weil sich andernfalls eine – durch staatliche Maßnahmen nicht auszugleichende – Minderung des Verbraucherschutzes und der damit bezweckten Gesundheitsvorsorge einstelle. Müßten die Lebensmittelhändler nämlich gewärtigen, daß die Ergebnisse freiwillig veranlaßter Laboruntersuchungen in einem gegen sie anhängigen Strafprozeß zu offenbaren wären und als Beweis für fahrlässige Gesetzesverstöße verwandt werden könnten, so würden sie sich der Kontrolle durch solche Untersuchungen, soweit sie möglich, entziehen. Dagegen lasse sich nicht etwa einwenden, der Lebensmittelhändler könne und müsse den Vertrieb der Ware jeweils vom Untersuchungsergebnis abhängig machen. Dies treffe für den Fleischimporteur gerade nicht zu; denn es sei üblich, Importware, die nach Öffnung der Container raschem Verderb unterliege, an den Großhandel weiterzuleiten, bevor der Kontrollbefund feststehe. Die freiwillige Untersuchung komme aber auch hier dem Verbraucher zugute, da sie den Importeur in die Lage versetze, gegebenenfalls von laufenden Verträgen zurückzutreten und Schadensersatzansprüche geltend zu machen, was die ausländischen Fleischexporteure dazu veranlassen werde, künftig dem inländischen Lebensmittelrecht Rechnung zu tragen.
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2. Die Vorenthaltung des Zeugnisverweigerungsrechts verstoße auch gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Sie benachteilige die Tierärzte gegenüber den in § 53 StPO genannten Berufen. Dafür gebe es keinen sachlichen Grund. Sinn des Zeugnisverweigerungsrechts sei es, das Vertrauensverhältnis zu schützen, wie es bei bestimmten Berufen die Beziehung zum Einzelnen präge, der sie – als Patient oder Klient – in Anspruch nehme. Der Gesetzgeber bewerte diesen Vertrauensschutz höher als die Sachaufklärung im Strafprozeß. An dieser Wertung müsse aber auch das Vertrauensverhältnis teilhaben, das den Veterinärmediziner mit seinem Auftraggeber verbinde. Es verdiene keinen geringeren Schutz als bei den wirtschafts- und steuerberatenden Berufen. Sei diesen Berufen ein Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt, obwohl es dort regelmäßig nur um vermögensrechtliche Belange Einzelner gehe, so müsse dieselbe Befugnis auch dem Tierarzt zuerkannt werden, bei dem das höherrangige Interesse der Gesundheitsvorsorge den Schutz des Berufsgeheimnisses fordere.
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3. Der Ausschluß vom Zeugnisverweigerungsrecht verletze die Beschwerdeführerin überdies in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG. Stelle der Staat sie unter Aussagezwang, so nehme er damit Einfluß auf die Verträge, die sie als Tierärztin abschließe, weil er sie daran hindere, ihren Auftraggebern die Vertraulichkeit der Untersuchungsbefunde auch für den Fall zu gewährleisten, daß sie in einem Strafverfahren als Zeugin vernommen werde. Darin liege eine Regelung der tierärztlichen Berufsausübung. Diese Regelung beruhe nicht auf vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls; denn für das Gemeinwohl sei die durch freiwillige Laboruntersuchungen erreichbare Gesundheitsvorsorge wichtiger als die Aufdeckung einzelner Verstöße gegen das Lebensmittelgesetz.
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4. Schließlich verstoße der Zeugniszwang auch gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Da der Staat strafbare Zuwiderhandlungen gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften hinreichend aufklären könne, wenn er die amtlichen Kontrollen verstärke, brauche er die in privatem Auftrag tätigen Tierärzte nicht mit einer Aussagepflicht zu belasten.
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III.
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1. Für die Bundesregierung hat sich der Bundesminister der Justiz zu der Verfassungsbeschwerde geäußert. Er hält sie für unbegründet. § 53 StPO zähle abschließend auf, wem ein berufsbezogenes Zeugnisverweigerungsrecht zustehe; eine Erstreckung auf andere Berufe komme nicht in Betracht. Die Aussagepflicht des Tierarztes sei verfassungsgemäß. Sie bedeute keinen Eingriff in den grundrechtlich geschützten Bereich privater Lebensgestaltung. Dieser Bereich umfasse zwar auch die berufliche Entfaltung; hier müsse der Bürger jedoch staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit getroffen würden. Das Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen Strafrechtspflege, die ohne die Mittel zur Wahrheitserforschung nicht auskomme, überwiege den Wunsch des Einzelnen, Tatsachen aus seiner beruflichen Sphäre geheimzuhalten. Auch der Gleichheitssatz sei nicht verletzt. Das Verhältnis zwischen Tierarzt und Auftraggeber unterscheide sich von der Beziehung des Einzelnen zu Angehörigen der in § 53 StPO genannten Berufe; es werde – anders als bei den Heilberufen – nicht von besonderem Vertrauen und der Erwartung absoluter Verschwiegenheit geprägt. Soweit der Gesetzgeber neuerdings auch den Tierarzt einem strafbewehrten Schweigegebot unterwerfe (§ 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB in der Fassung des Art. 19 Nr. 85 EGStGB vom 2. März 1974 [BGBl. I S. 469, 487]), gelte dieser Geheimnisschutz vor allem dem geschäfts- und betriebsbezogenen, nicht jedoch dem privaten Lebensbereich des Bürgers. Zudem brauche nicht jeder Schweigepflicht ein Zeugnisverweigerungsrecht zu folgen. Ein solches Recht bedürfe, da es die Belange der Strafrechtspflege berühre, stets einer besonderen Legitimation, die bei dem Beruf des Tierarztes fehle. Endlich verstoße der Zeugniszwang auch nicht gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit. Er taste die Freiheit der Berufswahl nicht an. Ebensowenig enthalte er eine Regelung der Berufsausübung, da er den Tierarzt außerhalb seines beruflichen Bereichs wie jeden anderen Bürger betreffe.
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2. Die Justizminister der Länder Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz bezeichnen die Verfassungsbeschwerde gleichfalls als unbegründet. Ihre Ausführungen decken sich weitgehend mit denen des Bundesjustizministers.
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a) Der Justizminister Baden-Württembergs trägt zusätzlich vor: Soweit sich die Beschwerdeführerin auf ein Vertrauensverhältnis zu ihren Auftraggebern berufe, sei deren Erwartung, sie werde vor Gericht über Untersuchungsergebnisse schweigen, nicht schutzwürdig. Bestätige der Befund den ordnungsgemäßen Zustand der Ware, so bestehe für die Zubilligung eines Zeugnisverweigerungsrechtes kein Grund. Stelle sich dagegen heraus, daß die Ware von vorschriftswidriger Beschaffenheit sei, dann möge den Auftraggebern zwar daran gelegen sein, dieses Ergebnis geheimzuhalten; ein solches Interesse könne aber gegenüber den Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zumal auf dem Gebiete des Lebensmittelrechts keinen Vorrang beanspruchen.
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b) Der Justizminister von Rheinland-Pfalz wendet sich des weiteren gegen die Annahme, ein Anreiz zu freiwilligen Kontrollen bestehe nur dann, wenn die Vertraulichkeit der Befunde auch dem Gericht gegenüber gewahrt bleibe. Dies treffe nicht zu; denn es liege – von anderen Vorteilen abgesehen – schon deshalb im eigenen Interesse der Lebensmittelhändler, Untersuchungen vornehmen zu lassen, weil sie sich andernfalls dem Vorwurf fahrlässiger Verstöße gegen das Lebensmittelgesetz aussetzen würden.
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Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin nicht in ihren Grundrechten.
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I.
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1. Bei der Verhängung und Bestätigung der Ordnungsstrafe sind Amts- und Landgericht davon ausgegangen, daß § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO den Tierärzten weder allgemein noch auf dem besonderen Fachgebiet der Laboratoriumsdiagnostik ein berufsbezogenes Zeugnisverweigerungsrecht einräumt. Diese Auffassung trifft zu. Soweit die Beschwerdeführerin demgegenüber meint, das gegenteilige, nach ihrer Ansicht allein verfassungskonforme Ergebnis lasse sich durch erweiternde Auslegung oder entsprechende Anwendung des Gesetzes erreichen, kann dem nicht gefolgt werden. Die Tierärzte in den "Arzt"-Begriff des § 53 StPO einzubeziehen, wäre schon deshalb abwegig, weil dieser Begriff – wie die gesonderte Erwähnung der Zahnärzte zeigt – nicht einmal alle Humanmediziner umfaßt. Ebensowenig ginge es an, das berufsabhängige Zeugnisverweigerungsrecht durch entsprechende Anwendung des § 53 StPO auf andere, dort nicht genannte Berufe auszudehen. Dies widerspräche dem klar erkennbaren Regelungswillen des Gesetzgebers. Da die Vorschrift nur den Angehörigen bestimmter, jeweils einzeln ausdrücklich bezeichneter Berufe eine Weigerungsbefugnis verleiht, ordnet sie – nach der zugrundeliegenden Gesetzgebungstechnik – gleichzeitig an, daß es im übrigen bei der allgemeinen und uneingeschränkten Zeugnispflicht des Bürgers bewenden soll (BVerfGE 33, 367 [374]).
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2. Demgemäß ist zu prüfen, ob § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO selbst, soweit er für Tierärzte keine Ausnahme von dieser Zeugnispflicht macht, mit der Verfassung vereinbar ist. Daß die Beschwerdeführerin – jedenfalls ausdrücklich – nur die Gerichtsbeschlüsse, nicht aber die ihnen zugrundeliegende Gesetzesregelung angegriffen hat, steht dem nicht entgegen. Gilt die Verfassungsbeschwerde einer gerichtlichen Entscheidung, so erstreckt sich die dem Bundesverfassungsgericht obliegende Prüfung ohne weiteres auch auf die Frage, ob nicht bereits das Gesetz, auf dem die Entscheidung beruht, Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt (vgl. BVerfGE 11,343 [349]; 15,219 [221]).
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II.
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§ 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO ist, soweit diese Bestimmung den Tierärzten kein Zeugnisverweigerungsrecht zuerkennt, mit dem Grundgesetz vereinbar.
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1. Der Zeugniszwang, dem der Tierarzt im Strafverfahren, insbesondere als Labordiagnostiker, auch hinsichtlich solcher Tatsachen unterliegt, die ihm in seiner beruflichen Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden sind, verletzt nicht sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit umfaßt zwar außer der allgemeinen Handlungsfreiheit des Bürgers auch seinen Anspruch, durch die Staatsgewalt nicht mit einem Nachteil belastet zu werden, der in der verfassungsmäßigen Ordnung keine Grundlage hat (BVerfGE 9,83 [88]; 19,206 [215]; 29,402 [408]). Die gesetzliche Regelung, die den Tierarzt – wie jeden anderen Bürger – einer grundsätzlich uneingeschränkten Zeugnispflicht unterwirft, ist aber Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung, da sie – formell wie materiell – mit dem Grundgesetz in Einklang steht (vgl. BVerfGE 35, 382 [399 f.] mit weiteren Nachweisen); sie verstößt weder gegen einzelne Verfassungsbestimmungen noch gegen allgemeine Verfassungsgrundsätze (vgl. BVerfGE 6, 32 [41]; 6, 389 [433]; 10,354 [363]; 14, 288 [306]; 17,306 [313]).
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a) Grundrechte Dritter werden durch die gesetzliche Zeugnispflicht nicht berührt. Muß der Tierarzt, der in privatem Auftrag Laboruntersuchungen an Lebensmitteln tierischer Herkunft durchgeführt hat, über deren Ergebnisse in einem Strafprozeß aussagen, so kann dies zwar den Interessen eines Auftraggebers zuwiderlaufen, der ihre Geheimhaltung wünscht. Solche Interessen des Auftraggebers genießen jedoch keinen verfassungsrechtlichen Schutz. Die Untersuchungsergebnisse gehören nicht zum unantastbaren Bereich seiner Privatsphäre, der nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG jedem Zugriff der öffentlichen Gewalt entzogen ist (vgl. BVerfGE 33,367 [376]; 34,205 [209]; 34,238 [245]; 35,35 [39]; 35,202 [220]). Vielmehr fallen sie in den Bereich seiner gewerblichen Betätigung. Damit sind sie der Offenbarung im Wege einer Beweisaufnahme, insbesondere durch Zeugenvernehmung, ebenso zugänglich wie andere Tatsachen, auf deren Ermittlung es im Rahmen eines Strafverfahrens ankommen kann. Selbst wenn ihre Bekanntgabe die Gefährdung eines wichtigen Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses besorgen ließe, würde dies die strafprozessuale Zeugnispflicht nicht beschränken, sondern allenfalls bei einer Verhandlung zum Ausschluß der Öffentlichkeit führen (§ 172 Abs. 1 GVG). Außerhalb des unantastbaren Bereichs privater Lebensgestaltung muß jedermann als gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots getroffen werden (BVerfGE 32, 373 [379]; 35, 35 [39]; 38, 105 [115 f.]; ständige Rechtsprechung). Das Interesse der Allgemeinheit an der Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege überwiegt etwaige Geheimhaltungsbelange der Auftraggeber des Tierarztes. Wiederholt hat das Bundesverfassungsgericht die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung anerkannt und das öffentliche Interesse an vollständiger Wahrheitsermittlung im Strafverfahren betont (BVerfGE 33,367 [383]; 34,238 [248]; 36,174 [186]; 38,105 [115 f.]). Jede Ausdehnung des strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts auf neue Personengruppen beschneidet jedoch die Möglichkeiten justizförmiger Sachaufklärung (BVerfGE 33,367 [383]) und mindert damit den Rechtsgüterschutz, den das materielle Strafrecht bezweckt. Das gilt nicht zuletzt für die strafbewehrten Verbote des Lebensmittelrechts, das dem Schutz der Verbraucher vor gesundheitlichen Schäden und Übervorteilung dient (vgl. Zipfel in: Erbs-Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Bd. II, Vorbem. 2 vor § 1 LMG). Verfolgung, Aufklärung und Ahndung von Straftaten auf diesem Gebiet erscheinen um so wichtiger, als sie geeignet sind, unzuverlässige Lebensmittelhersteller und -händler, die sich nicht an die Vorschriften halten, insbesondere gesundheitsgefährdende oder verfälschte Lebensmittel in den Verkehr bringen, zur künftigen Beachtung der einschlägigen Bestimmungen zu veranlassen. Beansprucht aber die Wahrheitserforschung im Strafverfahren – gerade auch in diesem Bereich – den Vorrang gegenüber Geheimhaltungsinteressen Einzelner, so wird dieses Ergebnis nicht dadurch in Frage gestellt, daß die Beschwerdeführerin meint, es liege im Sinne des Verbraucherschutzes, der Gesundheitsvorsorge und mithin des Gemeinwohls, den Tierarzt von der Zeugnispflicht zu befreien, weil sich die Lebensmittelhändler andernfalls der Kontrolle durch freiwillige Laboruntersuchungen ihrer Ware so weit wie möglich entziehen würden. Dabei braucht nicht entschieden zu werden, ob diese Verhaltensprognose richtig ist. Zweifelhaft bleibt immerhin, inwieweit die Lebensmittelhändler überhaupt in der Lage wären, von solchen Untersuchungen Abstand zu nehmen, ohne – von anderen Nachteilen abgesehen – Gefahr zu laufen, sich wegen Verstoßes gegen das Lebensmittelgesetz strafrechtlich verantworten zu müssen: in Schrifttum und Rechtsprechung ist anerkannt, daß an die Sorgfalt der Hersteller und Händler von Lebensmitteln im Interesse der Volksgesundheit höchste Anforderungen zu stellen sind (Zipfel, Lebensmittelrecht, Bd. II, Anm. 6 zu § 11 LMG; BGHSt 2, 384 [385]; OLG Koblenz LRE 8, 374 [377]); diese Anforderungen schließen für den, der sich nicht dem Vorwurf der Fahrlässigkeit aussetzen will, gegebenenfalls auch die Notwendigkeit ein, die Ware durch geeignete Sachverständige auf ihre vorschriftsmäßige Beschaffenheit untersuchen zu lassen (Zipfel, a.a.O., Anm. 7 und 26; Holthöfer-Nüse-Franck, Deutsches Lebensmittelrecht, 5. Aufl. [1970], Vorbem. 63 ff., 68, 75, 77 und 87 ff. vor § 11 LMG; OLG Oldenburg LRE 2,310 [314], 355 [358]; BayObLG LRE 3,103 [110]; für Importeure: OLG Köln LRE 8, 50 [52], 377 [379 f.]; speziell für Fleischimporteure: LG Berlin LRE 3, 364 [366 ff., 371 ff.] und BGH LRE 3,376). Selbst wenn aber die Verhaltensprognose der Beschwerdeführerin zuträfe, die privat veranlaßten Lebensmittelkontrollen durch Tierärzte also merklich zurückgingen, wäre damit nicht dargetan, daß etwaige Geheimhaltungsbelange der Lebensmittelhändler dem Interesse der Allgemeinheit an der Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege vorgehen könnten. Vielmehr würde sich allenfalls die Frage ergeben, ob der Gesetzgeber bei seinem Bemühen, Verbraucherschutz und Gesundheitsvorsorge sicherzustellen, die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung gefunden hat. Diese Frage unterliegt jedoch nicht der Nachprüfung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 3,162 [182]; 36,174 [189]; ständige Rechtsprechung).
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b) Der gesetzliche Zeugniszwang verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; er belastet den betroffenen Tierarzt weder über Gebühr noch in vermeidbarer Weise. Daß der Staat, nur um bei der Aufklärung einzelner Straftaten auf den Tierarzt als Zeugen verzichten zu können, allgemein die amtlichen Lebensmittelkontrollen in dem dazu notwendigen Umfang verstärkt, ist angesichts des damit verbundenen Aufwands billigerweise nicht zu verlangen.
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2. Es verletzt ferner nicht Art. 3 Abs. 1 GG, daß der Gesetzgeber dem Tierarzt im Strafverfahren ein Zeugnisverweigerungsrecht vorenthält und ihn insoweit anders behandelt als die Vertreter der in § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO aufgeführten Berufe. Dafür gibt es sachlich einleuchtende Gründe. Den gesetzlich genannten Berufen ist gemeinsam, daß ihre Ausübung typischerweise Leistungen einschließt, die sich als individuelle Beratung in persönlichen, rechtlichen, finanziellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten oder aber als unmittelbarer Dienst an der Gesundheit des Menschen kennzeichnen lassen (Beratungs- und Heilberufe). Solche Leistungen berühren – häufiger und stärker als andere Berufstätigkeiten – Bereiche, in denen schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen des Einzelnen Beachtung verlangen. Sie sind daher in besonderem Maße davon abhängig, daß derjenige, der sie – als Klient oder Patient – in Anspruch nimmt, die Möglichkeit hat, sich seinem Gegenüber frei, offen und rückhaltlos anzuvertrauen, ohne befürchten zu müssen, daß Tatsachen oder Umstände, die der andere dadurch kraft seines Berufes erfährt, offenbart werden könnten. Deshalb will § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO dieses Vertrauen auch gegenüber der strafprozessualen Wahrheitserforschung schützen, indem er den Angehörigen derartiger Beratungsund Heilberufe ein entsprechendes Zeugnisverweigerungsrecht einräumt. Dieser Begründungszusammenhang erfordert es nicht, die gleiche Weigerungsbefugnis dem Tierarzt zuzugestehen. Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung treffen nicht auf ihn zu. Bei ihm fehlt es an den Voraussetzungen, die der Zubilligung des Zeugnisverweigerungsrechtes zugrunde liegen. Er übt keinen Beratungs- oder Heilberuf in dem vorbezeichneten Sinne aus. Nach dem Berufsbild, das § 1 Abs. 1 der Bundes-Tierärzteordnung vom 17. Mai 1965 (BGBl. I S. 416) festlegt, ist der Tierarzt berufen, Leiden und Krankheiten der Tiere zu verhüten, zu lindern und zu heilen, zur Erhaltung und Entwicklung eines leistungsfähigen Tierbestandes beizutragen, den Menschen vor Gefahren und Schädigungen durch Tierkrankheiten sowie durch Lebensmittel und Erzeugnisse tierischer Herkunft zu schützen und auf eine Steigerung der Güte von Lebensmitteln tierischer Herkunft hinzuwirken. Weder gehört zu seinen Aufgaben der unmittelbare Dienst an der Gesundheit des Menschen noch ist die individuelle Beratung anderer in persönlichen, rechtlichen, finanziellen oder wirtschaftlichen Angelegenheit für seine Berufsausübung kennzeichnend. Auch dort, wo er beratende Funktionen erfüllt, bleibt seine Tätigkeit auf einen Sektor beschränkt, in dem die von ihm erwartete Leistung nicht davon abhängt, daß der Auftraggeber zu ihm in ein besonderes Vertrauensverhältnis tritt, das die Wahrung schutzwürdiger Geheimhaltungsbelange – auch gegenüber den Organen der Strafrechtspflege – umfaßt und verlangt. Zwar könnte er unter Gesichtspunkten der Ausbildung, der Berufsregelung und der Standesorganisation die Gewähr dafür bieten, daß er von einer etwaigen Aussageverweigerungsbefugnis keinen unangemessenen Gebrauch machen würde (vgl. BVerfGE 33, 367 [383 f.]). Darauf kommt es jedoch nicht mehr an, da er schon wegen der Art seiner beruflichen Aufgaben keinen verfassungsrechtlichen Anspruch hat, den in § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO genannten Berufen gleichgestellt und in den dort umschriebenen Kreis der zeugnisverweigerungsberechtigten Personen einbezogen zu werden.
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3. Schließlich verstößt die Bestimmung, die den Tierarzt vom berufsbedingten Zeugnisverweigerungsrecht ausschließt, auch nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Weder berührt sie die Freiheit seiner Berufswahl noch enthält sie eine Regelung seiner Berufsausübung. Sie hat nicht die Wahrnehmung seiner beruflichen Funktionen zum Gegenstand, sondern betrifft ihn – außerhalb dieses Bereichs – in gleicher Weise wie jeden anderen Bürger, der als Zeuge im Strafprozeß aussagen muß. Allenfalls mittelbar vermag sich das Fehlen des Zeugnisverweigerungsrechts auf die tierärztliche Berufsausübung auszuwirken. Solche Auswirkungen sind aber jedenfalls derart gering, daß sie gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit an einer umfassenden Wahrheitsermittlung im Strafverfahren nicht ins Gewicht fallen. Daß der Tierarzt – insbesondere als Facharzt für Laboratoriumsdiagnostik – seinen Beruf sinnvoll und bestimmungsgemäß nur ausüben könne, wenn ihm im Strafverfahren ein Aussageverweigerungsrecht zustehe, läßt sich nicht ernstlich behaupten (vgl. BVerfGE 33, 367 [387]).
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III.
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Die Beschwerdeführerin ist demnach in ihren Grundrechten nicht deshalb verletzt, weil die Gerichte bei der Verhängung und Bestätigung der Ordnungsstrafe davon ausgegangen sind, daß der Tierarzt im Strafverfahren kein berufsbezogenes Zeugnisverweigerungsrecht hat; denn dies entspricht der gesetzlichen Regelung, die – wie ausgeführt – in Einklang mit dem Grundgesetz steht. Allerdings kann sich im Einzelfall wegen der Eigenart des Beweisthemas eine Begrenzung des Zeugniszwangs ausnahmsweise auch außerhalb der verfahrensrechtlichen Normen des einfachen Rechts unmittelbar aus der Verfassung ergeben (BVerfGE 33, 367 [374 f.]; vgl. auch BVerfGE 38,103 [105] mit weiteren Nachweisen). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier indessen nicht vor, da das Beweisthema, zu dem die Beschwerdeführerin als Zeugin aussagen soll, keinen grundrechtlich geschützten Bereich berührt.
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IV.
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Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen.
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