1. Bei dem Gebot hinreichender Bestimmtheit und Klarheit der Gesetze handelt es sich um ein einheitliches Postulat, das verschiedene Aspekte in sich vereint. Demgemäß ist der Maßstab hierfür einheitlich zu bestimmen. Eine Trennung zwischen Bestimmtheits- und Klarheitsgebot dahingehend, dass eine Norm zwar noch hinreichend bestimmt sein kann, dennoch aber gegen das Gebot der Normenklarheit verstößt, kommt grundsätzlich nicht in Betracht.
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2. Die allgemeinen Anforderungen an die Bestimmtheit und Klarheit von Gesetzen gelten auch für wahlrechtliche Normen. Darüber hinaus lässt sich ein allgemein gültiger verfassungsrechtlicher Maßstab für den maximal zulässigen Grad an Komplexität, den eine wahlrechtliche Vorschrift erreichen darf, nicht entwickeln. Die Anforderungen an die Bestimmtheit und Klarheit einer das Wahlgeschehen betreffenden Norm hängen auch davon ab, ob sie die Wahlhandlung selbst oder die nachfolgende Ergebnisermittlung betrifft.
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3. Im Rahmen des ihm zukommenden Gestaltungsauftrags darf der Gesetzgeber Überhangmandate zulassen, solange sich die damit verbundene Differenzierung des Erfolgswerts der Wählerstimmen innerhalb des Konzepts der personalisierten Verhältniswahl hält. Ob es sich dabei um eine bewusst herbeigeführte Konsequenz oder nur um eine ungewollte Nebenfolge der gesetzgeberischen Systementscheidung handelt, ist ohne Belang. ![]() | |
des Zweiten Senats vom 29. November 2023 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. April 2023
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– 2 BvF 1/21 – | |
in dem Verfahren ob Artikel 1 Nummer 3 bis 5 des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 14. November 2020 (Bundesgesetzblatt I Seite 2395) mit Artikel 20 Absatz 3 GG, Artikel 20 Absatz 1 und 2 GG sowie Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG und Artikel 21 Absatz 1 GG unvereinbar und nichtig ist Antragsteller: Mitglieder des 19. Deutschen Bundestages [216 Namen, hier nicht aufgeführt] ![]() ![]() ![]() | |
Artikel 1 Nummer 3 bis 5 des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 14. November 2020 (Bundesgesetzblatt I Seite 2395) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
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Gründe: | |
A. | |
Die abstrakte Normenkontrolle von 216 Mitgliedern des 19. Deutschen Bundestages der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE und FDP wendet sich gegen Art. 1 Nr. 3 bis 5 des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 14. November 2020 (BGBl I S. 2395 [BWahlGÄndG]). Durch die zur Überprüfung gestellten Bestimmungen wurden insbesondere das Verfahren der Sitzzuteilung bei der Bundestagswahl sowie die Regelung für die Berufung von Listennachfolgern geändert.
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I.
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1. Das Verfahren über die Verteilung der Sitze im Deutschen Bundestag war vor der verfahrensgegenständlichen Änderung zuletzt mit dem Zweiundzwanzigsten Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 3. Mai 2013 (BGBl I S. 1082 [BWahlG 2013]) geändert worden. Veranlasst war diese Änderung durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Juli 2012 (BVerfGE 131, 316), mit der § 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2a Bundeswahlgesetz in der Fassung des Art. 1 des Neunzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 25. November 2011 (BGBl I S. 2313 [BWahlG 2011]) für mit Art. 21 Abs. 1 und Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG unvereinbar und nichtig erklärt sowie festgestellt worden war, dass § 6 Abs. 5 BWahlG 2011 nach Maßgabe der Urteilsgründe mit diesen Verfassungsbestimmungen unvereinbar ist. In der Folge wurde das Sitzzuteilungsverfahren wie folgt gefasst:
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a) In einer ersten – rein rechnerischen – Verteilung wurde die Gesamtzahl der 598 Sitze (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BWahlG 2013) nach dem Divisorverfahren mit Standardrundung nach Sainte-Laguë/ ![]() ![]() | |
b) Gemäß § 6 Abs. 5 BWahlG 2013 wurde sodann die Zahl der nach § 6 Abs. 1 Satz 3 BWahlG 2013 verbleibenden Sitze erhöht, bis jede Partei bei der zweiten Verteilung nach § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG 2013 mindestens die für sie ermittelte Mindestsitzzahl erhielt (§ 6 Abs. 5 Satz 1 BWahlG 2013). Die Gesamtzahl von 598 Sitzen erhöhte sich um die Unterschiedszahl (§ 6 Abs. 5 Satz 2 BWahlG 2013). Die Regelung des § 6 Abs. 5 BWahlG 2013 zielte auf einen vollständigen Ausgleich der rechnerisch anfallenden Überhangmandate (vgl. BTDrucks 17/11819, S. 5), das heißt der ![]() ![]() | |
c) Diese erhöhte Gesamtsitzzahl des Deutschen Bundestages wurde in der zweiten – tatsächlichen – Verteilung nach § 6 Abs. 6 BWahlG 2013 zunächst in einer Oberverteilung bundesweit nach der Zweitstimmenzahl im Divisorverfahren mit Standardrundung nach Sainte-Laguë/Schepers auf die zu berücksichtigenden Parteien verteilt (§ 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG 2013). Sodann erfolgte eine Unterverteilung innerhalb der Parteien auf deren Landeslisten (§ 6 Abs. 6 Satz 2 BWahlG 2013). An diese schloss sich die konkrete Mandatsvergabe unter vorrangiger Berücksichtigung der erfolgreichen Wahlkreisbewerber an (§ 6 Abs. 6 Satz 3 bis 6 BWahlG 2013).
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2. a) Für den Fall des Ausscheidens eines direkt gewählten Abgeordneten hatte das Wahlgesetz zum ersten Bundestag und zur ersten Bundesversammlung vom 15. Juni 1949 (BGBl S. 21 [BWahlG 1949]) noch eine Ersatzwahl vorgesehen; lediglich für ausscheidende Abgeordnete, die auf der Grundlage eines Listenvorschlags gewählt worden waren, galt das Prinzip der Listennachfolge (§ 15 BWahlG 1949). Das Wahlgesetz zum zweiten Bundestag und zur Bundesversammlung vom 8. Juli 1953 (BGBl I S. 470 [BWahlG 1953]) erstreckte demgegenüber das Prinzip der Listennachfolge auch auf direkt gewählte Bewerber (§ 54 Abs. 1 BWahlG 1953). Seit dem Bundeswahlgesetz vom 7. Mai 1956 (BGBl I S. 383 [BWahlG 1956]) ist die dahingehende Regelung in § 48 Abs. 1 enthalten. Danach wurde, wenn ein gewählter Bewerber starb oder die Annahme der Wahl ablehnte oder ein Abgeordneter starb oder sonst nachträglich aus dem Bundestag ausschied, der Sitz aus der Landesliste derjenigen Partei besetzt, für die der Ausgeschiedene bei der Wahl aufgetreten war (Satz 1), wobei Listenbewerber unberücksichtigt blieben, wenn sie zwischenzeitlich aus der Partei ausgeschieden waren (Satz 2). War die Liste erschöpft, blieb der Sitz unbesetzt (Satz 3). Die Norm fand auch Anwendung, wenn ein direkt gewählter Abgeordneter aus dem Deutschen Bundestag ausschied, der in einem Land ge ![]() ![]() | |
b) Mit Beschluss vom 26. Februar 1998 (BVerfGE 97, 317) entschied das Bundesverfassungsgericht, dass § 48 Abs. 1 Bundeswahlgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Juli 1993 (BGBl I S. 1288, berichtigt S. 1595 [BWahlG 1993]) nur anwendbar sei, soweit Sitze wieder zu besetzen seien, die aufgrund des Zweitstimmenergebnisses für die Landesliste ermittelt worden seien. Scheide ein direkt gewählter Wahlkreisabgeordneter aus dem Deutschen Bundestag aus, komme demzufolge eine Listennachfolge nicht in Betracht, solange die Partei, der er angehöre, in dem betroffenen Land über mehr Direktmandate verfüge, als ihr Listensitze zustünden. Zur Begründung verwies der Zweite Senat darauf, dass Überhangmandate nicht durch Zweitstimmen legitimiert seien, da sie nicht im Wege der Anrechnung auf das Sitzkontingent der Liste einen Listensitz verdrängten. Für solche Fälle halte die Landesliste daher mitgewählte Ersatzleute nicht vor (vgl. BVerfGE 97, 317 [328] sowie 3. Leitsatz).
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c) In der Folgezeit wurde der Norm die Auslegung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde gelegt (vgl. BT-Plenarprotokoll 13/235, S. 21538). Mit dem Gesetz zur Änderung des Wahl- und Abgeordnetenrechts vom 17. März 2008 (BGBl I S. 394 [BWahlG 2008]) wurde diese Handhabung ausdrücklich geregelt und § 48 Abs. 1 BWahlG um einen neuen Satz 2 ergänzt, nach dem eine Listennachfolge nicht stattfindet, solange die Partei in dem betreffenden Land Überhangmandate innehat (vgl. BTDrucks 16/7461, S. 20). Mit dem Zweiundzwanzigsten Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 3. Mai 2013 (BGBl I S. 1082), das einen Vollausgleich von rechnerisch anfallenden Überhangmandaten einführte, wurde § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG gestrichen. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, einer Sonderregelung für den Fall, dass eine Partei in einem Land über mehr Direktmandate verfüge, als ihr Listensitze zustünden, bedürfe es nicht mehr. Durch den Vollausgleich werde keiner der Sitze nur von einer Mehrheit der Erststimmen getragen (vgl. BTDrucks 17/11819, S. 7, 11 f.). ![]() | |
a) Dieser zielte nach der Entwurfsbegründung darauf ab, die ausgleichsbedingte Bundestagsvergrößerung, welche den Deutschen Bundestag an die Grenzen seiner Arbeits- und Handlungsfähigkeit bringen und die Akzeptanz des Parlaments in der Bevölkerung beeinträchtigen könne, zu vermindern (vgl. BTDrucks 19/22504, S. 1, 5). Dies sollte zum einen dadurch erreicht werden, dass mit Wirkung ab dem 1. Januar 2024 bei Beibehaltung der Regelgröße des Deutschen Bundestages von 598 Abgeordneten die Zahl der Wahlkreise auf 280 reduziert wird (vgl. BTDrucks 19/22504, S. 1, 5 f., 8). Zum anderen sah der Entwurf eine unmittelbar mit Inkrafttreten des Gesetzes wirksam werdende Änderung des Sitzzuteilungsverfahrens vor. Demnach sollte mit dem Ausgleich von Überhangmandaten erst nach dem dritten Überhangmandat begonnen und ein weiterer Aufwuchs zudem durch Anrechnung von Wahlkreismandaten auf Listenmandate derselben Partei in anderen Ländern vermieden werden (vgl. BTDrucks 19/22504, S. 1, 5). Da in der Folge erneut Überhangmandate auftreten konnten, sah der Entwurf zudem vor, die zuletzt in § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG 2008 vorgesehene Regelung zum Ausschluss der Listennachfolge für den Fall, dass die betroffene Partei in dem entsprechenden Land über Überhangmandate verfügt, wiedereinzuführen (vgl. BTDrucks 19/22504, S. 1, 5).
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b) Der Entwurf der Regierungsfraktionen wurde in der 177. Sitzung des 19. Deutschen Bundestages am 18. September 2020 in erster Lesung beraten und sodann federführend an den Ausschuss für Inneres und Heimat überwiesen (vgl. BT-Plenarprotokoll 19/177, S. 22326 ff.). Nachdem der Ausschuss am 5. Oktober 2020 auf Grundlage schriftlicher Stellungnahmen (vgl. BTAusschussdrucks 19[4]584 A-F) eine Sachverständigenanhörung zu dem Gesetzentwurf durchgeführt hatte (vgl. Ausschuss für Inneres und Heimat, Protokoll Nr. 19/100), empfahl er die Annahme des ![]() ![]() | |
c) Der Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen wurde gemeinsam mit den konkurrierenden Gesetzentwürfen in der 183. Sitzung des 19. Deutschen Bundestages am 8. Oktober 2020 in zweiter und dritter Lesung beraten; die Entwürfe der Opposition wurden abgelehnt und der Entwurf der Regierungsfraktionen wurde in unveränderter Fassung angenommen (vgl. BT-Plenarprotokoll 19/183, S. 23041 ff., 23052, 23061 ff.).
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4. a) Art. 1 Nr. 3 BWahlGÄndG fasste § 6 Abs. 5 BWahlG 2013 gänzlich und § 6 Abs. 6 BWahlG 2013 teilweise neu. § 6 Bundeswahlgesetz in der Fassung des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 14. November 2020 lautet wie folgt:
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(1) Für die Verteilung der nach Landeslisten zu besetzenden Sitze werden die für jede Landesliste abgegebenen Zweitstimmen zusammengezählt. Nicht berücksichtigt werden dabei die Zweitstimmen derjenigen Wähler, die ihre Erststimme für einen im Wahlkreis erfolgreichen Bewerber abgegeben haben, der gemäß § 20 Absatz 3 oder von einer Partei vorgeschlagen ist, die nach Absatz 3 bei der Sitzverteilung nicht berücksichtigt wird oder für die in dem betreffenden Land keine Landesliste zugelassen ist. Von der Gesamtzahl der Abgeordneten (§ 1 Absatz 1) wird die Zahl der erfolgreichen Wahlkreisbewerber abgezogen, die in Satz 2 genannt sind. (2) In einer ersten Verteilung wird zunächst die Gesamtzahl der Sitze (§ 1 Absatz 1) in dem in Satz 2 bis 7 beschriebenen Berechnungsverfahren den Ländern nach deren Bevölkerungsanteil (§ 3 Absatz 1) und sodann in jedem Land die Zahl der dort nach Absatz 1 Satz 3 verbleibenden Sitze auf der Grundlage der zu berücksichtigenden Zweitstimmen den Landeslisten zugeordnet. Jede Landesliste erhält so viele Sitze, wie sich nach Teilung der Summe ihrer erhaltenen Zweitstimmen durch einen Zuteilungsdivisor ergeben. Zahlenbruchteile unter 0,5 werden auf die darunter liegende ganze Zahl abgerundet, solche über 0,5 werden auf die darüber liegende ganze Zahl aufgerundet. Zahlenbruchteile, die gleich 0,5 sind, werden so aufgerundet oder ![]() ![]() (3) Bei Verteilung der Sitze auf die Landeslisten werden nur Parteien berücksichtigt, die mindestens 5 Prozent der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten oder in mindestens drei Wahlkreisen einen Sitz errungen haben. 2 Satz 1 findet auf die von Parteien nationaler Minderheiten eingereichten Listen keine Anwendung. (4) Von der für jede Landesliste so ermittelten Sitzzahl wird die Zahl der von der Partei in den Wahlkreisen des Landes errungenen Sitze (§ 5) abgerechnet. In den Wahlkreisen errungene Sitze verbleiben einer Partei auch dann, wenn sie die nach den Absätzen 2 und 3 ermittelte Zahl übersteigen. (5) Die Zahl der nach Absatz 1 Satz 3 verbleibenden Sitze wird so lange erhöht, bis jede Partei bei der zweiten Verteilung der Sitze nach Absatz 6 Satz 1 mindestens die Gesamtzahl der ihren Landeslisten nach den Sätzen 2 und 3 zugeordneten Sitze erhält. Dabei wird jeder Landesliste der höhere Wert aus entweder der Zahl der im Land von Wahlbewerbern der Partei in den Wahlkreisen nach § 5 errungenen Sitze oder dem auf ganze Sitze aufgerundeten Mittelwert zwischen diesen und den für die Landesliste der Partei nach der ersten Verteilung nach den Absätzen 2 und 3 ermittelten Sitzen zugeordnet. Jede Partei erhält mindestens die bei der ersten Verteilung nach den Absätzen 2 und 3 für ihre Landeslisten ermittelten Sitze. Bei der Erhöhung bleiben in den Wahlkreisen errungene Sitze, die nicht nach Absatz 4 Satz 1 von der Zahl der für die Landesliste ermittelten Sitze abgerechnet werden können, bis zu einer Zahl von drei unberücksichtigt. Die Gesamtzahl der Sitze (§ 1 Absatz 1) erhöht sich um die Unterschiedszahl. (6) Die nach Absatz 5 zu vergebenden Sitze werden in jedem Fall bundesweit nach der Zahl der zu berücksichtigenden ![]() ![]() (7) Erhält bei der Verteilung der Sitze nach den Absätzen 2 bis 6 eine Partei, auf die mehr als die Hälfte der Gesamtzahl der Zweitstimmen aller zu berücksichtigenden Parteien entfallen ist, nicht mehr als die Hälfte der Sitze, werden ihr weitere Sitze zugeteilt, bis auf sie ein Sitz mehr als die Hälfte der Sitze entfällt. Die Sitze werden in der Partei entsprechend Absatz 6 Satz 2 bis 6 verteilt. 3 In einem solchen Falle erhöht sich die nach Absatz 5 ermittelte Gesamtzahl der Sitze (§ 1 Absatz 1) um die Unterschiedszahl. | |
b) § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 BWahlG wurden durch Art. 1 Nr. 5 BWahlGÄndG wie folgt gefasst:
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Wenn ein gewählter Bewerber stirbt oder dem Landeswahlleiter schriftlich die Ablehnung des Erwerbs der Mitgliedschaft erklärt oder wenn ein Abgeordneter stirbt oder sonst nachträglich aus dem Deutschen Bundestag ausscheidet, so wird der Sitz aus der Landesliste derjenigen Partei besetzt, für die der gewählte Bewerber oder ausgeschiedene Abgeordnete bei der Wahl aufgetreten ist. Dies gilt nicht, solange die Partei in dem betreffenden Land Mandate gemäß § 6 Absatz 6 Satz 4 innehat.
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c) Art. 1 Nr. 4 BWahlGÄndG passte § 46 Abs. 2 BWahlG an die Neuformulierung des § 6 Abs. 6 BWahlG an.
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5. Der Termin für die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag wurde gemäß § 16 BWahlG mit Anordnung vom 8. Dezember 2020 (BGBl I S. 2769) auf den 26. September 2021 bestimmt.
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6. a) Mit Beschluss vom 20. Juli 2021 (2 BvF 1/21 – Normenkontrolle Bundeswahl- recht – eA) lehnte das Bundesverfassungs ![]() ![]() | |
b) Am 26. September 2021 wurde der 20. Deutsche Bundestag gewählt. Die Sitzzuteilung fand erstmals auf Grundlage der vorliegend zur Überprüfung gestellten Bestimmungen statt. Der 20. Deutsche Bundestag zählt 736 Abgeordnete, von denen nach dem Sitzzuteilungsverfahren 206 Sitze auf die SPD, 152 auf die CDU, 118 auf BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, 92 auf die FDP, 83 auf die AfD, 45 auf die CSU, 39 auf DIE LINKE sowie ein Sitz auf den Südschleswigschen Wählerverband (SSW) entfielen (vgl. Bundeswahlleiter, Wahl zum 20. Deutschen Bundestag am 26. September 2021, Heft 3, S. 421). Im Rahmen der ersten – fiktiven – Verteilung ergaben sich insgesamt 34 Quasi-Überhangmandate (vgl. Bundeswahlleiter, Wahl zum 20. Deutschen Bundestag am 26. September 2021, Heft 3, S. 417 ff.), die bei der anschließenden Erhöhung der Sitzzahl nach § 6 Abs. 5 BWahlG mit Ausnahme von drei Mandaten ausgeglichen wurden. Bei der – tatsächlichen – zweiten Sitzverteilung wurden diese als verbleibende Überhangmandate der CSU zugeordnet (vgl. Bundeswahlleiter, Wahl zum 20. Deutschen Bundestag am 26. September 2021, Heft 3, S. 421).
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7. a) Am 24. Januar 2023 legten die Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes und des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (BTDrucks 20/5370 [BWahlGÄndG 2023]) vor, welches insbesondere das Sitzzuteilungsverfahren für die Wahl des Deutschen Bundestages gemäß § 6 BWahlG neu regelt. Der Gesetzentwurf wurde in der 92. Sitzung des 20. Deutschen Bundestages am 17. März 2023 in zweiter und dritter Lesung beraten und in der Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat (BTDrucks 20/6015) beschlossen (vgl. BT-Plenarprotokoll 20/92 [neu], S. 11015 ff., 11050 ff.). Der Bundesrat entschied in seiner 1033. Sitzung am 12. Mai 2023, zu dem Gesetz keinen Antrag ![]() ![]() | |
b) Mit Blick auf das Gesetzgebungsverfahren zur erneuten Änderung des Sitzzuteilungsverfahrens für die Wahl zum Deutschen Bundestag haben die Antragstellerinnen und Antragsteller am 13. März 2023 beantragt, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen. Diesen Antrag hat der Zweite Senat mit Beschluss vom 22. März 2023 (2 BvF 1/21 – Normenkontrolle Bundeswahlrecht – Antrag auf Ruhen des Verfahrens) unter Verweis auf das öffentliche Interesse an der Fortführung des Verfahrens abgelehnt.
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II.
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Die Antragstellerinnen und Antragsteller rügen einen Verstoß von Art. 1 Nr. 3 bis 5 BWahlGÄndG gegen Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 20 Abs. 1 und 2 GG, Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG sowie Art. 21 Abs. 1 GG.
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1. Die zur Überprüfung gestellten Normen verstießen gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG folgende Gebot der Normenklarheit, das im Bereich des Wahlrechts durch das Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 2 GG konkretisiert werde.
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a) Der Gesetzgeber sei nach dem Rechtsstaatsprinzip gehalten, Gesetze hinreichend bestimmt zu fassen. Der Wille der an der Gesetzgebung beteiligten Verfassungsorgane müsse zurechenbar festgestellt werden können, damit eine demokratisch legitimierte Entscheidung vorliege. Darüber hinaus erfordere das Rechtsstaatsprinzip eine hinreichende Klarheit gesetzlicher Regelungen im Hinblick auf die Normunterworfenen; sie müssten die Rechtslage so konkret erkennen können, dass sie ihr Verhalten danach ausrichten könnten. Die Anforderungen an die Normenklarheit seien erhöht, wenn die Unsicherheit bei der Beurteilung der ![]() ![]() | |
b) Diesen Anforderungen werde die Neuregelung des Bundeswahlgesetzes in Art. 1 Nr. 3 bis 5 BWahlGÄndG nicht gerecht. Der Gesetzestext sei an zahlreichen Stellen unvollständig und weise systematische Brüche auf, die eine methodengeleitete Auslegung unmöglich machten. Dies führe dazu, dass wesentliche Fragen vom Bundeswahlleiter beantwortet werden müssten, dem damit unmittelbarer Einfluss auf die Umrechnung des Wahlergebnisses in Bundestagsmandate zukomme.
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aa) § 6 Abs. 5 Satz 1 BWahlG arbeite mit einem Zirkelverweis auf § 6 Abs. 6 BWahlG. § 6 Abs. 6 BWahlG setze nach seinem Wortlaut voraus, dass die Anzahl der zu vergebenden Sitze bereits nach § 6 Abs. 5 BWahlG berechnet worden sei. § 6 Abs. 5 BWahlG setze wiederum voraus, dass parallel eine Berechnung nach § 6 Abs. 6 BWahlG stattfinde. Bei strenger Beachtung des Wortlauts sei die Rechenoperation nicht durchführbar. Nur unter Zuhilfenahme der Entwurfsbegründung lasse sich die Bestimmung dahingehend ![]() ![]() | |
bb) § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG sei normenunklar. Aus dem Text lasse sich keine Rechenoperation ableiten, die es ermögliche, das nach der Entwurfsbegründung verfolgte Ziel der Entstehung von bis zu drei unausgeglichenen Überhangmandaten zu erreichen. Auslegungsmöglichkeiten, die dazu führten, dass der Norm eine eindeutige Rechenoperation entnommen werden könne, fehlten.
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(1) Bezüglich der Formulierung "bis zu einer Zahl von drei" seien drei verschiedene Auslegungen denkbar: drei Sitze pro Landesliste, drei Sitze pro Partei oder drei Sitze insgesamt. Der Wortlaut lege nahe, von bis zu drei Sitzen pro Landesliste einer Partei auszugehen, denn § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG verwende bei dem Verweis auf § 6 Abs. 4 Satz 1 BWahlG das Wort Landesliste in der Einzahl. Dafür, dass bis zu drei Sitze pro Partei insgesamt unberücksichtigt bleiben sollten, spreche demgegenüber der systematische Zusammenhang von § 6 Abs. 5 Satz 4 mit § 6 Abs. 5 Satz 1 und 3 BWahlG, die jeweils auf die Gesamtzahl der den Landeslisten oder Parteien zugeordneten Sitze verwiesen. Die Sachverständigen Pukelsheim und Behnke seien davon ausgegangen, dass § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG bis zu drei Sitze bezogen auf alle Parteien in allen Bundesländern meine. Dafür spreche auch die Begründung des Gesetzentwurfs, wonach im Ergebnis bis zu drei Überhangmandate entstehen sollten. Allerdings beziehe sich die Begründung insofern auf die Neuregelung in § 6 Abs. 6 BWahlG. Zudem sei der Wert der Entwurfsbegründung als Auslegungshilfe beschränkt. Im Gesetzgebungsverfahren sei mehrfach auf die missverständliche Formulierung hingewiesen worden, ohne dass der Gesetzgeber eine Klarstellung vorgenommen habe. Die Aussagekraft der Gesetzesmaterialien sinke, wenn das Gesetz – wie vorliegend – sehr umstritten und nur das Ergebnis eines Formelkompromisses sei. Jedenfalls stehe einer Auslegung im Sinne von drei Mandaten insgesamt entgegen, dass aus dem Wortlaut nicht hervorgehe, wie diese drei Mandate zu bestimmen seien. ![]() | |
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cc) Soweit § 6 Abs. 5 Satz 5 BWahlG bestimme, dass sich die Gesamtzahl der Sitze um die Unterschiedszahl erhöhe, sei unklar, welche Unterschiedszahl gemeint sei, da in den Sätzen zuvor drei verschiedene Größen (Regelgröße des Bundestages, Zahl der "nicht zu berücksichtigenden Mandate", erhöhte Sitzzahl ohne Überhangmandate) in Bezug genommen würden. Gemeint sei vermutlich die Differenz zwischen der gesetzlichen Regelgröße des Bundestages und der erhöhten Zahl der Mandate ohne die Überhangmandate. Aus dem Wortlaut sei dies jedoch nicht erkennbar.
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dd) Die Unklarheiten setzten sich in § 6 Abs. 6 BWahlG fort, der die endgültige Sitzverteilung regele. In § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG ![]() ![]() | |
ee) Die Unmöglichkeit, einen Zusammenhang zwischen § 6 Abs. 6 Satz 2 und 4 BWahlG herzustellen, schlage auch auf § 48 Abs. 1 BWahlG durch. Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG gelte die Listennachfolge nicht, solange die Partei in dem betreffenden Land Mandate nach § 6 Abs. 6 Satz 4 BWahlG innehabe. Durch die ![]() ![]() | |
2. Die zur Überprüfung gestellten Normen verstießen darüber hinaus gegen die Grundsätze der Wahlgleichheit (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG) und der Chancengleichheit der Parteien (Art. 21 Abs. 1 GG).
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a) Die Wahlgleichheit aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG fordere, dass alle Bürger ihr Wahlrecht in formal gleicher Weise ausüben könnten. Mit der Entscheidung für ein Verhältniswahlsystem habe sich der Gesetzgeber dem Gebot des gleichen Erfolgswertes jeder Stimme unterworfen. Abweichungen hiervon bedürften einer jeweils eigenständigen verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Das Bundesverfassungsgericht habe zudem der Möglichkeit des Gesetzgebers, ausgleichslose Überhangmandate zuzulassen, eine klare Grenze gesetzt. Überhangmandate seien schon begrifflich nur solche Mandate, die aufgrund eines nicht vollständig durchgeführten Verrechnungsverfahrens entstünden. Dies treffe auf Mandate, die aufgrund einer gesetzgeberischen Entscheidung bewusst in proporzverzerrender Weise erzwungen würden, nicht zu. Die Gewährleistungen der Wahlgleichheit würden verstärkt durch die Chancengleichheit der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 GG. Durch eine ungleiche Gewichtung der auf die Parteien entfallenden Stimmen werde auch die Gleichheit der Parteien in der Wahl als Wettbewerbsprozess berührt.
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b) Das geänderte Wahlgesetz verstoße gegen diese Vorgaben. Die Überhangmandate seien nicht mehr Systemfolge der per ![]() ![]() | |
III.
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Der Deutsche Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung sowie die Landesregierungen haben gemäß § 77 Nr. 1 BVerfGG Gelegenheit zur Äußerung erhalten. Von dieser haben der Deutsche Bundestag (1.) und die Bundesregierung (2.) Gebrauch gemacht.
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1. Der Deutsche Bundestag hält den Antrag für unbegründet.
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a) aa) Das Entstehen von bis zu drei ausgleichslosen Überhangmandaten nach § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG sei mit der Wahlgleichheit sowie der Chancengleichheit der Parteien vereinbar. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei die mit Überhangmandaten einhergehende Beeinträchtigung des Zweitstimmenproporzes durch die Zielsetzung der personalisierten Verhältniswahl gerechtfertigt, solange dadurch der Grundcharakter der Bundestagswahl als Verhältniswahl nicht aufgehoben werde. Davon könne erst ausgegangen werden, wenn die Zahl der Überhangmandate etwa die Hälfte der für die Bildung einer Fraktion erforderlichen Zahl überschreite. Dem trage § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG Rechnung, da nur bis zu drei ausgleichslose Überhangmandate zugelassen würden.
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bb) Die Behauptung, der Gesetzgeber dürfe ausgleichslose Überhangmandate nicht als Gestaltungsinstrument einsetzen, finde in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keinen Niederschlag. Außerdem erzwinge die Gesetzesänderung keine Überhangmandate. Sie lasse lediglich zu, dass bis zu drei ![]() ![]() | |
cc) Die Annahme, die Zulassung von bis zu drei ausgleichslosen Überhangmandaten habe auf die Größe des Bundestages nur geringen Einfluss, beruhe auf nur einer Modellrechnung mit Daten nur eines Zeitpunktes. Dies erlaube keinen generellen Rückschluss auf die Dämpfungswirkungen der Regelung. Außerdem liege die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Überhangmandate nicht in der Reduzierung der Größe des Bundestages, sondern darin, dem Wähler im Rahmen der Verhältniswahl die Wahl von Persönlichkeiten zu ermöglichen.
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b) Die Regelungen des Sitzzuteilungsverfahrens seien hinreichend bestimmt.
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aa) Der Normgehalt könne durch methodengerechte Auslegung ermittelt werden. Für das gebotene Maß an Bestimmtheit sei auf die Eigenart des Regelungsgegenstands und den Normzweck abzustellen. Demgemäß müssten die Regelungen des Sitzzuteilungsverfahrens der Bundestagswahl komplex sein, da sie unterschiedliche und zum Teil gegenläufige Prinzipien und Wahlrechtsgrundsätze beachten müssten. Erhöhte man entsprechend dem Antragsvorbringen die Bestimmtheitsanforderungen an wahlrechtliche Sitzzuteilungsregelungen, könnte der Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum nicht mehr wahrnehmen. Auch aus der Integrationsfunktion der Wahl und dem Gesichtspunkt demokratischer Wesentlichkeit folgten keine eigenständigen oder erhöhten Anforderungen an die Bestimmtheit wahlrechtlicher Sitzzuteilungsregeln.
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bb) § 6 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 6 Satz 1 BWahlG ließen hinreichend erkennen, dass die Sitzzahl iterativ zu erhöhen sei. Dieser Prozess habe stattzufinden, bis ("so lange") das vorgegebene Ziel erreicht sei, dass die Parteien bei der zweiten Verteilung mindestens die Gesamtzahl der ihren Landeslisten nach den Sätzen 2 und 3 zugeordneten Sitze erhielten. Ein Zirkelverweis liege nicht vor. ![]() | |
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dd) Auch § 6 Abs. 5 Satz 5 BWahlG sei hinreichend bestimmt. Die in der Norm benannte "Unterschiedszahl" beziehe sich auf die Differenz zwischen der gesetzlichen Regelgröße des Deutschen Bundestages und der erhöhten Gesamtzahl der Mandate.
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ee) § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG beziehe sich auf die Zahl der Sitze ohne Überhangmandate, da nur diese die "nach Absatz 5 zu vergebenden Sitze" darstellten. Die nach § 6 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 BWahlG zu verteilende Sitzzahl schließe dagegen die ausgleichslosen Überhangmandate ein, wodurch die Zahl um bis zu drei Mandate höher ausfallen könne als nach Satz 1. Die Bewältigung der möglichen Differenz habe der Gesetzgeber einer Regelung zugeführt: Nach § 6 Abs. 6 Satz 5 BWahlG werde die Gesamtzahl der Sitze um die Unterschiedszahl erhöht, ohne dass eine erneute Proportionalverteilung stattfinde.
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ff) Schließlich sei auch § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG hinreichend bestimmt. Die in Bezug genommenen Mandate gemäß § 6 Abs. 6 Satz 4 BWahlG seien die ausgleichslosen Überhangmandate. Ein Überhang liege in einem Land vor, wenn sich dort ein Sitz nur durch die Garantie aller Wahlkreismandate gemäß § 6 Abs. 5 Satz 2 BWahlG ergebe. Um dies zu ermitteln, seien die Verteilung bei abgesenkter Sitzzahl (§ 6 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 4 BWahlG) und die Verteilung mit Garantie aller Direktmandate (§ 6 Abs. 6 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Satz 2 BWahlG) miteinander zu vergleichen. Die Berechnung sei iterativ nach dem Divisorverfahren mit Standardrundung vorzunehmen. Dort, wo bei der ![]() ![]() | |
c) Jedenfalls sei eine verfassungskonforme Auslegung der angegriffenen Regelungen möglich. Sollten die Regelungen des Sitzzuteilungsverfahrens hinsichtlich der ausgleichslosen Überhangmandate verfassungswidrig sein, sei zu beachten, dass sie integraler Teil einer Reform des Bundestagswahlrechts seien. Würden sie für nichtig erklärt, führten die verbleibenden Teile der Neuregelung einseitig zu einer Stärkung des Verhältniselements der Bundestagswahl, was dem Willen des Gesetzgebers entgegenliefe.
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2. Auch die Bundesregierung hält den Normenkontrollantrag für unbegründet.
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a) Die Zulassung von bis zu drei Überhangmandaten verstoße nicht gegen die Gleichheit oder die Unmittelbarkeit der Wahl aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG oder die Chancengleichheit der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG.
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aa) Das verfahrensgegenständliche Gesetz entspreche der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Überhangmandaten, indem es die Anzahl zulässiger Überhangmandate unterhalb der Grenze von 15 festschreibe. Die These, Überhangmandate dürften nur als "Nebenfolge" einer wahlrechtlichen Systementscheidung zugelassen werden, überzeuge nicht. Das Bundesverfassungsgericht habe den Anfall ausgleichsloser Überhangmandate als Ausdruck der Systementscheidung für die personalisierte Verhältniswahl angesehen. Sie seien vorhersehbare Folge der besonderen Akzentuierung der Wahlkreismandate, wie sie der personalisierten Verhältniswahl eigen sei. Das Bundesverfassungsgericht habe auch die potenziell mehrheitsbeeinflussende Wirkung von Überhangmandaten akzeptiert.
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bb) Entgegen der Ansicht der Antragstellerinnen und Antragsteller sei der Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit nach Art. 38 Abs. 3 GG nicht zu einem Vollausgleich aller Überhangmandate verpflichtet. Soweit eine zu geringe Dämpfungswirkung des Verzichts auf einen solchen Vollausgleich kritisiert ![]() ![]() | |
b) Das Sitzzuteilungsverfahren sei hinreichend bestimmt.
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aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei es verfassungsrechtlich nicht geboten, dass sich der Aussagegehalt von Regelungen insbesondere des Sitzzuteilungsverfahrens ohne Weiteres aus dem Wortlaut erschließe. Es genüge, wenn der Normgehalt durch Auslegung ermittelt werden könne. Das Bundesverfassungsgericht gehe davon aus, dass der Gesetzgeber eine Vorschrift so fassen dürfe, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck möglich sei. Es sei nicht ersichtlich, dass sich mit Blick auf Art. 38 GG ein anderer Bestimmtheitsmaßstab ergebe. Art. 38 Abs. 3 GG eröffne dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum, der nicht konterkariert werden dürfe. Mit Blick auf die Integrationsfunktion der Wahl habe das Bundesverfassungsgericht nicht gefordert, dass die Umrechnung von Stimmen in Mandate "einfach" sein müsse.
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bb) § 6 BWahlG sei keine leicht verständliche Vorschrift. Der Grund liege darin, dass die Norm bei der Umwandlung von Stimmen in Mandate den Anforderungen von zwei unterschiedlichen Wahlsystemen (Personen- und Verhältniswahl) genügen müsse. Zudem müsse sie dafür sorgen, dass das System der personalisierten Verhältniswahl in mathematische Handlungsschritte umgesetzt werden könne.
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cc) Dabei genüge zunächst § 6 Abs. 5 BWahlG den Bestimmtheitsanforderungen.
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(1) Etwas anderes folge nicht daraus, dass die möglichen Überhangmandate nicht konkret identifizierbar seien. Auf der ersten Verteilungsstufe sei ihre Identifizierung nicht notwendig, da es sich nur um eine fiktive Rechnung handele. Soweit die Überhangmandate für die endgültige Sitzzuteilung identifiziert werden müssten, sei dies möglich, indem die Sitzzahl nach der Erhöhung mit dem Mindestsitzanspruch der Parteien verglichen ![]() ![]() | |
(2) Soweit die Antragstellerinnen und Antragsteller meinten, die Formulierung in § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG ("bis zu einer Zahl von drei unberücksichtigt") erlaube mehrere Auslegungen, beruhe dies auf einem dekonstruktivistischen Zugriff, der die Systematik der Norm nicht berücksichtige und die Unterteilung des Sitzzuteilungsverfahrens in zwei Stufen außer Betracht lasse. Weil es bei der Erhöhung nach § 6 Abs. 5 BWahlG darum gehe, die Sitzzahl zu bestimmen, die im Rahmen der zweiten Verteilung ober- und unterverteilt werde, müsse sich die Formulierung "bis zu drei Sitze" auf die Gesamtzahl der Sitze beziehen.
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dd) Auch § 6 Abs. 6 BWahlG sei hinreichend bestimmt. Bei welcher Partei ein Überhangmandat auftrete, entscheide sich im Rahmen der durch § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG angeordneten Verteilung. Man müsse sich dazu des Unterschieds zwischen den Sitzzahlen in § 6 Abs. 6 Satz 1 und § 6 Abs. 6 Satz 2 BWahlG vergewissern: In § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG seien die Sitze, die zur Anrechnung der bis zu drei ausgleichslosen Überhangmandate führten, nicht enthalten. § 6 Abs. 6 Satz 2 BWahlG hingegen umfasse die drei Überhangmandate.
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ee) Falsch sei zudem die Annahme, das Gesetz lasse im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG unterschiedliche Auslegungen zu, welchem Land die ausgleichslosen Überhangmandate zuzuordnen seien. Die Zuordnung ergebe sich aus einem Vergleich der gemäß § 6 Abs. 6 Satz 1 einerseits und § 6 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 BWahlG andererseits auf die Landeslisten der Parteien mit Überhängen entfallenden Sitzzahlen.
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IV.
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Die Antragstellerinnen und Antragsteller haben auf die Stellungnahmen des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung erwidert:
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1. Die Ausführungen zur Verfassungsmäßigkeit der ausgleichslosen Überhangmandate überzeugten nicht. ![]() | |
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b) Während die Überhangmandate nach altem Recht eine Nebenfolge des Wahlsystems gewesen seien, setze die Gesetzesänderung sie als bewusste Gestaltungsressource zur Verkleinerung des Bundestages ein. Dies sei verfassungswidrig. Dass das Bundesverfassungsgericht Einschränkungen der Wahlgleichheit im "System" der personalisierten Verhältniswahl in geringem Umfang durch das Element der Personenwahl als gerechtfertigt angesehen habe, führe nicht dazu, dass sich jede Beeinträchtigung von Wahlgrundsätzen und anderen Verfassungsgütern innerhalb dieses "Systems" rechtfertigen lasse. Nach der Reformkonzeption diene die Regelung nicht der Personalisierung, sondern der Verkleinerung des Bundestages. Dieses Anliegen könne die verfahrensgegenständliche Regelung nicht rechtfertigen. Ein substanzieller Effekt der Überhangmandate auf die Bundestagsgröße sei nicht dargelegt. Die Überhangmandate mit dem höchsten Ausgleichsbedarf seien immer die der CSU, weil sie mit dem geringsten bundesweiten Zweitstimmenergebnis ausgeglichen werden müssten. Trotzdem blieben bei der vorgelegten Beispielrechnung nur zwei Überhangmandate der CSU und ein Überhangmandat der CDU unausgeglichen.
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2. Die Ausführungen des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung zur Bestimmtheit der verfahrensgegenständlichen Normen verkennten den verfassungsrechtlichen Maßstab. Soweit sie argumentierten, Gegenstand und Zweck der Sitzzuteilungsregelungen bedingten eine gehobene Komplexität, sei unklar, inwiefern dies die Unbestimmtheit von § 6 BWahlG rechtfertige. ![]() ![]() | |
3. Schließlich sei das Gesetz weniger als zehn Monate vor der Wahl des 20. Deutschen Bundestages in Kraft getreten und missachte folglich den von der Venedig-Kommission für Änderungen des Wahlrechts empfohlenen Zeitraum von mindestens einem Jahr vor einer Wahl. Die Verstöße gegen das Gebot der Normenklarheit seien nicht zuletzt dieser kurzfristigen Änderung geschuldet.
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V.
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1. Der Deutsche Bundestag hat hierauf im Wesentlichen erwidert:
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a) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Einbettung der Überhangmandate in das vom Gesetzgeber ausgestaltete Wahlsystem habe normativen Gehalt. Das Gericht leite aus dem Grundcharakter des Wahlsystems als Verhältniswahl Grenzen für Überhangmandate ab.
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b) Soweit die Antragstellerinnen und Antragsteller argumentierten, dass die Sitzzuteilungsregelungen hochgradig bestimmt sein müssten, zugleich aber Überhangmandate nur als Nebenfolge einer gesetzgeberischen Entscheidung zulässig seien, postulierten sie einen kaum überwindbaren Gegensatz. Unter diesen Voraussetzungen sei es für den Gesetzgeber bei der Zulassung von Überhangmandaten kaum möglich, die Grenze von einer halben Fraktionsstärke hinreichend sicher einzuhalten.
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c) Der postulierte Widerspruch zwischen der Personalisierung des Deutschen Bundestages einerseits und der Dämpfung seines Wachstums andererseits bestehe nicht. Wenn ein potenziell überhängendes Wahlkreismandat ausgleichslos bleibe, sei der ![]() ![]() | |
d) Der Deutsche Bundestag vertrete nicht, dass für das Sitzzuteilungsverfahren ein erhöhtes Maß an Auslegungsbedürftigkeit zulässig sei. Es gelte der Bestimmtheitsmaßstab, den die Rechtsprechung aus den einschlägigen verfassungsrechtlichen Anforderungen hergeleitet habe und der demjenigen für Grundrechtseingriffe entspreche. Es seien vielmehr die Antragstellerinnen und Antragsteller, die in Abweichung von diesen Anforderungen ein erhöhtes Maß an Bestimmtheit forderten.
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2. Die Bundesregierung hat auf die Replik im Wesentlichen erwidert:
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a) Im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit ausgleichsloser Überhangmandate ließen die Antragstellerinnen und Antragsteller die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nahezu vollständig außer Betracht. Soweit sie meinten, die Bundesregierung begründe die Zulässigkeit der bis zu drei Überhangmandate mit "vermeintlichen Systemargumenten", verkennten sie, dass auch die Rechtsprechung eine wahlsystemische Begründung enthalte. Zudem erzwinge der Gesetzgeber ausgleichslose Überhänge nicht, sondern nehme sie in begrenztem Umfang hin.
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b) Die Komplexität von § 6 BWahlG beruhe nicht nur darauf, dass schwierige mathematische Operationen in Gesetzessprache ausgedrückt werden müssten. Sie sei auch auf die Verbindung von Personen- und Verhältniswahl und die damit erforderliche Verrechnung von Erst- und Zweitstimmen zurückzuführen sowie darauf, dass die Norm die einzelnen Berechnungsschritte hinreichend dicht steuern müsse. ![]() | |
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VI.
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In der mündlichen Verhandlung am 18. April 2023 haben die Beteiligten ihr Vorbringen vertieft und ergänzt. Als sachkundige Auskunftspersonen sind zu den Maßstäben des Gebots der Normenklarheit Prof. Dr. Emanuel Towfigh und Prof. (em.) Dr. Martin Morlok sowie zur Subsumtion der verfahrensgegenständlichen Normen Ministerialrat Dr. Henner Jörg Boehl sowie die Bundeswahlleiterin Dr. Ruth Brand und ihr Vorgänger im Amt, Dr. Georg Thiel, angehört worden. Zu wahlmathematischen Fragen hinsichtlich der Möglichkeit eines negativen Stimmgewichts, Beeinträchtigungen der Erfolgswertgleichheit und der Auswirkungen des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 14. November 2020 auf die Größe des Deutschen Bundestages hat Prof. (em.) Dr. Friedrich Pukelsheim Stellung genommen.
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Bei einem Antrag nach § 76 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG wird das objektive Klarstellungsinteresse schon dadurch indiziert, dass ein auf das Grundgesetz in besonderer Weise verpflichtetes Organ oder ein Organteil von der Unvereinbarkeit der Norm mit höherrangigem Bundesrecht und daher von deren Nichtigkeit überzeugt ist und eine diesbezügliche Feststellung beim Bundesverfassungsgericht beantragt (vgl. BVerfGE 96, 133 [137]; 106, 244 [250 f.]; 119, 394 [409]; 127, 293 [319]; stRspr). Das objektive Klarstellungsinteresse bleibt so lange bestehen, wie die zur Prüfung gestellte Norm Rechtswirkungen entfaltet, und entfällt lediglich dann, wenn von ihr unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr Rechtswirkungen ausgehen können (vgl. BVerfGE 97, 198 [213 f.]; 100, 249 [257]; 110, 33 [45]; 113, 167 [193]; 119, 394 [410]; 127, 293 [319]; stRspr).
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II.
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Davon ausgehend ist das objektive Klarstellungsinteresse gegeben. Der verfahrensgegenständliche Art. 1 Nr. 3 bis 5 BWahlGÄndG entfaltet jedenfalls so lange Rechtswirkung, wie der auf seiner Grundlage gewählte 20. Deutsche Bundestag besteht (vgl. BVerfGE 151, 152 [162 Rn. 27] – Wahlrechtsausschluss Europawahl – Eilantrag). Hinzu kommt, dass der Deutsche Bundestag in seiner 66. Sitzung am 10. November 2022 entsprechend der Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses vom 7. November 2022 (BTDrucks 20/4000) beschlossen hat, die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag am 26. September 2021 im Land Berlin teilweise zu wiederholen (vgl. BT-Plenarprotokoll 20/66, S. 7672 ff.). Dieser Beschluss ist Gegenstand mehrerer Wahlprüfungsbeschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht nach Art. 41 Abs. 2 GG, § 13 Nr. 3, § 48 BVerfGG. Gemäß § 44 Abs. 2 Satz 1 BWahlG findet die Wiederholungswahl nach denselben Vorschriften wie die Hauptwahl statt. Ihre tatsächlichen und rechtlichen Bedingungen sollen so weit wie möglich denjenigen entsprechen, die bereits für die Hauptwahl galten (vgl. Boehl, in: Schreiber, BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 44 Rn. 7). In der Folge ![]() ![]() | |
Der nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 13 Nr. 6, § 76 Abs. 1 BVerfGG zulässige Normenkontrollantrag ist nicht begründet. Im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle werden die zur Überprüfung gestellten Normen ohne Bindung an die erhobenen Rügen unter allen verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten geprüft (vgl. BVerfGE 37, 363 [396 f.]; 86, 148 [211]; 93, 37 [65]; 97, 198 [214]; 101, 239 [257]; 112, 226 [254]; stRspr). Diese Prüfung ergibt, dass Art. 1 Nr. 3 bis 5 BWahlGÄndG sowohl mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot (I.) als auch mit den Grundsätzen der Gleichheit und der Unmittelbarkeit der Wahl sowie der Chancengleichheit der Parteien vereinbar ist (II.). Auch mit Blick auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der zur Überprüfung gestellten Normen ergeben sich keine verfassungsrechtlichen Bedenken (III.).
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I.
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1. a) Nach dem allgemeinen, im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gründenden Gebot hinreichender Bestimmtheit der Gesetze ist der Gesetzgeber gehalten, Vorschriften so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (vgl. BVerfGE 49, 168 [181]; 59, 104 [114]; 78, 205 [212]; 103, 332 [384]; 134, 141 [184 Rn. 126]; 145, 20 [69 f. Rn. 125]; 149, 293 [323 Rn. 77]; stRspr). Die Betroffenen müssen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach ausrichten können (vgl. BVerfGE 103, 332 [384]; 108, 52 [75]; 110, 33 [53 f.]; 113, 348 [375 f.]; 131, 88 [123]; 149, 293 [323 Rn. 77]; stRspr). Die Anforderungen an die Bestimmtheit und Klarheit der Norm dienen ![]() ![]() | |
aa) Bei dem Gebot hinreichender Bestimmtheit und Klarheit der Gesetze handelt es sich um ein einheitliches Postulat, das verschiedene Aspekte in sich vereint. Demgemäß ist der Maßstab hierfür einheitlich zu bestimmen; eine Trennung zwischen Bestimmtheits- und Klarheitsgebot dahingehend, dass eine Norm zwar noch hinreichend bestimmt sein kann, dennoch aber gegen das Gebot der Normenklarheit verstößt, kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Dieser Sichtweise steht der Beschluss des Ersten Senats vom 10. November 2020 (BVerfGE 156, 11 – Antiterrordateigesetz II) nicht entgegen. Zwar wurde dort ausdrücklich zwischen dem Gebot der Bestimmtheit, das in erster Linie den Rechtsanwender in den Blick nimmt, und dem Gebot der Normenklarheit, das vor allem auf den Normbetroffenen bezogen ist, unterschieden und vor diesem Hintergrund die eigenständige Bedeutung des Gebots der Normenklarheit hervorgehoben. Nach der dort vorgenommenen Differenzierung geht es bei der Bestimmtheit vornehmlich darum, dass Regierung und Verwaltung im Gesetz die Normanwendung steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfinden und die Gerichte eine wirksame Rechtskontrolle vornehmen können, während bei der Normenklarheit die inhaltliche Verständlichkeit der Regelung im Vordergrund steht, insbesondere damit sich Bürgerinnen und Bürger auf mögliche belastende Maßnahmen einstellen können, die andernfalls ohne ihr Wissen und ohne die Erreichbarkeit gerichtlicher Kontrolle erfolgen könnten (vgl. BVerfGE 156, 11 [45 f. Rn. 86 ff.]; 162, 1 [125 Rn. 272] – Bayerisches Verfassungsschutzgesetz). Auf die vorliegende Konstellation ist dies indes nicht übertragbar. Denn hier geht es – anders als in der ![]() ![]() | |
bb) Welcher Grad an Bestimmtheit geboten ist, lässt sich nicht generell und abstrakt festlegen, sondern hängt von der Eigenart ![]() ![]() | |
cc) Grundsätzlich fehlt es an der notwendigen Bestimmtheit nicht schon deshalb, weil eine Norm auslegungsbedürftig ist (vgl. BVerfGE 45, 400 [420]; 83, 230 [145]; 128, 282 [317]; 131, 316 [343]; 134, 141 [184 Rn. 127]; 149, 160 [203 Rn. 120]; 149, 293 [324 Rn. 78]; stRspr). Dem Bestimmtheitserfordernis ist vielmehr genügt, wenn von der Norm aufgeworfene Auslegungsprobleme mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden können (vgl. BVerfGE 83, 130 [145]; 117, 71 [111]; 134, 141 [184 f. Rn. 127]; 149, 293 [324 Rn. 78]; stRspr). Der Bestimmtheitsgrundsatz fordert nicht, dass der Inhalt gesetzlicher Vorschriften dem Bürger grundsätzlich ohne Zuhilfenahme juristischer Fachkunde erkennbar sein muss (vgl. BVerfGE 110, 3 [64]; 131, 88 [Rn. 123]). Die bei der Auslegung verbleibenden Unsicherheiten dürfen indes nicht so weit gehen, dass die Norm nicht praktikabel ist (vgl. BVerfGE 25, 216 [226 f.]). Insbesondere darf die Vorhersehbarkeit und Justiziabilität des Handelns der durch sie ermächtigten Stellen nicht gefährdet sein (vgl. BVerfGE 118, 168 [188]; 120, 274 [316]; 133, 277 [356 Rn. 181]; 145, 20 [69 f. Rn. 125]; stRspr).
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dd) Auch Verweisungen sind mit dem Gebot hinreichender Bestimmtheit und Klarheit der Normen nicht grundsätzlich unvereinbar. Verweisungen sind als vielfach übliche und teilweise notwendige gesetzestechnische Methode anerkannt, sofern die ![]() ![]() | |
b) Die dargelegten Anforderungen an die Bestimmtheit und Klarheit von Gesetzen gelten auch für wahlrechtliche Normen (vgl. BVerfGE 131, 316 [343 f.]). Etwas anderes ergibt sich nicht aus der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass Rechtsklarheit im Wahlrecht in besonderem Maße geboten ist (vgl. BVerfGE 79, 161 [168]). Diese erfolgte mit Blick auf eine Regelungslücke des Wahlgesetzes. Insofern führte der Zweite Senat aus, der Gesetzgeber werde mit Blick auf die im Wahlrecht in besonderem Maße gebotene Rechtsklarheit zu erwägen haben, diese zu schließen. Besondere Bestimmtheitsanforderungen an wahlrechtliche Normen jenseits des Vorliegens einer Regelungslücke sind dem nicht zu entnehmen. Gleiches gilt, soweit der Zweite Senat den Gesetzgeber wiederholt aufgefordert hat, das für den Wähler kaum noch nachzuvollziehende Regelungsgeflecht der Berechnung der Sitzzuteilung im Deutschen Bundestag auf eine normenklare und verständliche Grundlage zu stellen (vgl. BVerfGE 121, 266 [316]; 122, 304 [311]; BVerfG, Beschlüsse des Zweiten Senats vom 9. Februar 2009 – 2 BvC 11/04 –, Rn. 17; vom 18. Februar 2009 – 2 BvC 6/03 –, Rn. 19 sowie – 2 BvC 9/04 –, Rn. 27; vom 26. Februar 2009 – 2 BvC 6/04 –, Rn. 20 sowie – 2 BvC 1/04 –, Rn. 21; vom 25. Februar 2010 – 2 BvC 6/07 –, Rn. 18.). Dieser Appell erfolgte jeweils unter Verweis auf die anstehende Neuregelung des Sitzzuteilungsverfahrens durch den Gesetzgeber, die durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum negativen Stimmgewicht (BVerfGE 121, 266) notwendig geworden war und die der Gesetzgeber mit dem Neunzehnten Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 25. November 2011 (BGBl I S. 2313) vornahm. Dass an wahlrechtliche Normen ein über das allgemeine Gebot hinreichender Bestimmtheit und Klarheit der Gesetze hinausgehender Maßstab anzulegen wäre, ist der Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts dagegen nicht zu entnehmen. Insbesondere lässt sich ein allgemeingültiger verfassungsrechtlicher Maßstab für den maximal zulässigen Grad an ![]() ![]() | |
2. Davon ausgehend genügt Art. 1 Nr. 3 bis 5 BWahlGÄndG den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots. Dies gilt für die dadurch geänderten § 6 Abs. 5 (a) und Abs. 6 BWahlG (b) ebenso wie für § 48 Abs. 1 BWahlG (c). Auch mit Blick auf die Klarheit der Norm stellt der Umstand, dass wahlberechtigte Bürgerinnen und Bürger allein auf Grundlage des Gesetzestextes ohne Zuhilfenahme weiterer Informationsquellen nicht in der Lage sein dürften, die Regelungen der § 6 Abs. 5 und 6, § 48 BWahlG im Einzelnen zu erfassen, keinen Verfassungsverstoß dar (d).
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a) § 6 Abs. 5 BWahlG lässt sich bei methodengerechter Auslegung entnehmen, wie die Sitzzahl des Deutschen Bundestages zu erhöhen ist und welche Folgen sich daraus für die Gesamtzahl der Sitze ergeben.
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aa) § 6 Abs. 5 Satz 1 BWahlG regelt hinreichend bestimmt, wie und bis zu welchem Punkt die Sitzzahl des Deutschen Bundestages zu erhöhen ist. Soweit er vorschreibt, dass die Sitzzahl so lange erhöht wird, bis "jede Partei bei der zweiten Verteilung der Sitze nach Absatz 6 Satz 1 mindestens die Gesamtzahl der ihren Landeslisten nach den Sätzen 2 und 3 zugeordneten Sitze erhält", wird deutlich, dass in einem iterativen Prozess die Sitzzahl des Deutschen Bundestages so lange zu erhöhen ist, bis bei der tatsächlichen Verteilung nach § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG jede Partei die Gesamtzahl der Sitze erhält, die ihren Landeslisten nach § 6 Abs. 5 Satz 2 und 3 BWahlG zugeordnet sind. Für jede Landesliste muss der höhere Wert aus den folgenden Optionen erreicht werden: entweder die Zahl der im Land von Wahlbewerbern der Partei in den Wahlkreisen errungenen Sitze oder der auf ganze Sitze aufgerundete Mittelwert zwischen dieser Zahl der Direktmandate und den Sitzen, die nach der ersten Verteilung nach § 6 Abs. 2 und 3 BWahlG für die Landesliste der Partei ermittelt wurden (§ 6 Abs. 5 Satz 2 BWahlG). Mindestens muss ![]() ![]() | |
(1) Schon der Wortlaut von § 6 Abs. 5 Satz 1 BWahlG ("so lange erhöht, bis") spricht dafür, dass die beschriebene Rechenoperation ein schrittweises Vorgehen verlangt, nämlich eine iterative – probeweise – Erhöhung der Gesamtsitzzahl (vgl. für eine entsprechende Bestimmung im Gesetz über die Wahlen zum Landtag des Landes Hessen HessStGH, Urteil vom 11. Januar 2021 – P.St. 2733, P.St. 2738 –, juris, Rn. 150), bis die Bedingung des § 6 Abs. 5 Satz 1 BWahlG erreicht ist, bis also jede Partei bei der zweiten Verteilung nach § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG die Zahl der ihren Landeslisten nach § 6 Abs. 5 Satz 2 und 3 BWahlG zugeordneten Sitze erhält. Die Erhöhung wird dabei so lange vorgenommen, bis diese Bedingung eintritt (vgl. Boehl, in: Schreiber, BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 6 Rn. 22 ff.; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, WD 3-3000-222/20, S. 6).
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(2) Auch die Systematik der Absätze 5 und 6 spricht für dieses Verständnis. Ihr Zusammenspiel ergibt, dass § 6 Abs. 5 Satz 1 BWahlG zum einen eine Erhöhung der Gesamtsitzzahl vorschreibt ("die Zahl der nach Absatz 1 Satz 3 verbleibenden Sitze wird [...] erhöht") und zum anderen deren Endpunkt festlegt ("bis jede Partei bei der zweiten Verteilung nach Absatz 6 Satz 1 mindestens die Gesamtzahl der ihren Landeslisten nach den Sätzen 2 und 3 zugeordneten Sitze erhält").
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Dabei folgt aus der Normsystematik auch das Verfahren der Sitzzahlerhöhung. Da sich die zweite Verteilung gemäß § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG nach dem in § 6 Abs. 2 Satz 2 bis 7 für die erste Verteilung geregelten Divisorverfahren mit Standardrundung richtet, ist dieses Verfahren auch im Rahmen der Sitzzahlerhöhung nach § 6 Abs. 5 BWahlG zugrunde zu legen. Nur auf diese Weise ist zu ermitteln, bei welcher Sitzzahl die unter Anwendung dieses Verfahrens vorzunehmende zweite Verteilung den gesetz ![]() ![]() | |
(3) Diesen Regelungsgehalt von § 6 Abs. 5 Satz 1 BWahlG bestätigt die Begründung des Gesetzentwurfs. Dort heißt es (BTDrucks 19/22504, S. 8): "Absatz 5 regelt, wie bisher, die Erhöhung der Gesamtsitzzahl für die endgültige Sitzverteilung in der zweiten Stufe der Sitzverteilung nach Absatz 6. Nach Satz 1 wird die Gesamtsitzzahl so weit erhöht, bis jede Partei bei der bundesweiten Oberverteilung nach Absatz 6 Satz 1 die Summe der Sitze, die den Landeslisten dieser Partei nach Maßgabe des Absatzes 5 Sätze 2 und 3 zugeordnet sind, erhält". Die Formulierung "wie bisher" verweist darauf, dass der Gesetzgeber das bisherige Verfahren der Sitzzahlerhöhung nach dem BWahlG 2013 grundsätzlich beibehalten wollte (vgl. auch BTDrucks 19/22504, S. 1, 5). Bei diesem wurde die Gesamtsitzzahl schrittweise erhöht, bis bei der Verteilung auf die Landeslisten nach § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG 2013 die Bedingung des § 6 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 BWahlG 2013 erreicht war (vgl. BTDrucks 17/11819, S. 5; Lang, GreifRecht 2019, S. 76 [81]; Strelen, in: Schreiber, BWahlG, 10. Aufl. 2017, § 6 Rn. 1c, 26, 26c; Boehl, in: Schreiber, BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 6 Rn. 22).
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(4) Diese Auslegung entspricht schließlich auch dem Sinn und Zweck der Regelung. Diese wurde im Grundsatz bereits durch das Zweiundzwanzigste Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 3. Mai 2013 (BGBl I S. 1082) geschaffen und sollte in Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Juli 2012 (BVerfGE 131, 316) die Entstehung ausgleichsloser Überhangmandate vermeiden (vgl. BTDrucks 17/11819, S. 1). Während sich der Gesetzgeber zunächst für einen Vollausgleich ![]() ![]() | |
bb) Auch § 6 Abs. 5 Satz 2 und 3 BWahlG genügen den vorgenannten Bestimmtheitsanforderungen. Sie regeln eindeutig, welche Sitzzahl jeder Landesliste beziehungsweise Partei bei der Erhöhung der Gesamtsitzzahl des Deutschen Bundestages nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BWahlG zu berücksichtigen ist, und legen damit "Mindestsitzzahlen" (vgl. Boehl, in: Schreiber, BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 6 Rn. 28) der Parteien fest. Der Regelung lässt sich mit hinreichender Bestimmtheit entnehmen, dass bei der Sitzzahlerhöhung pro Land entweder sämtliche Direktmandate einer Partei oder der (höhere) Mittelwert aus den Direktmandaten und den auf die jeweilige Landesliste dieser Partei entfallenden Mandaten anzusetzen und diese Zahlen zu addieren, mindestens aber die (Gesamt-)Summe der für jede Partei bei der ersten (fiktiven) Verteilung ermittelten Sitze in Ansatz zu bringen sind.
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(1) Gemäß § 6 Abs. 5 Satz 2 BWahlG wird jeder Landesliste zunächst die Zahl der im Land von Wahlbewerbern der Partei in den Wahlkreisen nach § 5 BWahlG errungenen Sitze, das heißt die Zahl ihrer Direktmandate, garantiert (§ 6 Abs. 5 Satz 2 Alternative 1 BWahlG). Alternativ wird der auf ganze Sitze aufgerundete Mittelwert zwischen der Zahl der von der jeweiligen Partei erzielten Direktmandate und den für die Landesliste nach der ersten Verteilung (§ 6 Abs. 2 und 3 BWahlG) ermittelten Sitze in Ansatz gebracht (§ 6 Abs. 5 Satz 2 Alternative 2 BWahlG). Garan ![]() ![]() | |
(2) Verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit dieser Regelungen bestehen nicht. Dies gilt auch in Bezug auf § 6 Abs. 5 Satz 3 BWahlG. Insoweit lässt bereits der Wortlaut der Norm, der von "Landeslisten" im Plural spricht, erkennen, dass auf die Gesamtzahl der bei der ersten Verteilung für eine Partei ermittelten Sitze abzustellen ist. Dem entspricht die Begründung des Gesetzentwurfs, die explizit jeweils auf die "Summe" der Sitze Bezug nimmt (vgl. BTDrucks 19/22504, S. 8). Der Regelungszweck bestätigt diese Auslegung. § 6 Abs. 5 Satz 3 BWahlG soll verhindern, dass es bei Parteien, die wenige Direktmandate gewonnen haben, aufgrund von § 6 Abs. 5 Satz 2 BWahlG zu einer übermäßigen Reduzierung der Sitzansprüche und damit zu zusätzlichen Proporzverzerrungen kommt (vgl. Boehl, in: Schreiber, BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 6 Rn. 29). Dieses Ziel ist nur erreichbar, wenn im Rahmen des § 6 Abs. 5 Satz 3 BWahlG alle für eine Partei bei der ersten Verteilung nach § 6 Abs. 2 und 3 BWahlG ermittelten Sitze garantiert werden.
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cc) Auch § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG genügt bei methodengerechter Auslegung den Bestimmtheitsanforderungen.
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(1) Gemäß § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG bleiben bei der Sitzzahlerhöhung in den Wahlkreisen errungene Sitze, die nicht nach § 6 Abs. 4 Satz 1 BWahlG von der Zahl der für die Landesliste ![]() ![]() | |
(2) Entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen und Antragsteller fehlt es in § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals "bis zu einer Zahl von drei" nicht an der notwendigen Bestimmtheit. Die Auslegung ergibt, dass § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG lediglich für bis zu drei Überhangmandate insgesamt gilt, ohne dass es auf deren Identifizierbarkeit ankommt.
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(a) Zwar ist den Antragstellerinnen und Antragstellern zuzugestehen, dass sich aus dem Wortlaut der Norm allein nicht erschließt, ob die Zahl "bis zu drei" pro Landesliste, pro Partei oder auf alle Landeslisten aller Parteien bezogen zu verstehen ist (vgl. auch Pukelsheim/Bischof, DVBl 2021, S. 417 [420]). Der Wortlaut eines Gesetzes bildet aber regelmäßig nur den Ausgangspunkt seiner Auslegung (vgl. BVerfGE 133, 168 [205 Rn. 66] m.w.N.).
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(b) Die systematische Auslegung ergibt, dass gemäß § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG nur insgesamt bis zu drei Quasi-Überhangmandate nicht ausgeglichen werden sollen.
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(aa) Bei der systematischen Auslegung ist darauf abzustellen, dass einzelne Rechtssätze, die der Gesetzgeber in einen sachlichen Zusammenhang gestellt hat, grundsätzlich so zu interpretieren sind, dass sie logisch miteinander vereinbar sind; es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber sachlich Zusammenhängendes so geregelt hat, dass die gesamte Regelung einen durchgehenden, verständlichen und widerspruchsfreien Sinn ergibt (vgl. BVerfGE 48, 246 [257]; 124, 25 [40 f.]). Gerade die Stellung einer Vorschrift im Gesetz und ihr sachlich-logischer Zusammenhang mit anderen Vorschriften können den Sinn und Zweck der Norm freilegen (vgl. BVerfGE 35, 263 [279]; 48, 246 [255 f.]).
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(bb) Demgemäß ist vorliegend in Rechnung zu stellen, dass § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG auf die Sitzzahlerhöhung nach § 6 Abs. 5 ![]() ![]() | |
Für die Auffassung der Antragstellerinnen und Antragsteller, dass sich die Zahl von bis zu drei nicht zu berücksichtigenden Quasi-Überhangmandaten auch auf die Summe der den Landeslisten einer Partei zugeordneten Sitze beziehen kann, mithin pro Partei verstanden werden könnte, gibt es in § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG keinen Anhaltspunkt. Etwas anderes folgt auch nicht aus § 6 Abs. 5 Satz 3 BWahlG, wonach "jede Partei" mindestens die bei der ersten Verteilung ermittelten Sitze erhält. § 6 Abs. 5 Satz 3 BWahlG betrifft die Zahl der einer Partei mindestens garantierten Sitze, deren Summe die Gesamtzahl der Sitze bildet, die es im Wege der Sitzzahlerhöhung gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 BWahlG zu erreichen gilt. § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG bezieht sich demgegenüber auf das Verfahren der Sitzzahlerhöhung in seiner Gesamtheit. Die Norm nimmt damit gerade nicht die Zahl der den einzelnen Parteien garantierten Sitze in den Blick. Dem steht auch der Hinweis der Antragstellerinnen und Antragsteller nicht entgegen, dass § 6 Abs. 5 Satz 1 und 3 BWahlG jeweils auf den "Landeslisten" zugeordnete Sitze der Parteien Bezug nehmen. In beiden Vorschriften stellen sich diese Sitze lediglich als Rechengröße dar, um daraus die Gesamtzahl der im Wege der Sitzzahlerhöhung gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 BWahlG zur Verfügung zu stellenden Sitze zu ermitteln. Wenn aber § 6 Abs. 5 Satz 4 ![]() ![]() | |
Gegen dieses Ergebnis spricht auch nicht, dass § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG bei der Beschreibung der Mandate, die unberücksichtigt bleiben, den Begriff der "Landesliste" – anders als § 6 Abs. 5 Satz 1 und 3 BWahlG – in der Einzahl verwendet. Soweit die Antragstellerinnen und Antragsteller meinen, dies lege nahe, dass die Zahl "bis zu drei" auf die einzelne Landesliste einer Partei bezogen sei, lassen sie unberücksichtigt, dass § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG den Begriff Landesliste hier unter Bezugnahme auf § 6 Abs. 4 BWahlG verwendet. Dieser bestimmt, dass von der für jede Landesliste ermittelten Sitzzahl (§ 6 Abs. 2 und 3 BWahlG) die Zahl der von der Partei im jeweiligen Land errungenen Direktmandate abgerechnet wird (Satz 1) und diese Mandate einer Partei auch dann erhalten bleiben, wenn ihre Zahl die Zahl der Listenmandate übersteigt (Satz 2). Gemäß § 6 Abs. 4 BWahlG werden die Direktmandate folglich im Rahmen der jeweiligen Landesliste angerechnet. Deshalb verwendet die Regelung den Begriff der Landesliste in der Einzahl. § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG nimmt auf diese Formulierung des § 6 Abs. 4 BWahlG Bezug und benutzt daher den Begriff der Landesliste ebenfalls in der Einzahl. Dass die einzelne Landesliste damit zugleich Bezugspunkt der Nichtberücksichtigung von bis zu drei Quasi-Überhangmandaten sein soll, ergibt sich daraus nicht.
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Soweit die Antragstellerinnen und Antragsteller schließlich einwenden, dass mehrere Parteien nach der ersten Verteilung über Quasi-Überhangmandate verfügten und anhand des Wortlauts von § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG nicht entschieden werden könne, welche dieser Mandate bis zu einer Zahl von drei nicht ausgeglichen werden sollen, verkennen sie, dass es im Rahmen der Sitzzahlerhöhung einer konkreten Zuordnung der nicht zu berücksichtigenden Quasi-Überhangmandate nicht bedarf. Vielmehr geht es lediglich um die Ermittlung der Gesamtzahl der Sitze für die zweite Verteilung gemäß § 6 Abs. 6 BWahlG. Bei welchen Parteien nicht ausgeglichene Überhangmandate entste ![]() ![]() | |
(c) Auch die genetische Auslegung bestätigt, dass gemäß § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG bei der Sitzzahlerhöhung bis zu drei Quasi-Überhangmandate insgesamt hinzunehmen sind.
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(aa) In der Begründung des Gesetzentwurfs wird zu § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG ausgeführt (BTDrucks 19/22504, S. 8 f.; ähnlich auch S. 6): "Die erhöhte Gesamtsitzzahl fällt [...] im Ergebnis um so viele Sitze zu niedrig für eine vollständige Anrechnung aller Wahlkreismandate aus, dass bei der endgültigen Verteilung nach Absatz 6 im Ergebnis bis zu drei Überhangmandate entstehen". Dies setzt voraus, dass auch im Rahmen der der zweiten Verteilung vorgeschalteten Erhöhung nach § 6 Abs. 5 BWahlG nur bis zu drei Quasi-Überhangmandate insgesamt nicht berücksichtigt werden.
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(bb) Von dieser Auslegung sind auch die Sachverständigen im Rahmen der Anhörung vor dem Ausschuss für Inneres und Heimat ausgegangen. Trotz zum Teil geäußerter Bedenken, dass das Tatbestandsmerkmal "bis zu einer Zahl von drei" in § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG unterschiedlich verstanden werden könne (vgl. Behnke, BTAusschussdrucks 19[4]584 D, S. 8 f.; Schönberger, BTAusschussdrucks 19[4]584 B, S. 5), haben sie im Ergebnis einhellig ausgeführt, dass insbesondere die Begründung des Gesetzentwurfs dafür spreche, dass bis zu drei Quasi-Überhangmandate insgesamt bei der Sitzzahlerhöhung hinzunehmen seien (vgl. Behnke, BTAusschussdrucks 19[4]58 D, S. 8; Schönberger, BTAusschussdrucks 19[4]584 B, S. 5; Pukelsheim, BTAusschussdrucks 19[4]584 A neu, S. 2 sowie Anlage 4; Vehrkamp, BTAusschussdrucks 19[4]584 C, S. 3, 4 f.; Vosgerau, BTAusschussdrucks 19[4]584 F, S. 2; Grzeszick, BTAusschussdrucks 19[4]584 E, S. 6).
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(cc) Die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat bestätigt, dass der Änderung von § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG diese Vorstellung zugrunde lag (vgl. BTDrucks 19/23187, S. 6, 7, 8). ![]() ![]() | |
(dd) Schließlich belegen zahlreiche Beiträge in der parlamentarischen Debatte diese Regelungskonzeption des Gesetzgebers (vgl. BT-Plenarprotokoll 19/177, S. 22326; 19/183, S. 23042, 23048, 23051). Dass dort auch andere Auffassungen vertreten wurden (vgl. BT-Plenarprotokoll 19/177, S. 22327, 22328; 19/183, S. 23044), steht dem nicht entgegen. Für die Frage nach Regelungskonzeption und Zweck eines Gesetzes kommt den Gesetzesmaterialien, in denen sich regelmäßig die im Verfahren als wesentlich erachteten Vorstellungen der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe und Personen finden, zwar eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu (vgl. BVerfGE 149, 126 [154 f. Rn. 74] m.w.N.; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 20. Juni 2023 – 2 BvE 1/17 –, Rn. 45 – Organstreit Finanzierungsausschluss NPD). Nicht entscheidend sind dabei aber die subjektiven Vorstellungen einzelner Mitglieder der beteiligten Organe (vgl. BVerfGE 157, 223 [263 f. Rn. 106] m.w.N. – Berliner Mietendeckel; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 20. Juni 2023 – 2 BvE 1/17 –, Rn. 45). Bei der ausschließlich von Abgeordneten der damaligen Oppositionsfraktionen geäußerten Auffassung, dass sich die Formulierung "bis zu einer Zahl von drei" in § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG auch auf jede einzelne Landesliste beziehen könne (vgl. BT-Plenarprotokoll 19/177, S. 22327, 22328; 19/183, S. 23044), handelt es sich um eine solche subjektive Bewertung einzelner Abgeordneter der Parlamentsminderheit.
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(d) Des Weiteren sprechen Sinn und Zweck der Regelung für das gefundene Auslegungsergebnis. Ziel des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 14. November 2020 ist es nach der Entwurfsbegründung, einer stetigen Erhöhung der Sitzzahl des Deutschen Bundestages durch Vollausgleich von Überhangmandaten zu begegnen, um dessen Arbeits- und Funktionsfähigkeit zu erhalten. Dieses Ziel soll erreicht werden, indem ausgehend vom System der personalisierten Verhältniswahl in begrenztem Umfang auf den Ausgleich von Überhangmandaten verzichtet und ein "angemessener Ausgleich ![]() ![]() | |
(e) Vor diesem Hintergrund spricht auch das Gebot verfassungskonformer Auslegung für ein Verständnis von § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG im Sinne einer Nichtberücksichtigung von bis zu drei Quasi-Überhangmandaten insgesamt. Danach ist diejenige Auslegung der Norm vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz in Einklang steht (vgl. BVerfGE 148, 69 [130 f. Rn. 150] m.w.N.). Selbst wenn vorliegend mehrere Auslegungsvarianten in Betracht kämen, spräche dies für eine Auslegung im dargestellten Sinn, da diese verlässlich ausschließt, dass Überhangmandate ![]() ![]() | |
(f) Schließlich spricht auch das Verständnis, das die Wahlorgane § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG in der Praxis zugrunde gelegt haben, für eine Bestimmung des Regelungsgehalts der Norm im Sinne einer Beschränkung auf drei unausgeglichene Quasi-Überhangmandate insgesamt.
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(aa) Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption einem Gesetz zugrunde liegt, kommt dem Verständnis der Vorschrift in der Praxis – zumal wenn es sich um ein einheitliches, über einen längeren Zeitraum unverändertes Verständnis handelt – eine gewisse Indizwirkung zu (vgl. BVerfGE 122, 248 [283 f.] [Sondervotum]; vgl. für die Berücksichtigung der Praxis bei der Auslegung von Wahlrechtsnormen BVerfGE 95, 335 [347 f.]; 121, 266 [309]). Soweit – wie vorliegend – zu beurteilen ist, ob ein Gesetz den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots genügt, die Normanwender in ihm mithin hinreichend steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfinden, liegt der Rückgriff auf deren Auslegungs- und Anwendungspraxis besonders nahe (vgl. zu Divergenzen in der Judikatur als Indiz für die Unbestimmtheit einer Norm BVerfGE 92, 1 [18]).
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(bb) Die Feststellung, wie viele Sitze auf die einzelnen Landeslisten entfallen und welche Bewerber gewählt sind, obliegt gemäß § 42 BWahlG in Verbindung mit § 78 Abs. 2 BWO dem Bundeswahlausschuss nach Prüfung der Wahlunterlagen durch den Bundeswahlleiter, der gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 BWahlG auch Vorsitzender des Bundeswahlausschusses ist. Bereits die von dem Bundeswahlleiter veröffentlichte Musterberechnung zur Sitzverteilung nach dem Fünfundzwanzigsten Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 14. November 2020 mit dem Ergebnis der Bundestagswahl 2017 hat gezeigt, dass er § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG dahingehend auslegt, dass im Rahmen der Erhöhung der Sitzzahl des Deutschen Bundestages nach § 6 Abs. 5 BWahlG bis zu drei Quasi-Überhangmandate insgesamt unberücksichtigt bleiben (vgl. Bundeswahlleiter, Musterberechnung: Sitzverteilung ![]() ![]() | |
(3) Soweit § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG weiter bestimmt, dass die Quasi-Überhangmandate bei der Erhöhung "unberücksichtigt bleiben", genügt auch dies den dargelegten Bestimmtheitsanforderungen. Die Regelung sieht vor, dass bis zu drei Quasi-Überhangmandate bei der Berechnung der Sitzzahlerhöhung außer Betracht zu lassen und nicht lediglich – wie von den Antragstellerinnen und Antragstellern erörtert – von der gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 BWahlG ermittelten Gesamtsitzzahl in Abzug zu bringen sind. Letzteres führte dazu, dass sich die Größe des Deutschen Bundestages im Vergleich zu seiner Sitzzahl bei einem Vollausgleich lediglich um maximal drei Sitze verringerte. Eine derart geringfügige Reduzierung des Anwachsens der Größe des Deutschen Bundestages trägt dem im Fünfundzwanzigsten Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 14. November 2020 zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers erkennbar nicht Rechnung.
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§ 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG normiert zudem ausdrücklich, dass Quasi-Überhangmandate "bei der Erhöhung" der Sitzzahlen bis zu einer Zahl von drei unberücksichtigt bleiben. Daraus folgt, dass diese Mandate bereits im Prozess der Berechnung der erhöhten Gesamtsitzzahl des Deutschen Bundestages gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 BWahlG nicht in Ansatz zu bringen sind. Voraussetzungen und Grenzen des Erhöhungsprozesses ergeben sich aus § 6 Abs. 5 Satz 2 bis 4 BWahlG. Demnach endet die Erhöhung in dem Moment, in dem bei der zweiten Verteilung nach § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG jede Partei die ihr garantierten Mindestsitze (§ 6 Abs. 2 Satz 2 und 3 BWahlG) erhält und zugleich die Summe der verbleibenden Quasi-Überhangmandate nicht mehr als drei beträgt. Dass bis zu drei Quasi-Überhangmandate bei der Erhöhung "un ![]() ![]() | |
dd) Schließlich ist § 6 Abs. 5 Satz 5 BWahlG ein hinreichend bestimmter Normbefehl zu entnehmen. Demnach erhöht sich die Gesamtzahl der Sitze im Sinne von § 1 Abs. 1 BWahlG um die "Unterschiedszahl". Soweit die Antragstellerinnen und Antragsteller rügen, aus dem Wortlaut ergebe sich nicht, welche Unterschiedszahl gemeint sei, überzeugt dies nicht. Ernstliche Zweifel, dass der Begriff der "Unterschiedszahl" in § 6 Abs. 5 Satz 5 BWahlG die Differenz zwischen der gesetzlichen Regelgröße des Deutschen Bundestages einerseits und der erhöhten Mandatszahl aufgrund der Sitzzahlerhöhung andererseits bezeichnet, bestehen nicht. § 6 Abs. 5 Satz 5 BWahlG soll sicherstellen, dass sich die Gesamtgröße des Deutschen Bundestages um die Zahl erhöht, die erforderlich ist, um den Parteien bei der zweiten Verteilung nach § 6 Abs. 6 BWahlG sämtliche, sich aus § 6 Abs. 5 Satz 1 bis 4 BWahlG ergebenden Sitze zuweisen zu können. Diese Zahl wird in § 6 Abs. 5 Satz 5 BWahlG mit dem Begriff der "Unterschiedszahl" bezeichnet.
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b) Auch die Regelung der zweiten (tatsächlichen) Sitzzuteilung in § 6 Abs. 6 BWahlG genügt bei methodengerechter Auslegung den Bestimmtheitsanforderungen.
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aa) Dies gilt zunächst für § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG. Danach werden die nach Absatz 5 zu vergebenden Sitze bundesweit nach der Zahl der zu berücksichtigenden Zweitstimmen in dem in § 6 Abs. 2 Satz 2 bis 7 BWahlG beschriebenen Divisorverfahren mit ![]() ![]() | |
§ 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG regelt im Rahmen der zweiten (tatsächlichen) Mandatszuteilung die bundesweite Verteilung der nach § 6 Abs. 5 BWahlG zu vergebenden Sitze auf die nach § 6 Abs. 3 BWahlG zu berücksichtigenden Parteien und bestimmt, dass diese nach der Zahl der Zweitstimmen erfolgt. Da aufgrund § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG im Rahmen der Sitzzahlerhöhung kein vollständiger Ausgleich von Quasi-Überhangmandaten stattfindet, sondern bis zu drei Quasi-Überhangmandate nicht ausgeglichen werden, kann es sich bei der nach § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG proportional nach dem Zweitstimmenergebnis auf die Parteien zu verteilenden Sitzzahl nur um die nach § 6 Abs. 5 Satz 1 bis 4 BWahlG ermittelte Sitzzahl (ohne die drei unausgeglichenen Überhangmandate) handeln (vgl. auch Boehl, in: Schreiber, BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 6 Rn. 30 f.). Dies wird durch § 6 Abs. 6 Satz 4 BWahlG bestätigt. Danach verbleiben den Parteien die in den Wahlkreisen errungenen Sitze auch dann, wenn sie die nach § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG ermittelte Zahl übersteigen. Ein dahingehender Regelungsbedarf besteht aber nur, wenn bei der Berechnung nach § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG unausgeglichene Überhangmandate nicht berücksichtigt werden. Dem entspricht die Anwendung der Norm durch den Bundeswahlleiter (vgl. Bundeswahlleiter, Musterberechnung: Sitzverteilung nach dem 25. BWahlGÄndG mit dem Ergebnis der Bundestagswahl 2017, 2020, S. 8 f.; ders., Wahl zum 20. Deutschen Bundestag am 26. September 2021, Heft 3, S. 421 f., 451).
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bb) (1) Soweit § 6 Abs. 6 Satz 2 BWahlG sodann bestimmt, dass in den Parteien die Sitze nach der Zahl der zu berücksichtigenden Zweitstimmen in dem in § 6 Abs. 2 Satz 2 bis 7 BWahlG beschriebenen Berechnungsverfahren auf die Landeslisten ver ![]() ![]() | |
(2) Soweit die Antragstellerinnen und Antragsteller einen Wechsel der Bezugsgröße in Satz 1 und 2 des § 6 Abs. 6 BWahlG rügen, der im Widerspruch zum Gesetzeswortlaut stehe, scheinen sie davon auszugehen, dass durch die Formulierung "die Sitze" in § 6 Abs. 6 Satz 2 BWahlG die Sitzzahl des § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG in Bezug genommen sei (vgl. auch Pukelsheim/Bischof, DVBl 2021, S. 417 [421]). Dies ergibt sich aber aus dem Wortlaut der Norm nicht. § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG spricht von den "nach Absatz 5 zu vergebenden Sitzen". In § 6 Abs. 6 Satz 2 BWahlG heißt es hingegen allgemein "die Sitze", nicht aber zum Beispiel "diese Sitze". Daher führt das alleinige Abstellen auf den Wortlaut nicht zu einem eindeutigen Ergebnis. Die Diskrepanz der Sitzzahlen nach § 6 Abs. 6 Satz 1 und § 6 Abs. 6 Satz 2 BWahlG ist nach Systematik und Telos der Regelung gerade intendiert (vgl. Boehl, in: Schreiber, BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 6 Rn. 31 f.). Sie dient der Umsetzung der gesetzgeberischen Grundentscheidung, bis zu drei ausgleichslose Überhangmandate zuzulassen. Dazu ![]() ![]() | |
(3) Entgegen den Bedenken der Antragstellerinnen und Antragsteller ist § 6 Abs. 6 Satz 2 BWahlG im Wege der Auslegung auch hinreichend bestimmt zu entnehmen, wie die Unterverteilung auf die Landeslisten zu erfolgen hat.
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(a) § 6 Abs. 6 Satz 2 BWahlG regelt durch den Verweis auf das Berechnungsverfahren nach § 6 Abs. 2 Satz 2 bis 7 BWahlG zunächst, dass die Unterverteilung innerhalb der Parteien nach dem Divisorverfahren mit Standardrundung nach Sainte-Laguë/Schepers stattfindet. Zugleich bestimmt § 6 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 BWahlG, dass jeder Landesliste mindestens die nach § 6 Abs. 5 Satz 2 BWahlG für sie ermittelte Sitzzahl zugeteilt wird. In der Folge ist der Zuteilungsdivisor so zu bestimmen, dass die Landeslisten, bei denen nach der ersten Verteilung neben Direktmandaten (auch) Listenmandate anfallen, sämtliche Direktmandate und jedenfalls die Hälfte der nach Anrechnung dieser Direktmandate verbleibenden Listenmandate erhalten. Dafür ist der anfängliche Divisor, der durch Teilung der zu berücksichtigenden Zweitstimmen durch die Zahl der zu verteilenden Sitze bestimmt wird, iterativ zu verändern, bis diese Bedingung erfüllt ist (vgl. Bundeswahlleiter, Musterberechnung: Sitzverteilung nach dem 25. BWahlGÄndG mit dem Ergebnis der Bundestagswahl 2017, 2020, S. 9; ders., Wahl zum 20. Deutschen Bundestag am 26. September 2021, Heft 3, S. 422, 453 ff.).
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(b) Diese Auslegung der Norm entspricht sowohl ihrem Sinn und Zweck als auch ihrer Entstehungsgeschichte. Die Mindestsitzzahlgarantie des § 6 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 in Verbindung mit Abs. 5 Satz 2 BWahlG ist darauf gerichtet, durch die vorrangige Verteilung von Sitzen an Landeslisten mit Direktmandaten eine länderübergreifende Kompensation von Quasi-Überhangmandaten einer Partei zu ermöglichen und dadurch die Sitzansprüche bei Überhängen ![]() ![]() | |
cc) Schließlich genügen auch § 6 Abs. 6 Satz 3 und 4 BWahlG im Ergebnis den Bestimmtheitsanforderungen.
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(1) Gemäß § 6 Abs. 6 Satz 3 BWahlG ist von der nach § 6 Abs. 6 Satz 2 BWahlG für jede Landesliste einer Partei ermittelten Gesamtzahl der Sitze die Anzahl der von ihr in dem jeweiligen Land erzielten Direktmandate abzuziehen. Die Norm ordnet mithin die für die personalisierte Verhältniswahl typusbestimmende Anrechnung der Direktmandate auf die Ergebnisse der Verhältniswahl an (vgl. Boehl, in: Schreiber, BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 6 Rn. 33). Zweifel hinsichtlich ihrer Bestimmtheit bestehen nicht.
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(2) Sodann bestimmt § 6 Abs. 6 Satz 4 BWahlG, dass die in den Wahlkreisen errungenen Sitze einer Partei auch dann verbleiben, wenn ![]() ![]() | |
(a) Zwar ließe sich § 6 Abs. 6 Satz 4 BWahlG allein nach seinem Wortlaut aufgrund der Bezugnahme auf die bundesweite Oberverteilung der Sitze auf die Parteien gemäß § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG auch dahingehend verstehen, dass nur Fälle erfasst sind, in denen die Zahl der Direktmandate, die eine Partei bundesweit errungen hat, die Zahl der Sitze übersteigt, die der Partei nach ihrem bundesweiten Zweitstimmenergebnis unter Berücksichtigung der Sitzzahlerhöhung zustehen.
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(b) Der Rückgriff auf die übrigen Auslegungsmethoden zeigt jedoch, dass im Rahmen von § 6 Abs. 6 Satz 4 BWahlG keine bundesweite, sondern eine landeslistenbezogene Betrachtung vorzunehmen ist.
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(aa) Dafür spricht zunächst die systematische Auslegung. § 6 Abs. 6 Satz 4 BWahlG schließt unmittelbar an § 6 Abs. 6 Satz 3 BWahlG an, nach dem von der für jede Landesliste ermittelten Sitzzahl die Zahl der von der Partei in den Wahlkreisen des Landes errungenen Sitze abgerechnet werden. § 6 Abs. 6 Satz 3 BWahlG nimmt die Anrechnung der Direktmandate auf die Listenmandate einer Partei folglich bezogen auf die einzelnen Landeslisten vor. § 6 Abs. 6 Satz 4 BWahlG will in unmittelbarem Zusammenhang damit sicherstellen, dass die in den Wahlkreisen eines Landes errungenen Direktmandate der Partei auch dann verbleiben, wenn diese Anrechnung nicht vollständig möglich ist (vgl. Boehl, in: Schreiber, BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 6 Rn. 25). Auch § 6 Abs. 6 Satz 5 BWahlG spricht für ein landeslistenbezogenes Verständnis von § 6 Abs. 6 Satz 4 BWahlG, indem er bestimmt, dass sich in diesem Fall die Gesamtzahl der Sitze im Sinne von § 1 Abs. 1 BWahlG um die Unterschiedszahl erhöht und eine erneute Berechnung nach § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG nicht stattfindet. Mit der Formulierung "in diesem Fall" knüpft er unmittelbar daran an, dass eine Differenz im Sinne von § 6 Abs. 6 Satz 4 BWahlG vorliegt. Es geht § 6 Abs. 6 Satz 5 BWahlG mithin darum, dass ![]() ![]() | |
(bb) Auch die genetische und die teleologische Auslegung sprechen für das dargelegte Verständnis von § 6 Abs. 6 Satz 4 BWahlG.
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Zum einen knüpft die Formulierung des § 6 Abs. 6 Satz 3 bis 5 BWahlG erkennbar an entsprechende Regelungen in früheren Bundeswahlgesetzen an. Schon § 6 BWahlG 1956 (BGBl I S. 383) bestimmte:
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(2) Von der für jede Landesliste so ermittelten Abgeordnetenzahl wird die Zahl der von der Partei in den Wahlkreisen des Landes errungenen Sitze abgerechnet. [...] (3) In den Wahlkreisen errungene Sitze verbleiben einer Partei auch dann, wenn sie die nach Absatz 1 ermittelte Zahl [der Sitze, die der jeweiligen Landesliste nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen] übersteigen. In einem solchen Fall erhöht sich die Gesamtzahl der Sitze [...] um die Unterschiedszahl; eine erneute Berechnung nach Absatz 1 findet nicht statt. | |
Zum anderen soll durch § 6 Abs. 6 Satz 4 BWahlG nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Zuteilung der gemäß § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG aus dem Ausgleich ausgenommenen bis zu drei Überhangmandate garantiert werden (vgl. BTDrucks 19/22504, S. 9). Dies setzt voraus, dass § 6 Abs. 6 Satz 4 BWahlG nicht lediglich den Fall einer bundesweiten Differenz von Direkt- und Listenmandaten einer Partei erfasst, sondern auch solche Überhangkonstellationen, die auf einer Differenz von Direkt- und Listenmandaten einer Partei in einem Land beruhen. ![]() | |
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c) Davon ausgehend genügt auch § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots. Die Regelung steht in unmittelbarem Zusammenhang mit § 48 Abs. 1 Satz 1 BWahlG. Danach wird, wenn ein gewählter Bewerber stirbt oder dem Landeswahlleiter schriftlich die Ablehnung des Erwerbs der Mitgliedschaft erklärt oder wenn ein Abgeordneter stirbt oder sonst nachträglich aus dem Deutschen Bundestag ausscheidet, der Sitz aus der Landesliste derjenigen Partei besetzt, für die der gewählte Bewerber oder ausgeschiedene Abgeordnete bei der Wahl angetreten ist. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG gilt dies nicht, solange die Partei in dem betreffenden Land Mandate gemäß § 6 Abs. 6 Satz 4 BWahlG innehat. Die Regelung schließt die Listennachfolge in unausgeglichene Überhangmandate aus. Entgegen den Bedenken der Antragstellerinnen und Antragsteller ist dabei § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG hinreichend deutlich zu entnehmen, wann eine solche Überhangsituation vorliegt (aa) und in welchem Land sie besteht (bb).
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aa) (1) § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG nimmt hinsichtlich des Ausschlusses der Listennachfolge ausdrücklich auf Mandate im Sinne von § 6 Abs. 6 Satz 4 BWahlG Bezug. Dies sind auf der Grundlage der vorstehenden Auslegung der Norm die von einer Partei in den Wahlkreisen eines Landes errungenen Sitze, die die Zahl der Sitze übersteigen, die der entsprechenden Landesliste der Partei unter Zugrundelegung der erhöhten Gesamtsitzzahl (§ 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG) ohne Berücksichtigung der Landes ![]() ![]() | |
(2) Dies entspricht auch der genetischen sowie teleologischen Auslegung von § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG. Die Begründung des Gesetzentwurfs stellt darauf ab, dass zukünftig wieder bis zu drei (echte) Überhangmandate auftreten können. Dadurch werde die in § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG 2008 getroffene Regelung erneut erforderlich. Sie führe dazu, dass die Nachbesetzung aus der Landesliste nicht zur Anwendung gelange, wenn der Abgeordnete aus einem Land komme, in dem die betroffene Partei über unausgeglichene Überhangmandate im Sinne des § 6 Abs. 6 Satz 4 BWahlG verfüge (vgl. BTDrucks 19/22504, S. 9). Folglich ist § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG 2008 darauf gerichtet, die Vorgaben des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 1998 (BVerfGE 97, 317) umzusetzen. Danach kommt bei dem Ausscheiden eines Wahlkreisabgeordneten aus dem Bundestag eine Listennachfolge nicht in Betracht, solange die Partei in dem betroffenen Land über mehr Direktmandate verfügt, als ihr Listensitze zustehen (vgl. BVerfGE 97, 317 [322 ff.]). Der Gesetzgeber verfolgt mit § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG erkennbar den Zweck, entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Nachrücken aus der Landesliste auszuschließen, solange in dem Land ein unausgeglichener Überhang an Wahlkreismandaten gegenüber den der Landesliste nach Zweitstimmen zustehenden Sitzen besteht (vgl. Boehl, in: Schreiber, BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 6 Rn. 36).
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bb) Entgegen den Bedenken der Antragstellerinnen und Antragsteller ergibt die Auslegung von § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG auch hinreichend bestimmt, welcher Landesliste die bis zu drei unausgeglichenen Überhangmandate zuzuordnen sind. Dem steht nicht entgegen, dass der Wortlaut der Norm dem Rechtsanwender hierfür keine Kriterien an die Hand gibt. Ungeachtet dessen ist nach der Gesamtkonzeption der Regelung davon auszugehen, dass die unausgeglichenen Überhangmandate den Landeslisten einer Partei dadurch zugeordnet werden, dass die Zahl der Sitze, die einer Partei nach § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG bundes ![]() ![]() | |
(1) Für dieses Normverständnis spricht zunächst die genetische Auslegung.
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Im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens hat der Sachverständige Grzeszick für die Zuordnung der Überhangmandate auf die Landeslisten eine entsprechende Vergleichsrechnung vorgeschlagen. Demnach entstünden die unausgeglichenen Überhangmandate bei den Landeslisten, bei denen nach Verteilung der Sitze nach § 6 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 1 BWahlG weniger Sitze anfielen als gemäß § 6 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 BWahlG (vgl. Grzeszick, BTAusschussdrucks 19[4]584 E, S. 9 f.). Soweit die Antragstellerinnen und Antragsteller diesen Vorschlag für unklar halten, weil er zwei verschiedene Rechenwege zulasse, überzeugt dies nicht. Der Sachverständige hat in der Anhörung keinen Zweifel daran gelassen, wie die von ihm vorgeschlagene Vergleichsrechnung durchzuführen sei (vgl. Ausschuss für Inneres und Heimat, Protokoll Nr. 19/100, S. 28 f.). Darüber hinaus lässt die von den Antragstellerinnen und Antragstellern alternativ erwogene Zuordnung der Überhangmandate zu den Landeslisten nach dem Durchschnitt von Zweitstimmen pro Sitz außer Betracht, dass im Rahmen der zweiten Verteilung die Unterverteilung auf die Landeslisten nicht streng proportional nach Zweitstimmen erfolgt, sondern unter Berücksichtigung garantierter Mindestsitzzahlen.
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Der Vorschlag des Sachverständigen ist im weiteren Gesetzgebungsverfahren aufgegriffen worden. So verweist die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der Begründung der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses für Inneres und Heimat darauf, dass für die Zuordnung der Überhangmandate zu einer Landesliste im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG eine "am Normzweck ausgerichtete Vergleichsberechnung" durchzuführen sei; dafür sei bei einer Partei mit Überhangmandaten die Sitzzahl ![]() ![]() | |
Dem steht nicht entgegen, dass der Sachverständige Pukelsheim in der Anhörung vor dem Ausschuss für Inneres und Heimat die Auffassung vertreten hat, gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG finde keine Listennachfolge statt, wenn der ausgeschiedene Abgeordnete aus einem Land komme, in dem in der ersten Verteilung Quasi-Überhangmandate angefallen seien (vgl. Pukelsheim, BTAusschussdrucks 19[4]584 A neu, Anlage 4, Fn. 1). Dieser Vorschlag, der im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht aufgegriffen wurde, lässt außer Betracht, dass es sich bei den Quasi-Überhangmandaten um eine rein rechnerische Größe handelt und sie zudem im Rahmen der Sitzzahlerhöhung weitgehend ausgeglichen werden. Tatsächlich entstehen Überhangmandate erst im Rahmen der zweiten Verteilung nach § 6 Abs. 6 BWahlG. Nur insoweit ist aber eine Listennachfolge nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgeschlossen. Eine Auslegung, welche für § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG darauf abstellte, ob in einem Land im Rahmen der ersten Verteilung Quasi-Überhangmandate angefallen sind, dehnte den Kreis der von einer Listennachfolge ausgeschlossenen Landeslisten systemwidrig aus.
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(2) Auch das konkrete Berechnungsverfahren zur Bestimmung der Länder, in denen unausgeglichene Überhangmandate auftre ![]() ![]() | |
(3) Dieses Auslegungsergebnis entspricht auch Sinn und Zweck der Regelung. § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG soll sicherstellen, dass entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Nachrücken in den Überhang nicht stattfindet (vgl. BVerfGE 97, 317). Demgemäß ist es erforderlich, aber auch ausreichend, die Listennachfolge so lange auszuschließen, wie die betroffene Partei in dem jeweiligen Land über mindestens eines der insgesamt bis zu drei unausgeglichenen Überhangmandate verfügt, die im Rahmen der zweiten Verteilung auftreten können.
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(4) Schließlich spricht auch die Anwendung der Norm durch die Wahlorgane für das gefundene Auslegungsergebnis. Nach deren Praxis erfolgt die Feststellung, auf welche Landeslisten die bis zu drei Überhangmandate entfallen, dadurch, dass für jede Landesliste mit drohendem Überhang die Zweitstimmen durch die Mindestsitzzahl abzüglich 0,5 beziehungsweise bei zwei oder drei verbleibenden Überhängen zusätzlich durch die Mindestsitzzahl abzüglich 1,5 und 2,5 dividiert werden. Bei den bis zu drei Landeslisten mit dem kleinsten Quotienten verbleibt der Überhang (vgl. Bundeswahlleiter, Musterberechnung: Sitzverteilung nach dem 25. BWahlGÄndG mit dem Ergebnis der Bundestagswahl 2017, 2020, S. 15; ders., Wahl zum 20. Deutschen Bundestag am 26. September 2021, Heft 3, S. 432; soweit der ![]() ![]() | |
d) Eine andere verfassungsrechtliche Bewertung folgt auch nicht daraus, dass wahlberechtigte Bürgerinnen und Bürger allein auf Grundlage des Gesetzestextes ohne Zuhilfenahme weiterer Informationsquellen nicht in der Lage sein dürften, die Regelungen der § 6 Abs. 5 und 6, § 48 BWahlG im Einzelnen zu erfassen.
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aa) Besondere, über die Bestimmtheit der Norm hinausgehende Klarheitsanforderungen ergeben sich nicht aus ihrem Adressatenkreis. Die §§ 6, 48 BWahlG sind primär an die Wahlorgane als Rechtsanwender gerichtet, nicht hingegen unmittelbar an die wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger. Diesen wird durch die Vorschriften weder ein bestimmtes Verhalten abverlangt noch sind sie in sonstiger Weise belastenden Maßnahmen ausgesetzt. Vielmehr geben §§ 6, 48 BWahlG den Wahlorganen, die mit der Ermittlung und Feststellung des Wahlergebnisses betraut sind (§§ 37 ff. BWahlG, §§ 67 ff. BWO), vor, wie aufgrund der abgegebenen Stimmen zu berechnen ist, wie viele Sitze auf die einzelnen Landeslisten entfallen und welche Bewerberinnen und Bewerber gewählt sind. Eigenständige Regelungsspielräume verbleiben den Wahlorganen dabei nicht.
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bb) Das Gebot hinreichender Bestimmtheit und Klarheit der Gesetze verlangt darüber hinaus nur das Maß an Bestimmtheit und Klarheit, welches nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (vgl. BVerfGE 49, 168 [181]; 59, 104 [114]; 78, 205 [212]; 103, 332 [384]; 134, 141 [184 Rn. 126]; 145, 20 [69 f. Rn. 125]; 149, 293 [323 Rn. 77]; stRspr). Deshalb ist es hinnehmbar, eine Norm zur Ergebnisermittlung so zu fassen, dass die damit betrauten ![]() ![]() | |
(1) Die Regelung des § 6 BWahlG, die das Sitzzuteilungsverfahren für die Wahl des Deutschen Bundestages betrifft, muss der Entscheidung des Gesetzgebers zum Wahlsystem Rechnung tragen. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 BWahlG hat der Gesetzgeber sich in verfassungskonformer Weise (vgl. BVerfGE 6, 84 [90]; 6, 104 [111]; 95, 335 [349 f.]; 121, 266 [296]) für eine mit der Personenwahl verbundene Verhältniswahl entschieden. In einem solchen Wahlsystem ist ein gewisses Maß an Komplexität des Sitzzuteilungsverfahrens nicht zu vermeiden (vgl. Lang, Wahlrecht und Bundesverfassungsgericht, 2014, S. 79). Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber sich für einen Ausgleich von Überhangmandaten entschieden hat und deshalb die Sitzzahl des Deutschen Bundestages nicht als absolute Größe im Gesetz festgelegt ist. Vielmehr muss auch die Berechnung der Gesamtsitzzahl des Deutschen Bundestages gesetzlich beschrieben werden. Eine weitere Erhöhung der Komplexität ergibt sich aus der Entscheidung des Gesetzgebers, hierbei auch föderale Gesichtspunkte zu berücksichtigen, mithin die Berechnungsschritte sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene anzusiedeln. Die Entscheidung des Gesetzgebers, das Element der Personenwahl bei der Bundestagswahl zu stärken sowie die Vergrößerung des Bundestages zu begrenzen und dies nicht nur mithilfe eines, sondern zweier Instrumente zu bewirken, steigert die Komplexität erneut. Gleichwohl müssen die Vorschriften des Sitzzuteilungsverfahrens die Wahlorgane hinreichend bestimmt anleiten, was potenziell zulasten der Allgemeinverständlichkeit gehen kann (vgl. Lang, Wahlrecht und Bundesverfassungsgericht, 2014, S. 79; vgl. grundsätzlich zu diesem Zielkonflikt Towfigh, Der Staat 48 [2009], S. 36 f., 71 f.).
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(2) Das Gebot hinreichender Bestimmtheit und Klarheit der Gesetze führt nicht dazu, dass der Gesetzgeber in seinem Spielraum gemäß Art. 38 Abs. 3 GG zur Auswahl des Wahlsystems (vgl. ![]() ![]() | |
cc) Unabhängig davon ist (weiterhin) sichergestellt, dass sich die Wählerinnen und Wähler über die grundsätzlichen Wirkungen ihres Stimmverhaltens für die Sitzberechnung und die Zuteilung der Mandate verlässlich informieren können. Insofern genügen §§ 6, 48 BWahlG in der hier verfahrensgegenständlichen Fassung auch den Anforderungen des Demokratieprinzips, aus dem sich ergibt, dass die Wahl im demokratischen Verfassungsstaat in besonderer Weise die Aufgabe erfüllt, als Integrationsvorgang des Volkes zu wirken (vgl. BVerfGE 6, 84 [92 f.]; 71, 81 [97]; 95, 408 [419]). Diese Integrationsfunktion vermag der Wahlvorgang nur zu erfüllen, wenn für die Wählerinnen und Wähler in groben Zügen ![]() ![]() | |
(1) Der Wortlaut der §§ 6, 48 BWahlG mag zwar für interessierte Wählerinnen und Wähler nicht ohne Zuhilfenahme weiterer Informationsquellen klar verständlich sein. Jedoch enthält er keine den wahren Regelungsgehalt verschleiernde Formulierungen. Ihm lassen sich vielmehr durchaus wesentliche Informationen entnehmen, so etwa in § 6 Abs. 1 Satz 1 BWahlG (Verteilung der Sitze auf die Landeslisten nach Zweitstimmen), in § 6 Abs. 6 Satz 3 und 4 BWahlG (Verrechnung von Wahlkreismandaten mit Listenmandaten unter Garantie der Wahlkreismandate) und in § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG (Hinnahme von bis zu drei nicht ausgeglichenen Überhangmandaten).
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(2) In den Blick zu nehmen sind zudem Normumfeld, Regelungsgeschichte und Verfassungswirklichkeit.
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Das Bundeswahlgesetz in der Fassung des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 14. November 2022 benennt – etwa in § 1 ("mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl") oder § 4 ("zwei Stimmen") – wesentliche Elemente des Wahlrechtssystems, die in das Verständnis der Sitzberechnung und Mandatszuteilung einfließen. Überdies wurde mit der Vorschrift des Art. 1 Nr. 3 bis 5 BWahlGÄndG nicht etwa ein neues Wahlsystem etabliert. Sie nimmt lediglich begrenzte Korrekturen und Modifikationen an dem in der Bundesrepublik Deutschland seit langem bestehenden System eines personalisierten Verhältniswahlrechts vor. Dabei hat sie das zuvor etablierte Verfahren der Ausgleichsmandate und der damit verbundenen Vergrößerung des Bundestages grundsätzlich beibehalten und nur modifizierend weiterentwickelt. Wählerinnen und Wähler können daher auf Erfahrungen und Praxis vorangehender Wahlen auch für das Verständnis der Neuregelung zurückgreifen. Außerdem wurde die verfahrensgegenständliche Änderung politisch kontrovers diskutiert. In diesem Kontext wurden ausführliche Modellrechnungen angestellt, die der Bundeswahlleiter öffentlich zugänglich gemacht hat. Mit ihnen ist die Sitzberechnung und ![]() ![]() | |
II.
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Ein Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichheit und der Unmittelbarkeit der Wahl sowie die Chancengleichheit der Parteien (1.) liegt nicht vor (2.).
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1. a) Gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG werden die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl sichert dabei die vom Demokratieprinzip vorausgesetzte Egalität der Bürgerinnen und Bürger (vgl. BVerfGE 99, 1 [13]; 121, 266 [295]; 124, 1 [18]; 135, 259 [284 Rn. 44]; 146, 327 [349 Rn. 59]; stRspr). Als eine der wesentlichen Grundlagen der freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 6, 84 [91]; 11, 351 [360]; 121, 266 [295]; 124, 1 [18]; 135, 259 [284 Rn. 44]; 146, 327 [349 Rn. 59]; stRspr) gebietet er, dass alle Wahlberechtigten das aktive und passive Wahlrecht möglichst in formal gleicher Weise ausüben können, und ist daher im Sinne einer strengen und formalen Gleichheit zu verstehen (vgl. BVerfGE 51, 222 [234]; 78, 350 [357 f.]; 82, 322 [337]; 121, 266 [295]; 135, 259 [284 Rn. 44]; 146, 327 [349 f. Rn. 59]; stRspr).
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Aus dem Grundsatz der Wahlgleichheit folgt für das Wahlgesetz, dass die Stimme eines jeden Wahlberechtigten grundsätzlich den gleichen Zählwert und die gleiche rechtliche Erfolgschance haben muss. Alle Wählerinnen und Wähler sollen mit der Stimme, die sie abgeben, den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis nehmen können (vgl. BVerfGE 95, 335 [353, 369 f.]; 121, 266 [295]; 124, 1 [18]; 129, 300 [317 f.]; 131, 316 [337]; 146, 327 [350 Rn. 59]; stRspr). Bei der Verhältniswahl verlangt der Grundsatz der Wahlgleichheit darüber hinaus, dass jeder Wähler mit seiner Stimme auch den gleichen Einfluss auf die Zusammensetzung der zu wählenden Volksvertretung haben muss (vgl. BVerfGE 16, 130 [139]; 95, 335 ![]() ![]() | |
Die Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen bei der Verhältniswahl verlangt nicht, dass sich – bei einer ex-post-Betrachtung – ergibt, dass jede Wählerin und jeder Wähler zu exakt gleichen Teilen zur Sitzzuteilung beigetragen hat. Die Ermittlung des Anteils, den eine Stimme an den Gesamtstimmen hat, und die verhältnismäßige Verteilung der zur Verfügung stehenden Sitze erfordern ein mathematisches Verfahren, das in keinem Fall zu dem Ergebnis führen kann, dass die vorhandenen Sitze genau dem ermittelten verhältnismäßigen Anteil jeder einzelnen Wählerstimme entsprechend verteilt sind. Soweit dieser Anteil sich nur als Bruchteil einer ganzen Zahl darstellt, kann er schon deshalb nicht auf die Sitzvergabe übertragen werden, weil es Bruchteile von Sitzen nicht gibt.
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b) Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl fordert, dass die Wählerinnen und Wähler die Abgeordneten selbst auswählen. Er schließt jedes Wahlverfahren aus, bei dem zu den Wählerinnen und Wählern eine weitere Instanz hinzutritt, die nach ihrem eigenen Ermessen die Abgeordneten endgültig auswählt und damit deren direkte Wahl ausschließt (vgl. BVerfGE 7, 63 [68]; 7, 77 [84 f.]; 47, 253 [279 f.]). Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl setzt demgemäß ein Wahlverfahren voraus, in dem die Wählerinnen und Wähler vor dem Wahlakt erkennen können, welche Personen sich um ein Abgeordnetenmandat bewerben und wie sich die eigene Stimmabgabe auf Erfolg oder Misserfolg der Wahlbewerber auswirkt (vgl. BVerfGE 47, 253 [279 ff.]; 95, 335 [350]; 97, 317 [326]; 121, 266 [307]). Für den Grundsatz der Unmittelbarkeit ist nicht entscheidend, dass die Stimme tatsäch ![]() ![]() | |
c) Um die verfassungsrechtlich gebotene Offenheit des Prozesses der politischen Willensbildung zu gewährleisten, ist es unerlässlich, dass die Parteien, soweit irgend möglich, gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilnehmen. Von dieser Einsicht her empfängt der aus Art. 21 Abs. 1 GG abzuleitende Verfassungsgrundsatz der gleichen Wettbewerbschancen der politischen Parteien das ihm eigene Gepräge (vgl. BVerfGE 148, 11 [24 Rn. 42]). Er beinhaltet, dass jeder Partei grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten im gesamten Wahlverfahren und damit gleiche Chancen bei der Verteilung der Sitze eingeräumt werden müssen. Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit hängt eng mit den Grundsätzen der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl zusammen. Deshalb muss in diesem Bereich – ebenso wie bei der durch die Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl verbürgten gleichen Behandlung der Wählerinnen und Wähler – Gleichheit in einem strikten und formalen Sinn verstanden werden. Wenn die öffentliche Gewalt in den Parteienwettbewerb in einer Weise eingreift, die auf die Chancen der Parteien im politischen Wettbewerb zurückwirkt, sind ihrem Ermessen besonders enge Grenzen gesetzt (vgl. BVerfGE 120, 82 [104 f.]; 129, 300 [319]; 135, 259 [285 Rn. 48]; 146, 327 [350 Rn. 60]).
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d) Die Grundsätze der Wahlgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien unterliegen keinem absoluten Differenzierungsverbot. Allerdings folgt aus ihrem formalen Charakter, dass dem Gesetzgeber bei der Ordnung des Wahlrechts nur ein eng bemessener Spielraum für Differenzierungen verbleibt. Diese bedürfen zu ihrer Rechtfertigung stets eines besonderen, sachlich legitimierten Grundes. Das bedeutet nicht, dass sich die Differenzierung als von Verfassungs wegen notwendig darstellen muss. Differenzierungen im Wahlrecht können aber nur durch Gründe gerechtfertigt werden, die durch die Verfassung legitimiert und von einem Gewicht sind, das der Wahlgleichheit die Waage ![]() ![]() | |
Hierzu zählen Gründe, die sich aus der Natur der Wahl einer Volksvertretung ergeben, insbesondere die mit der Wahl verfolgten Ziele. Solche stellen die Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung des Volkes und die Sicherung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung dar (vgl. BVerfGE 95, 408 [418]; 120, 82 [107]; 121, 266 [297 f.]; 129, 300 [320 f.]; 135, 259 [286 Rn. 52]; 146, 327 [351 Rn. 62]; jeweils m.w.N.). Auch die verfassungslegitime Zielsetzung der personalisierten Verhältniswahl, die darauf abzielt, dem Wähler im Rahmen einer Verhältniswahl die Wahl von Persönlichkeiten zu ermöglichen, stellt einen Grund dar, der zur Rechtfertigung von Eingriffen in die Gleichheit der Wahl und die Chancengleichheit der Parteien in Betracht kommt (vgl. BVerfGE 7, 63 [74 f.]; 16, 130 [140]; 95, 335 [358 ff.]; 131, 316 [363, 365 ff.]).
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Es ist grundsätzlich Aufgabe des Gesetzgebers, die verfolgten Zwecke mit dem Gebot der Wahlgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien zum Ausgleich zu bringen. Das Bundesverfassungsgericht prüft lediglich, ob die verfassungsrechtlichen Grenzen eingehalten sind, nicht aber, ob der Gesetzgeber zweckmäßige oder rechtspolitisch erwünschte Lösungen gefunden hat (vgl. BVerfGE 51, 222 [237 f.]; 95, 408 [420]; 121, 266 [303 f.]; 131, 316 [338 f.]; 146, 327 [352 Rn. 63]). Es kann, sofern die differenzierende Regelung an einem Ziel orientiert ist, das der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Wahlrechts verfolgen darf, einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl oder der Chancengleichheit der Parteien nur feststellen, wenn die Regelung zur Erreichung dieses Ziels nicht geeignet ist oder das Maß des zur Erreichung dieses Ziels Erforderlichen überschreitet (vgl. BVerfGE 6, 84 [94]; 51, 222 [238]; 95, 408 [420]; 120, 82 [107]; 121, 266 [304]; 129, 300 [321]; 131, 316 [339]; 135, 259 [287 Rn. 53]; 146, 327 [352 f. Rn. 64]; 162, 207 [238 Rn. 92]). ![]() | |
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2. Nach diesen Maßstäben verstößt das durch das Fünfundzwanzigste Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 14. November 2020 modifizierte Sitzzuteilungsverfahren nicht gegen die Grundsätze der Gleichheit und der Unmittelbarkeit der Wahl sowie der Chancengleichheit der Parteien. Dies gilt, soweit es das Anfallen von Überhangmandaten ohne Ausgleich zulässt (a), ebenso wie mit Blick darauf, dass es eine teilweise Verrechnung von Direktmandaten, die eine Partei in einem Land errungen hat, mit Listenmandaten derselben Partei in einem anderen Land erlaubt (b). Verfassungsrechtlich relevante Effekte des negativen Stimmgewichts sind mit dem zur Überprüfung gestellten Sitzzuteilungsverfahren nicht verbunden (c).
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a) Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Bundestagswahl unbeschadet der Direktwahl der Wahlkreiskandidaten den Grundcharakter einer Verhältniswahl trägt (vgl. BVerfGE 6, 84 [90]; 16, 130 [139]; 95, 335 [357 f.]; 121, 266 [297]; 131, 316 [359]). Daran ist auch mit Blick auf die Neuregelung der Sitzverteilung durch das Fünfundzwanzigste Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom ![]() ![]() | |
aa) (1) Mit dem Anfall von Überhangmandaten erhalten die abgegebenen Stimmen einen unterschiedlichen Erfolgswert. Aufgrund des durch die Anrechnung der Wahlkreismandate auf die Listenmandate einer Partei herbeigeführten Verhältnisausgleichs kann grundsätzlich jeder Wähler nur einmal (mit seiner Zweitstimme) Einfluss auf die proportionale Zusammensetzung des Parlaments nehmen. Die Erststimme bleibt demgegenüber grundsätzlich ohne Auswirkung auf die Verteilung der Mandate auf die politischen Parteien (vgl. BVerfGE 79, 161 [167]; 131, 316 [362]). Fällt jedoch ein Überhang an, so tragen Wählerinnen und Wähler mit ihrer Erststimme zum Gewinn von Wahlkreismandaten bei, die nicht mehr mit Listenmandaten verrechnet werden können und die deshalb den auf der Grundlage des Zweitstimmenergebnisses ermittelten Proporz durchbrechen. Damit gewinnt neben der Zweitstimme auch die Erststimme Einfluss auf die politische Zusammensetzung des Bundestages. Da diese Wirkung nur bei denjenigen Wählerinnen und Wählern eintritt, die ihre Erststimme einem erfolgreichen Wahlkreisbewerber gegeben haben, dessen Partei in dem betreffenden Land einen Überhang erzielt, ist die Erfolgswertgleichheit beeinträchtigt. Zwar hat jeder Wähler gleichermaßen die Chance, zur Gruppe derjenigen zu gehören, deren Stimmen stärkeren Einfluss auf die politische Zusammensetzung des Parlaments nehmen. Jedoch ist ![]() ![]() | |
(2) Auch die Chancengleichheit der politischen Parteien aus Art. 21 Abs. 1 GG wird durch Überhangmandate beeinträchtigt. Sie ist nur gewahrt, wenn jede Partei, ungeachtet der den mit einem Sitzzuteilungsverfahren nach dem Verteilungsprinzip der Verhältniswahl unausweichlich verbundenen Rundungsabweichungen, annähernd dieselbe Stimmenzahl benötigt, um ein Mandat zu erringen. Bei einer Partei, die einen Überhang erzielt, entfallen jedoch auf jeden ihrer Sitze weniger Zweitstimmen als bei einer Partei, der dies nicht gelingt (vgl. BVerfGE 131, 316 [363] m.w.N.).
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(3) Die unterschiedliche Behandlung der Wählerstimmen in Fällen fehlender Anrechenbarkeit auf erlangte Listenmandate schlägt sich nach Maßgabe des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 14. November 2020 in der Zusammensetzung des Parlaments nieder, weil ein vollständiger Ausgleich oder eine vollständige Verrechnung der überhängenden Mandate nicht mehr stattfindet. Im Rahmen der Erhöhung der Sitzzahl des Deutschen Bundestages gemäß § 6 Abs. 5 BWahlG bleiben in den Wahlkreisen errungene Sitze, die nicht nach § 6 Abs. 4 Satz 1 BWahlG von der Zahl der für die Landesliste ermittelten Sitze abgerechnet werden können, bis zu einer Zahl von drei unberücksichtigt (§ 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG). In der Folge kann es dazu kommen, dass bis zu drei Wahlkreismandate nicht gemäß § 6 Abs. 6 Satz 3 BWahlG auf die für die jeweilige Landesliste derselben Partei ermittelte Sitzzahl angerechnet werden können. Das Gesetz bestimmt für diesen Fall, dass die Direktmandate der Partei verbleiben und sich die Gesamtzahl der Parlamentssitze um die Unterschiedszahl erhöht, ohne dass der Proporz wiederhergestellt wird (§ 6 Abs. 6 Satz 5 BWahlG). ![]() | |
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(1) Die mit der ausgleichslosen Zuteilung von Überhangmandaten verbundene Differenzierung des Erfolgswertes der Wählerstimmen kann verfassungsrechtlich in begrenztem Umfang durch das besondere Anliegen einer mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl gerechtfertigt sein (vgl. BVerfGE 131, 316 [365 ff.]). Dies hat das Bundesverfassungsgericht bereits vor Einführung der Ausgleichsmandate festgestellt.
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(a) Danach ist die Zielsetzung der personalisierten Verhältniswahl, die darin besteht, den Wählerinnen und Wählern die Möglichkeit zu geben, auch im Rahmen der Verhältniswahl Persönlichkeiten zu wählen, von der Verfassung gedeckt (vgl. BVerfGE 131, 316 [365]). Auf diese Weise möchte der Gesetzgeber die Verbindung zwischen den Wählerinnen und Wählern und den Abgeordneten stärken und zugleich in gewissem Umfang der dominierenden Stellung der Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG) ein Korrektiv im Sinne der Unabhängigkeit der Abgeordneten (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) entgegensetzen. Durch die Wahl der Wahlkreiskandidaten soll annähernd die Hälfte der Abgeordneten in einer engeren persönlichen Beziehung zu ihrem Wahlkreis stehen (vgl. BVerfGE 7, 63 [74]; 16, 130 [140]; 41, 399 [423]; 95, 335 [352, 358, 360]; 131, 316 [365 f.]). Dieses Ziel kann nur verwirklicht werden, wenn der erfolgreiche Kandidat sein Wahlkreismandat auch dann erhält, wenn das nach dem Proporz ermittelte Sitzkontingent der Landesliste seiner Partei zur Verrechnung nicht ausreicht (vgl. BVerfGE 95, 335 [394]; 131, 316 [366]).
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Dieses Anliegen ist hinreichend gewichtig, um die ausgleichslose Zuteilung von Überhangmandaten in begrenztem Umfang zu rechtfertigen (vgl. BVerfGE 7, 63 [74 f.]; 16, 130 [140]; 95, 335 [360]; 131, 316 [366]). Der Gesetzgeber hat sich für ein ![]() ![]() | |
(b) Das Ausmaß der mit der ausgleichslosen Zuteilung von Überhangmandaten verbundenen Differenzierung des Erfolgswertes der Wählerstimmen muss sich jedoch innerhalb des gesetzgeberischen Konzepts einer personalisierten Verhältniswahl halten (vgl. BVerfGE 95, 408 [421]; 131, 316 [367]). Die Zuteilung zusätzlicher Bundestagssitze außerhalb des Proporzes darf nicht dazu führen, dass der Grundcharakter der Wahl als einer am Ergebnis der für die Parteien abgegebenen Stimmen ![]() ![]() | |
(2) Nach diesen Maßstäben, an denen der Senat festhält, ist die durch die Zuteilung von bis zu drei unausgeglichenen Überhangmandaten bewirkte Beeinträchtigung der Wahlgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien durch das Fünfundzwanzigste Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 14. November 2020 gerechtfertigt. Mit der Neuregelung des Sitzzuteilungsverfahrens verfolgt der Gesetzgeber das verfassungslegitime Ziel einer Stärkung des Elements der Personenwahl (a). Die Zulassung von bis zu drei Überhangmandaten ist zudem geeignet und erforderlich, dieses Ziel zu erreichen, insbesondere können Überhangmandate nicht in einem Umfang anfallen, der den Grundcharakter der Wahl als Verhältniswahl aufhebt (b). Auch darf der Gesetzgeber den Anfall von bis zu drei Überhangmandaten ohne Ausgleich bewusst in Kauf nehmen (c).
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(a) Mit der Zulassung von bis zu drei Überhangmandaten strebt der Gesetzgeber weiterhin das verfassungslegitime Ziel an, das Element der Personenwahl bei der Wahl zum Deutschen Bundestag zu stärken (aa). Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob Befürchtungen, der Deutsche Bundestag könne infolge ![]() ![]() | |
(aa) § 6 BWahlG in der Fassung des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 14. November 2020 dient unverändert der Umsetzung der Grundentscheidung des Gesetzgebers für eine mit der Personenwahl verbundene Verhältniswahl (§ 1 Abs. 1 Satz 2 BWahlG), da die Sitze auf die Parteien und in den Parteien auf die Landeslisten grundsätzlich nach dem Zweitstimmenergebnis verteilt werden (§ 6 Abs. 6 Satz 1 und 2 Halbsatz 1 BWahlG). Das Element der Personenwahl findet darin Ausdruck, dass 299 Abgeordnete und somit die Hälfte der Ausgangsgröße von 598 Abgeordneten (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BWahlG) mit der Erststimme auf der Grundlage von Kreiswahlvorschlägen nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl gewählt werden (§ 1 Abs. 2, § 4 Halbsatz 1, § 5 BWahlG; vgl. dazu BVerfGE 131, 316 [357]). Die Zuteilung dieser Mandate wird durch § 6 Abs. 4 Satz 2, § 6 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 in Verbindung mit § 6 Abs. 5 Satz 2 sowie § 6 Abs. 6 Satz 4 BWahlG garantiert. Um eine übermäßige Proporzverzerrung durch den Anfall von Überhangmandaten zu verhindern und den verfassungsrechtlichen Anforderungen der Erfolgswertgleichheit möglichst Rechnung zu tragen, sieht § 6 Abs. 5 BWahlG eine die Überhänge ausgleichende Erhöhung der Sitzzahl des Deutschen Bundestages vor. Dabei findet im Unterschied zum Bundeswahlgesetz 2013 jedoch kein vollständiger Ausgleich der rechnerisch anfallenden Überhangmandate mehr statt. Vielmehr werden gemäß § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG bis zu drei der Quasi-Überhangmandate aus der ersten Verteilung nicht ausgeglichen. Sie bleiben in der zweiten Verteilung nach § 6 Abs. 6 BWahlG erhalten und werden als echte Überhangmandate zugeteilt. Im Ergebnis sichert das Sitzzuteilungsverfahren nach § 6 Abs. 5 und 6 BWahlG damit weiterhin den Erhalt aller Direktmandate als Ausdruck des Elements der Personenwahl. ![]() | |
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Die Zulassung von bis zu drei unausgeglichenen Überhangmandaten stellt sich als Weiterentwicklung der Reaktion des Gesetzgebers auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dar, wonach dieser verpflichtet ist, bei der Umsetzung der mit der Personenwahl verfolgten engen Bindung zwischen Wählerschaft und Abgeordneten Vorkehrungen gegen einen übermäßigen Anfall von Überhangmandaten zu treffen (vgl. BVerfGE 131, 316 [370 ff.]). Während das Bundeswahlgesetz 2011 keinerlei Regelung zum Ausgleich von Überhangmandaten traf, sah der Gesetzgeber unter Hinweis auf die Senatsentscheidung vom 25. Juli 2012 (BVerfGE 131, 316) in § 6 Abs. 5 BWahlG 2013 einen Vollausgleich vor (vgl. BTDrucks 17/11819, S. 5 f.). In der Folge wuchs der Deutsche Bundestag 2017 auf 709 Abgeordnete an. Um einer weiteren Vergrößerung des Parlaments entgegenzusteuern, ergänzte der Gesetzgeber die zunächst zur Erfüllung des verfassungsrechtlichen Regelungsauftrags gefundene Lösung um die verfahrensgegenständliche Neuregelung und nahm den Vollausgleich partiell zurück (vgl. BTDrucks 19/22504, S. 1, 5, 6). Dies ändert nichts daran, dass mit dem etablierten Wahlsystem am Grundcharakter einer personalisierten Verhältniswahl festgehalten wird. ![]() | |
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(bb) Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob die hinter der Begrenzung des Anwachsens der Bundestagsgröße stehenden Befürchtungen, der Deutsche Bundestag könne die Grenzen seiner Arbeits- und Handlungsfähigkeit erreichen (vgl. BTDrucks 19/22504, S. 1, 5), für sich genommen die durch die Zulassung von Überhangmandaten bewirkten Gleichheitsbeeinträchtigungen rechtfertigen können. Bei der Sicherung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments handelt es sich um einen verfassungsrechtlichen Belang von höchstem Rang (vgl. BVerfGE 95, 335 [404]), der dem Grunde nach der Wahlgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien die Waage halten kann. Ob dieser Belang aber bei einer Fortsetzung des Vollausgleichs von Überhangmandaten überhaupt tangiert wäre, bedarf angesichts des Rückgriffs auf den verfassungsrechtlich legitimierten Belang der Stärkung des Elements der Personenwahl keiner Entscheidung.
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(b) Die Zulassung von bis zu drei ausgleichslosen Überhangmandaten ist geeignet und erforderlich, das Ziel der Aufrechterhaltung und Stärkung des Elements der Personenwahl zu erreichen. Die Neuregelung bewegt sich innerhalb des dem Gesetzgeber eröffneten Gestaltungskorridors zur Schaffung eines personalisierten ![]() ![]() | |
(aa) Der Senat hält daran fest, dass ein angemessener Ausgleich zwischen dem Anliegen möglichst proportionaler Abbildung des Zweitstimmenergebnisses im Deutschen Bundestag und dem mit der Personenwahl verbundenen Belang des uneingeschränkten Erhalts von Wahlkreismandaten und des annähernd ausgeglichenen Verhältnisses von Wahlkreismandaten und Listenmandaten dann nicht mehr gewahrt ist, wenn die Zahl der Überhangmandate etwa die Hälfte der für die Bildung einer Fraktion erforderlichen Zahl von Abgeordneten überschreitet (vgl. BVerfGE 131, 316 [369 f.]). Ausgehend von § 10 Abs. 1 Satz 1 GO-BT in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juli 1980 (BGBl I S. 1237) sind dies 15 Abgeordnete (vgl. bereits BVerfGE 131, 316 [369 f.]). Diese Grenze ist durch die zur Überprüfung gestellte Neuregelung des § 6 Abs. 5 und 6 BWahlG bei Weitem nicht überschritten, da bundesweit höchstens drei unausgeglichene Überhangmandate anfallen können. Dies begrenzt das Gewicht der damit einhergehenden Gleichheitsbeeinträchtigung deutlich.
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(bb) Der Erforderlichkeit der Regelung steht auch nicht entgegen, dass der Gesetzgeber die mit der Personalisierung verfolgten Zwecke ebenso gut ohne Beeinträchtigung der Erfolgswertgleichheit durch einen Vollausgleich aller Überhangmandate erreichen könnte. Zwar ist die durch den Anfall von Überhangmandaten bewirkte Differenzierung des Erfolgswertes der Wählerstimmen mit einer personalisierten Verhältniswahl nicht zwangsläufig verbunden, weil der gestörte Proporz durch Zuteilung von Ausgleichsmandaten wiederhergestellt werden könnte (vgl. BVerfGE 95, 335 [394 f.]; 131, 316 [366]). Allerdings erforderte eine vollständige Verwirklichung des Ziels der Verhältniswahl eine im Einzelnen nicht vorhersehbare Erhöhung der Sitzzahl des Bundestages, wodurch das Ziel, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages annäherungsweise zur Hälfte personenbezogen zu legitimieren, nicht erreicht werden könnte (vgl. BVerfGE 131, 316 [366]). Demnach stellt der Vollausgleich kein gegenüber der ![]() ![]() | |
(c) Der Verfassungsmäßigkeit der vorliegend zur Überprüfung gestellten Regelung steht nicht entgegen, dass der Gesetzgeber die Entstehung von bis zu drei Überhangmandaten in Kauf nimmt. Die Argumentation der Antragstellerinnen und Antragsteller, der Gesetzgeber dürfe Überhangmandate nur als Nebenfolge seiner Wahlsystementscheidung hinnehmen, geht fehl.
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(aa) Zwar hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass die mit der Zulassung von Überhangmandaten verbundene Differenzierung der Wahlgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien nur insoweit mit dem Grundsatz der gleichen Wahl vereinbar ist, als sie sich als notwendige Folge des besonderen Charakters der personalisierten Verhältniswahl darstellt (vgl. BVerfGE 16, 130 [140]; 95, 335 [358]). Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass Überhangmandate nur eine Nebenfolge der Wahlsystementscheidung des Gesetzgebers sein dürften. Der Gesetzgeber ist im Rahmen des ihm durch Art. 38 Abs. 3 GG übertragenen Gestaltungsauftrags befugt, ein Wahlsystem zu schaffen, das sowohl dem Anliegen einer Personenwahl als auch dem Ziel der Verhältniswahl, alle Parteien in einem den Stimmenzahlen entsprechenden Verhältnis im Parlament abzubilden, möglichst Rechnung trägt. Beide von der Verfassung legitimierten Ziele ![]() ![]() | |
(bb) Auch soweit das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit auf das Vorliegen eines "zwingenden Grundes" als Voraussetzung für die Rechtfertigung von Differenzierungen der Wahlgleichheit abgestellt hat (vgl. BVerfGE 6, 84 [92]; 51, 222 [236]; 95, 408 [418]; 129, 300 [320]), bedeutet dies nicht, dass sich die Differenzierung von Verfassungs wegen als notwendig darstellen muss. Dies ändert nichts daran, dass Differenzierungen im Wahlrecht durch Gründe gerechtfertigt sein können, die durch die Verfassung legitimiert und von einem Gewicht sind, das der Wahlgleichheit die Waage halten kann (vgl. BVerfGE 162, 207 [238 Rn. 92]). Dabei ist nicht erforderlich, dass die Verfassung diese Zwecke zu verwirklichen gebietet (vgl. BVerfGE 120, 82 [107] m.w.N.). Gleiches gilt für Differenzierungen der Chancengleichheit der Parteien (vgl. BVerfGE 162, 207 [238 Rn. 92]).
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(cc) Zudem hat der Gesetzgeber den Anfall von Überhangmandaten bereits in der Vergangenheit hingenommen, wenn Wahlkreismandate auf die für die jeweilige Landesliste ermittelte Sitzzahl nicht angerechnet werden konnten, und sich nicht veranlasst gesehen, das Entstehen von Überhangmandaten zu neutralisieren (vgl. nur BVerfGE 95, 335 [356 f.]). Das Bundesverfassungsgericht hat dies unter dem Aspekt einer bewussten ![]() ![]() | |
b) Soweit es die zur Überprüfung gestellte Änderung des Bundeswahlgesetzes nach § 6 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 in Verbindung mit Abs. 5 Satz 2 BWahlG erlaubt, Direktmandate einer Partei mit Listenmandaten derselben Partei in einem anderen Land zu verrechnen, ist damit eine Beeinträchtigung der Wahlgleichheit verbunden (aa). Diese ist jedoch durch das verfassungslegitime Anliegen einer Stärkung der Personenwahl ebenfalls gerechtfertigt (bb).
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aa) Gemäß § 6 Abs. 5 Satz 2 BWahlG wird im Rahmen der Sitzzahlerhöhung jeder Landesliste der höhere Wert aus entweder der Zahl der im Land von Wahlbewerbern der Partei in den Wahlkreisen nach § 5 BWahlG errungenen Sitze oder dem auf ganze Sitze aufgerundeten Mittelwert zwischen diesen und den für die Landesliste der Partei nach der ersten Verteilung nach § 6 Abs. 2 und 3 BWahlG ermittelten Sitze zugeordnet. Dies stellt die Mindestsitzzahl dar, die jeder Landesliste im Rahmen der tatsächlichen zweiten Verteilung gemäß § 6 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 BWahlG zugeteilt wird. In der Konsequenz kann dieser Verrechnungsmechanismus dazu führen, dass einer Partei in einem Land mit relativ schwachen Erststimmenergebnissen Listenmandate, die ihr nach ihrem Zweitstimmenergebnis im Land zustünden, nicht zugeteilt, sondern diese zur Verrechnung von Quasi-Überhangmandaten derselben Partei in anderen Ländern verwendet werden. ![]() | |
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(1) Die Möglichkeit der länderübergreifenden Verrechnung von Direkt- und Listenmandaten dient dem Ziel, die Zuweisung sämtlicher Direktmandate zu gewährleisten, und stärkt damit das Element der Personenwahl.
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(2) Sie ist zur Erreichung dieses Ziels auch geeignet und erforderlich. Die Möglichkeit der länderübergreifenden Verrechnung von Direkt- und Listenmandaten derselben Partei trägt zur Erhaltung aller von einer Partei bundesweit gewonnenen Wahlkreismandate und einer annähernd gleichen Zahl von Direkt- und Listenmandaten bei. Mildere, die Wahlgleichheit weniger einschränkende Instrumente, die dieses Ziel ebenso gut erreichten, stehen nicht zur Verfügung. Würde auf die Möglichkeit der länderübergreifenden Verrechnung verzichtet, könnten Überhangsituationen nicht kompensiert werden und fielen Überhangmandate in einem größeren Ausmaß an. Würden diese nicht ausgeglichen, hätte das in die Gleichheit der Wahl eingreifende Proporzverzerrungen zur Folge, die nicht weniger gewichtig wären als die Eingriffe in die Erfolgswertgleichheit, die mit dem vorliegend zu beurteilenden Verrechnungsmodell verbunden sind. Erfolgte hingegen ein Vollausgleich der Quasi-Überhangmandate, würde das Ziel, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages annähernd zur Hälfte personenbezogen zu legitimieren (vgl. BVerfGE 131, 316 [366]), in geringerem Umfang erreicht. Gleiches gälte, wenn an dem Modell des teilweisen Ausgleichs festgehalten und die Sitzzahl des Deutschen Bundestages so lange erhöht würde, bis nicht mehr als drei Überhangmandate verblieben. Ohne das Element der internen Verrechnung stiege die Zahl der auszugleichenden Quasi-Überhangmandate. Damit nähme die Größe des Bundestages zu (vgl. Boehl, in: Schreiber, BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 6 Rn. 28), sodass sich das Verhältnis von Wahlkreisabgeordneten und Abgeordneten, die über die Landeslisten der Parteien in den ![]() ![]() | |
(3) Dem steht nicht entgegen, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen Pukelsheim in der mündlichen Verhandlung die Mindestsitzgarantie nach dem Bundeswahlgesetz 2013 zu einer gegenüber der Garantie von Mindestsitzen nach dem Fünfundzwanzigsten Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 14. November 2020 geringeren Beeinträchtigung der Erfolgswertgleichheit führte (vgl. auch Pukelsheim/ Bischof, DVBl 2021, S. 417 [425]; Pukelsheim, BTAusschussdrucks 19[4]584 A neu, Anlage 1). Denn die mit dem Fünfundzwanzigsten Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 14. November 2020 eingeführte parteiinterne Verrechnung von Listen- mit Direktmandaten führt zu einer geringeren Zahl an auszugleichenden Mandaten und vermindert den Umfang der Sitzzahlerhöhung gemäß § 6 Abs. 5 BWahlG (vgl. Pukelsheim/ Bischof, DVBl 2021, S. 417 [419]). Dies dient dem Ziel eines ausgeglichenen Verhältnisses von Direkt- und Listenmandaten. Der Verrechnungsmechanismus des § 6 Abs. 5 Satz 2 BWahlG stärkt dadurch das Element der Persönlichkeitswahl und genügt damit den verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsanforderungen, auch wenn damit ein im Vergleich zu den Regelungen des Bundeswahlgesetzes 2013 stärkerer Eingriff in die Erfolgswertgleichheit der abgegebenen Stimmen verbunden ist.
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(4) Soweit gegen die parteiinterne Verrechnung von Listen- mit Direktmandaten eingewandt wird, dass Gerechtigkeits- und Fairnessvorstellungen von Wählerinnen und Wählern verletzt würden, wenn ihre beziehungsweise die für ihre Landesliste abgegebene Zweitstimme für ein Direktmandat in einem anderen Land bezahle, statt zur Wahl der Personen auf der gewählten Landesliste beizutragen (vgl. Behnke, ZParl 2012, S. 675 [684 f.]; ders., ZParl 2019, S. 630 [643 ff.]), folgt daraus nichts anderes. Die Entscheidung des Wahlgesetzgebers für eine mit der Perso ![]() ![]() | |
(5) Allerdings kann das Verrechnungsmodell nicht sicherstellen, dass die einzelnen Landesverbände der Parteien im Bundestag in der Stärke vertreten sind, wie dies dem Anteil der auf sie entfallenden Zweitstimmen entspricht. Vielmehr nimmt die Regelung eine Verzerrung des föderalen Proporzes in Kauf (vgl. BTDrucks 19/22504, S. 7; Boehl, in: Schreiber, BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 6 Rn. 60 m.w.N.). Dieser Effekt tritt aber auch dann auf, wenn Überhangmandate ohne Verrechnung oder Ausgleich zugeteilt werden, denn in diesem Fall erzielt jede hiervon begünstigte Landesliste eine Überrepräsentation gegenüber anderen Landeslisten (vgl. BVerfGE 95, 335 [401 f.]). Zwar wird diese föderale Proporzverzerrung durch den Verrechnungsmechanismus des § 6 Abs. 5 Satz 2 BWahlG verschärft, weil er nicht nur zu einer Überrepräsentation der Landeslisten mit Überhangmandaten, sondern zugleich dazu führt, dass andere Landeslisten derselben Partei mit Blick auf die erzielten Wahlergebnisse bei der Sitzzuteilung benachteiligt werden (vgl. Boehl, in: Schreiber, BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 6 Rn. 60 m.w.N.). Bei der Gewichtung des Anliegens einer föderalen Zuordnung der Stimmen ist aber zu berücksichtigen, dass es bei der Wahl zum Deutschen Bundestag um die Wahl des unitarischen Vertretungsorgans des Bundesvolkes geht (vgl. BVerfGE 121, 266 [305] m.w.N.). Vor diesem Hintergrund ist der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag ![]() ![]() | |
(6) Hinzu kommt, dass das Gewicht der Beeinträchtigung sowohl der Erfolgswertgleichheit als auch des föderalen Proporzes begrenzt ist. Den Landeslisten ist nach § 6 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 in Verbindung mit Abs. 5 Satz 2 BWahlG garantiert, dass sie mindestens einen Teil der ihnen nach dem Zweitstimmenergebnis im Land zustehenden Mandate erhalten, nämlich jedenfalls die Hälfte der nach Anrechnung der Direktmandate verbleibenden Listenmandate (vgl. Pukelsheim/Bischof, DVBl 2021, S. 417 [419 f.]; Boehl, in: Schreiber, BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 6 Rn. 28). Es kann also nicht dazu kommen, dass eine Landesliste entgegen dem Votum der Wählerinnen und Wähler im betreffenden Land gar keine Sitze erhält, weil die ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehenden Sitze vollständig zur Anrechnung von Direktmandaten derselben Partei in anderen Ländern verwendet werden (vgl. BTDrucks 19/22504, S. 7).
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(7) Soweit unterschiedlich beurteilt wird, in welchem Umfang die Verrechnung von Listenmandaten mit Direktmandaten derselben Partei in einem anderen Land dazu beiträgt, das Anwachsen der Größe des Deutschen Bundestages zu bremsen (vgl. Pukelsheim/ Bischof, DVBl 2021, S. 417 [419, 425] m.w.N.; Behnke, BTAusschussdrucks 19[4]584 D, S. 21), kann dahinstehen, ob die mit der Verrechnung einhergehenden Beeinträchtigungen des Proporzes unter dem Gesichtspunkt der Sicherung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments (vgl. BVerfGE 95, 335 [404]) gerechtfertigt werden können. Sie sind bereits durch das verfassungsrechtlich anerkannte Ziel, das Element der Personenwahl bei der Wahl des Deutschen Bundestages aufrechtzuerhalten und zu stärken, hinreichend legitimiert. Auf die Frage, ob und inwiefern die Neuregelung der Sitzzuteilung der ![]() ![]() | |
c) Mit dem zur Überprüfung gestellten Sitzzuteilungsverfahren ist ein verfassungsrechtlich relevanter Effekt des negativen Stimmgewichts, der die Grundsätze der Wahlgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien sowie der Unmittelbarkeit der Wahl verletzte (aa), nicht verbunden (bb).
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aa) Die Mandatszuteilung darf grundsätzlich nicht dazu führen, dass die Sitzzahl einer Partei erwartungswidrig mit der auf diese oder eine konkurrierende Partei entfallenden Stimmenzahl korreliert (Effekt des negativen Stimmgewichts; vgl. BVerfGE 131, 316 [346 f.]). Dies ist der Fall, wenn ein Zweitstimmengewinn zu einem Sitzverlust der betroffenen Partei führen kann und dieser auch einen Sitzanteilsverlust für diese Partei bedeutet. Gleiches gilt, wenn ein Zweitstimmenverlust zu einem Sitzgewinn der betroffenen Partei führen kann und dieser einen Sitzanteilsgewinn dieser Partei nach sich zieht.
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(1) Der Effekt des negativen Stimmgewichts beeinträchtigt die Wahlgleichheit und die Chancengleichheit der Parteien (vgl. BVerfGE 121, 266 [299 f.]; 131, 316 [347]). Die Erfolgswertgleichheit beinhaltet, dass eine Stimme für die Partei, für die sie abgegeben wurde, positive Wirkung entfalten können muss. Ein Wahlsystem, das darauf ausgelegt ist oder doch jedenfalls in typischen Konstellationen zulässt, dass ein Zuwachs an Stimmen zu Mandatsverlusten führt oder dass für den Wahlvorschlag einer Partei insgesamt mehr Mandate erzielt werden, wenn auf ihn weniger oder auf einen konkurrierenden Vorschlag mehr Stimmen entfallen, führt zu willkürlichen Ergebnissen und lässt den demokratischen Wettbewerb um Zustimmung bei den Wahlberechtigten widersinnig erscheinen (vgl. BVerfGE 121, 266 [299]). Ein Berechnungsverfahren, das dazu führt, dass eine Wählerstimme für eine Partei Wirkung gegen diese Partei entfaltet, widerspricht Sinn und Zweck einer demokratischen Wahl (vgl. BVerfGE 121, 266 [300]; 131, 316 [347]). Der Effekt des negativen Stimmgewichts beeinträchtigt neben der Erfolgswertgleichheit auch die Erfolgschancengleichheit. Diese erlaubt zwar, dass – wie zum Beispiel ![]() ![]() | |
(2) Der Effekt des negativen Stimmgewichts beeinträchtigt zudem den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl, weil die Wählerinnen und Wähler nicht erkennen können, ob sich ihre Stimme stets für die präferierte Partei und deren Wahlbewerber positiv auswirkt oder ob sie durch ihre Stimme den Misserfolg eines Kandidaten oder der präferierten Partei verursachen. Gesetzliche Regelungen, die derartige Unwägbarkeiten nicht nur in seltenen und unvermeidbaren Ausnahmefällen hervorrufen, sind mit dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl nicht zu vereinbaren (vgl. BVerfGE 121, 266 [307 f.]; 131, 316 [347]).
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bb) Davon ausgehend sind die zur Überprüfung gestellten Normen unter dem Gesichtspunkt des negativen Stimmgewichts von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Ungeachtet der unterschiedlichen Auffassungen zu der Frage, inwieweit sich aufgrund des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 14. November 2020 Fälle des negativen Stimmgewichts überhaupt ergeben können (1), ist davon auszugehen, dass dieser Effekt jedenfalls nicht in verfassungsrechtlich relevanter Weise auftreten kann (2).
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(1) Die Frage, ob sich nach den Regelungen des § 6 Abs. 5 und 6 BWahlG der Effekt des negativen Stimmgewichts überhaupt ergeben kann, ist sowohl im Gesetzgebungsverfahren (a) als auch in der Literatur (b) unterschiedlich beurteilt und in der mündlichen Verhandlung durch den Sachverständigen Pukelsheim bejaht worden (c).
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(a) (aa) Im Gesetzgebungsverfahren hat die Sachverständige Schönberger die Auffassung vertreten, der Effekt des negativen Stimmgewichts sei evident. Die Zulassung unausgeglichener Überhangmandate habe zur Folge, dass das Weniger an Zweitstimmen für eine Partei, das zur Entstehung eines unausgeglichenen Überhangmandats führe, automatisch eine geringere Mandatszahl für andere, konkurrierende Parteien und somit eine ![]() ![]() | |
(bb) Der Sachverständige Grzeszick hat im Gesetzgebungsverfahren hingegen kein unzulässiges negatives Stimmgewicht erkannt. Zwar könne der den Überhangmandaten eigene Effekt, dass durch mehr Zweitstimmen für eine Partei in einem Land ein Überhangmandat zum Listensitz werden könne, diesen Zweitstimmen die positive Sitzrelevanz nehmen. Er verkehre das Mehr an Zweitstimmen aber nicht in ihr Gegenteil, denn dazu sei ein Sitzverlust nötig. Entsprechendes gelte für den umgekehrten Effekt, dass ein Weniger an Zweitstimmen sich nicht nachteilig auf die Sitzzahl auswirke, soweit dadurch ein unausgeglichenes Überhangmandat entstehe. Zudem habe das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 25. Juli 2012 (BVerfGE 131, 316) bis zu 15 ausgleichslose Überhangmandate für verfassungsgemäß, den Effekt des negativen Stimmgewichts aber zugleich für verfassungswidrig erklärt. Bedingte bereits die proportionale Besserstellung einer Partei durch Überhangmandate ein unzulässiges negatives Stimmgewicht, sei die Entscheidung widersprüchlich (vgl. Grzeszick, BTAusschussdrucks 19[4]584 E, S. 8; ders., Ausschuss für Inneres und Heimat, Protokoll Nr. 19/100, S. 18 f.). Der "Dresdener Nachwahleffekt" der föderalen Verschiebung könne nicht mehr vorkommen. Dies werde zum einen durch die festen Kontingente in der ersten Verteilung verhindert, zum anderen durch die Garantie des § 6 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 BWahlG. Jedenfalls sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur ein Effekt relevant, der nicht nur ganz außergewöhnlich auftrete (vgl. Grzeszick, Ausschuss für Inneres und Heimat, Protokoll Nr. 19/100, S. 19). Dies sei hier nicht der Fall. ![]() | |
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(b) (aa) In der Literatur gehen Pukelsheim und Bischof davon aus, dass mit dem Auftreten negativer Stimmgewichte zu rechnen sei. Eine Partei könne bei mehr Zweitstimmen schlechter dastehen, da diese tendenziell zu einem Abbau von Überhangmandaten führten. Umgekehrt könnten weniger Zweitstimmen bewirken, dass sich Proporzmandate zu Überhangmandaten wandelten. Konstellationen, in denen das negative Stimmgewicht sichtbar werde, dürften jedoch eine nur marginale Rolle spielen (vgl. Pukelsheim/Bischof, DVBl 2021, S. 417 [424]).
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(bb) Boehl vertritt hingegen die Ansicht, der Effekt des negativen Stimmgewichts trete aufgrund des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 14. November 2020 nicht auf, weil die Sitzverteilung im Ausgangspunkt nach voneinander getrennten Sitzkontingenten der Länder erfolge und sich Zweitstimmenverluste nicht zugunsten einer anderen Landesliste der gleichen Partei auswirken könnten. Wenn weniger Wählerinnen und Wähler einer Landesliste ihre Zweitstimme gäben, könne dies allenfalls deren Sitzzahl zugunsten der Landeslisten anderer Parteien in diesem Land vermindern. In einer Überhangsituation bleibe hingegen die Sitzzahl der Partei gleich, weil sie in diesem Fall durch die Zahl der Direktmandate bestimmt werde und nicht von der Zweitstimmenzahl abhänge. Diese Folgen stellten aber keinen paradoxen Effekt dar.
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Grundlage der Sitzzahlerhöhung seien die Mandatszahlen, die sich in der ersten Verteilung unter Ausschluss des Effekts des negativen Stimmgewichts ergäben. Durch die Sitzzahlerhöhung könne daher kein negatives Stimmgewicht in die zweite Verteilung und das Endergebnis transportiert werden. Nach der ![]() ![]() | |
Auch die bis zu drei Überhangmandate könnten nicht zu negativen Stimmgewichten führen. Überhangmandate seien zwar notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für das Entstehen von negativem Stimmgewicht. Wenn sich weniger Zweitstimmen für eine Landesliste auf die Sitzzahl einer anderen Landesliste der gleichen Partei nicht positiv auswirken könnten, sei für die Annahme eines negativen Stimmgewichts kein Raum (vgl. Boehl, in: Schreiber, BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 6 Rn. 65).
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(c) In der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige Pukelsheim die Auffassung vertreten, dass unter den Vorgaben des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 14. November 2020 Konstellationen existierten, in denen ein negatives Stimmgewicht auftrete. Er hat dabei auf ein Szenario verwiesen, in dem mehr Zweitstimmen für eine Partei dazu führen könnten, dass ein nicht auszugleichendes Überhangmandat dieser Partei zu einem über den Mindestsitzanspruch der Partei gemäß § 6 Abs. 5 Satz 3 BWahlG garantierten Mandat werde. Dies bewirke keinen Sitzgewinn für die Partei selbst, führe über das Ausgleichsverfahren aber zu zusätzlichen Sitzen für die konkurrierenden Parteien. Zur Frage nach Ausmaß und Wahrscheinlichkeit des Effekts des negativen Stimmgewichts gab der Sachverständige Pukelsheim an, dies nicht belastbar beantworten zu können.
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(2) Davon ausgehend ergibt sich aus den zur Überprüfung gestellten Normen kein verfassungsrechtlich relevanter Effekt des negativen Stimmgewichts.
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(a) Die wesentliche Ursache für das Auftreten des negativen Stimmgewichts unter dem Bundeswahlgesetz in der Fassung des Neunzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 25. November 2011 (BGBl I S. 2313) bestand in der Bestimmung der Ländersitzkontingente nach der Wählerzahl (vgl. BVerfGE 131, 316 [347 ff.]). Diese Ursache ist bereits durch das Zweiundzwanzigste Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 3. Mai 2013 (BGBl I S. 1082) entfallen. Gemäß dem bei ![]() ![]() | |
(b) Die in Abweichung hierzu durch das Fünfundzwanzigste Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 14. November 2020 eröffnete Möglichkeit der ausgleichslosen Zuteilung von bis zu drei Überhangmandaten löst den Effekt des negativen Stimmgewichts jedenfalls nicht in verfassungsrechtlich relevanter Weise aus.
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(aa) Zwar geht mit der Zulassung ausgleichsloser Überhangmandate einher, dass ein Zuwachs an Zweitstimmen für eine Partei dazu führen kann, dass ein ausgleichsloses Überhangmandat wegfällt. Ein derartiger Stimmenzuwachs führte aber nicht dazu, dass die betroffene Partei erwartungswidrig Mandate verlöre. Vielmehr bliebe die Zahl der auf sie entfallenden Mandate gleich, und es würde lediglich ein ausgleichsloses Überhangmandat durch ein mit Zweitstimmen unterlegtes Direktmandat ersetzt. Ein widersinniger, dem Sinn und Zweck einer demokratischen Wahl widersprechender Effekt (vgl. BVerfGE 121, 266 [299 ff.]; 131, 316 [346 f.]) zum Nachteil der von dem Zweitstimmenzuwachs betroffenen Partei wäre damit nicht verbunden.
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Allerdings hat der Sachverständige Pukelsheim in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass der durch den Zweitstimmenzuwachs mögliche Verlust eines Überhangmandats zugunsten eines mit Zweitstimmen unterlegten Direktmandats über das Ausgleichsverfahren zu zusätzlichen Sitzen für konkurrierende Parteien führen kann. Dabei handelt es sich jedoch um eine bloß ![]() ![]() | |
So ist diese Auswirkung zunächst nicht mit einem eigenständigen Eingriff in den Grundsatz der Wahlgleichheit verbunden. Zwar hat die durch einen Zweitstimmenzuwachs verursachte Umwandlung eines ausgleichslosen Überhangmandats in ein ausgleichspflichtiges, mit Zweitstimmen unterlegtes Direktmandat im Ergebnis eine relative Besserstellung konkurrierender Parteien durch die Zuteilung von Ausgleichsmandaten zur Folge. Ursache hierfür ist aber der im Verfahren der Sitzzahlerhöhung gemäß § 6 Abs. 5 BWahlG angelegte Ausgleichsmechanismus. Dieser zielt gerade darauf, den durch die Garantie des Erhalts aller Direktmandate verursachten Eingriff in die Erfolgswertgleichheit jeder abgegebenen Stimme zu korrigieren. Werden zusätzliche Ausgleichsmandate vergeben, hat dies einen geringeren Eingriff in die Erfolgswertgleichheit aller abgegebenen Stimmen zur Folge.
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Ebenso wenig liegt ein Eingriff in den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl vor. Da das Mehr an Zweitstimmen nicht zu einer Verminderung der Sitzzahl der präferierten Partei führt, fehlt es an einem inversen, der Erwartungshaltung der Wählerinnen und Wähler widersprechenden Effekt. Die mittelbare Konsequenz der Zuteilung weiterer Ausgleichsmandate an konkurrierende Parteien genügt hierfür nicht. Sie ist im System der Verhältniswahl angelegt und jedenfalls durch das Ziel der Wiederherstellung der Wahlgleichheit gerechtfertigt.
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Hinzu kommt, dass es sich bei der durch einen Zuwachs an Zweitstimmen bedingten Ersetzung eines unausgeglichenen Überhangmandats um einen äußerst seltenen und daher verfassungsrechtlich unbedenklichen Ausnahmefall handeln dürfte (vgl. BVerfGE 121, 266 [307 f.]; 131, 316 [347]). Voraussetzung wäre, dass ein echtes Überhangmandat betroffen ist, dessen Zahl gemäß § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG auf höchstens drei begrenzt ist. Dass ein solcher Fall über seltene Ausnahmefälle hinaus eintreten könnte, ist nicht ersichtlich. Auch der Sachverständige ![]() ![]() | |
(bb) Umgekehrt kann der Verlust von Zweitstimmen dazu führen, dass die von der betroffenen Partei in dem Land gewonnenen Wahlkreismandate nicht mehr vollständig auf die ihr nach der Landesliste zustehenden Mandate angerechnet werden können, sodass ein unausgeglichenes Überhangmandat anfällt. Auch in diesem Fall bliebe die Zahl der auf die betroffene Partei entfallenden Mandate gleich. Ein erwartungswidriger Effekt in dem Sinne, dass das Weniger an Zweitstimmen zu einem Mehr an Mandaten der betroffenen Partei führte, träte nicht ein.
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Allenfalls könnten Mandate konkurrierender Parteien entfallen, da das auf diese Weise entstandene echte Überhangmandat nicht mehr am Ausgleichsmechanismus gemäß § 6 Abs. 5 Satz 2 und 3 BWahlG teilnähme. Verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen bestehen nicht. Der Wegfall von Ausgleichsmandaten bei der Umwandlung eines nicht mehr durch Zweitstimmen gedeckten Direktmandats in ein unausgeglichenes Überhangmandat ist Folge der durch den Gesetzgeber im Rahmen des ihm durch Art. 38 Abs. 3 GG eingeräumten Gesetzgebungsauftrags getroffenen Wahlsystementscheidung. Ist er – wie dargestellt (s.o. Rn. 174 ff.) – befugt, eine begrenzte Zahl an echten Überhangmandaten zuzulassen, stellt sich die hierauf bezogene Nichtzuteilung von Ausgleichsmandaten nicht als widersinniger, dem Sinn und Zweck einer demokratischen Wahl widersprechender Effekt (vgl. BVerfGE 121, 266 [300]; 131, 316 [346 f.]) dar. Auch insoweit liegt daher ein verfassungsrechtlich relevantes negatives Stimmgewicht nicht vor.
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III.
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Die zu überprüfenden Normen sind schließlich nicht deshalb verfassungsrechtlich zu beanstanden, weil sie weniger als ein Jahr vor der Wahl des 20. Deutschen Bundestages in Kraft getreten sind. Weder der Verhaltenskodex für Wahlen der Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht (Venedig-Kommis ![]() ![]() | |
1. a) Nach Ziffer II. 2. b der Leitlinien des Verhaltenskodex für Wahlen der Venedig-Kommission (Verhaltenskodex für Wahlen – Leitlinien und erläuternder Bericht – CDL-AD [2002] 23rev2-cor) sollen die Grundelemente des Wahlrechts bis ein Jahr vor einer Wahl nicht mehr verändert werden. In dem erläuternden Bericht wird ausgeführt:
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63. Die Stabilität des Rechts ist ein wichtiges Element für die Glaubwürdigkeit des Wahlprozesses und selbst von wesentlicher Bedeutung für die Konsolidierung der Demokratie. Denn wenn sich die Regeln häufig ändern, kann der Wähler desorientiert sein und sie nicht mehr verstehen, insbesondere wenn sie sehr kompliziert sind; er kann vor allem zu Recht oder zu Unrecht denken, dass das Wahlrecht ein Instrument ist, das diejenigen, die die Macht ausüben, zu ihren Gunsten manipulieren, und dass die Stimme des Wählers daher nicht das Element ist, das über das Ergebnis der Abstimmung entscheidet. 64. Die Stabilität muss in der Praxis nicht so sehr in Bezug auf die Grundprinzipien garantiert werden, deren formale Infragestellung schwer denkbar ist, sondern in Bezug auf bestimmte genauere Regeln des Wahlrechts, insbesondere in Bezug auf das Wahlrecht im eigentlichen Sinne, die Zusammensetzung der Wahlausschüsse und die Einteilung der Wahlkreise. Diese drei Elemente erscheinen häufig – zu Recht oder zu Unrecht – als die entscheidenden Faktoren für das Ergebnis der Abstimmung und es sollten nicht nur Manipulationen zugunsten der Partei, die an der Macht ist, sondern auch nur der Anschein selbst von Manipulationen vermieden werden.
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b) Nach diesen Erwägungen soll durch die Stabilität des Wahlrechts die Glaubwürdigkeit des für die Demokratie konstitutiven Wahlprozesses gewährleistet werden. Die Wählerinnen und Wähler sollen darauf vertrauen können, dass ihre Stimme dasjenige ![]() ![]() | |
c) Indes begreift die Venedig-Kommission die zur Wahrung hinreichender Stabilität des Wahlrechts aufgestellte Jahresfrist nicht als unverrückbar. Vielmehr hat sie in einer gemeinsamen Stellungnahme mit dem Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ausgeführt, dass Abweichungen von der Jahresfrist zulässig und mit dem Grundsatz der Stabilität des Wahlrechts vereinbar sein können, etwa wenn die Änderungen eher technischer Art sind oder auf Empfehlungen fundierter Sachverständigengutachten zurückgehen. Allerdings müsse sichergestellt sein, dass der Wahlleitung und den politischen Entscheidungsträgern eine angemessene Zeit verbleibt, um die Wahlen ordnungsgemäß zu organisieren (vgl. Venedig-Kommission, OSZE/ODIHR: Armenia, Joint Urgent Opinion on Amendments to the Electoral Code and Related Legislation, CDL-PI [2021] 006, Rn. 22).
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2. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte können Beeinträchtigungen der Stabilität des Wahlrechts Art. 3 ZP I EMRK verletzen (vgl. EGMR, Georgian Labour Party v. Georgia, Urteil vom 8. Juli 2008, Nr. 9103/04, §§ 88 f.; [GK], TÄnase v. Moldova, Urteil vom 27. April 2010, Nr. 7/08, § 179; Ekoglasnost c. Bulgarie, Urteil vom 6. November 2012, Nr. 30386/05, §§ 68 ff.). Dieser verpflichtet die Vertragsstaaten, in angemessenen Zeitabständen freie und geheime Wahlen unter Bedingungen abzuhalten, welche die freie Äußerung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden Körperschaften gewährleisten. Der Gerichtshof hat ausgeführt, die Stabilität des Wahlrechts sei von besonderer Bedeutung für die Achtung der in Art. 3 ZP I EMRK garantierten Rechte. Wenn ein Staat die grundlegenden Wahlvorschriften zu häufig oder "am Vorabend" einer Wahl ändere, könne er die Achtung der Öffentlichkeit vor den Garantien, die die Freiheit der Wahl gewährleisten, oder ihr ![]() ![]() | |
3. Demgemäß ist vorliegend der Zeitpunkt des Inkrafttretens der zur Überprüfung gestellten Änderung des Bundeswahlgesetzes verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
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a) Zwar stehen die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Zusatzprotokolle – soweit sie für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten sind – innerhalb der deutschen Rechtsordnung (nur) im Rang eines Bundesgesetzes (vgl. BVerfGE 74, 358 [370]; 111, 307 [316 f.]; 128, 326 [367]; 141, 1 [19 Rn. 45]; 148, 296 [350 f. Rn. 127]; 151, 1 [26 f. Rn. 61] – Wahlrechtsausschluss Bundestagswahl). Gleichwohl besitzen sie verfassungsrechtliche Bedeutung als Auslegungshilfe für die Bestimmung des Inhalts und der Reichweite der Gewährleistungen des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 74, 358 [370]; 83, 119 [128]; 111, 307 [317, 329]; 120, 180 [200 f.]; 128, 326 [367 f.]; 148, 296 [351 Rn. 128]; 151, 1 [27 Rn. 62]). Ihre Heranziehung ist Ausdruck der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, das einer Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in inter- und supranationale Zusammenhänge sowie deren Weiterentwicklung nicht entgegensteht, sondern diese voraussetzt und erwartet (vgl. BVerfGE 151, 1 [27 Rn. 62]). Allerdings zielt die Heranziehung als Auslegungshilfe nicht auf eine schematische Parallelisierung einzelner verfassungsrechtlicher Begriffe (vgl. BVerfGE 137, 273 [320 f. Rn. 128]; 141, 1 [30 Rn. 72]; 148, 296 [353 Rn. 131]; 151, 1 [27 Rn. 63]). Vielmehr gilt auch für die völkerrechtsfreundliche Auslegung des Grundgesetzes, dass Ähnlichkeiten im Normtext nicht über Unterschiede, die sich aus dem Kontext der Rechtsordnungen ergeben, hinwegtäuschen dürfen (vgl. BVerfGE 148, 296 [353 Rn. 131]; 151, 1 [27 f. Rn. 63]). Im Rahmen der Heranziehung der Europäischen Menschenrechtskonvention als Auslegungshilfe ![]() ![]() | |
Stellungnahmen von Ausschüssen und vergleichbaren Organen internationaler Organisationen kommt im innerstaatlichen Bereich keine unmittelbare Bindungswirkung zu (vgl. BVerfGE 151, 1 [29 Rn. 65] m.w.N.; 151, 152 [170 Rn. 48]). Der Venedig-Kommission ist nach Art. 1 ihres Statuts vom 21. Februar 2002 (Committee of Ministers' Resolution [2002] 3: Revised Statute of the European Commission for Democracy through Law [21 February 2002]) eine (lediglich) beratend-kooperative Funktion zugewiesen (vgl. BVerfGE 151, 152 [170 Rn. 48] m.w.N.).
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b) Davon ausgehend genügen die zur Überprüfung gestellten Änderungen des Bundeswahlgesetzes den Anforderungen an die Stabilität des Wahlrechts.
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aa) Zwar traten die antragsgegenständlichen Regelungen des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes am 19. November 2020 in Kraft (Art. 2 Abs. 1 BWahlGÄndG). Der Termin für die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag wurde mit Anordnung vom 8. Dezember 2020 (BGBl I S. 2769) auf den 26. September 2021 bestimmt. Danach lagen zwischen dem Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens und dem Termin der Bundestagswahl nur etwas über zehn Monate. Auch betrifft das zu überprüfende Gesetz das Sitzzuteilungsverfahren, auf dessen Änderung die Jahresfrist der Venedig-Kommission ausdrücklich Anwendung finden soll (vgl. Venedig-Kommission, Auslegungserklärung über die Stabilität des Wahlrechts, CDL-AD [2005] 043, II. Nr. 3 und 4).
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bb) Allerdings liegt der Anschein einer manipulativen Verfestigung existierender Regierungsmehrheiten durch das Fünfund ![]() ![]() | |
4. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob und gegebenenfalls durch welche Vorschriften des Grundgesetzes der Grundsatz der Stabilität des Wahlrechts auch unmittelbar verfassungsrechtlich gewährleistet ist. Der Zeitpunkt der Änderung des Bundeswahlgesetzes stellt diesen Grundsatz aus den dargelegten Gründen nicht infrage. Dass sein verfassungsrechtlich garantierter ![]() ![]() | |
D. | |
Die Entscheidung ist mit 5:3 Stimmen ergangen.
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– 2 BvF 1/21 – | |
Der Entscheidung der Senatsmehrheit vermögen wir uns nicht anzuschließen. Sie erfasst Inhalt und Bedeutung des verfassungsrechtlichen Gebots der Normenklarheit im Wahlrecht nur unzureichend, misst diesem Gebot infolgedessen nicht das ihm zukommende Gewicht zu und mutet den Wahlberechtigten im Ergebnis eine Wahrnehmung ihres fundamentalen Rechts auf demokratische Selbstbestimmung "im Blindflug" zu. Dies entspricht nicht der zentralen demokratischen Dignität des Wahlaktes, verwehrt den Wählerinnen und Wählern die ihnen in ihrer Rolle als Quelle demokratischer Legitimation zukommende Achtung und könnte eine Beschädigung ihrer Motivation zur Teilhabe am demokratischen Prozess nach sich ziehen. Vor allem aber wird es den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die sich aus dem Demokratie- in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 2 und 3 GG ergeben, nicht gerecht. Danach muss das Wahlrecht aus sich heraus so verständlich sein, dass die Wahlberechtigten in der Lage sind, eine freie und selbstbestimmte Wahlentscheidung in Kenntnis der möglichen Konsequenzen ihrer Stimmabgabe für die Zusammensetzung des Parlaments zu ![]() ![]() | |
1. Die Ausgestaltung des Wahlrechts muss der Bedeutung des Wahlaktes im demokratischen System des Grundgesetzes Rechnung tragen. Dabei bestimmen sich die Anforderungen an die Bestimmtheit und Klarheit wahlrechtlicher Normen nicht nur mit Blick auf die Wahlorgane, sondern auch mit Blick auf die Wählerinnen und Wähler (a). Diese müssen in der Lage sein, anhand des Gesetzestextes die möglichen Auswirkungen ihrer Stimmabgabe zu erkennen und ihr Wahlverhalten danach auszurichten (b). Entgegen der Auffassung der Senatsmehrheit ist dem Gebot der Normenklarheit im Wahlrecht nicht schon Genüge getan, wenn das Sitzzuteilungsverfahren für die Wahlorgane hinreichend verständlich ist (c). Den Anforderungen an die Bestimmtheit und Klarheit wahlrechtlicher Normen hat der Gesetzgeber bei der Wahrnehmung des ihm durch Art. 38 Abs. 3 GG übertragenen Regelungsauftrags Rechnung zu tragen (d). Auf andere Regelungsbereiche sind diese Anforderungen nicht übertragbar (e).
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a) Es kann dahinstehen, ob es sich – wie die Senatsmehrheit meint (s.o. Rn. 81) – bei dem allgemeinen Gebot der Bestimmtheit und Klarheit der Gesetze um ein einheitliches Postulat handelt oder ob – wie es die Rechtsprechung des Ersten Senats nahelegt – zwischen dem Gebot der Bestimmtheit und dem Gebot der Normenklarheit zu unterscheiden ist (vgl. BVerfGE 156, 11 [45 f. Rn. 86 f.]; 162, 1 [125 Rn. 272]). Jedenfalls bestimmen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, die sich aus dem Gebot der Bestimmtheit und Klarheit der Gesetze ergeben, nicht nur mit Blick auf den Rechtsanwender, sondern auch mit Blick auf den Normunterworfenen. Rechtsstaatlich geboten ist, dass die Bürgerinnen und Bürger die sie betreffende Rechtslage verstehen und ihr Verhalten daran ausrichten können (vgl. BVerfGE 156, 11 [45 Rn. 87]; 162, 1 [125 Rn. 272]).
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Soweit die Senatsmehrheit demgegenüber davon auszugehen scheint, dass dem Gebot der Normenklarheit eine eigenständige Bedeutung nur zukommt, falls die jeweilige Norm zu einem ![]() ![]() | |
Daher mag zwar davon auszugehen sein, dass sich die Gebote der Bestimmtheit und der Normenklarheit regelmäßig weitgehend überlappen. Zugleich ist aber in Rechnung zu stellen, dass die Nachvollziehbarkeit des Regelungsgehalts einer Norm nicht unabhängig von den Vorkenntnissen ist, auf deren Grundlage die Befassung mit der Norm stattfindet. Kann der Inhalt einer Norm nur auf der Grundlage eines komplexen Auslegungsprozesses unter Rückgriff auf spezifisch juristische Argumentationsstrukturen erschlossen werden, kann es für den juristisch nicht vorgebildeten Regelungsbetroffenen an der Möglichkeit fehlen, aus eigener Anschauung den Gesetzesbefehl nachzuvollziehen und sein Verhalten darauf einzurichten. Welche Konsequenzen sich für die Beachtung des verfassungsrechtlichen Gebots der Normenklarheit aus diesem Umstand ergeben, ist mit Blick auf den jeweiligen Regelungsgegenstand zu bestimmen (vgl. dazu allgemein BVerfGE 103, 111 [135]; 131, 316 [343] jeweils m.w.N.).
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b) Auch wenn von einem grundsätzlichen Gleichlauf der Gebote der Bestimmtheit und der Normenklarheit auszugehen und der Betroffene regelmäßig gehalten wäre, sich im Zweifel juristischer Expertise zur Klärung der Rechtslage zu bedienen, gilt dies für den Bereich des Wahlrechts jedenfalls nicht. Vielmehr gebieten das Demokratieprinzip und das daraus abgeleitete Recht auf demokratische Selbstbestimmung eine Ausgestaltung wahlrechtlicher Normen, die es den Wählerinnen und Wählern ermöglicht, aus eigener Anschauung zu erkennen, wie sich ihre Stimmabgabe auf das Wahlergebnis auswirken kann und ihre Wahlentscheidung entsprechend auszurichten. Die Auffassung der Senatsmehrheit wird ![]() ![]() | |
aa) Die Parlamentswahl ist der für das demokratische Gemeinwesen entscheidende Akt, in den der permanente Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes einmündet (vgl. BVerfGE 20, 56 [98]). Mit der allgemeinen, freien und gleichen Wahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestages betätigen die Wahlberechtigten im Bund ihren politischen Willen unmittelbar (vgl. BVerfGE 123, 267 [340]). Sie gewährleistet, dass im Sinne des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht und verleiht dem Deutschen Bundestag und durch diesen vermittelt allen anderen staatlichen Organen ihre demokratische Legitimation (vgl. BVerfGE 83, 60 [71]; 89, 155 [171]; 93, 37 [66 ff.]; 123, 39 [68 f.]; 123, 267 [340]; 131, 316 [334]). Diese Legitimationswirkung kann dem Wahlakt aber nur zukommen, wenn er selbstbestimmt und in Kenntnis der damit verbundenen Wirkungen erfolgt. Das setzt die Nachvollziehbarkeit des Wahlgeschehens und der sich aus der Wahlteilnahme ergebenden Konsequenzen für die Mandatszuteilung voraus. Die Ausgestaltung des Wahlrechts muss die Wählerinnen und Wähler in die Lage versetzen, die Auswirkungen ihrer Stimmabgabe zu erkennen und davon ausgehend eine informierte Wahlentscheidung zu treffen (vgl. Wolf, Das negative Stimmgewicht als wahlgleichheitswidriger Effekt – Auswirkungen, Bewertung und Chancen einer Neuregelung, 2016, S. 152 f.).
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bb) Gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG werden die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sowohl die Freiheit als auch die Gleichheit der Wahl sind aber nur gewährleistet, wenn die wesentlichen Regelungen für den durchschnittlichen Wahlberechtigten verständlich sind. Nur dann sind die Wählerinnen und Wähler in der Lage, von ihrem Recht auf demokratische Selbstbestimmung frei und gleichberechtigt Gebrauch zu machen. Eine Gestaltung des Wahlverfahrens, welche die Entschließungsfreiheit ![]() ![]() | |
cc) Auch die Öffentlichkeit der Wahl ist eine wesentliche Voraussetzung für deren Legitimationswirkung. Sie sichert die Ordnungsgemäßheit und Nachvollziehbarkeit der Wahlvorgänge und schafft damit die Grundlage für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den korrekten Ablauf der Wahl. Die Staatsform der parlamentarischen Demokratie, in der die Herrschaft des Volkes durch Wahlen mediatisiert, also nicht dauernd unmittelbar ausgeübt wird, verlangt, dass der Akt der Übertragung der staatlichen Verantwortung auf die Abgeordneten einer besonderen öffentlichen Kontrolle unterliegt. Die grundsätzlich gebotene Öffentlichkeit im Wahlverfahren umfasst das Wahlvorschlagsverfahren, die Wahlhandlung und die Ermittlung des Wahlergebnisses (vgl. BVerfGE 123, 39 [68]).
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dd) Davon ausgehend gilt das Gebot der Normenklarheit im Wahlrecht für alle wesentlichen Schritte des Wahlvorgangs und insbesondere für diejenigen wahlrechtlichen Vorschriften, die für die Ausübung des Stimmrechts maßgeblich sind (vgl. HambVerfG, Urteil vom 27. April 2007 – HVerfG 4/06 –, juris, Rn. 135 sowie vom 26. Januar 2016 – 2/15 –, juris, Rn. 45). Der aus dem Demokratieprinzip folgende Anspruch der Bürgerinnen und Bürger auf die gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung bei der Wahl des Deutschen Bundestages erschöpft sich nicht in dem Recht zur Stimmabgabe. Politische Partizipation setzt voraus, dass die Wirkungen dieser Stimmabgabe jedenfalls hinreichend konkret absehbar sind und bei der Wahlentscheidung berücksichtigt werden können. Dem müssen die wahlrechtlichen Vorschriften Rechnung tragen. Für die Wahlentscheidung relevante Regelungen, die sich nach dem Gesetzeswortlaut allein den Wahl ![]() ![]() | |
Anders als die Argumentation der Senatsmehrheit nahelegt, ist dem Gebot der Normenklarheit im Wahlrecht daher auch nicht bereits dann Genüge getan, wenn das Gesetz keine seinen wahren Regelungsgehalt verschleiernde Formulierungen enthält (s.o. Rn. 155). Dass das Gebot der Normenwahrheit Teil des Gebots der hinreichenden Bestimmtheit und Klarheit der Gesetze ist (vgl. BVerfGE 114, 303 [312] m.w.N.), ändert nichts daran, dass Bestimmtheit und Klarheit der Norm in ihren Anforderungen über die bloße Normenwahrheit weit hinausgehen. Das Gebot der Normenklarheit im Wahlrecht verlangt nicht nur, dass die Gesetzesgestaltung die wahren Absichten des Gesetzgebers nicht verschleiert. Erforderlich ist vielmehr, dass der durchschnittliche Wahlberechtigte die für die selbstbestimmte und rationale Ausübung seines Stimmrechts maßgeblichen Vorschriften grundsätzlich verstehen und sein Wahlverhalten entsprechend ausrichten kann.
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c) Der Auffassung der Senatsmehrheit, dass dem Gebot der Bestimmtheit und Normenklarheit in Bezug auf das Sitzzuteilungsverfahren bereits Rechnung getragen ist, wenn die diesbezüglichen Regelungen für die Wahlorgane beziehungsweise unter Rückgriff auf deren Expertise verständlich sind (s.o. Rn. 81, 150 f., 157), ist nach unserer Überzeugung nicht zu folgen (aa). Die Argumente der Senatsmehrheit vermögen nicht zu überzeugen (bb).
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aa) Dem Verfahren der Sitzzuteilung kommt für die Ausübung des Wahlrechts wesentliche Bedeutung zu. Die freie und selbstbestimmte Wahrnehmung des Wahlrechts setzt voraus, dass die Wahlberechtigten absehen können, wie ihre Wahlentscheidung auf die Zusammensetzung des Parlaments durchschlägt. Dies ist aber nur der Fall, wenn für die Wählerinnen und Wähler das Verfahren der Sitzzuteilung nachvollziehbar ist. Denn nur unter dieser Voraussetzung ist eine Stimmabgabe möglich, die den Wählerwillen zutreffend abbildet. Da die Wahl Sache des ganzen ![]() ![]() | |
bb) Die von der Senatsmehrheit demgegenüber vorgetragenen Argumente für die Verzichtbarkeit normenklarer Regelungen des Sitzzuteilungsverfahrens bei der Wahl des Deutschen Bundestages überzeugen nicht.
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(1) Die Senatsmehrheit verweist zunächst darauf, dass die Regelungen der Sitzzuteilung primär an die Wahlorgane und nicht unmittelbar an die Wählerinnen und Wähler gerichtet seien (s.o. Rn. 150). Dass dies zu einer Einschränkung oder gar Suspendierung des Gebots der Normenklarheit führen soll, erschließt sich jedoch nicht. Bereits dem Wortlaut der §§ 6, 48 BWahlG lässt sich nicht entnehmen, dass diese Normen nicht auch an die Wählerinnen und Wähler gerichtet und für diese von hoher Bedeutung sind. Soweit die Senatsmehrheit anführt, dass durch diese Vorschriften den wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern weder ein bestimmtes Verhalten abverlangt werde noch sie in sonstiger Weise belastenden Maßnahmen ausgesetzt würden (s.o. Rn. 150), gilt dies auch für eine Vielzahl sonstiger wahlrechtlicher Vorschriften. So verlangt die gesetzliche Regelung, dass jeder Wähler zwei Stimmen hat (§ 4 BWahlG in der verfahrensgegenständlichen Fassung), weder, dass die Wahlberechtigten bei der Wahl sowohl die Erst- als auch die Zweitstimme abgeben, noch wird ein entsprechender Verzicht auf irgendeine Art und Weise sanktioniert. Darauf kommt es für die Geltung des Gebots der Normenklarheit nicht an. Entscheidend ist vielmehr, ob dem Regelungsgehalt einer gesetzlichen Bestimmung Relevanz für die ![]() ![]() | |
(2) Entgegen der Auffassung der Senatsmehrheit reicht es auch nicht aus, wenn "für die Wählerinnen und Wähler in groben Zügen erkennbar und verständlich ist, wie die einzelne Wählerstimme in Mandate umgerechnet wird" (s.o. Rn. 154). Abgesehen davon, dass die Senatsmehrheit offenlässt, wann ein Sitzzuteilungsverfahren als "in groben Zügen" verständlich angesehen werden kann, mutet sie damit den Wählerinnen und Wählern zu, ihre Stimme bei der Bundestagswahl abzugeben, ohne die Konsequenzen ihres Wahlverhaltens im Einzelnen übersehen zu können. Ein derartiges Recht auf Partizipation "im Ungefähren" trägt den sich aus dem Demokratieprinzip ergebenden Anforderungen an die Teilhabe des Einzelnen an der politischen Willensbildung und der Legitimation staatlicher Gewalt nicht Rechnung. Dem Recht auf eine freie und selbstbestimmte Wahlteilnahme ist nicht genügt, wenn für die Wählerinnen und Wähler nur grob ersichtlich ist, letztlich aber unklar bleibt, wie sich die eigene Stimmabgabe auf die Zusammensetzung des Parlaments auswirken kann, und sie in der Folge nicht in der Lage sind, ihr Wahlverhalten entsprechend auszurichten. ![]() | |
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(4) Eine Beschränkung des Gebots der Normenklarheit im Wahlrecht auf die Perspektive der Wahlorgane lässt sich schließlich nicht mit dem Hinweis der Senatsmehrheit rechtfertigen, bei den wiederholten Aufforderungen des Zweiten Senats an den Gesetzgeber, das für die Wählerinnen und Wähler kaum noch nachzuvollziehende Regelungsgeflecht der Berechnung der Sitzzuteilung im Deutschen Bundestag auf eine normenklare und verständliche Grundlage zu stellen (vgl. BVerfGE 121, 266 [316]; 122, 304 [311]; BVerfG, Beschlüsse des Zweiten Senats vom 9. Februar 2009 – 2 BvC 11/04 –, Rn. 17; vom 18. Februar ![]() ![]() | |
d) Soweit die Senatsmehrheit darauf verweist, das Gebot hinreichender Klarheit und Bestimmtheit der Gesetze dürfe nicht dazu führen, den Gesetzgeber in seinem Spielraum bei der Auswahl des Wahlsystems einzuschränken (s.o. Rn. 153), ist zwar richtig, dass ihm gemäß Art. 38 Abs. 3 GG bei der Festlegung des Wahlsystems ein weiter Gestaltungsspielraum eröffnet ist (vgl. BVerfGE 3, 19 [24]; 59, 119 [124]; 95, 335 [349]) und er insbesondere die Wahl sowohl als Mehrheits- oder Verhältniswahl ausgestalten als auch beide Wahlsysteme miteinander verbinden kann (vgl. BVerfGE 95, 335 [349 f.]; 121, 266 [296]). Dies bedeutet jedoch selbstverständlich nicht, dass er bei der Wahrnehmung des ihm durch Art. 38 Abs. 3 GG übertragenen Gestaltungsauftrags von der Beachtung sonstiger verfassungsrechtlicher Anforderungen freigestellt wäre. So hat der Gesetzgeber aufgrund seiner Bindung an die verfassungsmäßige Ordnung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG bei der Ausgestaltung des Wahlsystems die allgemeinen Wahlgrund ![]() ![]() | |
Daher mag es dem Gesetzgeber im Sinne der Senatsmehrheit unbenommen sein, sich für ein komplexes Wahlsystem zu entscheiden (s.o. Rn. 152 f.). Das entbindet ihn aber nicht von der Verpflichtung, dieses Wahlsystem so normenklar zu regeln, dass die Wählerinnen und Wähler eine freie und selbstbestimmte Wahlentscheidung treffen können. Die Grenze des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums dürfte jedenfalls erreicht sein, wenn das ausgewählte Wahlsystem einen so hohen Komplexitätsgrad aufweist, dass eine normenklare, für die Wählerinnen und Wähler nachvollziehbare Regelung von vornherein ausscheidet und diese nicht mehr in der Lage sind, eine die Konsequenzen ihrer Stimmabgabe für die Mandatszuteilung berücksichtigende Wahlentscheidung zu treffen. In diesem Fall käme die einseitige Betonung des dem Gesetzgeber zugewiesenen Gestaltungsauftrags einer Überordnung von Art. 38 Abs. 3 GG über sonstige verfassungsrechtliche Vorgaben und Prinzipien gleich. Ein solches Ergebnis müsste an der Gleichrangigkeit der hier relevanten Verfassungsgebote scheitern. Verfassungsdogmatische Gründe für eine solche Freistellung des Gesetzgebers von den sich aus Art. 20 Abs. 2 und 3 GG ergebenden Anforderungen an die Klarheit wahlrechtlicher Regelungen bei der Wahrnehmung des ihm durch Art. 38 Abs. 3 GG übertragenen Gestaltungsauftrags werden von der Senatsmehrheit nicht benannt und sind auch ansonsten nicht ersichtlich. Vielmehr steht dem die Rechtsprechung des Senats zur Bindung des Wahlgesetzgebers an die allgemeinen Wahlgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG entgegen.
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e) Das verfassungsrechtliche Gebot der Normenklarheit wahlrechtlicher Normen folgt aus der herausragenden Bedeutung des Wahlrechts im demokratischen Staat des Grundgesetzes. Die ![]() ![]() | |
2. Die zur Prüfung gestellten Normen werden den dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Klarheit wahlrechtlicher Regelungen nicht gerecht. Auch die Senatsmehrheit räumt ein, dass wahlberechtigte Bürgerinnen und Bürger allein auf Grundlage des Gesetzestextes ohne Zuhilfenahme weiterer Informationsquellen nicht in der Lage sein dürften, den Inhalt von § 6 Abs. 5 und 6 sowie § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG in der Fassung des Art. 1 Nr. 3 und 5 BWahlGÄndG zu erfassen (s.o. Rn. 149). Dem ist zuzustimmen. Entsprechend liegt ein Verstoß gegen das Gebot der Normenklarheit im Wahlrecht vor (a). Die entgegenstehenden Erwägungen der Senatsmehrheit rechtfertigen eine andere Einschätzung nicht (b).
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a) § 6 BWahlG hält der Prüfung am Maßstab des Gebots der Normenklarheit im Wahlrecht nicht stand (aa). Gleiches gilt für § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG (bb).
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aa) Weder § 6 Abs. 5 (1) noch § 6 Abs. 6 BWahlG (2) genügen den Anforderungen des Gebots der Normenklarheit im Wahlrecht. Deshalb verstößt § 6 BWahlG insgesamt gegen dieses Gebot (3).
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(1) (a) § 6 Abs. 5 BWahlG erstreckt sich über insgesamt fünf Sätze, wobei jeder dieser Sätze mindestens eine und zum Teil bis zu drei Verweisungen auf andere Normen des Bundeswahlgesetzes, andere Absätze des § 6 BWahlG oder andere Sätze des § 6 Abs. 5 BWahlG enthält. Dass die Regelung auf eine ![]() ![]() | |
(b) Dies gilt bereits für die Frage, auf welche Ausgangsgröße sich die Erhöhung der Sitzzahl bezieht. Nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BWahlG wird "die Zahl der nach Absatz 1 Satz 3 verbleibenden Sitze" erhöht. Diese bezeichnet die Gesamtzahl der Abgeordneten im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 BWahlG (598) abzüglich der Zahl der erfolgreichen Wahlkreisbewerber gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 BWahlG, also derjenigen Wahlkreisgewinner, die gemäß § 20 Abs. 3 BWahlG oder von einer Partei vorgeschlagen worden sind, für die in dem betreffenden Land keine Landesliste zugelassen ist oder die nach § 6 Abs. 3 BWahlG bei der Sitzverteilung nicht berücksichtigt wird. Gemäß § 6 Abs. 3 BWahlG sind dies Parteien, die nicht mindestens fünf Prozent der gültigen Zweitstimmen erhalten oder in mindestens drei Wahlkreisen einen Sitz errungen haben, es sei denn, es handelt sich um die Partei einer nationalen Minderheit. Was darunter zu verstehen und in welchem Verfahren diese Eigenschaft festzustellen ist, offenbart das Gesetz indes weder in § 6 Abs. 1 Satz 3 BWahlG noch an anderer Stelle. Diese Fragen lassen sich nur unter Zuhilfenahme erläuternder Informationen beantworten (vgl. etwa https://www.bundeswahlleiterin.de/service/glossar/n/nationale-minderheiten.html#id-0; Boehl, in: Schreiber, BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 6 Rn. 11 f.). Der Verweis in § 6 Abs. 5 Satz 1 auf § 6 Abs. 1 Satz 3 BWahlG führt mithin zu einer Norm, die ihrerseits mit mehreren Verweisen arbeitet, ohne dass die ausdauernde Verfolgung dieser dem Wahlberechtigten seine Fragen beantwortete. ![]() | |
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Geht der Wahlberechtigte dessen ungeachtet dem Verweis in § 6 Abs. 5 Satz 1 BWahlG auf § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG nach, wird er mehrmals weiter verwiesen ("[d]ie nach Absatz 5 zu vergebenden Sitze", "nach der Zahl der zu berücksichtigenden Zweitstimmen", "in dem in Absatz 2 Satz 2 bis 7 beschriebenen Berechnungsverfahren", "auf die nach Absatz 3 zuberücksichtigenden Parteien"), wobei die erste Verweisung in § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG ihn zurück zu § 6 Abs. 5 BWahlG führt und damit dorthin, von wo er gekommen ist. Zwar ergibt sich im Wege der methodengerechten Auslegung, dass die Sitzzahl schrittweise so lange ![]() ![]() | |
(d) Nicht anders verhält es sich mit Blick auf § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG. Um dessen Normbefehl (Nichtberücksichtigung von bis zu drei Quasi-Überhangmandaten) richtig zu erfassen, bedarf es komplexer juristischer Auslegungsarbeit (s.o. Rn. 98 ff.). Dabei leidet die Nachvollziehbarkeit von § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG nicht nur an der Komplexität des wahlmathematischen Sachverhalts, der sich dahinter verbirgt. Sie wird darüber hinaus dadurch behindert, dass § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG unmittelbar auf § 6 Abs. 5 Satz 3 BWahlG folgt, ohne dass die Bestimmung der Mindestsitzzahlen von der eigentlichen Berechnung der Erhöhung abgesetzt ist. Zudem muss, da es in § 6 BWahlG an einer Legaldefinition von Quasi-Überhangmandaten fehlt, § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG auf § 6 Abs. 4 Satz 1 BWahlG verweisen.
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(e) Soweit § 6 Abs. 5 Satz 5 BWahlG nach seinem bloßen Wortlaut verständlich erscheint, erweist die erforderliche Auslegung des Wortes "Unterschiedszahl" (s.o. Rn. 119) das Gegenteil: Die zutreffende Erfassung des Normgehalts (Sitzzahlerhöhung ohne ausgeglichene Überhangmandate) verlangt ein profundes Verständnis von Verfahren und Zweck der Sitzzahlerhöhung, die von Wählerinnen und Wählern ohne juristische Expertise nicht zu leisten ist.
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(2) Auch § 6 Abs. 6 BWahlG genügt den Anforderungen des Gebots der Normenklarheit im Wahlrecht nicht. Der Regelungsgehalt der Norm erschließt sich nur auf der Grundlageintensiver methodengerechter Auslegung (s.o. Rn. 120 ff.) und kann ohne juristische Expertise nicht erfasst werden.
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(a) Gemäß § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG werden die nach Abs. 5 zu vergebenden Sitze "in jedem Fall" bundesweit nach der Zahl ![]() ![]() | |
(b) Hinzu kommt, dass das Verständnis von § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG eine komplexe Auslegungsleistung voraussetzt, die ebenfalls ohne juristische Expertise nicht zu leisten sein dürfte. § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG enthält allein drei explizite Verweise ("[d]ie nach Absatz 5 zu vergebenden Sitze", "in dem in Absatz 2 Satz 2 bis 7 beschriebenen Berechnungsverfahren", "auf die nach Absatz 3 zu berücksichtigenden Parteien") auf andere Absätze des 6 BWahlG, von denen jeder einzelne (zum Teil mehrfach) weiter verweist und für sein Verständnis weitere Auslegungsleistungen verlangt. Darüber hinaus verweist die Formulierung "nach der Zahl der zu berücksichtigenden Zweitstimmen" auf § 6 Abs. 1 Satz 2 BWahlG ![]() ![]() | |
(c) 6 Abs. 6 Satz 2 BWahlG regelt, wie die Sitze innerhalb der zu berücksichtigenden Parteien auf die jeweiligen Landeslisten verteilt werden. Dies erschließt sich im Grundsatz aus dem Wortlaut der Norm ("In den Parteien werden die Sitze [...] verteilt [...]"). Deren Verständnis wird aber dadurch erschwert, dass § 6 Abs. 6 Satz 2 BWahlG unmittelbar an § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG anschließt und folglich die konkrete Oberverteilung auf die Parteien nach § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG einerseits und die konkrete Unterverteilung auf die Landeslisten nach § 6 Abs. 6 Satz 2 bis 8 BWahlG nicht voneinander abgesetzt sind. Zudem enthält auch § 6 Abs. 6 Satz 2 BWahlG Verweise auf die zu berücksichtigenden Zweitstimmen (§ 6 Abs. 1 Satz 2 BWahlG), das Berechnungsverfahren (§ 6 Abs. 2 Satz 2 bis 7 BWahlG) sowie die zu berücksichtigenden Parteien (§ 6 Abs. 3 BWahlG). Indem § 6 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 BWahlG bestimmt, dass jeder Landesliste mindestens die nach Abs. 5 Satz 2 für sie ermittelte Sitzzahl zugeteilt wird, tritt ein weiterer Verweis hinzu, der auf das Berechnungsverfahren nach § 6 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 bis 7 BWahlG zurückwirkt ("dabei"). Denn wenn jede Landesliste bei der zweiten Verteilung mindestens die nach Abs. 5 Satz 2 BWahlG für sie ermittelte Sitzzahl erhalten soll, ist im Rahmen des Divisor ![]() ![]() | |
(d) Auch § 6 Abs. 6 Satz 4 BWahlG ist für den durchschnittlichen Wahlberechtigten nicht ohne Weiteres zu verstehen. Nach seinem Wortlaut verbleiben einer Partei die in den Wahlkreisen errungenen Sitze auch dann, wenn sie die nach § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG ermittelte Zahl übersteigen. Dies ist bei methodengerechter Auslegung zwar dahingehend zu verstehen, dass die von einer Partei in den Wahlkreisen eines Landes errungenen Direktmandate ihr auch dann verbleiben, wenn sie die Zahl der Mandate übersteigen, die der entsprechenden Landesliste unter Zugrundelegung der erhöhten Gesamtsitzzahl (§ 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG) ohne Berücksichtigung der Landesmindestsitzzahl (§ 6 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 BWahlG) zusteht (s.o. Rn. 132 ff.). Ohne Zuhilfenahme juristischer Auslegungsmethoden dürfte für den durchschnittlichen Wahlberechtigten aber nicht verständlich sein, dass trotz der expliziten, aber unpräzisen Bezugnahme des § 6 ![]() ![]() | |
(3) Davon ausgehend verstößt das Sitzzuteilungsverfahren des § 6 BWahlG in seiner Gesamtheit gegen das Gebot der Normenklarheit. § 6 Abs. 5 und 6 BWahlG bilden mit den weiteren, nicht ausdrücklich vom Normenkontrollantrag erfassten Bestandteilen des § 6 BWahlG ein systematisches Ganzes. Nur aus der Norm insgesamt ist erkennbar, wie die bei der Bundestagswahl abgegebenen Stimmen in Mandate umgerechnet werden. Stellt man dabei nicht nur auf die Perspektive der Wahlorgane, sondern auch auf diejenige der juristisch nicht vorgebildeten Wählerinnen und Wähler ab, fehlt es der Norm an der erforderlichen Klarheit, der es bedarf, um die Auswirkungen der Stimmabgabe auf die Zusammensetzung des Parlaments hinreichend konkret zu erkennen und die Wahlentscheidung daran zu orientieren. Dabei tragen über § 6 Abs. 5 und 6 BWahlG hinaus auch die sonstigen Regelungen in § 6 BWahlG zur Undurchsichtigkeit und Unklarheit der Norm bei. Ohne juristischen Sachverstand, insbesondere ohne wahlrechtliche Expertise, ist das Sitzverteilungsverfahren des § 6 BWahlG nicht nachzuvollziehen (vgl. bereits für die Vorgängerregelungen Meyer, KritV 77 [1994], S. 312 [315 f.]; ders., in: Isensee/Kirchhof, HStR III, 3. Aufl. 2005, § 46 Rn. 76).
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bb) Auch § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG hält der Überprüfung am Maßstab des Gebots der Normenklarheit im Wahlrecht nicht stand.
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(1) Für § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG gelten mit Blick auf die Normenklarheit keine anderen Anforderungen als für § 6 BWahlG. Zwar handelt es sich bei § 6 BWahlG um die zentrale Regelung zur Umrechnung von bei der Bundestagswahl abgegebenen Stimmen in Mandate. Auch § 48 Abs. 1 BWahlG betrifft aber eine für die Zusammensetzung des Deutschen Bundestages wesentliche Norm, die zudem von erheblicher praktischer Relevanz ist (vgl. Austermann, ![]() ![]() | |
(2) Dem wird § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG nicht gerecht. Die Nachfolgeregelung des § 48 Abs. 1 Satz 1 BWahlG gilt nicht, solange die Partei in dem betreffenden Land Mandate gemäß § 6 Abs. 6 Satz 4 BWahlG innehat. Damit nimmt die Vorschrift auf eine – wie soeben dargelegt – ungenau formulierte und daher in hohem Maße auslegungsbedürftige Norm Bezug. Bei methodengerechter Auslegung ergibt sich zwar, dass § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG die Listennachfolge in unausgeglichene Überhangmandate verhindern soll (s.o. Rn. 132 ff., 139 f.). Allein aufgrund des Wortlauts der Norm dürfte sich dies jedoch nicht erschließen. Hinzu kommt, dass sich auch das Berechnungsverfahren zur Bestimmung der Länder, in denen unausgeglichene Überhangmandate vorliegen und eine Listennachfolge gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG daher ausgeschlossen sein soll, erst im Wege der systematischen, teleologischen und praxisorientierten Auslegung (s.o. Rn. 141 ff.) ergibt, die dem durchschnittlichen Wahlberechtigten nicht zur Verfügung steht.
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b) Dem Ergebnis fehlender Normenklarheit der § 6, § 48 Abs. 1 Satz 2 BWahlG stehen die weiteren Erwägungen der Senatsmehrheit nicht entgegen.
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aa) Das gilt zunächst, soweit die Senatsmehrheit darauf verweist, dass mit dem Fünfundzwanzigsten Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 14. November 2020 kein neues Wahlsystem etabliert worden sei, sondern lediglich begrenzte ![]() ![]() | |
bb) Etwas anderes folgt entgegen der Auffassung der Senatsmehrheit auch nicht daraus, dass das Bundeswahlgesetz an anderer Stelle Elemente des Wahlsystems "benennt", die in das Verständnis der Sitzberechnung und Mandatszuteilung einfließen (s.o. Rn. 157). Die Senatsmehrheit verweist insoweit auf § 1 BWahlG ("mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl") und § 4 BWahlG ("zwei Stimmen"). Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass die Wahlberechtigten in der Lage wären nachzuvollziehen, wie sich ihre Stimmabgabe bei der Mandatszuteilung auswirken kann. Dies regelt § 6 BWahlG in einer für den durchschnittlichen Wahlberechtigten – ebenso wie für "interessierte Wählerinnen und Wähler" (s.o. Rn. 155) – nicht verständlichen Weise. Die Kenntnis, dass es sich bei der Bundestagswahl um eine mit der Personenwahl verknüpfte Verhältniswahl handelt und jeder Wahlberechtigte über zwei Stimmen verfügt, trägt zum Verständnis des Sitzzuteilungsverfahrens allenfalls in geringem, ![]() ![]() | |
cc) Soweit die Senatsmehrheit ausführt, dass § 6 BWahlG "durchaus wesentliche Informationen" zu entnehmen seien – so die Verteilung der Sitze auf die Landeslisten nach den Zweitstimmen, die Verrechnung von Wahlkreismandaten mit Listenmandaten unter der Garantie der Wahlkreismandate sowie die Hinnahme von bis zu drei unausgeglichenen Überhangmandaten (s.o. Rn. 155) –, rechtfertigt dies keine andere Einschätzung. Die Senatsmehrheit erläutert nicht, wie der durchschnittliche Wähler dem von ihr in Bezug genommenen § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG entnehmen können soll, dass das Bundeswahlgesetz bis zu drei nicht ausgeglichene Überhangmandate hinnimmt. § 6 Abs. 5 Satz 4 BWahlG spricht – wie das Bundeswahlgesetz insgesamt – schon nicht von "Überhangmandaten". Auch die Annahme, der interessierte Wähler könne § 6 Abs. 1 Satz 1 BWahlG entnehmen, dass die Verteilung der Sitze auf die Landeslisten nach den Zweitstimmen erfolge, erscheint zweifelhaft. Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 BWahlG werden für die Verteilung der nach den Landeslisten zu besetzenden Sitze die für jede Landesliste abgegebenen Zweitstimmen zusammengezählt. Anders als der Wortlaut nahelegt, geht es aber gerade nicht nur um die Verteilung der im Ausgangspunkt 299 Sitze, die aufgrund der Landeswahlvorschläge zu besetzen sind, sondern um die Gesamtzahl der Abgeordnetensitze (vgl. hierzu Boehl, in: Schreiber, BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 6 Rn. 6). Dies dürfte sich den Wahlberechtigten allein aufgrund von § 6 Abs.1 Satz 1 BWahlG nicht erschließen. Soweit die Senatsmehrheit weiter ausführt, interessierte Wählerinnen und Wähler könnten § 6 Abs. 6 Satz 3 und 4 BWahlG entnehmen, dass Wahlkreismandate mit Listenmandaten unter Garantie der Wahlkreismandate verrechnet würden, dürfte dies bereits angesichts des unpräzisen Wortlauts von § 6 Abs. 6 Satz 4 BWahlG, der lediglich auf § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG Bezug nimmt, nicht zutreffen. ![]() | |
(1) Der Senatsmehrheit ist zwar zuzustimmen, dass das in § 6 BWahlG geregelte Sitzzuteilungsverfahren der Entscheidung des Gesetzgebers zum Wahlsystem Rechnung tragen muss. Ausgangspunkt für die Beurteilung der Normenklarheit von § 6 BWahlG ist folglich die vom Gesetzgeber in Ausführung seines Regelungsauftrags aus Art. 38 Abs. 3 GG getroffene und verfassungsrechtlich unbedenkliche Entscheidung für eine mit der Personenwahl verbundene Verhältniswahl (§ 1 Abs. 1 Satz 2 BWahlG).
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(2) Soweit die Senatsmehrheit jedoch darauf abhebt, der Gesetzgeber sei nicht daran gehindert, sich für eine personalisierte Verhältniswahl mit zwei Stimmen, für die grundsätzliche Verrechnung von Wahlkreismandaten mit den von der jeweiligen Partei gewonnenen Listenmandaten, für die Garantie der über die Erststimme gewonnenen Wahlkreismandate, für den grundsätzlichen Ausgleich nicht durch Listenmandate gedeckter Wahlkreismandate und für eine Begrenzung des Anwachsens der Größe des Deutschen Bundestages mit den Mitteln dreier nicht ausgeglichener Überhangmandate sowie einer begrenzten länderübergreifenden Verrechnung von Direktmandaten zu entscheiden (s.o. Rn. 153), trägt dies ihr Ergebnis nicht. Denn die für dieses gesetzgeberische Konzept gefundene Gesetzesfassung lässt – wie ausgeführt – die verfassungsrechtliche Vorgabe, dass der Gesetzgeber bei der Wahrnehmung des ihm durch Art. 38 Abs. 3 GG übertragenen Gestaltungsauftrags nicht von der Beachtung des Gebots der Bestimmtheit und Klarheit der Gesetze entbunden ist (s.o. Rn. 19 f. des Sondervotums), außer Betracht. Auch wenn sich der Gesetzgeber – wie hier – für ein komplexes Wahlsystem entscheidet, hat er dieses von Verfassungs wegen in einer Weise auszugestalten, die es den Wählerinnen und Wählern ermöglicht, die Auswirkung ihrer Stimmabgabe auf die Zusammensetzung des Parlaments nachzuvollziehen und ihre Wahlentscheidung ![]() ![]() | |
(3) Dabei kann dahinstehen, ob die vorliegend durch den Gesetzgeber getroffene Wahlsystementscheidung überhaupt in einer dem Verfassungsgebot der Normenklarheit entsprechenden Form abgebildet werden kann. §§ 6, 48 BWahlG tragen dem jedenfalls nicht Rechnung. Sie sind – wie dargestellt (s.o. Rn. 22 ff. des Sondervotums) – geprägt durch eine außerordentlich hohe Zahl an (teilweise nicht zielführenden oder wechselbezüglichen) Verweisungen, den nicht ausgewiesenen Wechsel von Bezugsgrößen (insbesondere in § 6 Abs. 6 Satz 1 und 2 BWahlG), unpräzise Formulierungen (§ 6 Abs. 6 Satz 4 BWahlG) und mehrere Regelungen, deren Bedeutungsgehalt nur im Wege intensiver methodengerechter Auslegung ermittelt werden kann. Insgesamt stellen sich §§ 6, 48 BWahlG daher als ein für die Wählerinnen und Wähler undurchdringliches und unklares Regelungsgeflecht dar. Dies wird von der Senatsmehrheit im Ergebnis nicht bestritten. Gleichwohl zieht sie nicht die daraus abzuleitende Schlussfolgerung, dass diese Vorschriften gegen das Gebot der Normenklarheit im Wahlrecht verstoßen.
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