Gemäß § 24 BVerfGG einstimmiger Beschluss | |
des Zweiten Senats vom 6. Februar 2024
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– 2 BvE 6/23 – 2 BvR 994/23 – | |
in dem Verfahren I. über den Antrag, im Organstreitverfahren festzustellen, dass die Antragsgegner die Rechte der Antragstellerin auf chancengleiche Teilnahme an den Wahlen zum Europäischen Parlament aus Artikel 21 Absatz 1 Grundgesetz und auf Gleichheit der Wahl aus Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz, welche von den in Artikel 20 Absatz 1 und Absatz 2 sowie Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz niedergelegten und von Artikel 79 Absatz 3 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 23 Absatz 1 Satz 3 Grundgesetz geschützten Grundsätzen der Demokratie und des Schutzes der Menschenwürde umfasst sind, dadurch verletzt haben, dass sie das Gesetz zur Zustimmung zu dem Beschluss (EU, Euratom) 2018/994 des Rates der Europäischen Union vom 13. Juli 2018 zur Änderung des dem Beschluss 76/787/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 20. September 1976 beigefügten Akts zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments beschlossen haben, soweit sich die Zustimmung auf Artikel 1 Nr. 2 des genannten Ratsbeschlusses bezieht Antragstellerin: Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (Die PARTEI),vertreten durch den Vorsitzenden Herrn Martin Sonneborn, Kopischstraße 10, 10965 Berlin, – Bevollmächtigte: (...) – Antragsgegner: – Bevollmächtigter zu 1.: Prof. Dr. Ulrich Hufeld, Stratenbarg 40a, 22393 Hamburg – und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und Antrag auf Erstattung der notwendigen Auslagen – 2 BvE 6/23 –,
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II. über die Verfassungsbeschwerde des Herrn (...), – Bevollmächtigte: (...) – gegen das Gesetz zur Zustimmung zu dem Beschluss (EU, Euratom) 2018/994 des Rates der Europäischen Union vom 13. Juli 2018 zur Änderung des dem Beschluss 76/787/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 20. September 1976 beigefügten Akts zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments, soweit sich die Zustimmung auf Artikel 1 Nr. 2 des Ratsbeschlusses 2018/994 bezieht, der sich auf eine Änderung von Artikel 3 des Akts zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlamentsrichtet und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und Antrag auf Erstattung der notwendigen Auslagen Beigetretener: Deutscher Bundes ![]() ![]() | |
Entscheidungsformel: | |
1. Die Verfahren 2 BvE 6/23 und 2 BvR 994/23 werden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
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2. Der Antrag im Organstreitverfahren und die Verfassungsbeschwerde werden verworfen.
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3. Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung werden damit gegenstandslos.
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4. Die Anträge auf Erstattung der notwendigen Auslagen der Antragstellerin und des Beschwerdeführers werden abgelehnt.
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Gründe: | |
A. | |
Das Organstreitverfahren und die Verfassungsbeschwerde betreffen das Gesetz zum Beschluss (EU, Euratom) 2018/994 des Rates der Europäischen Union vom 13. Juli 2018 zur Änderung des dem Beschluss 76/787/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 20. September 1976 beigefügten Akts zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments (ABl EU Nr. L 178 vom 16. Juli 2018, S. 1 ff.), mit welchem dem Änderungsbeschluss zugestimmt werden soll, soweit sich diese Zustimmung auf Art. 3 des geänderten Beschlusses (im Folgenden: Direktwahlakt 2018) bezieht. In Art. 3 Abs. 2 Direktwahlakt 2018 ist vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten, in denen die Wahl der Abgeordneten zum Europäischen Parlament im Wege der Listenwahl stattfindet, für Wahlkreise, in denen es mehr als 35 Sitze gibt, eine Sperrklausel in Höhe von mindestens zwei Prozent und von nicht mehr als fünf Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen festlegen. Die Bundesrepublik Deutschland ist von dieser Neuregelung betroffen. Danach ist der deutsche Gesetzgeber verpflichtet, spätestens vor der Europawahl, die der ersten Wahl nach dem Inkrafttreten des Beschlusses folgt (vgl. Art. 3 Abs. 3 Direktwahlakt 2018), rechtzeitig eine Mindestsperr ![]() ![]() | |
I.
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1. Die Stellung des Europäischen Parlaments als Organ der Europäischen Union ist in der Vergangenheit kontinuierlich gestärkt worden. Insbesondere wird es heute gemeinsam mit dem Rat als Gesetzgeber tätig (vgl. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 EUV) und wählt den Präsidenten der Europäischen Kommission (vgl. Art. 14 Abs. 1 Satz 3 EUV). Die im Einvernehmen mit dem gewählten Präsidenten der Kommission vom Rat vorgeschlagenen Mitglieder der Kommission haben sich als Kollegium einem Zustimmungsvotum des Europäischen Parlaments zu stellen, auf dessen Grundlage die Kommission durch den Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit ernannt wird (vgl. Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 und 3 EUV). Für die Funktion des Parlaments als gleichberechtigter Mitgesetzgeber ist das ordentliche Gesetzgebungsverfahren (vgl. Art. 289 Abs. 1 AEUV) vorgesehen, welches das Regelverfahren im Bereich der Gesetzgebung darstellt (vgl. Kotzur, in: Geiger/Khan/Kotzur/Kirchmair, EUV/AEUV, 7. Aufl. 2023, Art. 289 AEUV Rn. 1). Anhörungs- und Zustimmungsverfahren spielen auch weiterhin in den speziell geregelten besonderen Gesetzgebungsverfahren (vgl. Art. 289 Abs. 2 AEUV) eine Rolle (vgl. Kotzur, in: Geiger/Khan/Kotzur/Kirchmair, EUV/AEUV, 7. Aufl. 2023, Art. 289 AEUV Rn. 1, 4); ferner übt das Europäische Parlament zusammen mit dem Rat die Haushaltsbefugnisse aus (vgl. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 EUV). Daneben nimmt es Funktionen parlamentarischer Kontrolle wahr (vgl. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 EUV; Kluth, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, Art. 14 EUV Rn. 14 ff.).
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2. Die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments folgt dem Grundsatz der degressiven Proportionalität, wobei auf die einzelnen Mitgliedstaaten mindestens sechs, höchstens jedoch 96 der maximal 751 Abgeordnetensitze entfallen (vgl. Art. 14 Abs. 2 EUV). Gemäß Beschluss des Europäischen Rates vom 28. Juni 2018 (Beschluss [EU] 2018/937, ABl EU Nr. L 165 ![]() ![]() | |
3. a) Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments werden seit 1979 jeweils auf fünf Jahre direkt gewählt; hierfür wurde 1976 der sogenannte Direktwahlakt verabschiedet (Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung vom 20. September 1976, ABl EU Nr. L 278 vom 8. Oktober 1976, S. 5 ff.). Durch Beschlüsse des Rates vom 25. Juni 2002 und 23. September 2002 (ABl EU Nr. L 283 vom 21. Oktober 2002, S. 1 ff. – im Folgenden für den Beschluss in seiner geänderten Fassung: Direktwahlakt 2002) wurde der Direktwahlakt geändert und dahingehend ergänzt, dass die Mitglieder des Europäischen Parlaments in jedem Mitgliedstaat nach dem Verhältniswahlsystem gewählt werden (vgl. Art. 1 Abs. 1 Direktwahlakt 2002). Die Wahl erfolgt allgemein, unmittelbar, frei und geheim (Art. 1 Abs. 3 Direktwahlakt 2002). Seit dem ![]() ![]() | |
b) Von der in Art. 223 Abs. 1 AEUV vorgesehenen Ermächtigung für die Schaffung eines einheitlichen Wahlrechts hat der Unionsgesetzgeber bislang keinen Gebrauch gemacht, sondern sich vielmehr auf einzelne Schritte auf dem Weg zu einer Vereinheitlichung beschränkt. Einen solchen Schritt stellt auch der Direktwahlakt 2018 dar. Art. 223 Abs. 1 AEUV sieht für die Gesetzgebung im Bereich des Wahlrechts verfahrensrechtliche Besonderheiten vor. Danach erstellt das Europäische Parlament einen Entwurf der erforderlichen Bestimmungen für die allgemeine unmittelbare Wahl seiner Mitglieder nach einem einheitlichen Verfahren in allen Mitgliedstaaten oder im Einklang mit den allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätzen. Der Rat erlässt die erforderlichen Bestimmungen einstimmig gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments, die mit der Mehrheit seiner Mitglieder erteilt wird (Art. 223 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 1 AEUV). Diese Bestimmungen treten nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft (Art. 223 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 2 AEUV).
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Auf europäischer Ebene sind die Bestimmungen des Wahlverfahrens damit weiterhin im Direktwahlakt geregelt, der von den Mitgliedstaaten umzusetzen ist. Soweit dieser keine Regelungen enthält, bestimmt sich das Wahlverfahren in jedem Mitgliedstaat nach den innerstaatlichen Vorschriften (vgl. Art. 8 Abs. 1 Direktwahlakt 2002). Aufgrund der nur unvollständigen Regelungen des Direktwahlakts verfügen die Mitgliedstaaten noch über erhebliche Spielräume, das Wahlverfahren zum Europäischen Parlament durch innerstaatliche Vorschriften auszugestalten. In Deutschland wurde das Wahlverfahren durch das Gesetz über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europawahlgesetz – EuWG) vom 16. Juni 1978 (BGBl I S. 709) normiert, das am 22. Juni 1978 in Kraft trat und durch Gesetz vom 8. März 1994 (BGBl I ![]() ![]() | |
4. a) Nach Art. 3 Direktwahlakt 2002 dürfen die Mitgliedstaaten für die Sitzvergabe eine Mindestschwelle festlegen, die jedoch landesweit nicht mehr als fünf Prozent der abgegebenen Stimmen betragen darf.
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b) Von dieser Möglichkeit haben derzeit 15 der 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union Gebrauch gemacht. Die Länder Frankreich, Belgien, Litauen, Polen, Slowakei, Tschechien, Rumänien, Kroatien, Lettland und Ungarn verfügen über Sperrklauseln von fünf Prozent; in Österreich, Italien und Schweden gilt eine Schwelle von vier, in Griechenland von drei und in Zypern von 1,8 Prozent (vgl. Europäisches Parlament, Das Europäische Parlament: Wahlmodalitäten, Stand: November 2023, https://www.europarl.europa.eu/fact-sheets/de/sheet/21/das-europaische-parlament-wahlmodalitaten). In den übrigen Mitgliedstaaten sind explizite Sperrklauseln nicht vorgesehen. Allerdings bestehen in diesen Staaten bereits aus rein rechnerischen, dem Verhältniswahlsystem inhärenten Gründen sogenannte faktische Sperrklauseln, deren Höhe je nach Sitzzahl, Wahlbeteiligung und Wahlergebnis schwankt und damit nicht im Vorhinein exakt bestimmt werden kann (vgl. zu diesen faktischen Hürden Nohlen, Wahlrecht und Parteiensystem. Zur Theorie und Empirie der Wahlsysteme, 8. Aufl. 2023, S. 99 ff., 122 ff.).
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c) In Deutschland sah ursprünglich § 2 Abs. 6, später dann § 2 Abs. 7 EuWG zunächst eine Sperrklausel in Höhe von fünf Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen vor. Diese erklärte der Zweite Senat mit Urteil vom 9. November 2011 (BVerfGE 129, 300) für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 GG und daher nichtig, weil unter den gegebenen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen der mit der Sperrklausel verbundene schwerwiegende Eingriff in die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit politischer Parteien nicht zu rechtfertigen sei. Die verfassungsrechtliche Prüfung der deutschen Sperrklauselregelung sei nicht durch verbindliche europarechtliche Vorgaben eingeschränkt; der Direktwahlakt 2002 eröffne den ![]() ![]() | |
Die in der Folge durch Art. 1 Nr. 2 Buchstabe d des Fünften Gesetzes zur Änderung des Europawahlgesetzes vom 7. Oktober 2013 (BGBl I S. 3749) eingeführte Sperrklausel von drei Prozent aller abgegebenen gültigen Stimmen hatte vor dem Bundesverfassungsgericht ebenfalls keinen Bestand (BVerfGE 135, 259). Auch insoweit sah der Zweite Senat eine Verletzung der Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit politischer Parteien in Art. 3 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 GG. Die in einer Sperrklausel liegenden Beschränkungen dieser Grundsätze seien weiterhin nicht gerechtfertigt (vgl. BVerfGE 135, 259 [291 ff. Rn. 64 ff.]). Die rechtlichen und tatsächlichen Umstände hätten sich seit 2011 nicht wesentlich geändert. Insbesondere bestehe nach wie vor keine zwingende Vorgabe für eine Sperrklausel im Unionsrecht mit der Folge, dass die verfassungsrechtliche Prüfung weiterhin nicht durch verbindliche europarechtliche Vorgaben eingeschränkt sei (vgl. BVerfGE 135, 259 [283 f. Rn. 40 ff.]). Auch ließen sich die im Verfahren vorgetragene Zunahme der Belastung des Europäischen Parlaments mit Legislativaufgaben und die zukünftige politische und institutionelle Entwicklung, soweit sie von dem Europäischen Parlament hinsichtlich der Wahl des Kommissionspräsidenten aus einem Kreis von den europäischen Parteien benannter Spitzenkandidaten bei der Europawahl 2014 angestoßen worden sei, nicht zur Rechtfertigung einer Sperrklausel heranziehen. Denn deren Auswirkungen für die Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments seien nicht absehbar, sodass für die Prognose des Gesetzgebers, es drohe ohne eine Drei-Prozent-Sperrklausel eine Funktionsbeeinträchtigung des Parlaments, die Grundlage fehle (vgl. BVerfGE 135, 259 [293 ff. Rn. 70 ff.]).
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5. a) Bei der achten Direktwahl zum Europäischen Parlament am 25. Mai 2014 traten in Deutschland 25 Parteien an. Die 96 zu vergebenden Mandate verteilten sich auf 14 Parteien. Zur Vergabe ![]() ![]() | |
Europaweit bildeten sich nach der Europawahl 2014 sieben Fraktionen: Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP): 221 Sitze, Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament (S&D): 191 Sitze, Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten (EKR): 70 Sitze, Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten in Europa (ALDE): 67 Sitze, Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL): 52 Sitze, Fraktion der Grünen/Europäischen Freien Allianz (Grüne/EFA): 50 Sitze, Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie (EFDD): 48 Sitze. Fraktionslos blieben zunächst 52 Mitglieder des Europäischen Parlaments (vgl. hierzu Europäisches Parlament, Ergebnisse der Europawahl 2014, https://www.europarl.europa.eu/elections2014-results/de/election-results-2014.html).
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b) An der neunten Direktwahl zum Europäischen Parlament am 26. Mai 2019 nahmen in Deutschland 41 Parteien teil. Wiederum konnten 14 Parteien zumindest ein Mandat gewinnen. Zur Vergabe eines Sitzes genügten 0,7 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen. Fünf Parteien, die ein Mandat errangen, erhielten jeweils weniger als 1,5 Prozent der Stimmen. Zwei weitere Parteien erreichten mehr als zwei, aber weniger als 2,5 Prozent der Stimmen und erhielten zwei Mandate; die übrigen Parteien, denen Mandate zugeteilt wurden, konnten Stimmenanteile von mehr als fünf Prozent erzielen (vgl. Bundeswahlleiter, Europawahl 2019, Heft 3, Endgültige Ergebnisse nach kreisfreien Städten und Landkreisen, 2019, S. 8, 251 ff.).
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Im Europäischen Parlament wurden wiederum sieben Fraktionen gebildet: Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP): 182 Sitze, Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten ![]() ![]() | |
c) Die Arbeit des Europäischen Parlaments ist einerseits geprägt von der Notwendigkeit, mit den anderen Organen der Europäischen Union, insbesondere dem Rat der Europäischen Union, Kompromisse auszuhandeln (vgl. für das ordentliche Gesetzgebungsverfahren Dialer/Maurer/Richter, Handbuch zum Europäischen Parlament, 2015, S. 219; zur Praxis des sogenannten informellen Trilogs, in dessen Rahmen Rat, Parlament und Kommission über den Inhalt der zu erlassenden Rechtsakte verhandeln, vgl. v. Achenbach, DÖV 2018, S. 1025 ff.). Hierbei muss es danach streben, die Berücksichtigung seiner im Wege fraktionsübergreifender Verhandlungen erarbeiteten Standpunkte (vgl. Dialer/Maurer/Richter, Handbuch zum Europäischen Parlament, 2015, S. 124, 127) zu erreichen. Die Position des Parlaments ist umso einflussreicher, je stabiler die Grundlage für sie ist. Ohne fraktionsübergreifende Zusammenarbeit und Konsenssuche wäre das Europäische Parlament nicht handlungsfähig. Für die Effizienz ![]() ![]() | |
Andererseits wird das Wirken des Parlaments durch ein hohes Maß an innerer Heterogenität bestimmt. In der vergangenen Wahlperiode waren etwa 200 verschiedene nationale Parteien im Europäischen Parlament vertreten und zu Fraktionen zusammengeschlossen (vgl. Dialer/Maurer/Richter, Handbuch zum Europäischen Parlament, 2015, S. 127 ff.). Daneben gibt es eine hohe Zahl fraktionsloser Abgeordneter. Die Fraktionen selbst gelten als weniger homogen als Fraktionen in nationalen Parlamenten (vgl. Dialer/Maurer/Richter, Handbuch zum Europäischen Parlament, 2015, S. 151). Die Bandbreite an politischen Überzeugungen, die innerhalb einer Fraktion vertreten werden, ist hoch. Sie beruht nicht nur darauf, dass Parteien aus den verschiedenen Mitgliedstaaten zusammenfinden; hinzu kommen die Unterschiede zwischen mehreren Parteien desselben Mitgliedstaates. Die Stabilität der Fraktionen wird dadurch in besonderer Weise herausgefordert (vgl. zu den komplexen Bedingungen der Stabilität der Fraktionen Dialer/Maurer/Richter, Handbuch zum Europäischen Parlament, 2015, S. 124 f.). Innerhalb der Fraktionen schließen sich die Abgeordneten der nationalen Parteien zu sogenannten nationalen Delegationen zusammen (vgl. Dialer/Maurer/Richter, Handbuch zum Europäischen Parlament, 2015, S. 151; Karas, Die europäische Demokratie. Grenzen und Möglichkeiten des Europäischen Parlaments, 2018, S. 79), die Einfluss auf die Arbeit der Fraktionen nehmen; in der politikwissenschaftlichen Literatur wird dies als Faktor betrachtet, der zur Heterogenität innerhalb der Fraktionen beitragen kann (vgl. Dialer/Maurer/Richter, Handbuch zum Europäischen Parlament, 2015, S. 151 ff.). So wird beispielsweise die Vergabe der einer Fraktion zustehenden parlamentarischen Ämter zwischen diesen Delegationen ausgehandelt (vgl. Dialer/Maurer/Richter, Handbuch zum Europäischen Parlament, 2015, S. 155). ![]() | |
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6. a) Am 11. November 2015 nahm das Europäische Parlament auf Grundlage des Art. 223 Abs. 1 AEUV eine Entschließung zur Reform des Wahlrechts zum Europäischen Parlament an und unterbreitete dem Rat der Europäischen Union einen Vorschlag zur Änderung des Direktwahlakts 2002 (Entschließung des Europäischen Parlaments vom 11. November 2015 – 2015/2035 [INL] –, ABl EU Nr. C 366 vom 27. Oktober 2017, S. 7 ff.). Er sah für Wahlkreise und für Mitgliedstaaten mit nur einem Wahlkreis, in denen eine Listenwahl stattfindet und es mehr als 26 Sitze gibt, eine Sperrklausel in Höhe von mindestens drei und höchstens fünf Prozent aller im Wahlkreis beziehungsweise im Mitgliedstaat abgegebenen Stimmen vor. In seiner Entschließung führte das Parlament aus, die Einführung einer Mindestschwelle diene der Vereinheitlichung des Wahlrechts, denn in 15 Mitgliedstaaten gelte bereits eine Sperrklausel und in den kleineren Mitgliedstaaten, in denen eine solche nicht vorgesehen sei, bestünden faktische Sperrklauseln von etwa drei Prozent. Die Sperrklausel beuge zudem einer Zersplitterung des Parlaments vor und sichere seine Arbeitsfähigkeit (vgl. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 11. November 2015 – 2015/2035 [INL] –, ABl EU Nr. C 366 vom 27. Oktober 2017, S. 9, 12). Der Ausschuss für konstitutionelle Fragen des Europäischen Parlaments hob in seiner Beschlussempfehlung den Aspekt der Angleichung der Wahlbedingungen hervor und erklärte, die Mindestschwelle sorge für ein höheres Maß an Vereinheitlichung der Wahlbedingungen ![]() ![]() | |
b) Am 13. Juli 2018 beschloss der Rat der Europäischen Union unter Abänderung des Vorschlags des Parlaments mit dessen Zustimmung die hier streitige Änderung des Direktwahlakts 2002. In Art. 3 Abs. 2 Direktwahlakt 2018 ist nunmehr unter anderem die Einführung einer obligatorischen Sperrklausel in Höhe von nicht weniger als zwei Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen vorgesehen, die für Mitgliedstaaten mit Wahlkreisen von mehr als 35 Sitzen gilt. Abweichend von der Regelung in Art. 3 Direktwahlakt 2002 wird die Schwelle der Sperrklausel in Art. 3 ![]() ![]() | |
(1) Für die Sitzvergabe können die Mitgliedstaaten eine Mindestschwelle festlegen. Diese Schwelle darf auf nationaler Ebene nicht mehr als 5 % der abgegebenen gültigen Stimmen betragen. (2) Die Mitgliedstaaten, in denen eine Listenwahl stattfindet, legen für Wahlkreise, in denen es mehr als 35 Sitze gibt, eine Mindestschwelle für die Sitzvergabe fest. Diese Schwelle darf nicht weniger als 2 % und nicht mehr als 5 % der abgegebenen gültigen Stimmen in dem betreffenden Wahlkreis, einschließlich eines einen einzigen Wahlkreis bildenden Mitgliedstaats betragen. (3) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um der Verpflichtung gemäß Absatz 2 spätestens vor der Wahl zum Europäischen Parlament, die der ersten Wahl nach dem Inkrafttreten des Beschlusses (EU, Euratom) 2018/994 des Rates folgt, rechtzeitig nachzukommen. | |
c) Dem Beschluss des Rates vom 13. Juli 2018 haben mittlerweile 25 Mitgliedstaaten der Europäischen Union zugestimmt (vgl. Art. 223 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 2 AEUV). Neben der Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland steht nur noch die Annahme durch das Königreich Spanien aus.
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d) Mit Schreiben vom 10. März 2023 leitete die Bundesregierung den Entwurf eines Zustimmungsgesetzes zu dem Beschluss des Rates vom 13. Juli 2018 an den Bundesrat weiter (vgl. BRDrucks 104/23). In der Begründung des Gesetzentwurfs hieß es unter anderem, Rechtsgrundlage für das Zustimmungsgesetz sei Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG. Dem Inhalt nach werde eine Änderung des Grundgesetzes bewirkt, da ohne eine europarechtliche Vorgabe eine Sperrklausel für die Europawahl nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl und dem Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit unvereinbar sei (vgl. BRDrucks 104/23, S. 3 der Begründung). Mit Inkrafttreten des Direktwahlakts 2018 sei die Bundesrepublik Deutschland künftig unionsrechtlich verpflichtet, ![]() ![]() | |
Der Bundesrat beschloss am 12. Mai 2023, keine Einwendungen gegen das Gesetz zu erheben (vgl. BR-Plenarprotokoll 1033, S. 142).
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Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde sodann dem Deutschen Bundestag zugeleitet (vgl. BTDrucks 20/6821). Nach erster Lesung am 25. Mai 2023 führte der Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union des Deutschen Bundestages am 12. Juni 2023 eine Sachverständigenanhörung durch. Während die Sachverständigen Mayer und Sauer den Anwendungsbereich von Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG nicht als eröffnet ansahen (vgl. Wortprotokoll der 41. Sitzung des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union am 12. Juni 2023, Protokoll-Nr. 20/41, S. 8 f.), gingen die Sachverständigen Grzeszick und Hilbert von der Notwendigkeit eines solchen verfassungsändernden Gesetzes aus (vgl. Wortprotokoll der 41. Sitzung des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union am 12. Juni 2023, Protokoll-Nr. 20/41, S. 5 ff.). Die Sachverständigen nahmen, soweit sie sich hierzu äußerten, übereinstimmend an, dass das Zustimmungsgesetz zum Direktwahlakt 2018 keinen Bedenken im Hinblick auf die in Art. 23 Abs. 1, Art. 79 Abs. 3 GG gezogenen Integrationsgrenzen unterliege. Ein Verstoß gegen die Verfassungsidentität scheide aus (vgl. Wortprotokoll der 41. Sitzung des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union am 12. Juni 2023, Protokoll-Nr. 20/41, S. 6 ff.).
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Dem Bundesrat und Deutschem Bundestag zugeleiteten Gesetzentwurf beigefügt war eine Sprachfassung des Direktwahlakts 2018, die hinsichtlich der in den Direktwahlakt einzufügenden Vorschrift des – vorliegend nicht streitigen – Art. 3a fehlerhaft lautete (fehlerhafte Formulierung in Versalien gesetzt): ![]() | |
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Diese Fassung ging auf eine fehlerhafte Übersetzung der deutschen Sprachfassung in Art. 1 Nr.3 des Beschlusses des Rates über den Direktwahlakt 2018 zurück. In der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union des Deutschen Bundestages vom 14. Juni 2023 (vgl. BTDrucks 20/7250, S. 5) wurde mitgeteilt, dass dieser Fehler in der deutschen ebenso wie in fünf weiteren Sprachfassungen am 23. November 2018 "aufgrund eines offensichtlichen Fehlers in Artikel 1 Nummer 3 korrigiert (Ratsdokument 13511/18)" worden sei. Allerdings sei diese Korrektur in der im Anhang des vorliegenden Gesetzentwurfs wiedergegebenen Fassung des Beschlusses noch nicht enthalten gewesen. Laut der Beschlussempfehlung des Ausschusses lautet die korrekte Sprachfassung (korrekte Fassung in Versalien gesetzt):
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Ist in innerstaatlichen Vorschriften eine Frist für die Einreichung von Bewerbungen für die Wahl zum Europäischen Parlament festgelegt, muss diese Frist mindestens drei Wochen vor dem vom betreffenden Mitgliedstaat gemäß Artikel 10 Absatz 1 festgelegten Termin für die Abhaltung der Wahl zum Europäischen Parlament ENDEN.
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Nach zweiter und dritter Lesung am 15. Juni 2023 nahm der Deutsche Bundestag das Gesetz mit einer Mehrheit von mehr als zwei Dritteln seiner Mitglieder an: Für das Gesetz stimmten 567, dagegen 111 Abgeordnete (vgl. BT-Plenarprotokoll 20/109, S. 13307). Der Bundesrat stimmte dem Entwurf am 7. Juli 2023 ebenfalls mit einer Mehrheit von mehr als zwei Dritteln der Stimmen (56 Stimmen) zu (vgl. BRDrucks 276/23; BR-Plenarprotokoll 1035, S. 219 f.). Bislang ist das Gesetz noch nicht in Kraft getreten (vgl. Rn. 73).
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II.
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Die Antragstellerin hat am 10. Juli 2023 ein Organstreitverfahren gegen den Deutschen Bundestag und den Bundesrat eingeleitet. ![]() ![]() | |
1. Die Antragstellerin und der Beschwerdeführer halten ihre Rechtsbehelfe für zulässig. Antragsgegenstand im Organstreitverfahren könnten gemäß § 64 Abs. 1 BVerfGG alle rechtserheblichen Maßnahmen sein, wie etwa der Erlass eines Gesetzes oder die Mitwirkung an einem Normsetzungsakt. Für das Organstreitverfahren und die Verfassungsbeschwerde führen sie übereinstimmend aus, dass, wenngleich das Gesetz vor Ausfertigung und Verkündung keine rechtliche Wirkung entfalte, es sich um ein Gesetz ähnlich einem Ratifizierungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag handele. In einem solchen Fall sei eine vorbeugende Prüfung möglich, da die Bundesrepublik Deutschland mit der Ratifizierung völkerrechtliche Bindungen eingehe, von denen sie sich, sollten später Verfassungsverstöße festgestellt werden, nicht aus eigener Kraft lösen könne. Von der Möglichkeit, sich durch eine Rechtsänderung der Verpflichtung zur Einführung einer Sperrklausel zu entziehen, habe der Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht. Diese Option sei bloß hypothetisch und damit nicht relevant. Der drohende Rechtsverlust werde allein durch das Inkrafttreten des Direktwahlakts 2018 herbeigeführt; einen Vollzugsakt müsse man nicht abwarten.
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a) Die Antragstellerin erklärt, als politische Partei im Sinne des Art. 21 Abs. 1 GG sei sie im Organstreitverfahren antragsberechtigt. Sie sei vorliegend auch antragsbefugt. Mit der Ratifizierung des Direktwahlakts 2018 und der völkerrechtlichen Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, eine Sperrklausel von mindestens zwei Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen in das Europawahlgesetz einzufügen, drohe – durch den Verstoß gegen den von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Grundsatz der Demokratie – die Verletzung von Art. 21 Abs. 1 in Verbindung mit ![]() ![]() | |
b) Der Beschwerdeführer hält seine Verfassungsbeschwerde für zulässig. Das Zustimmungsgesetz betreffe ihn selbst, unmittelbar und gegenwärtig. Es sei nicht ausgeschlossen, dass es das dem Kerngehalt des Demokratieprinzips und der Menschenwürde zugehörige Recht auf Gleichheit der Wahl verletze. Seine Rechte seien durch das Inkrafttreten des Zustimmungsgesetzes unmittelbar gefährdet, denn es entstehe trotz der Notwendigkeit eines weiteren Umsetzungsakts die Verpflichtung, eine Sperrklausel von wenigstens zwei Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen einzuführen. Der Weg zur Beschneidung seiner Rechte sei damit in jedem Fall vorgezeichnet. In einer Höhe von wenigstens zwei Prozent sei die Änderung des mitgliedstaatlichen Rechts genau determiniert.
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2. Die Anträge in der Hauptsache seien jeweils begründet. Nahezu gleichlautend führen Antragstellerin und Beschwerdeführer hierzu aus, die Verabschiedung des Zustimmungsgesetzes verstoße gegen die im Demokratieprinzip wurzelnden Rechte der Antragstellerin auf Chancengleichheit der Parteien und das Recht des Beschwerdeführers auf Gleichheit der Wahl.
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a) Das Zustimmungsgesetz sei am Maßstab des Grundgesetzes, insbesondere den Vorschriften der Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1, ![]() ![]() | |
b) Das Zustimmungsgesetz sei bereits formell verfassungswidrig. Die Bundesregierung habe dem Bundesrat am 10. März 2023 ihren Entwurf übersandt, diesem aber eine fehlerhafte Fassung des Beschlusses des Rates der Europäischen Union beigefügt. Der Wortlaut von Art. 3a Direktwahlakt 2018 betreffend die Fristen zur Einreichung von Bewerbungen für die Europawahl sei unrichtig gewesen. Die strikt einzuhaltende Frist des Art. 76 Abs. 2 Satz 5 GG sei damit nicht in Gang gesetzt worden. Der hier begangene Fehler sei nicht unwesentlich und auch nicht offenkundig. Er sei über einen Zeitraum von viereinhalb Jahren nicht aufgefallen und betreffe eine Fristberechnungsvorschrift, die besonders sensibel für Variationen des Wortlauts sei.
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c) Das Zustimmungsgesetz sei auch materiell verfassungswidrig. Es verstoße gegen die Verfassungsidentität des Grundgesetzes (aa) und verhelfe einem Rechtsakt der Europäischen Union zur Wirksamkeit, der den Subsidiaritätsgrundsatz und damit die Kompetenzordnung der Europäischen Union verletze (bb).
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aa) Die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union nach Art. 23 Abs. 1 GG sei nur in den Grenzen des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 und Art. 79 Abs. 3 GG zulässig. Art. 79 Abs. 3 GG untersage Verfassungsänderungen, die das Demokratieprinzip berührten. Die Bestimmung sei als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Jedenfalls aber stellten willkürliche und sachlich nicht gerechtfertigte Modifikationen einen Verstoß dar. Zudem ![]() ![]() | |
(1) Die Gleichheit der Wahl folge für Wahlen zum Europäischen Parlament aus Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und 2 GG. Sie unterfalle dem Schutz der Art. 23 Abs. 1 Satz 3 und Art. 79 Abs. 3 GG. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung zum Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon die Bedeutung der Freiheit und Gleichheit der Wahl hervorgehoben sowie aus dem Demokratieprinzip und der Menschenwürdegarantie abgeleitet. Diese Einschätzung werde von den Verfassungsgerichten der Länder geteilt. Von der Menschenwürdegarantie und dem Demokratieprinzip sei die Gleichheit der Wahl als formale und strenge Gleichheit erfasst. Diese mache einen wesentlichen Kernbestand der politischen Freiheit aus.
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Auch das Recht auf Chancengleichheit der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 GG sei Teil der Verfassungsidentität des Grundgesetzes. Dies folge aus Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG. Denn Art. 10 Abs. 1 EUV verpflichte die Union auf eine repräsentative Demokratie, die ohne politische Parteien nicht denkbar sei.
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Eine sachgrundlose Beschneidung der Wahlrechtsgleichheit komme einem willkürlichen Ausschluss eines Teils des Wahlvolks von der Wahl gleich, schmälere die legitimationsstiftende Wirkung der Wahl und unterminiere das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in den demokratischen Prozess. Einschränkungen seien jedenfalls rechtfertigungsbedürftig und dürften nicht übermäßig schwer sein. Der Schweregrad einer Einschränkung bestimme sich primär nach seinen quantitativen Auswirkungen auf die Gleichheit der Mandatsverschaffungsmacht der Stimmen. Aufgrund ihrer Höhe könnten Sperrklauseln dazu führen, dass Stimmen für Parteien, die nicht unbedeutende Stimmenanteile für sich hätten gewinnen können, nicht bei der Mandatsverteilung berücksichtigt würden. Sperrklauseln könnten aber auch bei moderater Höhe in die Breite wirken und dazu führen, dass eine relativ hohe Anzahl an Stimmen im Parlament nicht repräsentiert sei. Bereits eine sehr niedrige Sperrklausel könne eine erhebliche Zahl der Wählerstimmen ineffektiv machen. ![]() | |
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(2) Nach diesen Maßstäben sei eine Sperrklausel von wenigstens zwei Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen bei Wahlen zum Europäischen Parlament nicht verfassungsgemäß. Wahlrechtliche Sperrklauseln schränkten die demokratische Gleichheit ein und führten zu einem unterschiedlichen Erfolgswert der Stimmen. Ihnen komme eine delegitimierende Wirkung zu, die die Repräsentationsfunktion des Parlaments beeinträchtige. Neben dem Effekt, dass Stimmen bei der Mandatsverteilung nicht berück ![]() ![]() | |
Im Übrigen sei die Sperrklausel auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gerechtfertigt. Es sei im gesamten Rechtsetzungsverfahren kein nachvollziehbarer Grund genannt oder ersichtlich geworden, weshalb eine Sperrklausel eingeführt werden solle. Der Ablauf des Rechtsetzungsverfahrens auf europäischer Ebene und die Stellungnahme zahlreicher Akteure zeigten vielmehr, dass die Änderung des Direktwahlakts, die sich hinsichtlich der Sperrklausel faktisch im Wesentlichen nur auf die Bundesrepublik Deutschland auswirke, allein durch die Absicht motiviert sei, kleinere Parteien von der Mandatsvergabe auszuschließen. Im Deutschen Bundestag sei lediglich pauschal auf die Funktionsfähigkeit des Parlaments und eine drohende Zersplitterung verwiesen worden. Die Organe der Europäischen Union hätten im Rechtsetzungsverfahren auf faktische Sperrklauseln in Mitgliedstaaten mit weniger als 35 Abgeordneten von etwa zwei Prozent abgestellt. Darüber hinaus sei angeführt worden, dass ![]() ![]() | |
bb) Das Zustimmungsgesetz verstoße auch gegen den Subsidiaritätsgrundsatz; die unionsrechtliche Regelung einer Sperrklausel sei nicht erforderlich. Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG stelle schon die – vorliegend einschlägige – Übertragung von Hoheitsrechten unter den Vorbehalt der Subsidiarität. Hiergegen verstoße das Zustimmungsgesetz. Betroffen von der Regelung der Mindestsperrklausel seien nur Spanien und Deutschland, hypothetisch auch Frankreich und Italien. Schon wegen der Beschränkung auf diese geringe Zahl von Mitgliedstaaten sei nicht erkennbar, weshalb eine europaweit einheitliche Regelung erforderlich sei. Der Umstand, dass eine Spanne von zwei bis fünf Prozent und damit weitere Differenzierungen möglich seien, verschärfe dieses Problem. Da der Subsidiaritätsgrundsatz auch bei der Ausübung übertragener Kompetenzen zu beachten sei, stehe zudem fest, dass die Union mit der Einführung einer obligatorischen Sperrklausel im Direktwahlakt 2018 ihre Kompetenzen überschritten habe. Auch hierdurch würden die Rechte der Antragstellerin und des Beschwerdeführers verletzt. ![]() | |
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III.
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Der Senat hat die Verfassungsbeschwerdeschrift und die Antragsschrift im Organstreitverfahren sowie die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung dem Bundespräsidenten, dem Bundesrat, dem Deutschen Bundestag, der Bundesregierung und allen Landesregierungen zugestellt und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Hiervon Gebrauch gemacht haben der Deutsche Bundestag (1.) und die Bundesregierung (2.).
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1. Der Deutsche Bundestag beantragt, den Antrag im Organstreitverfahren beziehungsweise die Verfassungsbeschwerde nach § 24 Satz 1 BVerfGG in der Hauptsache zu verwerfen und festzustellen, dass sich die Eilanträge damit erledigt hätten.
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a) Zum Rechtsetzungsverfahren auf der Ebene der Europäischen Union führt der Deutsche Bundestag aus, dass sich die Reform des Direktwahlakts nicht auf die Einführung einer Mindestsperrklausel beschränke. Bezweckt werde nach dem Vorschlag des Europäischen Parlaments vom 11. November 2015 die Vereinheitlichung des Wahlverfahrens und die Stärkung des demokratischen und länderübergreifenden Aspekts der Wahl, um somit die demokratische Legitimation des Entscheidungsprozesses der Union zu stärken. Zur Vereinheitlichung der Sperrklauseln habe das Parlament erklärt, dass die tatsächliche Schwelle für die Mandatsvergabe in kleineren Mitgliedstaaten und in den Mitgliedstaaten, die ihr Wahlgebiet in Wahlkreise unterteilt hätten, auch dann mehr als drei Prozent betrage, wenn im Wahlrecht keine Sperrklausel vorgesehen sei. Zudem habe es die Erwägung geäußert, dass die Einführung einer verbindlichen Mindestschwelle für die Mandatsvergabe traditionell als rechtmäßige Methode anerkannt werde, die ordnungsgemäße Arbeitsweise von Parla ![]() ![]() | |
b) Der Antrag in der Hauptsache im Organstreitverfahren sei unzulässig.
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aa) Die Antragstellerin habe die Möglichkeit eines Subsidiaritätsverstoßes nicht substantiiert dargelegt. Die vonseiten der Antragstellerin behauptete Gebundenheit an die Subsidiaritätsregel bestehe nicht, soweit die Mitgliedstaaten die demokratischen und institutionellen Grundlagen der Union ausbauten. Die Europäische Union verfüge über einen institutionellen Rahmen, dessen Gestaltung und Weiterentwicklung in strikter Übereinstimmung mit dem Integrationsprogramm das Subsidiaritätsprinzip nicht berühre. Die Subsidiaritätsnorm beziehe sich inhaltlich auf die Wahrnehmung begründeter Kompetenzen, nicht auf Kreation, Legitimation und Formation der wahrnehmungsberechtigten Unionsorgane. Dieser allgemeine Befund habe auch Geltung für das Europäische Parlament und sein Organisationsrecht. Art. 223 Abs. 1 AEUV bestätige die eigenständige Konzeption der Organisationsgewalt und ihre Ausrichtung auf Harmonisierung. Das Vereinheitlichungsmandat sei seit Art. 138 EWGV und Art. 138 EGV Maastricht als Gesetzgebungsauftrag auf dem im Primärrecht angelegten Weg der Emanzipation und Defragmentierung konzipiert. Ein Subsidiaritätsverdikt gegen die primärrechtlich ermöglichte und politisch konsentierte Harmonisierung stünde ![]() ![]() | |
bb) Auch die Identitätsrüge genüge nicht den prozessualen Begründungsanforderungen. Diesbezüglich bestünden besondere Substantiierungslasten. Es werde nicht erörtert, ob und inwieweit der deutsche Integrationsgesetzgeber als europäischer Akteur den Maßstäben verpflichtet sein könne, die für die innerstaatliche Rechtserzeugung Geltung hätten. Die Rückverweise auf die innerstaatlichen Maßstäbe für staatliche Wahlgesetzgebung könnten nichts zur Substantiierung beitragen. Der streitbefangene Zustimmungsakt sei ein Mitwirkungsakt der suprastaatlichen Integration. Das Integrationsverfassungsrecht der Mitwirkung (Art. 23 GG) und interne Anforderungen aus Art. 21 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 79 Abs. 3 GG seien nicht identisch. Die Kontrollvorbehalte der negativen Integrationsverantwortung seien Ultima-ratio-Instrumente, die an die Prinzipien der Zurückhaltung und Europarechtsfreundlichkeit gebunden seien. Es hätte Stellung genommen werden müssen zu einer Mitwirkungs- und Kontrolldogmatik, die dem Gestaltungsauftrag des Art. 23 GG gerecht werde. Die unionsrechtliche Wahlrechtsgleichheit und der grundrechtliche Kontrollvorbehalt würden nicht erörtert.
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Nicht erläutert werde auch der Status der Subsidiaritätsrüge. Die Verknüpfung mit Art. 79 Abs. 3 GG lege nahe, dass zugleich eine Identitätsverletzung behauptet werde. Dann sei aber zu klären, inwieweit sich die Maßstäbe der Ultra-vires-Kontrolle auf die Identitätskontrolle auswirkten. Es genüge nicht, darauf ![]() ![]() | |
c) Hilfsweise werde darauf hingewiesen, dass der Antrag unbegründet sei. Die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an der Änderung des Direktwahlakts bewirke keine Inhaltsänderung des Grundgesetzes, wohl aber einen "Anwendbarkeitsverlust" im Zuge der Verlagerung maßstäblicher Herrschaft. Soweit das Unionsrecht eine Materie vollständig determiniere, seien allein die Unionsgrundrechte maßgeblich. Das Grundgesetz fordere Ermächtigungsgrundlagen, die das Handeln der Union legitimierten. Hierauf stütze sich der Ultra-vires-Kontrollvorbehalt. Nach der Vergemeinschaftung erwarte das Grundgesetz einen im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz und für alle Phasen sowohl der mitgliedstaatlichen Mitwirkung wie auch der Vertragsanwendung, dass Integrationspolitik und Unionsgewalt die Rechtsgüter des Art. 79 Abs. 3 GG schützten. Nach diesen Maßstäben könne die Antragstellerin mit ihrem Begehren nicht durchdringen.
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aa) Die Union könne sich mit Art. 223 Abs. 1 AEUV auf eine Rechtsgrundlage berufen, deren Programm gerade die Europäisierung des Wahlrechts sei. Eine Verletzung dieses Programms durch den Direktwahlakt 2018 sei nicht erkennbar.
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bb) Auf Unionsebene sei ein äquivalenter Schutz der Wahlrechtsgleichheit gewährleistet. Dieses Recht sei unionsprimärrechtlich anerkannt. Eingriffe stünden unter Rechtfertigungsdruck. Die Zwei-Prozent-Sperrklausel sei ein Eingriff in die unionsprimärrechtlich gewährleistete Wahlrechtsgleichheit und zugleich ein Eingriff in die Parteiengleichheit. Dass die Festlegung einer Mindestschwelle bei zwei Prozent das legislative Gestaltungs-, ![]() ![]() | |
cc) Auch die Identitätsrüge dringe nicht durch. Es genüge nicht, Standards des Grundgesetzes im Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG zu verankern und dann zu transferieren. Erforderlich sei es, Rücksicht zu nehmen auf die Organisationsverfassung der Union. Auch die Offenheit des Grundgesetzes für suprastaatliche Einrichtungen und deren Verfasstheit sei Teil der deutschen Verfassungsidentität. Die grundrechtskonforme Mitwirkung an der Änderung des Direktwahlakts 2018 widerspreche nicht, sondern entspreche dem Auftrag, die demokratischen Grundlagen der Union schrittweise auszubauen. Identität im Sinne des Art. 79 Abs. 3 GG markiere die unverrückbare Bastion an der Außengrenze politischer Gestaltungsfreiheit. Dass die Mitwirkung an einem Vergemeinschaftungsschritt mit Einführung einer Sperrklausel bei gleichzeitiger Festlegung einer absoluten Obergrenze von fünf Prozent das Demokratieprinzip im unverfügbaren Kern oder den Menschenwürdekern des Wahlrechts verletze, sei weder dargetan noch ersichtlich.
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d) Zu dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Organstreitverfahren trägt der Deutsche Bundestag vor, dieser sei im Falle einer Verwerfung des Hauptantrages gegenstandslos. Im Übrigen sei er wegen mangelnder Substantiierung unzulässig und auch unbegründet.
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e) Im Hinblick auf das Verfassungsbeschwerdeverfahren führt der Deutsche Bundestag aus, der Beschwerdeführer sei nicht beschwerdebefugt. Es werde nicht deutlich, ob er den Integrationsgesetzgeber an die Grundrechte des Grundgesetzes gebunden sehe oder ob er eine Verletzung des Integrationsverfassungsrechts ![]() ![]() | |
2. Die Bundesregierung führt aus, die Anträge im Organstreit- und im Verfassungsbeschwerdeverfahren seien unzulässig, jedenfalls unbegründet. Soweit die Prüfung ergebe, dass wegen Unzulässigkeit und offenkundiger Unbegründetheit keine Erfolgsaussichten bestünden, komme eine Entscheidung nach § 24 BVerfGG in Betracht. Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung würden sich damit erledigen.
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a) Die Vereinheitlichung des europäischen Wahlrechts sei als Integrationsauftrag in Art. 223 AEUV angelegt und andauernde Forderung des Europäischen Parlaments. Auf europäischer Ebene habe ein ordnungsgemäßes Gesetzgebungsverfahren stattgefunden. Die Einigung im Rat, die 2018 erzielt worden sei, enthalte nicht nur eine Regelung zur Sperrklausel, sondern auch Bestimmungen zur Vermeidung der doppelten Stimmabgabe, zur Briefwahl und elektronischen Stimmabgabe sowie zu weiteren Materien des Wahlrechts.
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Das europäische Wahlrecht sei noch immer nur in Teilen durch zwingende europarechtliche Vorgaben determiniert, jedoch grundsätzlich auf eine zunehmende Wahlrechtsvereinheitlichung auf Unionsebene angelegt. Insoweit sei dem Unionsrecht ein dynamisches Integrationsprogramm zur Europäisierung des Wahlrechts zu entnehmen. Das Verfahren zur Verabschiedung einheitlicher Bestimmungen für das europäische Wahlrecht sei mehrstufig angelegt; sämtliche Mitgliedstaaten müssten einer Änderung zustimmen. Insofern sei noch nicht absehbar, ob die Verpflichtung zur Einführung einer Sperrklausel schon für die Europawahl 2029 oder erst für die im Jahr 2034 stattfindende Wahl gelten werde. ![]() | |
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c) Die Anträge im Organstreit- und Verfassungsbeschwerdeverfahren seien bereits unzulässig. Es fehle schon an einer gegenwärtigen und unmittelbaren Beschwer; weiter fehle es an der Antragsbefugnis und dem Rechtsschutzbedürfnis. Der Beschluss zur Änderung des Direktwahlakts sei noch nicht in Kraft getreten und das deutsche Zustimmungsgesetz ändere daran nichts, weil die Zustimmung weiterer Mitgliedstaaten noch ausstehe. Zudem bestehe je nach dem Zeitpunkt des noch offenen Inkrafttretens des Änderungsbeschlusses 2018/994 eine Pflicht zur Einführung einer Sperrklausel erst für die Europawahl 2029 oder gar 2034.
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Darüber hinaus fehle es an einer unmittelbaren Beschwer. Denn der Beschluss zum Direktwahlakt 2018 sei nicht unmittelbar anwendbar, sondern bedürfe der Umsetzung in nationales Recht. Erst durch das deutsche Europawahlgesetz, das die Änderung umsetze, seien Antragstellerin und Beschwerdeführer unmittelbar beschwert. Dem nationalen Gesetzgeber verbleibe im Hinblick auf die Einführung einer Sperrklausel ein weiter Gestaltungsspielraum. Welchen konkreten Rahmenbedingungen sich der deutsche Europawahlgesetzgeber gegenübersehe, könne noch nicht sicher prognostiziert werden.
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d) Die vorgetragenen Subsidiaritätseinwände seien nicht substantiiert dargelegt. Subsidiarität im Sinne des Art. 5 Abs. 3 EUV sei als Prinzip und Grenze der Ausübung der Kompetenzen der Union aufzufassen. Antragstellerin und Beschwerdeführer ![]() ![]() | |
Höchst vorsorglich sei darauf hinzuweisen, dass die Sperrklauselregelung im Direktwahlakt 2018 unter dem Aspekt der Kompetenzausübungsschranke des Art. 5 Abs. 3 EUV keinen Bedenken begegne. Es erscheine bereits sehr fraglich, ob der Anwendungsbereich dieser Norm überhaupt eröffnet sei. Jedenfalls aber gebe es keine durchgreifenden Einwände. Der Juristische Dienst des Rates gehe im Ergebnis davon aus, dass Art. 223 AEUV seiner Entstehungsgeschichte nach eine geteilte Zuständigkeit statuiere, deren Ausübung an die Einhaltung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit geknüpft sei. Genau betrachtet gehe die Frage nach der Subsidiarität allerdings ins Leere, weil die Errichtung und Ausgestaltung von europäischen Einrichtungen und Organen der Kompetenzfrage vorgelagert seien. Die Frage, ob ein Europäisches Parlament und das Kreationsverfahren zur Errichtung dieses Organs nicht ausreichend auf mitgliedstaatlicher Ebene und besser auf unionaler Ebene geregelt werden könnten, sei nicht sinnvoll. Zudem treffe die Annahme der Antragstellerin und des Beschwerdeführers, die Sperrklauselregelung sei nur auf zwei Mitgliedstaaten anwendbar, nicht zu. Neben Deutschland und Spanien wählten auch Italien, Frankreich und Polen mehr als 35 Abgeordnete. Prinzipiell gelte die Sperrklauselregelung auch für diese Länder.
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e) Nicht substantiiert sei auch der Vortrag zu Verfahrensfehlern im Gesetzgebungsverfahren. Die deutsche Sprachfassung des Direktwahlakts 2018 sei nachträglich korrigiert und die korrigierte Fassung dem weiteren Gesetzgebungsverfahren zugrunde ![]() ![]() | |
f) Jedenfalls seien die Anträge unbegründet. Durch das Tätigwerden des Europäischen Gesetzgebers hätten sich die rechtlichen Verhältnisse maßgeblich geändert. Es seien nun andere Maßstäbe der nationalen verfassungsgerichtlichen Überprüfung als 2011 und 2014 einschlägig. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Leitplanken ergäben sich vorliegend aus dem Aspekt der Integrationsverantwortung und der Einhaltung des Integrationsprogramms. Hier erkenne das Bundesverfassungsgericht einen weiten Spielraum an. Die mitgliedstaatliche Zustimmung zum Direktwahlakt 2018 richte sich in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Integrationsverantwortungsgesetz (IntVG). Den Verfassungsorganen sei es dabei verwehrt, am Zustandekommen und an der Umsetzung von Sekundärrecht mitzuwirken, das die Grenzen des Integrationsprogramms überschreite. Auch seien die Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG zu beachten.
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Ein Ultra-vires-Akt liege nicht vor. Die Europäisierung des Wahlrechts zum Europäischen Parlament sei seit dem Jahr 1957 Teil des Integrationsprogramms. Die verfahrensmäßige Ausgestaltung sei mit Art. 223 AEUV bereits vorgezeichnet. Der Direktwahlakt 2018 halte sich innerhalb der Grenzen des in dieser Vorschrift angelegten Integrationsprogramms.
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Für die verfassungsgerichtliche Prüfdichte im Hinblick auf das "Wie" der Weiterentwicklung des Europawahlrechts komme es auf die europaweite Verbindlichkeit der unionsweiten Vorgaben an. In seiner Entscheidung zur Sperrklausel aus dem Jahr 2014 sei das Bundesverfassungsgericht davon ausgegangen, dass im Fall verbindlicher europarechtlicher Vorgaben nur eine eingeschränkte verfassungsgerichtliche Prüfung erfolge. Soweit der europäische Gesetzgeber unionsweit verbindliche Vorgaben mache, seien diese vorrangig an den Gewährleistungen des Primärrechts zu messen. Wegen des Vorrangs des Unionsrechts komme dann allenfalls noch eine weit zurückgenommene Reservekontrolle auf mitgliedstaatlicher Ebene in Betracht. ![]() | |
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Die wahlrechtsbezogenen Grundsätze des Unionsrechts seien auch als den Garantien des Grundgesetzes im Wesentlichen vergleichbar anzusehen. Art. 39 GRCh enthalte zwar keine ausdrückliche Verbürgung der Wahlrechtsgleichheit. Ein allgemeiner Gleichheitssatz finde sich indessen in Art. 20 GRCh. Gleichheitsgehalte würden auch in Art. 20 Abs. 2 Buchstabe b AEUV abgesichert. In allgemeiner Form seien solche Garantien in Art. 9 Abs. 1 EUV normiert.
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Die Verfassungsidentität des Grundgesetzes sei nicht berührt. Die Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 GG dürften in ihrem Kern dem Schutz des Art. 79 Abs. 3 GG unterfallen. Differenzierungen bei der Wahlrechtsgleichheit, die evident unzulässig seien, enthalte der Direktwahlakt 2018 nicht. Offensichtliche Verfahrens- oder Begründungsdefizite seien nicht erkennbar. Es sei nicht zu beanstanden, dass die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments als Begründung für die Sperrklausel herangezogen worden sei. ![]() | |
Der Deutsche Bundestag hat mit Schriftsatz vom 25. September 2023 den Beitritt zum Verfassungsbeschwerdeverfahren erklärt. Antragstellerin und Beschwerdeführer haben mit übereinstimmenden Schreiben vom 6. Dezember 2023 auf die Stellungnahmen von Deutschem Bundestag und Bundesregierung repliziert und halten an ihrem bisherigen Vortrag, den sie vertiefen, fest.
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V.
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Der Bundespräsident hat – der ständigen Staatspraxis entsprechend (vgl. BVerfGE 123, 267 [304]; 132, 195 [195 ff. Rn. 1 ff.]; 153, 74 [131 Rn. 90] – Einheitliches Patentgericht; 158, 210 [227 Rn. 44] – Einheitliches Patentgericht II – eA; 163, 165 [210 Rn. 73] – ESM-ÄndÜG, m.w.N.) – auf Bitte des Senats vom 7. Juli 2023 die Ausfertigung des Zustimmungsgesetzes zum Direktwahlakt 2018 bis zur Entscheidung über die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ausgesetzt.
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Der Beitritt des Deutschen Bundestages zum Verfassungsbeschwerdeverfahren ist zulässig (§ 94 Abs. 5 Satz 1 BVerfGG).
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Der Antrag im Organstreitverfahren und die Verfassungsbeschwerde werden verworfen. Sie sind unzulässig. Die gesetzliche Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland zum Direktwahlakt 2018 ist ein tauglicher Verfahrensgegenstand und kann grundsätzlich mit der Organklage und der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden (I.). Der Antrags- beziehungsweise Beschwerdebefugnis steht nicht entgegen, dass die hier angegriffene Vorgabe des Art. 3 Abs. 2 Direktwahlakt 2018 in nationales Recht umgesetzt werden muss (II.). Der Antrag im Organstreitverfahren und die Verfassungsbeschwerde bleiben jedoch erfolglos, da die Antragstellerin und der Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Verletzung der jeweils geltend gemachten verfassungsmäßigen Rechte nicht hinreichend substantiiert dargelegt haben (III.). ![]() | |
1. Bei dem Gesetz zur Zustimmung zum Direktwahlakt 2018 handelt es sich um ein Gesetz nach Art. 23 Abs. 1 GG, § 3 Abs. 1 und 2 IntVG. Ein solches kann, wie ein Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag (vgl. BVerfGE 1, 396 [410]; 6, 290 [294 f.]; 15, 337 [348]; 16, 220 [226]; 24, 33 [53]; 40, 141 [156]; 84, 90 [113]; 89, 155 [171 ff.]; 123, 148 [170]; 153, 74 [131 Rn. 93]), als Akt der öffentlichen Gewalt mit der Verfassungsbeschwerde angefochten werden (vgl. BVerfGE 89, 155 [171 ff.]; 112, 363 [366 f.]; 123, 267 [329]; 135, 317 [384 f. Rn. 122]; 163, 165 [211 Rn. 77]; 164, 193 [272 Rn. 104] – ERatG – NGEU). Ebenso kann der Beschluss über ein Zustimmungsgesetz (vgl. BVerfGE 1, 208 [220]; 4, 144 [148]; 82, 322 [335]; 92, 80 [87]; 102, 224 [234]; 103, 164 [169]) eine rechtserhebliche Maßnahme im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG darstellen und Gegenstand eines Organstreitverfahrens sein (vgl. Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge,BVerfGG, § 64 Rn. 34 f. [Jan. 2017]).
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2. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen ausnahmsweise (vgl. zum Grundsatz BVerfGE 11, 339 [342]; 112, 363 [367]; 131, 47 [52]) bereits vor ihrem Inkrafttreten tauglicher Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein können, wenn das Gesetzgebungsverfahren mit Ausnahme der Ausfertigung und Verkündung durch den Bundespräsidenten abgeschlossen ist und der Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung geltend machen kann (vgl. BVerfGE 1, 396 [413]; 24, 33 [53 f.]; 112, 363 [366 f.]; 123, 267 [329]; 131, 47 [52 f.]; 153, 74 [132 Rn. 94]; 157, 332 [378 Rn. 76] – ERatG – eA; 163, 165 [211 Rn. 78]). Dies gilt auch für den Fall, dass, wie vorliegend, in einem Organstreitverfahren die Verletzung organschaftlicher Rechte durch den Beschluss über das Zustimmungsgesetz gerügt wird. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass völkerrechtliche Verpflichtungen für die Bundesrepublik Deutschland begründet würden, die diese nur unter Verstoß gegen ihre Verfassung erfüllen könnte (vgl. BVerfGE 1, 396 [413]; 153, 74 [132 Rn. 94]; 157, 332 [378 Rn. 76]; 163, 165 [211 Rn. 78]). ![]() | |
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II.
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Die für die Antrags- beziehungsweise Beschwerdebefugnis erforderliche unmittelbare Rechtsbetroffenheit (vgl. § 64 Abs. 1, § 90 Abs. 1 BVerfGG) liegt im hier gegebenen Fall des vorbeugenden Rechtsschutzes vor. Mit dem Inkrafttreten des Direktwahlakts 2018 entsteht für die Bundesrepublik Deutschland die Verpflichtung, für Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments eine Sperrklausel von nicht weniger als zwei Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen (vgl. Art. 3 Abs. 2 Direktwahlakt 2018) in ihr nationales Recht einzuführen. Die Umsetzung dieser Verpflichtung stellt sich als Erfüllung einer zwingenden unionsrechtlichen Vorgabe dar, der sich die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer ![]() ![]() | |
Die unmittelbare Betroffenheit von Antragstellerin und Beschwerdeführer entfällt auch nicht deswegen, weil der Gesetzgeber, etwa durch Unterteilung des deutschen Wahlgebietes in mehrere Wahlkreise, der unionsrechtlichen Verpflichtung aus Art. 3 Abs. 2 Direktwahlakt 2018 entgehen könnte. Weder ist erkennbar, dass der Gesetzgeber derartige Absichten verfolgt, noch könnten Antragstellerin und Beschwerdeführer darauf verwiesen werden, das weitere Verhalten des Gesetzgebers abzuwarten. Ausgangspunkt der Beurteilung ist allein die aktuelle Rechtslage, die der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung auch beizubehalten wünscht und die Grundlage für die entstehende unionsrechtliche Verpflichtung zur Einführung der Sperrklausel im Umfang von mindestens zwei Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen ist.
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Die Unmittelbarkeit der Rechtsbetroffenheit wird schließlich nicht dadurch infrage gestellt, dass der konkrete Zeitpunkt des Inkrafttretens des Direktwahlakts 2018 noch offen und es dementsprechend unklar ist, ob die Verpflichtung zur Einführung einer Sperrklausel von nicht weniger als zwei Prozent der abgegebenen ![]() ![]() | |
III.
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1. Antragsteller im Organstreitverfahren (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2, § 64 Abs. 2 BVerfGG) und Beschwerdeführer im Verfassungsbeschwerdeverfahren (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2, § 9 BVerfGG) haben darzulegen, mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidiert. Auf der Grundlage ihrer Ausführungen muss die behauptete Rechtsverletzung nach dem vorgetragenen Sachverhalt möglich erscheinen. Liegt zu den aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen bereits Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor, ist der behauptete Verstoß gegen die geltend gemachten Rechte in Auseinandersetzung mit den darin entwickelten Maßstäben zu begründen (vgl. für das Organstreitverfahren BVerfGE 24, 252 [258 f.]; 80, 188 [209]; 93, 195 [203]; 94, 351 [362 f.]; 99, 19 [28]; 102, 224 [231 f.]; 129, 356 [365]; 151, 191 [199 Rn. 22] – Bundesverfassungsrichterwahl II; stRspr; für das Verfassungsbeschwerdeverfahren BVerfGE 78, 320 [329]; 99, 84 [87]; 115, 166 [179 f.]; stRspr). Werden im Rahmen eines Organstreit- oder Verfassungsbeschwerdeverfahrens – wie vorliegend – Ultra-vires- oder Identitätsrügen erhoben, obliegt es dem Antragsteller beziehungsweise dem Beschwerdeführer, am Maßstab der verfassungsgerichtlichen Kontrollvorbehalte substantiiert darzulegen, inwieweit der angegriffene Rechtsakt das Integrationsprogramm des Art. 23 Abs. 1 GG durch Überschreitung der Kompetenzen der Union oder durch Preisgabe der integrationsfesten Verfassungsidentität des Grundgesetzes verletzt.
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2. Nach diesen Maßstäben fehlen der Antragstellerin und dem Beschwerdeführer die Antrags- beziehungsweise die Beschwerde ![]() ![]() | |
Bei dem Zustimmungsgesetz handelt es sich um die Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an einem Rechtsakt der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 und 2 IntVG (a), der einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung nach Maßgabe der im Rahmen des Art. 23 Abs. 1 GG anerkannten Vorbehalte der Ultra-vires- und der Identitätskontrolle unterliegt (b). Insoweit zeigen Antragstellerin und Beschwerdeführer nicht hinreichend substantiiert die Möglichkeit auf, dass das Zustimmungsgesetz einem Ultra-vires-Akt zur Wirksamkeit verhilft (c) (aa) oder die integrationsfeste Verfassungsidentität des Grundgesetzes verletzt (c) (bb). Soweit sie geltend machen, das Zustimmungsgesetz sei insgesamt formell verfassungswidrig, ist ihr Vortrag ebenfalls unsubstantiiert (d).
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a) aa) Gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG wirkt die Bundesrepublik Deutschland an der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ![]() ![]() | |
Grenzen für die Öffnung deutscher Staatlichkeit ergeben sich insbesondere aus der in Art. 79 Abs. 3 GG niedergelegten Verfassungsidentität des Grundgesetzes (vgl. Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG). Nur bei Wahrung der änderungs- und integrationsfesten Identität der Verfassung ist die Geltung und Anwendung von Unionsrecht in Deutschland demokratisch legitimiert (vgl. BVerfGE 142, 123 [187 f. Rn. 120]; 160, 208 [274 Rn. 172] – CETA – Vorläufige Anwendung). Darüber hinaus dürfen sich deutsche Staatsorgane am Zustandekommen von Maßnahmen der Europäischen Union, die als Ultra-vires-Akte zu qualifizieren sind, weil sie die Kompetenzen der Union offenkundig überschreiten und zu einer strukturellen Verschiebung im Kompetenzgefüge führen (vgl. BVerfGE 142, 123 [200 Rn. 147]; 154, 17 [85 Rn. 99, 90 Rn. 110] – PSPP-Programm der EZB), nicht beteiligen und an ihrer Umsetzung, Vollziehung oder Operationalisierung nicht mitwirken (vgl. BVerfGE 89, 155 [188]; 126, 286 [302 ff.]; 134, 366 [387 f. Rn. 30]; 140, 317 [336 Rn. 42]; 142, 123 [207 Rn. 162]; 154, 17 [151 Rn. 234]; 160, 208 [274 Rn. 173]; 164, 193 [280 f. Rn. 122]).
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bb) Das Zustimmungsgesetz zum Direktwahlakt 2018 unterfällt als Gesetz nach § 3 Abs. 1 und 2 IntVG dem Anwendungsbereich des Art. 23 Abs. 1 GG. Mit ihm stimmt die Bundesrepublik Deutschland einem Rechtsakt der Europäischen Union nach Art. 223 Abs. 1 AEUV zu und trägt damit zur Verwirklichung des Integrationsprogramms im Sinne einer weiteren Vereinheitlichung des Wahlverfahrens zum Europäischen Parlament bei (vgl. zur strukturgleichen Vorschrift des Art. 311 Abs. 3 AEUV BVerfGE 164, 193 [275 Rn. 112]). Mit der gesetzlichen Zustim ![]() ![]() | |
b) aa) Das Bundesverfassungsgericht prüft die Einhaltung des im Zustimmungsgesetz zu den europäischen Verträgen niedergelegten Integrationsprogramms im Rahmen der Ultra-vires-Kontrolle (vgl. BVerfGE 151, 202 [296 Rn. 140] – Europäische Bankenunion; 154, 17 [88 ff. Rn. 105 ff.]; 164, 193 [283 Rn. 128]). Es trägt so zur Sicherstellung eines hinreichenden demokratischen Legitimationsniveaus bei dessen Vollzug und damit der Rahmenbedingungen für das Unionsrecht und seines Anwendungsvorrangs (vgl. BVerfGE 142, 123 [199 Rn. 145]; 158, 210 [239 ff. Rn. 73 f.]) sowie zur Gewährleistung des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit bei.
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Die Ultra-vires-Kontrolle setzt eine hinreichend qualifizierte Kompetenzüberschreitung voraus, weil nur dann davon die Rede sein kann, dass die Bürgerinnen und Bürger in Ansehung einer Maßnahme von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union einer politischen Gewalt unterworfen werden, der sie nicht ausweichen können und die sie nicht prinzipiell personell und sachlich zu gleichem Anteil in Freiheit zu bestimmen vermögen (vgl. BVerfGE 142, 123 [200 Rn. 147]; 154, 17 [85 Rn. 99, 90 Rn. 110]). Damit wird zugleich die Aufgabenzuweisung an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV gewahrt (vgl. BVerfGE 126, 286 [307]; 142, 123 [200 f. Rn. 149]; 154, 17 [92 Rn. 112]). Eine qualifizierte Kompetenzüberschreitung muss offensichtlich und für die Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten von struktureller Bedeutung sein (vgl. BVerfGE 154, 17 [90 Rn. 110]; 164, 193 [283 f. Rn. 129]).
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bb) Im Rahmen der Identitätskontrolle wacht das Bundesverfassungsgericht über die Wahrung der nach Art. 1, 20 und Art. 79 Abs. 3 GG geschützten und integrationsfesten Verfassungsidentität des Grundgesetzes. Soweit Maßnahmen eines Organs oder einer ![]() ![]() | |
cc) Die dem Bundesverfassungsgericht vorbehaltenen Kontrollbefugnisse sind zurückhaltend und europarechtsfreundlich auszuüben (vgl. BVerfGE 126, 286 [303]). Soweit erforderlich, legt es seiner Prüfung dabei die Maßnahme in der Auslegung zugrunde, die ihr in einem Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV durch den Gerichtshof der Europäischen ![]() ![]() | |
c) Die Antragstellerin und der Beschwerdeführer rügen eine Verletzung ihrer in Art. 21 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG verankerten Rechte auf Chancengleichheit der politischen Parteien und auf Gleichheit der Wahl. Im Ausgangspunkt zutreffend gehen sie davon aus, dass gesetzliche Regelungen, die Sperrklauseln für Wahlen zum Europäischen Parlament vorsehen, die Grundsätze der Chancengleichheit der politischen Parteien und der Wahlrechtsgleichheit beschränken und einer Rechtfertigung etwa im Hinblick auf die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments bedürfen (vgl. BVerfGE 129, 300 [319 ff.]; 135, 259 [285 ff. Rn. 49 ff.]). Sie zeigen indes nicht die Möglichkeit auf, dass der mit dem Zustimmungsgesetz gebilligte Direktwahlakt 2018 das Kompetenzgefüge der Europäischen Union in hinreichend qualifizierter Weise verletzt (aa) oder die änderungs- und integrationsfeste Verfassungsidentität des Grundgesetzes berührt (bb) und daher die mit der Einführung einer Mindestsperrklausel verbundene Beeinträchtigung der von ihnen geltend gemachten Rechte aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu tragen vermag.
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aa) Aufgrund des Vortrags der Antragstellerin und des Beschwerdeführers ist eine Verletzung der Regeln der Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten bereits im Ansatz nicht erkennbar.
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(1) Soweit die Antragstellerin und der Beschwerdeführer anführen, die Änderung des Direktwahlakts stelle eine Übertragung von Hoheitsrechten dar, der der Subsidiaritätsgrundsatz des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG von vornherein entgegenstehe, verkennen sie, dass durch die Änderung des Direktwahlakts keine Hoheitsrechte übertragen werden. Vielmehr beruht der Direktwahlakt 2018 auf der in Art. 223 Abs. 1 AEUV verankerten Kompetenz der Europäischen Union zur Vereinheitlichung des Wahlverfahrens zum Europäischen Parlament (vgl. zum strukturell vergleichbaren Fall der Zustimmung zur Festlegung der Eigenmittel der Europäischen Union nach Art. 311 Abs. 3 AEUV BVerfGE 157, 332 [378 f. ![]() ![]() | |
(2) Inwieweit der Subsidiaritätsgrundsatz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 EUV der Ausübung der Kompetenzen aus Art. 223 Abs. 1 AEUV Grenzen setzen kann, legen Antragstellerin und Beschwerdeführer ebenfalls nicht nachvollziehbar dar.
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(a) Der Subsidiaritätsgrundsatz gilt für die Ausübung der zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten geteilten Zuständigkeiten im Sinne der Art. 2 Abs. 2, Art. 4 AEUV. Ob die Kompetenz zum Erlass einheitlicher Bestimmungen für das Wahlrecht zum Europäischen Parlament als eine solche geteilte Zuständigkeit im Sinne dieser Vorschriften einzuordnen ist, ist nicht abschließend geklärt. In seiner Entschließung vom 11. November 2015 vertrat das Europäische Parlament ohne nähere Begründung die Auffassung, dass der Subsidiaritätsgrundsatz im Rahmen des Art. 223 AEUV Anwendung finde (vgl. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 11. November 2015 – 2015/2035 [INL] –, ABl EU Nr. C 366 vom 27. Oktober 2017, S. 8). Der Juristische Dienst des Rates der Europäischen Union schloss sich dieser Auffassung in seinem Gutachten vom 15. März 2016 an (vgl. Juristischer Dienst des Rates, Gutachten vom 15. März 2016, Ratsdokument 7038/16, S. 6). Die Kompetenz zur Regelung des Wahlrechts sei eine zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit. Dabei stützte er sich auf das Argument, die Entstehungsgeschichte der Vorschrift des Art. 223 AEUV zeige, dass beabsichtigt gewesen sei, den Mitgliedstaaten weitreichenden Einfluss und verbleibende Gestaltungsspielräume zu sichern, sodass nicht von einer ausschließlichen Zuständigkeit der Europäischen Union ausgegangen werden könne (vgl. Juristischer Dienst des Rates, Gutachten vom 15. März 2016, Ratsdokument 7038/16, S. 5).
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(b) Letztlich kann die Frage der Einordnung der Regelungskompetenz aus Art. 223 AEUV dahinstehen. Denn die Norm zielt erkennbar darauf ab, eine Vereinheitlichung des Wahlrechts zum Europäischen Parlament zu ermöglichen. Art. 223 AEUV ![]() ![]() | |
(c) Etwas Anderes folgt auch nicht aus dem von der Antragstellerin und dem Beschwerdeführer vorgebrachten Umstand, dass die im Direktwahlakt 2018 vorgegebene Mindestsperrklausel konkreten Umsetzungsbedarf nur für Deutschland und Spanien auslösen würde. In der Tat existieren in allen übrigen Mitgliedstaaten rechtliche oder sogenannte faktische Sperrklauseln beziehungsweise äquivalente Regelungen (vgl. Rn. 8). Dies ändert aber nichts daran, dass Art. 3 Abs. 2 Direktwahlakt 2018 die Einführung einer unionsrechtlich verbindlichen Mindestsperrklausel in bevölkerungsstarken Mitgliedstaaten vorsieht, das heißt in solchen, in denen ein Wahlkreis mit 35 Sitzen gebildet werden kann und eine Listenwahl stattfindet; damit zielt diese Regelung auf eine Angleichung der Bedingungen demokratischer Repräsentation in der gesamten Europäischen Union. Dass angesichts der unterschiedlichen Ausgestaltung des nationalen Wahlrechts in den Mitgliedstaaten, das im Rahmen der vom Direktwahlakt vorgegebenen Rahmenbedingungen im Übrigen jederzeit geändert werden könnte, rechtliche oder faktische Sperrklauseln ![]() ![]() | |
bb) Soweit die Antragstellerin und der Beschwerdeführer geltend machen, mit der Zustimmung zu Art. 3 Direktwahlakt 2018 habe der Gesetzgeber die änderungs- und integrationsfeste Verfassungsidentität des Grundgesetzes nach Art. 79 Abs. 3 GG verletzt, sind ihre Darlegungen ebenfalls nicht hinreichend substantiiert. Zunächst messen sie das Zustimmungsgesetz zum Direktwahlakt 2018 nicht am einschlägigen Maßstab des Art. 23 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG (1). In der Sache ist ausgehend von ihrem Vorbringen eine Verletzung der Verfassungsidentität durch die Preisgabe wesentlicher von Art. 23 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG geschützter demokratischer Grundprinzipien im Rahmen der Wahlen zum Europäischen Parlament nicht zu erkennen (2).
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(1) Die Antragstellerin und der Beschwerdeführer verkennen schon den für das Zustimmungsgesetz zum Direktwahlakt 2018 einschlägigen Maßstab des Art. 23 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG. ![]() | |
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(b) Mit diesem Maßstab setzen sich die Antragstellerin und der Beschwerdeführer nicht in der gebotenen Weise auseinander. Sie verweisen nur knapp auf Art. 79 Abs. 3 GG und übertragen im Übrigen die Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit der Einführung einer Sperrklausel für die Wahlen zum Europäischen Parlament durch das Europawahlgesetz, das heißt durch ein einfaches, nicht auf unionsrechtlichen Vorgaben beruhendes Bundesgesetz. Sie berücksichtigen nicht, dass es sich bei dem Zustimmungsgesetz zum Direktwahlakt 2018 um ein Integrationsgesetz gemäß § 3 Abs. 1 und 2 IntVG handelt, das gemäß Art. 23 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG nur einer eingeschränkten verfassungsrechtlichen Prüfung unterliegt. Dementsprechend wäre von ihnen zu erörtern gewesen, in welcher Weise die Grundsätze der Chancengleichheit politischer Parteien und der Wahlrechtsgleichheit bei der Wahl zum Europäischen Parlament Anteil haben können an dem besonderen Schutz des Demokratieprinzips in Art. 79 Abs. 3 GG und unter welchen Voraussetzungen diese Rechte in ihrem Kerngehalt berührt und preisgegeben werden. Allein die Anwendung der Grundsätze der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur verfassungsrechtlichen (Un-)Zulässigkeit nationaler Sperrklauseln für die Europawahl und die daran anknüpfende Behauptung einer Verletzung der in Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Verfassungsidentität genügen dafür nicht.
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(2) Gemessen am Maßstab des Art. 23 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG erschließt sich auf der Grundlage des Vortrags der Antragstellerin und des Beschwerdeführers nicht, inwieweit die Zustimmung des deutschen Gesetzgebers zur Schaffung einer unionsrechtlichen Mindestsperrklausel im Umfang von zwei Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen für die Wahlen zum Europäischen Parlament im Hinblick auf die deutsche Verfassungsidentität, namentlich den von dieser umfassten Grundsatz der Demokratie, prinzipiell ausgeschlossen sein sollte. ![]() | |
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(a) Gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG wirkt die Bundesrepublik Deutschland an der Entwicklung der Europäischen Union mit, die insbesondere demokratischen Grundsätzen verpflichtet ist. Der Preisgabe von Kerngehalten demokratischer Legitimation steht diese Vorschrift ebenso entgegen wie Art. 79 Abs. 3 GG (vgl. BVerfGE 123, 267 [363 f.]). Für die Ausgestaltung der Organisation der Europäischen Union bedeutet dies, dass ein hinreichend effektiver Gehalt an demokratischer Legitimation erreicht werden muss (vgl. BVerfGE 83, 60 [72]; 89, 155 [182]). Die supranationale öffentliche Gewalt darf grundlegende demokratische Anforderungen nicht verfehlen. Dies stellt insbesondere Anforderungen an die organisatorische und verfahrensrechtliche Ausgestaltung der Europäischen Union (vgl. BVerfGE 123, 267 [356]).
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Im Rahmen einer supranationalen Organisation wie der Europäischen Union, die auf völkerrechtlicher Basis durch den Zusammen ![]() ![]() | |
(b) Das Recht der Europäischen Union selbst verfügt über eine Reihe von Sicherungen zur Gewährleistung demokratischer Herrschaft, in deren Rahmen sich eine Sperrklausel bei der Wahl zum Europäischen Parlament einzufügen hat. Mit diesen Sicherungen und ihrer Bedeutung für die Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union nach Maßgabe des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG setzen sich die Antragstellerin und der Beschwerdeführer nicht auseinander.
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(aa) Art. 10 Abs. 1 EUV legt der Arbeitsweise der Europäischen Union das Prinzip der repräsentativen Demokratie zugrunde. Hierzu gehört unter anderem auch eine parlamentarische Legitimation und Kontrolle der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 151, 202 [294 Rn. 135]). Im Europäischen Parlament sind die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar vertreten (vgl. Art. 10 Abs. 2 UAbs. 1 EUV), im Europäischen Rat beziehungsweise im Rat der Europäischen Union werden sie durch ihre auf nationaler Ebene unmittelbar oder mittelbar gewählten Regierungen repräsentiert (vgl. Art. 10 Abs. 2 UAbs. 2 EUV). Institutionell werden damit zwei demokratische Legitimationsstränge begründet, die zusammenwirken und sich wechselseitig stützen (vgl. Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, Art. 10 EUV Rn. 5).
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Um seiner legitimierenden Funktion gerecht werden zu können, bedarf das Europäische Parlament eines Wahlrechts, das fundamentale Wahlrechtsgrundsätze wahrt. Insbesondere sind die Grundsätze der Freiheit und Gleichheit der Wahl zentrale Bestandteile eines demokratischen Wahlverfahrens (vgl. BVerfGE 6, 84 [91]; 41, 399 [413]; 51, 222 [234]; 85, 148 [157 f.]; 123, 267 [340 f., 368]). ![]() | |
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Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe b und Art. 22 Abs. 2 Satz 1 AEUV bestimmen, dass den Unionsbürgern in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Wohnsitz haben, das aktive und passive Wahlrecht zum Europäischen Parlament zusteht; dies gilt auch dann, wenn sie keine ![]() ![]() | |
(cc) Auch die Stellung der politischen Parteien ist im Primärrecht der Europäischen Union verankert. Art. 10 Abs. 4 EUV betont, dass politische Parteien auf europäischer Ebene zur Herausbildung eines europäischen politischen Bewusstseins und zum Ausdruck des Willens der Bürgerinnen und Bürger der Union beitragen. Die Norm enthält eine Institutsgarantie (vgl. Huber, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 10 EUV Rn. 56) und hebt die Bedeutung der Parteien bei der Vermittlung demokratischer Legitimation hervor (vgl. zur Bedeutung der Parteien Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, Art. 10 EUV Rn. 14). Der Grundsatz der Gleichheit der Parteien ist Teil des unionsrechtlichen Demokratieprinzips des Art. 14 EUV (vgl. Kluth, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, Art. 224 AEUV Rn. 4). Art. 224 AEUV gibt der Europäischen Union das Recht, im Rahmen von Verordnungen Regelungen zu politischen Parteien festzulegen. Art. 12 Abs. 2 GRCh gewährleistet die Freiheit der Gründung und Betätigung von Parteien (vgl. zur Reichweite des Schutzbereichs in Bezug auf Parteien Jarass, in: ders., Charta der Grundrechte der EU, 4. Aufl. 2021, Art. 12 Rn. 16a f.).
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(dd) Über die Einhaltung dieser primärrechtlichen Bindungen wacht der Gerichtshof der Europäischen Union (vgl. Art. 19 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 2 EUV). Er ist dazu berufen, über die Auslegung und Wirksamkeit von Sekundärrecht der Europäischen Union zu entscheiden. Der Direktwahlakt unterliegt als Rechtsakt des Sekundärrechts dieser Überprüfung. Gemäß Art. 223 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 1 AEUV erlässt der Rat nach Zustimmung des Parlaments in einem besonderen Gesetzgebungsverfahren die zur Vereinheitlichung des Wahlrechts erforderlichen Regelungen. Der Wortlaut des Art. 223 AEUV zeigt, dass auf Grundlage dieser Bestimmung erlassene Rechtsakte abgeleiteter Art sind, die den Bindungen ![]() ![]() | |
(c) Die angeführten unionsrechtlichen Verbürgungen zum Wahlrecht erfahren eine grundrechtliche Abstützung durch die Europäische Menschenrechtskonvention (vgl. Heselhaus, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar zu EUV, GRC und AEUV, 2. Aufl. 2023, Art. 39 GRCh Rn. 32). Art. 14 EMRK normiert ein allgemeines Diskriminierungsverbot. Art. 3 ZP I EMRK garantiert das Recht auf freie und geheime Wahlen, in deren Rahmen die freie Äußerung der Meinung des Volkes gewährleistet ist. Die Norm schreibt charakteristische Grundprinzipien eines demokratischen Regierungssystems fest (vgl. EGMR [GK], Yumak and Sadak v. Turkey, Urteil vom 8. Juli 2008, Nr. 10226/03, § 105) und sichert das Bestehen eines offenen politischen Meinungsbildungs- und Wahlprozesses (vgl. EGMR, Melnychenko v. Ukraine, Urteil vom 19. Oktober 2004, Nr. 17707/02, § 53; EGMR [GK], Yumak and Sadak v. Turkey, Urteil vom 8. Juli 2008, Nr. 10226/03, §§ 105 ff.). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verbürgt sie das aktive und passive Wahlrecht ![]() ![]() | |
Die Europäische Menschenrechtskonvention schützt auch die Parteienfreiheit. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkennt politische Parteien als Vereinigungen im Sinne des Art. 11 Abs. 1 Halbsatz 1 2. Alt. EMRK an (vgl. EGMR [GK], United Communist Party of Turkey and others v. Turkey, Urteil vom 30. Januar 1998, Nr. 133/1996/752/951, §§ 24 ff.). Grundrechtlich geschützt ist die Freiheit der Gründung, des Beitritts zu und der Betätigung einer politischen Partei (vgl. Arndt/Engels/von Oettingen, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, 3. Aufl. 2022, Art. 11 Rn. 31). Zudem können sich Parteien auf Art. 14 EMRK und Art. 3 ZP I EMRK berufen und diese Bestimmungen gegen eine Sperrklauselregelung geltend machen (vgl. EGMR, Partei Die Friesen v. Germany, Urteil vom 28. Januar 2016, Nr. 65480/10, §§ 33 ff.).
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Die Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention gelten nach Art. 6 Abs. 3 EUV als allgemeine Rechtsgrundsätze, die die Europäische Union zu wahren hat (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Oktober 2002, C-94/00, EU:C:2002:603, Rn. 23). Sie stellen einen Mindeststandard europäischen Grundrechtsschutzes dar (vgl. Streinz, in: ders., EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 6 EUV Rn. 25). ![]() | |
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(aa) Der rechtsvergleichende Befund macht deutlich, dass im nationalen Wahlrecht der EU-Mitgliedstaaten, soweit für nationale Wahlen das Verhältniswahlrecht gilt, in weitem Umfang Sperrklauseln oder ähnlich wirkende Mechanismen existieren (vgl. hierzu Nohlen, Wahlrecht und Parteiensystem. Zur Theorie und Empirie der Wahlsysteme, 8. Aufl. 2023, S. 121). Auch in der Bundesrepublik Deutschland gilt für Wahlen zum Deutschen Bundestag eine Fünf-Prozent-Klausel (vgl. § 6 Abs. 3 BWahlG a.F., jetzt § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BWahlG), die vom Bundesverfassungsgericht in ihrer bisherigen Form im Hinblick auf die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments für verfassungsgemäß gehalten wurde (vgl. BVerfGE 95, 408 [419 f.]; 146, 327 [354 ff. Rn. 68 ff.]). Für die Wahlen zum Europäischen Parlament sehen 15 Mitgliedstaaten eine Sperrklausel vor (vgl. Europäisches Parlament, Das Europäische Parlament: Wahlmodalitäten, Stand November 2023, https://www.europarl.europa.eu/factsheets/de/sheet/21/das-europaische-parlament-wahlmodalitaten). In den Mitgliedstaaten, in denen keine Sperrklausel gilt – es handelt sich häufig um Mitgliedstaaten, die nur wenige Abgeordnete in das Europäische Parlament entsenden –, wirken sogenannte faktische Sperrklauseln, das heißt jede Partei muss rein rechnerisch einen bestimmten Stimmenanteil erreichen, um zumindest ein Mandat zu erlangen (vgl. zu faktischen Hürden Nohlen, Wahlrecht und Parteiensystem. Zur Theorie und Empirie der Wahlsysteme, 8. Aufl. 2023, S. 99 ff., 122 ff.). ![]() | |
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(bb) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte noch keine Gelegenheit, zur Vereinbarkeit von nationalen Sperrklauseln bei Wahlen zum Europäischen Parlament mit der Europäischen Menschenrechtskonvention Stellung zu nehmen. Er hat sich indessen mehrfach auf der Grundlage der Garantien der Konvention zur Zulässigkeit von Sperrklauseln bei nationalen Wahlen geäußert. Daraus ergibt sich, dass Sperrklauseln nicht grundsätzlich unvereinbar mit den konventionsrechtlichen Garantien sind. Der Gerichtshof ging davon aus, dass die Vertragsstaaten über einen weiten Spielraum bei der Gestaltung des Wahlsystems verfügen (vgl. EGMR, PY v. France, Urteil vom ![]() ![]() | |
(e) Bei der Gestaltung des Wahlrechts hat der Unionsgesetzgeber die Belange der Chancengleichheit der politischen Parteien und der demokratischen Gleichheit sowie das Anliegen, die Arbeitsfähigkeit des Europäischen Parlaments bei der Wahrnehmung der ihm zugewiesenen Aufgaben zu sichern, miteinander abgewogen. Dass mit der Vorgabe der Mindestsperrklausel im Umfang von zwei Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen in Art. 3 Abs. 2 Direktwahlakt 2018 die demokratischen Grundprinzipien in einer die deutsche Verfassungsidentität berührenden Weise in Frage gestellt würden, wird von der Antragstellerin und dem Beschwerdeführer nicht dargelegt.
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(aa) Der Unionsgesetzgeber hat sich bei dem Direktwahlakt 2018 von der Stellung des Europäischen Parlaments im institutionellen Gefüge der Europäischen Union (vgl. Rn. 2) und den Funktionsbedingungen (vgl. Rn. 15 ff.), denen es als eine supranationale parlamentarische Versammlung unterliegt, leiten lassen.
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Im Hinblick auf die Zusammensetzung der Kommission verfügt das Europäische Parlament über bedeutsame Kreationsbefugnisse. An der Rechtsetzung der Europäischen Union ist es als gleichberechtigter Mitgesetzgeber neben dem Rat beteiligt, ![]() ![]() | |
Hinzu kommt, dass das Europäische Parlament und seine Fraktionen durch ein erhebliches Maß an innerer Heterogenität geprägt sind. Im Parlament sind Abgeordnete aus allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union vertreten, die ihrem jeweiligen nationalen Parteiensystem entstammen. In der laufenden Legislaturperiode finden sich dort Vertreter von etwa 200 nationalen Parteien. In den sieben Fraktionen, die sich gebildet haben, ist jeweils eine große Zahl von Repräsentanten unterschiedlicher Parteien zusammengeschlossen, die zwar alle einer großen "Parteienfamilie" angehören und damit über ein gewisses Maß an politischer Übereinstimmung verfügen, aber dennoch unterschiedliche politische Traditionen und Sichtweisen aufweisen (vgl. Dialer/Maurer/Richter, Handbuch zum Europäischen Parlament, 2015, S. 124 ff.). Dies erhöht schon innerhalb der Fraktionen den Bedarf an Abstimmung und Ausgleich. Die Fähigkeit der Fraktionen, Vertreter unterschiedlicher Parteien aufzunehmen, zumal wenn diese innerhalb eines Mitgliedstaates ![]() ![]() | |
Aus welchem Grund der europäische Gesetzgeber vor diesem Hintergrund eine unionsweite obligatorische Mindestsperrklausel im Umfang von zwei Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen auch angesichts der damit verbundenen Beeinträchtigung der Grundsätze der Chancengleichheit der politischen Parteien und der Gleichheit der Wahl nicht als sachgerechtes Instrument betrachten durfte, um den Risiken einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments entgegenzutreten, wird von der Antragstellerin und dem Beschwerdeführer nicht aufgezeigt. Dass dies die Verfassungsidentität des Grundgesetzes berühren würde, ist auch angesichts des mit der Einführung einer Sperrklausel verbundenen Anliegens einer Angleichung der Bedingungen demokratischer Repräsentation in der gesamten Europäischen Union nicht dargelegt.
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(bb) Nach Art. 223 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 2 AEUV treten Wahlrechtsregelungen erst nach Zustimmung sämtlicher Mitgliedstaaten in Kraft. Den Mitgliedstaaten ist damit zur gesamten Hand eine Mitverantwortung für die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments anvertraut. Für die Bundesrepublik Deutschland folgt dies auch aus der in Art. 23 Abs. 1 GG verankerten Integrationsverantwortung. Jeder Mitgliedstaat ist dazu angehalten, die Anforderungen an die Strukturen des Wahlrechts in einer Weise auszugestalten, dass sie zugleich Maxime für die Wahl des gesamten Europäischen Parlaments sein können (vgl. entsprechend im Hinblick auf die nationale Sperrklausel in § 2 Abs. 7 EuWG BVerfGE 135, 259 [306 Rn. 13, abweichende Meinung] unter Hinweis auf BVerfGE 129, 300 [352, abweichende Meinung]). Die von Antragstellerin und Beschwerdeführer vertretene Rechtsauffassung würde hingegen dazu führen, dass auf der Ebene der Europäischen Union die Schaffung einer obligatorischen Mindestsperrklausel prinzipiell ausgeschlossen wäre. Sie tragen vor, dass die Bundesrepublik Deutschland wegen Art. 79 Abs. 3 GG gehindert sei, einer entsprechenden unionsrechtlichen Vorgabe im Direktwahlakt 2018 ![]() ![]() | |
d) Soweit die Antragstellerin und der Beschwerdeführer rügen, das Zustimmungsgesetz sei formell verfassungswidrig, weil dem Bundesrat am 10. März 2023 eine sprachlich unrichtige Version von Art. 3a Direktwahlakt 2018 zugeleitet und damit die Frist des Art. 76 Abs. 2 Satz 5 GG nicht in Gang gesetzt worden sei, sind ihre Ausführungen ebenfalls nicht substantiiert. Dass vorliegend trotz einer im laufenden nationalen Gesetzgebungsverfahren nachgeholten Mitteilung (vgl. Rn. 25) zu einer auf europäischer Ebene vorgenommenen Korrektur einer offenkundigen sprachlichen Unrichtigkeit von Art. 3a Direktwahlakt 2018 von einer formellen Verfassungswidrigkeit des deutschen Zustimmungsgesetzes auszugehen ist, die sich zugleich als Verletzung der hier gerügten verfassungsmäßigen Rechte erweist, wird von Antragstellerin und Beschwerdeführer weder schlüssig dargelegt, noch ist dies sonst ersichtlich.
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Die Anträge auf Anordnung der Auslagenerstattung sind abzulehnen.
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Gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG steht die Anordnung der Auslagenerstattung in den Fällen der Nichtannahme oder der Verwerfung einer Verfassungsbeschwerde und im Organstreitverfahren im Ermessen des Bundesverfassungsgerichts. Sie setzt voraus, dass besondere Billigkeitsgründe vorliegen (vgl. BVerfGE 7, 75 [77]; 20, 119 [133 f.]; 85, 109 [114 ff.]; 87, 394 [397 f.]; 89, 91 [97]; 133, 37 [38 f. Rn. 2]; 150, 194 [203 Rn. 29]; 154, 320 [353 ![]() ![]() | |