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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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45. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung |
vom 28. November 1996 |
i.S. B. und Mitbeteiligte gegen Regierungsrat des Kantons Zürich |
(staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Persönliche Freiheit. Beschaffung und Aufbewahrung personenbezogener Daten. |
Besonders schützenswerte Personendaten dürfen nur gemäss einer klaren gesetzlichen Grundlage bearbeitet werden, es sei denn, die Datenbearbeitung sei für eine in einem formellen Gesetz klar umschriebene Aufgabe unentbehrlich (E. 5b). |
Im Kanton Zürich fehlt eine gesetzliche Grundlage dafür, die blosse Zugehörigkeit zu einem Verein systematisch ins Personaldossier von Lehrkräften aufzunehmen (E. 5d). | |
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A. | |
Die Beschwerdeführer ersuchten die Erziehungsdirektion des Kantons Zürich um vollständige Einsicht in die über sie erstellten Datenblätter betreffend ihre Beziehung zum Verein für Psychologische Menschenkenntnis (VPM). Sie verlangten überdies Einsicht in sämtliche über sie gesammelten Unterlagen sowie Fotos und Offenlegung der bisher abgedeckten Quellenangaben. Sodann wandten sie sich dagegen, dass Datenblätter und damit zusammenhängende Korrespondenz in ihre Personaldossiers auf der Abteilung Volksschule abgelegt werden. Bei den Gesuchstellern handelte es sich um Lehrkräfte, die an Zürcher Schulen arbeiteten oder gearbeitet hatten. Die Erziehungsdirektion gewährte den Beschwerdeführern Ende Juni bzw. Anfang Juli 1993 Einsicht in die Datenblätter und eröffnete ihnen, dass Datenblätter und Korrespondenz im Zusammenhang mit dem Einsichtsgesuch in die entsprechenden ordentlichen Personaldossiers abgelegt würden. Eine bestimmte Quelle, die auf einem Teil der Datenblätter angegeben ist, wurde abgedeckt.
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Hiergegen reichten die Beschwerdeführer Rekurse an den Regierungsrat des Kantons Zürich ein. Dieser wies die Rekurse ab, soweit er darauf eintrat und soweit sie sich nicht als gegenstandslos erwiesen hatten.
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Die Beschwerdeführer erhoben staatsrechtliche Beschwerden, mit welchen sie im wesentlichen die Aufhebung der Rekursentscheide des Regierungsrates verlangten. Ausserdem stellten sie die Anträge, die Fichenblätter mit Bezug zum VPM sowie die dazugehörende Korrespondenz etc. seien aus dem ordentlichen Personaldossier der fichierten Lehrkräfte und weiterer Betroffener zu entfernen, und in Zukunft keine weiteren Fichenblätter mit Bezug zum VPM sowie keine dazugehörende Korrespondenz etc. ins ordentliche P ersonaldossier der fichierten Lehrkräfte und weiterer Betroffener einzulegen. Das Bundesgericht heisst die staatsrechtlichen Beschwerden gut und weist den Kanton Zürich an, die Datenblätter betreffend VPM-Mitgliedschaft sowie die darauf bezugnehmende Korrespondenz aus den ordentlichen Personaldossiers der Beschwerdeführer zu entfernen.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
Aus den Erwägungen:
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Erwägung 5 | |
5.- Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, das Sammeln, Aufbewahren und Bearbeiten von Informationen über ihre Zugehörigkeit zum VPM verletze die persönliche Freiheit, den Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK, die ![]() ![]() | 5 |
a) Das ungeschriebene Verfassungsrecht der persönlichen Freiheit schützt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung als zentrales Freiheitsrecht und verfassungsrechtlicher Leitgrundsatz nicht nur die Bewegungsfreiheit und die körperliche Integrität, sondern darüber hinaus alle Freiheiten, die elementare Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung darstellen. Hierzu gehört auch der Anspruch auf eine persönliche Geheimsphäre: So wird die persönliche Freiheit durch die Erhebung erkennungsdienstlicher Daten (BGE 109 Ia 146 E. 6a S. 155 mit Hinweis; 113 Ia 1 E. 4b/bb S. 6; unveröffentlichtes Urteil i.S. G. vom 22. September 1994 E. 1a) sowie deren Aufbewahrung und Bearbeitung betroffen (BGE 120 Ia 147 E. 2a S. 149 f. mit Hinweisen); desgleichen kann die Aufbewahrung persönlicher, der Öffentlichkeit ansonsten nicht zugänglicher Daten einen Eingriff in die persönliche Freiheit darstellen (BGE 113 Ia 257 E. 4c S. 263), und zwar auch dann, wenn die Datenerhebung verfassungsmässig war und die gespeicherten Informationen den Tatsachen entsprechen (Urteil vom 12. Januar 1990 i.S. S. E. 2a, publiziert in SJ 1990 S. 561 ff. und Pra 79/1990 Nr. 243 S. 875). Auch die Übernahme von Akten eines Straf- oder Administrativverfahrens in ein anderes Verfahren berührt den Schutzbereich der persönlichen Freiheit, wenn darin besonders schützenswerte Personendaten enthalten sind (Bundesgerichtsentscheid i.S. D. vom 27. März 1991, ZBl 92/1991 S. 543 ff. E. 5 und 6; Bundesamt für Justiz vom 25. Mai 1982, VPB 48/1984 Nr. 28 E. 4-6 S. 172 f.). In gleicher Weise berührt die Beschaffung, Aufbewahrung, Verwendung und Bekanntgabe persönlicher Daten die nach Art. 8 Ziff. 1 EMRK geschützte Privatsphäre (vgl. BGE 118 Ib 277 E. 4b S. 281 f.; 113 Ia 1 E. 4b/bb S. 6 f.; Entscheid i.S. S. vom 12. Januar 1990 E. 2a, SJ 1990 S. 563 = Pra 79 Nr. 243 S. 875, je mit Hinweisen).
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Im vorliegenden Fall sammelte die Abteilung Volksschule des Zürcherischen Erziehungsdepartements ab Februar 1991 Informationen über den VPM und dessen Mitglieder. Insgesamt wurden die Namen von 1458 angeblichen VPM-Mitgliedern, 17 Unterorganisationen oder VPM-Häusern sowie 25 Arbeitsplatzadressen (Praxen) des VPM auf einem elektronischen Datenträger gespeichert. Die Datei enthält neben Namen, Adresse, Bürgerort, Beruf, Tätigkeit und Arbeitsort der VPM-Mitglieder auch Hinweise auf deren Funktion und Verbindungen im Rahmen des VPM und auf Publikationen im VPM-Verlag. Auch wenn der VPM und seine ![]() ![]() | 7 |
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aa) Der Regierungsrat stützte die Beschaffung und Speicherung der Informationen über VPM-Mitglieder auf § 34 lit. a Ziff. 1 des Gesetzes betreffend die Organisation und Geschäftsordnung des Regierungsrates und seiner Direktionen vom 26. Februar 1899 (OGRR), § 6 des Gesetzes über das gesamte Unterrichtswesen vom 23. Dezember 1859 (Unterrichtsgesetz), § 2 des Gesetzes über die Ausbildung von Lehrern für die Vorschulstufe und die Volksschule vom 24. September 1978 (Lehrerbildungsgesetz) und Art. 40 Ziff. 4 KV, welche dem Regierungsrat die Oberaufsicht über das Unterrichtswesen übertragen. Die Beschwerdeführer rügen eine willkürliche Auslegung der vom Regierungsrat herangezogenen kantonalen Normen; darüber hinaus sind sie der Auffassung, die genannten Aufsichtsbefugnisse seien keine hinreichend klare gesetzliche Grundlage für die Bearbeitung besonders schützenswerter Personendaten.
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bb) Das Bundesgericht prüft die Auslegung und Anwendung kantonalen Rechts grundsätzlich unter dem Gesichtswinkel der Willkür; eine freie Prüfung nimmt es nur bei Vorliegen besonders schwerer Eingriffe vor (BGE 120 Ia 147 E. 2b S. 150). Dagegen überprüft das Bundesgericht in allen Fällen frei, ob die kantonale Gesetzes- oder Verordnungsbestimmung den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit einer Eingriffsnorm erfüllt (BGE 115 Ia 277 288 E. 7 S. 288; 109 Ia 146 E. 5 S. 152 f. und 273 E. 4d S. 282 ff.; WALTER KÄLIN, Staatsrechtliche Beschwerde, 2. Auflage, Bern 1994, S. 179). Allerdings hängen auch die Anforderungen an die Klarheit und Bestimmtheit der Eingriffsnorm von der Schwere des Eingriffs ab: Bei schweren Eingriffen in grundrechtlich geschützte Positionen verlangt das Bundesgericht in den wesentlichen Punkten eine klare unzweideutige Grundlage in einem formellen Gesetz; leichtere Eingriffe können bei Vorliegen einer schlüssigen gesetzlichen Delegation auch in Erlassen unterhalb der Gesetzesstufe ![]() ![]() | 10 |
cc) Ähnliche Anforderungen sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an die gesetzliche Grundlage für Eingriffe in Konventionsrechte zu stellen: Zwar genügt hierfür ein Gesetz im materiellen Sinne (vgl. Entscheid i.S. Kruslin c. Frankreich vom 24. April 1990, CourEDH, Série A, vol. 176, §§ 28 f. mit Hinweisen zur bisherigen Rechtsprechung); Voraussetzung ist jedoch, dass dieses ausreichend zugänglich und hinreichend bestimmt ist, damit der Bürger die sich daraus für ihn ergebenden Konsequenzen vorhersehen kann (Entscheid vom 26. April 1979 im Fall Sunday Times, Série A, vol. 30, § 49; Urteil vom 25. März 1983 im Fall Silver, Série A vol. 61 §§ 85 ff.; Urteil vom 2. August 1984 im Fall Malone, Série A vol. 82 §§ 66 ff.). Bei schweren Eingriffen in die Privatsphäre sind klare und detaillierte gesetzliche Bestimmungen unerlässlich (Entscheid im Fall Kruslin, a.a.O., § 32). Im Fall Leander betreffend Eintragungen in eine Staatsschutzdatei verlangte der Gerichtshof, dass das Gesetz klar regle, unter welchen Voraussetzungen es die Behörden zu derartigen geheimen und potentiell gefährlichen Eingriffen in das Privatleben der Bürger ermächtige und inwiefern die Polizei derart gewonnene Informationen speichern und weitergeben dürfe (Urteil vom 26. März 1987, Série A vol. 116 §§ 50 ff.; vgl. auch Urteil vom 2. August 1984 im Fall Malone, a.a.O., § 67).
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dd) Soweit Eingriffe in die persönliche Freiheit (bzw. das nach Art. 8 EMRK geschützte Privatleben) durch die Erhebung, Aufbewahrung oder Bekanntgabe personenbezogener Daten erfolgen, lassen sich den Datenschutzgesetzen des Bundes und der Kantone Hinweise zu den verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen an die gesetzliche Grundlage entnehmen: Wie das Bundesgericht bereits im Entscheid i.S. D. vom 27. März 1991 (ZBl 92/1991 S. 543 ff., E. 5c mit zahlreichen Hinweisen) ausgeführt hat, beruhen die existierenden Datenschutzgesetze und -richtlinien in Bund und Kantonen auf der Prämisse, dass der Datenschutz einem ![]() ![]() | 12 |
Danach dürfen Personendaten nur bearbeitet werden, wenn dafür eine gesetzliche Grundlage besteht oder das Bearbeiten zur Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe erforderlich ist (vgl. z.B. Art. 17 Abs. 1 DSG; § 4 Abs. 1 des Zürcher Gesetzes über den Schutz von Personendaten vom 6. Juni 1993 [ZH-DSG]; § 5 des baselstädtischen Gesetzes über den Schutz von Personendaten vom 18. März 1992 [BS-DSG]; Art. 4 Loi sur la protection des données vom 25. November 1994 des Kantons Fribourg [FR-LPrD]; Art. 5 Abs. 1 des Berner Datenschutzgesetzes vom 19. Februar 1986 [BE-DSG]); besonders schützenswerte Personendaten dürfen grundsätzlich nur bearbeitet werden, wenn sich die Zulässigkeit aus einer gesetzlichen Grundlage klar ergibt. Ausnahmsweise genügt es auch, wenn die Datenbearbeitung für eine in einem formellen Gesetz klar umschriebene Aufgabe unentbehrlich ist, die Rechte der betroffenen Personen nicht gefährdet sind oder die betroffene Person im Einzelfall eingewilligt oder ihre Daten allgemein zugänglich gemacht hat (vgl. Art. 17 Abs. 2 DSG und § 6 BS-DSG, die beide grundsätzlich ein formelles Gesetz verlangen; § 5 ZH-DSG; Art. 13 Abs. 1 der St. Galler Datenschutzverordnung vom 24. Oktober 1995 [SG-DSV]; Art. 6 BE-DSG). Zu den besonders schützenswerten Personendaten zählen u.a. Daten über die religiösen, weltanschaulichen, politischen oder gewerkschaftlichen Ansichten oder Tätigkeiten (Art. 3 lit. c Ziff. 1 DSG; § 1 lit. d Ziff. 1 ZH-DSG; Art. 6 Abs. 1 lit. a SG-DSV; § 2 Abs. 2 BS-DSG; Art. 3 lit. c Ziff. 1 FR-LPrD; Art. 3 lit. a BE-DSG; Art. 6 des Europarats-Übereinkommens zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten vom 28. Januar 1981; vgl. auch § 3 Abs. 2 des Reglements über den Schutz und die Sicherung von Daten bei der "KSD Kanton und Stadt Schaffhausen Datenverarbeitung" vom 22. April 1980, der die Speicherung von Daten über die Privatsphäre wie unter anderem die Vereins- und Organisationszugehörigkeit verbietet). ![]() | 13 |
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d) Gemäss Art. 40 Ziff. 4 KV kommt dem Regierungsrat die Oberaufsicht über das Unterrichtswesen sowie über die sämtlichen ihm untergeordneten Behörden und Beamtungen zu. § 34 lit. a Ziff. 1 OGRR bestimmt, dass der Direktion des Erziehungswesens in ![]() ![]() | 15 |
Zur Wahrnehmung dieser Aufgaben ist das Erziehungsdepartement zwingend auf Informationen aus den seiner Aufsicht und Oberleitung unterstehenden Schulanstalten angewiesen. Dazu gehören insbesondere auch Daten über die Eignung, Qualifikation und Leistung der Lehrer sowie über alle Vorkommnisse, die Anlass zu aufsichtsrechtlichen Massnahmen gegenüber der Schulleitung bzw. disziplinarischen Massnahmen gegenüber einem Lehrer geben könnten. Hierzu können im Einzelfall auch ausserschulische Verhaltensweisen gehören, die eine Verletzung der beamtenrechtlichen Treuepflicht darstellen, weil sie die Amtsführung und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Verwaltung beeinträchtigen (vgl. z.B. Bundesgerichtsentscheid i.S. C. vom 28. März 1996 E. 6c und d betreffend disziplinarische Massnahmen gegen eine dem VPM angehörende Lehrerin). Der im Zürcher Schuldienst tätige Beamte oder Angestellte muss deshalb damit rechnen, dass solche Informationen der Erziehungsdirektion gemeldet und dort - zumindest eine gewisse Zeit lang - aufbewahrt werden. Jedenfalls für die Zeit vor Inkrafttreten des kantonalen Datenschutzgesetzes liegt es deshalb nahe, in den genannten Aufsichtsbefugnissen der Erziehungsdirektion auch eine gesetzliche Grundlage für die Bearbeitung von Daten zu sehen, die eng mit dem Schulbetrieb verbunden und für die Wahrnehmung der Aufsicht unentbehrlich sind.
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Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch nicht um die Registrierung einzelner, schulbezogener Vorkommnisse und Konflikte, die durch das Engagement von Lehrern beim VPM bzw. der Identifizierung mit dessen Ideen und Schulkonzepten ausgelöst worden wären. Vielmehr sammelte das Erziehungsdepartement Informationen über sämtliche VPM-Mitglieder; Kriterium für die Speicherung in der Datei war somit einzig die Vereinszugehörigkeit. Auch soweit ![]() ![]() | 17 |
e) Mangels genügender gesetzlicher Grundlage verletzte somit die Sammlung, Aufbewahrung und Bearbeitung der Daten über die VPM-Zugehörigkeit von Lehrern und anderen Personen das Grundrecht der persönlichen Freiheit sowie Art. 8 EMRK. Bei diesem Ergebnis kann offenbleiben, ob die Datensammlung weitere Grundrechte der Beschwerdeführer verletzte. Den Beschwerdeführern steht grundsätzlich ein Anspruch auf Beseitigung der widerrechtlich gespeicherten Daten zu (vgl. BGE 120 Ia 147 E. 4 S. 156; Urteil vom 25. November 1994 i.S. T., publiziert in ZBl 96/1995 S. 329 ff.; ROLF HUBER, Rechtsprobleme der Personalakte, Diss. Zürich 1985, S. 183; vgl. auch die übereinstimmende Regelung der Datenschutzgesetze, wonach der Betroffene bei widerrechtlicher Datenverarbeitung einen Beseitigungsanspruch hat, z.B. Art. 25 Abs. 1 lit. b DSG; § 19 Abs. 1 lit. b ZH-DSG; § 22 lit. b BS-DSG; Art. 26 Abs. 1 lit. b FR-LPrD; Art. 24 Abs. 1 BE-DSG). Daher ist ![]() ![]() ![]() | 18 |
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