des Ersten Senats vom 17. November 1966
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-- 1 BvL 10/61 -- | |
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung des § 12 Abs.1 Nr.2 Satz 1 des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Viehseuchengesetz vom 27. März 1954 (GVBl. S. 32) und anderer damit zusammenhängender Vorschriften - Volagebeschluß des Landgerichts Marburg vom 8. März 1961 - 2 O 102/60.
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Entscheidungsformel:
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§ 11 Absatz 1 Nummer 2 Satz 1 des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Viehseuchengesetz vom 27. März 1954 -- Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 32 -- ist mit dem Grundgesetz vereinbar, soweit er in Verbindung mit § 71 Nummer 3 und § 39 Absatz 2 des Viehseuchengesetzes vom 26. Juni 1909 -- Reichsgesetzblatt Seite 519 -- eine Entschädigung für die Tötung von Hunden versagt, von denen anzunehmen ist, daß sie mit tollwutkranken Tieren in Berührung gekommen sind.
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Gründe: | |
I.
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1. Das Landgericht Marburg hat aufgrund des Art. 100 Abs. 1 GG einen Rechtsstreit ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 11 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 des Hess. Ausführungsgesetzes zum Viehseuchengesetz vom 27. März 1954 -- GVBl. S. 32 -- in Verbindung mit §§ 71 Nr. 3 und 39 Abs. 2 des Viehseuchengesetzes vom 26. Juni 1909 -- RGBl. S. 519 -- sowie § 11 Abs. 1 Nr. 1 des Hess. Ausführungsgesetzes zum Viehseuchengesetz in Verbindung mit § 72 Nr. 3, 2. Halbsatz, und § 39 Abs. 2 des Viehseuchengesetzes mit dem Grundgesetz vereinbar sind.
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Die Bestimmungen lauten, soweit sie hier in Betracht kommen.
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Viehseuchengesetz
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§ 39
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Für Hunde und Katzen, von denen anzunehmen ist, daß sie mit wutkranken Tieren oder der Seuche verdächtigen Hunden oder Katzen (Abs. 1) in Berührung gekommen sind, ist gleichfalls die sofortige Tötung polizeilich anzuordnen. Andere Tiere sind unter der gleichen Voraussetzung sofort der polizeilichen Beobachtung zu unterstellen. Auch kann für Hunde statt der Tötung ausnahmsweise eine mindestens dreimonatige Einsperrung gestattet werden, falls sie nach dem Ermessen der Polizeibehörde mit genügender Sicherheit durchzuführen ist, und der Besitzer des Hundes die daraus und aus der polizeilichen Überwachung erwachsenden Lasten trägt.
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§ 71
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Durch Landesrecht kann die Entschädigung versagt werden: 1. ... 2. ... 3. für Hunde und Katzen, die aus Anlaß der Tollwut getötet sind (§ 12, 36, 39, 40). | |
§ 72
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Der Anspruch auf Entschädigung fällt weg: 1. ... 2. ... 3. im Falle des § 25, oder wenn dem Besitzer oder dessen Vertreter die Nichtbefolgung oder Übertretung der angeordneten Schutzmaßregeln zur Abwehr der Seuchengefahr zur Last fällt. | |
Hessisches Ausführungsgesetz zum Viehseuchengesetz
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§ 11
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(1) Keine Entschädigung wird, abgesehen von den Fällen des § 8 Abs. 1 Nr. 13, gewährt: 1. in den Fällen der §§ 70 und 72 des Viehseuchengesetzes; 2. in den Fällen des § 71 des Viehseuchengesetzes ... | |
2. Der Kläger des Ausgangsverfahrens war Eigentümer zweier Schäferhunde. Nachdem einer der Hunde mit einem tollwütigen Fuchs in Berührung gekommen war, ordnete der Bürgermeister als Ortspolizeibehörde die Tötung beider Hunde wegen Tollwutverdachts an. Auf Vorstellungen des Klägers änderte der Bürgermeister die Anordnung dahin, daß von der Tötung abgesehen werde, wenn der Kläger die Hunde in bestimmter Weise überwache und weitere Auflagen erfülle. Da der Kläger diesen Verpflichtungen nicht nachkam, ließ der Bürgermeister die beiden Hunde erschießen. Eine tierärztliche Untersuchung hat weder vor noch nach der Tötung stattgefunden.
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Der Kläger stützt seinen Entschädigungsanspruch gegen das Land auf Art. 14 Abs. 3 GG, hilfsweise auf die §§ 74 und 75 der Einleitung zum Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten. Das Land verweigert eine Entschädigung unter Berufung auf die oben genannten gesetzlichen Vorschriften.
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Das Landgericht hat durch Teilurteil dem Klagantrag insoweit entsprochen, als eine Entschädigung für den Hund verlangt wurde, der mit dem tollwütigen Fuchs nicht in Berührung gekommen war. Auch im übrigen möchte das Gericht der Klage stattgeben, sieht sich aber daran durch die zur Prüfung gestellten Vorschriften gehindert. Das Gericht führt aus, es sei nicht bewiesen, daß der andere Hund an Tollwut erkrankt gewesen sei. Die Tötung eines lediglich tollwutverdächtigen Hundes sei eine Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG. Der Anspruch auf Entschädigung habe durch das Hessische Ausführungsgesetz zum Viehseuchengesetz nicht ausgeschlossen werden können. Die Nichterfüllung der polizeilichen Auflagen rechtfertige zwar die Tötung der Tiere, nicht aber den Ausschluß der Entschädigung.
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Die Landesregierung ist dem Verfahren beigetreten, hat aber auf mündliche Verhandlung verzichtet. Sie hält die Vorschriften des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Viehseuchengesetz für verfassungsmäßig. Sie hat ein Gutachten des Veterinärhygienischen und Tierseuchen- Instituts der Justus-Liebig-Universität Gießen vorgelegt, in dem zu den für das Verfahren bedeutsamen veterinärwissenschaftlichen Fragen Stellung genommen wird.
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Die Vorlage ist zulässig.
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Die Frage, ob Entschädigungsansprüche nach dem Viehseuchengesetz im ordentlichen Rechtsweg oder im Verwaltungsrechtsweg geltend gemacht werden müssen, ist zwischen Bundesgerichtshof und Bundesverwaltungsgericht streitig.
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Das vorlegende Gericht schließt sich offenbar der Auffassung des Bundesgerichtshofs an, daß für alle Entschädigungsansprüche aus dem Viehseuchengesetz einheitlich der Weg vor den Zivilgerichten eröffnet ist (vgl. zuletzt BGHZ 43, 196). Für das Bundesverfassungsgericht besteht kein Anlaß, zu der Streitfrage Stellung zu nehmen; zur Zulässigkeit der Vorlage genügt es, daß die Auffassung des Landgerichts nicht offensichtlich unhaltbar ist.
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Die in erster Linie zur Prüfung gestellte Vorschrift des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 des Hess. Ausführungsgesetzes zum Viehseuchengesetz ist insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar, als sie in Verbindung mit § 39 Abs. 2 des Viehseuchengesetzes eine Entschädigung für die Tötung von Hunden versagt, von denen anzunehmen ist, daß sie mit tollwutkranken Tieren in Berührung gekommen sind.
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1. Das Grundgesetz gewährleistet das Privateigentum sowohl als Rechtsinstitut wie in seiner konkreten Gestalt in der Hand des einzelnen Eigentümers. Eingriffe von hoher Hand in das Eigentum sind damit grundsätzlich unzulässig. Ehe aber beurteilt werden kann, ob ein verfassungsrechtlich untersagter Eingriff in das Eigentum vorliegt und welche Folgen er hat, muß Klarheit darüber bestehen, wie weit sich der verfassungsrechtlich geschützte Bereich des Eigentums erstreckt. Da es keinen "absoluten" Begriff des Eigentums gibt, ist es Sache des Gesetzgebers, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG). Er orientiert sich dabei an den gesellschaftlichen Anschauungen seiner Zeit. Der an das Grundgesetz gebundene Gesetzgeber hat außerdem die grundlegenden Wertentscheidungen und Rechtsprinzipien der Verfassung zu beachten (BVerfGE 14, 263 [277 f.]; 18, 121 [132]). Nur mit dem sich hieraus ergebenden Inhalt ist das Eigentum verfassungsrechtlich gewährleistet. Die Gesamtheit der in den gesetzlichen Normen sichtbar werdenden Beschränkungen des Eigentums läßt sich in den Begriff der Sozialpflichtigkeit zusammenfassen; sie zieht der umfassenden Gebrauchs- und Verfügungsbefugnis des Eigentümers im Interesse des gemeinen Wohls allgemein geltende Grenzen.
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2. Entgegen der Meinung des vorlegenden Gerichts enthalten die zur Prüfung gestellten Normen eine zulässige Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums. Sie verdeutlichen eine dem Eigentum gemäß Art. 14 Abs. 2 GG anhaftende Sozialpflichtigkeit.
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a) Es ist nicht erforderlich, allgemein zu entscheiden, wo die Grenze zwischen einer gesetzlichen Bestimmung des Eigentumsinhalts und einem durch Gesetz bewirkten oder zugelassenen, als Enteignung zu qualifizierenden Eingriff in das Eigentum verläuft. Denn nach jeder der zu dieser Abgrenzung entwickelten grundsätzlichen Auffassungen ist die hier in Frage stehende gesetzliche Regelung als Inhaltsbestimmung des Eigentums anzusehen. Das ergibt sich insbesondere aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts, die -- von verschiedenen Grundauffassungen aus -- in der Beurteilung dieser Regelung zu demselben Ergebnis kommen.
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Das Bundesverwaltungsgericht hat in der Entscheidung vom 14. Oktober 1958 (BVerwGE 7, 257) ausgesprochen, daß es sich bei der Tötung seuchenkranker und seuchenverdächtiger Tiere aufgrund einer viehseuchenpolizeilichen Anordnung nicht um eine Enteignung, sondern um eine Maßnahme handle, die in Auswirkung der Inhaltsbestimmung und Begrenzung des Eigentums durch das Viehseuchengesetz ergehe. In dieser Maßnahme liege eine Sozialbindung des Eigentums; die Verpflichtung des Viehhalters, die Tötung seuchenkranker oder seuchenverdächtiger Tiere zu dulden, entspreche nur einer seinem Eigentum wegen seiner potentiellen Gefährlichkeit von vornherein innewohnenden Begrenzung. Die Maßnahmen, die gegen seuchenkrankes oder seuchenverdächtiges Vieh ergriffen werden, seien dem Gebiet der polizeilichen Zustandshaftung zuzurechnen, da sie den Eigentümer nur in die Grenzen seiner Eigensphäre zurückwiesen. Diese Zustandshaftung könne sich bis zur Vernichtung des Eigentums auswirken. In den Rahmen der polizeilichen Zustandshaftung füge sich auch die Tötung bloß seuchenverdächtiger Tiere ein. Das Bundesverwaltungsgericht führt weiter aus, daß diese Regelung des Viehseuchengesetzes wesentliche Merkmale der Enteignung vermissen lasse; denn die Enteignung diene einem dem Betroffenen gegenüber selbständigen Interesse der Allgemeinheit, die Maßnahmen nach dem Viehseuchengesetz dagegen dienten in weitem Maße auch dem Interesse des Eigentümers selbst. Es liege eine eigenartige Verquickung polizeilicher und individueller Interessen vor; der für die Enteignung charakteristische Widerstreit zwischen öffentlichem und privatem Interesse spiele hier nicht die ausschlaggebende Rolle.
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Der Bundesgerichtshof hat durch Urteil vom 25. Juni 1964 (BGHZ 43, 196) entschieden, dem Eigentümer eines aus Anlaß der Tollwut gemäß § 39 des Viehseuchengesetzes rechtmäßig getöteten Hundes stehe ein Entschädigungsanspruch, wenn das Landesrecht einen solchen versage, auch unter dem Gesichtspunkt der Enteignung nicht zu. Der Bundesgerichtshof führt aus, auch wenn der Befall mit der Seuche weder bei dem lebenden Tier noch nach der Tötung feststellbar sei, handele es sich bei der Tötung des Tieres um eine entschädigungslos zulässige Eigentumsbegrenzung. Er hebt hervor, daß die eigentumsbegrenzenden Regelungen nicht weiter gehen dürften als es ihr sachlicher Grund zwingend erfordere. Das Maß des Erforderlichen bestimme sich u.a. nach dem jeweiligen Stand der ärztlichen Wissenschaft. Danach sei es gegenwärtig unmöglich, die Infizierung der Hunde vor Ausbruch der Seuche festzustellen. Ferner sei auszugehen von der Tatsache der leichten Übertragbarkeit der Tollwut, die durch das besondere Verhältnis zwischen Mensch und Hund in gefährlicher Weise gefördert werde, endlich von dem Umstand, daß Tollwuterkrankungen beim Menschen regelmäßig zum Tode führten.Diese Gefahren seien nach dem heutigen Stand der Wissenschaft weder in ihrem Beginn erkennbar noch in ihrem Ablauf beherrschbar. Wenn der Gesetzgeber daher, falls anders die Möglichkeit der Übertragung nicht gebannt werden könne, die Tötung der Hunde anordne, so spreche er damit nur das aus, was der der Hundehaltung bei dem heutigen Stand der Wissenschaft immanent anhaftenden Schadenslage entspreche. Der Gesetzgeber überschreite mit der Verweigerung einer Entschädigung für diesen Fall nicht den Rahmen, innerhalb dessen er Inhalt und Grenzen des Eigentums bestimmen dürfe.
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b) Dieser Auffassung der beiden oberen Bundesgerichte tritt das Bundesverfassungsgericht bei.
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Das Viehseuchengesetz regelt in seinem Abschnitt II 4 (§§ 66 ff.) eingehend, wann für Viehverluste, die infolge hoheitlicher Eingriffe zur Seuchenbekämpfung aufgrund des Gesetzes entstehen, Entschädigung zu gewähren ist. Das Gesetz unterscheidet Fälle, in denen Entschädigung gewährt werden muß (§ 66), solche, in denen sie ausgeschlossen ist (§ 70), solche, in denen es dem Landesrecht überlassen bleibt, ob entschädigt werden soll oder nicht (§ 71), und solche, in denen ein an sich bestehender Entschädigungsanspruch wegen besonderer Umstände (insbes. pflichtwidrigen Verhaltens des Eigentümers) wieder wegfällt (§ 72). Schon dieser Aufbau der Regelung läßt erkennen, daß der Gesetzgeber die hier vorliegenden Fälle nicht undifferenziert als "Enteignungen" (oder im Hinblick auf den Sprachgebrauch der Entstehungszeit des Gesetzes: als "Aufopferungsfälle") angesehen haben kann; denn dann wären sie sämtlich zu entschädigen gewesen. Der Gesetzgeber ging offenbar davon aus, daß es ihm freistehe, die Entschädigung nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten und allgemeinen Billigkeitserwägungen zu gewähren oder zu versagen. Der Fall des Ausgangsverfahrens ist einer der Grenzfälle, in denen der Reichsgesetzgeber die Entschädigungsgewährung in das Ermessen des Landesgesetzgebers stellt. Der Reichsgesetzgeber gestattet hier den Ausschluß der Entschädigung schon für den Fall, daß anzunehmen ist, das seuchenverdächtige Tier sei mit tollwutkranken Tieren in Berührung gekommen (§ 39 Abs. 2 des Viehseuchengesetzes). Im Fall des Ausgangsverfahrens ist die Berührung festgestellt; es liegt also ein höherer Grad von Ansteckungsverdacht vor, als ihn Reichs- und Landesgesetzgeber für den Ausschluß der Entschädigung genügen lassen.
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Der entscheidende Gesichtspunkt, der dagegen spricht, Fälle der hier vorliegenden Art als Enteignung anzusehen, ist (wie auch das Bundesverwaltungsgericht darlegt), daß die allgemeine Konstellation der Interessen, die Art, wie hier das öffentliche Interesse dem Privateigentum gegenübertritt, anders ist als in den typischen Fällen der Enteignung. Bei diesen liegt es so, daß die öffentliche Gewalt aus eigenem Interesse aktiv, offensiv gegen den Privateigentümer vorgeht, weil sie sein Eigentum für einen öffentlichen Zweck "braucht", d.h. in irgendeiner Weise nutzen will. Im vorliegenden Fall wird dagegen ein bestimmter Eigentumsgegenstand -- das Tier -- wegen seiner Beschaffenheit, wegen eines gefährlichen Zustands, in dem es sich befindet, dem Eigentümer entzogen. Der Staat ist hier nicht primär am Eigentum interessiert; er bedarf seiner nicht, er will es nicht wirtschaftlich oder sonstwie nutzen. Er verhält sich defensiv; er geht gegen das Eigentum nur vor, um Rechtsgüter der Gemeinschaft -- und damit letztlich auch des Eigentümers selbst -- vor Gefahren zu schützen, die von dem Eigentum ausgehen. Er wird nicht im Blick auf die Eigentumsentziehung tätig, sondern erfüllt die Pflicht der Abwehr von Gefahren für die Allgemeinheit. Daß er dabei das Privateigentum angreifen und schmälern, äußerstenfalls vernichten muß, ist eine im Prinzip unerwünschte, aber notwendige Nebenwirkung. Der Staat tut damit im Grunde etwas, was der gewissenhafte Eigentümer selbst tun müßte, sobald er erkennt, daß von seinem Eigentum Gefahren für die Öffentlichkeit ausgehen (vgl. § 36 des Viehseuchengesetzes).
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Allerdings besteht dieselbe Interessenkonstellation auch bei anderen Maßnahmen gegen seuchenkranke und seuchenverdächtige Tiere, für die das Viehseuchengesetz trotzdem Entschädigungsansprüche gewährt (vgl. den allgemeinen Grundsatz des § 66 Nr. 1). Hier handelt es sich aber nicht um Enteignungsentschädigungen, sondern um Ansprüche eigener Art, die der Gesetzgeber freiwillig einerseits aus Billigkeits-, andererseits aus polizeilichen Zweckmäßigkeitsgründen gewährt hat. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 7, 257 [262 f.]) hat aus den Gesetzesmaterialien nachgewiesen, daß die Entschädigungsregelung in das Gesamtsystem der veterinärpolizeilichen Maßnahmen des Gesetzes eingebaut ist und hier besondere Funktionen erfüllt; der Gesetzgeber will insbesondere auf die frühzeitige Anzeigeerstattung hinwirken (die Entschädigung fällt weg, wenn die Anzeige nicht rechtzeitig erstattet wird: § 72 Nr. 1 des Viehseuchengesetzes). Der Eigentümer soll an der wirksamen Seuchenbekämpfung selbst interessiert werden, die Entschädigung wirkt als "Prämie für die rechtzeitige Anzeige". Es stand deshalb dem Gesetzgeber frei, wie weit er bei der Gewährung solcher Ansprüche gehen wollte. Für den Ausschluß der Entschädigung bei Tollwut von Hunden und Katzen gab es einleuchtende Gründe: die besondere Gefährlichkeit dieser Krankheit für den Menschen im Vergleich zu den übrigen Tierseuchen (s. den Katalog in § 10 des Viehseuchengesetzes); die durch die Lebensgewohnheiten dieser Tiere, insbesondere das freie Umherlaufen, gesteigerte Ansteckungsgefahr; schließlich der Gesichtspunkt, daß von den übrigen Viehseuchen häufig ganze Viehbestände (Herden) und Ställe befallen werden, so daß die wirtschaftliche Existenz des Eigentümers berührt ist, während es sich bei der Tollwut von Hunden und Katzen meist nur um die Erkrankung einzelner Tiere handelt, die für sich genommen in der Regel keinen größeren wirtschaftlichen Wert darstellen und oft nur aus Liebhaberei gehalten werden. Unter diesen Umständen konnte der Gesetzgeber den durch die Tötung von Hunden und Katzen wegen Tollwut entstehenden Schaden mit größerer Berechtigung der Eigensphäre des Eigentümers zurechnen. Es ist nicht zu beanstanden, wenn er kein Bedürfnis dafür sah, die Allgemeinheit mit Entschädigungszahlungen zu belasten, die überdies bei der großen Zahl der in Betracht kommenden Tiere und den gerade hier vorliegenden Beweisschwierigkeiten erhebliche Verwaltungsarbeit verursachen könnten.
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c) Der Grundsatz: Sachen, von denen erhebliche Gefahren für die öffentliche Gesundheit ausgehen, können dem Eigentümer ohne Entschädigung entzogen (und vernichtet) werden, stellt eine dem Sacheigentum immanente Sozialbindung dar, die sich auch ohne spezialgesetzliche Regelung unmittelbar aus Art. 14 Abs. 2 GG ergeben würde, der im grundgesetzlichen System -- vor allem im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip -- dem Eigentümer größere Verantwortung der Gemeinschaft gegenüber und damit stärkere Beschränkung seiner freien Verfügungsmacht auferlegt als früher. Daraus ergeben sich zugleich aber auch die Grenzen dieser Sozialbindung. Angesichts der grundsätzlichen Wertentscheidung des Grundgesetzes zugunsten des Privateigentums darf eine Einschränkung im öffentlichen Interesse nur so weit gehen, als es der Schutz des Gemeinwohls zwingend erfordert; der Eingriff steht unter dem Gebot der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbots (BVerfGE 8, 71 [80]). Die hier zu prüfende gesetzliche Regelung verletzt diese Grundsätze nicht. Bei der Beurteilung ist, wie der Bundesgerichtshof mit Recht ausführt, die "geschichtliche Lage" zu berücksichtigen. Sie wird hier bestimmt einmal von der -- nach dem augenblicklichen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis gegebenen -- Unmöglichkeit, die Infizierung des Hundes vor Ausbruch der Krankheit festzustellen, zum andern von den besonderen Gefahren dieser Seuche. Das von der Landesregierung vorgelegte Gutachten ergibt folgendes: Tollwut ist eine gefährliche Krankheit, die beim Menschen regelmäßig zum Tode führt. Sie wird gewöhnlich durch den Biß eines tollwutkranken Tieres, u.U. aber auch schon durch Berührung kranker Tiere oder ihrer Ausscheidungen übertragen. Da Hunde mit dem Menschen eng zusammenleben, ist die Ansteckungsgefahr, gegen die es kein sicheres Hilfsmittel gibt, sehr groß. Ob ein Tier an Tollwut erkrankt ist, läßt sich mit Gewißheit erst nach Ausbruch der Krankheit feststellen; eine Übertragung ist aber schon während der -- verhältnismäßig langen -- Inkubationszeit möglich. Auch am toten Tier läßt sich nicht mit absoluter Sicherheit feststellen, ob es infiziert war oder nicht. Das Vorhandensein bestimmter Viren (der sog. Negri'schen Körperchen) im Gehirn des toten Tieres beweist zwar die Erkrankung, dagegen kann aus dem Fehlen dieser Körperchen nicht unbedingt geschlossen werden, daß das Tier nicht erkrankt war.
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Bei dieser Sachlage muß ein Tier, von dem anzunehmen ist, daß es mit einem tollwutkranken Tier in Berührung gekommen ist, als für die Gesundheit von Menschen besonders gefährlich angesehen werden. Es kann nicht entscheidend sein, daß die tatsächliche Erkrankung nicht festgestellt ist. Eine solche Auffassung würde dem Gewicht der sich hier gegenüberstehenden Interessen nicht gerecht. Abzuwägen sind die unmittelbare und schwere Gefährdung menschlicher Gesundheit in unbestimmt vielen Fällen gegen das Interesse des Eigentümers an der Erhaltung eines einzelnen Tieres, das für ihn einen gewissen wirtschaftlichen und ideellen Wert besitzen mag. Der Schutz der menschlichen Gesundheit verdient den Vorrang; es kann nur darauf ankommen, ob nach den objektiven Erkenntnismöglichkeiten, die zur Zeit bestehen, die Gefahr für die menschliche Gesundheit mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Ist das nicht der Fall, muß das Eigentum zurücktreten.
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Die gesetzliche Regelung hält sich auch insoweit in Einklang mit der Verfassung, als sie die Tötung tollwutverdächtiger Hunde nur für den Fall vorsieht, daß Einsperrung und polizeiliche Überwachung nicht ausreichen (vgl. § 39 Abs. 2 Satz 3 des Viehseuchengesetzes).
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d) Ob im Fall des Ausgangsverfahrens die Tötung des Tieres tatsächlich erforderlich war, oder ob die aus dem Tollwutverdacht drohende Gefahr auch auf andere Weise hätte beseitigt werden können, hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden.
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3. Da sich erwiesen hat, daß gegen § 11 Abs. 1 Nr. 2 des Hess. Ausführungsgesetzes zum Viehseuchengesetz keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, bedarf es -- auch nach der Auffassung des vorlegenden Gerichts -- keiner Entscheidung darüber, ob auch die andere zur Prüfung gestellte Vorschrift (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 des Hess. Ausführungsgesetzes) mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
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