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Zitiert durch:
BVerfGE 156, 354 - Vermögensabschöpfung
BVerfGE 110, 1 - Erweiterter Verfall
BVerfGE 102, 254 - EALG
BVerfGE 77, 1 - Neue Heimat
BVerfGE 37, 57 - Haftbefehl in Berlin
BVerfGE 33, 367 - Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter
BVerfGE 33, 247 - Klagestop Kriegsfolgen
BVerfGE 26, 186 - Ehrengerichte
BVerfGE 25, 88 - Berufsverbot II
BVerfGE 23, 113 - Blankettstrafrecht


Zitiert selbst:
BVerfGE 20, 323 - 'nulla poena sine culpa'
BVerfGE 20, 162 - Spiegel
BVerfGE 10, 302 - Vormundschaft
BVerfGE 9, 89 - Gehör bei Haftbefehl
BVerfGE 7, 89 - Hamburgisches Hundesteuergesetz
BVerfGE 3, 248 - Mehrfachbestrafung


A. -- I.
1. Der Beschwerdeführer zu 1) leistete vom Januar 1961 bis z ...
2. Der Beschwerdeführer zu 2) war von April 1965 bis Juni 19 ...
II.
III.
1. Namens der Bundesregierung hat sich der Bundesminister der Ver ...
2. Der Präsident des Bundesdisziplinarhofs hat ausgefüh ...
3. Die beiden Verfassungsbeschwerden haben dieselbe Rechtsfrage z ...
B. -- I.
II.
1. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Beschluß vom 2.  ...
2. a) Straf- und Disziplinarrecht unterscheiden sich nach Rechtsg ...
3. a) Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß an sich keine v ...
4. a) In § 6 Abs. 1 WDO kommt zwar zum Ausdruck, daß d ...
5. Die angefochtenen Entscheidungen haben die von den Beschwerdef ...
Bearbeitung, zuletzt am 27.10.2022, durch: A. Tschentscher, Djamila Strößner
BVerfGE 21, 378 (378)1. Art. 103 Abs. 3 GG findet im Verhältnis von disziplinaren Arreststrafen nach der Wehrdisziplinarordnung und Kriminalstrafen keine Anwendung.
 
2. Es ist mit dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit nicht vereinbar, daß wegen derselben Tat eine strafgerichtliche Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Berücksichtigung einer bereits verhängten disziplinaren Arreststrafe erfolgt.BVerfGE 21, 378 (378)
 
 
BVerfGE 21, 378 (379)Beschluß
 
des Zweiten Senats vom 2. Mai 1967
 
-- 2 BvR 391/64 und 263/66 --  
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerden 1. des Buchdruckers ... - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt ... - gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 4. Mai 1964 - 1 Ss 96/64 - 2. des Chemiefachwerkers ... - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt ... gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts Celle vom 16. März 1966 - 2Ss 37/66.
 
Entscheidungsformel:
 
I. Das Urteil des Amtsgerichts -- Schöffengericht -- Koblenz vom 14. Mai 1962 -- 21 Ms 82/62 --, das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 20. Dezember 1963 -- 21 Ms 82/62 -- und das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 4. Mai 1964 -- 1 Ss 96/64 -- verletzen das Grundrecht des Beschwerdeführers zu 1) aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes; sie werden aufgehoben.
 
Die Sache wird an das Amtsgericht Koblenz zurückverwiesen.
 
II. Das Urteil des Amtsgerichts -- Schöffengericht -- Stade vom 27. August 1965 -- 9 Ms 38/65 --, das Urteil des Landgerichts Stade vom 1. November 1965 -- Ns 9 Ms 38/65 -- und der Beschluß des Oberlandesgerichts Celle vom 16. März 1966 -- 2 Ss 37/66 -- verletzen das Grundrecht des Beschwerdeführers zu 2) aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes; sie werden aufgehoben.
 
Die Sache wird an das Amtsgericht Stade zurückverwiesen.
 
 
Gründe:
 
 
A. -- I.
 
1. Der Beschwerdeführer zu 1) leistete vom Januar 1961 bis zum März 1962 seinen Wehrdienst ab.
Am 12. Februar 1962 hatte der Regimentskommandeur nach Einholung der richterlichen Zustimmung (§ 28 Abs. 1 WDO) gegen den Beschwerdeführer eine Disziplinarstrafe von 21 Tagen Arrest mit der Begründung verhängt, der Beschwerdeführer habe am 2. Februar 1962 in Koblenz-Lützel, Rheinkaserne, seinen Nachturlaub überschritten, die Kaserne auf verbotenem Wege betreten, einer Aufforderung des Streifenpostens nicht Folge geBVerfGE 21, 378 (379)BVerfGE 21, 378 (380)leistet, sich bei dem Versuch der Festnahme zur Wehr gesetzt und sich durch Flucht entfernt. Der Beschwerdeführer hat die Arreststrafe verbüßt.
Wegen desselben Tatkomplexes erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Beschwerdeführer. Sie beschuldigte ihn eines fortgesetzten Vergehens nach § 20 WStG (Gehorsamsverweigerung) und eines Vergehens nach § 25 WStG (tätlicher Angriff gegen einen Vorgesetzten).
Das Schöffengericht Koblenz verurteilte den Beschwerdeführer am 14. Mai 1962 -- 21 Ms 82/62 -- wegen fortgesetzter Gehorsamsverweigerung zu 3 Wochen Gefängnis. Daß der Beschwerdeführer es unternommen habe, gegen einen Vorgesetzten tätlich zu werden, hielt das Gericht nicht für erwiesen. Auf die auf das Strafmaß beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft änderte das Landgericht Koblenz das angefochtene Urteil am 20. Dezember 1963 -- 21 Ms 82/62 -- und verurteilte den Beschwerdeführer zu 5 Wochen Gefängnis. Seine Revision wurde durch Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 4. Mai 1964 -- 1 Ss 96/64 -- als unbegründet verworfen. Das Oberlandesgericht hielt es für zulässig, zusätzlich zu der dem Beschwerdeführer im Disziplinarverfahren auferlegten Arreststrafe eine weitere Freiheitsstrafe zu verhängen. Die vom Strafgericht verhängte Gefängnisstrafe von 5 Wochen hat der Beschwerdeführer noch nicht verbüßt.
Nach rechtskräftigem Abschluß des Strafverfahrens beantragte der zuständige Disziplinarvorgesetzte, die Arreststrafe von 21 Tagen gemäß §§ 31 Abs. 1, 22 WDO aufzuheben, da durch das Strafgericht bindend festgestellt worden sei, daß dem Angeklagten ein tätlicher Angriff auf einen Vorgesetzten nicht habe nachgewiesen werden können. Durch Beschluß vom 26. Oktober 1964 gab das Truppendienstgericht A diesem Antrag mit der Begründung statt, die Disziplinarbestrafung sei angesichts der Feststellungen des Strafgerichts zu Unrecht erfolgt und müsse in vollem Umfang aufgehoben werden, da alle Pflichtwidrigkeiten gemäß § 8 Abs. 2 WDO als ein Dienstvergehen geahndet worden seien.BVerfGE 21, 378 (380)
BVerfGE 21, 378 (381)2. Der Beschwerdeführer zu 2) war von April 1965 bis Juni 1966 als Wehrpflichtiger bei der Bundeswehr.
Am 6. August 1965 hatte der Bataillonskommandeur gegen ihn eine Disziplinarstrafe von 7 Tagen Arrest mit der Begründung verhängt, der Beschwerdeführer habe am 25. Juli 1965 in Stade die ihm auferlegte verschärfte Ausgangsbeschränkung von 7 Tagen gebrochen, einen Befehl des Gefreiten vom Dienst nicht befolgt und ihn beschimpft und tätlich angegriffen. Der Beschwerdeführer hat die Arreststrafe verbüßt.
Wegen der Gehorsamsverweigerung und des tätlichen Angriffs auf den Gefreiten vom Dienst erhob die Staatsanwaltschaft Anklage. Das Schöffengericht Stade verurteilte den Beschwerdeführer am 27. August 1965 -- 9 Ms 38/65 -- wegen Vergehens nach §§ 20, 25 WStG, 73 StGB zu 2 Monaten Gefängnis. Durch Urteil des Landgerichts Stade vom 1. November 1965 -- Ns 9 Ms 38/65 -- wurde die Berufung des Beschwerdeführers und durch Beschluß des Oberlandesgerichts Celle vom 16. März 1966 -- 2 Ss 37/66 -- seine Revision verworfen. Der Beschwerdeführer hat auch die Gefängnisstrafe im Mai und Juni 1966 verbüßt.
II.
 
Beide Beschwerdeführer haben gegen die sie betreffenden Gerichtsentscheidungen rechtzeitig Verfassungsbeschwerde eingelegt. Sie rügen Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 103 Abs. 3 GG mit der Begründung, nach dieser Grundgesetznorm sei es unzulässig, wegen derselben Tat zweimal eine Freiheitsstrafe zu verhängen.
Der Beschwerdeführer zu 1) beantragt, die gegen ihn ergangenen Urteile aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Bonn zu verweisen.
Der Beschwerdeführer zu 2) beantragt, die gegen ihn ergangenen Entscheidungen aufzuheben und festzustellen, daß § 6 WDO in der Fassung vom 9. Juni 1961 (BGBl. I S. 697) verfassungswidrig sei.BVerfGE 21, 378 (381)
BVerfGE 21, 378 (382)III.
 
1. Namens der Bundesregierung hat sich der Bundesminister der Verteidigung wie folgt geäußert: Im Beamtendisziplinarrecht sei es seit langem möglich und anerkanntermaßen mit Art. 103 Abs. 3 GG vereinbar, daß der Disziplinarvorgesetzte ein Dienstvergehen, das zugleich Straftat sei, unabhängig von der strafgerichtlichen Verfolgung disziplinarisch ahnde. Das gelte auch dann, wenn es sich um ein Dienstvergehen handle, das als echtes Amtsdelikt unter Kriminalstrafe gestellt sei. Auch der Umstand, daß sich einige der im Strafrecht und Disziplinarrecht vorgesehenen Strafen sehr ähnlich seien -- etwa die Geldstrafe einerseits, die Geldbuße andererseits --, ändere daran nichts. Die Selbständigkeit der Disziplinarstrafe gegenüber der Kriminalstrafe beruhe auf ihrer Wesensverschiedenheit, die im unterschiedlichen Anwendungsbereich -- besonderes und allgemeines Gewaltverhältnis -- und im unterschiedlichen Zweck -- vorwiegend präventiver Charakter der Disziplinarstrafe und repressiver Charakter der Kriminalstrafe -- begründet sei. Ein solcher Wesensunterschied bestehe auch zwischen der Arreststrafe der Wehrdisziplinarordnung und der kriminellen Freiheitsstrafe. Die Arreststrafe sei vorgesehen, damit der Disziplinarvorgesetzte die Möglichkeit habe, durch schnelles und wirksames Einschreiten die militärische Ordnung und Disziplin von Störungen freizuhalten. Die Kriminalstrafe dagegen diene der Schuldvergeltung.
2. Der Präsident des Bundesdisziplinarhofs hat ausgeführt: Die Wehrdienstsenate des Bundesdisziplinarhofs hielten die Kumulation von Kriminalstrafen und Disziplinarstrafen nach der Wehrdisziplinarordnung für vereinbar mit Art. 103 Abs. 3 GG. Doch sei in der Rechtsprechung der Wehrdienstsenate immer deutlicher das Bestreben hervorgetreten, die Bestrafung eines Soldaten mit disziplinarem Arrest oder mit einer disziplinaren Geldbuße zu vermeiden, wenn er wegen derselben Tat bereits vom Strafgericht mit Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe belegt worden sei. Maßgebend dafür sei die Erwägung gewesen, daß Geldstrafe und Geldbuße sowie Freiheitsstrafe und DisziplinararrestBVerfGE 21, 378 (382) BVerfGE 21, 378 (383)ihrer Art nach gleich seien. Für den Fall, daß ein Dienstvergehen, das zugleich eine strafbare Handlung darstelle, nicht zuerst strafgerichtlich, sondern umgekehrt zuerst disziplinarisch mit Arrest oder Geldbuße geahndet worden sei, müsse die Verhängung einer Kriminalstrafe allerdings noch zulässig sein; denn der auf das Strafgesetz gegründete Strafanspruch des Staates sei der umfassendere und habe den Vorrang. Hier könne den erwähnten Bedenken aber dadurch Rechnung getragen werden, daß die disziplinare Arreststrafe auf eine spätere Freiheitsstrafe angerechnet werde.
3. Die beiden Verfassungsbeschwerden haben dieselbe Rechtsfrage zum Gegenstand. Sie sind daher zur gemeinsamen Entscheidung verbunden worden.
 
Gegen die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden bestehen keine Bedenken. Dies gilt auch hinsichtlich des Beschwerdeführers zu 2), der nach Einlegung seiner Verfassungsbeschwerde die gegen ihn erkannte Gefängnisstrafe verbüßt hat. Denn trotzdem besteht noch ein Rechtsschutzbedürfnis an der verfassungsrechtlichen Überprüfung der Strafentscheidungen (vgl. BVerfGE 9, 89 [93 f.]; 20, 162 [173]), zumal eine strafgerichtliche Verurteilung für den Betroffenen nachteilige Folgen hat, die über die Strafverbüßung hinausreichen.
 
Die Verfassungsbeschwerden sind auch begründet.
1. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Beschluß vom 2. Mai 1967 -- 2 BvL 1/66 -- zu der Vorlage eines Truppendienstgerichts ausgesprochen, daß die Verhängung von Kriminalstrafen und disziplinaren Laufbahnstrafen nebeneinander wegen desselben Sachverhalts nicht gegen Art. 103 Abs. 3 GG verstößt. Nach dieser Vorschrift dürfen mehrfache Bestrafungen auf Grund der "allgemeinen Strafgesetze" wegen derselben Tat nicht ergehen. Wie aus der Entstehungsgeschichte des Art. 103 Abs. 3 GG (vgl. JöR 1 [1951], 741 ff.) hervorgeht, sind unter den "allgemeinenBVerfGE 21, 378 (383) BVerfGE 21, 378 (384)Strafgesetzen" die Kriminalstrafgesetze und nicht die herkömmlichen Disziplinargesetze zu verstehen.
Im Bereich des Wehrdisziplinarrechts enthielten die herkömmlichen Disziplinargesetze seit jeher auch die Strafe des Arrestes. Die Verhängung einer Kriminalstrafe neben einer im Disziplinarverfahren auferlegten Arreststrafe könnte nur dann als eine "Doppelbestrafung" im Sinne des Art. 103 Abs. 3 GG angesehen werden, wenn die Arreststrafe in keiner Weise disziplinaren Charakter hätte, vielmehr eine echte Kriminalstrafe wäre. Dies ist aber nicht der Fall. Art. 103 Abs. 3 GG findet deshalb im Verhältnis der disziplinaren Arreststrafe und den Kriminalstrafen keine Anwendung.
Ungeachtet des Wesensunterschiedes von Kriminal- und Disziplinarrecht ist es aber angesichts der Eigenart der Freiheitsstrafe im Disziplinarwesen mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar, wenn ein Soldat nach der Verhängung einer Freiheitsstrafe im Disziplinarverfahren wegen desselben Tatkomplexes noch einmal zusätzlich und ohne Berücksichtigung der Disziplinarstrafe mit einer Freiheitsstrafe des Kriminalrechts belegt wird.
2. a) Straf- und Disziplinarrecht unterscheiden sich nach Rechtsgrund und Zweckbestimmung. Das strafrechtliche Delikt liegt in der Verletzung eines der von der Rechtsordnung allgemein geschützten Rechtsgüter, in einer Störung der öffentlichen Ordnung. Das disziplinare Vergehen besteht in der Störung der besonderen, nur einem bestimmten Kreis von Staatsbürgern auferlegten Ordnung. Die Kriminalstrafe dient neben der Abschreckung und Besserung der Vergeltung; sie bemißt sich nach dem normativ festgelegten Wert des verletzten Rechtsgutes und der Schuld des Täters. Die Disziplinarstrafe ist demgegenüber ihrem Wesen nach Zucht- und Erziehungsmittel; sie bezweckt die Aufrechterhaltung eines geordneten Dienstbetriebes und bestimmt sich nach dessen Erfordernissen. Die Kriminalstrafe trifft mit ihren beiden Hauptstrafen den Täter in seinem allgemeinen Staatsbürgerstatus, der Freiheit und dem Vermögen. Die disziplinare Strafe bezieht sich auf den besonderen Rechts- und Pflichtenstatus des Betroffenen.BVerfGE 21, 378 (384)
BVerfGE 21, 378 (385)b) Daß gemessen an diesen Kriterien die Strafen der Wehrstrafgesetze echte Kriminalstrafen und die Laufbahnstrafen der Wehrdisziplinarordnung typische Disziplinarstrafen sind, hat der Senat in der bereits angeführten Entscheidung vom 2. Mai 1967 festgestellt. Was die einfachen Disziplinarstrafen (§ 10 Abs. 1 WDO) angeht, so haben auch Verweis, Soldverwaltung und Ausgangsbeschränkung eindeutig disziplinaren Charakter. Verweis und strenger Verweis erschöpfen sich in der Feststellung und Vorhaltung eines Dienstvergehens (§ 11 WDO). Die Soldverwaltung betrifft lediglich die Dienstbezüge (§ 12 WDO). Mit der Ausgangsbeschränkung wird das normalerweise bestehende Recht, die Unterkunft zu gewissen Zeiten zu verlassen, Gemeinschaftsräume zu besuchen und Besuche zu empfangen, eingeschränkt (§ 14 WDO). Diese einfachen Disziplinarstrafen beziehen sich demgemäß lediglich auf die Gestaltung des Dienstverhältnisses und der daraus sich ergebenden Rechte und erweisen damit ihre im wesentlichen erzieherische Zielsetzung.
Ob auch die Geldbuße den Charakter einer reinen Erziehungsmaßnahme hat, kann hier dahingestellt bleiben. Jedenfalls weist die Arreststrafe der Wehrdisziplinarordnung nicht mehr nur diesen Charakter auf. Zwar soll auch sie den Betroffenen durch einen besonders schweren Eingriff nachhaltig auf die Notwendigkeit der korrekten Erfüllung seiner Pflichten hinweisen und damit der Aufrechterhaltung eines geordneten Dienstbetriebes dienen. Allerdings zeigt sie dem äußeren Anschein nach auch Züge der Freiheitsstrafe des allgemeinen Strafrechts. Während bei den übrigen einfachen Disziplinarstrafen die Wahl der erforderlichen Maßnahmen nach allgemeinen Richtlinien (§ 26 Abs. 1 und 2 WDO) dem Disziplinarvorgesetzten überlassen ist, bestimmt das Gesetz selbst, wann die Arreststrafe verhängt werden soll (§ 26 Abs. 3 WDO) oder verhängt werden muß (§ 23 Abs. 1 Satz 2 WDO). Von Bedeutung ist, daß der Soldat im Falle einer Bestrafung mit Arrest nicht nur in seinem dienstrechtlichen, sondern auch in seinem allgemeinen Status betroffen und daß ihm durchBVerfGE 21, 378 (385) BVerfGE 21, 378 (386)den Arrest die persönliche Freiheit entzogen wird -- ein Rechtsgut, das "als erste Voraussetzung für jede freiheitliche Betätigung des Menschen überhaupt" (BVerfGE 10, 302 [322]) vom Grundgesetz besonders hoch bewertet wird (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, 104 GG). Die Entziehung dieses für die Entfaltung der Persönlichkeit grundlegenden Rechtsguts kann nicht als ein bloß dienstinterner disziplinarrechtlicher Vorgang gewertet werden, auch dann nicht, wenn sie wegen eines Dienstvergehens und um innerdienstlicher Zwecke willen angeordnet wird. Die Freiheitsentziehung ist vielmehr von solchem Gewicht, daß es nicht darauf ankommt, ob sie mehr zur Vergeltung oder mehr zur Prävention, mehr um des allgemeinen Rechtsfriedens oder mehr um der Dienstzucht willen verhängt wird.
c) Die Auffassung, daß die Arreststrafe im Disziplinarrecht eine Sondererscheinung sei und sich von den übrigen Disziplinarstrafen abhebe, hat sich auch in der Entwicklung des Disziplinarwesens dahin ausgewirkt, daß sie im Beamtendisziplinarrecht überhaupt abgeschafft und im Disziplinarrecht der deutschen Hochschulen nicht mehr praktiziert wurde.
Was das Beamtendisziplinarrecht angeht, so kannte die Preußische Verordnung betreffend die Dienstvergehen der nichtrichterlichen Beamten vom 11. Juli 1849 (GS S. 271) keine Freiheitsstrafe. In den Motiven war dazu ausgeführt, eine disziplinare Freiheitsstrafe sei unangebracht, weil sie mehr den Bürger als den Beamten treffe und weil sie das amtliche Ansehen schwäche (vgl. Brand, Das Beamtenrecht, 1914, S. 699). Nach dem Preußischen Gesetz betreffend Dienstvergehen der nichtrichterlichen Beamten vom 21. Juli 1852 (GS S. 465) konnte dagegen eine Arreststrafe bis zu 8 Tagen gegen Unterbeamte angeordnet werden (§ 15 Nr. 4). Schon bei der Beratung des Entwurfs zum Reichsbeamtengesetz vom 31. März 1873 (RGBl. S. 61) wurden Bedenken gegen den Disziplinararrest geltend gemacht. Der Reichstag lehnte die im Regierungsentwurf vorgesehene Arreststrafe mit der Begründung ab, sie schmälere das Ansehen der Beamten und stumpfe ihr Ehrgefühl ab; auch sei sie, da die persönliche Freiheit unterBVerfGE 21, 378 (386) BVerfGE 21, 378 (387)dem Schutz des ordentlichen Richters steht, ihrer Natur nach Kriminal- und nicht Disziplinarstrafe (vgl. Brand a.a.O. S. 699 f.). Die Arreststrafe wurde daher in das Reichsbeamtengesetz nicht aufgenommen. In Preußen wurde sie durch das Gesetz betreffend Aufhebung des Disziplinarmittels der Arreststrafe vom 25. März 1917 (GS S. 49) abgeschafft.
Das Preußische Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der Studierenden und die Disziplin auf den Landesuniversitäten vom 29. Mai 1879 (GS S. 389) sah die Disziplinarstrafe der "Karzerhaft bis zu 2 Wochen" vor (§ 6). Die Verhängung dieser Disziplinarstrafe war "unabhängig von einer wegen derselben Handlung eingeleiteten strafgerichtlichen Verfolgung" (§ 14). Obwohl diese Vorschriften auch in der Weimarer Zeit formell gültig blieben, wurde von der Karzerstrafe nach dem ersten Weltkrieg kein Gebrauch mehr gemacht (vgl. H. Maack, Grundlagen des studentischen Disziplinarrechts, 1956, S. 77; Wende, Grundlagen des Preußischen Hochschulrechts, 1930, S. 161 f.).
Im militärischen Disziplinarrecht war die Arreststrafe bereits in der ersten umfassenden Regelung dieses Rechtsgebietes, der Preußischen Verordnung über die Disziplinarbestrafung in der Armee vom 21. Oktober 1841 (GS S. 325), vorgesehen; sie ist auch in alle folgenden militärischen Disziplinarordnungen bis hin zur Wehrdisziplinarordnung aufgenommen worden. Jedoch war es nach all diesen Disziplinarordnungen -- auch nach der ursprünglichen Fassung der Wehrdisziplinarordnung -- ausgeschlossen, daß ein und dieselbe Tat sowohl disziplinarisch mit Arrest als auch strafgerichtlich mit Kriminalstrafe geahndet wurde (vgl. unter 3 b).
3. a) Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß an sich keine verfassungsrechtlichen Bedenken zu erheben sind, wenn das Wehrdisziplinarrecht mit Rücksicht auf die im Truppendienst gebotene besondere Zucht auch Arreststrafen vorsieht. Sie sind dem Disziplinarrecht im militärischen Bereich nicht wesensfremd und können nicht als reine Kriminalstrafen angesehen werden.
Die im Disziplinarweg verhängte Arreststrafe schließt auch eineBVerfGE 21, 378 (387) BVerfGE 21, 378 (388)spätere strafrechtliche Verfolgung derselben Tat nicht aus. Beide Verfahren stehen unter verschiedenen Aspekten. Es würde deshalb dem Prinzip der Rechtssicherheit und Gerechtigkeit zuwiderlaufen, wenn eine Tat, die nicht nur eine Dienstpflicht, sondern auch ein Strafgesetz verletzt, mit einer Disziplinarstrafe abschließend geahndet werden könnte. Dieser Gedanke kommt auch in anderen Bereichen zur Geltung. Wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, hindert ein rechtskräftig abgeschlossenes Strafbefehlsverfahren wegen seines bloß summarischen Charakters nicht, daß die vom Strafbefehl erfaßte Tat später noch einmal zum Gegenstand eines ordentlichen Strafverfahrens gemacht wird, wenn die Bestrafung unter einem nicht schon im Strafbefehl gewürdigten rechtlichen Gesichtspunkt erfolgt (BVerfGE 3, 248 [254]). Ähnlich wie der rechtskräftige Strafbefehl schließt ein rechtskräftiger Bußgeldbescheid gleichfalls nicht aus, daß die Tat nachträglich noch strafrechtlich verfolgt wird (§ 65 Abs. 2 OWiG). Wie in diesen Fällen ist die von einer Disziplinarinstanz verhängte Arreststrafe nicht geeignet, die Strafklage zu verbrauchen.
Mit dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit ist es indessen nicht vereinbar, daß eine strafgerichtliche Verurteilung ohne Berücksichtigung der disziplinaren Arreststrafe erfolgt. Die im Rechtsstaatsgedanken enthaltene Idee der Gerechtigkeit (vgl. BVerfGE 7, 89 [92]; 7, 194 [196]; 20, 323 [331]) schließt es aus, einen Soldaten wegen ein und derselben Tat zunächst eine Freiheitsstrafe nach der Wehrdisziplinarordnung und dann noch eine vom Strafgericht für tatangemessen gehaltene weitere Freiheitsstrafe voll verbüßen zu lassen. Sie gebietet vielmehr, bei der Bemessung der Kriminalstrafe, die, wenn auch aus anderen Gesichtspunkten ausgesprochene, ihrer Wirkung nach aber gleichartige disziplinare Freiheitsstrafe anzurechnen.
b) Die Forderung, daß eine disziplinare Freiheitsstrafe auf eine später wegen derselben Tat verhängte kriminelle Freiheitsstrafe anzurechnen ist, entspricht auch der rechtsstaatlichen Tradition.
Nach allen früheren militärischen Disziplinarordnungen -- seitBVerfGE 21, 378 (388) BVerfGE 21, 378 (389)der ersten umfassenden Regelung dieses Rechtsgebietes in der Preußischen Verordnung über die Disziplinarbestrafung in der Armee vom 21. Oktober 1841 (GS S. 325) -- war die disziplinare Ahndung einer Tat grundsätzlich nur insoweit zulässig, als eine kriminelle Bestrafung ausschied. Auch nach § 6 der ursprünglichen Fassung der Wehrdisziplinarordnung vom 15. März 1957 (BGBl. I S. 189) konnten Dienstvergehen nur dann mit Arrest oder sonstigen einfachen Disziplinarstrafen (§ 10 WDO) geahndet werden, wenn eine kriminelle Bestrafung unterblieb. Die "Doppelbestrafung" eines Soldaten mit Arrest und Kriminalstrafe war also nach allen früheren militärischen Disziplinarordnungen einschließlich der Wehrdisziplinarordnung in ihrer ursprünglichen Fassung unzulässig.
Wurde ein Soldat wegen einer Tat, die kriminell hätte geahndet werden müssen, nur mit einer Disziplinarstrafe belegt, so war die nachträgliche Strafverfolgung nach diesen Disziplinarordnungen aber nicht ausgeschlossen. Schon § 26 der Preußischen Verordnung über die Disziplinarbestrafung in der Armee von 1841 bestimmte, daß bei einer Straftat, auch wenn sie bereits mit einer Disziplinarstrafe geahndet worden war, das gerichtliche Verfahren eingeleitet, daß aber "bei Bemessung der gerichtlichen Strafe ... auf die bereits verbüßte Disziplinarstrafe Rücksicht genommen werden" müsse. Entsprechende Regelungen waren in den späteren militärischen Disziplinarordnungen und auch in den §§ 22 Abs. 4, 32 Abs. 2 Nr. 2 WDO a.F. enthalten. Durch die Novelle zur Wehrdisziplinarordnung vom 9. Juni 1961 (BGBl. I S. 689) wurde das Verbot der "Doppelbestrafung", das nach § 6 Abs. 1 WDO a.F. für einfache Disziplinarstrafen gegolten hatte, beseitigt und die Kumulation von Kriminal- und Disziplinarstrafen uneingeschränkt für zulässig erklärt. Dadurch wurde erstmals in der Geschichte des militärischen Disziplinarrechts die Möglichkeit eröffnet, wegen derselben Tat neben einer disziplinaren Freiheitsstrafe ohne deren Berücksichtigung noch eine kriminelle Freiheitsstrafe zu verhängen.
4. a) In § 6 Abs. 1 WDO kommt zwar zum Ausdruck, daßBVerfGE 21, 378 (389) BVerfGE 21, 378 (390)die Verhängung von Disziplinarstrafen neben strafgerichtlichen Strafen zulässig sein soll (vgl. Beschluß vom 2. Mai 1967 -- 2 BvL 1/66 -), nicht aber, daß die Strafgerichte sich einer Anrechung von Arreststrafen auf Kriminalstrafen zu enthalten hätten. Die Strafgerichte hätten die verhängten Arreststrafen daher anrechnen können und müssen.
b) Dem steht nicht entgegen, daß die den beiden Beschwerdeführern auferlegten Arreststrafen möglicherweise auf einem rechtlich unzulässigen Verfahren beruhen. Zweifel in dieser Hinsicht könnten sich daraus ergeben, daß die Arreststrafen von Disziplinarvorgesetzten angeordnet worden sind und der Richter gemäß § 28 Abs. 1 WDO auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit beschränkt gewesen ist. Ob der Richter unter diesen Umständen, wie nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG geboten, "in vollem Umfang die Verantwortung für die Maßnahme" übernommen hat (BVerfGE 10, 302 [310]), mag fraglich erscheinen (vgl. Dürig in Maunz-Dürig, GG, Art. 104 Rdnr. 28). Die Frage bedarf aber in diesem Zusammenhang keiner Entscheidung. Selbst wenn die Regelung des § 28 Abs. 1 WDO mit Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG unvereinbar sein sollte, müßten die gegen die beiden Beschwerdeführer verhängten und vollstreckten Arreststrafen angerechnet werden.
c) Unerheblich ist weiterhin die Tatsache, daß die gegen den Beschwerdeführer zu 1) verhängte Arreststrafe nach Verbüßung vom Truppendienstgericht aufgehoben worden ist. Durch die Aufhebung konnte die Freiheitsentziehung nicht rückgängig gemacht werden.
d) Auch der Umstand, daß die Arreststrafen in den beiden vorliegenden Fällen nicht ausschließlich wegen der Taten verhängt worden sind, die später Gegenstand der Strafverfahren waren, sondern auch wegen anderer Taten, ändert nichts daran, daß jeweils die gesamte verbüßte Arreststrafe auf die Gefängnisstrafe anzurechnen ist. Anders als im Strafrecht (§ 74 StGB) werden im Disziplinarrecht mehrere pflichtwidrige Taten, über die gleichzeitig entschieden werden kann, als ein Dienstvergehen geahndetBVerfGE 21, 378 (390) BVerfGE 21, 378 (391)(§ 8 Abs. 2 WDO). Die Arreststrafen sind daher unteilbare Einheitsstrafen, die im ganzen angerechnet werden müssen.
5. Die angefochtenen Entscheidungen haben die von den Beschwerdeführern verbüßten Arreststrafen nicht angerechnet; sie verstoßen daher gegen das Rechtsstaatsprinzip und verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Die Entscheidungen müssen deshalb aufgehoben und die Sachen zurückverwiesen werden (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Zu der vom Beschwerdeführer zu 1) ohne Begründung beantragten Verweisung an das Amtsgericht Bonn besteht kein Anlaß.
Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen.
Henneka Leibholz Geller Rupp Geiger Federer KutscherBVerfGE 21, 378 (391)