Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) verpflichtet den Gesetzgeber nicht dazu, neben dem Vaterschaftsfeststellungsverfahren nach § 1600d BGB auch ein Verfahren zur isolierten, sogenannten rechtsfolgenlosen, Klärung der Abstammung von einem mutmaßlich leiblichen, aber nicht rechtlichen Vater bereitzustellen.
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Urteil | |
des Ersten Senats vom 19. April 2016 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24. November 2015 | |
-- 1 BvR 3309/13 -- | |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Frau L... -- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Paul Kreierhoff, Flopsplatz 1, 46325 Borken -- gegen a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 23. Oktober 2013 -- II-12 UF 121/13 --, b) den Beschluss des Amtsgerichts Borken vom 8. Mai 2013 -- 34 F 29/10 --.
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Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
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Gründe: | |
A. | |
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob neben dem Vaterschaftsfeststellungsverfahren nach § 1600d BGB, das auf die statusrechtliche Feststellung der Vaterschaft gerichtet ist, von Verfassungs wegen auch ein Verfahren zur isolierten, sogenannten rechtsfolgenlosen, Klärung der Abstammung von einem mutmaßlich leiblichen, aber nicht rechtlichen Vater bereitstehen muss. Die Beschwerdeführerin strebt eine solche isolierte Klärung ihrer Abstammung an und wendet sich gegen gerichtliche Entscheidungen, die ihr dies verwehrt haben. Die statusrechtliche Feststellung der Vaterschaft verfolgt sie hingegen nicht.
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I.
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1. a) Nach derzeitiger Rechtslage kann die Vaterschaft im gerichtlichen Verfahren nach § 1600d BGB festgestellt werden.
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§ 1600d BGB lautet:
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(1) Besteht keine Vaterschaft nach § 1592 Nr. 1 und 2, § 1593, so ist die Vaterschaft gerichtlich festzustellen. (2) Im Verfahren auf gerichtliche Feststellung der Vaterschaft wird als Vater vermutet, wer der Mutter während der Empfängniszeit beigewohnt hat. Die Vermutung gilt nicht, wenn schwerwiegende Zweifel an der Vaterschaft bestehen. (3) Als Empfängniszeit gilt die Zeit von dem 300. bis zu dem 181. Tage vor der Geburt des Kindes, mit Einschluss sowohl des 300. als auch des 181. Tages. Steht fest, dass das Kind außerhalb des Zeitraums des Satzes 1 empfangen worden ist, so gilt dieser abweichende Zeitraum als Empfängniszeit. (4) Die Rechtswirkungen der Vaterschaft können, soweit sich nicht aus dem Gesetz anderes ergibt, erst vom Zeitpunkt ihrer Feststellung an geltend gemacht werden. | |
§ 1600d BGB dient dazu, einem Kind, das keinen rechtlichen Vater hat, den Erzeuger -- nach entsprechender Klärung der leiblichen Abstammung -- auch statusrechtlich als Vater zuzuordnen. Das Kind kann bei dieser Gelegenheit Gewissheit darüber erhalten, ob es tatsächlich von dem Mann abstammt, den es für seinen leiblichen Vater hält. Eine isolierte Aufklärung der leiblichen Abstammung ohne entsprechende statusrechtliche Folge ist in dem Verfahren nach § 1600d BGB hingegen nicht möglich.
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b) Eine isolierte Abstammungsklärung ermöglicht in bestimmten Konstellationen § 1598a BGB.
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§ 1598a BGB lautet:
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(1) Zur Klärung der leiblichen Abstammung des Kindes können 1. der Vater jeweils von Mutter und Kind, 2. die Mutter jeweils von Vater und Kind und 3. das Kind jeweils von beiden Elternteilen verlangen, dass diese in eine genetische Abstammungsuntersuchung einwilligen und die Entnahme einer für die Untersuchung geeigneten genetischen Probe dulden. Die Probe muss nach den anerkannten Grundsätzen der Wissenschaft entnommen werden. (2) Auf Antrag eines Klärungsberechtigten hat das Familiengericht eine nicht erteilte Einwilligung zu ersetzen und die Duldung einer Probeentnahme anzuordnen. (3) Das Gericht setzt das Verfahren aus, wenn und solange die Klärung der leiblichen Abstammung eine erhebliche Beeinträchtigung des Wohls des minderjährigen Kindes begründen würde, die auch unter Berücksichtigung der Belange des Klärungsberechtigten für das Kind unzumutbar wäre. (4) Wer in eine genetische Abstammungsuntersuchung eingewilligt und eine genetische Probe abgegeben hat, kann von dem Klärungsberechtigten, der eine Abstammungsuntersuchung hat durchführen lassen, Einsicht in das Abstammungsgutachten oder Aushändigung einer Abschrift verlangen. Über Streitigkeiten aus dem Anspruch nach Satz 1 entscheidet das Familiengericht. | |
Die Vorschrift gibt dem Vater, der Mutter und dem Kind gegenüber den jeweils anderen beiden Familienmitgliedern zur isolierten Klärung der leiblichen Abstammung ohne statusrechtliche Folge einen Anspruch auf Einwilligung in eine genetische Abstammungsuntersuchung und Duldung der Entnahme einer für die Untersuchung geeigneten genetischen Probe. Der infolge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum heimlichen Vaterschaftstest vom 13. Februar 2007 (BVerfGE 117, 202) geschaffene Anspruch nach § 1598a BGB ist vom Gesetzgeber bewusst niederschwellig ausgestaltet und an keine weiteren Voraussetzungen als die dort genannten familiären Beziehungen gebunden (vgl. BTDrucks 16/6561, S. 12). Er gilt unbefristet und setzt nicht voraus, dass ein Anfangsverdacht dargelegt wird. Die Gerichte des Ausgangsverfahrens gehen aber in Übereinstimmung mit der sonstigen obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 6. Mai 2009 -- 1 UF 68/09 --, juris, Rn. 4; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. Juli 2009 -- 2 UF 49/09 --, juris, Rn. 14 ff.; OLG Nürnberg, Beschluss vom 17. Juni 2013 -- 11 UF 551/13 --, juris, Rn. 16) und der nahezu einhelligen Meinung im Schrifttum davon aus, dass § 1598a BGB nur Abstammungsklärungen innerhalb der rechtlichen Familie ermöglicht, aus dieser Vorschrift hingegen kein Anspruch auf isolierte Abstammungsklärung gegenüber dem mutmaßlich leiblichen, aber nicht rechtlichen Vater folgt.
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2. Die im Jahr 1950 nichtehelich geborene Beschwerdeführerin nimmt an, dass der 1927 geborene Antragsgegner des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Antragsgegner) ihr leiblicher Vater ist. Dieser hatte die Geburt der Beschwerdeführerin gegenüber dem Standesamt angezeigt, ohne sich selbst als Vater zu bezeichnen. Die im Jahr 1972 verstorbene Mutter der Beschwerdeführerin hatte dieser mitgeteilt, dass der Antragsgegner ihr leiblicher Vater sei. Dieser erkannte die Vaterschaft jedoch nicht an. Im Jahr 1954 nahm die Beschwerdeführerin den Antragsgegner nach damaligem Recht auf "Feststellung blutsmäßiger Abstammung" in Anspruch. Das Landgericht wies die Klage im Jahr 1955 rechtskräftig ab. Zwar könne nach dem Gutachten des Professor Dr. B. aufgrund der Bluteigenschaften der Antragsgegner als Erzeuger der Beschwerdeführerin nicht ausgeschlossen werden. Das außerdem eingeholte Gutachten des Dr. P. gelange aber aufgrund der anthropologisch-erbbiologischen Untersuchung der Beschwerdeführerin, des Antragsgegners, der Mutter der Beschwerdeführerin und des Herrn H., der ebenfalls als Erzeuger der Beschwerdeführerin in Betracht komme und den diese im Jahr 1950 zunächst als ihren vermeintlichen Erzeuger auf Unterhalt in Anspruch genommen habe, zu dem Ergebnis, dass der Antragsgegner nicht der Erzeuger der Beschwerdeführerin sein könne.
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3. Im Jahr 2009 forderte die Beschwerdeführerin den Antragsgegner zur Einwilligung in die Durchführung eines DNA-Tests auf, um die Vaterschaft "abschließend zu klären". Der Antragsgegner lehnte dies unter Hinweis auf die rechtskräftige Entscheidung des Landgerichts ab.
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a) Daraufhin nahm die Beschwerdeführerin im vorliegenden Ausgangsverfahren den Antragsgegner auf Einwilligung in eine genetische Abstammungsuntersuchung und auf Duldung der Entnahme einer für die Untersuchung geeigneten genetischen Probe in Anspruch. Sie vertrat die Auffassung, dass die Nichteinbeziehung des mutmaßlich leiblichen Vaters in den Kreis der zur isolierten Klärung der Abstammungsverhältnisse nach § 1598a BGB verpflichteten Personen gegen ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verstoße sowie ihr Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK verletze. Die Norm des § 1598a BGB sei, da schützenswerte Belange auf Seiten des Antragsgegners nicht bestünden, im vorliegenden Fall verfassungs- und menschenrechtskonform dahingehend auszulegen, dass auch der Antragsgegner als mutmaßlich leiblicher Vater auf Teilnahme an einer rechtsfolgenlosen Abstammungsklärung in Anspruch genommen werden können müsse. Die Beschwerdeführerin legte Stellungnahmen eines sie behandelnden Psychiaters und eines behandelnden Psychotherapeuten vor, wonach sie durch Missbrauchserlebnisse in der Kindheit, exzessive Gewalterfahrungen, Beziehungsabbrüche, Heimaufenthalte und dramatische Verlusterlebnisse und auch wegen der Unkenntnis ihrer Abstammung väterlicherseits psychisch erheblich belastet sei. Die Beschwerdeführerin leide aufgrund dieser Erlebnisse unter erheblichen körperlichen und psychischen Symptomen, die bisher trotz intensiver ambulanter und stationärer Behandlung noch nicht hätten überwunden werden können. Auch die immer wiederkehrende Erfahrung, dass ihr niemand glaube, wirke traumatisierend. In diesem Sinne wirke sich das offiziell ungeklärte Vaterschaftsverhältnis negativ auf den therapeutischen Prozess aus. Um eine weitere Verschlechterung zu vermeiden, sei es für die Beschwerdeführerin von zentraler Bedeutung, möglichst viele verlässliche Informationen zu erhalten, um möglichst umfassend sich und ihr Leben zu verstehen, das Unverstehbare zu akzeptieren, Orientierung und damit auch ein Stück Sicherheit zu erhalten.
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b) Das Amtsgericht wies den Antrag der Beschwerdeführerin zurück. Es sei weder aus verfassungsrechtlichen noch aus konventionsrechtlichen Gründen geboten, der Beschwerdeführerin über den klaren Wortlaut des § 1598a BGB hinaus einen Anspruch auf Klärung ihrer Abstammung gegen den Antragsgegner zu eröffnen. Die Frage der Abstammung sei bereits in einem gerichtlichen Verfahren geprüft und rechtskräftig negativ beschieden worden. Der Gesetzgeber habe in § 1598a BGB die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Abstammungsklärung eindeutig geregelt. Im Wege der Auslegung sei es nicht möglich, aus der einfachgesetzlichen Norm eine Anspruchsberechtigung der Beschwerdeführerin gegenüber dem Antragsgegner herzuleiten. Die Voraussetzungen hierfür könne nur der Gesetzgeber schaffen.
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c) Die dagegen gerichtete Beschwerde der Beschwerdeführerin wies das Oberlandesgericht zurück. Der geltend gemachte Anspruch sei nach dem Wortlaut des § 1598a BGB unzweifelhaft nicht gegeben. Die Nichteinbeziehung des potenziell leiblichen, aber nicht rechtlichen Vaters verletze weder das Gleichheitsgrundrecht noch sei darin eine Verletzung "staatlicher Sorgfaltspflicht" zu sehen. Die gesetzliche Regelung sei vielmehr stimmig. Gegenüber dem mutmaßlich leiblichen Vater sei die Möglichkeit einer Vaterschaftsfeststellung nach § 1600d BGB grundsätzlich ausreichend. Dass diese Möglichkeit hier wegen des klageabweisenden Urteils des Landgerichts aus dem Jahr 1955 nicht mehr bestehe, begründe keine verfassungsrechtlichen Bedenken, selbst wenn es möglicherweise vorzugswürdig gewesen wäre, auch den leiblichen Vater in die Regelung des § 1598a BGB miteinzubeziehen.
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Mit der Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin geltend, dass ihr mangels verfassungskonformer Auslegung des § 1598a BGB unter Verletzung ihrer Grundrechte die Möglichkeit einer rechtsfolgenlosen Klärung ihrer Abstammung versagt werde. Sie rügt eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 8 Abs. 1 EMRK wegen Nichtbeachtung des Menschenrechts auf Achtung des Privatlebens. Das Bundesverfassungsgericht habe bereits entschieden, dass zu dem Recht des Mannes auf Kenntnis der Abstammung eines Kindes von ihm auch das Recht gehöre, die Abstammung in einem rechtsförmigen Verfahren klären zu lassen (Hinweis auf BVerfGE 117, 202). Dies müsse auch im umgekehrten Fall für das Kind gegenüber dem mutmaßlich leiblichen Vater gelten. Den vom Bundesverfassungsgericht angemahnten Schutzauftrag zur verfahrensmäßigen Verwirklichung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung habe der Gesetzgeber durch § 1598a BGB nur in Bezug auf bereits zur rechtlichen Familie gehörende Personen umgesetzt. Solange schützenswerte Belange auf Seiten des leiblichen Vaters, wie etwa der Schutz einer sozialen Familie, nicht betroffen seien, das bloße Interesse an der Klärung der Abstammung also keine Zweifel in eine funktionierende soziale Familie hineintragen würde, sei § 1598a BGB verfassungskonform zugunsten des Kindes erweiternd auszulegen und auch gegenüber dem mutmaßlich leiblichen, aber nicht rechtlichen Vater anzuwenden. Daher müsse der Beschwerdeführerin ein Anspruch gegen den Antragsgegner zustehen, damit sie ihr Recht auf Kenntnis der Abstammung durchsetzen könne.
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Schließlich sei § 1598a BGB auch im Lichte von Art. 8 Abs. 1 EMRK und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auszulegen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenreche habe bei einer Interessenabwägung zwischen dem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung und dem Recht Dritter auf körperliche Unversehrtheit in einem konkreten Fall ersterem den Vorrang eingeräumt, da die Entnahme einer DNA-Probe einen relativ geringen Eingriff darstelle und das psychische Leid des unter den ungewissen Abstammungsverhältnissen leidenden Kindes überwiege (Hinweis auf EGMR, Urteil vom 13. Juli 2006 -- 58757/00, Jäggi./.Schweiz --, FamRZ 2006, S. 1354).
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III.
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1. Zu dem Verfahren hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Stellung genommen. § 1598a BGB sei auf das Abstammungsklärungsbegehren gegenüber dem mutmaßlich leiblichen, aber nicht rechtlichen Vater nicht anwendbar. Der Gesetzgeber habe den Anwendungsbereich gezielt auf die Mitglieder der rechtlichen Familie beschränkt. Eine analoge Anwendung von § 1598a BGB auf den mutmaßlich leiblichen Vater sei auch problematisch, weil sich der Anspruch dann gegen jeden beliebigen Dritten richten könnte. Die derzeitige Rechtslage sei verfassungsgemäß. Der Gesetzgeber habe ein mehrpoliges Grundrechtsverhältnis zu regeln. Dafür stehe ihm ein Ausgestaltungsspielraum zu, den er nicht überschritten habe. Der Gesetzgeber sei hier besonders auf Gestaltungsspielräume angewiesen, weil bei einer Ausweitung des Anspruchs auf isolierte Abstammungsklärung über die in § 1598a BGB geregelten Fälle hinaus zahlreiche andere Aspekte zu berücksichtigen seien, die weit über das vorliegende Verfahren hinausgingen.
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2. Der Antragsgegner hat ausgeführt, dass eine analoge Anwendung von § 1598a BGB auf den potenziell leiblichen Vater nicht möglich sei. Im Übrigen sei bereits im Jahr 1955 rechtskräftig festgestellt worden, dass er nicht der leibliche Vater der Beschwerdeführerin sei. Würde heute noch seine leibliche Vaterschaft festgestellt, beeinträchtige dies sein allgemeines Persönlichkeitsrecht. Er habe annehmen dürfen, nicht leiblicher Vater der Beschwerdeführerin zu sein, sähe sich dann aber heute als hochbetagter Mann damit konfrontiert, sich über Jahrzehnte nicht um sein leibliches Kind gekümmert zu haben.
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3. Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat dargelegt, § 1598a BGB erfasse nur den Anspruch des Kindes gegenüber dem rechtlichen Vater, wie er sich aus § 1592 BGB ergebe. Eine analoge Anwendung des § 1598a BGB auf den vorliegenden Fall überschreite wohl die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung. Es sei aber fraglich, ob überhaupt ein Bedürfnis für eine über den Wortlaut des § 1598a BGB hinaus gehende Auslegung bestehe, da das Kind gegenüber dem mutmaßlich biologischen Vater die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft nach § 1600d BGB beantragen könne, was die Klärung der leiblichen Vaterschaft beinhalte. Ein Recht des Kindes, nur die Vaterschaft klären zu lassen, ohne gleichzeitig den entsprechenden Status zu erlangen, sei nicht ersichtlich. Dass der Beschwerdeführerin der Weg über ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren wegen der Rechtskraft des ihre Vaterschaftsklage abweisenden Urteils aus dem Jahr 1955 im konkreten Fall verschlossen sei, ändere daran nichts (Hinweis auf BGHZ 156, 153).
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4. Als sachkundige Auskunftspersonen haben der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen, der Berufsverband der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, die Wissenschaftliche Vereinigung für Familienrecht, der Deutsche Juristinnenbund und der Deutsche Familiengerichtstag Stellung genommen.
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a) Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen hat dargelegt, die Abstammung sei zentral für das Zusammenleben von Menschen. Sie strukturiere das "Ob" und das "Wie" von lebenslangen Beziehungen. Die Abstammung entwickle vor allem mit Beginn der Adoleszenz ihre strukturelle Bedeutung. Für die Entwicklung von Identität und Selbstbewusstsein sei das Wissen um den Beginn und damit den Ausgangspunkt der Existenz bedeutsam. Nähere Einblicke zu der Bedeutung der Kenntnis der eigenen Abstammung in der menschlichen Entwicklung liefere die Forschung rund um Adoptiv-, Pflege- oder Samenspenderkinder. Erwachsene Samenspenderkinder schilderten Misstrauen innerhalb der Familie, einen Mangel an genetischer Kontinuität und Frustration durch die Vereitelung der Suche nach ihrem biologischen Vater. Die Beteiligten berichteten durchgehend von dem Bedürfnis, ihre genetischen Ursprünge zu erfahren. Auch führten sie einen bedeutsamen Verlust von Kraft und Selbstvertrauen durch die Behinderung bei der Suche nach Informationen über ihre genetischen Ursprünge aus (Hinweis auf Turner/Coyle, Human Reproduction 2000, S. 2041). Auch wenn zu bedenken sei, dass verschiedene Forschungsergebnisse aufgrund des teilweise anderen Settings nicht ohne Weiteres auf die vorliegende Konstellation übertragen werden könnten, so veranschaulichten sie doch die Bedeutung der Abstammung für die Entwicklung. Die eigene Abstammung nicht klären zu können, könne im Einzelfall unabhängig vom Alter erheblich belasten und verunsichern. Es sei aus psychologischer Sicht grundsätzlich zu befürworten, dass einem Kind eine gerichtlich durchsetzbare Möglichkeit eröffnet werde, in einem Verfahren seine Abstammung zu klären.
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b) Der Berufsverband der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten hat ausgeführt, die Bedeutung des Nichtwissens um die biologische Vaterschaft könne insbesondere bei der Thematik der Reproduktionsmedizin und der anonymen heterologen Samenspende untersucht werden. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung für den Identitätsprozess sei zum einen die Erfahrung, von den Eltern durch das Zurückhalten von Informationen getäuscht worden zu sein, zum anderen aufgrund fehlender Daten über den biologischen Vater ein nur relativ begrenztes, hypothetisches und unsicheres Wissen zur Verfügung zu haben (Hinweis auf Wehling, in: Peter/Funcke, Wissen an der Grenze, 2013, S. 43 ff.). Aus der Adoptionsforschung sei bekannt, dass das Aufwachsen in einer Täuschung (Nichtwissen über die Adoption) und die dann spätere Entdeckung/Mitteilung darüber oft zu einer gravierenden Erschütterung der eigenen Identität führten. Ähnliche Phänomene würden von jungen Menschen berichtet, die spät, oftmals zufällig, über ihre Art der Zeugung Kenntnis erhielten. Viele berichteten von einem "Bruch der Identität" (Hinweis auf Funcke, in: Peter/Funcke, Wissen an der Grenze, 2013, S. 413 [419]). Das Wissen um den biologischen Vater könne helfen, die Lücke des Nichtwissens um die eigene Herkunft zu schließen und könne nötig sein, um den gebrochenen Identitätsprozess zu heilen, sei freilich nur ein Mosaik-Stein in der Auseinandersetzung um die "Dramatik" des Beginns und den Verlauf des eigenen Lebens.
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c) Das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Dem Gesetzgeber komme bei der Ausfüllung des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Es bestehe keine verfassungsrechtliche Verpflichtung, einem Kind ein Verfahren zur rechtsfolgenlosen Abstammungsklärung zur Verfügung zu stellen. Wissenschaftliche Erkenntnisse legten eine Diskrepanz nahe zwischen der im juristischen Diskurs angenommenen herausragenden Bedeutung der Kenntnis der eigenen Abstammung und der (entwicklungs)psychologisch feststellbaren Bedeutung dieser Kenntnis für die Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsfindung. So habe beispielsweise eine Untersuchung des Selbstkonzepts, der Befindlichkeit und der Kompetenzentwicklung von Jugendlichen keine Beeinträchtigung in der Entwicklung gezeigt, wenn sie mangels persönlicher Kenntnis keine eigenständigen Erinnerungen an ihren Vater hätten (Hinweis auf Walper/Wendt, in: Schwab/Vaskovics [Hrsg.], Pluralisierung von Elternschaft und Kindschaft, 2011, S. 211 ff.). Mit dem Vaterschaftsanfechtungs- und dem Vaterschaftsfeststellungsverfahren werde dem Schutz des Rechts des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung gegenüber dem mutmaßlich leiblichen, aber nicht rechtlichen Vater hinreichend Rechnung getragen. Anders als bei bestehenden Eltern-Kind-Verhältnissen berge eine rechtsfolgenlose biologische Abstammungsklärung gegenüber Personen außerhalb des engen Eltern-Kind-Verhältnisses zudem eine erhebliche Missbrauchsgefahr. Die Schwelle für ein Klärungsverlangen sei wegen der Rechtsfolgenlosigkeit deutlich gesenkt. Zugleich sei der Personenkreis derjenigen, die als vermeintliche Väter zur Mitwirkung verpflichtet werden sollten, nur bedingt eingrenzbar. Auch werde mit einer rechtsfolgenlos geklärten biologischen Abstammung ein Schwebezustand geschaffen, der die Frage offen lasse, ob von der einen oder anderen Seite nicht doch später rechtliche Konsequenzen aus den Erkenntnissen abgeleitet werden sollten.
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Dem Institut sei keine Rechtsordnung bekannt, in welcher das Familienrecht eine rechtsfolgenlose Abstammungsklärung vergleichbar der deutschen Regelung des § 1598a BGB vorsähe (Hinweis auf Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, Umgangsrechte des biologischen Vaters -- Europäische Staaten im Vergleich, 2010).
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Gleichwohl sei es verfassungswidrig, dass der Beschwerdeführerin jegliche rechtliche Möglichkeit versperrt sei, über die rechtskräftige Abweisung der Klage auf Feststellung der Vaterschaft hinwegzukommen. Der in § 185 FamFG vorgesehene Ausschluss einer Wiederaufnahmemöglichkeit ohne Vorliegen eines neuen Gutachtens gehe schon nach seinem Wortlaut davon aus, dass es bereits zuvor ein Gutachten gegeben habe, dessen Beweiskraft nunmehr durch ein neuerliches Gutachten erschüttert sein könnte. Wenn aber -- wie im Fall der Beschwerdeführerin -- niemals ein Gutachten eingeholt worden sei, weil seinerzeit die Blutgruppen- und später genetische Begutachtung noch nicht möglich gewesen sei oder keine verlässlichen Ergebnisse gebracht habe, könne der Ausschluss der Wiederaufnahme des Vaterschaftsfeststellungsverfahrens keine sachlichen Gründe für sich beanspruchen, die dem Recht der Beschwerdeführerin auf Kenntnis der biologischen Abstammung entgegengehalten werden könnten. Allerdings habe die Beschwerdeführerin im Verfahren vor dem Familiengericht keine Wiederaufnahme des Vaterschaftsfeststellungsverfahrens betrieben, sondern allein eine rechtsfolgenlose Abstammungsklärung begehrt.
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d) Die Wissenschaftliche Vereinigung für Familienrecht hält die Verfassungsbeschwerde für begründet. Es werde unverhältnismäßig in das Persönlichkeitsrecht des Kindes eingegriffen, wenn es seine Abstammung von einem potenziell leiblichen Vater nur im Rahmen eines Vaterschaftsfeststellungsverfahrens nach § 1600d BGB klären lassen könne. Der Gesetzgeber habe seine Schutzpflicht für das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung verletzt, indem er die Möglichkeit einer rechtsfolgenlosen Abstammungsklärung unter keinen Umständen vorgesehen habe. Insbesondere sei es einem unter rechtlicher Vaterschaft stehenden Kind nicht zumutbar, stets vorab eine (intakte) rechtliche Vaterschaft beseitigen zu müssen, um Gewissheit über eine vermutete leibliche Abstammung von einem Dritten zu erlangen. Das Fehlen eines Klärungsanspruchs sei weder aus den widerstreitenden Grundrechten der Mutter, des rechtlichen Vaters oder des (potenziellen) leiblichen Vaters noch generell aus dem verfassungsrechtlich gebotenen Schutz der Familie gerechtfertigt. Das Kind habe keinen Einfluss darauf, wer es zeuge und in welcher Familienkonstellation es aufwachse. Seine Eltern hingegen hätten die Existenz des Kindes zu vertreten und daher ihre abstammungsbezogenen Interessen grundsätzlich denen des Kindes unterzuordnen. Die Gefahr, im Rahmen eines Klärungsverfahrens zu Unrecht als potenzieller Vater in Anspruch genommen zu werden, sei -- nicht anders als im Verfahren nach § 1600d Abs. 1 BGB -- ebenfalls zumutbar. Zwar könne schon der Verdacht der Vaterschaft Details des Intimlebens zum Vorschein bringen. Das diesbezügliche Geheimhaltungsinteresse habe jedoch zurückzutreten. Die Gefahr, zu Unrecht zivil- oder strafrechtlich verfolgt oder verklagt zu werden, sei dem Rechtssystem immanent. Durch Klageabweisung, Klagerücknahme oder Freispruch könne der jeweilige Verdacht hinreichend geklärt oder vernichtet werden. Insoweit sei bei einer gesetzlichen Ausgestaltung des Klärungsanspruchs des Kindes allerdings darauf zu achten, dass der Geltendmachung des Anspruchs "ins Blaue hinein" Grenzen gesetzt würden. Zunächst müsse das Kind substantiiert darlegen, warum es gerade diesen Mann als leiblichen Vater in Betracht ziehe.
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e) Der Deutsche Juristinnenbund hält den kategorischen Ausschluss des mutmaßlich leiblichen, aber nicht rechtlichen Vaters aus dem Kreis der Anspruchsverpflichteten des § 1598a BGB ohne Möglichkeit einer Einzelfallprüfung angesichts der Vielgestaltigkeit der denkbaren Szenarien ebenfalls für verfassungswidrig. Es liege ein unverhältnismäßiger und damit nicht gerechtfertigter Eingriff in das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung vor. Das Recht des mutmaßlich leiblichen Vaters auf informationelle Selbstbestimmung müsse typischerweise gegenüber dem Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung zurücktreten. Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung sei regelmäßig höher zu bewerten. Ein wichtiges Gegengewicht bilde hingegen der Schutz der gelebten familiären Beziehung. Eine solche sei im konkreten Fall jedoch nicht betroffen. Ein weiteres Gegengewicht könne das Recht der Mutter auf Wahrung ihrer Intimsphäre bilden. Auch dies stehe hier aber nicht im Raum. Die Verweisung auf das Vaterschaftsfeststellungsverfahren sei für das Kind in vielen Fällen unzumutbar. Auch in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte komme dem Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung besonderes Gewicht zu.
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f) Auch der Deutsche Familiengerichtstag sieht die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Kenntnis der Abstammung verletzt, weil ihr Interesse an der statusunabhängigen Abstammungsklärung die Interessen der übrigen Beteiligten im konkreten Fall überwiege. Die Verweisung auf das Vaterschaftsfeststellungsverfahren reiche nicht aus, zumal auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung stets besonders hervorhebe. Zweifelhaft sei insbesondere, ob dem Kind zumutbar sei, zunächst eine bestehende rechtliche Vaterschaft zu beseitigen, um sodann eine Abstammungsklärung durch Vaterschaftsfeststellung anzustreben. Das Klärungsinteresse des Kindes überwiege hier in gleicher Weise die Interessen des Dritten wie bei einem Vaterschaftsfeststellungsverfahren. Wenn das Recht des Antragsgegners auf informationelle Selbstbestimmung bei einem Vaterschaftsfeststellungsverfahren zurücktreten müsse, obwohl ihn in einem solchen Verfahren erhebliche unterhalts- und erbrechtliche Konsequenzen treffen könnten, so müsse dieses Recht bei einem statusrechtlich folgenlosen Klärungsverfahren noch geringer gewichtet werden. Die Argumente des Gesetzgebers, den Zusammenhalt der sozialen Familiengemeinschaft und den Schutz Minderjähriger nicht gefährden zu wollen, gälten für Klärungswünsche eines volljährigen Kindes nicht. Es werde allerdings kein generelles schrankenloses Recht des Kindes auf Klärung der Abstammung, erst recht nicht derartig niederschwellig wie in § 1598a BGB befürwortet. Vielmehr sei es Aufgabe des Gesetzgebers, die Fallgruppen zu normieren, in denen anderweitige schützenswerte Interessen Dritter das Klärungsinteresse des Kindes überwögen.
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Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin nicht in ihren Grundrechten.
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I.
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Die Auslegung des § 1598a BGB durch Amtsgericht und Oberlandesgericht, wonach diese Regelung dem Kind keinen Anspruch gegenüber dem mutmaßlich leiblichen, aber nicht rechtlichen Vater darauf gewährt, dass dieser in eine genetische Abstammungsuntersuchung einwilligt und die Entnahme einer für die Untersuchung geeigneten genetischen Probe duldet, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die von der Beschwerdeführerin angestrebte erweiternde verfassungskonforme Auslegung der Norm kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Eröffnung eines isolierten Abstammungsverfahrens nicht von Verfassungs wegen geboten ist.
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II.
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Die den angegriffenen Entscheidungen zugrunde liegende Rechtslage, die weder in § 1598a BGB noch an anderer Stelle einen solchen isolierten Abstammungsklärungsanspruch gegenüber dem mutmaßlich leiblichen, aber nicht rechtlichen Vater vorsieht, ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Es verstößt insbesondere nicht gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Kindes, dass es nach derzeitiger Rechtslage seine leibliche Abstammung von einem Mann, den es für seinen leiblichen Vater hält, der ihm jedoch rechtlich nicht als Vater zugeordnet ist, gegen den Willen dieses Mannes nur im Wege der Feststellung der rechtlichen Vaterschaft (§ 1600d BGB), nicht aber in einem isolierten Abstammungsuntersuchungsverfahren klären kann.
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Die Frage der Aufklärbarkeit oder Unaufklärbarkeit der eigenen Abstammung vom vermeintlich leiblichen Vater betrifft den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der nach ihrer Abstammung suchenden Person (1). Dieser Schutz der Kenntnis der eigenen Abstammung ist nicht absolut, sondern muss mit widerstreitenden Grundrechten in Ausgleich gebracht werden, wofür der Gesetzgeber über einen Ausgestaltungsspielraum verfügt (2). Er kann und muss daher bei der Gestaltung der Abstammungsklärungsmöglichkeiten berücksichtigen, dass ein Abstammungsklärungsanspruch unterschiedliche gegenläufige Grundrechte betrifft (3). Der Gesetzgeber hat den Grundrechtskonflikt nicht vollständig zugunsten oder zulasten einer Seite gelöst (4). Die gewählte Lösung ist vom verfassungsrechtlichen Ausgestaltungsspielraum des Gesetzgebers -- auch im Lichte der Europäischen Konvention für Menschenrechte -- gedeckt, obgleich auch eine andere gesetzliche Lösung verfassungsrechtlich denkbar wäre (5).
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1. Die Frage der Aufklärbarkeit der eigenen Abstammung vom vermeintlich leiblichen Vater betrifft das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das vor der Vorenthaltung verfügbarer Informationen über die eigene Abstammung schützt.
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a) Art. 2 Abs. 1 GG gewährt jedem das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Dieses Grundrecht umfasst neben der allgemeinen Handlungsfreiheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG). Letzteres ergänzt als "unbenanntes" Freiheitsrecht die speziellen ("benannten") Freiheitsrechte, die ebenfalls konstituierende Elemente der Persönlichkeit schützen (vgl. BVerfGE 54, 148 [153]). Eine der Aufgaben des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist es dabei, Grundbedingungen dafür zu sichern, dass die einzelne Person ihre Individualität selbstbestimmt entwickeln und wahren kann (vgl. BVerfGE 35, 202 [220]; 79, 256 [268]; 90, 263 [270]; 117, 202 [225]). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt indessen nur solche Elemente der Persönlichkeitsentfaltung, die -- ohne bereits Gegenstand der besonderen Freiheitsgarantien des Grundgesetzes zu sein -- diesen in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen (vgl. BVerfGE 79, 256 [268]; 99, 185 [193]; 120, 274 [303]; stRspr). Es verbürgt also nicht Schutz gegen alles, was die selbstbestimmte Persönlichkeitsentwicklung auf irgendeine Weise beeinträchtigen könnte; ohnehin vermag kein Mensch seine Individualität unabhängig von äußeren Gegebenheiten und Zugehörigkeiten zu entwickeln. Der lückenschließende Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts greift aber dann, wenn die selbstbestimmte Entwicklung und Wahrung der Persönlichkeit spezifisch gefährdet ist (vgl. Degenhart, JuS 1992, S. 361 [361 und 368]; Eifert, Jura 2015, S. 1181 [1181 f. und 1182 f.]; Grimm, in: Karlsruher Forum -- Schutz der Persönlichkeit, 1997, S. 3 [18]; Kube, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, 3. Aufl. 2009, § 148 Rn. 29; Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, 31. Aufl. 2015, Rn. 409).
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b) Spezifisch gefährdet werden kann die selbstbestimmte Entwicklung und Wahrung der Persönlichkeit durch die Vorenthaltung verfügbarer Informationen über die eigene leibliche Abstammung (aa). Der Schutz der Kenntnis der eigenen Abstammung ist darum vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht umfasst, was nach ständiger Rechtsprechung zwar keinen Anspruch auf Verschaffung, wohl aber den Auftrag an den Staat enthält, vor der Vorenthaltung verfügbarer Abstammungsinformationen zu schützen (bb).
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aa) Die Vorenthaltung verfügbarer Informationen über die eigene leibliche Abstammung kann die freie Entfaltung der Persönlichkeit spezifisch gefährden.
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Die Kenntnis der eigenen Abstammung kann für die Entwicklung der Persönlichkeit von erheblicher Bedeutung sein. Die Möglichkeit, sich als Individuum nicht nur sozial, sondern auch genealogisch in eine Beziehung zu anderen zu setzen, kann im Bewusstsein der einzelnen Person eine Schlüsselstellung für ihre Individualitätsfindung wie für ihr Selbstverständnis und ihre langfristigen familiären Beziehungen zu anderen einnehmen. Umgekehrt kann die Unmöglichkeit, die eigene Abstammung zu klären, die einzelne Person erheblich belasten und verunsichern (vgl. BVerfGE 79, 256 [268 f.]; 90, 263 [270 f.]; 96, 56 [63]; 117, 202 [225 f.]).
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Zwar lässt sich nach gegenwärtigem Kenntnisstand nicht mit Sicherheit feststellen, welche Bedeutung für die Entwicklung der Persönlichkeit gerade der hier zu beurteilende Umstand hat, dass sich der vermeintlich leibliche Vater weigert, zur Aufklärung der Abstammung beizutragen. Die in diesem Verfahren von den Fachverbänden angeführten Studien zur Situation von früh adoptierten Kindern, Pflegekindern und Kindern, die aus heterologer Samenspende hervorgegangen sind (oben A III 4 a, b), geben über diese Konstellation nicht unmittelbar Aufschluss. Die Vertreterin des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen hat ausgeführt, es gebe keine "punktgenaue" empirische Forschung zu der Frage, was die Unaufklärbarkeit der leiblichen Abstammung von einem Mann, dessen leibliche Vaterschaft vermutet wird, für die Persönlichkeitsentwicklung des mutmaßlichen Kindes bedeutet. Das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht hat geäußert, wissenschaftliche Erkenntnisse legten eine Diskrepanz nahe zwischen der im juristischen Diskurs der Kenntnis der eigenen Abstammung zugemessenen herausragenden Bedeutung und der (entwicklungs-)psychologisch feststellbaren Bedeutung dieser Kenntnis für die Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsfindung (oben A III 4 c).
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Jedoch haben die Vertreterinnen beider Fachverbände hier -- auch vor dem Hintergrund ihrer praktischen Erfahrungen -- ihre Einschätzung dargelegt, dass die Unaufklärbarkeit der eigenen Abstammung die Entfaltung der Persönlichkeit im Einzelfall stark belasten kann. Es erscheint plausibel, dass jedenfalls die Vorenthaltung von verfügbaren Abstammungsinformationen auch in der hier zu beurteilenden Konstellation die selbstbestimmte Entwicklung von Individualität spezifisch beeinträchtigen kann. Wenn der mutmaßlich leibliche Vater dem nach seiner Identität suchenden Kind die Mitwirkung an der Abstammungsklärung verweigert, findet sich das Kind in einem ähnlichen Abhängigkeitsverhältnis wie es etwa adoptierte Kinder erleben können, wenn sie sich durch ihre rechtlichen Eltern an der Aufklärung ihrer leiblichen Abstammung gehindert sehen. Dass die Vereitelung und Behinderung der Aufklärung der genetischen Ursprünge dann zu erheblichen Beeinträchtigungen führen können, haben die Fachverbände unter Bezugnahme auf Ergebnisse von Forschung zu diesen Konstellationen dargelegt (oben A III 4 a, b).
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bb) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gibt keinen Anspruch auf Verschaffung, schützt aber vor der Vorenthaltung verfügbarer Abstammungsinformationen (vgl. BVerfGE 79, 256 [268 f.]; 90, 263 [270 f.]; 96, 56 [63]). Im Vordergrund dieses Schutzes der Kenntnis der eigenen Abstammung steht die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Staates, der Schutzbedürftigkeit der Einzelnen vor der Vorenthaltung verfügbarer Informationen über die eigene Abstammung bei der Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den Betroffenen angemessen Rechnung zu tragen. In aller Regel ist es nicht der allein unmittelbar grundrechtsgebundene Staat, der die Betroffenen an der Erlangung von Informationen zu ihrer leiblichen Herkunft hindert. Vielmehr verweigern Privatpersonen, wie im vorliegenden Fall der vermeintlich leibliche Vater der Beschwerdeführerin, die notwendige Mitwirkung an der Aufklärung eines vermuteten Abstammungszusammenhangs. Der Staat bleibt dann gleichwohl zum Schutz aufgerufen, weil sich die verweigerten Abstammungsinformationen nur mit seiner Hilfe erlangen lassen. Nötigenfalls muss ein Verfahren bereitstehen, in welchem die Klärung erfolgen kann (vgl. BVerfGE 117, 202 [227]).
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2. Der Schutz der Kenntnis der eigenen Abstammung ist nicht absolut (vgl. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Bd.1, Stand 39. Lieferung 2001, Art. 2 Abs. 1 Rn. 212; Enders, NJW 1989, S. 881 [882]), vielmehr muss das zugrunde liegende allgemeine Persönlichkeitsrecht mit widerstreitenden Grundrechten (unten 3) in Ausgleich gebracht werden. Der Gesetzgeber verfügt dabei über Spielraum (a). Auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann nicht die konkrete Verpflichtung des Gesetzgebers entnommen werden, dem Kind einen isolierten Abstammungsklärungsanspruch gegenüber dem mutmaßlich leiblichen Vater einzuräumen (b).
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a) Die Verfassung schränkt die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung privater Rechtsbeziehungen insoweit ein, als er die objektiv-rechtlichen Gehalte der Verfassung, wie sie namentlich in den Grundrechten zum Ausdruck kommen, beachten und zu deren Verwirklichung beitragen muss (vgl. BVerfGE 38, 241 [253]; stRspr). Bei der Ausgestaltung privater Rechtsbeziehungen kommen dem Gesetzgeber aber grundsätzlich weite Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielräume zu. Sie bestehen vor allem dort, wo es um die Berücksichtigung widerstreitender Grundrechte geht (vgl. BVerfGE 96, 56 [64]; stRspr). Der Gesetzgeber, der diese Interessen zu einem gerechten Ausgleich bringen will, hat die Interessenlage zu bewerten, muss also die einander entgegenstehenden Belange gewichten und ihre Schutzbedürftigkeit bestimmen (vgl. BVerfGE 97, 169 [176]). Nur ausnahmsweise lassen sich aus den Grundrechten des Grundgesetzes konkrete Regelungspflichten des Privatrechtsgesetzgebers ableiten (vgl. BVerfGE 96, 56 [64]; stRspr).
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b) Zwar hat das Bundesverfassungsgericht gerade hinsichtlich der Kenntnis der Abstammung konkretere Regelungspflichten des Gesetzgebers festgestellt. Eine konkrete Verpflichtung des Gesetzgebers, dem Kind einen isolierten Abstammungsklärungsanspruch gegenüber dem mutmaßlich leiblichen Vater einzuräumen, ist der Rechtsprechung jedoch nicht zu entnehmen.
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aa) Wegen des grundrechtlichen Schutzes der Kenntnis der eigenen Abstammung hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1989 die damalige Rechtslage beanstandet, nach der die Realisierungsmöglichkeiten einer Ehelichkeitsanfechtung, über welche die Abstammungsklärung eines ehelich geborenen Kindes vom mutmaßlich leiblichen Vater im Wege der Vaterschaftsfeststellung (damals nach § 1600a BGB in der Fassung des Gesetzes vom 19. August 1969, BGBl. I S. 1243) führen musste, zu eng bemessen waren (vgl. BVerfGE 79, 256 [274]). Dem hat der Gesetzgeber abgeholfen. Die Anfechtungsmöglichkeiten des Kindes sind heute in § 1600 Abs. 1 Nr. 4 BGB weit gefasst, so dass auch der Weg zur Vaterschaftsfeststellung nach § 1600d BGB leichter gangbar ist. Eine über die gerichtliche Vaterschaftsfeststellung nach § 1600d BGB hinaus gehende Möglichkeit der isolierten Abstammungsklärung hat das Bundesverfassungsgericht nicht verlangt.
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bb) Daran anschließend hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1994 die für die Ehelichkeitsanfechtung durch das Kind geltenden, kenntnisunabhängigen Anfechtungsfristen für zu streng befunden, weil auch hierdurch die von der vorausgehenden Ehelichkeitsanfechtung abhängige Möglichkeit der gerichtlichen Vaterschaftsfeststellung und damit die Möglichkeit der Abstammungsklärung unverhältnismäßig eingeschränkt wurde (vgl. BVerfGE 90, 263 [270 ff.]). Eine über die gerichtliche Vaterschaftsfeststellung nach § 1600d BGB hinaus gehende Möglichkeit der isolierten Abstammungsklärung hat das Bundesverfassungsgericht auch hier nicht gefordert. Es hat dem Gesetzgeber aber die Möglichkeit aufgezeigt, seinem mit der beanstandeten Regelung verfolgten Anliegen, die Verwandtschaftsverhältnisse im Hinblick auf die an sie geknüpften Rechtsfolgen nicht unbegrenzt in der Schwebe zu lassen, alternativ dadurch Rechnung zu tragen, dass er dem volljährigen Kind die Klärung seiner Abstammung durch eine Feststellungsklage ohne Auswirkungen auf die Verwandtschaftsverhältnisse ermöglicht (vgl. BVerfGE 90, 263 [272]). Bereits damals hat das Bundesverfassungsgericht die Einführung einer isolierten Abstammungsklärung für verfassungsrechtlich möglich, aber nicht für verfassungsrechtlich geboten gehalten. Der Gesetzgeber hat den Verfassungsverstoß indessen dadurch behoben, dass er die Anfechtungsfrist kenntnisabhängig geregelt (§ 1600b Abs. 1 Satz 2 BGB) und auf diese Weise mittelbar die Möglichkeiten der gerichtlichen Vaterschaftsfeststellung (§ 1600d BGB) erweitert hat.
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cc) Zu der inhaltlich verwandten Frage, ob das Kind einen Anspruch gegen seine Mutter auf Benennung des dem Kind bislang nicht bekannten Mannes hat, von dem es leiblich abstammt, hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1997 festgestellt, dass das Interesse des Kindes an einer solchen Auskunft durch sein Recht auf Kenntnis seiner Abstammung geschützt ist, dass durch dieses Recht aber kein bestimmtes Ergebnis vorgegeben ist. Ob ein solcher Anspruch besteht, ist vielmehr vom Gesetzgeber oder von den Gerichten bei der Ausgestaltung der privatrechtlichen Beziehungen im Lichte der Grundrechte zu entscheiden (vgl. BVerfGE 96, 56 [63]).
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dd) Hingegen muss es dem rechtlichen Vater grundsätzlich möglich sein, die leibliche Abstammung des ihm rechtlich zugeordneten Kindes überprüfen zu können. Für diesen Fall hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2007 die Bereitstellung eines isolierten Abstammungsklärungsverfahrens verlangt. Es hat festgestellt, dass zum Recht eines Mannes auf Kenntnis, ob ein Kind von ihm abstammt, auch die rechtliche Möglichkeit gehört, in einem Verfahren die Abstammung des Kindes von ihm klären und feststellen zu lassen, ohne dass daran zwingend weitere rechtliche Folgen geknüpft werden. Die gegenläufigen Interessen der anderen Beteiligten haben in dieser Konstellation hinter dem Anspruch des Vaters zurückzutreten. Dem Gesetzgeber verbleibt insofern ausnahmsweise kein Spielraum (vgl. BVerfGE 117, 202 [229 ff.]).
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Dieser Verdichtung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Abstammungskenntnis zu dem konkreten grundrechtlichen Anspruch auf Bereitstellung eines Klärungsverfahrens liegt -- anders als in der hier zu beurteilenden Situation -- eine Konstellation zugrunde, in der das Verfahren der Überprüfung einer bestehenden rechtlichen Vaterschaft dient. In diesem Fall ist die Ermöglichung der Abstammungsklärung einerseits wichtig, weil das geltende Recht die leibliche Vaterschaft in weiten Teilen vermutet (§ 1592 Nr. 1 und Nr. 2 BGB); dies erfordert ein Verfahren, in dem im Einzelfall Zweifel an der leiblichen Vaterschaft geklärt werden können (vgl. BVerfGE 117, 202 [231 f.]). Andererseits ist die Belastungswirkung der Abstammungsklärung für andere (unten 3) bei der Beschränkung auf bestehende rechtliche Zuordnungen regelmäßig geringer, weil dann von vornherein nur die rechtlichen Familienmitglieder in die Aufklärung der leiblichen Abstammungsverhältnisse einbezogen sind. Ein entsprechendes Klärungsverfahren kann damit weniger Personen in ihren Grundrechten treffen als die hier in Rede stehende Klärung zwischen Personen, die nicht einer rechtlichen Familie angehören. Insbesondere ist in diesen Fällen die Gefahr ausgeschlossen, außenstehende Personen ohne sachliche Anhaltspunkte und damit "ins Blaue hinein" mit einem Klärungsbegehren zu konfrontieren.
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Die verfassungsrechtliche Notwendigkeit, dem rechtlichen Vater ein Verfahren zur isolierten Aufklärung seiner leiblichen Vaterschaft bereitzustellen, ist schließlich vor dem Hintergrund zu sehen, dass sich hierfür ein besonderes Bedürfnis mit Rücksicht darauf ergeben hat, dass Kinder in dieser Konstellation wirksam davor zu schützen sind, durch mit Hilfe von genetischem Datenmaterial seitens rechtlicher Väter heimlich eingeholte Vaterschaftstests in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt zu werden (vgl. BVerfGE 117, 202 [228 f.]). Kinder sind hier als schwächste Glieder besonders auf den ihnen nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG gebührenden Schutz der staatlichen Gemeinschaft vor heimlicher Verletzung ihrer informationellen Privatsphäre durch einen Elternteil angewiesen.
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ee) Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, dem Kind einen isolierten Abstammungsklärungsanspruch gegenüber dem mutmaßlich leiblichen, aber nicht rechtlichen Vater einzuräumen, hat das Bundesverfassungsgericht hingegen nicht festgestellt. Insoweit bleibt es beim Ausgestaltungsspielraum des Gesetzgebers, den er benötigt, um einen angemessenen Ausgleich der gegenläufigen Grundrechte herbeizuführen.
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3. Der Regelungsspielraum, innerhalb dessen der Gesetzgeber im Wege der Abwägung eine Lösung suchen muss, ist neben dem bereits betrachteten Recht des Kindes (oben 1) durch gegenläufige Grundrechte der Personen bestimmt, die durch ein Abstammungsklärungsverfahren beeinträchtigt werden. Das können die Mutter des Kindes (unten b aa), der zur Abstammungsklärung verpflichtete Mann und die Mitglieder seiner rechtlichen oder sozialen Familie (unten b bb) wie auch die Mitglieder der rechtlichen oder sozialen Familie des Kindes (unten b cc), insbesondere der rechtliche Vater des Kindes (unten b dd) sein. Die vom Gesetzgeber zu treffende Abwägungsentscheidung ist durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass weder er noch im Einzelfall die Gerichte vorab das Gewicht der betroffenen Grundrechtspositionen sicher bestimmen können, weil streitige Abstammungsverhältnisse vor ihrer förmlichen Aufklärung stets ungewiss sind (unten a).
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a) Welche und wessen Grundrechte von einer gegen den Willen des vermeintlich leiblichen Vaters durchgeführten Abstammungsklärung in welchem Maße betroffen sind, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Dabei wiegen die meisten Beeinträchtigungen weniger schwer, wenn der zur Abstammungsklärung gegen seinen Willen verpflichtete Mann tatsächlich der leibliche Vater des Kindes ist als wenn dies nicht der Fall ist. Auch sind hier der leibliche Vater und die Mutter des Kindes gegenüber den Interessen des Kindes von vornherein weniger schutzbedürftig als außenstehende Personen. Leibliche Eltern haben die Existenz des Kindes zu vertreten und haben daher grundsätzlich ihre Geheimhaltungsinteressen dem Aufklärungsinteresse des Kindes unterzuordnen. Für Außenstehende gilt das nicht.
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Indessen begegnet der Gesetzgeber bei der Suche nach einem angemessenen Grundrechtsausgleich der Schwierigkeit, dass sich vor der Durchführung eines Abstammungsklärungsverfahrens in den hier allein interessierenden streitigen Fällen niemals mit Gewissheit sagen lässt, ob ein Mann tatsächlich der leibliche Vater des Kindes ist. Erst das Abstammungsklärungsverfahren soll gerade diese Ungewissheit beseitigen. Die Eröffnung eines isolierten Abstammungsklärungsverfahrens könnte daher weder durch gesetzliche Regelung noch im Einzelfall durch die Gerichte von vornherein auf jene Fälle beschränkt werden, in denen der mutmaßlich leibliche Vater das Kind tatsächlich gezeugt hat. Es muss vielmehr in Rechnung gestellt werden, dass es auch in jenen Konstellationen zur Durchführung eines Abstammungsverfahrens und den damit verbundenen Beeinträchtigungen kommt, in denen der verpflichtete Mann nicht leiblicher Vater des Kindes ist. Dies wäre für die Abwägung nicht von allzu großem Gewicht, wenn sich die Grundrechtsbeeinträchtigungen bei negativem Ausgang der Vaterschaftsklärung erübrigten. Die meisten der durch das Abstammungsklärungsverfahren bereits eingetretenen Grundrechtsbeeinträchtigungen lassen sich aber auch bei negativem Ausgang der Abstammungsuntersuchung nicht rückgängig machen und erledigen sich auch nicht von selbst (unten b aa und bb (1), (2), (3), (4)). Zwar ließe sich das Risiko unergiebiger Abstammungsuntersuchungen reduzieren, indem der Abstammungsklärungsanspruch an Voraussetzungen geknüpft würde, die dafür sprechen, dass der in Anspruch genommene Mann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit tatsächlich der Erzeuger des Kindes ist. In den hiernach zugelassenen Verfahren wäre die Grundrechtsbeeinträchtigung dadurch aber umso intensiver und könnte gleichwohl selbst dann nicht rückgängig gemacht werden, wenn das Verfahren am Ende einen negativen Befund erbrächte (unten b bb (5)). Dies schließt die gesetzliche Eröffnung eines solchen Verfahrens nicht von Verfassungs wegen aus, darf vom Gesetzgeber aber berücksichtigt werden.
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b) Die Verpflichtung des mutmaßlich leiblichen Vaters zur Mitwirkung an der Abstammungsklärung kann je nach Fallkonstellation verschiedene Personen in ihren Grundrechten beeinträchtigen.
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aa) Mittelbar berührt sein kann durch die Aufklärung der tatsächlichen leiblichen Vaterschaft das Persönlichkeitsrecht der Mutter aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, das ihr als Ausprägung des Schutzes der Privat- und Intimsphäre das Recht einräumt, geschlechtliche Beziehungen nicht offenbaren zu müssen, sondern selbst darüber zu befinden, ob, in welcher Form und wem sie Einblick in ihre Intimsphäre und ihr Geschlechtsleben gibt (vgl. BVerfGE 96, 56 [61]; 117, 202 [233]; 138, 377 [387 Rn. 29]).
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Durch die Aufklärung der leiblichen Vaterschaft eines Mannes, der nicht rechtlicher Vater des Kindes ist, werden unter Umständen eine bislang verschwiegene geschlechtliche Beziehung der Mutter zu diesem Mann und damit intimste Vorgänge ihres Privatlebens offenbar. Zwar wäre die Schutzwürdigkeit des Interesses der Mutter, diese Beziehung nicht offenbar werden zu lassen, von vornherein zugunsten des Interesses ihres Kindes reduziert, seine eigene Abstammung zu kennen, wenn das Kind tatsächlich aus dieser geschlechtlichen Beziehung hervorgegangen wäre. Gerade darüber besteht jedoch Ungewissheit, die mit dem angestrebten Verfahren erst noch beseitigt werden soll. Wenn die Abstammungsuntersuchung ergibt, dass der Mann nicht der leibliche Vater des Kindes ist, ist zwar die Möglichkeit der Zeugung durch diesen Mann ausgeräumt, nicht jedoch auch die Möglichkeit einer geschlechtlichen Beziehung der Mutter zu diesem Mann, die gleichwohl bestanden haben könnte. Ist das Kind aber nicht aus dieser Beziehung hervorgegangen, steht der Mutter auch im Verhältnis zum rechtlichen Schutz des Kindesinteresses, seine leibliche Abstammung zu kennen, der Schutz ihres Interesses daran, die geschlechtliche Beziehung zu diesem Mann nicht offenbar werden zu lassen, ungemindert zu.
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bb) Stets betroffen sind Grundrechte des Mannes, dessen leibliche Vaterschaft gegen seinen Willen geklärt werden soll.
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(1) Durch einen Abstammungsklärungsanspruch betroffen ist dessen Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Es schützt die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Zu diesen grundrechtlich geschützten Daten gehören auch solche, die Informationen über genetische Merkmale einer Person enthalten, aus denen sich in Abgleich mit den Daten einer anderen Person Rückschlüsse auf die Abstammung ziehen lassen (vgl. BVerfGE 117, 202 [228] m.w.N.). Diese Beeinträchtigung wäre nicht rückgängig zu machen und erledigte sich auch nicht von selbst, wenn sich herausstellte, dass der Mann nicht der leibliche Vater ist.
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(2) Daneben geht mit der für die Abstammungsklärung erforderlichen Untersuchung ein ebenfalls nicht reversibler, allerdings geringfügiger Eingriff in das Recht des zur Mitwirkung verpflichteten Mannes auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) einher.
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(3) Des Weiteren steht auch dem Mann, dessen leibliche Vaterschaft gegen seinen Willen festgestellt werden soll, das mit dem Recht auf Achtung der Privat- und Intimsphäre spezifisch geschützte Recht zu, geschlechtliche Beziehungen nicht offenbaren zu müssen, sondern selbst darüber befinden zu können, ob, in welcher Form und wem Einblick in die Intimsphäre und das eigene Geschlechtsleben gewährt wird (oben aa; vgl. BVerfGE 138, 377 [387 Rn. 29]). Dieses Recht ist durch die Erzwingung einer Abstammungsuntersuchung betroffen, weil bereits hierdurch die Möglichkeit einer geschlechtlichen Beziehung zu der Mutter des Kindes letztlich unwiderlegbar in den Raum gestellt ist. Ergibt die Abstammungsuntersuchung, dass der Mann nicht der leibliche Vater des Kindes ist, ist damit nicht auch die Möglichkeit einer geschlechtlichen Beziehung zu der Mutter des Kindes ausgeschlossen, die gleichwohl bestanden haben könnte. Wie die Mutter ist auch der Mann im Falle, dass er tatsächlich leiblicher Vater des Kindes ist, in seinem Geheimhaltungsinteresse angesichts des Aufklärungsinteresses seines Kindes weniger schutzwürdig. Wiederum lässt sich dies aber wegen der Ungewissheit der Vaterschaft erst mittels einer Abstammungsuntersuchung klären, deren grundrechtsbeeinträchtigende Wirkung indessen auch bei negativem Ausgang nicht rückgängig gemacht werden kann.
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(4) Darüber hinaus kann die Abstammungsklärung den zur Mitwirkung verpflichteten Mann und seine Familie in ihrem durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Familienleben beeinträchtigen. Dieses bleibt nicht unberührt, wenn die Möglichkeit im Raum steht, dass der Mann ein weiteres Kind haben könnte. Das gilt unabhängig davon, ob sich der Verdacht durch die Abstammungsuntersuchung bestätigt oder nicht, und ist auch bei negativem Ausgang der Abstammungsklärung nicht vollständig reversibel. Die Belastung besteht aber erst recht, wenn sich eine weitere Vaterschaft im Abstammungsklärungsverfahren tatsächlich als gegeben erweist (vgl. BVerfGE 138, 377 [393 f. Rn. 45]).
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(5) Mit der Ermöglichung der isolierten Abstammungsklärung zwischen Personen, die nicht durch ein rechtliches Eltern-Kind-Verhältnis verbunden sind, geht zudem die Gefahr einher, dass Abstammungsuntersuchungen "ins Blaue hinein" erfolgen (vgl. Rauscher, in: Staudinger, BGB, 2011, § 1598a Rn. 19); die genannten Grundrechtsbeeinträchtigungen könnten daher eine erhebliche personelle Streubreite entfalten. Bei der Klärung nach § 1598a BGB, also innerhalb der rechtlichen Familie, besteht diese Gefahr nicht, weil der Kreis der Berechtigten und Verpflichteten hier auf die Mitglieder der rechtlichen Familie beschränkt ist. Dieses Regulativ entfällt aber, wenn wie in der vorliegenden Konstellation zwangsläufig auch Außenstehende als Verpflichtete einbezogen werden.
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Dem könnte der Gesetzgeber dadurch vorbeugen, dass er einen Klärungsanspruch gegenüber dem angeblich leiblichen Vater an besondere Voraussetzungen knüpft. Er könnte verlangen, dass Umstände erkennbar sind, die auf die Möglichkeit der leiblichen Vaterschaft des in Anspruch genommenen Mannes schließen lassen. Für den dadurch eingeengten Kreis der Betroffenen steigerte eine solche Regelung die Beeinträchtigung der Privat- und Intimsphäre allerdings noch. Denn die gerichtliche Verpflichtung zur Mitwirkung an der Abstammungsuntersuchung setzte dann voraus, dass -- auch dem Gericht -- die leibliche Vaterschaft aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte möglich erschiene. Das implizierte zwangsläufig, dass auch eine geschlechtliche Beziehung des Mannes zur Mutter des Kindes, aus der das Kind hervorgegangen sein könnte, möglich wäre. Aus Sicht der betroffenen potenziellen Elternteile wäre das wiederum auch deshalb problematisch, weil sich die damit verbundene Beeinträchtigung ihrer Privat- und Intimsphäre selbst dann nicht erledigte, wenn die Abstammungsuntersuchung ergäbe, dass der Mann das Kind nicht gezeugt hat. Denn damit wäre lediglich die leibliche Vaterschaft, nicht aber die zuvor in einem gerichtlichen Verfahren konstatierte Möglichkeit einer geschlechtlichen Beziehung zwischen dem vermeintlich leiblichen Vater und der Mutter des Kindes widerlegt.
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(6) Selbst wenn der Umstand einer einstigen geschlechtlichen Beziehung des angeblichen Vaters zur Mutter des Kindes den Beteiligten und deren Familien ohnehin bekannt ist, kann -- wie der Bevollmächtigte des Antragsgegners in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat -- ein Interesse des angeblichen Vaters bestehen, dass es nicht mehr zur weiteren Aufklärung der leiblichen Abstammung des Kindes von ihm kommt. Es mag ein Mann, dessen einstige geschlechtliche Beziehung zur Mutter offen liegt, in der berechtigten Annahme gelebt haben, nicht Vater des Kindes zu sein, insbesondere weil eine frühere Abstammungsbegutachtung, wie hier, zur Verneinung seiner Vaterschaft geführt hat. Auch die Annahme eines Mannes, nicht der leibliche Vater eines bestimmten Kindes zu sein, kann Einfluss auf sein Selbstverständnis haben (vgl. umgekehrt für die positive Annahme eines Vater-Kind-Verhältnisses BVerfGE 117, 202 [226]).
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cc) Die Anordnung und Durchführung einer Abstammungsuntersuchung, durch welche die leibliche Vaterschaft geklärt wird, beeinträchtigen unter Umständen auch das durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Familienleben der Mitglieder der bestehenden rechtlichen Familie des Kindes. Die Familie ist bereits durch das Verfahren zur Abstammungsklärung mit dem Verdacht und einer Möglichkeit der Aufdeckung fehlender leiblicher Abstammung des Kindes vom rechtlichen Vater konfrontiert. Das nimmt den Beteiligten Gewissheit und Vertrauen in ihre familiären Beziehungen. Die Belastung tritt spiegelbildlich zu derjenigen Familie des angeblich leiblichen Vaters bereits dadurch ein, dass die Möglichkeit der leiblichen Abstammung von einem anderen Mann im Raum steht. Die Belastung des Familienlebens ist aber besonders groß, wenn sich bei der Abstammungsklärung herausstellte, dass der rechtliche Vater nicht leiblicher Vater des Kindes ist (vgl. BVerfGE 135, 48 [86 f. Rn. 105 ff.]; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. November 2014 -- 1 BvR 2843/14 --, juris, Rn. 8). Dies wiegt schwerer, solange das Kind noch minderjährig und auf den Schutz seiner Familie besonders angewiesen ist.
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Zwar vermag der Ausschluss der Abstammungsklärung weder zu verhindern, dass das Kind Verdacht über seine Abstammung von einem anderen Mann schöpft, noch dass es diesen Verdacht in der Familie zur Sprache bringt. Insoweit wird daher durch die Verwehrung der Möglichkeit der Abstammungsklärung das Familienleben nicht geschützt. Wohl aber verhindert dies, dass die Frage der leiblichen Vaterschaft aus der Familie hinausgetragen und vor einem staatlichen Gericht erörtert wird. Weil in dem Prozess eine selbständige, von dem vorangehenden Verhalten der Beteiligten unabhängige Gefahr für das Familienleben liegt, bietet die Verwehrung eines Abstammungsklärungsverfahrens dem Familienleben der rechtlichen Familie einen gewissen Schutz (vgl. BVerfGE 79, 256 [271]).
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dd) Schließlich berührt die Abstammungsklärung das allgemeine Persönlichkeitsrecht des rechtlichen Vaters, in dessen Selbstverständnis die Annahme, in genealogischer Beziehung zu seinem Kind zu stehen, eine Schlüsselstellung einnehmen kann (vgl. BVerfGE 117, 202 [225 f.]).
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4. Der Gesetzgeber hat diesen nicht vollständig auflösbaren Grundrechtskonflikt im geltenden Recht nicht zugunsten oder zulasten allein einer Seite entschieden. Er hat zwar dem Kind gegenüber einem ihm rechtlich nicht als Vater zugeordneten Mann kein Verfahren zur isolierten Abstammungsklärung eröffnet. Er hat aber das Vaterschaftsfeststellungsverfahren nach § 1600d BGB bereitgestellt, welches die inzidente Klärung der leiblichen Abstammung vom mutmaßlich leiblichen Vater ermöglicht; bei positivem Ausgang führt es zur Begründung eines rechtlichen Vater-Kind-Verhältnisses einschließlich aller damit verbundenen wechselseitigen Rechte und Pflichten.
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An der bis dahin verfolgten Linie, die Abstammungsklärung im Verhältnis zu einer rechtlich bislang nicht familiär verbundenen Person nur zu ermöglichen, wenn die Klärung auf die Begründung rechtlicher Eltern-Kind-Verantwortung zielt (§ 1600d BGB), hat der Gesetzgeber bewusst festgehalten, als er aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum heimlichen Vaterschaftstest vom 13. Februar 2007 (BVerfGE 117, 202) die isolierte Abstammungsklärung innerhalb der rechtlichen Familie durch § 1598a BGB ermöglicht hat (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs, BTDrucks 16/6561, S. 12; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks 16/8219, S. 6 f.).
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Auch mit der in Umsetzung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. EGMR, Urteil vom 21. Dezember 2010 -- 20578/07, Anayo./.Deutschland --, juris; Urteil vom 15. September 2011 -- 17080/07, Schneider./.Deutschland --, juris; Urteil vom 22. März 2012 -- 23338/09, Kautzor./.Deutschland --, juris; Urteil vom 22. März 2012 -- 45071/09, Ahrens./. Deutschland --, juris) eingeführten Regelung in § 1686a BGB ist keine grundsätzliche Neuausrichtung erfolgt. Danach ist eine inzidente Klärung der Abstammung möglich (vgl. § 167a Abs. 2 FamFG), wenn der mutmaßlich leibliche Vater Umgang mit dem Kind oder Auskunft über das Kind begehrt, worin ebenfalls der Wunsch nach Übernahme einer gewissen tatsächlichen Pflege- und Erziehungsverantwortung gesehen werden kann.
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5. Mit der Entscheidung, neben der Vaterschaftsfeststellung nach § 1600d BGB keine isolierte Abstammungsklärung gegenüber dem angeblich leiblichen Vater zu ermöglichen, hat der Gesetzgeber den ihm hier zustehenden Ausgestaltungsspielraum nicht überschritten (a). Die Berücksichtigung der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als Auslegungshilfe führt zu keinem anderen Ergebnis (b).
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a) Die Entscheidung des Gesetzgebers, neben der Vaterschaftsfeststellung nach § 1600d BGB keine isolierte Abstammungsklärung gegenüber dem angeblich leiblichen Vater zu ermöglichen, wahrt die verfassungsrechtlichen Grenzen zulässiger Ausgestaltung. Die Bereitstellung eines solchen Verfahrens wäre dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich möglich. Zwingend vorgegeben ist ihm dies durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes jedoch nicht. Ein solches Verfahren könnte -- je nach Ausgestaltung unterschiedlich intensiv -- zahlreiche Grundrechte der anderen Betroffenen beeinträchtigen (oben 3), die der Gesetzgeber gegen den grundrechtlich gebotenen Schutz der Abstammungskenntnis abzuwägen hat. Das Ergebnis der erforderlichen Abwägungen ist hier verfassungsrechtlich weder in die eine noch in die andere Richtung eindeutig vorgezeichnet.
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aa) Der auf der einen Seite stehende Schutz gegen die Vorenthaltung verfügbarer Abstammungsinformationen kann schwer wiegen, weil die Unaufklärbarkeit der Abstammung vom mutmaßlich leiblichen Vater die betroffene Person im Einzelfall stark belasten kann (oben B II 1 b). Indessen bleibt ein Kind, das seine Abstammung von einem Mann klären will, den es für seinen leiblichen Vater hält, nach der aktuellen Gesetzeslage nicht rechtlos, weil es gemäß § 1600d BGB die Feststellung der Vaterschaft dieses Mannes beantragen und damit inzident dessen leibliche Vaterschaft klären kann. Hat das Kind einen rechtlichen Vater, ist ein solches Vaterschaftsfeststellungsverfahren gegenüber dem mutmaßlich leiblichen Vater allerdings nur möglich, wenn es zunächst die Vaterschaft des rechtlichen Vaters erfolgreich anficht (§ 1600d Abs. 1 BGB). Dass die Beschwerdeführerin im vorliegenden Verfahren nicht von der Vaterschaftsfeststellung nach § 1600d BGB Gebrauch machen konnte, liegt hingegen nicht an einer entgegenstehenden rechtlichen Vaterschaft, sondern an den besonderen Umständen des konkreten Falls. Weil sie bereits einmal erfolglos im Wege der Vaterschaftsfeststellungsklage gegen den Antragsgegner vorgegangen ist, verstellt heute nach ihrer eigenen Einschätzung die Rechtskraft des damaligen abweisenden Urteils den Weg des § 1600d BGB. Der Bundesgerichtshof teilt diese Einschätzung in seiner Stellungnahme (vgl. auch BGHZ 156, 153). Im Fall der Beschwerdeführerin war die Möglichkeit der inzidenten Klärung der leiblichen Abstammung vom Antragsgegner im Wege der statusrechtlichen Vaterschaftsfeststellung danach nicht von Anfang an ausgeschlossen, sondern durch das frühere Verfahren verbraucht.
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bb) Die auf der anderen Seite stehenden Grundrechte sind gegenüber dem Schutz der Abstammungskenntnis nicht generell als weniger gewichtig anzusehen. Die vom Gesetzgeber gewählte Lösung, kein isoliertes Abstammungsklärungsverfahren gegenüber dem mutmaßlich leiblichen, aber nicht rechtlichen Vater zuzulassen, trägt dem für die Grundrechte der Betroffenen ungünstigsten und wegen der Ungewissheit der leiblichen Vaterschaft nicht ausschließbaren Fall Rechnung, dass ein Abstammungsklärungsverfahren zu negativem Ergebnis führt. Die Abstammungsuntersuchung würde dann auf der einen Seite dem Kind nicht die gewünschte Gewissheit über seine leibliche Abstammung verschaffen, beeinträchtigte aber auf der anderen Seite -- weitgehend irreversibel -- die Grundrechte der anderen. Weil die Eröffnung eines isolierten Abstammungsklärungsverfahrens weder durch gesetzliche Regelung noch im Einzelfall durch die Gerichte von vornherein auf jene Fälle beschränkt werden könnte, in denen der mutmaßlich leibliche Vater tatsächlich der Erzeuger des Kindes ist, durfte der Gesetzgeber -- ohne dabei aber durch die Verfassung auf die gewählte Lösung festgelegt zu sein -- seine Abwägung auch an der Konstellation ausrichten, dass der zur Mitwirkung an einer Abstammungsuntersuchung gezwungene vermeintlich leibliche Vater nicht der Erzeuger ist.
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b) Die Berücksichtigung der als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten heranzuziehenden Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. BVerfGE 111, 307 [317]; 138, 296 [355 f. Rn. 149]) führt zu keinem anderen Ergebnis. Das Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK schließt zwar nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte das Recht auf Identität ein, zu dem auch das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung gehört (vgl. EGMR, Urteil vom 13. Juli 2006 -- 58757/00, Jäggi./.Schweiz --, FamRZ 2006, S. 1354; Urteil vom 16. Juni 2011 -- 19535/08, Pascaud./.Frankreich --, NJW 2012, S. 2015, insbes. S. 2016 f. Rn. 59). Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs lässt sich jedoch nicht ableiten, dass neben der rechtlichen Vaterschaftsfeststellung auch eine Möglichkeit der isolierten Abstammungsklärung bereitstehen müsste.
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In der Rechtssache Mikulic (EGMR, Urteil vom 7. Februar 2002 -- 53176/99, Mikulic./.Kroatien --, insbes. Rn. 64) hat der Gerichtshof beanstandet, dass nach kroatischem Recht weder eine genetische Abstammungsklärung möglich war noch ein anderer Weg offen stand, die tatsächlichen Voraussetzungen für eine gerichtliche Anerkennung der rechtlichen Vaterschaft auf Betreiben des Kindes festzustellen. Das Verfahren betraf also nicht die isolierte Aufklärung der biologischen Vaterschaft, sondern die rechtliche Vaterschaftsfeststellung.
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In der Rechtssache Odièvre hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR, Urteil vom 13. Februar 2003 -- 42326/98, Odièvre./.Frankreich --, NJW 2003, S. 2145) im Zusammenhang mit französischen Regelungen zur anonymen Geburt festgestellt, zur Entwicklung der Person gehöre das Recht, notwendige Informationen über wesentliche Aspekte ihrer eigenen Identität oder die ihrer Eltern zu erhalten. Dies betraf jedoch die Vorenthaltung von Personenstandsurkunden, die bei den Behörden lagen. Vor allem aber hat der Gerichtshof die Geheimhaltungsregelung im Ergebnis gebilligt, weil sie eine Möglichkeit vorsah, die Identität der Mutter offenzulegen, wenn die Mutter dem zustimmt. Entsprechend hat der Gerichtshof im Fall Godelli (EGMR, Urteil vom 25. September 2012 -- 33783/09, Godelli./.Italien --, juris) lediglich die absolute Weigerung der Behörden beanstandet, der dortigen Beschwerdeführerin Einblick in ihre persönliche Herkunft zu gewähren, ohne danach zu differenzieren, ob die Mutter an ihrem Wunsch, ihre Identität nicht preiszugeben, noch festhielt oder nicht. Vorliegend geht es aber gerade um die Ermöglichung der Abstammungsklärung gegen den Willen des mutmaßlichen Vaters.
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Auch hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zwar, worauf die Beschwerdeführerin hinweist, festgestellt, dass das Interesse einer Person an der Feststellung ihrer Abstammung im Einzelfall dazu führen könne, dass der vermutete verstorbene Vater exhumiert werden müsse (vgl. EGMR, Urteil vom 13. Juli 2006 -- 58757/00, Jäggi./.Schweiz --, FamRZ 2006, S. 1354). Die dortige Fallgestaltung unterscheidet sich jedoch von der hier für den Gesetzgeber maßgeblichen Abwägungssituation dadurch, dass dort der Abstammungsklärung nicht mehr gewichtige Persönlichkeitsinteressen des noch lebenden angeblichen Vaters entgegenstanden.
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Auch die Entscheidung in der Rechtssache Pascaud (EGMR, Urteil vom 16. Juni 2011 -- 19535/08, Pascaud./.Frankreich --, NJW 2012, S. 2015, insbes. S. 2017 Rn. 68) betrifft eine andere Rechtsfrage. Dort beanstandete der Gerichtshof, dass dem dortigen Beschwerdeführer eine rechtliche Anerkennung seiner Abstammung von einem zwischenzeitlich verstorbenen Mann verwehrt wurde, obwohl die biologische Abstammung aufgrund einer gerichtlich angeordneten DNA-Analyse mit 99,999%iger Sicherheit feststand und der Verstorbene keine Familie mehr hatte. Beanstandet wurde im Ergebnis die fehlende Möglichkeit der (erbrechtlich relevanten) rechtlichen Anerkennung der Vaterschaft, nicht das Fehlen der Möglichkeit einer isolierten Abstammungsklärung.
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In Rechtsstreitigkeiten um Rechte eines mutmaßlich biologischen Vaters hat der Gerichtshof ausdrücklich festgestellt, dass die Entscheidung, eine gesonderte statusunabhängige genetische Untersuchung zur Klärung der Abstammung eines Kindes nicht zu gestatten, innerhalb des staatlichen Ermessensspielraums liegt (vgl. EGMR, Urteil vom 22. März 2012 -- 23338/09, Kautzor./. Deutschland --, juris, Rn. 78 ff.).
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