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Beschluß | |
des Ersten Senats vom 9. April 1975
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- 1 BvR 344/73 - | |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Studenten Gerhard K... - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Wolfgang Auer und Dr. Eckhard Klapp, München 40, Ohmstraße 6 - gegen a) das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 3. Juli 1972 - 86 VII 72 -, b) den Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Juli 1973 - VII B 71.72 -
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Entscheidungsformel:
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1. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 3. Juli 1972 - 86 VII 72 - und der Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Juli 1973 - VII B 71.72 - verletzen das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Artikel 12 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Diese Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
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2. Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
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Gründe | |
A. | |
Die angegriffenen Gerichtsentscheidungen betreffen die Zuteilung solcher Studienplätze, die in einem Studienfach mit Zulassungsbeschränkung infolge unzureichender Kapazitätsausnutzung frei geblieben sind.
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I.
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1. Der Zugang zum Hochschulstudium in Bayern regelte sich zu der Zeit, als der Beschwerdeführer seine Zulassung zum Medi ![]() ![]() | |
Artikel 2
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(1) Die Immatrikulation an den Hochschulen setzt eine Eignung voraus, die durch eine Vorbildung nach Maßgabe der bestehenden Vorschriften nachgewiesen wird. (2) Die Zahl der für die einzelnen Studienrichtungen aufzunehmenden Studenten und Gaststudierenden kann nur beschränkt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung eines geordneten Studienbetriebes im Hinblick auf die Aufnahmefähigkeit der Hochschuleinrichtungen zwingend erforderlich ist. Die Zulassungszahlen können jeweils nur für die Dauer eines Jahres begrenzt werden. | |
Gemäß Art. 4 des Gesetzes waren die näheren Vorschriften vom Staatsministerium für Unterricht und Kultus im Benehmen mit der betroffenen Hochschule durch Rechtsverordnung zu erlassen. Die Ausführungsverordnung vom 31. Juli 1970 (GVBl. S. 386, geändert durch Verordnungen vom 15. Januar 1971 - GVBl. S. 60 - und vom 25. Juni 1971 - GVBl. S. 262 -) bestimmte in § 1 u.a., daß die Zulassungsbegrenzung der Form einer Satzung bedurfte, die die Hochschule im Einvernehmen mit dem Ministerium zu erlassen hatte und in der die Zahl der aufzunehmenden Studenten anzugeben war; kam eine solche Satzung innerhalb einer vom Ministerium gesetzten angemessenen Frist nicht zustande, so konnte das Ministerium die Begrenzung durch Rechtsverordnung anordnen.
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Bei Zulassungsbeschränkungen erfolgte die Zulassung gemäß Art. 3 des Gesetzes in Verbindung mit der Ausführungsverordnung in der Weise, daß die Gesamtzahl der verfügbaren Studienplätze - nach Abzug eines Teils der Plätze für Härtefälle und für ausländische Bewerber - zu 60% nach Eignung und Leistung und zu 40% nach dem Jahrgangsprinzip zu vergeben war. Wurden zugeteilte Studienplätze von Berechtigten nicht in Anspruch genommen, waren sie an Hand von Nachrücklisten zu besetzen (§ 13 Abs. 2 AVO). ![]() | |
II.
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1. Der Beschwerdeführer, der im Jahr 1970 die Reifeprüfung mit einem Notendurchschnitt von 3,0 bestanden hatte, ist seit dem Wintersemester 1973/74 zum Medizinstudium in Würzburg zugelassen. Vorher waren seine Anträge auf Zulassung zum Medizinstudium an der Universität München wiederholt abgelehnt worden, weil ihm auf der Bewerberliste nach Notendurchschnitt und Dauer der Wartezeit andere Bewerber im Rang vorgingen. Gegen die Ablehnung seiner Zulassung zum Sommersemester 1971 hat der Beschwerdeführer Klage mit der Begründung erhoben, die Universität München habe in diesem Semester ihre Kapazitäten nicht erschöpfend genutzt.
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a) Durch Urteil vom 24. April 1972 hat das Verwaltungsgericht München den beklagten Freistaat Bayern unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides verpflichtet, den Beschwerdeführer ab Sommersemester 1971 an der Universität München zum Studium der Humanmedizin zuzulassen.
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In der Urteilsbegründung wird ausgeführt, das Rechtsschutzbedürfnis sei durch den Ablauf des Sommersemesters 1971 nicht entfallen; denn der Beschwerdeführer erstrebe seine Zulassung als Studienanfänger für den gesamten Studiengang, und zwar im Rahmen der Zulassungsquote des Sommersemesters 1971. Eine Verpflichtung zur rückwirkenden Zulassung sei möglich, weil der Beschwerdeführer bereits als Student der Naturwissenschaften immatrikuliert sei und an zahlreichen Lehrveranstaltungen für Mediziner teilgenommen habe.
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Die Klage sei auch begründet. Die Beschränkung der Studienplätze auf 275 für das Sommersemester 1971 sei unwirksam gewesen; denn zur Aufrechterhaltung eines geordneten Studienbe ![]() ![]() | |
b) Auf die Berufung des beklagten Freistaates Bayern hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof durch Urteil vom 3. Juli 1972 die Klage unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung mit folgender Begründung abgewiesen:
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Eine rückwirkende Zulassung zum Studium sei tatsächlich und begrifflich unmöglich. Nachdem sich das Klagebegehren auf Zulassung zu den früheren Semestern durch deren Ablauf erledigt habe, könne nur noch über den Hilfsantrag auf Zulassung zum Sommersemester 1972 sachlich entschieden werden. Einer Zulassung zu diesem Semester stehe aber entgegen, daß die Zulassungszahl inzwischen rechtsfehlerfrei auf 350 Plätze erhöht worden sei und dem Beschwerdeführer nach seiner Rangstelle keiner dieser Plätze zustehe.
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Die vom Beschwerdeführer erstrebte Zulassung auf Grund der Sach- und Rechtslage im Sommersemester 1971 könne auch nicht damit begründet werden, der Beschwerdeführer sei in diesem Semester rechtswidrig abgelehnt worden. Über eine Verpflichtungsklage sei nach dem im Entscheidungszeitpunkt geltenden Recht zu entscheiden, das keine Anhaltspunkte für die Aufrechterhaltung etwaiger früher begründeter Ansprüche enthalte. Zudem könne im Wege der Folgenbeseitigung nicht die Einräumung einer bisher nicht innegehabten Rechtsstellung verlangt werden. ![]() ![]() | |
c) Mit Beschluß vom 12. Juli 1973 hat das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision mit folgender Begründung zurückgewiesen:
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Zwar stehe die Auffassung des Berufungsgerichts, daß sich der Klageantrag auf Zulassung zum Sommersemester 1971 durch Ablauf dieses Semesters erledigt habe und daß es für die Entscheidung auf die Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung ankomme, in Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 22. Juni 1973, BVerwGE 42, 296). Das Berufungsurteil sei jedoch zusätzlich darauf gestützt, daß der Ablehnungsbescheid für das Sommersemester 1971 nicht rechtswidrig gewesen sei. Dazu habe das Bundesverwaltungsgericht in dem erwähnten Urteil vom 22. Juni 1973 ausgeführt, daß die Gerichte die Universität zur Zulassung eines klagenden Studienbewerbers nur dann verpflichten dürften, wenn dem Bewerber nach seinem Rangplatz ein Anspruch auf einen der freien Plätze zugestanden habe. Diese grundsätzliche Rechtsfrage sei somit geklärt.
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2. Der Beschwerdeführer sieht sich durch die Entscheidungen des Berufungs- und des Revisionsgerichts in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt. Im bayerischen Zulassungsrecht fehle eine ausdrückliche Regelung für den Fall, daß in einem Rechtsstreit die Nichtausschöpfung von Kapazitäten festgestellt werde. Bei verfassungskonformer Anwendung des Zulassungsrechts müsse der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts gefolgt ![]() ![]() | |
3. a) Der Bayerische Ministerpräsident hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Es sei schon nicht erwiesen, daß die Kapazitäten im Sommersemester 1971 zu Unrecht niedriger als im folgenden Semester angesetzt worden seien. Zwar habe sich das wissenschaftliche Personal zwischen den beiden Semestern nicht nennenswert vermehrt; doch habe die neue Approbationsordnung eine Entlastung in einem wesentlichen Engpaß bewirkt; auch seien zum Wintersemester kapazitätserweiternde Maßnahmen wirksam geworden oder vorgesehen gewesen.
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Werde gleichwohl eine mangelhafte Kapazitätsausschöpfung im Sommersemester 1971 unterstellt, dann sei der Auffassung des Berufungs- und des Revisionsgerichts beizutreten, wonach dem Beschwerdeführer keiner der ungenutzten Plätze zugestanden habe. Die gerichtliche Nachprüfung einer Maßnahme dürfe nicht dazu führen, dem klagenden Bewerber eine Position einzuräumen, die er bei fehlerfreiem Handeln der Universität nicht erlangt haben würde. Dazu komme es aber, wenn die Gerichte ungenutzt gebliebene Studienplätze ohne Rücksicht auf die Rangstelle der Bewerber besetzten. Dem Grundsatz der Chancengleichheit werde man nur dann gerecht, wenn derartige Plätze an Hand von Nachrücklisten an Bewerber mit besseren Rangplätzen vergeben würden.
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b) Die Westdeutsche Rektorenkonferenz stimmt im Ergebnis der Auffassung des erstinstanzlichen Verwaltungsgerichts und des Beschwerdeführers zu. Der Zulassungsanspruch eines Bewerbers gründe sich nicht auf den Rangplatz, sondern auf die Zulassungs ![]() ![]() | |
c) Der Bayerische Oberste Rechnungshof hat seinen Bericht für das Haushaltsjahr 1971 vom 30. Oktober 1973 übersandt, der sich u.a. mit der Frage befaßt, ob die Ausnutzung der Hochschulen den Anforderungen des Numerus-clausus-Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 33, 303) entspricht.
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Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
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1. Das schutzwürdige Interesse an der Feststellung einer etwaigen Grundrechtsverletzung ist nicht dadurch entfallen, daß der Beschwerdeführer nach Einlegung der Verfassungsbeschwerde zum Medizinstudium zugelassen worden ist. Diese Zulassung ist in Würzburg und nicht - wie im vorliegenden Verfahren beantragt - in München erfolgt; auch hat der Beschwerdeführer durch seine Ablehnung wegen der nur begrenzten Anrechnung seines naturwissenschaftlichen Studiums jedenfalls zwei Fachsemester verloren. Zumindest bei einer solchen Sachlage genügt es für das Fortbestehen des Rechtsschutzbedürfnisses, daß sich die Benachteiligung durch die angefochtenen Entscheidungen auf eine Zeitspanne beschränkte, in welcher der Betroffene nach dem regelmäßigen Geschäftsgang eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kaum erlangen konnte (BVerfGE 34, 165 [180]).
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2. Dem Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers steht auch nicht entgegen, daß die Klageabweisung durch das Berufungsgericht mit zwei verschiedenen Gesichtspunkten begründet wird ![]() ![]() | |
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
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I.
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1. Im Numerus-clausus-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, daß absolute Zulassungsbeschränkungen für Studienanfänger nur dann verfassungsmäßig sind, wenn sie in den Grenzen des unbedingt Erforderlichen unter erschöpfender Nutzung der vorhandenen, mit öffentlichen Mitteln geschaffenen Ausbildungskapazitäten angeordnet werden (BVerfGE 33, 303 [338 ff.]). Dabei wird die Art und Weise der Kapazitätsermittlung als eines der Kernstücke des Zulassungswesens gewertet und hervorgehoben, daß Kapazitätsfestsetzungen möglichst aufgrund objektivierter, nachvollziehbarer Kriterien und durch Rechtsnormen nach vorherigem kritischem Zusammenwirken zwischen Hochschule und staatlichen Behörden zu erfolgen haben. Auf dieser Linie bewegen sich auch der am 20. Oktober 1972 von den Ländern vereinbarte Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen sowie die dazu erlassenen ländereinheitlichen Verordnungen über die Grundsätze für eine einheitliche Kapazitätsermittlung und -festsetzung zur Vergabe von Studienplätzen (vgl. die bayerische Kapazitätsverordnung vom 9. Juli 1974 - GVBl. S. 376).
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Die in Bayern vor Abschluß des Staatsvertrags geltende und im vorliegenden Verfahren angewandte Regelung entsprach bereits diesen Anforderungen. Die maßgeblichen Vorschriften des ![]() ![]() | |
2. Ob eine konkrete Zulassungsbeschränkung auf ausreichenden, dem jeweiligen Stand der Erfahrungen entsprechenden Ermittlungen und Prüfungen beruht, unterliegt - wie im Numerus-clausus-Urteil vorausgesetzt (a.a.O. [344]) - der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Diese wird sich in der Regel inzident im Rahmen einer Klage auf Anfechtung eines Ablehnungsbescheides vollziehen, soweit es nicht zu einem Normenkontrollverfahren gemäß § 47 VwGO kommt.
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Welche Bedeutung gerade in diesem Zusammenhang einer umfassenden und effektiven verwaltungsgerichtlichen Kontrolle zukommt, ergibt sich aus folgendem: Schon das Numerus-clausus-Urteil hat darauf hingewiesen, daß beim Medizinstudium die Zulassungen von einem Höchststand im Jahre 1962 auf etwa die Hälfte im Jahre 1969 gesunken waren, während sich das wissenschaftliche Personal in den Jahren zwischen 1960 und 1969 nahezu verdoppelt hatte (a.a.O. [306]). Nach Angaben der Bundesregierung (im Verfahren 1 BvR 344/74) erreichte die Zahl der Neuzulassungen erst 1973 wieder den Stand des Jahres 1962. Die Stellen für wissenschaftliches Personal hatten sich aber von 1960 bis 1972 auf etwa das Dreifache vermehrt; die Zahl der Professoren und Dozenten war in dieser Zeit sogar um etwa 600% von 617 auf 4.331 gestiegen, so daß sich das Zahlenverhältnis zwischen Professoren einschließlich Dozenten einerseits und der Gesamtzahl der Medizinstudenten andererseits um 383% ver ![]() ![]() | |
Wie diese Zahlenangaben und Beanstandungen zu würdigen sind und inwieweit sie Schlüsse auf das Vorhandensein von Kapazitätsreserven zulassen, ist hier nicht näher zu erörtern. Liegen einer Kapazitätsfestsetzung verfassungsrechtlich unbedenkliche Regelungen und Beurteilungskriterien zugrunde, dann bedeutet deren Anwendung im Einzelfall die Feststellung und Würdigung eines konkreten Sachverhalts, die den zuständigen Fachgerichten obliegt und die einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle nur begrenzt zugänglich ist (vgl. BVerfGE 18, 85 [93]). Zum Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts wird nur ausnahmsweise Anlaß sein, solange sich die zuständigen Fachgerichte - wie aus den bisherigen Erfahrungen erkennbar ist - von der Erwägung leiten lassen, daß fehlerhafte Kapazitätsermittlungen das verfassungsmäßig gewährleistete Zulassungsrecht empfindlich beeinträchtigen, da sie für zurückgewiesene Bewerber eine jahrelange Verzögerung der Ausbildung, wenn nicht gar einen Verzicht auf den gewählten Beruf bedeuten.
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Im vorliegenden Fall hat das erstinstanzliche Verwaltungsgericht die Zulassungsbeschränkungen für das Sommersemester 1971 in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise überprüft und ![]() ![]() | |
II.
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1. Ebenso wie der spätere Staatsvertrag der Länder nebst der zugehörigen Vergabeverordnung enthielten auch das bayerische Zulassungsgesetz sowie die Ausführungsverordnung eine ausdrückliche Regelung lediglich für den Fall, daß als verfügbar ausgewiesene Studienplätze frei bleiben; diese sind im Wege eines Nachrückverfahrens - nach der Vergabeverordnung gegebenenfalls auch durch Verlosung - zu vergeben (§§ 22 ff. der Vergabeverordnung; § 13 Abs. 3 der bayerischen Ausführungsverordnung). Dabei handelt es sich jedoch lediglich um die Besetzung solcher Studienplätze, die innerhalb einer durch Satzung oder Rechtsverordnung festgelegten Zulassungsquote liegen. Im vorliegenden Fall geht es hingegen um zusätzliche Studienplätze außerhalb der festgesetzten und für die Zulassungsbehörden maßgeblichen Quote, also um Studienplätze, deren Vorhandensein erst in einem Rechtsstreit als Folge unzureichender Kapazitätsausnutzung nachgewiesen wird.
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Zu der Frage, wie und an wen derartige Studienplätze zu vergeben sind, fehlen ausdrückliche Regelungen. In der Rechtsprechung werden entgegengesetzte Auffassungen vertreten. Ebenso wie das erstinstanzliche Verwaltungsgericht hat ursprünglich auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVBl. 1970, S. 66 [69]) in Übereinstimmung mit der ständigen Praxis des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (DVBl. 1969, S. 935 [938]; ähnlich Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, DVBl. 1970, S. 324 [328]) die Plätze den klagenden Bewerbern ohne Rücksicht auf deren Rang zugesprochen; der Rang ist nach die ![]() ![]() | |
Die zuletzt genannte Auffassung ist im Schrifttum durchweg auf Kritik gestoßen (Haas, DVBl. 1974, S. 22 ff.; Czermak, NJW 1973, S. 1783 ff.; Naujoks, DÖV 1974, S. 65 ff.; J. Schmitt, NJW 1974, S. 773 [777]). Sie führt dazu, daß Klagen selbst dann erfolglos bleiben können, wenn ungenutzte Studienplätze nachgewiesen werden, und daß sich daher die Prüfung, ob derartige Plätze vorhanden sind, erübrigt, wenn der klagende Bewerber wegen seines ungünstigen Rangplatzes nicht zur Zulassung heransteht. Im Ergebnis muß sich diese Auffassung dahin auswirken, daß eine gerichtliche Kapazitätsüberprüfung überhaupt unterbleibt. Gutplazierte Bewerber werden nämlich - wie in der Kritik zutreffend hervorgehoben wird und wie auch das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 22. Juni 1973 einräumt - Klagen mit dem schwierigen Nachweis mangelnder Kapazitätsausnutzung in aller Regel nicht erheben; denn sie rechnen damit, daß sie im Nachrückverfahren bei der Verteilung frei gebliebener erfaßter Studienplätze oder in einem der nächsten Semester müheloser zum Zuge kommen.
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2. Der vom Berufungsgericht in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht vertretenen Auffassung kann aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht gefolgt werden.
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a) Das Bundesverfassungsgericht hat im Numerus-clausus-Urteil ausgeführt, daß Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit ![]() ![]() | |
In Konsequenz dieser Grundsätze ist der verfassungsrechtlich gewährleistete Zulassungsanspruch eines hochschulreifen Bewerbers rechtlich unabhängig von dessen Rangstelle zu sehen; daher kann - wie die Westdeutsche Rektorenkonferenz zutreffend ausführt - die Immatrikulation eines Bewerbers mit ungünstiger Rangstelle keinesfalls als Zulassung eines Nichtberechtigten beurteilt werden. Die rechtliche Selbständigkeit des Zulassungsanspruches tritt solange klar zutage, wie kein Bewerberüberhang besteht. Eine durch bloßen Bewerberüberhang ausgelöste Zulassungsbeschränkung kann aber nicht den Rechtscharakter des Zulassungsanspruches, sondern lediglich dessen Realisierung beeinflussen, die jeweils von der Zahl der vorhandenen Studienplätze und der Zahl der Mitbewerber abhängt und daher situations ![]() ![]() | |
Bei dieser Beurteilung wird nicht verkannt, daß neben dem Zulassungsanspruch auch der Rangziffer eine wesentliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt, da sie eine möglichst gerechte Bewerberauswahl im Lichte des Gleichheitssatzes bezweckt. Beide verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte lassen sich in Einklang bringen, wenn sämtliche vorhandenen Ausbildungsplätze ordnungsgemäß erfaßt und in das normale Vergabeverfahren einbezogen werden. Sie geraten erst dann in Widerspruch zueinander, wenn ein Ausbildungsträger seine Pflicht zur Ausschöpfung der Kapazitäten nicht erfüllt hat. Gerade in einem solchen Fall darf aber nicht außer acht gelassen werden, daß jedes Auswahlverfahren eine Ungleichbehandlung prinzipiell Gleichberechtigter unter Anwendung problematischer Kriterien (vgl. dazu BVerfGE 33, 303 [349 ff.]; 37, 104 [114 ff.]) so wie eine situationsbedingte Notmaßnahme zur "Verwaltung eines Mangels" (so zutreffend Haas, a.a.O., S. 23 f.) darstellt. Daher darf die Anwendung solcher Notmaßnahmen keinesfalls dazu führen, vorhandene Studienplätze überhaupt ungenutzt zu lassen und damit den Mangel zu vergrößern. Der Gleichheitssatz würde ein solches Ergebnis schon deshalb nicht rechtfertigen, weil ein auch rechtlich erheblicher Unterschied besteht zwischen solchen Bewerbern, die ihren Ablehnungsbescheid haben bestandskräftig werden lassen, und solchen, die gegen ihre Ablehnung Klage erhoben und den Nachweis ungenutzter Kapazitäten geführt haben. Wegen dieses Unterschiedes kann die Zulassung eines klagenden ![]() ![]() | |
b) Dieser Beurteilung läßt sich nicht entgegenhalten, Klagen von Bewerbern mit ungünstiger Rangstelle müßten bereits deshalb abgewiesen werden, weil diese Bewerber bei ordnungsgemäßer Einbeziehung der ungenutzten Plätze in das Vergabeverfahren keine Zulassung erreicht haben würden und daher durch ihre Ablehnung nicht in ihren Rechten verletzt sein könnten. Dieser Einwand ist letztlich nichts anderes als die Kehrseite der bereits verneinten Frage, ob die Rangziffer konstitutiver Bestandteil des Zulassungsanspruchs ist. Richtig ist lediglich, daß diese Bewerber nicht schon dadurch in ihren Rechten verletzt sind, daß sie bei der Verteilung der als frei erfaßten Stellen unberücksichtigt blieben. Ihre Klage betrifft aber nicht die Zuteilung dieser, sondern anderer Plätze, die infolge unzureichender Kapazitätsausnutzung überhaupt nicht in das Vergabeverfahren einbezogen waren. Besteht der verfassungsrechtliche Zulassungsanspruch unabhängig von Rangziffern, dann muß seine Nichterfüllung trotz vorhandener Ausbildungsplätze als eine Verletzung des Zulassungsrechts beurteilt werden.
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Dieses Ergebnis steht auch in Einklang mit der Ausgestaltung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes als eines Individualrechtsschutzes in solchen Verfahren, in denen die Nachprüfung der Kapazitäten inzident in einem konkreten, auf Zulassung gerichteten Prozeß erfolgt. Das Gericht befindet sich in diesem Prozeß ![]() ![]() | |
Besteht sonach die Alternative im Verwaltungsprozeß darin, den freien Studienplatz entweder dem jeweiligen Kläger zuzusprechen oder aber ihn ungenutzt zu lassen, dann verliert die Rangziffer des Bewerbers hier ihren Sinn. Für das behördliche Auswahlverfahren zugeschnitten, ist sie im Verwaltungsprozeß jedenfalls dann, wenn weniger Kläger als freie Plätze vorhanden sind, funktionslos. Ihre Berücksichtigung würde das Gericht zwingen, ein mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbares Ergebnis - Freibleiben eines begehrten Studienplatzes - hinzunehmen, ohne daß dies durch vernünftige Gründe gerechtfertigt wäre. In einer solchen Lage gebührt dem Teilhaberecht aus Art. 12 Abs. 1 GG der Vorrang vor den aus der Not des Mangels entstandenen Verteilungsmaßstäben. ![]() | |
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III.
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1. Das Berufungsgericht hat die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und die Klageabweisung nicht allein mit der ungünstigen Rangstelle des Beschwerdeführers, sondern vor allem damit begründet, für die Entscheidung sei nicht die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Bewerbung (Sommersemester 1971), sondern im Zeitpunkt der Entscheidung (Sommersemester 1972) maßgebend; im Sommersemester 1972 seien aber nach Erhöhung der Zulassungszahlen die Kapazitäten ausgeschöpft gewesen und alle vorhandenen Plätze ordnungsgemäß vergeben worden.
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Diese weitere Begründung beruht weitgehend auf der Auslegung und Anwendung einfachen Rechts, die einer verfassungsgerichtlichen Nachprüfung nur begrenzt zugänglich ist (BVerfGE 18, 85 [92 f.]). Demgemäß wäre die Verfassungsbeschwerde im Ergebnis als unbegründet zurückzuweisen, wenn sich mit hinreichender Sicherheit annehmen ließe, daß das Berufungsgericht bei seiner erneuten Entscheidung an dieser Auffassung festhalten und daher die Klage selbst dann abweisen würde, wenn die zuvor (unter II.) erörterte Frage nach der Bedeutung der Rangziffer in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise beantwortet wird. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden. Denn das genannte weitere zwischen den Fachgerichten strittige Problem ist nach Erlaß des Berufungsurteils vom Bundesverwaltungsgericht in der bereits erwähnten Entscheidung vom 22. Juni 1973 (BVerwGE 42, 296) in dem Sinne geklärt worden, daß sich eine Verpflichtungs ![]() ![]() | |
Das Bundesverwaltungsgericht gelangt zu diesem Ergebnis, indem es neben dem Klagebegehren auch den verfassungsrechtlichen Charakter des Zulassungsanspruchs berücksichtigt. Das Klagebegehren gehe dahin, so bald wie möglich nach den für das Bewerbungssemester maßgebenden Regeln und tatsächlichen Verhältnissen zugelassen zu werden. Dieser Zulassungsanspruch beruhe auf Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsgebot. Ob dieser Anspruch, der hinsichtlich der grundsätzlichen rechtlichen Voraussetzungen keinen Änderungen unterworfen sei, verwirklicht werden könne, richte sich danach, wie viele Bewerber die Hochschulen aufzunehmen in der Lage seien. Insoweit könnten sich die tatsächlichen Verhältnisse und die rechtlichen Regelungen, die den jeweiligen Verhältnissen Rechnung trügen, von Semester zu Semester ändern. Bei der Konkurrenzsituation, in der sich die Bewerber bei der Verteilung der in jedem Semester zur Verfügung stehenden Studienplätze befänden, gebiete der Grundsatz der Chancengleichheit, einheitlich auf die Verhältnisse im Bewerbungssemester abzustellen und nicht bei Bewerbern, die ihre Ablehnung im Rechtsweg angriffen, einen späteren Zeitpunkt zugrunde zu legen.
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An dieser Auffassung hat das Bundesverwaltungsgericht auch im vorliegenden Fall in seinem Beschluß über die Nichtzulassungsbeschwerde festgehalten. Es steht daher zu erwarten, daß das Berufungsgericht ihr bei seiner erneuten Entscheidung folgen wird. Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten spricht für die Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts insbesondere die Erwägung, daß die effektive Durchsetzung eines verfassungsmäßig gewährleisteten, in seiner Verwirklichung situationsabhängigen Rechts nicht darunter leiden darf, daß sich die Verhält ![]() ![]() | |
2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 Abs. 4 BVerfGG.
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