Beschluß | |
des Zweiten Senats vom 17. Juli 1995
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– 2 BvH 1/95 – | |
in dem Verfahren über die Anträge 1. festzustellen, daß die Ausschließung des Fraktionsmitarbeiters M. von der Akteneinsicht und Zeugenvernehmung für das gesamte Untersuchungsverfahren durch Beschluß des parlamentarischen Untersuchungsausschusses "Hamburger Polizei" vom 29. November 1994 gegen Artikel 3 GG und Artikel 25 Absatz 2 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg (HbgVerf) verstößt und damit eine unzulässige Einschränkung der Fraktionsrechte der GAL-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft darstellt, 2. a) im Wege der einstweiligen Anordnung die Antragsgegnerin zu verpflichten, Herrn M. vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache als wissenschaftlichen Mitarbeiter der GAL-Fraktion im parlamentarischen Untersuchungsausschuß "Hamburger Polizei" zuzulassen, b) hilfsweise, im Wege der einstweiligen Anordnung die Antragsgegnerin zu verpflichten, Herrn M. unter Ausschluß der Akteneinsichts- und Teilnahmerechte betreffend den Komplex "Gänsemarkt" vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache als wissenschaftlichen Mitarbeiter der GAL-Fraktion im parlamentarischen Untersuchungsausschuß "Hamburger Polizei" zuzulassen, Antragstellerin: GAL-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, vertreten durch den Fraktionsvorsitzenden Wilfried Maier und den parlamentarischen Geschäftsführer Alexander Porschke, Rathaus, Rathausmarkt, Hamburg – Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Gabriele Heinecke und Partner, Budapester Straße 49, Hamburg –, Antragsgegnerin: Hamburgische Bürgerschaft, vertreten durch die Bürgerschaftspräsidentin Ute Pape, Rathaus, Rathausmarkt, Hamburg.
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Entscheidungsformel: | |
1. Die Hamburgische Bürgerschaft hat durch den Beschluß des parlamentarischen Untersuchungsausschusses "Hamburger Polizei" vom 29. November 1994 über den Ausschluß des Fraktionsmitarbeiters M. von der weiteren Mitarbeit im Untersuchungsausschuß, insbesondere von den Rechten der Akteneinsicht und der Sitzungsteilnahme, die aus Artikel 8 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg herzuleitenden Rechte der GAL-Fraktion verletzt, soweit der Beschluß auch für den Zeitraum nach Abschluß der Vernehmung des M. als Zeugen zum Komplex der Kundgebung vom 30. Mai 1994 auf dem Gänsemarkt gilt.
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2. Im übrigen wird der Antrag in der Hauptsache zurückgewiesen.
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3. Damit erledigen sich die Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
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Gründe: | |
A. | |
Gegenstand des Landesorganstreitverfahrens ist die Frage, ob der Beschluß eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses Rechte der betroffenen Fraktion verletzt, durch den dieser entgegen einem generellen Beschluß des Ausschusses das Recht genommen wird, einen bestimmten Mitarbeiter mit der Befugnis zur Akteneinsicht in die Sitzungen des Untersuchungsausschusses zu entsenden, weil er als Zeuge für das Untersuchungsverfahren in Betracht kommt.
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I.
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1. Die Hamburgische Bürgerschaft beschloß in ihrer 27. Sitzung am 5. Oktober 1994 die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses "Hamburger Polizei" bestehend aus elf Mitgliedern und elf stellvertretenden Mitgliedern der in der Bürgerschaft vertretenen Parteien. Zum Gegenstand der parlamentarischen Untersuchung gehören verschiedene Fälle mutmaßlichen Fehlverhaltens von Hamburger Polizeibeamten, unter anderem während einer Kundgebung am 30. Mai 1994 auf dem Hamburger Gänsemarkt.
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Grundlage des Beschlusses ist Art. 25 HbgVerf, der zur Einsetzung und zum Verfahren eines Untersuchungsausschusses folgendes bestimmt:
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(1) Die Bürgerschaft hat das Recht und auf Antrag eines Viertels der Abgeordneten die Pflicht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Die Ausschüsse erheben Beweis in öffentlicher Verhandlung, soweit sie nichts anderes beschließen. Beantragte Beweise sind zu erheben, wenn es ein Viertel der Ausschußmitglieder verlangt. (2) Für die Beweiserhebung gelten die Vorschriften der Strafprozeßordnung sinngemäß. Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis bleiben unberührt. (3) Im übrigen regelt die Geschäftsordnung der Bürgerschaft das Verfahren der Untersuchungsausschüsse. (4) ... (5) ... (6) Die Beschlüsse der Untersuchungsausschüsse sind der richterlichen Erörterung entzogen. In der Würdigung und Beurteilung des der Untersuchung zugrundeliegenden Sachverhalts sind die Gerichte frei. (7) ... | |
Die Geschäftsordnung der Hamburgischen Bürgerschaft (GO-HbgB) enthält in den §§ 74 ff. Bestimmungen über die Einsetzung und das Verfahren von Untersuchungsausschüssen. Die Beweiserhebung ist in § 77 GO-HbgB wie folgt geregelt:
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(1) Die Ausschüsse erheben Beweis in öffentlicher Verhandlung. Mit Zweidrittelmehrheit kann Ausschluß der Öffentlichkeit beschlossen werden. (2) Beantragte Beweise sind zu erheben, wenn es ein Viertel der Ausschußmitglieder verlangt. Für die Beweiserhebung gelten die Vorschriften der Strafprozeßordnung sinngemäß. Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis bleiben unberührt. Zeugen und Sachverständige können beeidigt werden. (3) Der Ausschuß kann zur Vorbereitung der öffentlichen Beweiserhebung Vorermittlungen anstellen. | |
2. In seiner konstituierenden Sitzung am 14. Oktober 1994 beschloß der Untersuchungsausschuß einstimmig: Die Fraktionen können je zwei Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen benennen, die an allen Sitzungen (auch nichtöffentlichen) teilnehmen und Akteneinsichtsrecht haben. Die Fraktionen wollen die Namen dem Vorsitzenden bis zum 19. Oktober 1994 aufgeben. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden durch den Justitiar zur Verschwiegenheit verpflichtet.
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Die Antragstellerin benannte ihren langjährigen wissenschaftlichen Mitarbeiter für die Bereiche Justiz- und Innenpolitik M. Anfang November 1994 wurde M. vom Justitiar der Hamburgischen Bürgerschaft förmlich auf seine Verschwiegenheit verpflichtet. M. hatte am 30. Mai 1994 die Kundgebung auf dem Gänsemarkt beobachtet. Er wird deshalb von den Ausschußmitgliedern – einschließlich derjenigen der Antragstellerin – als "potentieller Zeuge" zu diesem Untersuchungsgegenstand bezeichnet. Ein Beschluß, M. als Zeuge zu vernehmen, ist vom Untersuchungsausschuß bisher nicht gefaßt worden.
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In der Sitzung des Untersuchungsausschusses vom 29. November 1994 kam es zu einer Diskussion, ob und gegebenenfalls mit welchen Einschränkungen M. angesichts seiner "potentiellen Zeugeneigenschaft" weiterhin als Mitarbeiter mit den durch Beschluß vom 14. Oktober 1994 eingeräumten Rechten im Ausschuß tätig sein könne. Bedenken gegen eine weitere Mitarbeit des M. wurden im Hinblick auf die Vorschrift des § 58 Abs. 1 StPO erhoben. § 58 Abs. 1 StPO lautet:
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Die Zeugen sind einzeln und in Abwesenheit der später zu hörenden Zeugen zu vernehmen.
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Im Anschluß an die Diskussion erklärte der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses :
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"Wer sodann beschließen möchte ..., daß Herr M. diese Rechte Akteneinsicht im PUA, in die Aktenlage des PUA und an der Zeugenvernehmung nicht anwesend zu sein, wer dieses beschließen möchte, den bitte ich auch um das Handzeichen."
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In der Sitzung des Untersuchungsausschusses am 10. Februar 1995 stellten die Vertreter der Antragstellerin den Antrag, M. in der nächstmöglichen Sitzung über seine Wahrnehmungen bei dem Polizeieinsatz auf dem Gänsemarkt am 30. Mai 1994 als Zeuge zu vernehmen und anschließend den Beschluß vom 29. November 1994 über die Ausschließung des M. als Fraktionsmitarbeiter im Untersuchungsausschuß aufzuheben. Der Antrag wurde abgelehnt.
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3. Art. 65 HgbVerf regelt die Zuständigkeit des Hamburgischen Verfassungsgerichts. Nach Art. 65 Abs. 2 Nr. 1 HgbVerf entscheidet das Gericht
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auf Antrag des Senats oder eines Viertels der Abgeordneten der Bürgerschaft über Streitigkeiten, die sich aus der Auslegung der Verfassung ergeben.
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Die Hamburgische Bürgerschaft besteht gemäß Art. 6 Abs. 2 HbgVerf aus mindestens 120 Abgeordneten. Derzeit gehören ihr 121 Abgeordnete an; 19 dieser Abgeordneten sind Mitglied der Antragstellerin.
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II.
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Die Antragstellerin rügt eine Verletzung von Art. 25 Abs. 2 Satz 1 HbgVerf sowie die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Verhältnis zu den anderen im Untersuchungsausschuß vertretenen Fraktionen:
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Art. 25 Abs.2 Satz 1 HbgVerf sei durch eine falsche Anwendung der für Zeugen geltenden Verfahrensgrundsätze verletzt. Der Untersuchungsausschuß habe bei der Beschlußfassung am 29. November 1994 verkannt, daß § 58 Abs. 1 StPO lediglich eine Ordnungsvorschrift sei und nicht ausnahmslos gelte. So hätten im Strafverfahren Nebenkläger, Einziehungsberechtigte, Antragsteller im Adhäsionsverfahren sowie unter bestimmten Voraussetzungen die nach § 67 JGG beteiligten Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertreter das Recht zur Anwesenheit während der ganzen Hauptverhandlung, auch wenn sie als Zeugen vernommen werden sollten. Im Untersuchungsverfahren "Hamburger Polizei" komme der Stellung der Fraktionsmitarbeiter vergleichbarer Ausnahmecharakter zu. Denn die Fraktionsmitarbeiter hätten aufgrund des Beschlusses des Untersuchungsausschusses vom 14. Oktober 1994 ein Anwesenheitsrecht während des Verfahrens. Dieses Recht müsse bei der von Art. 25 Abs. 2 Satz 1 HbgVerf vorgeschriebenen sinngemäßen Anwendung der Vorschriften der Strafprozeßordnung berücksichtigt werden.
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Der Beschluß vom 29. November 1994 verstoße ferner gegen das Gebot der Gleichbehandlung aller Fraktionen. Während die anderen Fraktionen ihre Mitarbeiter frei bestimmen könnten, werde sie – die Antragstellerin – durch die Ausschließung des M. in ihrer Auswahl beschränkt. Ein sachlicher Differenzierungsgrund hierfür sei nicht gegeben, da § 58 Abs. 1 StPO bei zutreffender Interpretation von Art. 25 Abs. 2 Satz 1 HbgVerf aus den dazu vorgetragenen Gründen keine Anwendung finde.
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Der Befürchtung, M. werde durch Studium der Akten eigene und fremde Erinnerungen durcheinander bringen, könne dadurch begegnet werden, daß der Untersuchungsausschuß M. im jetzigen Verfahrensstadium als Zeuge zu den Vorfällen auf dem Gänsemarkt am 30. Mai 1994 befrage. Im übrigen gebiete die Fürsorge- und Aufklärungspflicht des Untersuchungsausschusses ein solches Vorgehen zur Wahrung der Fraktionsrechte.
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Aber selbst dann, wenn M. für den Teil der Untersuchung, für den er als Zeuge in Betracht komme, dauerhaft ausgeschlossen werden könne, stelle jedenfalls die Ausschließung auch für die übrigen Teile der Untersuchung einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung von Fraktionen und damit eine Verletzung von Fraktionsrechten dar.
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III.
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Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten.
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1. Sie meint, der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht sei nicht nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG, § 13 Nr. 8 BVerfGG eröffnet, weil die Hamburgische Verfassung in Art. 65 Abs. 2 Nr. 1 für Streitigkeiten der vorliegenden Art einen anderen Rechtsweg vorsehe. Daß die Antragstellerin das insoweit erforderliche Quorum nicht erreiche, sei ein von der Frage des Rechtsweges zu trennendes Problem der Antragsbefugnis und ändere somit nichts daran, daß der Rechtsweg zum Hamburgischen Verfassungsgericht grundsätzlich gegeben sei.
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Der Antragstellerin fehle im übrigen auch die Antragsbefugnis gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 3 BVerfGG. In der Hamburgischen Verfassung seien Fraktionen nicht erwähnt. In der Geschäftsordnung der Bürgerschaft würden sie zwar in den §§ 9 und 10 genannt, jedoch berührten die sich aus diesen Bestimmungen ergebenden Rechte nicht den Streitgegenstand.
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2. In der Sache ist die Antragsgegnerin der Auffassung, daß die Ausschließung des M. von der Mitarbeit im Untersuchungsausschuß weder gegen Art. 25 Abs. 2 HbgVerf noch gegen das Gleichbehandlungsgebot verstoße.
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Der Untersuchungsausschuß sei an § 58 Abs. 1 StPO gebunden und deshalb verpflichtet gewesen, M. aufgrund seiner Zeugeneigenschaft von der Mitarbeit im Ausschuß auszuschließen. Eine Abweichung von § 58 Abs. 1 StPO sei nicht gerechtfertigt, insbesondere lasse sich die Stellung eines Fraktionsmitarbeiters nicht mit der prozessualen Stellung der Personen vergleichen, die im Strafverfahren ungeachtet ihrer Zeugenstellung in der gesamten Hauptverhandlung anwesend sein dürften. Denn im Gegensatz zu Fraktionsmitarbeitern hätten diese Personen ein besonderes eigenes Interesse am Ausgang des Verfahrens.
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Auch wenn davon auszugehen sei, daß dem Untersuchungsausschuß durch Art. 25 Abs. 2 Satz 1 HbgVerf ein Ermessen hinsichtlich der Anwendung des § 58 Abs. 1 StPO eingeräumt sei, so habe der Untersuchungsausschuß dieses Ermessen jedenfalls rechtsfehlerfrei ausgeübt. Der Ausschuß habe sich ausführlich mit der Frage der Mitarbeit des M. befaßt und alle in Betracht kommenden Argumente kontrovers erörtert. Eine weitere Mitarbeit des M. wäre auf ein Diktat über die Vorgehensweise des Ausschusses durch eine Minderheit innerhalb des Ausschusses hinausgelaufen. Zur Erhaltung der Eignung des M. als Zeuge wäre der Ausschuß dann faktisch gezwungen gewesen, die Sachverhalte, zu denen M. als Zeuge in Betracht komme, an den Anfang der Ausschußtätigkeit zu stellen.
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Ein sachlich begrenzter Ausschluß des M. sei nicht möglich gewesen. Die Zeugenaussagen und die Akten, die dem Untersuchungsausschuß zur Verfügung stünden, ließen sich nicht ohne weiteres in getrennte Komplexe aufspalten. Zwar umfasse die Untersuchung Vorkommnisse unterschiedlicher Art, die räumlich und zeitlich voneinander abwichen. Jedoch gebe es Querverbindungen zwischen den einzelnen Vorkommnissen, da die handelnden Personen mit Bezug zur Hamburger Polizei in verschiedenen Bereichen identisch seien.
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Der in der Hauptsache gestellte Antrag ist teilweise zulässig.
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I.
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Der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht ist gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG gegeben. Eine verfassungsrechtliche Streitigkeit im Sinne dieser Bestimmung (vgl. dazu BVerfGE 60, 175 [199 f.]) liegt vor. Das Verfahren betrifft die verfassungsrechtlichen Beziehungen zwischen der Hamburgischen Bürgerschaft als Trägerin des Untersuchungsrechts und einer Fraktion der Bürgerschaft. Prüfungsmaßstab für die aufgeworfenen Fragen ist in erster Linie die Hamburgische Landesverfassung.
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Ein anderer Rechtsweg ist nicht eröffnet. Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts ist nicht nur dann gegeben, wenn das Landesrecht für Organstreitigkeiten überhaupt keine Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichts vorsieht, sondern auch soweit das Landesrecht den Kreis der Antragsberechtigten enger zieht als nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG in Verbindung mit § 71 Abs. 1 Nr. 3 BVerfGG. Denn die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG für öffentlichrechtliche Streitigkeiten innerhalb eines Landes soll einen lückenlosen Rechtsschutz für die am Verfassungsleben eines Landes Beteiligten gegen alle Verletzungen ihrer eigenen verfassungsmäßigen Rechte gewährleisten (vgl. BVerfGE 4, 375 [377]; 60, 319 [323 f. und 326]; 62, 194 [199]). Da das Hamburgische Verfassungsgericht nach Art. 65 Abs. 2 Nr. 1 der Landesverfassung nur von dem Senat oder einem Viertel der gesetzlichen Mitglieder der Bürgerschaft, d. h. von mindestens 30 Abgeordneten, nicht aber von der Antragstellerin angerufen werden kann, ist die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts vorliegend gegeben.
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II.
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Die Antragstellerin ist gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 3 BVerfGG parteifähig, weil sie als Fraktion in der Geschäftsordnung der Hamburgischen Bürgerschaft, beispielsweise in den §§ 9, 10, 13, 15 a und 62, mit eigenen Rechten ausgestattet ist. Die Antragsgegnerin ist als oberstes Landesorgan parteifähig.
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III.
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1. Die Antragstellerin ist antragsbefugt, soweit sie die Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Fraktionen rügt.
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a) § 71 Abs. 1 Nr. 3 BVerfGG macht die Befugnis zur Einleitung und zum Betreiben eines Verfassungsstreits nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG davon abhängig, daß die Antragsteller durch den Streitgegenstand in ihren Rechten oder Zuständigkeiten unmittelbar berührt sind. Die Antragsbefugnis ist gegeben, wenn ein Antragsteller schlüssig behauptet, daß er und der Antragsgegner an einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis unmittelbar beteiligt sind und daß der Antragsgegner hieraus erwachsende eigene verfassungsmäßige Rechte und Zuständigkeiten des Antragstellers durch die beanstandete Maßnahme oder das Unterlassen verletzt oder unmittelbar gefährdet hat (vgl. BVerfGE 88, 63 [67 f.]).
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b) Das Vorbringen der Antragstellerin zur Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Fraktionen genügt den dargelegten Anforderungen.
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aa) Der von der Antragstellerin angegriffene Beschluß des Untersuchungsausschusses vom 29. November 1994 stellt eine Maßnahme der Antragsgegnerin in Form eines Einzelaktes dar. Dieser die Arbeitsmöglichkeit der Fraktion im Ausschuß betreffende Beschluß ist der Antragsgegnerin zuzurechnen.
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bb) Die Bildung von Fraktionen beruht auf der in Ausübung des freien Mandats (Art. 7 HbgVerf) getroffenen Entscheidung der Abgeordneten (vgl. BVerfGE 84, 304 [324]). Dementsprechend leitet sich die Rechtsstellung der Fraktionen aus dem Status der Abgeordneten ab (vgl. BVerfGE 70, 324 [363]). Zu diesem Status gehört es, daß alle Mitglieder des Parlaments einander formal gleichgestellt sind und gleiche Rechte haben. Differenzierungen zwischen Abgeordneten bedürfen stets eines besonderen rechtfertigenden Grundes (vgl. BVerfGE 40, 296 [317 f.]; 80, 188 [220 f.]; 84, 304 [325]). Auf die Ebene der Fraktionen übertragen ergibt sich aus dem Prinzip der gleichen Mitwirkungsbefugnis aller Abgeordneten der Grundsatz der Gleichbehandlung der Fraktionen.
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cc) Der von der Antragstellerin vorgetragene Sachverhalt läßt eine Verletzung dieses Grundsatzes als möglich erscheinen. Nachdem der Untersuchungsausschuß allen Fraktionen das Recht eingeräumt hatte, zwei Mitarbeiter nach Wahl zu benennen, die befugt sein sollten, die Akten des Ausschusses einzusehen und an allen Sitzungen teilzunehmen, durfte er Abweichungen für einzelne Fraktionen, wie sie der Ausschluß des M. für die Antragstellerin darstellt, nicht schon durch Mehrheitsentscheidung, sondern nur aus zwingenden Gründen beschließen. Da die Antragstellerin die Gründe, die für den Ausschluß des M. genannt werden, nicht für zwingend hält, hat sie die Möglichkeit einer Verletzung des Grundsatzes der Fraktionsgleichheit schlüssig dargetan.
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2. Mangels Antragsbefugnis unzulässig ist hingegen die von der Antragstellerin erhobene Rüge, die Antragsgegnerin habe durch den Beschluß vom 29. November 1994 Art.25 Abs.2 HbgVerf verletzt. Denn aus dieser Vorschrift lassen sich keine eigenen Rechte oder Zuständigkeiten einer Fraktion und damit keine Rechte der Antragstellerin, die durch den Beschluß vom 29. November 1994 verletzt sein könnten, herleiten. Die Regelung, daß die Vorschriften der Strafprozeßordnung für die Beweiserhebung durch einen Untersuchungsausschuß sinngemäß gelten, betrifft nur Rechte und Pflichten der Hamburgischen Bürgerschaft.
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IV.
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Der Beschluß vom 29. November 1994 ist nicht nach Art. 25 Abs. 6 Satz 1 HbgVerf der gerichtlichen Überprüfung entzogen. Durch die genannte Vorschrift soll die Unabhängigkeit der Bürgerschaft bei der Kontrolle der Exekutive gewährleistet werden; sie findet daher keine Anwendung bei nur innerparlamentarisch wirkenden Beschlüssen.
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Soweit zulässig, ist der Antrag in der Hauptsache nur teilweise begründet. Der Beschluß des Untersuchungsausschusses vom 29. November 1994 verletzt das Recht der Antragstellerin auf Gleichbehandlung mit den anderen Fraktionen der Hamburgischen Bürgerschaft insoweit, als ihr Mitarbeiter M. auch für die Zeit nach Beendigung seiner Vernehmung als Zeuge von der Mitarbeit im Ausschuß ausgeschlossen worden ist.
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I.
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Für den Zeitraum vor und während der Vernehmung des M. ist die durch den Beschluß vom 29. November 1994 begründete Ungleichbehandlung der Antragstellerin gegenüber den anderen Fraktionen der Hamburgischen Bürgerschaft gerechtfertigt. Die Einhaltung der Vorschrift des § 58 Abs. 1 StPO stellt einen verfassungsrechtlich tragfähigen Grund für die Abweichung vom Grundsatz der Fraktionsgleichheit dar.
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1. § 58 Abs. 1 StPO gehört zu den Regelungen des Zeugenbeweises und ist daher nach Art. 25 Abs. 2 Satz 1 HbgVerf sinngemäß – also dem Sinn parlamentarischer Kontrolle durch einen Untersuchungsausschuß entsprechend – auch im parlamentarischen Untersuchungsverfahren zu beachten. Die Vorschrift bezweckt, die Unbefangenheit eines Zeugen zu erhalten; er soll seine Bekundungen zur Sache ohne Kenntnis dessen machen, was andere Zeugen oder Beteiligte zuvor ausgesagt haben. Dem kommt eine gewichtige Bedeutung für die Sachverhaltsaufklärung zu. Diese Bedeutung wird nicht dadurch verringert, daß die Regelung im Strafverfahren überwiegend nur als sog. Ordnungsvorschrift eingestuft wird. Denn der Grund für diese Einschränkung liegt nicht in der Geringschätzung des in § 58 Abs. 1 StPO enthaltenen psychologischen Erfahrungsgehalts, sondern in der Erkenntnis, daß eine Einhaltung des § 58 Abs. 1 StPO aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht ausnahmslos möglich ist.
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Vorliegend ist jedoch keine Ausnahme von § 58 Abs. 1 StPO gerechtfertigt, insbesondere ist die Stellung des M. als Fraktionsmitarbeiter nicht vergleichbar mit der Stellung der Beteiligten im Strafverfahren, die auch dann berechtigt sind, an der ganzen Hauptverhandlung teilzunehmen, wenn sie als Zeugen vernommen werden sollen. Die Abweichung von § 58 Abs. 1 StPO in diesen Fällen liegt darin begründet, daß die Beteiligten verfahrensrechtlich eine Doppelstellung innehaben, die von der Einhaltung der genannten Vorschrift entbinden kann. Ein Fraktionsmitarbeiter, der als Zeuge vernommen werden soll, hat in einem parlamentarischen Untersuchungsverfahren jedoch keine vergleichbare Stellung.
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Eine verfahrensrechtliche Sonderstellung des M. ergibt sich auch nicht aus dem Beschluß des Untersuchungsausschusses "Hamburger Polizei" vom 14. Oktober 1994. Denn der Beschluß begründet Rechte nicht für die Fraktionsmitarbeiter, sondern für die Fraktionen. Diese Rechte könnten der Anwendung des § 58 Abs. 1 StPO jedoch nur entgegenstehen, sofern sie mit dieser Vorschrift kollidierten oder ihr im Rang vorgingen, also Gesetzes- oder Verfassungsrang hätten. Die freie Auswahl der von der Antragstellerin zu benennenden Mitarbeiter ist jedoch verfassungsrechtlich nicht gewährleistet; denn ein Recht der Fraktionen, daß Mitarbeiter ihrer Wahl an der Tätigkeit in parlamentarischen Gremien unmittelbar teilnehmen, läßt sich der Landesverfassung nicht entnehmen. Das Verfassungsrecht schützt die Antragstellerin nur insoweit, als Ausgestaltung und Handhabung des Beschlusses vom 14. Oktober 1994 für alle Fraktionen grundsätzlich gleich sein müssen, Abweichungen im Einzelfall also nur aus verfassungsrechtlich tragfähigen Gründen zulässig sind.
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2. Die Einhaltung der Vorschrift des § 58 Abs. 1 StPO erlaubte es dem Untersuchungsausschuß, den M. von der gesamten weiteren Mitarbeit im Untersuchungsausschuß bis zum Abschluß seiner Vernehmung auszuschließen.
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a) Ein nur teilweiser, auf den Komplex der Kundgebung vom 30. Mai 1994 sachlich beschränkter Ausschluß des M. hätte die Einhaltung des § 58 Abs. 1 StPO nicht sichergestellt. Das Vorbringen der Antragsgegnerin, eine Trennung von Akten und Zeugenaussagen in solche, die M. zur Kenntnis nehmen könne, ohne daß seine Unvoreingenommenheit beeinträchtigt sei, und solche, bei denen diese Gefahr bestünde, ist insbesondere im Hinblick auf mögliche personelle Querverbindungen zwischen den verschiedenen Komplexen, die den Untersuchungsgegenstand bilden, – etwa in der Form, daß einzelne Polizeibeamte im Laufe der Untersuchung in besonderer Weise auffallen – nachvollziehbar und von der Antragstellerin nicht widerlegt worden.
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b) Auch ist eine vorgezogene Vernehmung des M. verfassungsrechtlich nicht veranlaßt, um die Einhaltung des § 58 Abs. 1 StPO für seine Aussage zu gewährleisten.
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Eine vorgezogene Vernehmung des M. derart, daß er allein, also unabhängig von dem Stand der Untersuchung zu seinen Beobachtungen während der genannten Kundgebung befragt wird, ist hierfür ungeeignet. Denn der Vorsitzende des Ausschusses wird ohne Kenntnis der Aussagen der übrigen Zeugen zu diesem Komplex nicht einzuschätzen vermögen, ob eine weitere Befragung des M. – etwa zu Zwecken des Vorhalts anderer Aussagen – oder eine Gegenüberstellung mit Zeugen erforderlich werden wird und sich demgemäß schwerlich in der Lage sehen, M. nach einer solchen Befragung nach § 248 Abs. 1 StPO in Verbindung mit Art. 25 Abs. 2 Satz 1 HbgVerf endgültig als Zeugen zu entlassen.
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Zu einer vorgezogenen Behandlung des Komplexes der Kundgebung vom 30. Mai 1994 ist der Untersuchungsausschuß nicht verpflichtet, da hierdurch seine aus Art. 18 Abs. 1 HbgVerf abzuleitende Verfahrenshoheit beeinträchtigt wäre. Auf ein die Antragstellerin im Verhältnis zum Beschluß vom 29. November 1994 weniger belastendes Mittel braucht sich die Antragsgegnerin dann nicht verweisen zu lassen, wenn dieses Mittel zu einer Beeinträchtigung ihrer verfassungsrechtlich geschützten Sphäre führt. Denn vorliegend sind nicht zwei widerstreitende Rechte von Verfassungsrang zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen, vielmehr besteht das Recht der Antragstellerin auf Gleichbehandlung mit den anderen Fraktionen von vornherein nur, soweit dem kein verfassungsrechtlich tragfähiger Grund entgegensteht.
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Die Einhaltung des § 58 Abs. 1 StPO zwingt allerdings nicht zum Ausschluß des M. für die gesamte Dauer des Untersuchungsverfahrens, sondern nur bis zum Abschluß seiner Vernehmung. Denn nach abgeschlossener Vernehmung eines Zeugen ist der Zweck des § 58 Abs. 1 StPO erfüllt. Etwas anderes gälte nur, wenn M. für mehrere Komplexe als Zeuge in Betracht käme. Hiervon kann derzeit aber nicht ausgegangen werden, denn weder ergeben sich aus den eingereichten Sitzungsprotokollen entsprechende konkrete Anhaltspunkte, noch ist die Antragsgegnerin dem Vorbringen der Antragstellerin, es bestünde nicht der geringste Anhaltspunkt, daß M. als Zeuge für weitere Themen in Frage komme, entgegengetreten. Allein die nur theoretische Möglichkeit, daß M. Zeuge für andere Teile des Untersuchungsverfahrens werden könnte, genügt jedoch nicht, um ihn über seine Vernehmung hinaus von der Mitarbeit im Ausschuß auszuschließen.
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