Beschluß | |
des Ersten Senats vom 21. Dezember 1966
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– 1 BvR 33/64 – | |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Firma ..., Inhaber: ..., – Bevollmächtigter: Rechtsanwalt ... – gegen 1. den Meßbescheid des Finanzamts Kleve vom 16. Februar 1962 – 2. die Einspruchsentscheidung des Finanzamts Kleve vom 6. April 1962 – St. Nr. 74/731 – 3. das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 21. Februar 1963 – FG II 14/62 G – 4. das Urteil des Bundesfinanzhofs vom ![]() ![]() | |
Entscheidungsformel: | |
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
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Gründe: | |
A. – I. | |
1. Nach § 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) sind die Gemeinden berechtigt, eine Gewerbesteuer als Gemeindesteuer zu erheben. Besteuerungsgrundlagen sind der Gewerbeertrag und das Gewerbekapital (§ 6 Abs. 1 GewStG). Daneben kann mit Zustimmung der Landesregierung oder der von ihr ermächtigten Behörde die Lohnsumme als Besteuerungsgrundlage gewählt werden (§ 6 Abs. 2 GewStG). § 6 Abs. 2 GewStG in der jetzt geltenden Fassung lautet:
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Neben dem Gewerbeertrag und dem Gewerbekapital kann die Lohnsumme als Besteuerungsgrundlage gewählt werden. Die Lohnsummensteuer darf nur mit Zustimmung der Landesregierung erhoben werden; die Landesregierung kann die Zustimmungsbefugnis auf die nach Landesrecht zuständigen Behörden übertragen.
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Bei der Berechnung der Gewerbesteuer nach dem Gewerbeertrag und dem Gewerbekapital ist von dem einheitlichen Steuermeßbetrag auszugehen, der durch Anwendung eines Hundertsatzes bzw. Tausendsatzes – Steuermeßzahl – (grundsätzlich 5 v.H. des Ertrages und 2 v. T. des Gewerbekapitals) ermittelt wird. Der Berechnung der Lohnsummensteuer liegt ein besonderer, mit dem einheitlichen Meßbetrag nicht zusammengerechneter Meßbetrag zugrunde, der durch Anwendung der hierfür maßgeblichen Steuermeßzahl (2 v.T.) auf die Lohnsumme eines Betriebes ermittelt wird (§ 25 Abs. 1 GewStG). Dieser besondere Meßbetrag wird nur auf Antrag bei Vorliegen eines berechtigten Interesses durch das Finanzamt festgesetzt (§ 27 GewStG). Aus den Steuermeßbeträgen wird die Gewerbesteuer in der Weise berechnet, daß sie ![]() ![]() | |
2. Erhebt eine Gemeinde die Lohnsummensteuer, so bedeutet dies nicht, daß die Betriebe um den Betrag der Lohnsummensteuer in voller Höhe mehr belastet werden. Landesrechtliche Vorschriften haben vielmehr als zulässige obere Grenze der Hebesätze für die Gewerbesteuer nach Ertrag und Kapital bei gleichzeitiger Erhebung der Lohnsummensteuer niedrigere Beträge bestimmt als für den Fall, daß die Lohnsummensteuer nicht erhoben wird. Im Lande Nordrhein-Westfalen ist eine solche Regelung durch die Verordnung über die Genehmigungspflicht der Realsteuerhebesätze der Gemeinden vom 9. Dezember 1952 erfolgt (Sammlung des bereinigten Landesrechts Nordrhein-Westfalen – GS NW – 1945 bis 1956 S. 598). Es kann jedoch im allgemeinen davon ausgegangen werden, daß die niedrigeren Hebesätze für die Gewerbesteuer nach Ertrag und Kapital die Belastung mit Lohnsummensteuer im Durchschnitt nicht voll ausgleichen.
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II.
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Die Stadt Kleve erhebt die Lohnsummensteuer. Der Inhaber der Beschwerdeführerin betreibt als Einzelunternehmer ein Druck- und Verlagsgeschäft. Das Finanzamt Kleve hat durch. Meßbescheid vom 16. Februar 1962 den Meßbetrag für die von der Beschwerdeführerin für den Monat Januar 1962 zu entrichtende Lohnsummensteuer auf 175,80 DM festgesetzt. Einspruch, Berufung und Rechtsbeschwerde an den Bundesfinanzhof blieben erfolglos (BFH 78, 116 = BStBl. 1964 III S. 47). Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs verstößt die Ausgestaltung der Lohnsummensteuer, zu deren Erhebung die Gemeinden unmittelbar durch das Grundgesetz ermächtigt seien, nicht gegen das Gebot der Steuergerechtigkeit und damit auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. ![]() | |
1. Mit ihrer gegen die Urteile des Bundesfinanzhofs und des Finanzgerichts und die Bescheide des Finanzamts gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin – unter Heranziehung eines Gutachtens von Prof. Dr. K. – einmal, die Gemeinden seien zur Entschließung über die Erhebung der Lohnsummensteuer und zur Festsetzung der Hebesätze nicht befugt. Aus Art. 105 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 GG ergebe sich die Verpflichtung des Bundes, bei Inanspruchnahme der konkurrierenden Gesetzgebung die gesamte Materie für das Bundesgebiet einheitlich zu regeln; die Rechts- und Wirtschaftseinheit werde dadurch zerstört, daß der Bund den einzelnen Gemeinden eine zusätzliche Besteuerungsgrundlage zur Wahl gestellt habe. Zudem hätte der Bund die Entscheidung über die Einführung der Lohnsummensteuer, wenn er sie nicht selbst habe treffen wollen, den Ländern überlassen und nicht unmittelbar den Gemeinden übertragen dürfen. § 6 Abs. 2 Satz 2 erster Halbsatz GewStG, wonach die Zustimmung der Landesregierung zur Entscheidung der Gemeinde erforderlich sei, verletze die Gesetzgebungshoheit der Länder. Bei dieser Zustimmung handle es sich im übrigen um einen in das Ermessen der Landesregierung gestellten Verwaltungsakt, ohne daß im Gewerbesteuergesetz hinreichend bestimmt sei, nach welchen Gesichtspunkten die Landesregierung über die Zustimmung entscheiden müsse. Wegen des inneren Zusammenhanges zwischen § 6 Abs. 2 Satz 1 und § .6 Abs. 2 Satz 2 erster Halbsatz GewStG habe die Grundgesetzwidrigkeit der Ermächtigung an die Landesregierung auch die Nichtigkeit der Befugnis der Gemeinden zur Erhebung der Lohnsummensteuer zur Folge.
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2. Weiter macht die Beschwerdeführerin – unter Verweisung auf ein von Prof. Dr. R. erstattetes Gutachten und ein dazu nachgereichtes Ergänzungsgutachten – eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG geltend, die sie darin sieht, daß der Gesetzgeber mit der Einführung der Lohnsummensteuer den Grundsatz der Steuergerechtigkeit in krasser Weise verletzt habe. Die Lohnsum ![]() ![]() | |
Die Lohnsummensteuer werde auch nicht dadurch gerechtfertigt, daß einer Gemeinde durch einen Betrieb mit einer größeren Beschäftigtenzahl, wofür die Lohnsumme fälschlich als Maßstab betrachtet werde, höhere Aufwendungen entstünden (Äquivalenzprinzip); es verursachten z.B. Betriebe mit vielen Beschäftigten nicht immer die Lasten, wie sie andere Betriebe mit weniger Beschäftigten z.B. durch Abwässer, Abgase und dergleichen mit sich brächten. Die Lohnsummensteuer biete auch nicht, wie zu ![]() ![]() | |
Die unverhältnismäßige Mehrbelastung eines Betriebes durch die Erhebung der Lohnsummensteuer bedeute – auch für die Beschwerdeführerin – eine mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht mehr vereinbare Ungleichbehandlung von Betrieben in Gemeinden mit Lohnsummensteuer im Vergleich zu Betrieben in Gemeinden ohne Lohnsummensteuer.
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IV.
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Nach Ansicht der Bundesregierung und der Landesregierung Nordrhein-Westfalen steht die Lohnsummensteuer formell und materiell mit der Verfassung in Einklang. Die vom Bundesverfassungsgericht angehörte Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände hat – unter Bezugnahme auf ein Gutachten von Prof. Dr. W. – denselben Standpunkt vertreten.
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Das Bundesverfassungsgericht hat durch Umfrage bei einer größeren Anzahl von Städten ermittelt, wie sie verfahren, wenn Steuerpflichtige Anträge auf Erlaß von Lohnsummensteuer mit der Begründung stellen, die Erhebung der Lohnsummensteuer führe zu einer Erdrosselung der Unternehmen.
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Im Hinblick auf die besonders eingehende Vorbereitung durch Schriftsätze und Gutachten erschien eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich.
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Die Beschwerdeführerin macht zunächst geltend, die Gemeinden seien zur Entschließung über die Erhebung der Lohnsummensteuer und zur Festsetzung der Hebesätze nicht befugt. Diese Einwendung betrifft zwar nicht unmittelbar Normen, auf deren Verletzung nach § 90 Abs. 1 BVerfGG eine Verfassungsbeschwerde gestützt werden kann. Sie ist jedoch im Hinblick auf einen möglichen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG relevant (BVerfGE 19, 206 [215]).
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1. Die Lohnsummensteuer ist eine besondere Form der Gewerbesteuer und damit eine Realsteuer. Die Zuständigkeit zu ![]() ![]() | |
Die Hebesätze für alle Formen der Gewerbesteuer werden für jedes Rechnungsjahr (§ 2 Einführungsgesetz zu den Realsteuergesetzen – EinfGRealStG – vom 1. Dezember 193 6 – RGBl. I S. 961 – in der Fassung des Gesetzes vom 27. Dezember 1951 – BGBl. I S. 996 –) durch die Gemeinden festgesetzt. Zwar besteht begrifflich ein Unterschied zwischen dem Beschluß einer Gemeinde, die allgemeine Gewerbesteuer und nach § 6 Abs. 2 GewStG die Lohnsummensteuer überhaupt zu erheben, und dem Beschluß über die Höhe der Hebesätze. Die Gemeinden nehmen jedoch von der Einführung der Lohnsummensteuer durch eine besondere Gemeindesatzung Abstand und beschränken sich darauf, den Hebesatzbeschluß, der den Beschluß über die Erhebung der Steuer einschließt, in die Haushaltssatzung aufzunehmen. Da damit durch die Gemeindesatzungen materielles Steuerrecht gesetzt wird, muß den Gemeinden die Befugnis hierzu durch Bundes- oder Landesrecht eingeräumt sein.
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Eine derartige spezielle landesrechtliche Regelung besteht in Nordrhein-Westfalen nach Verfassungsrecht nicht (vgl. Art. 79 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen). Zwar bestimmt § 4 Abs. 1 Satz 1 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW), daß die Gemeinden ihre Angelegenheiten durch Satzungen regeln können. Diese allgemeine Übertragungsnorm gibt den Gemeinden jedoch nicht die Befugnis, ihren Einwohnern Steuerleistungen aufzuerlegen. Eine Berechtigung für die Gemeinden ergibt sich auch nicht aus § 85 Nr. ![]() ![]() | |
Unter der Geltung des Gewerbesteuergesetzes vom 1. Dezember 1936 (GewStG 1936) waren die Gemeinden zweifellos auf Grund dieses Gesetzes zur Festsetzung der Steuer berechtigt (vgl. Begründung zum Gewerbesteuergesetz 1936 in RStBl. 1937 S. 693), denn dessen § 16 Satz 1 bestimmt:
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Die Steuer wird auf Grund des einheitlichen Steuermeßbetrags nach dem von der Gemeinde für jedes Rechnungsjahr festzusetzenden Hundertsatz (Hebesatz) festgesetzt und erhoben.
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Nach Auflösung der Länder durch das Gesetz über den Neuaufbau des Reichs vom 30. Januar 1934 (RGBl. I S. 75) stand die Steuergewalt dem Reiche zu. Danach ergaben sich gegen eine derartige Übertragung an die Gemeinden keine Bedenken, wie sie sich heute gegen die Annahme einer Übertragung durch den entsprechenden § 16 des Gewerbesteuergesetzes vom 13. September 1961 (GewStG 1961) im Hinblick darauf ergeben, daß die ausdrückliche Verneinung der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes, wie dies in Art. 105 Abs. 2 Nr. 3 GG durch die Herausnahme der Festsetzung der Hebesätze aus der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit geschieht, nach Art. 70 Abs. 1 GG insoweit grundsätzlich die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit der Länder bedeutet. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist diese Regelung, nach der die Gemeinden die Einführung der Steuer beschließen und die Hebesätze festsetzen, mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Unterscheidung zwischen der Kompetenz zur Normierung der Besteuerungsgrundlagen, insbesondere der Festlegung der Meßzahl und des Meßbetrages einerseits und der Kompetenz zur Festsetzung der jeweiligen Hebesätze anderer ![]() ![]() | |
2. Die Festsetzung der Gewerbesteuer erfolgt durch die Haushaltssatzungen der Gemeinden. Gegen diese Delegation können keine Einwendungen nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG erhoben werden. Diese Bestimmung gilt schon nach ihrem Wortlaut nur für Rechtsverordnungen und nicht für andere unter dem Gesetz stehende Rechtsquellen. Auch ihr Sinn zwingt nicht dazu, die dort normierten Anforderungen auf Satzungen von Gemeinden auszudehnen. Bei solchen Satzungen wird der Gewaltenteilungsgrundsatz nicht durchbrochen. Sie werden von den Gemeindevertre ![]() ![]() | |
Soweit darüber hinaus gegen die Gültigkeit von § 6 Abs. 2 Satz 2 GewStG Bedenken bestehen könnten, weil der Bundesgesetzgeber die Erhebung der Lohnsummensteuer an die Zustimmung eines Landesorgans geknüpft und die Voraussetzungen für diese Zustimmungserteilung nicht näher festgelegt hat, braucht darüber nicht entschieden zu werden. Durch eine Nichtigkeit dieser Bestimmung würde die Gültigkeit des § 6 Abs. 2 Satz 1 GewStG nicht berührt; denn im Hinblick auf die dargestellte Entwicklung ist nicht anzunehmen, daß der Bundesgesetzgeber in diesem Fall von einer Ermächtigung der Gemeinden zur Erhebung der Lohnsummensteuer ganz abgesehen hätte.
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II.
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Die Lohnsummensteuer verstößt als eine besondere Form der allgemeinen Gewerbesteuer nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
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1. Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung die Verfassungsmäßigkeit der Gewerbesteuer als solcher bejaht (BVerfGE 13, 290; 13, 331; 19, 101 [112]). Der Gesetzgeber hat die Gewerbesteuer in der Weise ausgestaltet, daß er als Besteuerungsgrundlage einmal den Ertrag und daneben das Gewerbekapital und die Lohnsumme gewählt hat. Er hat bei der Erschließung von Steuerquellen eine weitgehende Gestaltungsfreiheit. Er kann sich dabei von finanzpolitischen, volkswirtschaftlichen, sozialpolitischen und steuertechnischen Erwägungen leiten lassen (BVerfGE 6, 55 [81]; 13,181 [203]).
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Eine Verfassungswidrigkeit der Lohnsummensteuer könnte daher nur mit dem Nachweis einer Verletzung des Gleichheitssatzes ![]() ![]() | |
2. Die Lohnsummensteuer paßt in das System der Gewerbesteuer. Die Gewerbesteuer ist nicht als reine Ertragsteuer ausgestaltet. Wenn in BVerfGE 13, 290 [297] ausgeführt ist, ihr Steuergegenstand sei der "objektive" Ertrag des Unternehmens, so ist damit lediglich der Gegensatz zur Einkommensteuer gekennzeichnet. Diese ist als Personalsteuer auf die Leistungsfähigkeit des Einzelnen angelegt und muß die persönlichen Verhältnisse berücksichtigen, während die Gewerbesteuer eine Objektsteuer, nämlich eine Besteuerung lediglich der wirtschaftlichen Kraft eines Unternehmens, darstellt (BVerfGE 13, 331 [345]). Zwar kommt von den drei im Gewerbesteuergesetz gewählten Besteuerungsgrundlagen dem Ertrag die größere Bedeutung zu. Der Gesetzgeber war aber nicht gehindert, auch auf andere Faktoren abzustellen, in denen die objektive Wirtschaftskraft, die wirtschaftliche Ertragfähigkeit, eines Unternehmens zum Ausdruck kommt. Diese Ertragfähigkeit wird außer durch den erzielten Ertrag durch die Mittel repräsentiert, die zur Erzielung dieses Ertrags eingesetzt werden. Dazu gehört einmal das Gewerbekapital. Dabei hat der Gesetzgeber bereits die unmittelbare Beziehung zum Ertrag aufgegeben. Wie beim Gewerbekapital konnte er aber davon ausgehen, daß auch die eingesetzte Arbeitskraft grundsätzlich auf den Ertrag von Einfluß ist. Wie die allgemeine Gewerbesteuer an das Gewerbekapital anknüpft, richtet sich die Lohnsummensteuer nach dem anderen Produktionsfaktor, der Arbeit. Sein Ausmaß wird am einfachsten nach der Lohnsumme bemessen. Gewerbeertrag, Gewerbekapital und auch die Lohnsumme sind drei Elemente, in denen sich die Wirtschaftskraft des Gewerbebetriebes repräsentiert.
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Mit dem System der Gewerbesteuer als einer Objektsteuer ![]() ![]() | |
3. Die bei der Einführung der Lohnsummensteuer angestellten Erwägungen stellen noch heute sachlich einleuchtende Gründe für die Einführung und Beibehaltung dieser Steuer dar und schließen die Annahme aus, daß der Gesetzgeber hierbei den ihm eingeräumten Ermessensspielraum willkürlich überschritten hat (BVerfGE 12, 341 [348]).
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a) Der Gesetzgeber stand bei der Schaffung des Gewerbesteuergesetzes vor der Aufgabe, den Finanzbedarf der Gemeinden zu decken, der zu einem nicht unerheblichen Teil auch durch die in der Gemeinde ansässigen gewerblichen Betriebe entsteht. Dabei ließ er sich von der Erwägung leiten, daß den Gemeinden aus dem Vorhandensein der Gewerbebetriebe besondere Belastungen und Aufwendungen entstehen (Begründung zum Gewerbesteuergesetz 1936 in RStBl. 1937 S. 693 [696]; BVerfGE 19,101 [112]; BVerwGE 12, 171 [173]), z.B. durch Erschließung von Gelände, Schaffung von Verkehrsflächen und Parkplätzen, Finanzierung von Nahverkehrsbetrieben, Bau von Krankenhäusern und Schulen, laufende Unterhaltung von Schulen, Feuerschutz usw. Für diese Lasten sollte die Gewerbesteuer einen Ausgleich bilden. Auch § 3 EinfGRealStG zeigt die Relation zwischen Aufwendungen der Gemeinde und der Gewerbesteuer; denn nach dieser Bestimmung können die Gemeinden die Hebesätze für die Realsteuern für einen Teil des Gemeindebezirks oder für eine Gruppe von Steuergegenständen höher als die allgemeinen Hebesätze festsetzen, soweit der Gemeinde Kosten durch Einrichtungen erwachsen, "die ausschließlich oder in besonders hervorragendem Maß diesem Teil des Gemeindebezirks oder dieser Gruppe von Steuergegenständen zustattenkommen und für die Beiträge nicht erhoben werden (Mehrbelastung)". Nach der Auffassung des Gesetz ![]() ![]() | |
b) Der Gesetzgeber wollte eine einigermaßen konjunktur- und krisenunempfindliche Steuer schaffen, um den Gemeinden ein ständiges Steueraufkommen zu gewährleisten. Eine reine Ertragbesteuerung würde selbst auf leichte Konjunkturschwankungen reagieren und damit eine beträchtliche Unsicherheit in die Gemeindefinanzen bringen. Schon Schwankungen in bestimmten Wirtschaftszweigen könnten für die Sitzgemeinde zu ernsten Ausfällen in den Gewerbesteuereinnahmen führen. Dieser Tatbestand ![]() ![]() | |
Diese Abhängigkeit von dem wechselnden Ertrag ist zu einem gewissen Teil bereits durch die obligatorische Bestimmung des Gewerbekapitals als Besteuerungsgrundlage gemildert. Schon diese Heranziehung eines Produktionsfaktors legt es nahe, auch den anderen Produktionsfaktor, die Arbeit, nicht außer acht zu lassen, einmal, um die Fälle zu erfassen, in denen wenig Gewerbekapital vorhanden ist, zum anderen, um eine einseitige Heranziehung eines kapitalintensiven Betriebes zu vermeiden. Wenn der Gesetzgeber daher aus dem Bestreben heraus, eine Einseitigkeit durch die Heranziehung nur des Gewerbekapitals zu vermeiden, die Lohnsummensteuer geschaffen hat, so läßt sich diese Entscheidung nicht als willkürlich bezeichnen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin läßt sich nicht feststellen, daß die Lohnsummensteuer bei gewöhnlichen Konjunkturveränderungen zu einer Verschärfung der Krise, zum Zusammenbruch der Unternehmen und damit erst recht zu einem Zusammenbruch der Gemeindefinanzen führen muß. Soweit es im Einzelfall bei Betrieben durch Erhebung der Lohnsummensteuer zu solchen Erscheinungen kommen sollte, bietet sich die Möglichkeit der Abhilfe nach § 131 AO.
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4. Ist somit die Lohnsummensteuer als solche nicht systemwidrig und deshalb nicht willkürlich, so könnte eine Verfassungswidrigkeit nur in Frage kommen, wenn ihre Ausgestaltung, wie sie durch die §§ 6 Abs. 2, 23 bis 27 GewStG geregelt ist, eine sachlich nicht mehr zu rechtfertigende ungleiche Belastung der betreffenden Betriebe zur Folge hätte und damit gegen den in Art. 3 Abs. 1 GG verankerten Grundsatz der Steuergerechtigkeit verstoßen würde. ![]() | |
Einmal ist zu vergleichen die Lage von Steuerpflichtigen in einer Gemeinde, die Lohnsummensteuer erhebt, mit der Lage von Steuerpflichtigen in solchen Gemeinden, die Lohnsummensteuer nicht erheben.
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Innerhalb einer Gemeinde ist außerdem zu prüfen, ob durch die Erhebung der Lohnsummensteuer eine mit dem Gleichheitsgebot nicht mehr vereinbare verschiedene Belastung der Gewerbebetriebe untereinander eintritt.
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5. Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht dadurch verletzt, daß nicht jede Gemeinde Lohnsummensteuer erhebt und daß die Hebesätze nicht in allen Gemeinden gleich hoch sind, selbst wenn es zutrifft, daß – wie die Beschwerdeführerin gerade für ihren Betrieb darlegt – gleichstrukturierte Betriebe in den jeweiligen Gemeinden durch die Lohnsummenbesteuerung einer verschiedenen Belastung unterliegen. Die Gewerbesteuer und damit auch die einen Bestandteil der Gewerbesteuer bildende Lohnsummensteuer ist eine Gemeindesteuer, zu deren Einführung die Gemeinden nur berechtigt, nicht aber verpflichtet sind. Sie wurde in den wesentlichen Punkten einheitlich geregelt, um hinsichtlich der Besteuerungsgrundlage, des Steuermaßstabes und des Verfahrens die notwendige Rechtseinheit zu gewährleisten. Bei diesem Rechtszustand bleibt es den Gemeinden überlassen, darüber zu befinden, ob und in welcher Höhe die Steuer entsprechend ihrem Finanzbedarf erhoben werden soll. Es wäre mit der den Gemeinden in Art. 28 Abs. 2 GG garantierten Selbstverwaltung nicht vereinbar, wenn eine Gemeinde sich bei Wahrnehmung der ihr zustehenden Rechtsetzungsbefugnisse den Regelungen anderer Gemeinden anzupassen hätte. Der Gleichheitsanspruch besteht nur gegenüber dem nach der Kompetenzverteilung konkret zuständigen Träger öffentlicher Gewalt. Die Gemeinde als Gesetzgeber ist daher nur verpflichtet, in ihrem Bereich den Gleichheitssatz zu wahren (vgl. BVerfGE 10, 354 [371]; 12, 139 [143]; 12, 319 [324]). Diesem Gesichtspunkt trägt das Gewerbesteuergesetz Rechnung, ![]() ![]() | |
6. Die am Ertrag, auch am Gewerbekapital, gemessene verschiedene Belastung von Gewerbetreibenden in demselben Ort, wie sie mit der Einführung der Lohnsummensteuer verbunden ist, verstößt ebenfalls nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
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a) Es kann allerdings zutreffen, daß im Vergleich zur allgemeinen Gewerbesteuer nach Gewerbeertrag und Gewerbekapital lohnintensive Betriebe mit geringem Kapital und Ertrag durch die Lohnsummensteuer stärker herangezogen werden als kapitalintensive Betriebe mit hohem Ertrag, zumal mit der Einführung der Lohnsummensteuer der Hebesatz auf Gewerbeertrag und Gewerbekapital gesenkt wird. Ist jedoch, wie bereits ausgeführt, die Lohnsummensteuer nicht systemwidrig, so wird durch die Belastungsverschiebung bei Einführung der Lohnsummensteuer der Gleichheitssatz auch nicht verletzt; die Besteuerungsgrundlage ist für alle Betriebe derselben Gemeinde gleich, denn sie knüpft an denselben Steuertatbestand, nämlich die Lohnsumme, an. Daß eine Steuer sich mittelbar nach den sonstigen Verhältnissen des Steuerpflichtigen unterschiedlich auswirken kann, ist unschädlich, denn diese nachteilige Wirkung stellt sich als eine Nebenfolge einer, wie oben dargelegt, an sich unbedenklichen Regelung dar (BVerfGE 13, 331 [341]). Der Gewinn aus dem Gewerbebetrieb, dessen Höhe den Gewerbeertrag maßgebend bestimmt (§ 7 GewStG), ist, vor allem wenn man nur das Ergebnis eines einzelnen Jahres heranzieht, zum Teil von Zufälligkeiten und von Entscheidungen des Unternehmers abhängig. Beispiele hierfür sind: außerordentliche Erträge (z.B. Veräußerung eines Grundstücks), außerordentliche Verluste (z.B. Ausfall einer hohen Forderung) und die Ausnutzung von steuerlich zulässigen Sonderabschreibungen. Schon diese Unterschiede in dem Lebenssachverhalt verbieten es, in der Tatsache, daß die Erhebung der Lohnsummensteuer zu einer unterschiedlichen Belastung des Ertrags führt, eine nach Art. 3 Abs. 1 GG verbotene willkürliche Ausgestaltung der Gewerbesteuer zu sehen. ![]() | |
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Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist die Belastung durch die Gewerbesteuer nach dem Gewerbekapital und die damit verbundene Verschiebung der Ertragsbelastung im Vergleich zur Lohnsummensteuerbelastung nicht geringfügig. Dies trifft schon nach den absoluten Zahlen nicht zu. In dem Gewerbesteueraufkommen nach Ertrag und Kapital im Jahre 1964 in der gesamten Bundesrepublik mit rund 9 Milliarden DM ist ein Aufkommen an Gewerbekapitalsteuer von l ,4 Milliarden DM enthalten (Stat. Bundesamt, Finanzen und Steuern, Reihe 9, Realsteuern, I. Realsteuervergleich 1964 S. 5; Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, Tz. 391).
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b) Die Beschwerdeführerin hat auf Grund einer repräsentativen Erhebung dargelegt, durch die Lohnsummensteuer werde unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG zwischen den Wirtschaftsbereichen der Industrie, des Handwerks und des Handels eine ungleiche Belastung geschaffen, ebenso innerhalb der einzelnen Wirtschaftszweige zwischen den verschiedenen Branchen und insbesondere auch zwischen den einzelnen Unternehmen der gleichen Branche. Diese Rüge ist nicht berechtigt, denn der Gesetzgeber hat, ohne gegen das System der Gewerbesteuer zu verstoßen, mit der Lohnsummensteuer eine zusätzliche Besteuerungs ![]() ![]() | |
Allerdings wird, da der Charakter der Gewerbesteuer als einer auf die Leistungsfähigkeit eines Objekts und damit letzten Endes auch auf den Ertrag abgestellten Steuer mindestens durchschlägt und da sich die steuerliche Belastung nach dem Maß der vornehmlich im Ertrag zum Ausdruck kommenden Steuerkraft zu richten hat, dann an eine Verletzung des Gleichheitssatzes zu denken sein, wenn die Lohnsummensteuer, gemessen an dem einheitlichen Meßbetrag mit seiner Hauptkomponente des Ertrags, zu extrem verschiedenen Belastungen führen würde. Dabei dürfte der Spielraum größer sein, wenn es sich um verschiedene Wirtschaftsbereiche oder verschiedene Branchen innerhalb eines Wirtschaftsbereichs handelt; denn zwischen diesen verschieden belasteten Unternehmen fehlt es an einem Wettbewerb. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes erscheinen die von der Beschwerdeführerin gezeigten Abweichungen noch tragbar.
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Die von der Beschwerdeführerin gegebenen Zahlenbeispiele für die unterschiedliche Belastung einzelner Betriebe derselben Branche zeigen, daß sich diese Betriebe im allgemeinen nicht sehr stark unterscheiden. Soweit einzelne von der Beschwerdeführerin aufgeführte Betriebe eine außerordentliche Belastung aufweisen, handelt es sich offenbar um auf betrieblichen Besonderheiten beruhende Einzelfälle, die nicht dazu führen können, die Lohnsummensteuer insgesamt als willkürlich erscheinen zu lassen. Wenn in solchen Fällen die Lohnsummensteuer existenzgefährdend oder existenzvernichtend wirkt, muß mit der Härteklausel des § 131 AO geholfen werden. Dies entspricht auch, wie die Umfrage des Gerichts bei zahlreichen Städten ergibt, der ständigen Praxis. Im übrigen hat diese Umfrage ergeben, daß in den Erhebungszeiträumen 1959 bis 1965 Erlaßanträge mit entsprechender Begründung so gut wie nicht gestellt worden sind, so daß angenommen werden muß, daß es sich um Sonderfälle handelt, die bei einer typischen Betrachtung vernachlässigt werden können. ![]() | |
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