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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Rainer M. Christmann | |||
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Beschluß |
des Ersten Senats vom 2. Juli 1980 |
- 1 BvR 147, 181, 182/80 - |
Entscheidungsformel: |
Die Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. Juli 1979 - 428 XII 78 -, vom 18. Juli 1979 - 175 XII 78 - und vom 10. Juli 1979 - 209 XII 78 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 16 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. |
Die Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Januar 1980 - BVerwG 1 B 1083.79 - und vom 4. Januar 1980 - BVerwG 1 B 1077.79 und BVerwG 1 B 1082.79 - werden damit gegenstandslos. |
Die Sachen werden an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. |
Der Freistaat Bayern hat den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen zu erstatten.![]() |
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A. | |
Die Verfassungsbeschwerden betreffen die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Bundesrepublik Deutschland Ausländern Asyl zu gewähren hat. Die Beschwerdeführer berufen sich darauf, ihnen drohe in ihrer Heimat Pakistan Verfolgung wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft.
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I. | |
Das Ausländergesetz vom 28. April 1965 (BGBl. I S. 353), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Beschleunigung des Asylverfahrens vom 25. Juli 1978 (BGBl. I S. 1108), - im folgenden: AuslG - sieht ebenso wie zuvor die Verordnung über die Anerkennung und die Verteilung von ausländischen Flüchtlingen (Asylverordnung) vom 6. Januar 1953 (BGBl. I S. 3) ein besonderes Verwaltungsverfahren für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und politisch Verfolgter vor. Über die materiellen Voraussetzungen der Anerkennung bestimmt das Gesetz:
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§ 28 AuslG Personenkreis
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Als Asylberechtigte werden auf Antrag anerkannt:
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1. Flüchtlinge im Sinne von Artikel 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge,
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2. sonstige Ausländer, die politisch Verfolgte nach Artikel 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes sind,
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sofern sie nicht bereits in einem anderen Land Anerkennung nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge oder anderweitig Schutz vor Verfolgung gefunden haben.
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Während des Anerkennungsverfahrens vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (im folgenden: Bundesamt) und des anschließenden Verwaltungsstreitverfahrens erhalten Asylbewerber grundsätzlich eine Aufenthaltserlaubnis ![]() ![]() | 8 |
Anerkannte Asylberechtigte werden nach einem vom Bundesrat festgelegten Schlüssel auf die Länder verteilt (§ 42 Abs. 1 AuslG). Sie haben einen Rechtsanspruch auf eine - grundsätzlich unbefristete - Aufenthaltserlaubnis (§ 43 AuslG; AuslVwV Nr. 1 zu § 43) und erhalten einen Reiseausweis nach Art. 28 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 560) - Genfer Konvention - im folgenden: GK - oder einen Fremdenpaß nach § 4 AuslG (S 44 AuslG; AuslVwV Nrn. 1, 11, 14 zu § 44). Außerdem steht ihnen eine von der Arbeitsmarktlage unabhängige und unbefristete Arbeitserlaubnis zu (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung über die Arbeitserlaubnis für nichtdeutsche Arbeitnehmer [Arbeitserlaubnisverordnung] vom 2. März 1971 [BGBl. I S. 152], zuletzt geändert durch die Fünfte Verordnung zur Änderung der Arbeitserlaubnisverordnung vom 30. Mai 1980 [BGBl. I S. 638]). Asylberechtigte und anerkannte ausländische Flüchtlinge können, wenn sie sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ausgewiesen werden (§ 11 Abs. 2 AuslG). Sie dürfen nur dann in einen Staat, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit aus Verfolgungsgründen bedroht ist, abgeschoben werden, wenn sie aus schwerwiegenden Gründen eine Gefahr für die Sicherheit darstellen oder wegen eines besonders schweren Verbrechens verurteilt sind (§ 14 Abs. 1 AuslG). Asylsuchende aus Ostblockstaaten sollen selbst dann nicht in ihre Heimat abgeschoben werden, wenn ihr Asylbegehren rechtskräftig abgewiesen ist (Beschluß der Innenministerkonferenz vom 26. August 1966; vgl. BTDrucks. 8/4278, S. 7). ![]() | 9 |
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Die drei Beschwerdeführer sind pakistanische Staatsangehörige und Mitglieder der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya. Diese ist aus dem sunnitischen Islam hervorgegangen. Sie wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts von Mirsa Ghulam Ahmad gestiftet, der sich zum Propheten nach Mohammed erklärte. Da die Ahmadis nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetentums in der Person Mohammeds glauben, sondern diesen nur für den letzten "gesetzgebenden Propheten" halten, wird die Ahmadiyya von den meisten Sunniten und Schiiten nicht als islamisch anerkannt. Im Jahre 1974 waren ihre Angehörigen pogromartigen Ausschreitungen durch "rechtgläubige Moslems" ausgesetzt.
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Die Anerkennung der Beschwerdeführer als Asylberechtigte wurde abgelehnt; ihre Rechtsmittel blieben erfolglos. Dabei beurteilten das Bundesamt und die Gerichte eine mögliche politische Verfolgung der Beschwerdeführer nach der Sach- und Rechtslage jeweils im Zeitpunkt ihrer Entscheidung.
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1. Die Verfassungsbeschwerde 1 BvR 147/80
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a) Der 1950 geborene Beschwerdeführer zu 1) reiste im Januar 1975 mit einem gültigen pakistanischen Reisepaß in das Bundesgebiet ein. Er erhielt eine Aufenthaltserlaubnis und eine Bescheinigung über die Beantragung von Asyl sowie eine Arbeitserlaubnis. Er war zunächst als Spüler und Hausdiener in einem Hotel tätig und ist jetzt als Kaffeekoch und Konditor in einem Café angestellt. Im Juni 1978 wurde ihm ein für fünf Jahre gültiger neuer pakistanischer Reisepaß ausgestellt.
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b) Zu seinem Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter vom Februar 1975 gab er an, er sei Student und sei als Angehöriger der Ahmadiyya von mohammedanischen Studenten verfolgt worden. Man habe ihn aus der Universität hinausgeprügelt und durch ernsthafte Drohungen sowie durch Stockschläge, die zu einer Wirbelsäulenverletzung geführt hätten, am Weiterstudium gehindert. Seine Bücher, Zeugnisse und Papiere seien ![]() ![]() | 14 |
Das Bundesamt lehnte den Anerkennungsantrag ab, weil Auskünften der deutschen Botschaft in Islamabad und des Auswärtigen Amts zufolge zumindest seit Anfang 1975 keine Ausschreitungen gegen Angehörige der Ahmadiyya mehr stattgefunden hätten und es keine Anhaltspunkte für einen generellen sozialen oder wirtschaftlichen Boykott gegen sie gebe.
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c) Mit der Klage machte der Beschwerdeführer unter ausführlicher Darstellung der Entstehung und Entwicklung der Ahmadiyya und der derzeitigen sozialen und wirtschaftlichen Situation ihrer Mitglieder in Pakistan geltend, diese würden nach wie vor mit Billigung der pakistanischen Regierung wegen ihrer Religion von orthodoxen Mohammedanern verfolgt. Die Klage hatte keinen Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof wies die Berufung einstimmig als unbegründet zurück. Er nahm Bezug auf sein Grundsatzurteil vom 15. März 1979 - 158 XII 78 -, das auf der Auswertung zahlreicher Unterlagen - darunter eines Gutachtens des Deutschen Orient-Instituts vom 5. Juni 1978 und dem Ergebnis der Anhörung von zwei Sachverständigen beruht. Das Urteil führt aus:
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Der Glaubensunterschied zwischen den "rechtgläubigen" Moslems und den Angehörigen der Ahmadiyya habe 1953 und im Sommer 1974 einen Pogrom gegen die Ahmadis ausgelöst, bei dem 42 Menschen umgekommen sein sollen. Am 7. September 1974 habe das Zentralparlament die Artikel 106 und 260 der Verfassung Pakistans dahin geändert, daß die Ahmadis im verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Sinn nicht mehr als Moslems gelten. Sie seien damit zu einer religiösen Minderheit ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() | 17 |
Beim Beschwerdeführer liege aber keiner dieser Ausnahmefälle vor. Für ihn bestehe derzeit in Pakistan keine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit. Auch wenn er 1974 sein Studium habe abbrechen müssen, so sei er noch jung genug, jetzt seine Ausbildung in Pakistan fortzusetzen oder sich dort eine andere Existenz zu schaffen. Die Rückkehr nach Pakistan sei ihm auch zumutbar.
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Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurück, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung habe und auch sonst keine Gründe vorlägen, die eine Zulassung der Revision rechtfertigten.
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2. Die Verfassungsbeschwerde 1 BvR 181/80
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a) Der 1955 geborene Beschwerdeführer zu 2) verließ im April 1975 seine Heimat und gelangte im Oktober 1975 nach Aufenthalten in Afghanistan und der Türkei ins Bundesgebiet. Er erhielt zunächst eine Aufenthaltserlaubnis bis April 1976 ![]() ![]() | 21 |
b) Seinen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter vom Oktober 1975 begründete er damit, daß über die Mitglieder der Ahmadiyya ein totaler sozialer Boykott verhängt sei. Ahmadis könnten keine Lebensmittel kaufen, sie erhielten weder Medizin noch ärztliche Betreuung und dürften kein eigenes Geschäft führen. Er sei an seinem Wohnort von der andersgläubigen Bevölkerung beschimpft, tätlich angegriffen und mißhandelt worden und habe nicht mit dem Schutz der Polizei rechnen können. Schon im Frühjahr 1974 sei er wegen seiner Zugehörigkeit zur Ahmadiyya als Seemann entlassen worden; anschließend habe er keine geregelte Arbeit mehr finden können.
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Das Bundesamt versagte ihm die begehrte Anerkennung, weil sich aus seinem Vorbringen keine konkreten Tatsachen dafür ergäben, daß er während der Unruhen im Jahre 1974 gezielten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen sei und weil seine Behauptungen über den Verlust des Arbeitsplatzes und über Beschimpfungen und Mißhandlungen in örtlicher und zeitlicher Hinsicht nicht substantiiert seien. Der Hinweis auf die schwierige Lage der Ahmadis rechtfertige die Asylgewährung nicht, weil diese Benachteiligungen alle Ahmadis träfen und es an einem schwerwiegenden Einzeleingriff gegenüber dem Beschwerdeführer fehle.
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c) Die Klage blieb erfolglos. Der Verwaltungsgerichtshof wies die Berufung im wesentlichen mit der gleichen Begründung wie im Falle des Beschwerdeführers zu 1) einstimmig als unbegründet zurück. Im übrigen führte er aus, selbst wenn Ahmadis heute noch in Pakistan wirtschaftliche Schwierigkeiten hätten und insbesondere keine gehobenen Positionen im Staatsdienst bekleiden könnten, so rechtfertige dies nicht die ![]() ![]() | 24 |
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wurde vom Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen.
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3. Die Verfassungsbeschwerde 1 BvR 182/80
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a) Der 1949 geborene Beschwerdeführer zu 3) kam im Juni 1975 mit einem gültigen pakistanischen Reisepaß in das Bundesgebiet und erhielt eine Aufenthaltserlaubnis sowie eine Bescheinigung über die Beantragung von Asyl. Er ist seit September 1975 mit einer entsprechenden Arbeitserlaubnis als Arbeiter beschäftigt, seit Mitte 1976 ununterbrochen bei demselben Unternehmen. Sein Reisepaß wurde im Februar 1978 bis Mal 1983 verlängert.
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b) Zu seinem Asylantrag vom Juli 1975 gab er an, sein Haus und sein Elektrogeschäft seien niedergebrannt worden. Er sei unter dem Druck von Mißhandlungen zunächst geflohen und nicht mehr in seine Heimatstadt zurückgekehrt, weil ihm ein befreundeter Radiohändler berichtet habe, die Bevölkerung habe angedroht, ihn bei einer Rückkehr umzubringen. Später erklärte er ergänzend, er habe mit seiner Familie während der Unruhen im Mal 1974 das Haus durch die Hintertür verlassen, als es Demonstranten mit Steinen beworfen und geschrieen hätten, man müsse ihn und seine Familie umbringen. Inzwischen seien seine Eltern an ihren früheren Wohnort zurückgekehrt.
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Das Bundesamt begründete die Ablehnung des Asylantrags im wesentlichen ebenso wie im Falle des Beschwerdeführers zu 1).
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c) Die Klage des Beschwerdeführers hatte keinen Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof wies die Berufung einstimmig zurück, wobei sich die Entscheidungsgründe weitgehend mit den Aus ![]() ![]() | 30 |
III. | |
Die Beschwerdeführer rügen mit ihren Verfassungsbeschwerden die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 1 und Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG. Neben der Wiedergabe der Geschichte der Ahmadiyya und der Schilderung der Ausschreitungen gegen deren Mitglieder in Pakistan im Jahre 1974 und danach machen sie geltend:
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Pakistan als islamischer Staat habe die Mitglieder der Ahmadiyya durch das für sie geltende Minoritätenstatut zu Bürgern zweiter Klasse gemacht. Sie seien dadurch nicht nur aus der islamischen Religionsgemeinschaft, sondern auch aus dem islamischen Staatsvolk ausgeschlossen worden. Man habe ihnen bestimmte Bürgerrechte genommen; die sunnitische Religionsführung in Pakistan hetze in Moscheen und religiösen Zeitschriften gegen die Ahmadiyya und verlange den Tod ihrer Mitglieder. Auf dem letzten internationalen islamischen Kongreß sei eine entsprechende Entschließung gefaßt und auch die Vertreibung sowie der totale gesellschaftliche und wirtschaftliche Boykott der Ahmadis gefordert worden. Sie seien nunmehr fortdauernden Verunglimpfungen der weitaus überwiegenden sunnitischen Mehrheit der Bevölkerung ausgesetzt. Dadurch werde bei objektiver Bewertung in hohem Maße die Menschenwürde verletzt. überdies sei angesichts der Situation in Pakistan nicht nur die wirtschaftliche Lage der Ahmadis gefährdet, sondern auch ihre Gesundheit. Ausschreitungen hätten sich häufig unter den Augen der untätig bleibenden Polizei vollzogen.
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Zu Unrecht habe der Verwaltungsgerichtshof eine Asylge ![]() ![]() | 33 |
IV. | |
1. Für die Bundesregierung vertritt der Bundesminister des Innern die Auffassung, die Verfassungsbeschwerden seien unzulässig, soweit mit ihnen nur eine Überprüfung und Korrektur der Tatsachenfeststellungen und -würdigungen durch die Ausschüsse des Bundesamts und die Verwaltungsgerichte angestrebt werde. Im übrigen seien sie jedenfalls nicht begründet. Die Bundesregierung gehe davon aus, daß eine asylerhebliche politische Verfolgung immer dann vorliege, wenn dem Asylsuchenden wegen des geltend gemachten Verfolgungsanlasses bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohe, so daß ihm nicht zuzumuten sei, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Politisch Verfolgter sei danach, wer für seine Person die durch Tatsachen begründete Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung haben müsse. Dies setze die Gefahr ernsthafter Benachteiligung voraus, wie sie jedenfalls bei Gefahr für Leib und Leben oder bei Beschränkungen der persönlichen Freiheit gegeben sei. Rechtliche oder wirtschaftliche Diskriminierungen der Bevölkerungsgruppe, der die Beschwerdeführer angehörten, genügten dafür nicht, wenn sie kein existenzbedrohendes Ausmaß erreichten. Die angegriffenen Entscheidungen hielten sich offensichtlich in diesem Rahmen. Es fehle an hinreichenden Tatsachen dafür, daß die Beschwerdeführer in Pakistan politische Verfolgung zu befürchten hätten.
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2. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich wie folgt geäußert:
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Das Recht auf Asyl sei ein Grundrecht ohne immanente ![]() ![]() | 36 |
Angesichts eines gewissen sachtypischen Beweisnotstandes habe der Asylbewerber asylbegründende Vorgänge außerhalb des Gastlandes in der Regel lediglich glaubhaft zu machen, ![]() ![]() | 37 |
B. | |
Die zulässigen Verfassungsbeschwerden sind begründet.
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I. | |
Die Beschwerdeführer sehen sich durch die angegriffenen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte, mit denen die Ablehnung ihrer Asylanträge durch das Bundesamt bestätigt wurde, in ihren Grundrechten aus Art. 1 und Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG beeinträchtigt.
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Grundsätzlich sind die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes und Anwendung des Ausländerrechts sowie die Auslegung im einzelnen Fall Angelegenheit der Verwaltungsgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen; diesem obliegt lediglich, die Beachtung der grundrechtlichen Normen und Maßstäbe durch die Gerichte sicherzustellen (vgl. BVerfGE 18, 85 [92]). Bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung von gerichtlichen Entscheidungen in Asylsachen besteht aber die Besonderheit, daß die Voraussetzungen für die grundrechtliche Gewährleistung des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG sich mit denen decken, die nach § 28 AuslG für die Anerkennung als Asylberechtigte maßgeblich sind.
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Die Übereinstimmung von einfachem mit Verfassungsrecht ergibt sich bereits aus der Bezugnahme in § 28 Nr. 2 AuslG auf Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG. Darüber hinaus ist am 5. November 1969 für die Bundesrepublik Deutschland das Protokoll vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge in Kraft getreten (BGBl. 1969 II S. 1293; 1970 II S. 194), in dem ![]() ![]() | 41 |
II. | |
Die angegriffenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs werden der grundrechtlichen Gewährleistung des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG nicht gerecht.
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1. Durch Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ist das Asylrecht des politisch Verfolgten zum Grundrecht erhoben. Das Grundgesetz hat damit das Asylrecht, über das Völkerrecht und das Recht anderer Staaten hinausgehend, als subjektives öffentliches Recht ausgestaltet, an das Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gebunden sind.
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Der verfassungsrechtliche Asylanspruch ist weder von der ![]() ![]() | 44 |
2. a) Auch religiös motivierte Verfolgung kann politische Verfolgung sein. Wie die Geschichte lehrt und die Erwähnung der Religion in Art. 1 Abschnitt A Nr. 2 GK zeigt, gehören ![]() ![]() | 45 |
b) Wenn der Staat Einzelne oder Gruppen zu Verfolgungsmaßnahmen anregt oder derartige Handlungen unterstützt, billigt oder tatenlos hinnimmt und damit dem Betroffenen den erforderlichen Schutz versagt, weil er hierzu nicht willens oder nicht in der Lage ist, können auch "private" Handlungen als "politische" Verfolgung im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG anzusehen sein. Insbesondere die faktische Einheit von Staat und Staatspartei oder von Staat und Staatsreligion kann es rechtfertigen, dem Staat Verfolgungsmaßnahmen von Angehörigen der Staatspartei oder der Staatsreligion gegenüber Personen zuzurechnen, die einer anderen politischen Überzeugung zuneigen oder anderen Glaubens sind. Bei den Ausschreitungen orthodoxer Moslems gegen Ahmadis während des Pogroms in Pakistan im Jahre 1974 war nach den Feststellungen der Verwaltungsgerichte eine derartige Substitutenstellung des pakistanischen Staats gegeben. Für die Asylgesuche der Beschwerdeführer ist daher nicht ausschlaggebend, daß die dort geschilderten Ereignisse nicht unmittelbar auf Anordnungen staatlicher Stellen beruhten, sondern von andersgläubigen Mitbürgern ausgelöst wurden.
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c) Politische Verfolgung kann sich, worauf schon die Aufzählung der Fluchtgründe in Art. 1 Abschnitt A Nr. 2 GK hinweist, gegen Gruppen von Menschen richten, die durch gemeinsame Merkmale wie etwa Rasse, Religion oder politische Überzeugung verbunden sind. Handelt es sich dabei um Maßnahmen, die als asylrechtlich relevante politische Verfolgung anzusehen sind (vgl. B II 1 und 2 a und b = S. 356 ff.), so ist in aller Regel davon auszugehen, daß sich diese Verfolgung gegen jeden An ![]() ![]() | 47 |
3. a) Gerade bei kollektiven Verfolgungsmaßnahmen ist jedoch problematisch, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich eine Verfolgung des Einzelnen abzeichnen muß, damit sie gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG als asylbegründend anerkannt werden kann. Während Art. 1 Abschnitt A Nr. 2 GK eine "begründete Furcht vor Verfolgung" voraussetzt und damit zu allererst auf das subjektive Moment der Verfolgungsangst abstellt, für die allerdings gute Gründe ("good reasons") gegeben sein müssen, geht Art. 16 Abs. 2 Satz 2. GG von einer objektiven Beurteilung der Verfolgungsgefahr aus; der subjektive Bezug beschränkt sich hier darauf, daß die drohende politische Verfolgung für den Einzelnen der Anlaß für die Flucht sein muß. Die Beurteilung, ob sich die Gefährdung des Asylsuchenden objektiv bereits soweit konkretisiert hat, daß die Annahme einer Verfolgung gerechtfertigt ist, kann im Einzelfall äußerst schwierig sein. Auskünfte unterrichteter Stellen und Sachverständigengutachten über die politischen Verhältnisse in dem Verfolgerstaat werden vor allem in den Fällen die notwendigen Sachverhaltsfeststellungen ermöglichen, in denen die Verfolgung einer ganzen Gruppe behauptet wird, ohne daß der einzelne Asylsuchende ihn persönlich berührende Einzelmaßnahmen glaubhaft machen kann. Bei individuell konkretisierten Beeinträchtigungen wird dagegen eher die Vernehmung von Zeugen und des Asylsuchenden selbst in Betracht kommen, um die geltend gemachte Verfolgungsgefahr verläßlich überprüfen zu können. Soweit dabei einzelne Rechtsanwälte Sachverhalte unter Verletzung ihrer Berufspflichten unrichtig darstellen sollten, wird dem, auch im Interesse der Asylbewerber, durch ehrengerichtliche Verfahren zu begegnen sein.
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b) Der maßgebliche Zeitpunkt für die Feststellung, ob einem Asylsuchenden politische Verfolgung droht, ist, wie das Bun ![]() ![]() | 49 |
Soll asylrechtlicher Schutz aber allein wegen zwischenzeitlicher Änderungen in der politischen Lage im Verfolgerstaat versagt werden, darf nicht unberücksichtigt und dahingestellt bleiben, ob in der Vergangenheit liegende Ereignisse den Tatbestand der politischen Verfolgung erfüllten. Art und Ausmaß der behaupteten Verfolgungsmaßnahmen sind, auch wenn diese der Vergangenheit angehören, vor allein für die Frage von Bedeutung, ob dem Asylsuchenden eine Rückkehr in seine Heimat zugemutet werden kann. Die Zumutbarkeit einer Rückkehr wird, wenn sich Verfolgungsmaßnahmen bereits früher in der Person des Asylsuchenden verwirklicht haben, nicht zuletzt davon bestimmt, ob eine Wiederholungsgefahr besteht. Mit der Gewährleistung des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ist es nicht zu vereinbaren, einen Menschen, der schon einmal von Verfolgungsmaßnahmen betroffen war, wiederum der Zugriffsmöglichkeit des Verfolgerstaats auszusetzen, es sei denn, er kann vor erneuter Verfolgung hinreichend sicher sein. Es widerspräche dem humanitären Charakter des Asyls, einem Asylsuchenden, der das Schicksal der Verfolgung bereits einmal erlitten hat, das Risiko einer Wiederholung aufzubürden. Der allgemeine ![]() ![]() | 50 |
4. Obwohl sich die Beschwerdeführer nicht nur auf eine kollektive politische Verfolgung der Ahmadis in Pakistan berufen, sondern zur Begründung ihrer Asylgesuche sie persönlich berührende Einzelmaßnahmen vorgetragen haben, enthalten die angegriffenen Entscheidungen keine eindeutige Feststellung darüber, ob die Beschwerdeführer bei ihrer Ausreise aus Pakistan wegen der von ihnen geschilderten Beeinträchtigungen als politisch verfolgt anzusehen waren. So hat das Verwaltungsgericht für den Beschwerdeführer zu 1) angenommen, es könne ihm geglaubt werden, daß Ahmadis bei den Ausschreitungen im Jahre 1974 und möglicherweise noch im Jahre 1975 Schweres hätten erleiden müssen. Zusätzlich hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, der Beschwerdeführer zu 1) habe bei dem Pogrom 1974 sein Studium abgebrochen. Bei den Beschwerdeführern zu 2) und 3) konnte es nach Ansicht des Verwaltungsgerichts offenbleiben, ob sie Pakistan aus begründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hätten. Auch hier ist der Verwaltungsgerichtshof von der Richtigkeit der Behauptungen der Beschwerdeführer ausgegangen, hat jedoch nicht entschieden, ob die geltend gemachten Beeinträchtigungen in den Jahren 1974 und 1975 eine politische Verfolgung darstellten.
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Diese Verfahrensweise beruht zwar auf der verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstandenden Rechtsansicht, dem Asylsuchenden müsse noch im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung eine politische Verfolgung drohen. Sie läßt aber außer acht, daß einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war, die Rückkehr nur zugemutet werden kann, wenn eine Wiederholung der Verfolgungs ![]() ![]() | 52 |
Der Verwaltungsgerichtshof wird nunmehr zunächst festzustellen haben, ob die Beschwerdeführer vor ihrer Ausreise aus ihrer Heimat, wie sie geltend machen, politisch verfolgt waren. War dies der Fall, bedarf es der erneuten Prüfung, ob für sie bei einer Rückkehr in dem dann maßgeblichen Zeitpunkt eine ![]() ![]() | 53 |
Dr. Benda, Dr. Simon, Dr. Hesse, Dr. Katzenstein, Dr. Niemeyer, Dr. Heußner (Der Richter Dr. Böhmer ist an der Unterschrift verhindert. Dr. Benda) ![]() | |
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