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Beschluss | |
des Ersten Senats vom 6. Dezember 2005
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-- 1 BvR 1905/02 -- | |
in den Verfahren über die Verfassungsbeschwerden
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der Frau K... -- Bevollmächtigte: GÖRG Rechtsanwälte, Klingelhöferstraße 5, 10785 Berlin -- gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11. Juli 2002 -- IX ZR 326/99 --. ![]() | |
Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11. Juli 2002 -- IX ZR 326/99 -- verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.
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Die Bundesrepublik Deutschland hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
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Gründe: | |
A. | |
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob § 79 Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht auch den Fall erfasst, dass die zu vollstreckende Entscheidung eines Zivilgerichts auf der vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Auslegung und Anwendung einer zivilrechtlichen Generalklausel beruht.
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I.
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1. Mit Beschluss vom 19. Oktober 1993 (BVerfGE 89, 214) entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Zivilgerichte verpflichtet sind, bei der Konkretisierung und Anwendung von Generalklauseln wie § 138 und § 242 BGB die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie in Art. 2 Abs. 1 GG zu beachten. Gegenstand der Entscheidung waren unter anderem ein Urteil des Bundesgerichtshofs und die von diesem wiederhergestellte Entscheidung eines Landgerichts. Darin war die damalige Beschwerdeführerin zur Zahlung von 100.000 DM aus einem Bürgschaftsvertrag verurteilt worden, den sie zugunsten ihres -- zunächst als Immobilienmakler, später als Reeder tätigen -- Vaters mit einer Sparkasse abgeschlossen hatte. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses war die Bürgin 21 Jahre alt, überwiegend arbeitslos und ohne Vermögen (vgl. ZIP 1989, S. 629).
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Das Bundesverfassungsgericht hob das Revisionsurteil des Bundesgerichtshofs wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 GG auf. Dieser gewährleiste die Privatautonomie als Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben. Dabei bestehe weitgehend Einigkeit darüber, ![]() ![]() | |
Für die Zivilgerichte folge daraus die Pflicht, bei der Auslegung und Anwendung der Generalklauseln darauf zu achten, dass Verträge nicht als Mittel der Fremdbestimmung dienten. Sei der Inhalt eines Vertrags für eine Seite ungewöhnlich belastend und als Interessenausgleich offensichtlich unangemessen, müssten sie klären, ob die vereinbarte Regelung eine Folge strukturell ungleicher Verhandlungsstärke ist, und gegebenenfalls mit Hilfe der zivilrechtlichen Generalklauseln korrigierend eingreifen. Wie sie dabei zu verfahren hätten und zu welchem Ergebnis sie gelangen müssten, sei in erster Linie eine Frage des einfachen Rechts, dem die Verfassung einen weiten Spielraum lasse. Ein Verstoß gegen die Gewährleistung der Privatautonomie komme aber dann in Betracht, wenn das Problem gestörter Vertragsparität gar nicht gesehen oder seine Lösung mit untauglichen Mitteln versucht werde. In dem hier zu beurteilenden Fall sei ein solcher Verstoß gegeben.
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2. Bei der Umsetzung dieser Entscheidung gingen die für das ![]() ![]() | |
II.
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1. Die Beschwerdeführerin des vorliegenden Verfahrens übernahm 1988 gegenüber der im Ausgangsrechtsstreit beklagten Bank zur Absicherung mehrerer Darlehen ihres -- später von ihr geschiedenen -- Ehemanns eine selbstschuldnerische Bürgschaft in Höhe von 200.000 DM. Sie widmete sich damals ausschließlich der Haus ![]() ![]() | |
2. Nachdem 1993 die Bürgschaftsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergangen war und die Rechtsprechung der Zivilgerichte begonnen hatte, diese Entscheidung umzusetzen (vgl. dazu oben unter A I 2), wandte sich die Beschwerdeführerin im Ausgangsverfahren im Wege der Vollstreckungsabwehrklage gegen die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil. Das Landgericht erklärte die Zwangsvollstreckung nach § 767 ZPO in Verbindung mit § 79 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (Bundesverfassungsgerichtsgesetz -- BVerfGG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl. I S. 1473) für unzulässig. Das Oberlandesgericht wies die Klage dagegen auf die Berufung der beklagten Bank ab (NJW-RR 2001, S. 139). Die Revision der Beschwerdeführerin gegen diese Entscheidung hat der Bundesgerichtshof mit dem angegriffenen Urteil zurückgewiesen (BGHZ 151, 316):
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Die Revision mache zwar zu Recht geltend, dass der Bürgschaftsvertrag von 1988 auf der Grundlage der heutigen Rechtsprechung des IX. und des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB als nichtig anzusehen sei. Das im Vorprozess ergangene Versäumnisurteil von 1992 habe aber damals mit der Rechtsprechung des IX. Zivilsenats in Einklang gestanden. Eine dem Bürgen günstige Änderung dieser Rechtsprechung habe für die Öffentlichkeit erkennbar erst nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1993 eingesetzt. Die Beschwerdeführerin könne sich nicht unter Berufung auf diese Entscheidung gegen die Vollstreckung des Versäumnisurteils wenden. ![]() | |
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Ob bei allen Entscheidungen außerhalb von Strafurteilen die Vollstreckungssperre nur nach Nichtigerklärung einer Norm greife oder § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG sich auf alle in § 79 Abs. 1 BVerfGG enthaltenen Alternativen beziehe, werde in Rechtsprechung und Schrifttum unterschiedlich beurteilt. Im Gegensatz zur wohl überwiegenden Meinung, nach der § 79 Abs. 2 BVerfGG nur die Entscheidungen erfasse, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, werde in den Kommentaren zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz praktisch durchgängig die Auffassung vertreten, die weitere Vollstreckung aus einem hoheitlichen Akt sei gemäß § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG auch dann unzulässig, wenn das Bundesverfassungsgericht eine Norm oder eine bestimmte Normauslegung für mit dem Grundgesetz unvereinbar bezeichnet habe.
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Selbst wenn § 79 Abs. 2 BVerfGG in diesem weiten Sinne verstanden werde, erfasse er nicht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die fachgerichtliche Entscheidungen nur wegen verfassungswidriger Anwendung einer Rechtsnorm aufheben. Der Richter habe bei Auslegung und Anwendung aller Rechtsvorschriften das verfassungsrechtliche Wertsystem als interpretationsleitend zu berücksichtigen. Weise die gerichtliche Entscheidung in dieser Hinsicht erhebliche Mängel auf, handele es sich nur um verfassungsrechtlich bedeutsame Subsumtionsfehler, die vom Bundesverfassungsgericht im Einzelfall korrigiert werden könnten. Solche Entscheidungen ließen in der Regel den Bestand der einschlägigen Norm unberührt. § 79 Abs. 2 BVerfGG setze demgegenüber normbezogene Erkenntnisse des Verfassungsgerichts voraus und verbiete ![]() ![]() | |
Eine solche Auslegung enthalte der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1993 nicht. Er mache keine Vorgaben, wie § 765 BGB zu verstehen sei oder die §§ 138, 242 BGB auszulegen seien, sondern beanstande nur, dass sich der Bundesgerichtshof im vorausgegangenen Verfahren mit der ausgeprägten Unterlegenheit der Bürgin und der von ihr geltend gemachten Beeinträchtigung ihrer Entscheidungsfreiheit nicht in der gebotenen Weise auseinander gesetzt habe. Das Bundesverfassungsgericht habe damit nur einen verfassungsrechtlichen Fehler allgemeiner Art bei der rechtlichen Subsumtion im konkreten Einzelfall festgestellt und darauf hingewiesen, die Gerichte müssten in solchen Fällen klären, ob die vertragliche Regelung eine Folge strukturell ungleicher Verhandlungsstärke sei, und gegebenenfalls im Rahmen der Generalklauseln des Zivilrechts korrigierend eingreifen. Wie sie dabei zu verfahren hätten und zu welchem Ergebnis sie gelangen müssten, sei nach der Aussage des Bundesverfassungsgerichts in erster Linie eine Frage des einfachen Rechts, dem die Verfassung einen weiten Spielraum lasse.
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Der Beschluss vom 19. Oktober 1993 besage mithin nichts darüber, ob und unter welchen Voraussetzungen Bürgschaften wegen finanzieller Überforderung des Verpflichteten als nichtig anzusehen seien. Die entsprechenden Kriterien herauszuarbeiten, sei allein Aufgabe der Zivilgerichte gewesen. Das sei erst in der Folgezeit geschehen. Dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts fehle damit eine normbezogene Aussage im Sinne des § 79 Abs. 2 BVerfGG.
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III.
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Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG.
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Der Bundesgerichtshof habe die Bedeutung des § 79 Abs. 2 BVerfGG verkannt. Er interpretiere den zentralen Begriff der Norm in dieser Vorschrift als förmliche Rechtsvorschrift mit der Folge, ![]() ![]() | |
Die §§ 138, 242 BGB seien infolge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu einzelnen Themenbereichen zu Auffangvorschriften mit klaren Tatbestandsmerkmalen geworden. Daher müssten insoweit auch die Auslegung und das Verständnis dieser Vorschriften so gewertet werden, als handele es sich um Normen mit eindeutig bestimmbarem Inhalt. Das gelte gerade für den Bereich der Ehegattenbürgschaft. Die Auslegung der §§ 138, 242 BGB und die Rechtsfragen im Zusammenhang mit solchen Bürgschaften seien durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf ein grundlegend neues Fundament gestellt worden. Es sei dabei abstrakt-generell eine neue Rechtslage entstanden, die für alle Fälle gleich zu behandeln sei. Bei der Korrektur der fachgerichtlichen Rechtsprechung habe es sich nicht nur um eine Einzelfallentscheidung gehandelt.
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Die vom Bundesgerichtshof vertretene Rechtsauffassung verstoße auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Werde zwischen Richterrecht und förmlichem Gesetzesrecht unterschieden, wie es infolge der angegriffenen Entscheidung geschehe, werde ein im Wesentlichen gleich gelagerter Sachverhalt ohne sachliche Rechtfertigung ungleich behandelt. Für die Beschwerdeführerin sei es unerheblich, ob die übernommene Bürgschaft mit der zugrunde liegenden gesetzlichen Regelung oder auf Grund der inzwischen ständigen Rechtsprechung zu den §§ 138, 242 BGB nichtig sei.
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Werde der mit der Verfassungsbeschwerde vorgetragenen Ansicht nicht gefolgt, sei § 79 Abs. 2 BVerfGG wegen Verstoßes gegen Art. 20 Abs. 3 GG verfassungswidrig. ![]() | |
Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesministerium der Justiz, der Bundesfinanzhof, das Bundessozialgericht und die Beklagte des Ausgangsverfahrens Stellung genommen.
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1. Das Bundesministerium hat mitgeteilt, dass es die Auffassung des Bundesgerichtshofs zur Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG teile.
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2. Der Bundesfinanzhof hat unter anderem auf sein Urteil vom 12. März 1965 (BFHE 82, 567) hingewiesen, nach dem aus § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG im Fall einer durch das Bundesverfassungsgericht festgestellten verfassungswidrigen Auslegung einer verfassungskonformen Bestimmung ein Vollstreckungsverbot nicht hergeleitet werden könne. § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG enthalte eine Ausnahme von der Regel des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Da der Bestand unanfechtbar gewordener Entscheidungen, die auf einer nicht verfassungskonformen Auslegung einfachen Rechts beruhten, auch durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, mit der die verfassungswidrige Auslegung festgestellt worden sei, nicht berührt werde, verbleibe es bei der Regel, dass bei Vollzug und Vollstreckung einer Entscheidung im Hinblick auf deren Rechtskraft ihr materieller Gehalt nicht mehr geprüft werde.
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3. Das Bundessozialgericht hat ausgeführt, es folge bei der Auslegung des § 79 Abs. 2 BVerfGG der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass dieser gleichermaßen die Feststellung der Nichtigkeit und der Unvereinbarkeit einer Norm erfasse. Einbezogen habe es auch die Fälle, in denen das Bundesverfassungsgericht eine einfachgesetzliche Vorschrift in verfassungskonformer Weise ausgelegt habe (unter Hinweis auf BSGE 64, 62).
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Für den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1993 (BVerfGE 89, 214) sei kennzeichnend, dass er eine Feinsteuerung der Entscheidungswirkung nicht angeordnet, sondern alles Weitere einer Anwendung des § 79 Abs. 2 BVerfGG überlassen habe. Dem Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fallgestaltungen (Nichtigkeit -- Unvereinbarkeit -- verfassungskonforme Auslegung) entspräche es jedoch, wenn das Bundesverfassungsgericht im vorliegenden Verfahren zu dem Ergebnis gelangte, dass § 79 ![]() ![]() | |
Allerdings habe das Bundesverfassungsgericht die Bürgschaftsentscheidung -- jedenfalls nach Auffassung des Bundesgerichtshofs -- nicht entscheidend auf eine verfassungsrechtliche Auslegung von Zivilrechtsnormen gestützt, sondern eine Verkennung von Verfassungsgrundsätzen bei der Rechtsanwendung beanstandet. Zutreffend sei auch, dass die Kriterien, nach denen der Bundesgerichtshof in der angegriffenen Entscheidung den Bürgschaftsvertrag als sittenwidrig angesehen habe, erst im Gefolge der verfassungsgerichtlichen Bürgschaftsentscheidung vom Bundesgerichtshof selbst entwickelt worden seien. Gleichwohl könnten der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtliche Maßgaben für die Auslegung der §§ 138, 242 BGB entnommen werden, die für die Inhaltskontrolle von Bürgschaftsverträgen bestimmend geworden seien.
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Hätte das Bundesverfassungsgericht ein zivilgerichtliches Urteil, das den Bürgschaftsvertrag der Beschwerdeführerin bestätigt hätte, ebenso aufgehoben wie das von der Bürgschaftsentscheidung betroffene Urteil, könnte darin ein Zeichen dafür gesehen werden, dass es hier nicht so sehr um einzelfallbezogene Verfassungsverstöße gehe als vielmehr um eine verfassungsgerichtliche Konkretisierung von bürgerlichrechtlichen Generalklauseln, also in gewissem Sinne um eine verfassungskonforme Auslegung. Dann wäre wohl auch die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil von 1992 gehindert, nachdem der Bundesgerichtshof selbst die Bürgschaft der Beschwerdeführerin gemäß § 138 Abs. 1 BGB als nichtig erkannt habe.
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4. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Das angegriffene Urteil beruhe auf einer zutreffenden Auslegung des § 79 Abs. 2 BVerfGG. Nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift sei die Vollstreckung nur unzulässig und die ![]() ![]() | |
Der Bundesgerichtshof habe zu Recht auch eine analoge Anwendung von § 95 Abs. 3 Satz 3 und § 79 Abs. 2 BVerfGG abgelehnt. § 79 Abs. 2 BVerfGG lasse sich nicht auf Fälle erstrecken, in denen das Bundesverfassungsgericht -- wie hier -- eine Gerichtsentscheidung nur wegen verfassungswidriger Anwendung einer Norm aufgehoben habe, ohne dass dies auf einer verfassungswidrigen Auslegung beruhe. Eine Erstreckung auch auf solche Fälle würde die Rechtssicherheit unannehmbar beeinträchtigen und letztlich den Rechtsfrieden in Frage stellen, weil ein Rechtsstreit niemals abgeschlossen wäre. Eine analoge Anwendung werde auch nicht durch den Gleichheitssatz gefordert. Für die Beschwerdeführerin stelle sich die Situation nicht anders dar, als wenn der Bundesgerichtshof seine verfassungswidrige Rechtsprechung zu den Ehegattenbürgschaften selbst korrigiert hätte. In diesem Fall stünde außer Frage, dass § 79 Abs. 2 BVerfGG keine Anwendung finde und die Vollstreckungsabwehrklage nicht darauf gestützt werden könne. Allein die Tatsache, dass die Rechtsprechungsänderung durch das Bundesverfassungsgericht erzwungen worden sei, rechtfertige keine andere Wertung.
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Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet. Das Revisionsurteil des Bundesgerichtshofs ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.
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I.
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Maßstab für die verfassungsgerichtliche Prüfung ist der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Dieser gebietet es, Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln (vgl.BVerfGE 71, 255 [271]). Verboten ist es deshalb, Sachverhalte ungleich zu behandeln, wenn sich die Differenzierung sachbereichsbezogen nicht auf einen sachlich einleuchtenden Grund zurückführen oder im Hinblick auf Art und Gewicht vorhan ![]() ![]() | |
II.
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Nach diesen Grundsätzen kann das angegriffene Urteil keinen Bestand haben. Es verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, weil es den Anwendungsbereich des § 79 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit Satz 2 und Satz 1 BVerfGG in einer Weise einschränkt, die zu einer verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung und durch die Vollstreckung aus verfassungswidrigen Entscheidungen zu einer Beeinträchtigung von Grundrechten führt.
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1. § 79 BVerfGG regelt in seinen Absätzen 1 und 2 die Folgen von Senatsentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, durch die eine Rechtsnorm für verfassungswidrig erklärt wird, auf deren Grundlage Entscheidungen ergangen sind, die schon rechtskräftig geworden oder auch sonst nicht mehr anfechtbar sind. Da der Gesetzgeber bei Erlass des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes im Jahre 1951 (vgl. BGBl. I S. 243 ) davon ausging, dass die Rechtsfolge der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes dessen Nichtigkeit mit Wirkung ex tunc sein würde (vgl. BTDrucks I/788, S. 34 zu § 72), sollten mit § 79 BVerfGG die Rechtsfolgen der Nichtigkeit im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit begrenzt werden (vgl. dazu die Ausführungen der Abg. Dr. Wahl [CDU] und Neumayer [FDP] in der 112. Sitzung des 1. Deutschen Bundestages am 18. Januar 1951, Sten. Ber., S. 4227 f., 4234 [B], [C], sowie schon BVerfGE 2, 380 [404 f.]; 7, 194 [195 f.]; 20, 230 [235]; 37, 217 [262]).
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a) Das geschah vor allem durch die bis heute unverändert gebliebene Vorschrift des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, in der als Grund ![]() ![]() | |
Hinsichtlich aller sonstigen Hoheitsakte (Verwaltungsakte und Gerichtsentscheidungen) verbleibt es dagegen bei dem Grundsatz des Satzes 1 von § 79 Abs. 2 BVerfGG (vgl.BVerfGE 15, 309 [312]; 37, 217 [262]; 81, 363 [384]). Doch gilt für sie, soweit aus ihnen noch nicht vollstreckt worden ist, das Verbot der Vollstreckung nach den Sätzen 2 und 3 der Vorschrift. Dabei ist, wenn die Zwangsvollstreckung nach der Zivilprozessordnung durchzuführen ist, § 767 ZPO entsprechend anzuwenden. Das Bundesverfassungsgericht hat aus diesen Regelungen und aus Satz 4 des § 79 Abs. 2 BVerfGG den allgemeinen Rechtsgedanken abgeleitet, dass einerseits zwar unanfechtbar gewordene Akte der öffentlichen Gewalt, die auf verfassungswidriger Grundlage zustande gekommen sind, nicht rückwirkend aufgehoben und die nachteiligen Wirkungen, die in der Vergangenheit von ihnen ausgegangen sind, nicht beseitigt werden, andererseits jedoch zukünftige Folgen, die sich aus einer zwangsweisen Durchsetzung verfassungswidriger Entscheidungen ergeben würden, abgewendet werden sollen (vgl.BVerfGE 20, 230 [236]; 37, 217 [263]; 91, 83 [90 f.]; 97, 35 [48]).
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b) An dieser Zielrichtung und Systematik hat sich nichts dadurch ![]() ![]() | |
aa) Nach der Neufassung ist die Möglichkeit der Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens nicht mehr -- wie bis zum In-Kraft-Treten des Änderungsgesetzes -- auf den Fall beschränkt, dass das in dem Strafverfahren ergangene Urteil auf einer vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärten Strafnorm beruht. Wiederaufnahmefähig sind vielmehr jetzt ausdrücklich auch die Verfahren, in denen das rechtskräftige Strafurteil auf der Grundlage einer Norm oder einer Normauslegung ergangen ist, die vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist.
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Diese Regelung, die in dem von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf des Änderungsgesetzes noch nicht enthalten war (vgl. BTDrucks VI/388, S. 3), geht auf einen Vorschlag des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zurück. Der Ausschuss hielt die Gesetzesänderung für notwendig, weil -- unter den Strafgerichten in Verfahren gegen Kriegsdienstverweigerer (vgl. die Ausführungen des Abg. Dr. Arndt [SPD] in der 81. Sitzung des 6. Deutschen Bundestages am 2. Dezember 1970, Sten. Ber., S. 4597 [A]) -- umstritten war, ob auch dann ein Wiederaufnahmeverfahren möglich ist, wenn das rechtskräftige Strafurteil auf der Auslegung einer Rechtsnorm beruht, die vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden ist. Er war der Auffassung, dass dieser Fall für die Wiederaufnahme des Strafverfahrens der Nichtigerklärung einer Rechtsnorm gleichzusetzen sei. Sachlich bestehe kein wesentlicher Unterschied darin, ob ein Strafurteil auf einer verfassungswidrigen Rechtsanwendung oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsnorm beruhe. Nur der Klarstellung diene schließlich die ausdrückliche Einbeziehung auch des Falles, dass eine Rechtsnorm vom Bundesverfassungsgericht nicht für nichtig, sondern für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden sei (vgl. BTDrucks VI/1471, S. 6 zu Art. 1 Nr. 15 a).
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bb) Dass diese Ergänzung im Gesamtkonzept des § 79 BVerfGG ![]() ![]() | |
Nichts anderes gilt, wenn das Bundesverfassungsgericht nicht die Norm selbst, sondern deren Auslegung für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt hat. Wie im Rahmen des § 79 Abs. 1 BVerfGG (vgl. vorstehend unter B II 1 b aa) macht es auch im Anwendungsbereich des § 79 Abs. 2 BVerfGG sachlich keinen wesentlichen Unterschied, ob eine nicht mehr anfechtbare Entscheidung im Sinne dieser Regelung auf der verfassungswidrigen Auslegung einer Rechtsnorm oder auf einer verfassungswidrigen Vorschrift beruht. Im ersten Fall hat das Bundesverfassungsgericht, wenn von mehreren nach ![]() ![]() | |
c) Die Entscheidung zu B II 1 b ist mit 7 : 1 Stimmen ergangen.
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2. Von der analogen Anwendung des § 79 Abs. 2 BVerfGG und speziell seines Satzes 3 können auch Entscheidungen nicht grundsätzlich ausgenommen werden, durch welche die Zivilgerichte, wie in der Bürgschaftsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1993, angehalten werden, bei der Auslegung und Anwendung von Generalklauseln und sonstigen auslegungsbedürftigen Regelungstatbeständen des bürgerlichen Rechts die jeweils einschlägigen Grundrechte interpretationsleitend zu berücksichtigen, damit deren wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwen ![]() ![]() | |
a) Dies gilt allerdings nur, wenn das Bundesverfassungsgericht, anders als der Bundesgerichtshof im angegriffenen Urteil annimmt, wie in der Bürgschaftsentscheidung vom 19. Oktober 1993 nicht nur die Verfehlung verfassungsrechtlicher Vorgaben bei der rechtlichen Subsumtion im Einzelfall beanstandet, sondern für die Auslegung des bürgerlichen Rechts über den Einzelfall hinausreichende Maßstäbe setzt, an welche die Zivilgerichte bei ihrer künftigen Rechtsprechung in gleichgelagerten Fällen ebenso gebunden sind, wie wenn das Bundesverfassungsgericht eine Rechtsvorschrift verfassungskonform in der Weise auslegt, dass es die verfassungswidrige Interpretationsmöglichkeit ausschließt (vgl. BVerfGE 40, 88 [94]).
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Rechtsvorschriften, die, wie die Generalklauseln der §§ 138 und 242 BGB, das jeweilige Rechtsgebiet unmittelbar beherrschen, sind so zu konkretisieren, dass die Grundrechte als "Richtlinien" in das Zivilrecht hineinwirken können (vgl. BVerfGE 89, 214 [229]). Speziell für das Vertrags- und das Bürgschaftsrecht hat das Bundesverfassungsgericht weiter klargestellt, dass Privatautonomie die Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben voraussetzt, dass die Vertragsfreiheit nur im Falle eines annähernd ausgewogenen Kräfteverhältnisses der Vertragspartner als Mittel eines angemessenen Interessenausgleichs geeignet ist und dass es zu den Hauptaufgaben des geltenden Zivilrechts gehört, auf strukturelle Störungen des ![]() ![]() | |
Damit hat das Bundesverfassungsgericht den Begriffen "gute Sitten", "Verkehrssitte" sowie "Treu und Glauben" in den §§ 138 und 242 BGB mit Bezug auf Bürgschaftsverträge auch für die Rechtsanwendung in anderen Fällen reproduzierbare -- und für die Zivilgerichte verbindliche -- Konturen gegeben. Zu-gleich hat das Gericht Gesichtspunkte herausgearbeitet, aus denen sich eine strukturelle Störung des Verhandlungsgleichgewichts ergeben kann. Insoweit kann maßgeblich sein, wer den Vertrag als Bürge abgeschlossen hat, wie alt dieser im Zeitpunkt des Vertragsschlusses gewesen ist, in welchen wirtschaftlichen Verhältnissen er sich dabei befunden und welche Ausbildung er genossen hat. Für die rechtliche Beurteilung wesentlich ist weiter, ob der Bürge in geschäftlichen Dingen unerfahren gewesen und auf welche Weise der Vertrag zustande gekommen ist, wie sich der Bürgschaftsgläubiger dabei verhalten hat, wie hoch das vom Bürgen übernommene Haftungsrisiko gewesen ist und ob dieser im Fall der Kreditsicherung an dem Kredit ein eigenes wirtschaftliches Interesse hatte (vgl. BVerfGE 89, 214 [230 f., 234 f.]).
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Der sich aus der von Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Privatautonomie ergebende Maßstab des gebotenen Ausgleichs zwischen strukturell ungleichen Verhandlungssituationen hat durch diese Rechtsprechung eine für die Rechtsanwendung bedeutsame Konkretisierung erfahren, die der künftigen Rechtsprechung der Zivilgerichte für die Beurteilung von Bürgschaftsfällen der hier in Rede stehenden Art abstrakt-generell und auf vorhersehbare Weise den Weg weist. Sie zwingt die Gerichte zu einer Verfeinerung und Konkretisierung der einschlägigen zivilrechtlichen Normen und hat insoweit dazu geführt, dass im Rahmen der Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB rechtssatzmäßig typisierbare Fallgruppen (vgl. BVerfGE 89, 214 [232]) gebildet worden sind, die der weiteren Rechtsanwendung zugrunde gelegt werden können. Dies unterscheidet sich, auch wenn die abschließende Festlegung und Normausfüllung Sache der Zivilgerichte bleibt (vgl. BVerfGE 89, 214 [234]), hinsichtlich des ![]() ![]() | |
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich eine unterschiedliche Behandlung nachteilig auf die grundrechtlich geschützte Vertragsfreiheit auswirken würde. Wie der Bundesgerichtshof im Fall der Beschwerdeführerin angenommen hat, ist der von dieser geschlossene Bürgschaftsvertrag wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB als nichtig anzusehen. Das gegen die Beschwerdeführerin gleichwohl erlassene Versäumnisurteil von 1992 verstößt gegen die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Privatautonomie, weil es diese Gewährleistung bei der Konkretisierung und Anwendung des § 138 BGB nicht beachtet hat. Derartige Grundrechtsverstöße würden durch die Vollstreckung aus solchen Entscheidungen perpetuiert und die Vertragsfreiheit des betroffenen strukturell unterlegenen Bürgen insoweit aufs Neue beeinträchtigt, wenn der Fall, dass das Bundesverfassungsgericht die Zivilgerichte in der geschilderten Weise maßstabbildend zur Durchsetzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG im Rahmen des Zivilrechts angehalten hat, nicht in den Anwendungsbereich des § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG einbezogen würde. Das hat solches Gewicht, dass es sich mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbaren lässt, den Fall der grundrechtsgeleiteten Konkretisierung auslegungsfähiger Zivilrechtsbegriffe anders als den ![]() ![]() | |
b) Das Fehlen eines hinreichenden Normbezugs kann danach, anders als der Bundesgerichtshof annimmt, einer Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG auf Fälle der vorliegenden Art ebenfalls nicht entgegengehalten werden. Auch bei der verfassungskonformen Auslegung einer Rechtsvorschrift lassen die normbezogenen Aussagen der verfassungsgerichtlichen Entscheidung den Normtext selbst unberührt. Der Normbezug beschränkt sich darauf, die Reichweite der interpretierten Vorschrift ohne Normtextänderung auf den verfassungskonformen Gehalt der Regelung auch für die Anwendung in anderen Rechtsfällen zu reduzieren. Ähnlich verhält es sich bei den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, deren Ziel es ist, wie im Fall der Bürgschaftsentscheidung vom 19. Oktober 1993 die Grundrechte im Bereich des Zivilrechts über dessen Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe interpretationsleitend zur Geltung zu bringen. Auch dabei wird der Wortlaut der maßgeblichen Vorschrift nicht verändert, wohl aber ihr Inhalt durch Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für typisierbare Fallgestaltungen (vgl. BVerfGE 89, 214 [232]) konkretisiert und damit auch für die Entscheidung anderer Fälle nutzbar gemacht. Das reicht für die Annahme des in § 79 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit Satz 2 und Satz 1 BVerfGG vorausgesetzten Normbezugs aus.
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c) Der analogen Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts mit dem hier zugrunde liegenden Inhalt steht schließlich auch nicht entgegen, dass der von der Beschwerdeführerin 1988 geschlossene Bürgschaftsvertrag nach der Beurteilung des Bundesgerichtshofs zwar auf der Grundlage der heutigen, durch die Bürgschaftsentscheidung vom 19. Oktober 1993 veranlassten Rechtsprechung seines IX. und XI. Zivilsenats wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB als nichtig anzusehen ist, das zum Nachteil der Beschwerdeführerin ergangene Versäumnisurteil aber, wie das Revisionsgericht ebenfalls ausgeführt hat, im Jahre 1992 mit der Rechtsprechung des für das Bürgschaftsrecht zuständigen Senats des Bundesgerichtshofs in Einklang stand. ![]() | |
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Bei den Einwendungen, die auf der Bürgschaftsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1993 gründen, ist diese Voraussetzung für eine entsprechende Anwendung des § 767 ZPO erfüllt. Sie konnten 1992, als das Versäumnisurteil gegen die Beschwerdeführerin erlassen wurde, noch nicht geltend gemacht werden, weil die Maßstäbe, aus denen diese Einwendungen heute abgeleitet werden können, damals vom Bundesverfassungsgericht noch nicht entwickelt und den Zivilgerichten noch nicht verbindlich vorgegeben worden waren. Das hat sich inzwischen geändert. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht auch nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nunmehr fest, dass Entscheidungen, wie das gegen die Beschwerdeführerin ergangene Versäumnisurteil, mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren sind. Soweit für eine solche Feststellung im Einzelfall noch rechtliche Konkretisierungen und tatsächliche Ermittlungen durch die Zivilgerichte notwendig sind, weist § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG mit dem Verweis auf die Vollstreckungsabwehrklage hierfür den Weg. Das danach eröffnete Verfahren ist geeignet, auch schwierige materiellrechtliche Fragen im Verhältnis von Vollstreckungsschuldner ![]() ![]() | |
d) Die Entscheidung zu B II 2 ist mit 5 : 3 Stimmen ergangen.
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III.
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Das angegriffene Urteil ist danach gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben, die Sache an den Bundesgerichtshof zurückzuverweisen.
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C. | |
Die Kostenentscheidung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
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Der Entscheidung der Senatsmehrheit stimme ich nicht zu. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Eine verfassungsrechtliche Pflicht zur analogen Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, mit denen die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte auf das einfache Recht durchgesetzt wird, besteht nicht.
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1. Die Senatsmehrheit hält zunächst eine analoge Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG auf Entscheidungen für notwendig, die auf der vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Auslegung einer Norm beruhen. § 79 Abs. 2 BVerfGG enthalte insoweit eine Regelungslücke, die sich aus einem Vergleich mit § 79 Abs. 1 BVerfGG ergebe. Diese müsse durch eine Analogie geschlossen werden, damit das Grundsatz-Ausnahmeverhältnis von Absatz 2 zu Absatz 1 weiter gewahrt bleibe. ![]() | |
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Die Senatsmehrheit bleibt ein positives Argument für die Lückenhaftigkeit des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG schuldig. Sie belässt es zunächst bei der negativen Feststellung, dass sich ein Grund für die "Beschränkung" des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG aus den Gesetzesmaterialien nicht ergebe und auch sonst nicht ersichtlich sei. Sodann wird ausgeführt, der Gesetzgeber habe nicht bemerkt, dass die Erweiterung des § 79 Abs. 1 BVerfGG auch eine Ergänzung des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG erforderlich mache und er andernfalls die Ergänzung selbst vorgenommen hätte. Die Annahme einer Gesetzeslücke bedarf jedoch einer positiven Begründung. Denn als Gesetzesergänzung durch die Rechtsprechung ist die analoge Anwendung einer Rechtsnorm nur unter engen Voraussetzungen möglich. Eine Analogie setzt voraus, dass eine vom Gesetzgeber unbeabsichtigt gelassene Lücke vorliegt und diese Planwidrigkeit aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden kann, andernfalls sonst jedes Schweigen des Gesetzgebers -- und das ist der Normalfall, wenn er etwas nicht regeln will -- als planwidrige Lücke im Wege der Analogie von den Gerichten ausgefüllt werden könnte (vgl. Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Auflage 1983, S. 51). Dem wird die Senatsmehrheit nicht gerecht.
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Entgegen der Auffassung der Senatsmehrheit ist die durch das Bundesverfassungsgericht in früheren Entscheidungen befürwortete analoge Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG auf Entscheidungen, die auf einer nur für unvereinbar erklärten Norm beruhen, für die Begründung einer analogen Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG auf Entscheidungen, die auf einer für verfassungswidrig erklärten Auslegung einer Norm beruhen, ohne Bedeutung. Bei der Unvereinbarkeitserklärung handelt es sich um eine eingeschränkte Nichtigerklärung, die in Fällen erfolgt, in denen die ![]() ![]() | |
Die Meinung der Senatsmehrheit, es sei geradezu ungereimt, nur die rechtskräftigen Entscheidungen, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, nach § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG unberührt zu lassen und lediglich den Vollstreckungsverboten gemäß § 79 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVerfGG zu unterstellen, die anderen in § 79 Abs. 1 BVerfGG neuer Fassung als rechtsähnlich angesehenen Fälle der Unvereinbarerklärung und der verfassungswidrigen Auslegung dagegen schon vom Bestandsschutz des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG auszunehmen, bleibt ohne Rechtfertigung und ohne Bezug zur Gesamtrechtsordnung. Sie berücksichtigt insbesondere nicht, dass die Bestimmung des § 79 Abs. 1 BVerfGG eine Ausnahme nur für den besonders gelagerten Fall der Korrektur rechtskräftiger strafrechtlicher Verurteilungen regelt. Wegen der Sensibilität der Materie und der einschneidenden Wirkung des staatlichen Eingriffs für den Betroffenen sind die Voraussetzungen für die ausnahmsweise angeordnete Durchbrechung der Rechtskraft (Wiederaufnahme) in diesen Fällen weit gefasst. Mit der Wertung einer Rechtslage als ungereimt in Bezug auf § 79 Abs. 2 BVerfGG bringt die Senatsmehrheit ledig ![]() ![]() | |
b) Neben der Darlegung einer planwidrigen Gesetzeslücke -- an der es hier, wie ausgeführt, mangelt -- erfordert die analoge Anwendung der für einen Tatbestand im Gesetz gegebenen Regel auf einen vom Gesetz nicht geregelten Tatbestand die Begründung, dass beide Tatbestände infolge ihrer Ähnlichkeit in den für die gesetzliche Bewertung maßgebenden Hinsichten gleich zu bewerten sind (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage, 1991, S. 381).
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Auch insoweit überzeugen die Ausführungen der Senatsmehrheit nicht. Sie stützt sich ausschließlich auf die Überlegung, dass die als verfassungswidrig erkannte Auslegungsvariante wie die nichtige Norm im Fall der Nichtigerklärung von der weiteren Rechtsanwendung ausgeschlossen sei. Diese Folgen entsprächen einander so sehr, dass es verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden könne, beide Fälle unterschiedlich zu behandeln.
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Durch den untechnischen Begriff des "Ausschlusses von der weiteren Rechtsanwendung" werden die fundamentalen Unterschiede zwischen der Nichtigerklärung eines Gesetzes und dem Ergebnis der verfassungsrechtlichen Prüfung einer einfach-rechtlichen Gesetzesauslegung verwischt. Bei der Nichtigerklärung wird die Geltung eines Gesetzes aufgehoben; bei der Feststellung, dass eine bestimmte Gesetzesauslegung verfassungswidrig ist, bleibt das Gesetz gerade in Kraft. Hinsichtlich förmlicher und nachkonstitutioneller Gesetze des Bundes und der Länder kann die Nichtigerklärung ausschließlich durch das Bundesverfassungsgericht oder die Verfas ![]() ![]() | |
Diese Unterscheidung zwischen den Rechtsfolgen der Nichtigerklärung eines Gesetzes in § 79 Abs. 2 BVerfGG und den Rechtsfolgen einer sonstigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, für die das Bundesverfassungsgerichtsgesetz keine speziellen Rege ![]() ![]() | |
Der Gesetzgeber könnte diese Rechtsfolgen in anderer Weise ausgestalten. Für die de lege lata getroffene Differenzierung zwischen den Rechtsfolgen der Nichtigerklärung in § 79 Abs. 2 BVerfGG und den Rechtsfolgen sonstiger Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts besteht jedoch aufgrund der dargelegten Unterschiede ein hinreichender sachlicher Grund, der die Annahme eines Gleichheitsverstoßes ausschließt. Die Senatsmehrheit kann sich deshalb auch nicht darauf berufen, dass die von ihr befürwortete Analogie zur Vermeidung von Widersprüchen zwischen § 79 Abs. 1 und Abs. 2 BVerfGG erforderlich sei.
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2. Die Senatsmehrheit nimmt dann eine weitere, doppelte Analogie vor. Die analoge Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die eine verfassungskonforme Auslegung enthalten, soll wiederum analog erstreckt werden auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, welche die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte auf das einfache Recht durchsetzen.
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Um die Feststellung einer planwidrigen Regelungslücke bemüht sich die Senatsmehrheit hier nicht mehr. Die Vergleichbarkeit beider Tatbestände wird erneut darin gesehen, dass die Zivilgerichte (gemeint ist sicherlich die gesamte Fachgerichtsbarkeit, da Grundrechte nicht nur in das Zivilrecht ausstrahlen) bei ihrer künftigen Rechtsprechung an beide Typen verfassungsgerichtlicher Entscheidungen in gleicher Weise gebunden seien.
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Auch hier wird die Analogie also nur mit der Möglichkeit begründet, aus verfassungsgerichtlichen Einzelfallentscheidungen -- wie aus jeder Gerichtsentscheidung -- allgemeine Rechtssätze zu abstra ![]() ![]() | |
Die Unterschiede zwischen einer verfassungskonformen Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht und Entscheidungen, in denen die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte maßgeblich ist, werden dabei durch die Senatsmehrheit ausgeblendet. Bei der verfassungskonformen Auslegung wird eine klar umrissene Auslegungsvariante mit dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit versehen. Es handelt sich um eine negative Entscheidung, ein Verbot, eine bestimmte Auslegung zu vertreten. Die verfassungskonforme Auslegung bezieht sich auf eine einfach-rechtliche Rechtsnorm, die insoweit einen Mangel aufweist, als sie für eine Auslegungsvariante offen ist, die dem Grundgesetz widerspricht.
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Entscheidungen des Verfassungsgerichts, die eine Verkennung der Ausstrahlungswirkung von Grundrechten durch die Fachgerichte konstatieren, wirken demgegenüber positiv: Sie verpflichten die Fachgerichte, bei der Anwendung einfachen Rechts, also der Subsumtion des Sachverhalts unter dem Tatbestand der Norm, unmittelbar aus dem Grundgesetz abgeleitete Direktiven zusätzlich zu berücksichtigen, die aufgrund des Charakters des Grundgesetzes als Rahmenordnung notwendigerweise weit und konkretisierungsbedürftig bleiben müssen. Verkennt ein Gericht die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte bei der Anwendung des Rechts, liegt kein verfassungsrechtlicher Mangel eines Gesetzes vor. So hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Bürgschaftsentscheidung (vgl. BVerfGE 89, 214 [231 ff.]) die Verfassungsmäßigkeit des § 138 BGB nicht in Zweifel gezogen. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr als fehlerhaft beanstandet, dass verfassungsrechtliche Vorgaben, die den einfach-rechtlichen Rechtsanwendungsvorgang anreichern, außer Acht gelassen worden waren. ![]() | |
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3. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Bürgschaftsentscheidung nicht etwa -- wie die Senatsmehrheit meint -- den §§ 138, 242 BGB mit Bezug auf Bürgschaftsverträge reproduzierbare Konturen gegeben. Das Gericht hat sich vielmehr darauf beschränkt, die Zivilgerichte an ihre Pflicht zu erinnern, bei der Auslegung und Anwendung der Generalklauseln darauf zu achten, dass Verträge nicht als Mittel der Fremdbestimmung dienen. Sei der Inhalt eines Vertrags als Interessenausgleich offensichtlich unangemessen, müssten sie -- so wörtlich -- "vielmehr klären, ob die Regelung eine Folge strukturell ungleicher Verhandlungsstärke sei" (Aufforderung zur Sachverhaltsermittlung) "und gegebenenfalls im Rahmen der Generalklauseln des geltenden Zivilrechts korrigierend eingreifen". Ein Verstoß gegen die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie komme in Betracht, wenn das Problem gestörter Vertragsparität gar nicht gesehen oder seine Lösung mit untauglichen Mitteln versucht werde. Ausdrücklich wird den Zivilgerichten bei der Entscheidung, "wie sie dabei im Einzelnen zu verfahren" hätten und "zu welchem Ergebnis sie gelangen" müssten, ein "weiter Spielraum" zugestanden (vgl.BVerfGE 89, 214 [234]). Das Bundesverfassungsgericht hat also nur Minimalstandards für die Berücksichtigung der Ausstrahlungswirkung gesetzt und damit einen Anstoß zu einer näheren, verfassungsrechtlich nicht im Einzelnen vorgezeichneten Konkretisierung durch die Rechtsprechung gegeben. Die von der Senatsmehrheit aufgezählten Gesichtspunkte betreffen den konkreten Einzelfall und stellen nur allgemeine Topoi dar, die eine strukturell ungleiche Verhandlungsstärke indizieren können. Die Bildung normgleich typisierbarer Fallgruppen ist dann erst durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geleistet worden.
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Daraus, dass das gegen die Beschwerdeführerin ergangene Ver ![]() ![]() | |
Die Beschwerdeführerin kann sich nach allem nicht nach § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG i.V.m. § 767 ZPO gegen die Vollstreckung des seinerzeit von ihr akzeptierten Versäumnisurteils wegen einer nachträglichen Rechtsprechung zur Inhaltskontrolle von Verträgen nach §§ 242, 138 BGB, die einen der beiden Vertragspartner ungewöhnlich stark belasten und das Ergebnis strukturell ungleicher Verhandlungsstärke sind, wehren. Die angegriffene Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
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