Beschluß | |
des Ersten Senats vom 24. September 1965 gemäß § 24 BVerfGG
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-- 1 BvR 228/65 -- | |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerden 1. des Dr. Richard L... 2. des Prof. Dr. W.M... - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt... - gegen § 43 Absatz 1 Ziffer 6 Satz 1 und 2 und § 49 Absatz 1 Ziffer 5 Satz 1 Buchstabe b des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und des Kapitalverkehrsteuergesetzes vom 25. März 1965 (BGBl. I S. 147).
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Entscheidungsformel:
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Die Verfassungsbeschwerden werden verworfen.
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Gründe: | |
A. -- I. | |
Natürliche Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind mit ihren inländischen Einkünften im Sinne des § 49 EStG beschränkt einkommensteuerpflichtig (§ 1 Abs. 2 EStG). Von der beschränkten Einkommensteuerpflicht ausgenommen waren seit der Verordnung über die Aufhebung des Steuerabzugs vom Kapitalertrag und der beschränkten Steuerpflicht bei festverzinslichen Wertpapieren vom 16. Oktober 1930 (RGBl. I S. 464) Zinsen aus Anleihen und Forderungen, die in ein öffentliches Schuldbuch eingetragen oder über die Teilschuldverschreibungen ausgegeben sind (§ 49 Abs. 1 Ziff. 5 Satz 2 EStG in der vor dem 28. März 1965 geltenden Fassung); sie wurden bei beschränkt Steuerpflichtigen als Einkünfte aus Kapitalvermögen weder im Weg der Veranlagung erfaßt noch unterlagen sie einem Kapitalertragsteuerabzug. Das Gesetz zur Ergänzung und Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und des Kapitalverkehrsteuergesetzes ![]() ![]() | |
§ 49 Abs. 1:
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Inländische Einkünfte im Sinne der beschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 2) sind... 1.-4... 5. Einkünfte aus Kapitelvermögen im Sinn des § 20 Abs. 1 Ziff. 1 und 2, wenn der Schuldner Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland hat, und Einkünfte im Sinn des § 20 Abs. 1 Ziff. 3 und 4, wenn a)... b) das Kapitalvermögen in Anleihen und Forderungen besteht, die in ein öffentliches Schuldbuch eingetragen oder über die Teilschuldverschreibungen ausgegeben sind und der Schuldner Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland hat... | |
§ 43 Abs. 1:
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Bei den folgenden inländischen Kapitalerträgen wird die Einkommensteuer durch Abzug vom Kapitalertrag (Kapitalertragsteuer) erhoben: 1.-5... 6. Zinsen aus Anleihen und Forderungen, die in ein öffentliches Schuldbuch eingetragen oder über die Teilschuldverschreibungen ausgegeben sind, wenn der Gläubiger der Kapitalerträge (Gläubiger) im Zeitpunkt der Fälligkeit der Kapitalerträge a) Inhaber der Teilschuldverschreibung oder der Forderung ist und im Inland weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder b)... | |
Die Kapitalertragsteuer ist nach dem neu eingefügten § 45 EStG in Höhe von 25 vom Hundert der Kapitalerträge von der die Kapitalerträge auszahlenden Stelle für den Steuerschuldner einzubehalten und an das zuständige Finanzamt abzuführen. ![]() | |
II.
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Der in Frankreich wohnhafte Beschwerdeführer zu 1) ist Inhaber von 6%igen Obligationen Deutsche Bundespost, Anleihe von 1963, im Nennwert von 5000 DM. Dem in Spanien ansässigen Beschwerdeführer zu 2) gehören 25 000 DM 6%ige Obligationen Deutsche Bundesbahn, Anleihe 1963. Mit den Verfassungsbeschwerden beantragen sie,
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das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und des Kapitalverkehrsteuergesetzes vom 25. März 1965 insoweit für nichtig zu erklären, als es die bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits ausgegebenen Anleihen (Altemissionen), mindestens aber diejenigen, die sich in diesem Zeitpunkt im Besitz gebietsfremder Gläubiger befunden haben (Altbesitz), in die Kapitalertragsteuer einbezieht.
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Zur Begründung ihrer Verfassungsbeschwerden führen die Beschwerdeführer übereinstimmend aus: Das Kuponsteuergesetz verletze die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Handlungsfreiheit, da es gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstoße. Es lasse das schutzwürdige Vertrauen auf den Fortbestand der seit dem Jahre 1930 bestehenden steuerlichen Privilegierung gebietsfremder Anleihegläubiger außer acht und wirke durch die Einbeziehung der Zinsen aus alten Anleihen auf bereits erlangte Rechtspositionen wertmindernd ein. Die darin zu erblickende sog. unechte Rückwirkung verstoße hier in besonderem Maße gegen den Vertrauensgrundsatz, da bei Anleihen der öffentlichen Hand, um die es sich vorwiegend handele, der Staat als Anleiheschuldner an seine Zinszusage gebunden sei und nicht durch Steuergesetze mittelbar eine 25%ige Zinssenkung herbeiführen dürfe. Mindestens verstoße die Besteuerung des Altbesitzes gegen ![]() ![]() | |
Das Gesetz verstoße in dem angefochtenen Umfang auch gegen Art. 3 Abs. 1 und 3 GG. Mit der Kapitalertragsteuer würden nur die ausländischen Gläubiger der Kapitalerträge belastet. Der Schutz durch Doppelbesteuerungsabkommen sei unzureichend, da solche Abkommen nicht mit allen Staaten bestünden und die Höhe der danach zu erstattenden Steuerabzüge auch nicht einheitlich sei. Die bei Inländern von Kapitalerträgen erhobene Einkommensteuer sei mit der Kapitalertragsteuer weder ihrem Wesen noch ihrer Höhe nach vergleichbar. Der allgemeine Gleichheitssatz sei auch dadurch verletzt, daß der Gesetzgeber bei gebietsfremden Gläubigern den Altbesitz steuerlich dem Neubesitz gleichgestellt habe; insoweit lägen völlig unvergleichbare Sachverhalte vor, da der vom Gesetz verfolgte Zweck überhaupt nur durch Besteuerung des Neubesitzes erreicht werden könne. Durch die Anknüpfung an den ausländischen Wohnsitz des Gläubigers verstoße das Kuponsteuergesetz schließlich gegen das Verbot der Benachteiligung wegen der "Heimat".
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Das Kuponsteuergesetz verletze ferner Art. 14 Abs. 1 und 3 GG. Die Einführung der Kapitalertragsteuerpflicht für bisher steuerfreie Wertpapiere verändere das Wesen dieser Wertpapiere und greife in die Substanz dieser Vermögensgegenstände ein. Einem beschränkten Personenkreis habe dieses Sonderopfer nur gegen Zuerkennung einer Entschädigung auferlegt werden dürfen.
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Die Verfassungsbeschwerden sind nicht begründet. § 49 Abs. 1 Ziff. 5 Satz 1 Buchst. b) und § 43 Abs. 1 Ziff. 6 Satz 1 und 2 EStG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und ![]() ![]() | |
1. a) Das Gesetz verstößt weder durch die Beschränkung der Steuerpflicht auf nicht im Inland ansässige Gläubiger der Kapitalerträge noch durch die Gleichbehandlung der Alt- und Neuemissionen und des Alt- und Neubesitzes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz.
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Die durch Neufassung des § 49 Abs. 1 Ziff. 5 EStG erfolgte Einbeziehung der Zinsen aus festverzinslichen Wertpapieren in die beschränkte Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 2 EStG) beseitigt eine bis dahin bestehende Privilegierung natürlicher Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Diese Einkünfte beschränkt Steuerpflichtiger waren seit der Verordnung über die Aufhebung des Steuerabzugs vom Kapitalertrag und der beschränkten Steuerpflicht bei festverzinslichen Wertpapieren vom 16. Oktober 1930 (RGBl. I S. 464) von der Einkommensbesteuerung ausgenommen (§ 49 Abs. 1 Ziff. 5 Satz 2 EStG a.F.). Das Kuponsteuergesetz schließt diese zugunsten beschränkt Steuerpflichtiger seitdem bestehende Besteuerungslücke (vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs des Kuponsteuergesetzes, BT-Drucks. IV/2345 S. 5).
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Hierbei weichen allerdings die Art der Steuererhebung und die Höhe der Steuerbelastung von der Besteuerung unbeschränkt einkommensteuerpflichtiger Personen ab. Die Kuponsteuer wird durch direkten Abzug vom Kapitalertrag an der Quelle (Kapitalertragsteuer) erhoben; sie beträgt in den Fällen des § 43 Abs. 1 Ziff. 6 EStG regelmäßig 25 vom Hundert der Kapitalerträge (§ 45 Abs. 1 EStG). Demgegenüber werden unbeschränkt steuerpflichtige Personen mit diesen Zinserträgen zur Einkommensteuer veranlagt, wobei die Steuerbelastung durch die persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen und die daran anknüpfenden Steuerbegünstigungsvorschriften maßgeblich beeinflußt wird. Diese verschiedene steuerliche Behandlung der Kapitalerträge be ![]() ![]() | |
b) Die Gleichbehandlung der vor und nach Inkrafttreten des Kuponsteuergesetzes ausgegebenen Anleihen und die Nichtunterscheidung zwischen Altbesitz und Neubesitz verstoßen ebenfalls nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Nur wenn die Verschiedenheit der durch den Gesetzgeber gleichgeregelten Fälle so ![]() ![]() ![]() ![]() | |
2. Soweit das Kuponsteuergesetz auf den Wohnsitz der Gläubiger der Zinserträge abstellt, liegt darin auch keine Verletzung des Art. 3 Abs. 3 GG. Die Auferlegung einer 25%igen Kapitalertragsteuer benachteiligt bei einer Gesamtbetrachtung der für beschränkt Einkommensteuerpflichtige geltenden Vorschriften den im Ausland ansässigen Gläubiger der Zinserträge im Verhältnis zum inländischen Gläubiger nicht, sondern stellt ihn unter gebotener Berücksichtigung der sich aus der Verschiedenartigkeit der Steuertatbestände ergebenden Besonderheiten diesem gleich. Zudem werden diese Auslandsgläubiger nicht wegen ihrer Heimat anders behandelt. Anknüpfungspunkt für die verschiedenartige Behandlung ist der besondere volkswirtschaftliche Tatbestand, der dadurch gekennzeichnet ist, daß beim Nebeneinanderbestehen verschiedener nationaler Wirtschaften der Besitz von inländischen Wertpapieren durch Ausländer eine andere wirtschaftliche Bedeutung hat als der Besitz durch Inländer. Die Heimat bildet somit nicht als solche das die Regelung motivierende Element (v. Mangold-Klein, Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Art. 3 V 3 c S. 212).
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3. Auch der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit ist nicht verletzt. Die hieran zu messende Rüge der Beschwerdeführer, die Besteuerung der Altemissionen und des Altbesitzes sei für den vom Ge ![]() ![]() | |
Das Kuponsteuergesetz verstößt auch nicht aus dem besonderen Blickpunkt des Vertrauensschutzes gegen das Rechtsstaatsprinzip. Die Kapitalertragsteuer erfaßt erstmals die drei Monate nach ihrer Einführung anfallenden Zinsen. Eine nachträgliche Änderung abgewickelter, der Vergangenheit angehörender Tatbestände -- sog. echte Rückwirkung -- liegt daher nicht vor. Die Einbeziehung des Altbesitzes in die Besteuerung knüpft allerdings an den zurückliegenden Tatbestand der Zeichnung der Anleihe für die Zukunft ungünstigere steuerliche Folgen als diejenigen, auf welche sich die beschränkt Steuerpflichtigen damals eingerichtet haben mögen. Ob hierin ein Fall sog. unechter Rückwirkung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 13, 274 [278]; 13, 279 [283]; 14, 288 [297 ff.]; 18, 135 [143 ff.]) gesehen werden kann, bedarf nicht der Entscheidung. Ein Vertrauensschutz kommt jedenfalls dort nicht in Frage, wo das Vertrauen sachlich nicht gerechtfertigt ist (vgl. BVerfGE 13, 261 [271 ff.]; 18, 135 [144]). Vor allem bei steuerlichen Vergünstigungen, die auf währungs- und konjunkturpolitischen Erwägungen des Gesetzgebers beruhen, kann der Bürger oder der sich am Rechtsverkehr im Inland beteiligende ausländische Kapitalanleger nicht darauf vertrauen, daß dieser Zustand immer und uneingeschränkt auch für die Zukunft aufrechterhalten werde (BVerfGE 18, 135 [144]). Die Beseitigung der beschränkten Steuerpflicht für Zinsen aus festverzinslichen Wertpapieren im Jahre 1930 verfolgte in der damaligen Wirtschaftskrise den Zweck, den Kapitalexport zu hemmen und den Kapitalimport zu fördern. Das Vertrauen, der Gesetzgeber werde die aus konjunktur- und währungspolitischen Erwägungen gewährte Steuerfreiheit auch bei einer Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse beibehalten, ist nicht gerechtfertigt. Auch die lange Dauer der steuerlichen Begünstigung vermag unter diesen Umständen die Erwartung nicht zu begründen, daß die Steuerfreiheit unbeeinflußt von der jewei ![]() ![]() | |
4. Auch Art. 14 Abs. 1 und 3 GG sind nicht verletzt. Der Einwand der Beschwerdeführer, das Kuponsteuergesetz habe den rechtlichen Charakter der Wertpapiere verändert und sie in ihrer Substanz erfaßt, greift nicht durch. Eine Besteuerung der Erträge tastet das Wertpapier in seinem rechtlichen Bestand grundsätzlich nicht an.
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Das Kuponsteuergesetz ist allein unter dem Gesichtspunkt der Auferlegung von Geldleistungen an Art. 14 GG zu messen. Diese lassen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Eigentumsgarantie grundsätzlich unberührt (vgl. ![]() ![]() ![]() |