Beschluss | |
des Zweiten Senats vom 28. Juni 2022
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– 2 BvL 9, 10, 13 und 14/14 – | |
in den Verfahren zu der verfassungsrechtlichen Prüfung, ob § 62 Absatz 2 Einkommensteuergesetz in der für den Streitfall geltenden Fassung verfassungswidrig ist, – Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 19. August 2013 – 7 K 9/10 – (2 BvL 9/14), – Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 19. August 2013 – 7 K 111/13 – (2 BvL 10/14),– Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 21. August 2013 – 7 K 114/13 – (2 BvL 13/14); – Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 21. August 2013 – 7 K 116/13 – (2 BvL 14/14).
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1. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
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2. § 62 Absatz 2 Nummer 3 Buchstabe b des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 (Bundesgesetzblatt I Seite 2915) ist mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.
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3. Die weitergehenden Vorlagen sind unzulässig.
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Gründe: | |
A. | |
Die Vorlagen betreffen die Frage, ob die Beschränkung der Kindergeldberechtigung nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer durch § 62 Abs. 2 EStG in der Fassung des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 (BGBl I S. 2915, im Folgenden: EStG 2006) verfassungsgemäß ist.
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I.
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1. Zur Erleichterung der wirtschaftlichen Belastungen, die mit dem Unterhalt und der Betreuung von Kindern verbunden sind, erhielten Bezugsberechtigte von 1964 bis zum Ende des Jahres 1974 kumulativ Kindergeld und einkommensteuerliche Kinderfreibeträge (duales System des Familienlastenausgleichs). Nachdem im anschließenden Zeitraum bis 1982 unter Wegfall der Steuerfreibeträge lediglich ein einkommensunabhängiges Kindergeld gezahlt worden war, kehrte der Gesetzgeber ab 1983 zum Nebeneinander von Kindergeld und Kinderfreibeträgen zurück. Dabei konnte es allerdings in Abhängigkeit vom Jahreseinkommen der Bezugsberechtigten zu einer Kürzung des Kindergelds auf Sockelbeträge ab dem zweiten Kind kommen. Dies erklärte das Bundesverfassungsgericht 1990 für mit dem Grundgesetz unvereinbar, weil die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums sämtlicher Familienmitglieder, denen der Steuerschuldner unterhaltsverpflichtet war, in diesem System nicht sichergestellt war (BVerfGE 82, 60; 82, 198). Durch eine weitere Entscheidung verpflichtete es 1992 den Gesetzgeber, spätestens mit Wirkung zum 1. Januar 1996 eine Neuregelung zu treffen (BVerfGE 87, 153).
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2. Seit Inkrafttreten dieser Neuregelung (Art. 1 des Jahressteuergesetzes 1996 vom 11. Oktober 1995, BGBl I S. 1250) wird die steuerliche Freistellung des Existenzminimums von Kindern im Rahmen des Familienleistungsausgleichs entweder durch das monatlich gezahlte Kindergeld (§§ 62 ff. EStG) oder durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG sichergestellt. Im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung ermittelt die Finanzbehörde, welche dieser beiden Alternativen für den Steuerschuldner jeweils vorteilhafter ist (Günstigerprüfung). Soweit das Kindergeld für die steuerliche Freistellung des Existenzminimums nicht erforderlich ist, verbleibt es dennoch beim Steuerschuldner und dient nach § 31 Satz 2 EStG der Förderung der Familie. Die Höhe des Förderanteils hängt vom Einkommen der Kindergeldberechtigten ab. Oberhalb eines bestimmten Einkommens entfällt er vollständig, weil sich der Freibetrag in vollem Umfang steuermindernd auswirkt. In diesem Fall wird das während des laufenden Jahres ausgezahlte Kindergeld der geschuldeten Einkommensteuer wieder hinzugerechnet (vgl. Rechenbeispiele bei Mutschler, in: Kirchhof/Kulosa/Ratschow, BeckOK EStG, § 31 Rn. 115 ff. [März 2022]). Je geringer hingegen das zu versteuernde Einkommen der Kindergeldberechtigten ist, desto weniger vermag der Kinderfreibetrag steuerliche Wirksamkeit zu entfalten, so dass die gewünschte Unterstützung der Betroffenen durch den Förderanteil des Kindergeldes bewirkt wird. Damit erfüllt das Kindergeld mit der steuerlich gebotenen Verschonung des Existenzminimums und gegebenenfalls mit der Förderung der Familie eine doppelte Funktion (vgl. BVerfGE 112, 164 [174 f.]). Anspruchsberechtigt ist grundsätzlich nicht das Kind, sondern ein Eltern-, Pflegeeltern- oder Großelternteil (vgl. § 64 Abs. 1 und 2 EStG).
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3. Bis Ende 1989 wurde das Kindergeld gleichermaßen an deutsche und ausländische Familien gezahlt; der Anspruch war allein davon abhängig, dass die Bezugsberechtigten ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatten. Ab 1990 machte der Gesetzgeber den Kindergeldanspruch von Ausländern ohne Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis nach dem damals geltenden Ausländergesetz von einer einjährigen Wartefrist und einer günstigen Aufenthaltsprognose abhängig (§ 1 Abs. 3 Bundeskindergeldgesetz in der Fassung des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes vom 30. Juni 1989, BGBl I S. 1294). Den diese Regelung fortführenden und die Kindergeldberechtigung weiter einschränkenden § 1 Abs. 3 Bundeskindergeldgesetz in der Fassung des Art. 5 Nr. 1 des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I S. 2353, im Folgenden: BKGG 1993) erklärte das Bundesverfassungsgericht ebenso wie die entsprechende Vorschrift in § 1 Abs. 1a des Bundeserziehungsgeldgesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms vom 23. Juni 1993 (BGBl I S. 944, im Folgenden: BErzGG 1993) mit Beschlüssen vom 6. Juli 2004 (BVerfGE 111, 160; 111, 176) für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Die Normen seien nicht geeignet, das gesetzgeberische Ziel zu erreichen, Kinder- und Erziehungsgeld nur denjenigen Ausländern zu gewähren, von denen zu erwarten sei, dass sie auf Dauer in Deutschland blieben. Die Gründe für die Erteilung des betroffenen Aufenthaltstitels, der zum Anspruchsausschluss führte, seien typischerweise gerade nicht nur vorübergehender Natur. Allein die formale Art des Aufenthaltstitels sei deshalb nicht als Grundlage einer Prognose über die Dauer des Aufenthalts geeignet. Zudem sei eine Personengruppe betroffen, die bereits in den deutschen Arbeitsmarkt integriert sei und schon deshalb eine bessere Aufenthaltsperspektive habe als Eltern, die ausschließlich von Sozialhilfe lebten. Dasselbe gelte für das Erziehungsgeld. Sein Zweck, Eltern die eigene Betreuung ihrer Kinder durch Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit zu ermöglichen, rechtfertige die Anknüpfung des Ausschlusses an solche Aufenthaltstitel nicht, bei denen es an einem Zusammenhang mit der Befugnis zur Erwerbsarbeit fehle (vgl. BVerfGE 111, 176 [185 f.]). Schließlich seien die Regelungen auch nicht geeignet, Zuwanderungsanreize für Ausländer abzubauen. Es sei weder belegt noch nachvollziehbar, dass Ansprüche auf Kindergeld für kinderreiche Ausländer Einfluss auf deren Zuwanderungsverhalten hätten (vgl. BVerfGE 111, 160 [175]).
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4. Auf diese Entscheidungen reagierte der Gesetzgeber mit einer Neuregelung des Anspruchs ausländischer Staatsangehöriger auf Kindergeld (vgl. BTDrucks 16/1368, S. 1). § 62 Abs. 2 EStG 2006 machte den Kindergeldbezug für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer ab dem 1. Januar 2006 von Voraussetzungen abhängig, die zusätzlich zu denjenigen aus § 62 Abs. 1 EStG 2006 vorliegen mussten:
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(1) Für Kinder im Sinne des § 63 hat Anspruch auf Kindergeld nach diesem Gesetz, wer 1. im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder 2. ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland a) nach § 1 Absatz 2 unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist oder b) nach § 1 Absatz 3 als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird. [...] (2) Ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer erhält Kindergeld nur, wenn er 1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt, 2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde a) nach § 16 oder § 17 des Aufenthaltsgesetzes erteilt, b) nach § 18 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes erteilt und die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit darf nach der Beschäftigungsverordnung nur für einen bestimmten Höchstzeitraum erteilt werden, c) nach § 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes wegen eines Krieges in seinem Heimatland oder nach den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt, oder 3. eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und a) sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und b) im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt. | |
Mit dieser Neuregelung verfolgte der Gesetzgeber unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Reform des Aufenthaltsrechts durch das Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern – Zuwanderungsgesetz vom 30. Juli 2004, BGBl I S. 1950 – weiterhin das Ziel, nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern nur bei voraussichtlich dauerhaftem Aufenthalt in Deutschland Kindergeld zu gewähren (vgl. BTDrucks 16/1368, S. 1). Daher haben nach § 62 Abs. 2 Nr. 1 EStG 2006 Ausländer, die eine Niederlassungserlaubnis besitzen, stets einen Anspruch auf Kindergeld, weil dieser Aufenthaltstitel unbefristet ist und regelmäßig zur Erwerbstätigkeit berechtigt (vgl. zur Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses von § 62 Abs. 2 Nr. 1 EStG 2006, § 9 Abs. 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet [im Folgenden: AufenthG] i.d.F. vom 22. November 2011, aktuell § 4a Abs. 1 AufenthG i.d.F. des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes vom 15. August 2019, BGBl I S. 1307). In diesem Fall geht der Gesetzgeber ohne weitere Voraussetzungen von einem voraussichtlich dauerhaften Aufenthalt in Deutschland aus (vgl. BTDrucks 16/1368, S. 8).
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Demgegenüber haben Ausländer, denen lediglich eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden ist, nur dann einen Anspruch auf Kindergeld, wenn weitere Voraussetzungen erfüllt sind. Der bloße Umstand, dass die Aufenthaltserlaubnis als befristeter Aufenthaltstitel (§ 7 Abs. 1 AufenthG) einer Verlängerung zugänglich ist (§ 8 AufenthG) und nach fünf Jahren in eine Niederlassungserlaubnis übergehen kann (vgl. § 9 Abs. 2 AufenthG), reicht nicht aus. Vielmehr verlangt das Gesetz für die Gewährung von Kindergeld die Erfüllung weiterer Merkmale, die einen voraussichtlich dauerhaften Aufenthalt plausibel erscheinen lassen. Ein solches Merkmal liegt nach der Vorstellung des Gesetzgebers stets vor, wenn die erteilte Aufenthaltserlaubnis eine Erwerbstätigkeit erlaubt oder erlaubt hat (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG 2006) und wenn es sich nicht um eine der in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstaben a und b EStG 2006 genannten Aufenthaltserlaubnisse handelt, bei deren Vorliegen der Gesetzgeber trotz der Erwerbsberechtigung von einem "erkennbar" begrenzten Aufenthalt in Deutschland ausgeht (vgl. BTDrucks 16/1368, S. 8).
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Eine für die Vorlageverfahren relevante Sonderstellung nehmen die in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c EStG 2006 aufgezählten Aufenthaltstitel ein. Erfasst sind insgesamt neun Aufenthaltserlaubnisse aus dem Fünften Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes ("Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen"). Anders als die in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstaben a und b EStG 2006 genannten Titel schließen sie den Kindergeldanspruch nicht zwingend, sondern nur im Regelfall aus. Inhaber dieser Aufenthaltserlaubnisse erhalten ausnahmsweise Kindergeld, wenn sie die zusätzlichen Voraussetzungen in § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG 2006 kumulativ erfüllen. Diese Voraussetzungen – Mindestaufenthalt von drei Jahren sowie Erwerbseinkommen oder Ersatzleistungen – stellen nach dem Willen des Gesetzgebers sicher, dass "eine gewisse Integration auch in das Erwerbsleben stattgefunden hat" (BTDrucks 16/1368, S. 10).
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5. Auf Vorlage des Bundessozialgerichts stellte das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 10. Juli 2012 (BVerfGE 132, 72) fest, dass die mit § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 wortgleichen Regelungen des Bundeserziehungsgeldgesetzes und des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (§ 1 Abs. 6 Nr. 3 Buchstabe b Bundeserziehungsgeldgesetzes i.d.F. vom 13. Dezember 2006 [BErzGG 2006] sowie § 1 Abs. 7 Nr. 3 Buchstabe b des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes in der Fassung vom 5. Dezember 2006 [BEEG]) gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verstoßen und nichtig sind. Zwar stelle es einen legitimen Zweck dar, Erziehungs- und Elterngeld nur denjenigen Eltern zu gewähren, die voraussichtlich dauerhaft in Deutschland bleiben werden, soweit der Gesetzgeber mit den Leistungen eine nachhaltige Bevölkerungsentwicklung fördern wolle (vgl. BVerfGE 132, 72 [83 Rn. 26]). Die vom Gesetzgeber gewählten Differenzierungskriterien bestimmten den Kreis der Leistungsberechtigten aber nicht in geeigneter Weise, weil sich die Aufenthaltsdauer der Betroffenen mittels der verwendeten Kriterien nicht zuverlässig prognostizieren lasse. Die in § 1 Abs. 6 Nr. 2 Buchstabe c BErzGG 2006 und § 1 Abs. 7 Nr. 2 Buchstabe c BEEG 2007 genannten Aufenthaltserlaubnisse seien jedenfalls keine hinreichenden Indizien für das Fehlen einer dauerhaften Aufenthaltsperspektive (vgl. BVerfGE 132, 72 [83 f. Rn. 27 ff.]). Auch die in § 1 Abs. 6 Nr. 3 Buchstabe b BErzGG 2006 und § 1 Abs. 7 Nr. 3 Buchstabe b BEEG genannten Voraussetzungen bildeten keine hinreichende Grundlage für eine Prognose über die zu erwartende Aufenthaltsdauer, da es bei ihnen ebenfalls an einem rechtlich relevanten Zusammenhang mit der Bleibedauer fehle (vgl. BVerfGE 132, 72 [85 ff. Rn. 30 ff.]).
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Im Übrigen benachteiligten die genannten Vorschriften Frauen, weil diese, anders als Männer, in den ersten acht Wochen nach der Geburt aufgrund der mutterschutzrechtlichen Vorschriften nicht erwerbstätig sein dürften und deshalb die Voraussetzungen von § 1 Abs. 6 Nr. 3 Buchstabe b BErzGG 2006 und von § 1 Abs. 7 Nr. 3 Buchstabe b des BEEG objektiv nicht erfüllen könnten. Nach dem Ende der Mutterschutzfrist setze sich die Diskriminierung fort, da eine Erwerbstätigkeit praktisch nur unter erschwerten Umständen möglich sei. Diese Ungleichbehandlung sei an Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG zu messen. Sie lasse sich schon deshalb nicht rechtfertigen, weil die Regelungen aus den bereits genannten Gründen nicht geeignet seien, die Fälle voraussichtlich langer Aufenthaltsdauer zu erfassen (vgl. BVerfGE 132, 72 [96 f. Rn. 54 ff.]).
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6. Der Bundesfinanzhof hält § 62 Abs. 2 EStG 2006 in ständiger Rechtsprechung für verfassungsgemäß. Zur Vorlage des Bundessozialgerichts zu den wortgleichen Regelungen in § 1 Abs. 6 BErzGG 2006 und § 1 Abs. 7 BEEG hat er ausgeführt, dass die dort vorgebrachten Bedenken auf das steuerrechtliche Kindergeld nicht übertragbar seien, weil dieses, anders als das Erziehungsgeld, auf Sozialleistungen angerechnet werde. Ausländer, die nicht in den Arbeitsmarkt integriert seien und deswegen gemäß § 62 Abs. 2 EStG 2006 keinen Anspruch auf Kindergeld hätten, erhielten stattdessen typischerweise Sozialleistungen, sodass ihnen kein finanzieller Nachteil durch die Verwehrung des Kindergeldes entstehe. Dass die Betroffenen ohne Kindergeld mehr Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssten, führe auch nicht dazu, dass sich ihre Chancen auf einen verbesserten Aufenthaltsstatus verringerten (vgl. BFH, Urteil vom 28. April 2010 – III R 1/08 –, BFHE 229, 262, juris, Rn. 11f.; Urteil vom 26. August 2010 – III R 47/09 –, BFHE 230, 563, juris, Rn. 10; Beschluss vom 28. November 2017 – III B 86/17 –, juris, Rn. 10).
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II.
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1. In den vier Ausgangsverfahren machen nicht freizügigkeitsberechtigte ausländische Eltern mit Wohnsitz im Inland Ansprüche auf Kindergeld geltend. Alle Anträge wurden für den jeweils noch rechtshängigen Zeitraum abgelehnt, weil zwar ein Aufenthaltstitel im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c EStG 2006 vorliege, die zusätzlichen Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG 2006 jedoch nicht erfüllt seien.
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a) Die Klägerin des Ausgangsverfahrens zur Vorlage 2 BvL 9/14 macht einen Anspruch auf Kindergeld für ihre beiden Kinder (geboren 1999 und 2004) für den Zeitraum seit April 2009 geltend. Sie ist russische Staatsangehörige, lebt seit 2002 in Deutschland und ist alleinerziehend. Nachdem ihr Asylantrag zunächst abgelehnt worden war, wurde im April 2009 ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festgestellt. Seit Juni 2009 besitzt sie eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG, die ihr eine Erwerbstätigkeit gestattet. Sie bezog seit 2002 Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, seit dem 1. August 2009 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II). Die Familienkasse lehnte den Antrag der Klägerin auf Kindergeld ab, weil diese zwar über einen zur Erwerbstätigkeit berechtigenden Aufenthaltstitel verfüge, aber nicht erwerbstätig im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 sei.
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b) Im Ausgangsverfahren zur Vorlage 2 BvL 10/14 macht die Klägerin einen Anspruch auf Kindergeld für ihre vier Kinder (geboren 1992, 1995, 1996 und 1998) für den Zeitraum von November 2000 bis Januar 2001 geltend. Sie ist vietnamesische Staatsangehörige und kam 1991 nach Deutschland. Sie verfügte während ihres Asylverfahrens über eine Aufenthaltsgestattung und war im Zeitraum von 1996 bis April 2002 im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis (§ 30 Abs. 3 AuslG). Seit 1998 hat sie eine unbeschränkte Arbeitsgenehmigung, seit April 2002 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Nach vorheriger Erwerbstätigkeit war die Klägerin ab Mai 2000 arbeitssuchend und bezog bis Oktober 2000 Arbeitslosengeld. In den hier streitgegenständlichen Monaten November 2000 bis Januar 2001 bezog sie Arbeitslosenhilfe nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Drittes Buch (III) – Arbeitsförderung – (SGB III). Seit Februar 2001 war sie wieder erwerbstätig. Ihren Antrag auf Kindergeld lehnte die Familienkasse für den streitgegenständlichen Zeitraum ab, weil die Klägerin lediglich eine Aufenthaltsbefugnis besitze und Ausnahmetatbestände zu ihren Gunsten nicht eingriffen. Arbeitslosenhilfe nach dem SGB III entspreche den nach dem SGB II gewährten Leistungen und erfülle deshalb nicht die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006.
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c) Der Kläger im Ausgangsverfahren zur Vorlage 2 BvL 13/14 beansprucht Kindergeld für fünf Kinder (geboren 1987, 1990, 1991, 1992 und 1995); streitgegenständlich sind die Monate Juni bis Dezember 2007. Er reiste 1996 als staatenloser Palästinenser aus dem Libanon nach Deutschland ein und besaß seit Dezember 2002 eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 4 AuslG beziehungsweise eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG, jeweils mit Arbeitserlaubnis. Er war mit kurzen Unterbrechungen erwerbstätig und bezog ergänzende Sozialleistungen. Von August 2006 bis Mai 2007 war er arbeitslos und erhielt Arbeitslosengeld, von Juni bis Dezember 2007 erhielt er Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sowie nach dem SGB II. Seit Januar 2008 war er wieder berufstätig. Im September 2010 wurde der Kläger eingebürgert. Seinen Antrag auf Kindergeld für den streitgegenständlichen Zeitraum lehnte die Familienkasse mit der Begründung ab, dass der Kläger nicht erwerbstätig im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 gewesen sei und auch keine Lohnersatzzahlungen bezogen habe, sondern lediglich Leistungen nach dem SGB II.
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d) Die Klägerin im Ausgangsverfahren zur Vorlage 2 BvL 14/14 ist iranische Staatsangehörige und lebt seit Februar 2001 in Deutschland. Sie betreute in ihrem Haushalt als Pflegekind das minderjährige Kind (geboren 1993) ihres geschiedenen Mannes aus einer anderen Beziehung, für das sie einen Anspruch auf Kindergeld für die Monate Mai bis Juli 2007 geltend macht. Nach Rücknahme ihres Asylantrags war sie seit August 2006 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG mit Gestattung der Erwerbstätigkeit; 2013 erhielt sie eine Niederlassungserlaubnis. Von Oktober 2006 bis April 2007 war sie voll erwerbstätig, danach – im streitgegenständlichen Zeitraum – für drei Monate arbeitslos. In diesem Zeitraum erhielt sie für sich selbst Leistungen nach dem SGB II und für ihr Pflegekind Leistungen nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs – Sozialhilfe – (SGB XII). Danach war sie wieder erwerbstätig. Ihr Antrag auf Kindergeld wurde für den streitgegenständlichen Zeitraum abgelehnt, weil sie nicht erwerbstätig im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 gewesen sei.
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2. Das Niedersächsische Finanzgericht hat die Verfahren mit Beschlüssen vom 19. und 21. August 2013 ausgesetzt und gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Prüfung vorgelegt, ob § 62 Abs. 2 EStG in der für den jeweiligen Streitfall maßgeblichen Fassung verfassungswidrig ist. Die Begründung der Vorlagebeschlüsse ist im Wesentlichen identisch.
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Die Vorlagen seien entscheidungserheblich. Die – zulässigen – Klagen seien abzuweisen, wenn § 62 Abs. 2 EStG 2006 verfassungsgemäß sei. Sei die Vorschrift verfassungswidrig, komme zumindest in Betracht, dass eine Neuregelung zu einem Anspruch auf Kindergeld führen könnte. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 62 Abs. 2 EStG 2006 sei nicht möglich, weil die gesetzliche Regelung eindeutig sei.
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Das Gericht sei davon überzeugt, dass der teilweise Ausschluss von Ausländern vom Anspruch auf Kindergeld beziehungsweise dessen Abhängigkeit von weiteren Voraussetzungen in § 62 Abs. 2 EStG 2006 verfassungswidrig sei, weil die Regelung in vielfacher Weise nicht folgerichtig sei, zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung führe und damit Art. 3 Abs. 1 GG verletze. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Erziehungs- und Elterngeld sei auf die Rechtslage zum Kindergeld übertragbar. Dabei müsse sich die Prüfung auf § 62 Abs. 2 EStG 2006 insgesamt, nicht nur auf § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c und Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 erstrecken. Denn die Grundentscheidung des Gesetzgebers, Kindergeld nur ausländischen Staatsangehörigen zu gewähren, die sich voraussichtlich auf Dauer in Deutschland aufhielten, sei in § 62 Abs. 2 EStG 2006 zur Gänze nicht folgerichtig umgesetzt worden.
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Es sei schon nicht in sich schlüssig, dass § 62 Abs. 2 EStG 2006 den Bezug von Kindergeld bei einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG anders behandle, wenn die Erlaubnis wegen eines Krieges im Heimatland erteilt worden sei, als wenn ein anderer Erteilungstatbestand des § 23 Abs. 1 AufenthG gegeben sei oder wenn eine Erlaubnis nach § 22 AufenthG bestehe. Dass diese unterschiedlich behandelten Fallgruppen sich hinsichtlich der jeweiligen Bleibeperspektive unterschieden, sei nicht erkennbar. Auch hänge die Berechtigung zur Erwerbstätigkeit nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG 2006 nicht mit der voraussichtlichen Dauer des Aufenthalts zusammen. Sie sei vielmehr gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG in der Fassung vom 30. Juli 2004 von der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit abhängig, die sich an den Erfordernissen des Wirtschaftsstandorts Deutschland und des Arbeitsmarktes orientiere.
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Durch den Ausschluss vom Kindergeld werde ein in den deutschen Arbeitsmarkt integrierter lohnsteuer- und sozialversicherungspflichtiger Betroffener benachteiligt, wenn er zu der vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss zum Bundeskindergeldgesetz 1993 angesprochenen Personengruppe gehöre, deren verminderte finanzielle Leistungsfähigkeit nicht berücksichtigt werde, weil sie nicht oder nicht in vollem Umfang von den steuerrechtlich vorgesehenen Kinderfreibeträgen profitiere, aber gleichzeitig nicht ausschließlich von Sozialhilfe lebe. Während bei einem Ausländer, der so viel verdiene, dass der Abzug der steuerlichen Kinderfreibeträge günstiger sei, die Verminderung seiner Leistungsfähigkeit durch seine Kinder unabhängig vom Aufenthaltsstatus vollständig berücksichtigt werde, komme es bei demjenigen, der weniger verdiene und dessen Familie damit eher förderungsbedürftig sei, darauf an, welchen Aufenthaltsstatus er besitze.
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Daneben sei Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verletzt. Die Anknüpfung von § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 an eine Berufstätigkeit, Elternzeit oder Leistungen nach dem SGB III benachteilige Frauen gegenüber Männern, weil Frauen diese Voraussetzungen schwerer erfüllen könnten. Insofern seien die Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts zu den wortgleichen Regelungen im Erziehungs- und Elterngeldrecht übertragbar. Ferner verletze § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c in Verbindung mit Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 das Schutzgebot des Art. 6 Abs. 4 GG.
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Das Argument, das fehlende Kindergeld werde bei den betroffenen Ausländern regelmäßig durch Sozialleistungen ersetzt, sei falsch. Soweit die Betroffenen Arbeitslosenhilfe nach dem SGB III bezögen, greife die Überlegung schon deswegen nicht, weil insofern gemäß § 194 Abs. 3 Nr. 9 SGB III das Kindergeld nicht als Einkommen gelte und daher gar kein Erstattungsanspruch bestehe. Im Übrigen handle es sich bei diesem Argument um einen Zirkelschluss, da der Erstattungsanspruch voraussetze, dass überhaupt ein Anspruch auf Kindergeld gegeben sei. Unabhängig davon beruhe die Annahme, dass Ausländer ohne Kindergeldanspruch stets Sozialleistungen bezögen, auf einer fehlerhaften Grundlage, weil sie die Möglichkeit von Einkünften aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung oder aus sonstigem Vermögen außer Acht lasse. Schließlich sei das Kindergeld nicht zwingend in jedem Fall in voller Höhe auf die Sozialleistungen anzurechnen. Aufgrund der vom Einkommen absetzbaren Beträge würde ein Anspruch auf Kindergeld zumindest die Chance eröffnen, existenzielle Risiken durch den Abschluss einer Versicherung auszuschließen. Auch sei der für volljährige Kinder steuerlich abzusetzende Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich nicht so gering, dass er wirtschaftlich zu vernachlässigen sei, insbesondere bei Familien, die nur Leistungen in Höhe ihres Existenzminimums erhielten. Schließlich sei die Sicherung des Lebensunterhalts nach den Regelungen des Aufenthaltsgesetzes unter anderem ein Kriterium dafür, ob ein Ausländer einen für ihn günstigeren Aufenthaltstitel oder eine unbefristete Niederlassungserlaubnis erlangen könne.
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III.
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Die Bundesregierung, der Deutsche Bundestag, der Bundesrat, alle Landesregierungen, der Präsident des Bundesfinanzhofs sowie die Bundesagentur für Arbeit, die Bundesarbeitsgemeinschaft freier Wohlfahrtsverbände, der Dachverband der Migrantinnenorganisationen e.V. und die Beteiligten der Ausgangsverfahren hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Geäußert haben sich der Präsident des Bundesfinanzhofs mit einer Stellungnahme des III. Senats, die Familienkasse Direktion der Bundesagentur für Arbeit für die in den Ausgangsverfahren beklagte Familienkasse Niedersachsen-Bremen sowie die Bundesregierung.
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1. Der III. Senat des Bundesfinanzhofs führt in seiner Stellungnahme aus, er habe seit 2007 entschieden, dass er § 62 Abs. 2 EStG 2006 für verfassungskonform halte. Er stütze seine Einschätzung auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu § 1 Abs. 3 BKGG 1993. Danach sei das Regelungsziel des Gesetzgebers, Kindergeld nur solchen Ausländern zu gewähren, von denen zu erwarten sei, dass sie auf Dauer in Deutschland blieben, verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden. Dies gelte auch für die vom Gesetzgeber eingeführten Kriterien, die eine verlässliche Grundlage für eine Prognose über die Aufenthaltsdauer böten. Auch der weitere Regelungszweck, Zuwanderungsanreize insbesondere für kinderreiche Ausländer abzubauen, sei nachvollziehbar; die Einschätzung, das Kindergeld habe keinen Einfluss auf das Zuwanderungsverhalten ausländischer Eltern, sei überholt.
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Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 2012 zum Elterngeld für Ausländer könne auf die verfassungsrechtliche Beurteilung des § 62 Abs. 2 EStG 2006 nicht übertragen werden. Denn das Kindergeld sei im Gegensatz zum Elterngeld keine Sozialleistung, die sich auf die Zeit unmittelbar nach der Geburt eines Kindes und damit auf einen Zeitraum beschränke, in dem die Arbeitsmarktintegration der Mutter ohnehin auf besondere Schwierigkeiten stoßen könne.
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2. Die Familienkasse Direktion hat Statistiken zu den Zahlbeträgen der Familienkassen der Bundesagentur für Arbeit und zu der Entwicklung bei den Kindergeldberechtigten für den Zeitraum von 1975 bis 2017 vorgelegt. Sie weist im Übrigen darauf hin, dass bei der Bundesagentur für Arbeit statistische Daten zur Aufenthaltsdauer von Drittstaatsangehörigen nicht erhoben würden und dass auch keine statistisch belegte Antwort auf die Frage möglich sei, ob die Ablehnung von Kindergeldanträgen gegenüber Angehörigen dieser Gruppe Mütter stärker als Väter betreffe.
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3. Die Bundesregierung hat Stellungnahmen zur Gesetzgebungskompetenz für das Kindergeldrecht sowie zur Verfassungsmäßigkeit des § 62 Abs. 2 EStG 2006 im Übrigen vorgelegt.
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a) Die Gesetzgebungskompetenz für das Kindergeld einschließlich des Förderanteils folge aus Art. 105 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 GG in der Fassung vom 28. August 2006. Das gelte zunächst, soweit das Kindergeld eine leistungsgerechte Besteuerung von Familien mit Kindern sicherstelle. Der Sache nach stelle es sich insoweit nicht als originäre staatliche Leistung dar, sondern als Instrument zur verfassungsrechtlich gebotenen Minderung der steuerlichen Belastung. Das betreffe auch die hier gegenständliche Regelung des § 62 Abs. 2 EStG 2006.
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Soweit das Kindergeld Förderfunktion habe, ergebe sich die Gesetzgebungszuständigkeit aus einer Kompetenz kraft Sachzusammenhangs. Die dafür vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Voraussetzungen lägen vor. Ausgangspunkt des dabei zugrunde zu legenden legislativen Konzepts sei die verfassungsrechtliche Verpflichtung zu einem einkommensteuerrechtlichen Familienleistungsausgleich. Gestalte der Gesetzgeber diesen naheliegend und sachgerecht durch Regelungen zu einer steuerlichen Entlastung in Form eines monatlich ausgezahlten Kindergeldes, sei ein Übergreifen in den Sachbereich des Förderkindergeldes unvermeidbar. Denn die Grenze zwischen dem zur steuerlichen Entlastung gezahlten Kindergeld und einer originär sozialstaatlichen Förderung könne – wie das Bundesverfassungsgericht entschieden habe – nicht abstrakt-generell gezogen werden, weil es für die Qualifikation der Zahlung auf alle steuerrelevanten Umstände des Einzelfalls und auch auf die Ausgestaltung des Steuerrechts im Übrigen ankomme. Eine von diesem Regelungszusammenhang isolierte, eigenständige und dennoch auf den einkommensteuerrechtlichen Familienleistungsausgleich abgestimmte Regelung des Förderkindergeldes sei, zumal auf Landesebene, nicht vorstellbar.
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Das Kindergeldrecht beruhe, soweit ihm Förderfunktion zukomme, auch auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG. Ähnlich wie das Betreuungsgeld diene es der typisierenden Deckung der finanziellen Belastung von Familien. Die zusätzlichen Voraussetzungen von Art. 72 Abs. 2 GG lägen vor. Eine bundeseinheitliche Regelung des Kindergeldes in seiner Förderfunktion sei zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet sowie zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich.
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b) Die Bundesregierung hält § 62 Abs. 2 EStG 2006 auch im Übrigen für verfassungsgemäß.
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Das Bundesverfassungsgericht habe schon mehrfach entschieden, dass es legitim sei, den Zugang zu Sozialleistungen für Drittstaatsangehörige davon abhängig zu machen, dass ein längerer beziehungsweise dauerhafter Aufenthalt in Deutschland zu erwarten sei. Die Einwanderungsgesetzgebung sei nach wie vor einer der Bereiche, in denen der nationalen Souveränität und der damit verbundenen politischen Gestaltungsfreiheit besondere Bedeutung beigemessen werde. Um von dieser völkerrechtlich anerkannten Gestaltungsfreiheit Gebrauch machen zu können, sollte es dem deutschen Gesetzgeber auch innerstaatlich möglich sein, die Aufenthaltstitel vor allem mit Blick auf den Zugang zu steuerfinanzierten Sozialleistungen oberhalb der Gewährung des Existenzminimums flexibel auszugestalten. Dabei gehöre es zu den seit langem etablierten Grundsätzen der deutschen Gesetzgebung, eine "Einwanderung in die Systeme der sozialen Sicherung" soweit wie möglich zu vermeiden. Die dabei allgemein zu berücksichtigenden Interessen habe der Bundesgesetzgeber in § 1 Abs. 1 AufenthG umschrieben.
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Klare Abstufungen habe der Gesetzgeber bei den humanitären Aufenthaltstiteln vorgenommen. Unterhalb der drei "starken" Statusformen (Asylberechtigte, anerkannte Flüchtlinge, subsidiär Schutzberechtigte) gebe es weitere humanitäre Aufenthaltsrechte, die hinsichtlich ihrer Geltungsdauer, der Voraussetzungen für einen Übergang in einen Daueraufenthalt sowie des Zugangs zu sozialen Fördermaßnahmen Abstufungen aufwiesen. Dabei sei zu beachten, dass im Bereich der humanitären Aufenthaltstitel die Steuerungsmöglichkeiten des Rechts besonders eng begrenzt seien, weil eine Aufenthaltsbeendigung sowohl von der Entwicklung in den Heimatstaaten als auch von der Mitwirkung der Betroffenen sowie des Heimatstaates abhängig sei. Eine tatsächliche Durchschnittsaufenthaltsdauer von mehr als drei Jahren widerlege nicht, dass eine normative Grundentscheidung für die kurze Aufenthaltsdauer getroffen worden sei. Sie stelle kein Indiz für eine lange Aufenthaltsdauer dar, schon weil die zur Verfügung stehenden Instrumente zur Aufenthaltsbeendigung in der behördlichen Praxis konsequent eingesetzt würden.
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Bei den in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a EStG 2006 genannten §§ 16 und 17 AufenthG sei durch das die Geltungsdauer des Aufenthaltstitels beendende Ausbildungsziel eine zeitliche Beschränkung vorgezeichnet. Ob anschließend ein anderer Aufenthaltstitel beantragt werde, sei für die gleichheitsrechtliche Beurteilung nicht von Bedeutung. Auch bei den in Buchstabe c in Bezug genommenen humanitären Aufenthaltstiteln nach § 23 Abs. 1, § 23a, § 24, § 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG habe der Gesetzgeber in § 26 Abs. 2 AufenthG zum Ausdruck gebracht, dass der Aufenthalt auf ein zeitliches Minimum beschränkt werden solle.
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Für die von § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG 2006 erfassten Sachverhalte, wie sie auch den Vorlageverfahren zugrunde lägen, sei schließlich charakteristisch, dass dort in vielen Fällen ohnehin eine Anrechnung des Kindergelds etwa auf die Leistungen nach dem SGB II oder XII erfolge und daher eine Kindergeldberechtigung keine finanziellen Vorteile mit sich brächte. Die Rechtsprechung zum Erziehungs- und Elterngeld sei auf das Kindergeld nicht zu übertragen: Während es beim Elterngeld darum gehe, Gestaltungsmöglichkeiten des Familienlebens in einem kürzeren Zeitraum zu eröffnen – wofür das Kriterium der Erwerbstätigkeit kaum relevant sei –, erweise sich mit Blick auf die intendierte Langzeitwirkung des Kindergeldes die Kombination der Dreijahresfrist mit dem Gesichtspunkt der Erwerbstätigkeit als folgerichtig. Diese Kombination von Aufenthaltsdauer und Erwerbstätigkeit verwende der Gesetzgeber auch an anderen Stellen.
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Ein Verstoß der vorgelegten Kindergeldregelungen gegen Art. 3 Abs. 3 GG lasse sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Bundeserziehungsgeldgesetz und Bundeselterngeld- und -elternzeitgesetz nicht ableiten. Bei beiden Gesetzen habe wegen des Bezugszeitraums ab dem Tag der Geburt und bis zum 24. beziehungsweise 14. Lebensmonat ein nachvollziehbarer Bezug der Regelungen zur Mutterschaft angenommen werden können. Das Kindergeld werde demgegenüber bis zum 18. oder 25. Lebensjahr gewährt. Das habe zur Folge, dass ein spezifischer Bezug zur Mutterschaft mit Blick auf den sehr langen Zeitraum nicht festgestellt werden könne. Zudem fehle ein Nachweis, dass durch § 62 Abs. 2 EStG 2006 überwiegend Frauen negativ betroffen seien.
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IV.
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Nach Einleitung des Vorlageverfahrens wurde § 62 Abs. 2 EStG durch das Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften vom 12. Dezember 2019 (BGBl I S. 2451) mit Wirkung zum 1. März 2020 geändert (im Folgenden: EStG 2019). Nach dem in die Vorschrift eingefügten § 62 Abs. 2 Nr. 4 EStG erhält ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer Kindergeld, wenn er eine in Nr. 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens 15 Monaten erlaubt, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält. Zur Begründung hat der Gesetzgeber auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Erziehungs- und Elterngeld verwiesen (vgl. BTDrucks 19/13436, S. 125). Nach § 52 Abs. 49a Satz 2 EStG in der Fassung von Art. 3 Nr. 1 des Gesetzes vom 12. Dezember 2019 ist die Neuregelung allerdings erst für Kindergeldfestsetzungen anzuwenden, deren Geltungszeitraum nach dem 29. Februar 2020 beginnt.
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Die Vorlagen beziehen sich auf § 62 Abs. 2 EStG in der Fassung vom 13. Dezember 2006 (I.). Sie sind zulässig, soweit sie § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 betreffen (II.). Im Übrigen sind sie unzulässig (III.). Durch die Gesetzesänderung im Jahr 2020 ist eine Erledigung der Vorlagefrage nicht eingetreten (IV.).
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I.
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Das Finanzgericht legt in allen Verfahren die Frage vor, "ob § 62 Absatz 2 Einkommensteuergesetz in der für den Streitfall geltenden Fassung verfassungswidrig ist".
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Diese Vorlagefrage ist dahin auszulegen, dass § 62 Abs. 2 EStG ausschließlich in der Fassung vom 13. Dezember 2006 (wortgleich in der Fassung der Neubekanntmachung vom 8. Oktober 2009, BGBl I S. 3366) zur Überprüfung gestellt wird. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass zum Zeitpunkt des Vorlagebeschlusses frühere Fassungen der Norm nicht mehr entscheidungserheblich sein konnten. Denn die Fassung vom 13. Dezember 2006 enthielt in § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG eine Übergangsvorschrift, nach der § 62 Abs. 2 EStG 2006 in allen Fällen anzuwenden war, in denen das Kindergeld – wie in sämtlichen Ausgangsfällen – noch nicht bestandskräftig festgesetzt war. Auch die seit dem 1. März 2020 geltende Neufassung der Vorschrift wird von den Vorlagen nicht umfasst, da sie nur Kindergeldfestsetzungen für Zeiträume nach dem 29. Februar 2020 betrifft (vgl. unten IV.).
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II.
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Soweit sich die Vorlagebeschlüsse auf § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 beziehen, werden sie den sich aus Art. 100 Abs. 1 GG und § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ergebenden Anforderungen gerecht.
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1. Die vorgelegte Vorschrift ist entscheidungserheblich. Das Finanzgericht stellt die entscheidungserheblichen Umstände der zugrundeliegenden Sachverhalte dar und führt in nachvollziehbarer Weise aus, dass die Klagen auf Gewährung von Kindergeld im Falle der Verfassungsmäßigkeit des § 62 Abs. 2 EStG 2006 abzuweisen wären. Dabei ergibt sich aus den Vorlagebeschlüssen, dass es in allen vorgelegten Verfahren entscheidungserheblich jeweils nur auf § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 ankommt, weil alle Klägerinnen und der Kläger der Ausgangsverfahren Aufenthaltstitel im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c EStG 2006 besaßen und die Mindestaufenthaltsdauer nach Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a der Vorschrift erfüllten, so dass ihre Anträge auf Kindergeld ausschließlich an § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 gescheitert sind.
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2. Das Finanzgericht hat auch seine Überzeugung, dass die vorgelegte Vorschrift mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und deshalb verfassungswidrig sei, in eingehender Auseinandersetzung mit der relevanten Rechtsprechung und Literatur hinreichend deutlich gemacht. Es bezieht sich insbesondere auf die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts zu den gleichlautenden Regelungen in § 1 Abs. 6 Nr. 3 Buchstabe b BErzGG 2006 beziehungsweise § 1 Abs. 7 Nr. 3 Buchstabe b BEEG und führt unter Auswertung der wesentlichen hierzu vertretenen Auffassungen aus, dass die Entscheidungen zum Bundeserziehungs- und zum Elterngeld auf die Rechtslage zum Kindergeld übertragbar seien. Mit der Argumentation des Bundesfinanzhofs, der § 62 Abs. 2 EStG 2006 für verfassungsgemäß hält, setzt sich das Vorlagegericht ebenfalls auseinander; die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift verneint es mit nachvollziehbaren Erwägungen.
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III.
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Soweit das Vorlagegericht darüber hinaus ausdrücklich § 62 Abs. 2 EStG 2006 insgesamt – also zusätzlich die in § 62 Abs. 2 Nr. 1 und 2 EStG 2006 erfassten Fallgruppen – zur verfassungsrechtlichen Prüfung stellt, sind die Vorlagen unzulässig. Das Vorlagegericht sieht als tragenden Grund für die Verfassungswidrigkeit der entscheidungserheblichen Norm eine fehlende Folgerichtigkeit und Eignung der Gesamtregelung, den Zweck des Gesetzes zu verwirklichen, und die sich seiner Ansicht nach daraus ergebenden Verstöße gegen Art. 3 Abs. 1 und 3 sowie Art. 6 Abs. 1 GG. Deshalb seien sämtliche Teilregelungen des § 62 Abs. 2 EStG 2006, die den Anspruch auf Kindergeld für Ausländer beträfen, in die Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht einzubeziehen, einschließlich derjenigen, die aus unionsrechtlichen Gründen einen Kindergeldanspruch auch ohne eine dauerhafte Bleibeperspektive gewährten.
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Diese Erwägung rechtfertigt nicht die Erweiterung des Streitgegenstandes im Vorlageverfahren. Enthält eine gesetzliche Vorschrift mehrere Alternativen, ist sie grundsätzlich nur wegen derjenigen Alternative vorzulegen und zu prüfen, auf die es bei der Entscheidung ankommt (vgl. BVerfGE 126, 331 [354]; stRspr). Teile einer Gesamtregelung, auf die dies nicht zutrifft, können zwar bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der entscheidungserheblichen Alternativen eine Rolle spielen, etwa im Rahmen einer systematischen oder teleologischen Auslegung im Hinblick auf Gleichheitsverstöße, unterliegen aber im Regelfall nicht einer in Gesetzeskraft erwachsenden (§ 31 Abs. 2 Satz 1, § 13 Nr. 11 BVerfGG) Verwerfung als verfassungswidrig.
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In allen Ausgangsverfahren kommt es entscheidungserheblich nur auf § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 an. Obschon alle Einzelregelungen des § 62 Abs. 2 EStG 2006 in einem Zusammenhang stehen, weil sie sämtlich die Kindergeldberechtigung von Ausländern betreffen, ist nicht erkennbar, dass sich eine mögliche Verfassungswidrigkeit des § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 ohne weiteres auf die übrigen Teilregelungen der Vorschrift auswirken würde. So unterliegt etwa die Anknüpfung der Kindergeldberechtigung an einen unbefristeten Aufenthaltstitel (Niederlassungserlaubnis, vgl. § 62 Abs. 2 Nr. 1 EStG 2006) nicht denselben Bedenken, denen § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 ausgesetzt ist. Vielmehr ist jede dieser Regelungen im Hinblick auf das vom Gesetzgeber gewählte Differenzierungskriterium der Prognose eines dauerhaften Aufenthalts gesondert auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu untersuchen. Für die Ausgangsfälle ist insoweit die verfassungsrechtliche Beurteilung des § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 erforderlich, aber auch ausreichend. Im Hinblick auf den Sinn und Zweck der konkreten Normenkontrolle hat sich die verfassungsrechtliche Prüfung daher auf den entscheidungserheblichen Teil der vorgelegten Vorschrift zu beschränken.
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IV.
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Eine Erledigung der Vorlagen durch die gesetzliche Neuregelung ist nicht eingetreten. Die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage ist dadurch nicht entfallen. Zwar ist § 62 Abs. 2 EStG durch das EStG 2019 mit Wirkung zum 1. März 2020 geändert worden. Nach § 62 Abs. 2 Nr. 4 EStG erhalten nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer Kindergeld nunmehr auch dann, wenn sie eine in Nr. 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzen und sich seit mindestens 15 Monaten erlaubt, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten; zusätzlicher Voraussetzungen im Hinblick auf eine Integration in den Arbeitsmarkt bedarf es in dieser Normvariante nicht mehr. Danach hätten die Klägerinnen und der Kläger der Ausgangsverfahren in den dort streitigen Zeiträumen einen Anspruch auf Kindergeld, weil sie die zusätzlichen Voraussetzungen in § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 nicht mehr erfüllen müssten. Jedoch bleibt dies ohne Auswirkung auf die Vorlagefrage, da die Neuregelung nach § 52 Abs. 49a Satz 2 EStG 2019 nur Kindergeldfestsetzungen für Zeiträume betrifft, die nach dem 29. Februar 2020 begonnen haben.
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§ 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 ist formell verfassungsmäßig, insbesondere ist die Gesetzgebungskompetenz des Bundes gegeben (I.). Die Vorschrift ist jedoch materiell verfassungswidrig, weil sie gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt (II.).
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I.
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Die vorgelegte Norm ist in formeller Hinsicht mit der Verfassung vereinbar. Für sie besteht eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 105 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 GG (entspricht Art. 105 Abs. 2 Alternative 1 GG i.d.F. des bei Erlass von § 62 EStG 2006 geltenden Einundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 12. Mai 1969, BGBl I S. 359), so dass offenbleiben kann, ob im Hinblick auf die Leistung von Kindergeld auch eine Gesetzgebungszuständigkeit aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG ("öffentliche Fürsorge") in Betracht kommt.
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1. Nach Art. 70 Abs. 1 GG haben die Länder das Recht zur Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse zuweist. Eine solche Zuweisung von Gesetzgebungskompetenzen an den Bund findet sich ausweislich Art. 70 Abs. 2 GG vor allem in den Vorschriften über die ausschließliche (Art. 73 und Art. 105 Abs. 1 GG) und die konkurrierende Gesetzgebung (Art. 74 und Art. 105 Abs. 2 GG).
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a) Ob eine einfachgesetzliche Regelung einem Kompetenztitel in Art. 73, Art. 74 oder Art. 105 GG zugeordnet werden kann, richtet sich nach ihrem (unmittelbaren) Regelungsgegenstand (vgl. BVerfGE 48, 367 [373]; 157, 223 [262 Rn. 104]; 160, 1 [23 Rn. 65]), ihren Wirkungen und Adressaten sowie dem Normzweck (vgl. BVerfGE 7, 29 [44]; 157, 223 [262 Rn. 104]; 160, 1 [23 Rn. 65]).
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Ob sie sich unter einen bestimmten Kompetenztitel subsumieren lässt, hängt davon ab, ob der dort genannte Sachbereich unmittelbar oder lediglich mittelbar Gegenstand dieser Regelung ist (vgl. BVerfGE 8, 104 [116 f.]; 157, 223 [262 f. Rn. 105]; stRspr). Dafür ist der sachliche Gehalt der Regelung maßgebend und nicht die vom Gesetzgeber gewählte Bezeichnung (vgl. BVerfGE 8, 260 [269 f.]; 157, 223 [262 f. Rn. 105]; 160, 1 [23 f. Rn. 66]). Eine gesetzliche Regelung ist – ihrem Hauptzweck entsprechend – dem Kompetenztitel zuzuordnen, dessen Materie sie speziell und nicht (lediglich) allgemein behandelt (vgl. BVerfGE 157, 223 [263 Rn. 105] m.w.N.; 160, 1 [23 f. Rn. 66]), wobei die Regelung in ihrem – kompetenzbegründenden – (Gesamt-)Sachzusammenhang zu erfassen ist (vgl. BVerfGE 157, 223 [263 Rn. 105] m.w.N.; 160, 1 [23 f. Rn. 66]). Dass der Gegenstand eines Kompetenztitels lediglich reflexartig berührt oder als Annex behandelt wird, genügt insoweit nicht (vgl. BVerfGE 28, 119 [146 f.]; 157, 223 [263 Rn. 105]; 160, 1 [23 f. Rn. 66]).
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b) Kann ein Gesetz in mehrere Teile zerlegt werden, können diese auch unterschiedlichen Kompetenzmaterien unterfallen (vgl. Degenhart, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 72 Rn. 8 ff.). Die Gesetzgebungszuständigkeit für ein Regelungswerk kann sich in diesem Fall auch aus einer Kombination mehrerer Kompetenztitel ergeben (vgl. BVerfGE 136, 194 [241 Rn. 111]; 160, 1 [24 Rn. 68]).
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Solche additiven Kompetenzbegründungen sind verfassungsrechtlich unproblematisch, wenn sie denselben Kompetenzträger berechtigen (vgl. BVerfGE 103, 197 [215 f.]; 136, 194 [241 Rn. 111]; 138, 261 [275 f. Rn. 33]). Der Bund kann eine Gesetzgebungszuständigkeit deshalb aus mehreren Gegenständen eines Kompetenzkatalogs herleiten und unterschiedliche Gesetzgebungstypen und -titel kombinieren (vgl. BVerfGE 103, 197 [216]; 138, 261 [275 f. Rn. 33]).
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Berührt eine Regelung dagegen den Kompetenzbereich von Bund und Ländern, bedarf es einer Zuordnung des Regelwerks nach seinem Schwerpunkt (vgl. BVerfGE 98, 265 [299]; 135, 155 [196 Rn. 102]; 137, 108 [161 Rn. 123]; 160, 1 [24 Rn. 69]). Dabei fällt insbesondere ins Gewicht, wie eng die fragliche Teilregelung mit dem Gegenstand der Gesamtregelung verbunden ist. Eine enge Verzahnung und ein geringer eigenständiger Regelungsgehalt der Teilregelung sprechen regelmäßig für ihre Zugehörigkeit zum Kompetenzbereich der Gesamtregelung (vgl. BVerfGE 97, 228 [251 f.]; 97, 332 [342 f.]). Eine Teilregelung, die bei isolierter Betrachtung einer Materie zuzurechnen wäre, für die der Kompetenzträger nicht zuständig ist, kann daher gleichwohl in seine Kompetenz fallen, wenn sie mit dem kompetenzbegründenden Schwerpunkt der Gesamtregelung derart eng verzahnt ist, dass sie als Teil dieser Gesamtregelung erscheint (vgl. BVerfGE 97, 228 [251 f.]; 97, 332 [342 f.]; 98, 265 [299]; 138, 261 [274 Rn. 30]).
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2. Nach diesen Maßstäben besteht eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das im Einkommensteuergesetz geregelte Kindergeldrecht.
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a) Als spezielle finanzverfassungsrechtliche Norm geht Art. 105 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 GG innerhalb ihres Anwendungsbereichs den allgemeinen Sachgesetzgebungskompetenzen der Art. 70 ff. GG vor (vgl. nur BVerfGE 145, 171 [192 Rn. 62] m.w.N.). Danach hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebung über die übrigen Steuern, wenn ihm das Aufkommen dieser Steuern ganz oder zum Teil zusteht. Bei der Einkommensteuer handelt es sich um eine solche Steuer; die Ertragskompetenz des Bundes für sie folgt aus Art. 106 Abs. 3 Sätze 1 und 2 GG.
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Allerdings begründet allein der Umstand, dass die Vorschriften zum Kindergeld im Einkommensteuergesetz enthalten sind, die Gesetzgebungskompetenz des Bundes noch nicht. Diese ist nur gegeben, wenn es sich beim Kindergeld auch materiell um eine steuerrechtliche Leistung handelt. Dabei ist zwischen den beiden Funktionen des Kindergeldes zu unterscheiden.
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b) Soweit das Kindergeld nach § 31 Satz 1 EStG der steuerlichen Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des kindbedingten Existenzminimums dient, handelt es sich materiell um eine steuerrechtliche Regelung (vgl. Degenhart, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 74 Rn. 40; Weber-Grellet, in: Schmidt, EStG, 41. Aufl. 2022, § 62 Rn. 1; Wendl, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 31 EStG Rn. 10 [April 2020]; Reimer, NJW 2012, S. 1927 [1931]). Zwar wird das Kindergeld zunächst monatlich und unabhängig von der Besteuerung des Einkommens ausgezahlt. Jedoch wird damit die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Verschonung des Familienexistenzminimums nur vorweggenommen (vgl. BVerfGE 112, 164 [174 ff.]; 124, 282 [295 f.]).
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c) Soweit das Kindergeld nach § 31 Satz 2 EStG die Förderung der Familie zum Ziel hat, handelt es sich dabei zwar für sich genommen nicht um eine materiell steuerrechtliche, sondern um eine sozialrechtliche Regelung (vgl. BVerfGE 110, 412 [432 f.]; 111, 160 [173]; 112, 164 [174 f.]). Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 105 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 GG auch für den Förderanteil des Kindergeldes folgt aber jedenfalls aus dem kompetenzbegründenden Schwerpunkt des steuerrechtlichen Familienleistungsausgleichs (vgl. Heintzen, in: von Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 105 Rn. 19; Mutschler, in: BeckOK EStG, Vorb. zu §§ 62 ff. Rn. 12 [März 2022]; Wendl, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 31 EStG Rn. 10 [April 2020]; a.A. Reimer, NJW 2012, S. 1927 [1932]).
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aa) Hierfür spricht bereits die gesetzliche Systematik des Familienleistungsausgleichs, aus der sich ableiten lässt, dass es in erster Linie um die steuerliche Entlastung und erst in einem zweiten Schritt um die soziale Förderung der Familie geht. So bestimmt die vorangestellte Regelung in § 31 Satz 1 EStG, dass das Kindergeld die steuerliche Freistellung des Familienexistenzminimums bewirkt. Lediglich soweit es dafür nicht erforderlich ist, dient es nach § 31 Satz 2 EStG der Förderung der Familie. Im Übrigen wird die enge Verzahnung des Anspruchs auf Kindergeld mit dem Steuerrecht an dem Umstand deutlich, dass kindergeldberechtigt nur ist, wer im Inland seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 62 Abs. 1 EStG 2006) und deshalb nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist, wer auch ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nach § 1 Abs. 2 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist (§ 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG 2006) oder jedenfalls gemäß § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird (vgl. § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b EStG 2006). Folglich knüpfen die persönlichen Voraussetzungen der Kindergeldberechtigung an die Frage an, ob die Merkmale einer unbeschränkten Steuerpflicht vorliegen oder der Berechtigte als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt wird (vgl. Mutschler, in: BeckOK EStG, § 62 Rn. 30 [März 2022]). Nur soweit eine unbeschränkte persönliche Einkommensteuerpflicht nicht gegeben ist, stellt das Bundeskindergeldgesetz die Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Kindergeld dar (vgl. § 1 Abs. 1 BKGG).
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bb) Für einen steuerrechtlichen Schwerpunkt des im Einkommensteuerrecht geregelten Kindergeldes spricht auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das bei der Prüfung der steuerlichen Freistellung des familiären Existenzminimums nicht nur den steuerrechtlichen Kinderfreibetrag, sondern auch das nach dem damaligen Bundeskindergeldgesetz zu zahlende Kindergeld nach Umrechnung in einen zusätzlichen "fiktiven Kinderfreibetrag" berücksichtigt hat (vgl. BVerfGE 82, 60 [92 ff.]; 99, 246 [261 ff.]). Anhand dieser Umrechnung kam es zu dem Ergebnis, dass das damals einkommensabhängig gekürzte Kindergeld seiner Funktion, der Minderung der Leistungsfähigkeit von Steuerpflichtigen durch den Unterhalt ihrer Kinder Rechnung zu tragen, schon ab einer relativ niedrigen Steuerquote nicht mehr gerecht wurde (vgl. BVerfGE 82, 60 [95]). Damit hat es eine Verknüpfung des Kindergeldes mit dem steuerrechtlichen Kinderfreibetrag hergestellt; den Begriff des "fiktiven Kinderfreibetrags" hat der Gesetzgeber sodann bei Einführung des Familienleistungsausgleichs in § 31 EStG durch das Jahressteuergesetz 1996 aufgegriffen (vgl. BTDrucks 13/1558, S. 7).
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cc) Das Kindergeld steht sowohl aus verfassungsrechtlichen (vgl. BVerfGE 82, 60 [85 f.]; 152, 274 [315 Rn. 105 m.w.N.]) als auch aus Gründen des praktischen Gesetzesvollzugs in einem untrennbaren Zusammenhang mit dem steuerrechtlichen Familienleistungsausgleich. Eine genaue Erfassung des steuerlichen und des sozialrechtlichen Teils des Kindergeldes und die sich daraus ergebende Zuordnung zu unterschiedlichen Kompetenzgrundlagen kann nicht schon bei Auszahlung des Kindergeldes – die vorab monatlich erfolgt –, sondern erst im Rahmen der Günstigerprüfung in der nachfolgenden Steuererklärung für das jeweils abgelaufene Kalenderjahr vorgenommen werden. Bis dahin ist eine quantitative Aufteilung des Kindergeldes entsprechend seinen beiden Funktionen nicht möglich, da vom Gesetzgeber weder ausdrücklich festgelegt noch der gesetzlichen Regelung mittelbar zu entnehmen ist, dass das Kindergeld bis zu einem bestimmten Betrag der "steuerlichen Entlastung" dienen soll und mit dem überschießenden Betrag als reine Sozialleistung gewährt wird (vgl. BVerfGE 82, 60 [79]; ebenso im Hinblick auf § 31 EStG BVerfGE 108, 52 [70]).
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dd) Der Umstand, dass der Förderanteil des Kindergeldes annähernd die Hälfte der staatlichen Kindergeldausgaben ausmacht, spricht somit nicht gegen einen steuerrechtlichen Schwerpunkt der kindergeldrechtlichen Regelungen des Einkommensteuerrechts. Zwar entfielen nach der im vorliegenden Verfahren abgegebenen Stellungnahme der Bundesregierung in den Jahren 2007 bis 2016 zwischen 45,5% und 52,7% der jährlichen Kindergeldausgaben auf den Förderanteil. Gleichwohl wird das Kindergeld im laufenden Kalenderjahr wie eine Steuervergütung behandelt (§ 31 Satz 3 EStG). Nach der gesetzlichen Konzeption entscheidet erst und nur die Höhe des im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung zu berücksichtigenden Kinderfreibetrages nach § 32 Abs. 6 EStG endgültig darüber, ob der verfassungsrechtlich gebotenen Verschonung des kindbedingten Existenzminimums (vgl. dazu BVerfGE 99, 216 [233 f.]) genügt wird und in welchem Umfang sie bereits durch das Kindergeld erreicht worden ist. Das Kindergeld wirkt insofern wie ein vorläufiger "Abschlag" (vgl. BVerfGE 110, 412 [435]).
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II.
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§ 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 ist materiell verfassungswidrig. Die Vorschrift verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG.
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1. Der allgemeine Gleichheitssatz umfasst neben dem Grundsatz der Rechtsanwendungsgleichheit das an den Gesetzgeber gerichtete Gebot der Rechtsetzungsgleichheit (a), bei dessen Umsetzung er jedenfalls bei der Ordnung von Massenerscheinungen durch Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht daran gehindert ist, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden (b). Für die Gesetzgebung im Steuerrecht folgen aus dem allgemeinen Gleichheitssatz das Gebot der Belastungsgleichheit und (i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG) das Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums für sämtliche Familienmitglieder (c).
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a) Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches seinem Wesen entsprechend ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfGE 110, 412 [431]; 116, 164 [180]; 122, 210 [230]; 126, 268 [277]; 145, 106 [141 f. Rn. 98]; 148, 147 [183 Rn. 94]; 160, 41 [63 Rn. 51]). Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen, vergleichbaren Personenkreis aber vorenthalten wird (vgl. BVerfGE 110, 412 [431]; 112, 164 [174]; 124, 199 [218]; 126, 400 [416]; 131, 239 [255]; 133, 377 [407 Rn. 73]; stRspr).
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Zwar ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft und die er so als rechtlich gleich qualifiziert. Diese Auswahl muss er jedoch sachgerecht treffen (BVerfGE 75, 108 [157]; 107, 218 [244]; 115, 381 [389]; 141, 1 [38 Rn. 93]; 145, 106 [142 Rn. 98]; 152, 274 [311 Rn. 95]; 160, 41 [63 Rn. 51]).
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Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (vgl. BVerfGE 105, 73 [111]; 107, 27 [45 f.]; 112, 268 [279]; 122, 210 [230]; 126, 268 [277]; 133, 377 [407 Rn. 74]; 138, 136 [180 Rn. 121]; 145, 106 [142 Rn. 98]; 152, 274 [312 Rn. 96]; 160, 41 [63f. Rn. 52]; stRspr). Dabei ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen aus dem allgemeinen Gleichheitssatz im Sinne eines stufenlosen, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Prüfungsmaßstabs unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (stRspr; vgl. BVerfGE 110, 274 [291]; 112, 164 [174]; 116, 164 [180]; 122, 210 [230]; 126, 268 [277]; 133, 377 [407 Rn. 74]; 138, 136 [180 f. Rn. 121 f.]; 141, 1 [38f. Rn. 93]; 145, 106 [142 Rn. 98]; 148, 147 [184 Rn. 94 f.]; 152, 274 [312 Rn. 96]; 160, 41 [63 f. Rn. 52]). Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (vgl. BVerfGE 124, 199 [220]; 129, 49 [68]; 130, 240 [253]; 132, 179 [188 Rn. 30]; 133, 59 [86 Rn. 72]; 135, 126 [143 Rn. 52]; 141, 1 [38 Rn. 93]; 145, 106 [142 Rn. 98]; 148, 147 [183 f. Rn. 94]; 152, 274 [312 Rn. 96]; 158, 282 [327 Rn. 110]; 160, 41 [63 f. Rn. 52]).
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Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache folgender oder sonst sachlich einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt (vgl. BVerfGE 1, 14 [52]; 89, 132 [141]; 105, 73 [110]; 107, 27 [45f.]; 110, 412 [431 f.]; 113, 167 [214]; 145, 106 [143 Rn. 101]; 152, 274 [312 Rn. 97]; 160, 41 [64 Rn. 53]; stRspr). Willkür des Gesetzgebers kann zwar nicht schon dann bejaht werden, wenn er unter mehreren Lösungen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste gewählt hat (BVerfGE 55, 72 [90]; 89, 132 [141 f.]). Es genügt aber Willkür im objektiven Sinn, das heißt die tatsächliche und eindeutige Unangemessenheit der Regelung in Bezug auf den zu ordnenden Gesetzgebungsgegenstand (vgl. BVerfGE 4, 144 [155]; 36, 174 [187]; 55, 72 [90]; 145, 106 [143 Rn. 101]). Der Spielraum des Gesetzgebers endet dort, wo die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt (vgl. BVerfGE 9, 334 [337]; 55, 72 [90]; 76, 256 [329]; 85, 176 [187]; 101, 275 [291]; 115, 381 [389]; 141, 1 [39 Rn. 94]; 145, 106 [143 Rn. 101]).
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Eine strengere Bindung des Gesetzgebers und damit höhere Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen können sich insbesondere ergeben, wenn und soweit sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann (stRspr; vgl. BVerfGE 112, 164 [174]; 122, 210 [230]; 126, 268 [277]; 138, 136 [181 Rn. 122]; 139, 285 [309 Rn. 71]; 141, 1 [39 Rn. 94]; 145, 106 [145 Rn. 105]; 148, 147 [184 Rn. 95]; 152, 274 [313 Rn. 98] m.w.N.). Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für Einzelne verfügbar sind (vgl. BVerfGE 88, 87 [96]; 129, 49 [69]; 138, 136 [180 f. Rn. 122]; 145, 106 [145 Rn. 105]; 160, 41 [64 f. Rn. 54]).
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b) Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber berechtigt, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen.
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Eine zulässige Typisierung – die normative Zusammenfassung bestimmter, in wesentlichen Elementen gleich gearteter Lebenssachverhalte – setzt voraus, dass die durch sie eintretenden Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären, lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und das Ausmaß der Ungleichbehandlung gering ist (vgl. BVerfGE 63, 119 [128]; 84, 348 [360]; 111, 176 [188]; 126, 233 [263 f.]; 133, 377 [413 Rn. 88]; 145, 106 [146 f. Rn. 108]; 152, 274 [315 Rn. 103]). Der Gesetzgeber darf sich dabei grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 82, 159 [185 f.]; 122, 210 [232]; 126, 268 [279]; 133, 377 [412 Rn. 87]; 145, 106 [146 Rn. 107]; 152, 274 [314 Rn. 102]). Die gesetzlichen Verallgemeinerungen müssen jedoch von einer möglichst breiten, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließenden Betrachtung ausgehen. Insbesondere darf der Gesetzgeber keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen (vgl. BVerfGE 112, 164 [180 f.]; 116, 164 [183]; 122, 210 [232]; 152, 274 [315 Rn. 102]; stRspr). Zudem dürfen die tatsächlichen Anknüpfungspunkte für die Typisierung den Normzweck nicht verfehlen (vgl. BVerfGE 111, 115 [137]; 132, 39 [56 f. Rn. 49]; 133, 377 [412 Rn. 87]; 145, 106 [146 Rn. 107]). Bei einer Gesamtwürdigung der mit der Regelung verbundenen Vor- und Nachteile darf die Ungleichbehandlung kein Gewicht haben, das den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum vertretbarer Typisierung übersteigt. Diese Grenze wird überschritten, wo die Typisierung in derart vielen Konstellationen zu einer Ungleichbehandlung führt, dass das Ziel, komplizierte Lebenssachverhalte übersichtlicher und verständlicher zu machen, um so den jeweiligen Belastungs- oder Begünstigungsgrund zu verdeutlichen und in das Bewusstsein zu rücken (vgl. BVerfGE 96, 1 [7]), nicht mehr erreicht werden kann und deshalb die Hinnahme der ungleich behandelten Einzelfälle nicht mehr trägt.
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c) Den Steuergesetzgeber bindet Art. 3 Abs. 1 GG an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit (BVerfGE 6, 55 [70]), der gebietet, die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten. Das gilt insbesondere im Einkommensteuerrecht, das auf die Leistungsfähigkeit des jeweiligen Steuerpflichtigen hin angelegt ist (BVerfGE 43, 108 [120]; 61, 319 [343 f.]; 66, 214 [223]; 82, 60 [86]; 89, 346 [352]; 127, 224 [248]; 145, 106 [142 Rn. 99]; 152, 274 [313 Rn. 99]; 160, 41 [65 Rn. 55]).
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aa) Zwar belässt der allgemeine Gleichheitssatz dem Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes ebenso wie bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weit reichenden Entscheidungsspielraum (BVerfGE 127, 1 [27]; 139, 285 [309 Rn. 72]; 145, 106 [143 f. Rn. 102]; 148, 147 [184 f. Rn. 96]). Der Grundsatz der gleichen Zuteilung steuerlicher Lasten (vgl. BVerfGE 120, 1 [44]; 123, 1 [19]; 145, 106 [144 Rn. 103]) verlangt jedoch eine gesetzliche Ausgestaltung der Steuer, die den Steuergegenstand in den Blick nimmt und mit Rücksicht darauf eine gleichheitsgerechte Besteuerung des Steuerschuldners sicherstellt. Unter dem Gebot möglichst gleichmäßiger Belastung der betroffenen Steuerpflichtigen muss die Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestandes folgerichtig im Sinne von belastungsgleich erfolgen (BVerfGE 84, 239 [271]; 93, 121 [136]; 99, 88 [95]; 99, 280 [290]). Ausnahmen von einer belastungsgleichen Ausgestaltung der getroffenen gesetzgeberischen Entscheidung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes, der die Ungleichbehandlung nach Art und Ausmaß zu rechtfertigen vermag (vgl. BVerfGE 105, 73 [125]; 137, 350 [366 Rn. 41]; 138, 136 [181 Rn. 123]; 141, 1 [40 Rn. 96]; 145, 106 [144 Rn. 104 m.w.N.]; 148, 147 [184 Rn. 96]; stRspr).
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Der Einsatz generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen steht dem Gesetzgeber sowohl im Steuerrecht (vgl. BVerfGE 84, 348 [359]; 113, 167 [236]; 126, 268 [278 f.]; 133, 377 [412 Rn. 86]; 145, 106 [145 f. Rn. 106]; stRspr) als auch bei Massenerscheinungen im Sozialleistungsrecht (vgl. BVerfGE 11, 245 [254]; 17, 1 [23]; 40, 121 [136]; 51, 115 [122 f.]; 63, 119 [128]; 111, 176 [188]) grundsätzlich offen.
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Der Grundsatz der Belastungsgleichheit hindert den Gesetzgeber auch nicht, mit Hilfe des Steuerrechts außerfiskalische Förderungs- und Lenkungsziele zu verfolgen (vgl. BVerfGE 93, 121 [147]; 99, 280 [296]; 105, 73 [112]; 110, 274 [292]; 116, 164 [182]; 117, 1 [31]; 122, 210 [231]; 138, 136 [181 Rn. 124]; 160, 41 [67 Rn. 61]; stRspr); bei der Entscheidung darüber, welche Sachverhalte oder Personen gefördert werden sollen, ist er weitgehend frei (vgl. BVerfGE 17, 210 [216]; 93, 319 [350]; 110, 274 [293]; 138, 136 [182 Rn. 125]; 160, 41 [67 Rn. 62]). Derartige Förderungs- und Lenkungsziele sind allerdings nur dann geeignet, rechtfertigende Gründe für steuerliche Be- und Entlastungen zu liefern, wenn entweder Ziel und Grenze der Lenkung mit hinreichender Bestimmtheit tatbestandlich vorbezeichnet sind (vgl. BVerfGE 93, 121 [148]; 99, 280 [296]) oder das angestrebte Förderungs- und Lenkungsziel jedenfalls von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen wird (vgl. BVerfGE 93, 121 [147]; 99, 280 [296]; 105, 73 [112 f.]; 110, 274 [293]; 116, 164 [182]; 117, 1 [32]; 121, 108 [120]; 122, 210 [232]; 135, 126 [151 f. Rn. 81]; 160, 41 [67 Rn. 63]).
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Die gesetzgeberische Entscheidung für Förderungs- oder Lenkungszwecke muss hinreichend bestimmt sein. Soweit die Konkretisierung nicht durch die tatbestandliche Ausgestaltung der Norm geschieht, mit der das Ziel umgesetzt wird (vgl. BVerfGE 93, 121 [148]; 99, 280 [296]), genügen in den Materialien genannte lediglich vage Zielsetzungen für sich genommen nicht, um Abweichungen von einer gleichheitsgerechten Besteuerung zu rechtfertigen (vgl. BVerfGE 116, 164 [191]; 160, 41 [68 Rn. 65]).
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bb) In Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG verpflichtet der allgemeine Gleichheitssatz den Gesetzgeber darüber hinaus, das Einkommen des Bürgers jedenfalls insoweit steuerfrei zu stellen, als dieser es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins für sich und seine Familie benötigt (Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums, vgl. BVerfGE 152, 274 [315 Rn. 104]). Bei der Besteuerung einer Familie muss deshalb das – durch das Sozialhilferecht auf der Grundlage des Verfassungsrechts bestimmte – Existenzminimum für sämtliche Familienmitglieder steuerfrei bleiben (BVerfGE 82, 60 [85 f., 94]; 82, 198 [207]; 99, 246 [259 f.]; 107, 27 [48 f.]; 112, 164 [175]). Dies gilt in besonderer Weise auch für den Kindesunterhalt. Der Staat darf auf die Mittel, die für den Lebensunterhalt von Kindern unerlässlich sind, nicht so zugreifen wie auf finanzielle Mittel, die zur Befriedigung anderer Bedürfnisse eingesetzt werden. Er muss die Entscheidung der Eltern zugunsten von Kindern achten und darf ihnen im Steuerrecht nicht etwa die "Vermeidbarkeit" von Kindern in gleicher Weise entgegenhalten wie die Vermeidbarkeit sonstiger Lebensführungskosten (BVerfGE 82, 60 [87]; 89, 346 [352 f.]; 107, 27 [48 f.]).
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2. Nach diesen Maßstäben ist § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar.
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a) Die Regelung bewirkt eine Ungleichbehandlung zwischen zwei Teilgruppen nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer, die einen humanitären Aufenthaltstitel nach den § 23 Abs. 1, § 23a, § 24 oder § 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG besitzen und sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten: Einen Anspruch auf Kindergeld haben gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 nur diejenigen, die zusätzlich zu den vorbenannten Merkmalen entweder im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig sind (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b Alternative 1 EStG 2006) oder es nur vorübergehend nicht sind (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b Alternative 2 EStG 2006), weil sie laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch beziehen oder Elternzeit in Anspruch nehmen (erste Teilgruppe). Wer sich hingegen – wie die Klägerinnen und der Kläger der Ausgangsverfahren – seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a EStG 2006), aber weder berechtigt erwerbstätig ist noch laufende Leistungen der Arbeitsförderung bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt (zweite Teilgruppe), erhält kein Kindergeld.
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Diese Ungleichbehandlung der beiden Teilgruppen entfällt insbesondere nicht dadurch, dass das Kindergeld als Einkommen auf Sozialleistungen des anspruchsberechtigten Elternteils oder als Einkommen des minderjährigen Kindes (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 5 SGB II, § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII) auf die Sozialleistungen angerechnet oder auf Antrag nach § 74 Abs. 2 EStG in Verbindung mit § 104 SGB X an den Sozialleistungsträger oder nach § 74 Abs. 1 Satz 4 EStG an den Kindergeldberechtigten ausgezahlt wird (so jedoch BFH, Urteil vom 28. April 2010 – III R 1/08 –, BFHE 229, 262 [265 Rn. 11]; Beschluss vom 26. März 2013 – III B 158/12 –, juris, Rn. 15, m.w.N.).
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Zwar wird das Fehlen eines Kindergeldanspruchs im Regelfall durch den Anspruch auf Sozialleistungen kompensiert. Auch führt die Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen auf die Sozialleistungen dazu, dass Kindergeldberechtigte allenfalls ergänzende Sozialleistungen erhalten, soweit ein über das Kindergeld hinausgehender Bedarf besteht, sodass sich die wirtschaftliche Situation beider Teilgruppen jedenfalls einander annähert. Dennoch können finanzielle Nachteile für diejenigen entstehen, die keinen Anspruch auf Kindergeld haben. Sie ergeben sich insbesondere aus den Absetzbeträgen (vgl. § 11 Abs. 2 SGB II, § 82 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB XII), die das Einkommen der Kindergeldberechtigten oder volljähriger Kinder mindern mit der Folge, dass der Einkommenszufluss aus Kindergeld und ergänzenden Sozialleistungen um den Absetzbetrag höher ausfällt als bei der Gruppe ohne Kindergeldanspruch. Auch wenn es sich dabei um verhältnismäßig geringe Beträge handelt, dürfen die wirtschaftlichen Auswirkungen in der typischerweise betroffenen – wirtschaftlich schwachen – Einkommensgruppe nicht vernachlässigt werden.
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Mit erheblichen finanziellen Nachteilen im Vergleich zu Kindergeldberechtigten kann der Wegfall des Kindergeldanspruchs dann verbunden sein, wenn die Betroffenen über eigenes Vermögen verfügen und daher – trotz fehlenden Erwerbseinkommens – keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben. Denn der Anspruch auf Kindergeld besteht unabhängig von sozialrechtlicher Bedürftigkeit, sodass dieses allen Berechtigten ungeachtet ihrer Einkommensverhältnisse gleichermaßen zufließt. Demgegenüber hängen Sozialleistungen typischerweise von den Einkommensverhältnissen der Adressaten ab; Ansprüche ergeben sich regelmäßig erst, wenn vorhandenes Vermögen oberhalb der jeweils geltenden Freigrenzen verbraucht ist.
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Die Ungleichbehandlung von Kindergeldberechtigten und Personen ohne Kindergeldanspruch kann durch nichtwirtschaftliche Umstände vertieft werden, insbesondere dadurch, dass die Beantragung von Sozialleistungen mit entsprechenden Offenlegungspflichten verbunden ist. Darüber hinaus unterscheidet sich in den meisten Fällen auch die Anspruchsinhaberschaft, da Kindergeld in der Regel einem Elternteil zusteht, während die Inhaber von Ansprüchen auf kinderbezogene Sozialleistungen die Kinder selbst sind.
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b) Die verfassungsrechtliche Prüfung der vorgelegten Norm unterliegt auf der Ebene der Rechtfertigung der Ungleichbehandlung einer über die reine Willkürprüfung hinausgehenden Verhältnismäßigkeitskontrolle. Dies folgt zum einen daraus, dass der Gesetzgeber die Kindergeldregelungen in ein abgestimmtes System von Steuerentlastung und Sozialleistung eingefügt hat, das unter anderem auch der Erfüllung und Konkretisierung des verfassungsrechtlichen – nicht auf Deutsche beschränkten – Schutzauftrags des Art. 6 Abs. 1 GG mit der Zielsetzung dient, die im Vergleich zu Kinderlosen verminderte finanzielle Leistungsfähigkeit der Familie teilweise auszugleichen (vgl. BVerfGE 111, 160 [169]; 112, 164 [175 f.]). Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass § 62 Abs. 2 EStG 2006 mit dem Aufenthaltsstatus an ein Differenzierungsmerkmal anknüpft, das überwiegend unabhängig von dem Verhalten der Betroffenen ist (vgl. BVerfGE 111, 160 [169 f.]). Dies gilt in besonderem Maße für die Besitzer eines humanitären Aufenthaltstitels, weil etwa das Bestehen zielstaatsabhängiger Abschiebungshindernisse oder die Fortdauer kriegerischer Auseinandersetzungen im Heimatstaat als Grundlage für die in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c EStG 2006 genannten Titel durch sie offensichtlich nicht beeinflusst werden können. Auch soweit § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 auf die Arbeitsmarktintegration des Einzelnen abstellt, ist diese nicht zwangsläufig durch eigenes Verhalten zu beeinflussen, da sie auch von der jeweiligen Arbeitsmarktsituation sowie von der familiären Lage der Betroffenen abhängig sein kann.
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c) Die Ungleichbehandlung ist nicht gerechtfertigt. Zwar verfolgt der Gesetzgeber mit § 62 Abs. 2 EStG 2006 einen legitimen Zweck (aa). Die von ihm gewählten Differenzierungskriterien sind jedoch nicht geeignet, diesen Zweck zu verwirklichen (bb). Auch handelt es sich nicht um einen Fall zulässiger Typisierung (cc). Für sonstige, durch Förderungs- oder Lenkungsziele getragene Differenzierungsgründe fehlt es an einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung (dd).
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aa) § 62 Abs. 2 EStG 2006 dient einem legitimen Zweck. Die Regelung hat das Ziel, Kindergeld nur solchen Personen zukommen zu lassen, die sich voraussichtlich dauerhaft in Deutschland aufhalten werden (vgl. BTDrucks 16/1368, S. 1, 8 f.). Grundsätzlich kann die unterschiedliche Bleibedauer in Deutschland eine ungleiche Behandlung rechtfertigen (vgl. BVerfGE 111, 160 [174]; 111, 176 [185]), ohne dass allerdings das Fehlen eines dauerhaften Aufenthalts automatisch jede Differenzierung hinsichtlich der Gewährung von Sozialleistungen legitimieren könnte (vgl. BVerfGE 116, 229 [239 f.]; 130, 240 [257]). Das Bundesverfassungsgericht hat indes im Hinblick auf das Erziehungs- und Elterngeld bereits entschieden, dass, soweit der Gesetzgeber mit diesen Leistungen die Integration von Zuwanderern und damit eine nachhaltige Bevölkerungsentwicklung in Deutschland fördern will, das Fehlen eines dauerhaften Aufenthalts ein legitimes Differenzierungskriterium darstellt, weil dieses Förderungsziel bei Gewährung der Leistungen an Personen, die das Bundesgebiet bald wieder verlassen, verfehlt würde (vgl. BVerfGE 132, 72 [83 Rn. 26]). Dies gilt für das Kindergeld in verstärktem Maße, weil es die Familien zumindest bis zur Volljährigkeit des Kindes, nach den Umständen des Einzelfalls sogar bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres und damit typischerweise bis zum Abschluss einer berufsbefähigenden Ausbildung unterstützt. Auch für das Kindergeld gilt daher, dass das Ziel des Gesetzes, den Adressatenkreis auf Personen zu beschränken, die sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten werden, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
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bb) Die vom Gesetzgeber gewählten Differenzierungskriterien bestimmen den Kreis der Leistungsberechtigten jedoch – bezogen auf das gesetzgeberische Ziel – nicht in geeigneter Weise, weil sich die Aufenthaltsdauer mittels der verwendeten Kriterien nicht hinreichend zuverlässig prognostizieren lässt. Die gesetzgeberische Entscheidung (vgl. BTDrucks 16/1368, S. 8) beruht auf der Annahme, dass bei einem humanitären Aufenthaltstitel der in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c EStG 2006 erfassten Art nur dann die Prognose einer längeren Aufenthaltsdauer begründet sein kann, wenn der Inhaber dieses Titels neben einer Mindestaufenthaltsdauer (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a EStG 2006) tatsächlich erwerbstätig oder nur vorübergehend nicht erwerbstätig ist und stattdessen Leistungen nach dem SGB III (Arbeitslosengeld I) bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006). Indes ist schon die Einschätzung, dass die in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c EStG 2006 genannten Aufenthaltstitel für sich genommen das Fehlen einer dauerhaften Aufenthaltsperspektive indizieren, nicht ohne weiteres begründbar ((1) und (2)). Im Ergebnis ist das Abstellen auf eine tatsächliche Mindestaufenthaltsdauer verfassungsrechtlich gleichwohl nicht zu beanstanden ((3)). Ungeeignet, die zuverlässige Prognose eines dauerhaften Aufenthalts zu begründen und damit das gesetzgeberische Ziel zu erreichen, ist jedoch das Kriterium einer Integration in den Arbeitsmarkt (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 (4)).
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(1) Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass das Innehaben einer in § 1 Abs. 6 Nr. 2 Buchstabe c BErzGG 2006 und § 1 Abs. 7 Nr. 2 Buchstabe c BEEG genannten Aufenthaltserlaubnis allein kein hinreichendes Indiz für das Fehlen einer dauerhaften Aufenthaltsperspektive ist. Gegen einen Schluss vom Vorliegen eines solchen humanitären Aufenthaltstitels auf die fehlende Bleibeperspektive sprächen vor allem die gesetzlichen Verlängerungs- und Verfestigungsmöglichkeiten dieser Aufenthaltserlaubnisse (vgl. BVerfGE 132, 72 [84 f. Rn. 28 f.]).
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Das gilt auch für die wortgleichen Regelungen in § 62 Abs. 2 Nr. 3 in Verbindung mit Nr. 2 Buchstabe c EStG 2006. Zwar mag jedenfalls die erstmalige Erteilung eines dieser Aufenthaltstitel häufig mit der Erwartung einer nur kurzfristigen Bleibedauer verbunden sein, weil die humanitäre Aufenthaltsgewährung vielfach auf einen nur vorübergehenden Schutz abzielt (vgl. etwa § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG). Doch auch die in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c EStG 2006 genannten Aufenthaltserlaubnisse nach dem Fünften Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes können grundsätzlich mehrfach verlängert werden oder in eine Niederlassungserlaubnis übergehen (vgl. § 26 Abs. 1 und Abs. 4 AufenthG). Schon aus diesem Grund ist die Anknüpfung an diese Aufenthaltstitel ungeeignet, einen nur vorübergehenden Aufenthalt zu prognostizieren und die Annahme zu begründen, dass in jedem Fall ein zusätzliches Indiz für einen voraussichtlich dauerhaften Aufenthalt erforderlich ist.
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Dabei wird die Verlängerungsmöglichkeit entgegen der Auffassung der Bundesregierung nicht durch § 26 Abs. 2 AufenthG eingeschränkt. Nach dieser Vorschrift darf die Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert werden, wenn das Ausreisehindernis oder die sonstigen einer Aufenthaltsbeendigung entgegenstehenden Gründe entfallen sind. Dies besagt jedoch nur, dass die Verlängerung nach Wegfall des jeweiligen Aufenthaltszwecks ausgeschlossen ist, und folgt bereits aus § 8 Abs. 1 AufenthG, der für alle Aufenthaltserlaubnisse gilt. Der Regelungsgehalt von § 26 Abs. 2 AufenthG besteht vor allem darin, der Berufung auf Vertrauensschutz in Fällen mehrmaliger vorheriger Verlängerung des Aufenthalts vorzubeugen (vgl. Dienelt/Röcker, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 26 AufenthG, Rn. 11). Dass die Berufung auf Vertrauensschutz bei der Verlängerung eines Aufenthaltstitels regelmäßig ausgeschlossen ist, gilt jedoch ebenfalls für alle Aufenthaltstitel. Es folgt aus der Befristung der Aufenthaltserlaubnisse und daraus, dass die Entfristung nur durch Erteilung einer Niederlassungserlaubnis erreicht werden kann, für die wiederum gesonderte Voraussetzungen erfüllt sein müssen, die über die für den Erlass des ursprünglichen befristeten Titels hinausgehen (vgl. Dienelt/Röcker, a.a.O.).
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Vor diesem Hintergrund lässt sich allein aus der Art der in § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG 2006 genannten Aufenthaltstitel weder auf das Fehlen einer dauerhaften Aufenthaltsperspektive schließen, noch bilden diese Titel für sich genommen eine hinreichende Grundlage für die Annahme des Gegenteils.
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(2) Die von der Bundesregierung vorgelegte Auswertung aus dem Ausländerzentralregister zum Stand 31. Oktober 2018 bestätigt die Einschätzung, dass die meisten der in § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG 2006 in Bezug genommenen Aufenthaltserlaubnisse nicht mit einer nur kurzen Bleibedauer assoziiert werden können. So betrug die durchschnittliche Aufenthaltsdauer bei einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG (Aufenthaltsgewährung durch die obersten Landesbehörden) 17,0 Jahre, bei einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG (Aufenthalt aus humanitären Gründen; Verlängerung wegen außergewöhnlicher Härte) 18,4 Jahre und bei einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG (rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit der Ausreise) 12,6 Jahre. Soweit die Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 4a und 4b AufenthG (Opferschutz) mit 3,5 und 1,7 Jahren eine relativ kurze durchschnittliche Aufenthaltsdauer aufweisen, betrifft dies nur eine zahlenmäßig geringe Personengruppe. Zudem ist zu beachten, dass diese Zeiträume wegen der in § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a EStG 2006 vorausgesetzten Aufenthaltsdauer von mindestens drei Jahren in den hier relevanten Fällen jedenfalls überschritten sind.
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(3) Im Ergebnis ist das Abstellen auf eine tatsächliche Mindestaufenthaltsdauer verfassungsrechtlich gleichwohl nicht zu beanstanden. Im Unterschied zum Merkmal einer (beginnenden) Integration in den Arbeitsmarkt (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006) ist das in § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a EStG 2006 genannte Erfordernis eines mindestens dreijährigen rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalts im Bundesgebiet ungeachtet der unter (1) und (2) geschilderten vielfältigen Verlängerungsmöglichkeiten nicht ungeeignet, die Prognose eines voraussichtlich dauerhaften Aufenthalts als Voraussetzung für eine Kindergeldgewährung zu begründen.
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(4) Ungeeignet, die zuverlässige Prognose eines dauerhaften Aufenthalts zu begründen und damit das gesetzgeberische Ziel zu erreichen, ist jedoch das Kriterium einer Integration in den Arbeitsmarkt (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006).
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Auch die in § 1 Abs. 6 Nr. 3 Buchstabe b BErzGG 2006 und § 1 Abs. 7 Nr. 3 Buchstabe b BEEG genannten Voraussetzungen, die denjenigen des verfahrensgegenständlichen § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 entsprechen (berechtigte Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet, Bezug laufender Geldleistungen nach SGB III oder Inanspruchnahme von Elternzeit) bilden nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine hinreichende Grundlage für eine Prognose über die zu erwartende Aufenthaltsdauer. Danach haben die in den betreffenden Vorschriften genannten Kriterien zwar eine gewisse Aussagekraft bezüglich der Arbeitsmarktintegration der Betroffenen im Zeitraum vor und nach der Geburt ihres Kindes. Dies wertet der Gesetzgeber als Indiz für eine dauerhafte Bleibeperspektive. Doch selbst wenn diese Annahme zuträfe, gilt dies nicht für den Umkehrschluss; das Nichtvorliegen dieser Voraussetzungen spricht nicht gegen eine dauerhafte Bleibeperspektive. Ein Zusammenhang zwischen der Nichterfüllung der in § 1 Abs. 6 Nr. 3 Buchstabe b BErzGG 2006 und § 1 Abs. 7 Nr. 3 Buchstabe b BEEG genannten Merkmale und dem Fehlen einer dauerhaften Bleibeperspektive sei nicht erkennbar (vgl. BVerfGE 132, 72 [85 ff. Rn. 30 ff.]).
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Diese Erwägungen sind auf § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 übertragbar. Die vom Gesetzgeber als zusätzliches Indiz für eine dauerhafte Bleibeperspektive gewertete Integration in den deutschen Arbeitsmarkt mag zwar in vielen Fällen den Schluss tragen, dass die Betroffenen sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten werden. Der für die vorgelegte Vorschrift maßgebliche Umkehrschluss, dass ohne eine Erwerbstätigkeit eine solche Prognose nicht möglich sei, ist indes nicht begründbar. Nach den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 16/1368, S. 8) und nach der Gesetzessystematik ist nicht lediglich die tatsächliche Ausübung einer Erwerbstätigkeit – oder die nur vorübergehende Nichtausübung wegen unverschuldeter Arbeitslosigkeit oder aus familiären Gründen – als zusätzliches Indiz für eine dauerhafte Aufenthaltsperspektive zu werten, sondern auch der Umstand, dass eine Erwerbstätigkeit lediglich erlaubt ist oder erlaubt werden könnte (vgl. auch § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG 2006). Dies schließt Aufenthaltstitel ein, bei denen von Gesetzes wegen eine Erwerbstätigkeit gestattet ist, aber auch solche, bei denen diese Entscheidung nach Ermessen im Einzelfall zu treffen ist.
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Gerade bei humanitären Aufenthaltstiteln erscheint eine Korrelation zwischen einer Erwerbstätigkeit und der voraussichtlichen Aufenthaltsdauer weniger plausibel als etwa in Fällen einer gezielten Zuwanderung zum Zwecke der Ausbildung und nachfolgenden Erwerbstätigkeit, da die Aufenthaltsdauer bei den meisten humanitären Aufenthaltstiteln stärker von der Situation in den Herkunftsstaaten der Betroffenen als von deren eigener Lebensplanung abhängt. So hat das Bundesverfassungsgericht zu den Parallelvorschriften in § 1 Abs. 6 Nr. 3 Buchstabe b BErzGG 2006 und § 1 Abs. 7 Nr. 3 Buchstabe b BEEG bereits festgestellt, dass die Inhaber der dort erfassten Aufenthaltserlaubnisse regelmäßig nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren, solange die bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Tragen gekommenen Gründe fortbestehen, ohne dass es dabei überhaupt auf die Arbeitsmarktintegration ankommt (vgl. BVerfGE 132, 72 [86 f. Rn. 33 ff.]). Dies gilt auch für das Kindergeld. Bei Personen mit humanitären Aufenthaltstiteln bilden die Umstände in ihrem Heimatstaat oder Abschiebehindernisse den Aufenthaltsgrund. Diese bestehen oder entfallen vollkommen unabhängig von einer Erwerbstätigkeit oder Arbeitslosigkeit der Betroffenen.
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Zudem hat das Bundesverfassungsgericht darauf abgestellt, dass die Nichterfüllung der in § 1 Abs. 6 Nr. 3 Buchstabe b BErzGG 2006 und § 1 Abs. 7 Nr. 3 Buchstabe b BEEG genannten Kriterien auch für die Verlängerung der erfassten Aufenthaltserlaubnisse jedenfalls nicht von solcher Bedeutung ist, dass sich daraus eine negative Bleibeprognose ableiten lässt (vgl. BVerfGE 132, 72 [88 Rn. 37]). Für die Aussicht auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis sind die in § 1 Abs. 6 Nr. 3 Buchstabe b BErzGG 2006 und § 1 Abs. 7 Nr. 3 Buchstabe b BEEG genannten Kriterien ebenfalls nicht hinreichend aussagekräftig (vgl. BVerfGE 132, 72 [89 Rn. 38]).
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Auch diese Erwägungen gelten für die arbeitsmarktbezogenen Kriterien in § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 gleichermaßen. Die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis setzt zwar voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist (vgl. § 8 Abs. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Dies wird insbesondere bei einer Erwerbstätigkeit der Fall sein. Jedoch sind Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 und § 25 Abs. 3 bis Abs. 4b AufenthG von dem Erfordernis der Sicherung ihres Lebensunterhalts ausgenommen (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Bei der Verlängerung der übrigen in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c EStG 2006 genannten Aufenthaltstitel steht es im Ermessen der Ausländerbehörde, ob das Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts angewendet wird (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Deshalb kommt es diesbezüglich vielfach auf eine Sicherung des Lebensunterhalts durch Erwerbstätigkeit nicht an.
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Ferner steht es der Aussicht auf einen unbefristeten Aufenthaltstitel nicht zwingend entgegen, wenn die in § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 genannten Kriterien aktuell nicht erfüllt sind. Zwar ist für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis Voraussetzung, dass der Lebensunterhalt gesichert ist (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Da dies nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch anhand einer zukunftsorientierten Prognoseentscheidung zu beurteilen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. November 2010 – 1 C 21.09 –, BVerwGE 138, 148, Rn. 15), kommt es nicht darauf an, ob der Betroffene aktuell erwerbstätig ist, sondern ob angenommen werden kann, dass er dies in der Zukunft auf Dauer sein wird.
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Soweit das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen hat, dass die drei Alternativen der in § 1 Abs. 6 Nr. 3 Buchstabe b BErzGG 2006 und § 1 Abs. 7 Nr. 3 Buchstabe b BEEG genannten arbeitsmarktbezogenen Kriterien einen vergleichsweise kurzen Zeitraum in den Blick nehmen und eine Arbeitsmarktintegration in anderen Zeiträumen außer Betracht lassen (vgl. BVerfGE 132, 72 [90 Rn. 40]), gilt auch dies für das Kindergeldrecht und zeigt sich nicht zuletzt anhand der hier zugrundeliegenden Ausgangsverfahren: Drei der vier Klägerinnen und der Kläger waren sowohl vor als auch nach den dort streitgegenständlichen Zeiträumen erwerbstätig und haben die in § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 genannten Kriterien jeweils nur über einen kurzen Zeitraum von drei beziehungsweise sieben Monaten nicht erfüllt. Die mangelnde Eignung der vorgelegten Vorschrift zur Erfassung relevanter Unterschiede bei der Prognose zur Aufenthaltsdauer wird in den vorgenannten drei Ausgangsfällen zudem daran deutlich, dass ausschlaggebend für die Verweigerung von Kindergeld in diesen Fällen ein – jeweils kurzer – Zeitraum zwischen dem Auslaufen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld I und der nachfolgenden erneuten Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auf einer neuen Arbeitsstelle war. Einen solchen Zeitraum als Indiz gegen eine Arbeitsmarktintegration zu werten, wird der tatsächlichen Situation der Betroffenen nicht gerecht. Dies wird durch den Umstand bestätigt, dass sich in den genannten Ausgangsfällen die erneute Arbeitsaufnahme jeweils unmittelbar angeschlossen hat.
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cc) Die durch § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b in Verbindung mit Nr. 2 Buchstabe c EStG 2006 bewirkte Benachteiligung lässt sich auch nicht durch eine Befugnis des Gesetzgebers zur Typisierung rechtfertigen, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
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(1) Es spricht allerdings einiges dafür, dass die mit der typisierenden Betrachtung in § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b in Verbindung mit Nr. 2 Buchstabe c EStG 2006 verbundenen Ungleichheiten nur schwer zu vermeiden wären. Zwar könnten bei der Bleibeprognose statt der oder zusätzlich zu den dort genannten Kriterien weitere Umstände des Einzelfalls herangezogen werden, um eine breitere Prognosegrundlage im Hinblick auf die voraussichtliche Aufenthaltsdauer zu schaffen. Dies würde für den Gesetzesvollzug jedoch einen nochmals deutlich größeren Aufwand bedeuten als die gegenwärtige Prüfung. Die einzelnen Faktoren müssten von den Betroffenen jedenfalls glaubhaft gemacht und von der Familienkasse und gegebenenfalls den Gerichten geprüft werden, wobei neben rechtlichen Aspekten in deutlich größerem Umfang tatsächliche Fragen zu klären wären. Der damit verbundene zusätzliche Aufwand wäre erheblich.
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(2) Auch dürften die mit der Typisierung verbundenen Härten vielfach nicht sehr intensiv sein. Die Ungleichbehandlung, die dadurch entsteht, dass wegen § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 kein Anspruch auf Kindergeld besteht, wirkt sich in vielen Fällen wirtschaftlich nicht oder kaum aus, weil auch bei Bestehen eines Anspruchs das Kindergeld als Einkommen auf die Sozialleistungen angerechnet oder den Sozialleistungsträgern nachträglich erstattet würde. Soweit die Kindergeldberechtigten allerdings von den Absetzbeträgen profitieren könnten, ist zu beachten, dass die betroffenen Familien regelmäßig am Rande des Existenzminimums leben und auch geringe Beträge für sie eine hohe Bedeutung haben können (vergleichbar zur Tragweite von Geringfügigkeitsargumenten im Bereich des Sozial(versicherungs)rechts BVerfGE 161, 163 [280 f. Rn 323 f.]). Gerade sie sind von der Typisierung daher spürbar betroffen. Von der Regelung erfasst sind aber auch diejenigen, die wegen vorhandenen Vermögens keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben, Kindergeld indes erhalten würden. Eine Anrechnung ist in diesen Fällen mangels Leistungsbezugs nicht möglich. Zusätzlich ist auch in diesem Zusammenhang auf den Nachrang der Sozialleistungen hinzuweisen, der einen vorherigen Verbrauch angesparter Rücklagen verlangen würde.
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(3) Jedenfalls scheitert eine Typisierung im vorliegenden Fall daran, dass die Differenzierungsmerkmale nicht den typischen Fall als Leitbild erfassen. Der Gesetzgeber hat mit der Regelung in § 62 Abs. 2 EStG 2006 das Ziel verfolgt, Kindergeld nur denjenigen Ausländern zu gewähren, die sich voraussichtlich auf Dauer in Deutschland aufhalten, und damit umgekehrt diejenigen auszuschließen, bei denen davon auszugehen ist, dass sie sich nur vorübergehend im Bundesgebiet aufhalten. Dafür ist das in § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 geregelte Kriterium der (beginnenden) Integration in den deutschen Arbeitsmarkt jedoch ungeeignet. Sowohl aus rechtlichen als auch aus tatsächlichen Gründen bleiben – wie ausgeführt – die meisten Personen, die im Besitz einer humanitären Aufenthaltserlaubnis sind, aber die arbeitsmarktbezogenen Kriterien in § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 nicht erfüllen, dennoch dauerhaft oder doch jedenfalls über einen längeren Zeitraum in Deutschland. Dies gilt umso mehr, wenn es um solche Betroffenen geht, die sich – wie die Klägerinnen und der Kläger der Ausgangsverfahren – bereits seit über drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a EStG 2006). Es spricht daher vieles dafür, dass der Gesetzgeber sogar umgekehrt den atypischen Fall als Leitbild gewählt hat.
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Zwar ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass der Gesetzgeber zusätzlich darauf abgestellt hat, dass sich das Einkommen der betroffenen Familien im Ergebnis nicht ändere, da diese in der Regel nachrangige staatliche Fürsorgeleistungen bezögen (vgl. BTDrucks 16/1368, S. 9). Diese Betrachtung steht jedoch in keinem Zusammenhang zu dem von § 62 Abs. 2 EStG 2006 verfolgten Normzweck, der darin liegt, Kindergeld nur bei einem voraussichtlich dauerhaften Aufenthalt in Deutschland zu gewähren, um damit eine nachhaltige Bevölkerungsentwicklung zu fördern. Dementsprechend knüpfen die in § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b in Verbindung mit Nr. 2 Buchstabe c EStG 2006 gewählten Differenzierungskriterien nach dem Willen des Gesetzgebers an die Bleibeprognose der Betroffenen an. Demgegenüber betrifft der Bezug von Sozialleistungen allein die Auswirkungen der Ungleichbehandlung (s. oben Rn. 108), die der Gesetzgeber bei der typisierenden Bestimmung der Differenzierungskriterien anhand der Bleibeperspektive gerade nicht einbezogen hat.
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(1) Soweit der Bundesfinanzhof der Auffassung ist, § 62 Abs. 2 EStG 2006 diene auch dem Regelungszweck, Zuwanderungsanreize insbesondere für kinderreiche Ausländer abzubauen ("keine Zuwanderung in Sozialsysteme"), ist eine dahingehende Entscheidung des Gesetzgebers nicht erkennbar. Zwar handelt es sich bei der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland um einen verfassungsrechtlich zulässigen und einfachgesetzlich verankerten Belang im Aufenthaltsrecht (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Dieser hat jedoch keinen Niederschlag im Tatbestand von § 62 Abs. 2 EStG 2006 gefunden, und eine entsprechende Zielsetzung ergibt sich auch nicht aus den Gesetzgebungsmaterialien. Danach hat § 62 Abs. 2 EStG 2006 (ausschließlich) die Zielsetzung, Familienleistungen nur für die ausländischen Staatsangehörigen vorzusehen, die sich voraussichtlich auf Dauer in Deutschland aufhalten (vgl. BTDrucks 16/1368, S. 8). Ob die Regelung geeignet wäre, Einfluss auf das Zuwanderungsverhalten kinderreicher Ausländer zu nehmen, kann daher offenbleiben (vgl. hierzu bereits BVerfGE 111, 160 [173 f.]).
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(2) Entsprechendes gilt für wirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Zwar handelt es sich auch dabei um einfachgesetzlich geregelte Belange im Aufenthaltsrecht (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 AufenthG), die grundsätzlich als Rechtfertigungsgrund für eine Ungleichbehandlung in Betracht kommen könnten. Doch auch diese Zielsetzung ist bei der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG 2006 nicht erkennbar verfolgt worden. Während die Neuregelung in § 62 Abs. 2 EStG 2019 nach den Materialien ausdrücklich auch den Zielen dient, die Fachkräftegewinnung zu erleichtern und einen Anreiz zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu setzen (vgl. BTDrucks 19/13436, S. 123), lässt sich dies den Materialien zu § 62 Abs. 2 EStG 2006 nicht entnehmen.
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§ 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 ist gemäß § 82 Abs. 1 in Verbindung mit § 78 Satz 1 BVerfGG nichtig.
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1. Der Verstoß einer Norm gegen das Grundgesetz kann entweder zur Nichtigerklärung nach § 78 BVerfGG oder dazu führen, dass das Bundesverfassungsgericht die (bloße) Unvereinbarkeit der Norm mit dem Grundgesetz feststellt (vgl. § 31 Abs. 2, § 79 Abs. 1 BVerfGG). Die bloße Unvereinbarkeitserklärung einer verfassungswidrigen Norm ist regelmäßig geboten, wenn der Gesetzgeber unterschiedliche Möglichkeiten hat, den Verfassungsverstoß zu beseitigen. Das trifft bei Verletzungen des Gleichheitssatzes regelmäßig zu (vgl. BVerfGE 99, 280 [298]; 105, 73 [133]; 107, 27 [57]; 117, 1 [69]; 122, 210 [245]; 126, 400 [431]; 138, 136 [249 Rn. 286]; stRspr). Ist aber sicher anzunehmen, dass der Gesetzgeber bei Beachtung des allgemeinen Gleichheitssatzes die nach der Nichtigerklärung verbleibende Regelung wählen würde, kann das Bundesverfassungsgericht eine mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbare Regelung für nichtig erklären (vgl. BVerfGE 27, 391 [399]; 88, 87 [101]).
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2. Dies ist vorliegend der Fall. Der Gesetzgeber hat mit der Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG 2019 zum Ausdruck gebracht, dass – in Reaktion auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Erziehungs- und Elterngeld (vgl. BTDrucks 19/13436, S. 125) – nunmehr Kindergeld erhalten soll, wer eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens 15 Monaten erlaubt, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält (vgl. § 62 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. Nr. 2 Buchstabe c EStG 2019). Auf die Erfüllung weiterer, insbesondere arbeitsmarktbezogener Kriterien hat er für diese Fallgruppe verzichtet. Die Nichtigerklärung des § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 führt zu einem dieser Neuregelung im Grundsatz entsprechenden Ergebnis: Kindergeld erhält dann, wer im Besitz einer humanitären Aufenthaltserlaubnis ist und sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a i.V.m. Nr. 2 Buchstabe c EStG 2006).
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Bescheide, die im Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Entscheidung bereits bestandskräftig sind, bleiben von der Nichtigerklärung unberührt. Dies entspricht dem Grundgedanken des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Es bleibt dem Gesetzgeber unbenommen, eine andere Regelung zu treffen (vgl. BVerfGE 94, 241 [266 f.]; 111, 115 [146]; 132, 72 [99 Rn. 61]).
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