2. Art. 4 Abs. 2 GG gewährleistet auch das Recht, Sammlungen für kirchliche oder religiöse Zwecke zu veranstalten. Das Gleiche gilt für eine im Rahmen des üblichen religiösen Lebens liegende Unterstützungshandlung wie die Werbung von der Kanzel.
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Beschluß | |
des Ersten Senates vom 16. Oktober 1968
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- 1 BvR 241/66 - | |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerden 1. der Katholischen Landjugendbewegung Deutschlands, Düsseldorf, Carl-Mosters-Platz 1, vertreten durch die Bundesvorsitzenden ...., ihre Stellvertreter ..., und den Bundeskuraten ... - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte ... - 2. des Rohstoff-Großhändlers Ernst H. ...., gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 16. März 1966 - 11 b S 215/65 -
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ENTSCHEIDUNGSFORMEL:
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1. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers H.... wird verworfen.
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2. Das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 16. März 1966 - 11 b S 215/65 - verletzt das Grundrecht der Beschwerdeführerin, der Katholischen Landjugendbewegung Deutschlands, aus Artikel 4 Absatz 2 Grundgesetz. Es wird aufgehoben, soweit die Beschwerdeführerin verurteilt worden ist, Kanzelwerbung zu unterlassen und Kosten zu tragen. Die Sache wird insoweit an das Landgericht Düsseldorf zurückverwiesen.
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Gründe: | |
I.
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1. Die Beschwerdeführerin ist eine Vereinigung katholischer ländlicher Jugend Deutschlands in der Form eines nichtrechtsfähigen Vereins. Sie gliedert sich in Mannesjugend und Frauenjugend sowie innerhalb dieser Gliedgemeinschaften in Orts- oder Kreis-(Dekanats-)Gruppen mit weiteren Zusammenschlüssen im Diözesan- und Bundesbereich. Nach ihrer Bundessatzung will sie u. a. "der lebendigen Kirche ..., dem verantwortungsbewußten Berufsstand ... (und) den weltweiten Aufgaben der Kirche und des Landvolkes" dienen; sie will ihre Mitglieder als Jugend der Kirche und des Landes im dörflichen Bereich christgläubig, berufstüchtig und wahrhaft sozial bilden. In ihrer Tätigkeit und ihren Organen ist sie institutionell mit der Katholischen Kirche verbunden. Satzungsgemäß gehören allen Führungsgremien die von den Bischöfen beauftragten Seelsorger für die Landjugendarbeit an; Mitglied der Bundesleitung beider Gliedgemeinschaften ist außer den nebenamtlichen Bundesvorsitzenden und ihren Stellvertretern der von den Landjugendseelsorgern gewählte und vom Episkopat beauftragte Bundeskurat; Diözesansatzungen bedürfen der Genehmigung des Diözesanbischofs. Als eine ihrer Aufgaben sieht die Beschwerdeführerin nach ihrem Programm die Mitarbeit bei der Linderung geistiger und leiblicher Not in der Welt an durch materielle Unterstützung für Missionare und Entwicklungshelfer sowie durch Sammlungen, deren Ertrag für solche Gebiete bestimmt ist, "wo Hunger und Not herrschen".
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Anfang 1965 veranstaltete die Beschwerdeführerin im gesamten Bundesgebiet die "Aktion Rumpelkammer"; sie sammelte gebrauchte Kleidung, Lumpen und Altpapier und verkaufte das gesamte Material an Großabnehmer. Dabei erzielte sie einen Erlös von mehreren Millionen Deutsche Mark, der für die Landjugend in unterentwickelten Ländern bestimmt war. Die einzelnen Aktionen ließ sie durch Kanzelabkündigung in den katholischen Kirchen und durch Pressehinweise bekanntmachen.
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2. Der Beschwerdeführer betreibt in Nördlingen eine Rohstoffgroßhandlung, in der er zeitweilig 17 Arbeitnehmer beschäftigte, die mit Lastwagen Altmaterial sammelten. Durch die Sammelaktion der Beschwerdeführerin kam der Betrieb einige Zeit fast ganz zum Erliegen, da der Beschwerdeführer kaum noch Lumpen erhielt und sein gesammeltes Material wegen Übersättigung des Marktes nicht absetzen konnte. Er nahm deshalb die Beschwerdeführerin auf Schadensersatz in Anspruch; außerdem verlangte er Unterlassung, soweit sie in Breitenbrunn (Landkreis Mindelheim) sammeln wollte. Das Amtsgericht wies die Klage ab, weil die Beschwerdeführerin nicht zu Zwecken des Wettbewerbes, sondern zu Wohltätigkeitszwecken tätig gewesen sei; ihr Verhalten verstoße deshalb nicht gegen § 1 UWG. Auf die Berufung des Beschwerdeführers verurteilte das Landgericht die Beschwerdeführerin, es zu unterlassen, ihre Altmaterialsammlung in Breitenbrunn durch Werbung von der Kanzel der katholischen Kirche vorzubereiten. Im übrigen wies es die Berufung zurück und führte aus: Der Erlös der Sammelaktion sei zwar für die Landjugend in unterentwickelten Ländern bestimmt. Trotzdem sei die Aktion eine auf Erwerb gerichtete Tätigkeit. Die Beschwerdeführerin habe sich auch mit dem Beschwerdeführer in wirtschaftlichem Wettbewerb befunden. Das Wettbewerbsverhältnis werde durch den wohltätigen Zweck der Sammlung nicht ausgeschlossen. Diese Tätigkeit sei der Beschwerdeführerin allerdings grundsätzlich nicht verwehrt. Die von ihr veranlaßte Kanzelwerbung verstoße aber als Wettbewerbshandlung gegen die guten Sitten. Maßstab für die Sittenwidrigkeit sei im Wettbewerbsrecht in erster Linie das Anstandsgefühl eines verständigen Durchschnittsgewerbetreibenden. Vorstellungen der Allgemeinheit bildeten nur ein Korrektiv gegenüber Auswüchsen, die von den Wettbewerbern nicht als solche empfunden würden. Die Beschwerdeführerin habe sittenwidrig gehandelt, weil sie die Katholische Kirche und damit eine wettbewerbsfremde Autorität, auf deren Empfehlungen die Umworbenen gewöhnlich zu hören pflegten, für ihre Werbung eingespannt habe. Sie habe sich unter Ausnutzung der seelsorglichen Ausstrahlungskraft einer Kanzelverkündigung einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil verschafft, der ihren Mitbewerbern nicht zu Gebote stehe. Die Verwendung der Gewinne zu gemeinnützigen Zwecken gebe der Beschwerdeführerin nicht das Recht, im Wettbewerb eine bevorzugte Stellung einzunehmen. Ein über die Einstellung der Kanzelwerbung hinausgehender Unterlassungsanspruch stehe dem Beschwerdeführer jedoch nicht zu. Mangels Verschulden habe er auch keinen Anspruch auf Schadensersatz.
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3. Mit der am 19. April 1966 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin Verletzung der Art. 2 und 4 GG durch das Urteil des Landgerichts. Sie macht geltend: Auch ein nichtrechtsfähiger Verein habe ein Recht auf freie Entfaltung auf allen Gebieten rechtlichen Handelns. Das angefochtene Urteil nehme zu Unrecht an, daß die Freiheit der Betätigung der Beschwerdeführerin durch § 1 UWG oder das Sittengesetz beschränkt gewesen sei; es verkenne nämlich, daß die Beschwerdeführerin nicht zu Zwecken geschäftlichen Wettbewerbs gehandelt habe. Die Beschwerdeführerin sei "im weiteren Sinne ein Glied der Katholischen Kirche", sie sei institutionell eingegliedert in das kirchliche Leben. Deshalb greife das Grundgesetz der ungestörten Religionsausübung Platz, wenn die Beschwerdeführerin bei ihrer karitativen Tätigkeit die Unterstützung durch Kanzelabkündigung in Anspruch nehme.
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4. Der Beschwerdeführer beantragte mit dem am 18. April 1966 beim Bundesverfassungsgericht eingegangenen Schriftsatz "für den Fall, daß mein Gegner die Verfassungsbeschwerde einlegt, an diesem vor dem Bundesverfassungsgericht laufenden Verfahren als die Gegenpartei beteiligt zu werden". In einem weiteren am 1. Mai 1966 eingegangenen Schriftsatz beantragte der Beschwerdeführer, die Verfassungsbeschwerde wegen Unzulässigkeit nicht anzunehmen. Später stellte er "für den Fall, daß das Bundesverfassungsgericht den genannten Vorgang überhaupt bearbeitet", den Antrag, es für verfassungswidrig zu erklären, daß die Beschwerdeführerin sich fortgesetzt mit erwerbswirtschaftlichen Altmaterialsammlungen abgebe. In seinem Schriftsatz vom 21. Januar 1967 änderte der Beschwerdeführer seinen Antrag dahin, das Bundesverfassungsgericht möge das angefochtene Urteil für verfassungsgemäß erklären, soweit es seiner Klage stattgegeben habe, es aber für verfassungswidrig erklären, soweit es seine Berufung zurückgewiesen habe.
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Der Beschwerdeführer trägt zur Begründung seiner Anträge vor: Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin sei unzulässig, weil sie von einem nichtrechtsfähigen Verein, nicht aber von dessen gesamten Mitgliedern erhoben worden sei. Sie sei jedenfalls unbegründet, da dessen Handlungsweise ihn selbst in verfassungswidriger Weise, insbesondere in seinem Grundrecht aus Art. 3 GG, verletze. Auf die allgemeine Handlungsfreiheit könne sich die Beschwerdeführerin als nichtrechtsfähiger Verein und institutioneller Bestandteil der Katholischen Kirche nicht berufen; denn die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG seien nur natürlichen oder - in beschränktem Umfang - juristischen Personen des Privatrechts gewährt, nicht aber öffentlich-rechtlichen Körperschaften. Auch als freie Religionsausübung lasse sich die Lumpensammlung nicht bezeichnen. Die "Aktion Rumpelkammer" sei keine Religionsausübung, sondern erwerbswirtschaftliche, auf Gewinn gerichtete Wettbewerbshandlung. Der gemeinnützige Verwendungszweck für den Erlös mache den Vorgang des Lumpensammelns und -verkaufens nicht zu einer religiösen Handlung. Die Hergabe von Lumpen sei kein Opfer, zumal auch gewerbliche Lumpenhändler bei Abholung aus den Häusern keine Vergütung zu zahlen pflegten. Art und Ausmaß der von der Beschwerdeführerin und anderen gemeinnützigen Organisationen veranstalteten Aktionen hätten diesen Vereinigungen eine marktbeherrschende, den gewerblichen Lumpenhandel vernichtende Stellung verschafft. Da sich die Sammlungen an einem Tag auf einen Regierungsbezirk erstreckten, von Pfarrern und staatlichen Gemeindeverwaltungen angekündigt und durch kostenlose Transporte, z. B. mit Bundeswehrfahrzeugen, unterstützt würden, werde an einem einzigen Tag das gesamte Lumpenaufkommen eines großen Gebietes erfaßt. 90% aller Lumpensammelbetriebe seien infolge derartiger Sammlungen eingegangen. Hinzu komme, daß die Beschwerdeführerin und die anderen Organisationen die Öffentlichkeit über den Verwendungszweck für die Alttextilien täuschten. Entgegen den Ankündigungen werde auch das noch gebrauchsfähige Sammelgut nicht an Bedürftige verteilt, sondern fast ausnahmslos verkauft. Auch der Erlös diene nicht der Unterstützung Bedürftiger, sondern der eigenen Vermögensbildung der Vereinigung. So habe die Beschwerdeführerin z. B. die Verkaufserlöse für den Bau eines ihr gehörigen Heimes verwendet. Ein solches erwerbswirtschaftliches Verhalten könne keine Religionsausübung sein. Es lasse sich auch nicht mit der allgemeinen Handlungsfreiheit begründen, weil es durch Ausnutzung einer den Gleichheitsanspruch der Mitbewerber aus Art. 3 GG verletzenden Monopolstellung die Rechte anderer in sittenwidriger Weise verletze.
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5. Das Katholische Büro, Kommissariat der Deutschen Bischöfe, und die Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland halten unter Bezugnahme auf ein Rechtsgutachten des Professors Dr. Sch. die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin für zulässig und begründet. Sie haben dazu ausgeführt:
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Die Beschwerdeführerin könne sich auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 GG berufen, weil sie als religiöse Vereinigung den Schutz des Art. 2 GG und wegen ihrer kirchlich-religiösen Aufgaben und ihrer Verbindung mit der Katholischen Kirche auch den Schutz des Art. 4 GG genieße. Das Landgericht habe bei der Anwendung des Wettbewerbsrechts Bestand und Reichweite grundrechtlicher Schutzbereiche nicht hinreichend beachtet und deshalb die Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten verletzt. Die freiwillige Hergabe von Sachen zu karitativen Zwecken gehöre seit jeher zur christlichen Liebestätigkeit. Anders möge es allenfalls für den Verkauf der Altstoffe sein; erst dieser Verkauf könne in das Gebiet des Wettbewerbs eingreifen. Die Kanzelaufforderung zu karitativen Spenden sei daher eine interne kirchliche Handlung, deshalb durch Art. 4 GG geschützt und könne weder als Wettbewerbshandlung noch als sittenwidrige Willensbeeinflussung durch unsachliche Methoden betrachtet werden. Das gelte auch für eine von einer kirchlichen Vereinigung ausgehende Aufforderung, weil die Religionsfreiheit nicht nur ein individuelles, sondern auch ein korporatives Recht sei. Eine Verletzung des Art. 2 GG liege darin, daß die allgemeine Handlungsfreiheit der Beschwerdeführerin ohne hinreichende Grundlage in der bürgerlichen Rechtsordnung beeinträchtigt und Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV verletzt worden sei.
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Das Katholische Büro hat ergänzend vorgetragen, daß das Sammeln von Sachspenden und deren Verkauf zum Zwecke der Erlangung geldlicher Mittel für Hilfeleistungen in unterentwickelten Ländern als einheitlicher Vorgang gesehen werden müsse, der insgesamt Ausdruck kirchlicher Liebestätigkeit sei.
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1. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers ist unzulässig. Der am 18. April 1966 beim Bundesverfassungsgericht eingegangene Schriftsatz entspricht nicht den an eine Verfassungsbeschwerde zu stellenden Formerfordernissen. Der Beschwerdeführer teilt darin nur mit, daß er den vor dem Landgericht Düsseldorf geführten Rechtsstreit gewonnen habe, und beantragt für den Fall, daß seine Prozeßgegnerin Verfassungsbeschwerde einlegen würde, ihn am Verfahren zu beteiligen. In diesem nicht als Verfassungsbeschwerde bezeichneten Antrag und seiner Begründung hat der Beschwerdeführer weder geltend gemacht, daß er sich durch das Urteil des Landgerichts beschwert fühle, noch hat er substantiiert dargelegt, daß die Entscheidung ihn in Grundrechten verletze.
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Alle späteren Schriftsätze des Beschwerdeführers sind unbeschadet ihrer Würdigung als Äußerung des im Ausgangsverfahren Begünstigten als Verfassungsbeschwerde verspätet; es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob sie die Formerfordernisse erfüllen. Die Monatsfrist zur Einlegung einer Verfassungsbeschwerde (§ 93 Abs. 1 BVerfGG) begann mit der Verkündung des Urteils vom 16. März 1966. Da der Beschwerdeführer keinen Antrag auf Erteilung einer Abschrift in vollständiger Form gestellt hat und das Ende der Monatsfrist auf einen Sonnabend fiel, lief die Frist am 18. April 1966 als dem nächsten Werktag ab (§§ 193 BGB, 222 Abs. 2 ZPO). Sie war für den Beschwerdeführer nicht unterbrochen, weil die durch den Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer vollständigen Abschrift bewirkte Unterbrechung der Verfassungsbeschwerdefrist nach § 93 Abs. 1 BVerfGG nur ihr gegenüber wirkte.
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Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers kann auch nicht als eine Art Anschluß-Verfassungsbeschwerde zulässig sein. Ein der unselbständigen Anschlußberufung oder der Anschlußrevision im Zivilprozeß (§§ 521, 556 ZPO) oder in anderen Verfahrensordnungen vergleichbares Rechtsinstitut kennt das Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht. Die Eigenart der Verfassungsbeschwerde als eines außerordentlichen, nicht zum Rechtsmittelzuge im ordentlichen Verfahren gehörigen und sich gegen eine rechtskräftige Entscheidung wendenden Rechtsbehelfs zur prozessualen Durchsetzung von Grundrechten (BVerfGE 1, 4 [5]; 18, 315 [325]) verbietet es auch, die für den Zivilprozeß und andere Verfahrensarten geltenden Vorschriften über die Anschlußberufung und Anschlußrevision analog anzuwenden.
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2. Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin ist zulässig.
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Die Beschwerdeführerin ist zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde befugt, obwohl sie ein nichtrechtsfähiger Verein ist. Sie hat auch eine mögliche Verletzung von Grundrechten aus Art. 4 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 GG dargetan (BVerfGE 3, 383 [391 f.]; 15, 256 [261]). Im einzelnen hat sie vorgetragen, das ihr im Urteil des Landgerichts auferlegte Gebot, eine Kanzelwerbung zu unterlassen, stelle eine Verletzung des Art. 4 Abs. 2 GG dar, weil sie eine Vereinigung zur Pflege religiösen Lebens sei, in Verbindung mit der Kirche stehe und deshalb bei der Erfüllung karitativer kirchlicher Aufgaben den Schutz der ungestörten Religionsausübung genieße. Ferner hat sie vorgetragen, daß sie als nichtrechtsfähiger Verein ein Recht auf freie Entfaltung auf allen Gebieten des rechtlichen Lebens habe und gesetzliche Einschränkungen oder sonstige Begrenzungen dieser Handlungsfreiheit nicht gegeben seien. Diese Darlegungen sind nicht offensichtlich unhaltbar.
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Die Beschwerdeführerin hat die Verfassungsbeschwerde auch rechtzeitig erhoben. Die Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG begann mit der Verkündung des angefochtenen Urteils am 16. März 1966 (§ 93 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 BVerfGG). Sie wurde unterbrochen durch den Antrag der Beschwerdeführerin auf Übersendung einer vollständigen Ausfertigung (§ 93 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 BVerfGG). Die Unterbrechung dauerte fort, bis der Beschwerdeführerin die Entscheidung in vollständiger Form übersandt wurde (§ 93 Abs. 1 Satz 4 BVerfGG). Innerhalb des auf diesen Zeitpunkt folgenden Monats ist die Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingegangen.
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Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin ist begründet. Die angefochtene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf ungestörte Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2 GG), weil sie bei der Auslegung und Anwendung des Begriffes "Sittenwidrigkeit" der Wettbewerbshandlung den Bestand und die Reichweite dieses Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt hat.
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1. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht darüber zu entscheiden, ob das Landgericht die von der Beschwerdeführerin veranstalteten Sammlungen mit anschließendem Verkauf des Sammelgutes mit Recht als einen Vorgang des geschäftlichen Wettbewerbs beurteilt hat. Die der Entscheidung insoweit zugrunde gelegte Auslegung des § 1 UWG ist als Auslegung einfachen Rechts nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts allein Sache der ordentlichen Gerichte, sofern diese dabei nicht die Wirkungskraft und Reichweite verfassungsrechtlicher Regelungen verkannt und dadurch Grundrechte des Betroffenen verletzt haben (BVerfGE 18, 85 [92 f.]).
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Allein durch die Bewertung der Sammelaktionen als geschäftliche Wettbewerbshandlung werden Grundrechte der Beschwerdeführerin schon deshalb nicht verletzt, weil das Landgericht die Veranstaltung solcher Sammlungen an sich für zulässig erachtet. Wenn aber das angefochtene Urteil für das Verbot der Kanzelabkündigung nur Gesichtspunkte des geschäftlichen Verkehrs für maßgeblich hält, so berücksichtigt diese Betrachtungsweise nicht die der Beschwerdeführerin als religiöser Vereinigung für einen karitativen Zweck zugute kommende Ausstrahlungswirkung des Rechts auf ungestörte Religionsausübung.
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2. a) Das Grundrecht der ungestörten Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2 GG) ist an sich im Begriff der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) enthalten. Dieser Begriff umfaßt nämlich - gleichgültig, ob es sich um ein religiöses Bekenntnis oder eine religionsfremde oder religionsfreie Weltanschauung handelt - nicht nur die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, d. h. einen Glauben zu bekennen, zu verschweigen, sich von dem bisherigen Glauben loszusagen und einem anderen Glauben zuzuwenden, sondern ebenso die Freiheit des kultischen Handelns, des Werbens, der Propaganda (BVerfGE 12, 1 [3 f.]). Insofern ist die ungestörte Religionsausübung nur ein Bestandteil der dem Einzelnen wie der religiösen oder weltanschaulichen Vereinigung (BVerfGE 19, 129 [132]) zustehenden Glaubens- und Bekenntnisfreiheit. Mindestens seit der Weimarer Verfassung geht die Freiheit der Religionsausübung inhaltlich in der Bekenntnisfreiheit auf (vgl. Hamel in: Bettermann- Nipperdey-Scheuner, Die Grundrechte, Bd. IV 1, 1960, S. 62, 54). Die besondere Gewährleistung der gegen Eingriffe und Angriffe des Staates geschützten Religionsausübung in Art. 4 Abs. 2 GG erklärt sich historisch aus der Vorstellung eines besonderen exercitium religionis, insbesondere aber aus der Abwehrhaltung gegenüber den Störungen der Religionsausübung unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Angesichts dieser Entwicklung hat Art. 4 Abs. 2 GG vor allem den Sinn einer Klarstellung dahin, daß Träger des Grundrechts auch eine Gemeinschaft sein kann, deren religiöses Daseins- und Betätigungsrecht hinsichtlich der Form und des Inhalts, der Teilnahme und der Art der Ausübung - in der Familie, im Haus und in der Öffentlichkeit - geschützt ist, soweit sie sich im Rahmen gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen der heutigen Kulturvölker hält.
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Da die "Religionsausübung" zentrale Bedeutung für jeden Glauben und jedes Bekenntnis hat, muß dieser Begriff gegenüber seinem historischen Inhalt extensiv ausgelegt werden. Dafür spricht, daß die Religionsfreiheit nicht mehr wie in Art. 135 WRV durch einen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt eingeschränkt ist, nicht mehr in Zusammenhang mit den anderen Bestimmungen über das Verhältnis von Staat und Kirche steht (BVerfGE 19, 206 [219 f.]), nicht nach Art. 18 GG verwirkt werden kann und darüber hinaus durch verfassungsrechtliche Sonderregelungen geschützt ist (vgl. Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 3 GG, Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 3 Satz 1 WRV; Art. 136 Abs. 4 WRV, Art. 7 Abs. 3 Satz 3 GG; Art. 7 Abs. 2 GG). Diese Freiheit der Religionsausübung erstreckt sich zudem nicht nur auf die christlichen Kirchen, sondern auch auf andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Das folgt aus dem für den Staat verbindlichen Gebot weltanschaulich-religiöser Neutralität (BVerfGE 18, 385 [386]; 19, 206 [216]) und dem Grundsatz der Parität der Kirchen und Bekenntnisse (BVerfGE 19, 1 [8]). Es ist deshalb nicht gerechtfertigt, die Kultusfreiheit enger auszulegen als die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit.
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Zur Religionsausübung gehören danach nicht nur kultische Handlungen und Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozession, Zeigen von Kirchenfahnen, Glockengeläute, sondern auch religiöse Erziehung, freireligiöse und atheistische Feiern sowie andere Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens.
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b) Das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG steht nicht nur Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu, sondern auch Vereinigungen, die sich nicht die allseitige, sondern nur die partielle Pflege des religiösen oder weltanschaulichen Lebens ihrer Mitglieder zum Ziel gesetzt haben. Voraussetzung dafür ist aber, daß der Zweck der Vereinigung gerade auf die Erreichung eines solchen Zieles gerichtet ist. Das gilt ohne weiteres für organisatorisch oder institutionell mit Kirchen verbundene Vereinigungen wie kirchliche Orden, deren Daseinszweck eine Intensivierung der gesamtkirchlichen Aufgaben enthält. Es gilt aber auch für andere selbständige oder unselbständige Vereinigungen, wenn und soweit ihr Zweck die Pflege oder Förderung eines religiösen Bekenntnisses oder die Verkündung des Glaubens ihrer Mitglieder ist. Maßstab für das Vorliegen dieser Voraussetzungen kann das Ausmaß der institutionellen Verbindung mit einer Religionsgemeinschaft oder die Art der mit der Vereinigung verfolgten Ziele sein.
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Die Beschwerdeführerin ist zwar organisatorisch in die Katholische Kirche nicht eingegliedert. Sie ist ihr aber dennoch institutionell verbunden: In allen Führungsgremien wirken katholische Seelsorger kraft ihres Amtes mit; die Diözesanbischöfe haben durch ihr Genehmigungsrecht unmittelbaren Einfluß auf die Diözesansatzungen. Auch die Ziele der Beschwerdeführerin sind solche des kirchlichen Bereiches. Nach ausdrücklicher Bestimmung in der Satzung dient sie den weltweiten Aufgaben der lebendigen Kirche und der Linderung geistiger und leiblicher Not in der Welt durch materielle Unterstützungen. Ihr steht deshalb das Grundrecht der ungestörten Religionsausübung zu.
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c) Die von der Beschwerdeführerin aus religiös-karitativen Motiven veranstalteten Sammlungen und die von ihr veranlaßte Kanzelabkündigung gehören zu der durch Art. 4 Abs. 2 GG geschützten Religionsausübung.
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Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als Ausübung von Religion und Weltanschauung zu betrachten ist, darf das Selbstverständnis der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nicht außer Betracht bleiben. Zwar hat der religiös-neutrale Staat grundsätzlich verfassungsrechtliche Begriffe nach neutralen, allgemeingültigen, nicht konfessionell oder weltanschaulich gebundenen Gesichtspunkten zu interpretieren (BVerfGE 10, 59 [84 f.]; 12, 45 [54]; 19, 1 [8]; 19, 226 [238 ff.]; 19, 268 [278 ff.]). Wo aber in einer pluralistischen Gesellschaft die Rechtsordnung gerade das religiöse oder weltanschauliche Selbstverständnis wie bei der Kultusfreiheit voraussetzt, würde der Staat die den Kirchen, den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nach dem Grundgesetz gewährte Eigenständigkeit und ihre Selbständigkeit in ihrem eigenen Bereich verletzen, wenn er bei der Auslegung der sich aus einem bestimmten Bekenntnis oder einer Weltanschauung ergebenden Religionsausübung deren Selbstverständnis nicht berücksichtigen würde (BVerfGE 18, 385 [386 f.]).
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Nach dem Selbstverständnis der Katholischen und Evangelischen Kirche umfaßt die Religionsausübung nicht nur den Bereich des Glaubens und des Gottesdienstes, sondern auch die Freiheit zur Entfaltung und Wirksamkeit in der Welt, wie es ihrer religiösen und diakonischen Aufgabe entspricht. Die tätige Nächstenliebe ist nach dem Neuen Testament eine wesentliche Aufgabe für den Christen und wird von der Katholischen wie der Evangelischen Kirche als kirchliche Grundfunktion verstanden (Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute des 2. Vatikanischen Konzils, Art. 88, Rahner - Vorgrimler, Kleines Konzilskompendium, 1966, S. 547 f. - sowie Art. 15 Abs. 1 der Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 13. Juli 1948 - Abl. EKD 1948, S. 233). Auch in der Staatspraxis nach dem zweiten Weltkrieg ist die karitative Tätigkeit, insbesondere die Sammlung von Gaben für karitative Zwecke, in den Kirchenverträgen und Konkordaten als legitime Aufgabe der Kirchen anerkannt und die Berechtigung dazu den Kirchen gewährleistet worden (vgl. Art. 14 Abs. 1 des Niedersächsischen Evangelischen Kirchenvertrages vom 18. April 1955 - Nds.GVBl. S. 159 -; Art. 1 Abs. 1 des Niedersächsischen Konkordates vom 26. Februar 1965 - Nds.GVBl. S. 192; Art. 16 des Schleswig-Holsteinischen Evangelischen Kirchenvertrages vom 23. April 1957 - Schlesw.- Holst. GVBl. S. 73 -; Art. 19 des Hessischen Evangelischen Kirchenvertrages vom 18. Februar 1960 - Hess. GVBl. S. 54).
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Wie die Grenzen des Grundrechts der Religionsfreiheit, insbesondere der ungestörten Religionsausübung in einer pluralistischen Gesellschaft zu ziehen sind, ob nach den Grundsätzen der Toleranz und Parität oder vom Kernbereich oder der Wesensgarantie des Grundrechts, nach dem im Grundgesetz ausgestalteten Verhältnis von Staat und Kirche, von der personalen Würde des Menschen aus oder unter Berücksichtigung gewisser immanenter Schranken des Grundrechts, kann hier dahinstehen. Jedenfalls ergibt sich aus den hier angestellten allgemeinen Erwägungen über die Natur der Religionsfreiheit für die zu treffende Entscheidung, daß eine karitative Sammlung nur unter bestimmten Voraussetzungen religiösen Charakter hat und den Schutz des Art. 4 Abs. 2 GG beanspruchen darf.
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Die Hergabe einer Sache bei einer Sammlung muß unentgeltlich sein; die Gabe muß einer bestimmten religiösen Gesinnung oder Haltung des Spenders, sei es der Barmherzigkeit oder der Nächstenliebe, entspringen oder Ausdruck persönlichen Einsatzes für eine gerechte und gute Sache aus glaubensmäßiger Überzeugung sein. Christliche Liebestätigkeit ist nach dem Selbstverständnis der christlichen Kirchen also etwas anderes als ein sozialer Vorgang, der sich in der Fürsorge für Arme, Elende und Bedürftige aus Mitverantwortung für den Nächsten im Interesse eines friedlichen Zusammenlebens im Staat erschöpft und lediglich aus sozialen Gründen das Existenzminimum des Nächsten sichert, um die Führung eines Lebens in der Gemeinschaft zu ermöglichen, die der Würde des Menschen entspricht. Schon aus dieser Charakterisierung folgt, daß es sich bei der christlichen Liebestätigkeit um eine herkömmliche, im allgemeinen religiösen Bewußtsein selbstverständliche Fürsorge handeln muß. Den Spendern müssen auch der verfolgte Zweck und die Verwendung des Sammlungsgutes erkennbar sein, damit sie ihre Entscheidung nicht auf falsche Vorstellungen gründen und die Öffentlichkeit über den Zweck der Sammlung nicht getäuscht wird. Unerheblich ist dabei, ob die Spenden den Bedürftigen unmittelbar zugewandt werden oder ihnen aus dem Erlös der Sachen eine irgendwie geartete finanzielle Hilfe zufließt, weil das für eine religiös-karitative Sammlung entscheidende Kriterium die Hergabe eines für mildtätige Zwecke bestimmten Opfers ist. Dies gilt um so mehr, wenn die Veräußerung von vornherein geplant und angekündigt wird. Sammlung und Verwertung lassen sich deshalb auch nicht trennen.
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d) Die von der Beschwerdeführerin veranstaltete Sammlung "Aktion Rumpelkammer" hält sich - auch hinsichtlich der Werbung durch Kanzelabkündigung - im Rahmen dieser allgemeinen Voraussetzungen.
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Die Sammlung von Sachspenden zur Unterstützung Bedürftiger gehört zu den traditionellen Formen der Diakonie. Die Art der hier vorgenommenen Verwertung war sachgerecht und entsprach den besonderen Verhältnissen des Falles. Da die Spenden für Bedürftige in Übersee bestimmt waren, konnte eine maximal wirkende Hilfe zweckmäßiger durch Verkauf des Sammelgutes als durch kostspieligen Transport der gebrauchsfähigen Kleidung erreicht werden. Angesichts des allgemein bekannten Ausmaßes der Not in Entwicklungsländern war es auch gerechtfertigt, die Sammlung nicht nur auf die gebrauchsfähige Kleidung, sondern allgemein auf Lumpen und Altpapier zu erstrecken. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hatten die Spenden auch den für eine religiös-karitative Handlung erforderlichen Charakter der Mildtätigkeit. Zwar mag es zutreffen, daß auch gewerbliche Lumpensammler im allgemeinen ausschließlich für Lumpen kein Entgelt zu zahlen pflegen. Der Beschwerdeführer hat aber selbst dargelegt, daß das von karitativen Organisationen gesammelte Material einen höheren Anteil an gebrauchsfähiger Kleidung enthielt als die von gewerblichen Händlern gesammelten Waren. Daraus folgt, daß die Spender im Hinblick auf den mit der Sammlung verfolgten Zweck - Hilfe für Bedürftige - wertvollere Stücke abgeben, die sie in diesem Ausmaß den gewerblichen Lumpenhändlern nicht gegeben hätten. Daß die Beschwerdeführerin einen nicht den Tatsachen entsprechenden Verwendungszweck für den Erlös vorgetäuscht hätte oder die Spender über die Art der Verwertung getäuscht worden wären, hat das angefochtene Urteil nicht festgestellt.
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Unerheblich für die Beurteilung der "Aktion Rumpelkammer" als Handlung im Bereich der Religionsausübung ist ferner die Behauptung des Beschwerdeführers, daß infolge der karitativen Sammlungen 90% der Lumpensammler ihren Betrieb hätten einstellen müssen. Abgesehen davon, daß nach der für das Bundesverfassungsgericht insoweit maßgebenden Beurteilung des Landgerichts die Sammlung der Beschwerdeführerin auch in dem von ihr betriebenen Umfang zulässig war und daß nicht feststeht, ob der Rückgang im Lumpensammelgewerbe nicht auf allgemeinwirtschaftliche Strukturveränderungen zurückzuführen ist, müßte selbst eine Veränderung der Struktur dieses Gewerbezweiges infolge karitativer Sammlungen hingenommen werden. Ein subjektives verfassungskräftiges Recht eines Geschäftsmannes auf die Erhaltung des Geschäftsumfanges und die Sicherung weiterer Erwerbsmöglichkeiten besteht in der freien Wettbewerbswirtschaft nicht.
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e) War die Sammlung der Beschwerdeführerin somit Teil der durch Art. 4 Abs. 2 GG geschützten Religionsausübung, so hätte das Landgericht auch die Ausstrahlungswirkung dieses Grundrechts auf die Beurteilung der Kanzelwerbung als "sittenwidrige Wettbewerbshandlung" beachten müssen.
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Wenn die Sammlung selbst gerade wegen ihres religiös-karitativen Charakters und Zweckes besonderen Schutz genießt, muß das auch für eine im Rahmen des üblichen religiösen Lebens liegende Unterstützungshandlung wie die Werbung von der Kanzel gelten. Maßgebend ist allein die Frage, ob gerade die Beschwerdeführerin auf derartige Kanzelabkündigungen hinwirken durfte. Daran kann angesichts der dem kirchlichen Bereich angehörigen Sammlung kein Zweifel bestehen. Bei der Auslegung des Begriffs "Sittenwidrigkeit" der Wettbewerbshandlung hätte das Landgericht deshalb die besondere Art des Wettbewerbs zwischen einem Gewerbetreibenden und einem innerhalb der Religionsausübung handelnden "Wettbewerber" von dem höherwertigen Rechtsgut ungestörter Religionsausübung aus beurteilen müssen und nach dem festgestellten Sachverhalt nicht als sittenwidrig werten dürfen. Soweit das Landgericht die Beschwerdeführerin verurteilt hat, ist das Urteil deshalb aufzuheben (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
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3. Da die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Verhaltens der Beschwerdeführerin speziell aus Art. 4 GG folgt, kommt daneben eine Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) der Beschwerdeführerin nicht in Betracht (BVerfGE 6, 32 [37]; 10, 55 [58]; 17, 302 [306]). Für das vorliegende Verfahren muß es deshalb dahingestellt bleiben, inwieweit Sammlungen gemeinnütziger Organisationen, die nicht den Schutz des Art. 4 Abs. 2 GG genießen, durch Art. 2 Abs. 1 GG gedeckt sind.
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